Knochen- und Gelenkschmerzen im Kindesalter

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© Schattauer 2009
Schmerz
Knochen- und Gelenkschmerzen
im Kindesalter
F. Weller
Prof. Hess-Kinderklinik, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin am Klinikum Bremen-Mitte
Schlüsselwörter
Keywords
Gelenkschmerz, Knochenschmerz, Differenzialdiagnostik
Joint pain, bone pain, differential diagnosis
Zusammenfassung
Summary
Schmerzen am Bewegungsapparat sind im
Kindes- und Jugendalter ein häufiger Grund
zur Vorstellung beim Arzt. Die Unterscheidung
zwischen akuten und chronischen Schmerzzuständen macht differenzialdiagnostisch
Sinn. Die sogenannten Wachstumsschmerzen
sind zwar sehr häufig, dennoch ist diese Diagnose nur per Ausschluss anderer bedrohlicher
Erkrankungen zu stellen. Dringend ist vor allem der Nachweis bzw. das Ausschließen einer
septischen Arthritis, Osteomyelitis oder eines
Malignoms. Dabei ist die Kenntnis klinischer
und laborchemischer Alarmzeichen hilfreich.
Bei rechtzeitiger Diagnose kann dauerhafter
Schaden vom Patienten abgewandt werden.
In children musculoskeletal pain is a common
cause for a doctors consultation. For the differential diagnosis it is important to differentiate between acute and chronic pain. In
early childhood benign nocturnal limb pains
(formerly known as „growing pains“) are
common, but it is mandatory to remember
that to make this diagnosis, more serious reasons for musculoskeletal pain such as septic
arthritis or a malignancy must be excluded. To
do so specific clinical and blood-chemical
signs and symptoms can be helpful. Often
early diagnosis can prevent longterm sequelae.
Korrespondenzadresse:
Frank Weller
Prof. Hess Kinderklinik
Klinikum Bremen-Mitte
28177 Bremen
Tel.: 04 21/4 97–54 10, Fax: 04 21/4 97–33 11
[email protected]
Musculoskeletal pain in children
Kinder- und Jugendmedizin 2009; 9: 254–260
Eingereicht am: 23. Januar 2009;
angenommen am: 11. Februar 2009
Schmerzen am Bewegungsapparat sind im
Kindes- und Jugendalter ein häufiger Grund
zur Vorstellung beim Arzt. Nach Fieber und
Beschwerden an den Atemwegen sind sie der
dritthäufigste, nicht geplante Anlass. Wesentlich ist beim Erstkontakt das Erkennen dringlich zu behandelnder Erkrankungen, wie z. B.
septische Arthritis und Leukämie. Bei vielen
anderen Diagnosen ist weniger Eile, dennoch
aber große Sorgfalt bei der Differenzialdiagnostik geboten. Hilfreich ist die Differenzierung zwischen akutem und chronischem Geschehen sowie entzündlichem vs. nicht entzündlichem Schmerz. Auch der Ort der
Schmerzen spielt eine Rolle, vor allem, ob er
gelenknah oder gelenkfern am stärksten ist.
Nicht zuletzt haben die Erkrankungen typische Altersdispositionen, deren Kenntnis
ebenfalls nützlich ist (씰Abb. 1).
Akuter Schmerz
Septische Arthritis
Häufigste Ursache des akuten Schmerzes sind
Traumata, bei Säuglingen und jungen Kleinkindern sollte auch an nicht akzidentelle Ursachen gedacht werden.
Vom akuten Schmerz spricht man bei allen muskuloskelettalen Schmerzzuständen
unter sechs Wochen Dauer. Hier ist die septi-
sche Arthritis die wesentliche Differenzialdiagnose, die nicht übersehen werden darf.
Besonders das Hüftgelenk ist aufgrund seiner
engen Kapsel bei wenig Erguss mit hohem
Druck gefährdet und dies wiederum insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern.
Wichtige differenzialdiagnostische Kriterien
sind in 씰Tabelle 1 zusammengefasst (7, 9).
Wird eine septische Arthritis nicht innerhalb
von Stunden diagnostiziert, droht ein unwiderruflicher Schaden am Gelenk. Differenzialdiagnostisch ist die häufigere und vollkommen harmlose Coxitis fugax am Hüftgelenk
abzugrenzen. Sie ist die häufigste Arthritis im
Kindesalter mit einer Inzidenz von 1 : 1000
(10). Prädilektionsalter ist das Vorschul- und
Schulalter (3–8 Jahre). Außerhalb dieses Prädilektionsalters sollten Hüft- und Beinschmerzen, Bewegungsverweigerung der Beine und akute Laufverweigerung besondere
Beachtung finden. Insbesondere beim Säugling kann die septische Arthritis auch ohne
Fieber einhergehen, typisch ist die sogenannte Pseudoparalyse, also die komplette Schonhaltung einer Extremität. Zur Diagnosesicherung sollten neben Blutkulturen auch Abstriche von Gelenkpunktionen erfolgen. Die Behandlung der septischen Arthritis besteht in
einer mindestens zweiwöchigen intravenösen
Antibiotikagabe, am Hüftgelenk sollte immer
eine Arthrotomie erfolgen (씰Tab. 2).
Osteomyelitis
Die klassischen Zeichen einer akuten Osteomyelitis sind Fieber, Knochenschmerzen und
lokalisierter Druckschmerz über der betroffenen Region (2). Gerade bei Kindern können
sie fehlen oder nur gering ausgeprägt sein;
insgesamt wirkt das Kind meist deutlich
krank. Lokalisierte, schmerzhafte Schwellungen oder Rötungen am Bewegungsapparat
oder Bewegungseinschränkungen, die von
Fieber begleitet sind, müssen bis zum Beweis
des Gegenteils als hoch verdächtig für eine
Osteomyelitis gelten. Es sollte größtmögliche
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F. Weller: Knochen- und Gelenkschmerzen
Abb. 1
Altersdisposition
verschiedener
Erkrankungen
mit Schmerzen am
Bewegungsapparat;
dunkelrot: häufig,
hellrot: weniger
häufig
Sorgfalt angewandt werden, um den Erreger
zu isolieren. Dazu sind Blutkulturen sowie lokal Probematerial zu entnehmen und zu kultivieren. Eine Sonografie des betroffenen Areals kann hilfreich sein, um gegebenenfalls einen punktionswürdigen, subperiostalen Abszess zu lokalisieren. Nach Diagnosestellung
folgt wie bei der septischen Arthritis eine kalkulierte intravenöse Antibiose (z. B. Cefotaxim und Flucloxacillin), die bis zur Normalisierung der Entzündungsparameter und klinischen Ausheilung fortgesetzt werden sollte.
Hierzu sind in der Regel Therapiezeiträume
von drei bis vier Wochen notwendig.
tik erfolgt durch Nachweis der deutlich erhöhten Borrelien-IgG-Antikörper im ELISA, die
im Western-blot bestätigt werden. Die Therapie besteht in einer 14-tägigen intravenösen
Tab. 1 Differenzierung zwischen septischer Arthritis und Coxitis fugax
Studie
Prädiktor
Kocher MS et al. (9)
●
●
●
●
Jung ST et al. (7)
●
●
Episodischer Schmerz
●
Lyme-Arthritis
●
●
Borreliose ist die häufigste durch Zecken
übertragene Erkrankung in Deutschland. Die
Inzidenz liegt bei ca. 110 auf 100 000 Kinder
pro Jahr. In 80 % manifestiert sich die Erkankung in der Frühform als Erythema migrans,
in 10 % als Neuroborreliose und in weiteren
10 % in der Spätform Monate bis Jahre später
als Lyme-Arthritis. Diese macht ca. 5 % der
Arthritiden im Kindesalter aus und verläuft
in über der Hälfte der Fälle episodisch (4).
Das Kniegelenk ist eindeutiger Prädilektionsort der Erkrankung (씰Abb. 2). Die Diagnos-
Gabe von Ceftriaxon 50 mg/kg/d in einer Dosis täglich (max. 2 g). Gegebenenfalls muss ein
zweiter antibiotischer Therapiezyklus über
vier Wochen mit Cotrimoxazol 6 mg/kg in
Tab. 2
Steckbrief septische
Coxitis
Sensitivität (%)
Fieber in der Anamnese
Stehverweigerung
Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG)
> 40 mm/h
Leukozytose > 12 G/l
4 positive Prädiktoren
3 positive Prädiktoren
2 positive Prädiktoren
1 positiver Prädiktor
kein positiver Prädiktor
99,6
93,1–95,2
33,8–62,2
2,1–5,3
0,1
Temperatur > 37 °C
BSG > 20 mm/h
C-reaktives Protein (CRP)
> 10 mg/l
Leukozytose > 11 G/l
Hüftspalt > 2 mm
5 positive Prädiktoren
4 positive Prädiktoren
3 positive Prädiktoren
2 positive Prädiktoren
1 positiver Prädiktor
kein positiver Prädiktor
99,1
84,8–97,3
24,3–77,2
4,3–22,7
0,3–9,9
0,1
Altersgruppe
Säuglinge prädisponiert
Symptome
deutliche Beeinträchtigung, nicht immer Fieber
Klinik
„Pseudoparalyse“; starker Schmerz bei passiver Bewegung
Diagnostik
Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG), Blutbild
inklusive Differenzierung, Sonografie, Gelenkpunktion
Therapie
intravenöse Antibiose, Arthrotomie
Prognose
kritisch abhängig vom Zeitpunkt des Therapiebeginns
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F. Weller: Knochen- und Gelenkschmerzen
Chronischer Schmerz
Juvenile idiopathische Arthritis
Abb. 2 Prozentuale Verteilung der Gelenkbeteiligung bei Lyme-Arthritis
Tab. 3 ILAR-Klassifikation der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA)
●
●
●
●
●
●
●
systemische Verlaufsform (M. Still)
oligoartikulär – persistierend oder extended
polyartikulär – seronegativ
polyartikulär – seropositiv
Psoriasis-Arthritis
Enthesitis-assoziierte Arthritis
andere Arthritiden
zwei Dosen und Roxithromycin 10 mg/kg/d
in zwei Dosen angeschlossen werden – bei
Kindern über zehn Jahren kann alternativ
Doxycyclin 200 mg/d über vier Wochen angewandt werden (5).
Die wesentliche Differenzialdiagnose der chronischen Schmerzen am Bewegungsapparat ist
die juvenile idiopathische Arthritis mit einer
Inzidenz von über 10 auf 100 000 Kinder unter
16 Jahren und einer Prävalenz von ca. 50 pro
100 000 Kindern in der Bundesrepublik (8).
Sie wird anhand der klinischen Präsentation in drei Gruppen eingeteilt, die oligoartikuläre (< 5 Gelenke), die polyartikuläre
(> 4 Gelenke) und die systemische Verlaufsform (M. Still), die von Frederick Still Ende
des 19. Jahrhunderts erstmalig beschrieben
worden ist. Letztere geht mit systemischem
Krankheitsbild, hohem Fieber, Exanthem,
Hepatosplenomegalie und deutlichem
Krankheitsgefühl einher. Initial kann die Arthritis fehlen, was die Diagnose erschwert.
Gemäß der ILAR-Klassifikation (International League of Associations for Rheumatology) werden insgesamt sieben Subtypen unterschieden (씰Tab. 3) (13). Eine Enthesitis ist
definiert als entzündliche Veränderung an
Sehnen-, Band- oder Kapselansätzen am
Knochen.
Charakteristisch für den Schmerz einer
chronischen Gelenkentzündung ist der
schleichende Beginn, die Verschlechterung
nach Ruhe, die Morgensteifigkeit und Besserung bzw. Linderung durch Aktivität. Die
Beteiligung mehrerer Gelenke lenkt den Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung. Es
ist wichtig, selbst bei Beschwerden an nur ei-
IBD
juvenile
ankylosierende
Spondylitis
Reiterreaktive
SynArthritis
drom
undifferenzierte
Spondylarthropathie
PsoriasisArthritis
chronische
nicht-bakterielle
Osteomyelitis
Abb. 3
Verwandte Erkrankungen der juvenilen
undifferenzierten
Spondylarthropathie
nem Gelenk, sämtliche Gelenke zu untersuchen. Die zu bedenkende Diagnosenvielfalt
verkleinert sich, wenn sich noch in weiteren
Gelenken Arthritis findet. Die Definition der
Arthritis ist gegeben durch Schwellung, Ergussnachweis oder schmerzhafte Bewegungseinschränkung. Ein schmerzhaftes Gelenk an
sich ist noch kein hinreichendes Zeichen für
die Diagnose Arthritis.
Ein wichtiger Subtyp der juvenilen idiopathischen Arthritis ist die Enthesitis-assoziierte Arthritis oder auch juvenile Spondylarthropathie genannt (1). Hier kommt es neben
Gelenksbefall, insbesondere der unteren Extremität, zu Schmerzen und Schwellungen im
Bereich der Sehnenansätze. Häufig sind
Achillessehne und Plantaraponeurose betroffen und das HLA-B27 ist positiv. Allerdings
erkranken umgekehrt nur 10 bis 20 % der
HLA-B27-positiven Individuen an einer
Spondylarthropathie. Nur bei dieser Erkrankungsgruppe überwiegen die Knaben im Vergleich zu den Mädchen mit einem Verhältnis
von 2–3 : 1. Es besteht eine enge Verwandtschaft zur Arthritis bei Morbus Crohn, zur
Psoriasisarthritis, zum Reitersyndrom und
der chronisch nicht bakteriellen Osteomyelitis (씰Abb. 3).
Wesentlich im Rahmen der diagnostischen Abklärung ist das Faktum, dass eine Arthritis selbst in mehreren Gelenken ohne Entzündungszeichen im Blut einhergehen kann.
Die medikamentöse Therapie zusammen
mit (Eltern-)Aufklärung und Physiotherapie
bilden die Trias der Behandlung des kindlichen Rheumas. Die medikamentöse Behandlung der JIA richtet sich gegen die Gelenkentzündung. Hier stehen neben den nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Naproxen, Ibuprofen und Meloxicam, die nur in
30 % zur Suppression der Entzündung ausreichen, und Steroiden zahlreiche potente
Medikamente zur Verfügung (씰Tab. 4). In
den letzten Jahren wurden diese durch die
sehr wirksamen Biologika ergänzt. Persistiert
die Arthritis nach sechs- bis achtwöchiger
Gabe eines NSAR, sollte ein Kinderrheumatologe hinzugezogen werden.
Der Morbus Still mit Fieber und Exanthem
wird primär mit systemischen Steroiden, z. B.
Steroidpulstherapie plus orale Steroide im
Intervall, behandelt. Bei dieser oft schwierig
zu behandelnden Erkrankung stehen mit
Anakinra (IL-1-Rezeptorantagonist) und
Tocilizumab (IL-6-Rezeptorantagonist) zwei
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F. Weller: Knochen- und Gelenkschmerzen
neuere hoch potente Biologika zur Verfügung
(15).
Nicht entzündliche
Gelenkschmerzen
In diese Gruppe fallen die aseptischen Knochennekrosen, die an fast jedem Knochen des
Körpers auftreten können und ein Eldorado
der Eponyme darstellen.
Am häufigsten ist die aseptische Knochennekrose des Hüftkopfes, der Morbus Perthes.
Hier kommt es unter einem milden Krankheitsbild mit schleichendem Verlauf zu zunehmendem Humpeln und Schmerzangaben
im Bereich der Hüfte oder auch des Knies. Die
Beschwerden verschlimmern sich oft unter
Belastung im Lauf des Tages. Die Kernspintomografie ist die sensitivste Methode, um im
Frühstadium einen Morbus Perthes zu diagnostizieren. Für den Verlauf sind Röntgenbilder unerlässlich. Oft wird die Erkrankung
von einem milden, sonografisch fassbaren
Begleiterguss im Hüftgelenk begleitet. Es
existieren mehrere Klassifikationen der Röntgenbilder, die nur bedingt Aussagekraft hinsichtlich der Prognose haben (nach Catterall,
nach Salter und Thompson und nach Herring). Therapieversuche mit Entlastung und
Schienen ändern den Verlauf nicht, können
aber sekundäre Schäden hervorrufen. Gesichert ist die Notwendigkeit der Umstellungsosteotomie, wenn es zur Dezentrierung des
Hüftkopfes kommt.
Aseptische Knochennekrosen an z. B.
Fußknochen können zu erheblichen Beschwerden führen, z. B. der Morbus Köhler,
sodass bei differenzialdiagnostischer Abklärung von Gelenkschmerzen auch immer ein
Röntgenbild angefertigt werden sollte. Ein typisches Beispiel zeigt 씰Abbildung 4.
Deutlich schwieriger zu diagnostizieren
und zu behandeln sind chronische, nicht organische Schmerzzustände, wie sie vor allem
bei weiblichen Jugendlichen gefunden werden. Hier kann trotz intensiver Diagnostik
mit wiederholter klinischer Untersuchung,
Labor, Bildgebung (Sonografie, Röntgen,
Kernspintomografie) kein organischer Befund erhoben werden; trotzdem kommt es zu
erheblichen, teilweise das Alltagsleben einschränkenden Schmerzen. Diese Patienten
machen bis zu ein Drittel der Patienten einer
großen Rheumaambulanz aus. Da der
Tab. 4 Medikamente zur Therapie der juvenilen
idiopathischen Arthritis (JIA)
nicht steroidale Antirheumatika (NSAR)
●
●
●
●
Steroide
●
●
●
●
Basistherapeutika
●
●
●
●
●
TNF-alpha-Blocker
●
●
●
weitere Biologika
●
●
●
●
Naproxen
Ibuprofen
Meloxicam
Diclofenac
intraartikulär
Steroidpulstherapie
low-dose Steroide
Augentropfen
Methotrexat
Sulfasalazin
Hydroxychloroquin
Cyclosporin A
Leflunomid
Etanercept
Infliximab
Adalimumab
Anakinra
Atlizumab
Abatacept
Tocilizumab
Schmerz verschiedene Ursachen hat, bzw.
durch mehrere Faktoren verstärkt werden
kann, ist das therapeutische Vorgehen multimodal und umfasst medikamentöse, physiotherapeutische, psychologische und ergotherapeutische Strategien (14). Es gilt, den Teu-
Abb. 4
a)
Aseptische Knochennekrose (Os naviculare), Morbus Köhler.
Man sieht die Verkleinerung und Kondensation des mineralisierten Knochens
a) seitlich, b) a. p.
soziale
Isolation
Verstimmung
Inaktivität
Ermüdung
Schmerz
Stress
geringes
Selbstbild
Schlafstörung
Angst
b)
Abb. 5 Der Schmerz-Teufelskreis
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F. Weller: Knochen- und Gelenkschmerzen
Tab. 5 Diffenzialdiagnostik
schmerzen (unvollständig)
der
Knochen-
sehr häufige Ursachen
●
●
●
●
sogenannte Wachstumsschmerzen
Osteomyelitis, septische Arthritis
Myositis
Trauma
häufige Ursachen
●
●
●
●
●
●
●
juvenile idiopathische Arthritis
chronische, nicht bakterielle Osteomyelitis
Purpura Schönlein-Henoch
dissoziative Störung
Leukämie
Hypermobilität
aseptische Knochennekrose
Die Lokalisation ist meist im Bereich der
Kniekehlen, Unterschenkel und Oberschenkel, oftmals einseitig, aber die Seite wechselnd
in anderen Nächten. Eine Zusammenfassung
der wesentlichen Kriterien gibt 씰Tabelle 6
(12). Oft ist die Familie erheblich durch diese
Schmerzzustände belastet. Es empfiehlt sich
nach klinischem Ausschluss einer Arthritis
und Röntgenbildgebung das Führen eines
Beschwerdeprotokolls, in dem die klassischen
Kriterien des sogenannten Wachstumsschmerzes erfüllt sein sollten. Die Diagnose
von Wachstumsschmerzen ist eine Ausschlussdiagnose. Die Prognose ist ausgezeichnet, eine Einschränkung des körperlichen
Wachstums ist nicht zu befürchten.
seltene Ursachen
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Neuroblastom
M. Fabry, M. Gaucher, M. Scheie
Sichelzellanämie
Osteosarkom, Ewing-Sarkom
Histiozytose, Osteoblastom, Osteidosteom
Osteopoikilose
Rachitis, Hypophosphatasie, Hyperparathyreoidismus
Guillain-Barré-Syndrom
komplex-regionales Schmerzsyndrom
felskreis des Schmerzes (씰Abb. 5) zu unterbrechen. Oft ist die Behandlung langwierig
und erfordert viel Geduld von Arzt und Patienten. Zentral ist die Bedeutung der Wiederherstellung der Funktion, auch bei Persistenz der Schmerzen.
Knochenschmerzen
Leukämie
Knochenschmerzen, insbesondere auch der
unteren Extremität, sind ein häufiges Symptom einer beginnenden Leukämie. Bei über
50 % der leukämischen Kinder können radiologische Veränderungen nachgewiesen werden (z. B. metaphysäre Bänder, Periostreaktionen, Osteolysen). Umgekehrt fanden
sich bei Patienten, die zur Abklärung in einer
rheumatologischen Ambulanz vorgestellt
wurden, in einem Zeitraum von 15 Jahren 29
Patienten mit Malignom, davon in knapp
50 % eine Leukämie. Typische klinische
„Alarmzeichen“
waren
gelenkferner
Schmerz, Rückenschmerzen als Hauptvorstellungsgrund sowie druckschmerzhafte
Knochen (3). Daneben fanden sich insbeson-
dere in der Labordiagnostik Hinweise auf ein
malignes Geschehen. Dabei ist eine normale
Leukozytenzahl kein Hinweis gegen eine Leukämie, sehr wohl aber eine normale Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG).
Solide Tumore
Unter den soliden Tumoren sind vor allem
das Neuroblastom als häufigster solider Tumor im Kleinkindesalter und das EwingSarkom sowie das Osteosarkom beim Schulkind wichtige Differenzialdiagnosen.
Das Neuroblastom ist ein embryonaler
Tumor des peripheren sympathischen Nervensystems. Es ist die dritthäufigste Krebserkrankung im Kindesalter, in 90 % manifestiert sich die Erkrankung vor dem 6. Lebensjahr. Das klinische Bild kann stark variieren,
je nach Lokalisation und Ausbreitung bzw.
Metastasierung des Primärtumors. Fieber,
Knochenschmerzen, Durchfälle, ungewöhnliches Schwitzen und Gewichtsverlust müssen differenzialdiagnostisch auch an ein Neuroblastom denken lassen. Die Therapie richtet sich nach Alter und Tumorstadium. Das
Stadium 4 mit disseminierter Metastasierung
ist immer noch mit einer schlechten Prognose behaftet.
Das Osteosarkom ist der häufigste maligne Knochentumor des Kindesalters. In etwa
zwei Dritteln der Fälle liegt der Tumor kniegelenksnah. Die initiale Symptomatik ist oft
wenig eindrucksvoll. Radiologisch stellt sich
der Tumor vor allem durch seine reaktiven
Tab. 6 Charakteristika der sogenannten Wachstumsschmerzen
Das Spektrum der Krankheiten mit Knochenschmerzen ist umfangreich (씰Tab. 5).
Exemplarisch erfolgt die Darstellung der klinisch wichtigsten Erkrankungen.
Sogenannte Wachstumsschmerzen
Häufigste Ursache von Knochenschmerzen
sind die sogenannten Wachstumsschmerzen
des Vorschul- und Schulalters, hier kommt es
besonders nachts zu erheblichen Schmerzzuständen, die teilweise auf Reiben gut ansprechen. Typischerweise sind die Kinder am
nächsten Morgen beschwerdefrei.
Einschlusskriterien
Ausschlusskriterien
Schmerzverlauf
intermittierend, einige
schmerzfreie Episoden
persistierend, steigende Intensität
Lateralität
bilateral
unilateral
Lokalisation
M. quadriceps-Region,
Unterschenkel, Kniekehle
Gelenkschmerz
Schmerzbeginn
spätnachmittags, abends, Persistenz bis in den Morgen
nachts
Klinik
unauffällig
Schwellung, Erythem, Druckschmerz, Bewegungseinschränkung, Humpeln
Labor
unauffällig
z. B. pathologische Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG), C-reaktives Protein (CRP),
Kreatinkinase (CK), alkalische Phosphatase (AP)
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F. Weller: Knochen- und Gelenkschmerzen
Tab. 7
Speichererkrankungen mit Manifestation am Bewegungsapparat
Morbus Gaucher
MPS I-Scheie
Morbus Fabry
1 : 50 000 bis 1 : 60 000
1 : 120 000
etwa 1 : 40 000 männliche
Neugeborene
Vererbungsmodus
autosomal-rezessiv
autosomal-rezessiv
X-chromosomal
muskuloskelettale Symptome
●
Häufigkeit
●
●
●
Osteonekrose
Knochenschmerzen
pathologische Fraktur
„Oligoarthritis“
●
●
●
●
●
●
●
Minderwuchs
Dysostosis multiplex
Hüftdysplasie
Gelenkkontrakturen
Sehnenverdickungen
Karpaltunnelsyndrom
schnellender Finger
●
●
●
Schmerzen und Parästhesien in Händen und Füßen
(„krisenhaft“)
Hitze-/Kälteempfindlichkeit
Hypohidrose
Manifestation
jedes Lebensalter, > 60 %
im Kindes- und Jugendalter
Kleinkind- bis Schulalter
(selten: Erwachsenenalter)
Schulalter
Enzymersatztherapie
Imiglucerase
Laronidase
Agalsidase
Veränderungen dar (Periostabhebung, Zwiebelschalen, Spiculae).
Die Prädilektionsorte des Ewing-Sarkoms
sind Femur, Tibia, Humerus und das Becken.
Bevorzugt erkranken Kinder in der 2. Lebensdekade.
Nicht bakterielle Osteomyelitis
Daneben kommt es aber auch durch chronisch entzündliche Vorgänge am Knochen zu
gelenkfernen Schmerzen, hier konnte in letzter Zeit über die sogenannte chronische nicht
bakterielle Osteomyelitis viel Erkenntnis gewonnen werden (6). Aufgrund von chronisch-entzündlichen Vorgängen kommt es zu
Osteolysen und Hyperostosen und erheblichen Schmerzen, teilweise treten diese symmetrisch auf und nicht immer multifokal.
Auch eine Synovialitis ist möglich. Mittleres
Erkrankungsalter sind zehn Jahre, es liegt
wiederum eine leichte Bevorzugung des
weiblichen Geschlechtes vor. Die Behandlung
erfolgt mit nicht steroidalen Antirheumatika,
z. B. Naproxen in hoher Dosis (15 mg/kg/
Tag). Sollte diese Behandlung nicht zum Erfolg führen, sind kurzfristige Steroidgaben erforderlich. Führen auch diese nicht zur Remission der Erkrankung, erfolgen Heilversuche mit TNF-Alphablockern und Bisphosphonaten. Hier existieren in der Literatur
Einzelfallberichte über günstiges Ansprechen. Sensitivste Methode für die Diagnostik
ist wiederum die Kernspintomografie, die
Krankheitsaktivität lässt sich am genauesten
an der Klinik sowie der BSG ablesen.
Speichererkrankungen
Differenzialdiagnostisches
Vorgehen
Da mehrere Stoffwechselerkrankungen, die
mit Schmerzen einhergehen, in letzter Zeit
durch die Enzymersatztherapie behandelbar
wurden, sollten auch diese trotz ihrer Seltenheit in das differenzialdiagnostische Spektrum mit einbezogen werden. Hier sind vor
allem der Morbus Gaucher, der Morbus Fabry und die Mukopolysaccharidosen zu nennen (11). Beschwerden dieser Erkrankung am
Bewegungsapparat sind in 씰Tabelle 7 zusammengefasst.
Das Vorgehen ist im Flowchart dargestellt
(씰Abb. 6). Nach der sorgfältigen klinischen
Untersuchung, bei der sich bereits Hinweise
auf die Ursache der Gelenkschmerzen finden
können, z. B. Purpura Schönlein-Henoch,
Misshandlung, akzidentelles Trauma, psoriatrische Hautveränderungen, und einer sorgfältigen Anamnese sollte insbesondere die
Möglichkeit einer septischen Arthritis erwogen werden. Bei geringstem Verdacht muss
das Kind sofort in die Klinik eingewiesen wer-
Kind mit Knochenschmerzen
Anamnese plus prima vista
plus
klinische Untersuchung
unauffällig
Beschwerdeprotokoll
über 8 Wochen
erneute klinische Untersuchung
auffällig
auffällig
Trauma
Labor
unauffällig
auffällig
auffällig
(juvenile
idiopathische)
Arthritis
Borreliose
(juvenile idiopathische) Arthritis
Bildgebung
seltenere
Diagnosen
Tumoren
und
Malignome
Osteomyelitis
unauffällig
lokalisierte
Schmerzverstärkungssyndrome,
Fibromyalgie
Wachstumsschmerzen
Abb. 6 Flowchart zum diagnostischen Vorgehen bei Knochen- und Gelenkschmerzen
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F. Weller: Knochen- und Gelenkschmerzen
Alarmzeichen
Hinweise für
schlechter Allgemeinzustand
●
●
septische Arthritis
Osteomyelitis
Leukämie
hoch empfindliches Gelenk bzw.
konsequente Schonhaltung
●
septische Arthritis
gelenkferner Schmerz
●
Osteomyelitis
Knochentumor
●
●
Fieber plus Schwellung (und Rötung) am
Bewegungsapparat
●
druckdolenter Knochen
●
●
●
Stehverweigerung
●
●
●
Anämie, Thrombopenie
Osteomyelitis
Knochentumor
ausgeprägte Epiphyseolyse
septische Arthritis
Osteomyelitis
●
●
Knochentumor
●
nächtlicher, Paracetamol-resistenter
Schmerz
septische Arthritis
Osteomyelitis
Leukämie
maligner Tumor
M. Gaucher
●
Tab. 9
Untersuchungen bei kindlichen Knochen- und Gelenkschmerzen
Basis-Untersuchungsprogramm
●
●
●
Blutbild inklusive Differenzierung
Blutsenkung und C-reaktives Protein (CRP)
Sonografie der meist betroffenen Regionen
erweitertes Untersuchungsprogramm
●
●
●
●
●
●
●
●
Tab. 8
Klinische und
laborchemische
Alarmzeichen
bei Schmerzen am
Bewegungsapparat
Röntgen der meist betroffenen Region in
zwei Ebenen
Blutausstrich
antinukleäre Antikörper (ANA), Borrelienserologie, Kreatinkinase (CK), GlutamatOxalacetat-Transaminase (GOT), GlutamatPyruvat-Transaminase (GPT), Laktat-Dehydrogenase (LDH), Harnsäure, plasmatische
Gerinnung, IgG, IgA, IgM, C3, C4
Urinstatus
Gelenkpunktat (Zellen mit Differenzierung,
Eiweiß, Kultur und Gramfärbung)
Kernspintomografie, Knochenszintigrafie, CT
Knochenmarkspunktion
Tuberkulintest
den. Weitere Alarmzeichen finden sich in
씰Tabelle 8 zusammengefasst.
Besteht der klinische Verdacht auf sogenannte Wachstumsschmerzen, sollte in jedem
Fazit für die Praxis
Das Spektrum der Erkrankungen mit muskuloskelettalen Schmerzen im Kindes- und Jugendalter ist umfangreich. Wichtigste Aufgabe ist das schnelle Erkennen bedrohlicher
Zustände, sei es für das Gelenk (septische Arthritis), sei es für den Patienten an sich (Malignom). Die Kenntnis klinischer und laborchemischer Alarmzeichen ist dabei sehr hilfreich. Über Monate anhaltende chronische
Schmerzzustände stellen eine ganz andere
Herausforderung an den Arzt dar. Hier gilt es,
den „Teufelskreis des Schmerzes“ dauerhaft
zu unterbinden.
Fall eine zweite Untersuchung im Abstand
von ca. 8–10 Wochen erfolgen, um keine gravierende Erkrankung zu übersehen.
Der nächste diagnostische Schritt sind Laboruntersuchungen (씰Tab. 9). Hier sollten
insbesondere das Entzündungslabor bestimmt, der Knochenstoffwechsel überprüft
und eine Borrelien-Serologie durchgeführt
werden. Wichtig ist, dass auch fehlende Entzündungsparameter eine juvenile idiopathische Arthritis nicht ausschließen. Insbesonde-
re die oligoartikuläre Verlaufsform kann gänzlich ohne Entzündungszeichen im Blut einhergehen. Lässt sich durch diese drei Maßnahmen
keine eindeutige Diagnose stellen, sind weitere
bildgebende Verfahren wie z. B. Sonografie,
Röntgen und Kernspintomografie hinzuzufügen. In aller Regel fallen dann auch seltenere
Diagnosen für Knochen- und Gelenkschmerzen wie z. B. eine Osteopoikilose auf.
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Kinder- und Jugendmedizin 5/2009
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