Labor-IT Effiziente Simulation In-silico-Technologie beschleunigt die Pharmaforschung Arzneimittelforschung ist ein langwieriges und teures Geschäft. Den komplizierten Weg eines Wirkstoffs durch den Körper zu bestimmen, ist die Aufgabe der Pharmakokinetik. Ein Teil der aufwändigen Tier- und Menschenversuche kann nun der Computer ersetzen – dank einer Software, die Maus, Ratte, Hund und Mensch simuliert. W enn sich Pharmakokinetiker daran machen, Wirkstoffe zu untersuchen, geht es immer um die Fragen, wo im Körper wie viel Substanz absorbiert wird, wann wie viel davon abgebaut wird, wie schnell wie viel an den Zielort gelangt und wie lange die Substanz im Blutkreislauf verbleibt. Allesamt Fragen, die bei der Entwicklung neuer Medikamente eine wichtige Rolle spielen. Doch Antworten darauf sind nur schwer zu erhalten. Aufwändige Laborversuche an Tieren geben darüber Auskunft, doch ob die so gefundene Substanz auch beim Menschen die gewünschte Wirkung entfaltet, ist längst noch nicht sicher. Kein Wunder, dass intensiv nach verbesserten und effizienteren Methoden zur Antwortsuche gefahndet wird. Die richtigen Parameter finden Armin Scheuermann, Redaktion Fündig wurden die Biophysiker bei Bayer Technology Services (BTS). Denn die physika- lischen und physiologischen Abläufe sind determiniert und lassen sich in mathematischen Modellen abbilden. 75 bis 80 Differentialgleichungen, die simultan zu lösen sind, beschreiben die Massebilanz eines Organs bei der Aufnahme von Pharmawirkstoffen. Mit dem Rechenschieber lässt sich die Aufgabe zwar nicht lösen, doch ein Laptop bewältigt den Denksport problemlos. „Die Schwierigkeit steckt in der Wahl der Parameter“, erklärt Dr. Stefan Willmann von BTS. Willmann entwickelte gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Walter Schmitt die Software PK-Sim, die 15 verschiedene Organe im Computer simuliert und ADME-Berichte – d.h. Absorption, Distribution, Metabolismus und Exkretion – erstellt. Typische Fragestellungen reichen von der Untersuchung passiver Transportprozesse bei der Wirkstoffsuche über aktive Transportprozesse bei der Wirkstoffoptimierung bis hin zur Dosisfindung beim Eintritt in die klinische Phase. Bei der Bestimmung der 1: Wie sich eine Substanz im Organismus verteilt, lässt sich mit der Software PK-Sim berechnen. Dabei werden die Eigenschaften der für die Wirkung wichtigsten Körperorgane simuliert 2: Bereits relativ wenige Daten genügen für die Simulation der Bioverfügbarkeit einer Wirksubstanz 32 @Lab Oktober 2004 Pharmakokinetik für Maus, Ratte, Hund und Mensch nach ein- oder mehrmaliger intravenöser oder oraler Verabreichung berechnet das Programm Konzentrations-Zeit-Kurven für die in die Simulation einbezogenen Organe. Für einfache Fragestellungen wie Schätzungen des resorbierten Anteils oder der Bioverfügbarkeit reichen wenige Daten über Lipophilie, Plasmaproteinbindung und In-vitro-Stoffwechselumsätze und Molekulargewicht des Wirkstoffs. Diese Substanzeigenschaften werden in der Pharmaforschung routinemäßig bestimmt, die Daten liegen dann oft in mehrere 100 000 Substanzen umfassenden Datenbanken vor. Transportprozesse untersuchen Simuliertes Säugetier Die Pharmakokinetik verfolgt den komplizierten Weg eines Wirkstoffs durch den Körper. Die Pharmakokinetik-Software PK-Sim unterstützt Forscher und Entwickler dabei an mehreren Stellen. So lassen sich z.B. passive Transportprozesse bei der Wirkstoffsuche und aktive Transportprozesse bei der Wirkstoffoptimierung untersuchen sowie Dosis-Abschätzungen vornehmen. Dadurch reduziert sich die Zahl der Experimente an Mensch und Tier, wodurch sich Zeit und Kosten sparen lassen. ren, welche Substanzen in Transporter-Assays gehen sollen. „Dies reduziert die Kosten in dieser Phase erheblich“, erklärt Willmann. Wenn Transportmechanismen eine Rolle spielen, ergibt sich aus den Substanzklassen eine Idee, welche das sind. Und diese lassen sich dann in PK-Sim aktivieren und neue Simulationen generieren, bis der Vergleich mit dem Experiment übereinstimmt. Die richtige Dosis finden Noch kritischer ist das Abschätzen der Dosis beim Upscaling zum Menschen, wenn der Forschungsprozess von der präklinischen in die klinische Phase I eintritt. Willmann: „Das ist eine sehr kritische Frage – es darf nicht zu hoch und nicht zu niedrig dosiert werden.“ Denn ist die Dosis zu niedrig, sind mehr Versuche notwendig – die Kosten steigen. Auch zur Anwendung des Arzneimittels – ob oral oder intravenös – gibt die Software Auskunft und simuliert dazu, wie sich die Substanz bei Bilder: Bayer Forschungsmagazin „research“ Schwieriger wird es, wenn auch der Metabolismus, d.h. die Abbauvorgänge, sowie die Ausscheidung (Clearance) mit einbezogenen werden sollen. In der frühen Phase liefern dazu Versuche mit Hepatozyten-Assays die notwendigen Daten. Dazu kommen Angaben über die intestinale Löslichkeit im Magen-Darm-Trakt, für die es – so Willmann – gut beschriebene Assays gibt. Mit diesen Parametern ist es möglich, Simulationen für passive Transportmechanismen zu erzeugen. Ob aktive Transportmechanismen eine Rolle spielen, ist für die weitere Erforschung eines potenziellen Wirkstoffs von entscheidender Bedeutung. „Durch den Vergleich der Simulation mit frühen In-vivo-Experimenten – zum Beispiel an Ratten – lässt sich bestimmen, ob aktive Transportprozesse eine Rolle spielen“, verdeutlicht Stefan Willmann. Und dann hilft die Simulation dabei, zu selektie- KOMPAKT Labor-IT Patienten mit Übergewicht, Nieren- oder Leberfunktionsstörungen auswirkt. Die mit einer grafischen Bedienoberfläche ausgestattete Software wird in zwei Versionen angeboten: „Basic“ für frühe und mittlere Stadien des Forschungsprozesses, wo es vor allem auf den prädiktiven Aspekt ankommt sowie „Advanced“ für ADME- und Pharmakokinetik-Spezialisten in den späten Forschungs- und frühen Entwicklungsphasen. Entwickelt wird zurzeit ein PopulationsModul für Pharmakokinetiker in den klinischen Entwicklungsstadien. In Zukunft könnte außerdem eine Version für toxikologische Fragestellungen dazukommen, darüber hinaus sollen zukünftig auch Gemische mehrerer Substanzen, die sich gegenseitig beeinflussen, untersucht werden können. www.bayertechnology.com Infos @Lab 611 Dr. Stefan Willmann, Bayer Technology Services: 3: Pharma-Forschung: Von der Targetsuche im Erbgut bis zum Medikament. Die Simulation (virtuell) unterstützt den Prozess an mehreren Stellen @Lab Oktober 2004 „Durch den Einsatz von Simulationswerkzeugen lassen sich die Kosten in der Pharmaforschung deutlich reduzieren“ 33