316 KAPITEL 12. FUNKTIONENTHEORIE Eine komplexe Zahl z = x + iy 6= 0 kann wie ein Punkt (x, y) ∈ R2 durch Polarkoordinaten beschrieben werden. Ist r := |z| und ϕ ∈ (−π, π] der Winkel zwischen dem Strahl [0, z] und der positiven reellen Achse, so gilt z = r(cos ϕ + i sin ϕ) = reiϕ . Diese Darstellung nennt man Polardarstellung von z. Sie gilt dann auch für alle Winkel der Form ϕk := ϕ + 2kπ mit k ∈ Z. Jedes solche ϕk heißt ein Argument von z. Die Menge aller Argumente von z bezeichnen wir mit arg z := { ϕ0 + 2kπ : k ∈ Z } . Es ist also arg z eine Äquivalenzklasse reeller Zahlen unter der Äquivalenzrelation ϕ1 ∼ ϕ2 , falls ϕ1 − ϕ2 ∈ 2πZ. Anstatt ϕ ∈ arg z schreiben wir aber in der Regel ϕ = arg z. Mit Arg z bezeichnen wir den Hauptwert des Arguments von z, d.h. dasjenige Argument im Intervall (−π, π]. Aus dem Additionstheorem für die Exponentialfunktion erhalten wir für z = reiϕ und w = seiψ ∈ C zw = rsei(ϕ+ψ) . Dieses Ergebnis liefert uns für die Multiplikation komplexer Zahlen ebenfalls eine geometrische Interpretation: Die Beträge werden multipliziert und die Argumente (Winkel) addiert. Insbesondere liefert die Multiplikation mit eiϕ eine Drehung der Ebene um den Winkel ϕ. Hieraus folgt weiter 1 1 = e−iϕ . z r Für n ∈ N erhält man mit vollständiger Induktion z n = rn einϕ und speziell (cos ϕ + i sin ϕ)n = cos nϕ + i sin nϕ . Diese Formel heißt Formel von de Moivre. Historie: Abraham de Moivre, französischer Mathematiker, 1667 – 1754) 12.1. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 317 Wir wollen nun zu gegebenem w ∈ C und n ∈ N alle komplexen Lösungen z der Gleichung zn = w finden. Für w = 0 ist offenbar z = 0 die einzige Lösung. Es sei daher w 6= 0 und w = seiψ . Wir machen für z den Ansatz z = reiϕ . Dann folgt rn einϕ = seiψ . Durch Vergleich der Beträge und Argumente folgt hieraus r = √ n s und nϕ = ψ + 2kπ mit k ∈ Z. Aufgrund der Periodizität von exp erhält man, dass die unendlich vielen Zahlen ϕk := ψ+2kπ n nur n voneinander verschiedene Werte für eiϕk liefern. Man kann also k = 0, 1, . . . , n − 1 wählen. Für w = seiψ ∈ C \ {0} besitzt die Gleichung z n = w genau n verschiedene Lösungen z0 , z1 , . . . , zn−1 . Diese sind gegeben durch zk = √ n seiϕk mit ϕk = ψ + 2kπ , n k = 0, 1, . . . , n . Wichtige Beispiele sind die so genannten n-ten Einheitswurzeln, d.h. die Lösungen der Gleichung z n = 1. Mit s = 1 und ψ = 0 folgt für die Lösungen zk = exp 2kπi , n k = 0, 1, . . . , n − 1 . Die n-ten Einheitswurzeln liegen auf dem Einheitskreis und bilden die Ecken eines regelmäßigen n-Ecks. In der Abbildung ist dies für n = 8 veranschaulicht. 6 r .............................. ........ ...... ...... ...... ..... .. ... ..... ... . ......... ..... .. . . . . ... .... ... . . . .... . ... ... .... . . ... . . ... ..... π/4 ... .... ... .. ... .. ... .. . . ... ... .... .... ..... ...... ..... ......... ...... ........................... r r r r r r r - 318 KAPITEL 12. FUNKTIONENTHEORIE Während die reelle Exponentialfunktion eine Umkehrfunktion besitzt ist dies wegen der 2πi-Periodizität für die komplexe Exponentialfunktion nicht der Fall. Aber der Parallelstreifen S := { z ∈ C : | Im z| < π } wird bijektiv auf C− := C \ (−∞, 0] abgebildet. Daher besitzt exp eine in C− definierte Umkehrfunktion Log : C− → S. Diese heißt der Hauptzweig des Logarithmus. Es gilt Log z = log |z| + i Arg z . Aus der auch im Komplexen gültigen Formel für die Ableitung der Umkehrfunktion folgt Log0 z = 1 , z z ∈ C− . Für n ∈ N sei fn : C → C definiert durch fn (z) := z n . Weiter betrachten wir den Winkelraum Wn := reiϕ ∈ C : r > 0 , |ϕ| < π n . Dann ist fn holomorph in C und bildet Wn bijektiv auf C− := C \ (−∞, 0] ab. Daher existiert eine Umkehrfunktion gn : C− → Wn und wir schreiben gn (z) = w1/n . gn heißt Hauptzweig der n-ten Wurzel. Es ist gn holomorph in C− und für die Ableitung gilt gn0 (z) = 1 n z 1/n−1 . Allgemeiner definiert man noch für α ∈ R z α := eα Log z , z ∈ C− .