Datenermittlung bei Expositionsberechnungen

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Expositionsermittlung
Datenermittlung bei Expositionsberechnungen
H. Kleine
Zusammenfassung Die Berechnung der Schadstoffkonzentrationen in Räumen hat normalerweise die Ermittlung der Gefahrstoffexposition des Menschen zum Ziel. Die Ermittlung der Exposition durch Berechnungsmethoden
setzt umfassende Informationen und Daten über das Arbeitsverfahren und
den Arbeitsplatz voraus. Deren Ermittlung ist jedoch häufig sehr schwierig und
schließt dann zuverlässige Berechnungen aus. Es werden bewährte Methoden
der Informations- und Datenermittlung für Berechnungen von Gefahrstoffkonzentrationen vorgestellt und der Bedarf an verbesserten Möglichkeiten zur
Informationsbeschaffung aufgezeigt.
Determining data when calculating exposure
Abstract Calculating harmful substance concentrations in indoor air generally
aims to determine the exposure of people to hazardous substances. Determining the exposure to hazardous substances by calculation methods requires
thorough information and data about the work process and the workplace.
However, the determination of these information and data is often very
VR
= Raumvolumen in m³
l
= Luftwechselzahl in h-1
t1 - t0 = Zeitraum der Berechnung
Der Informationsbedarf betrifft im Wesentlichen
● die Gefahrstoffquellen (Stoffqualität, Stoffquantität),
● den Raum (Abmessungen),
● die Lüftung (Luftströme, Luftführung),
● das Arbeitsverfahren (Tätigkeiten, Arbeitsorganisation).
Die Ermittlung dieser Informationen und Daten stellt den
Anwender häufig vor große, gelegentlich auch vor unüberwindbare Hindernisse, die dann zuverlässige Berechnungen
ausschließen. Im vorliegenden Beitrag werden bewährte
Methoden der Informations- und Datenermittlung für Berechnungen von Gefahrstoffkonzentrationen vorgestellt und
der Bedarf an verbesserten Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung aufgezeigt.
difficult and then excludes reliable calculations. Proven methods of evaluation
of the information and data for calculations of hazardous substances concen-
2 Emissionen
trations are presented and the need of improved possibilities for the provision
2.1 Emissionsquellen
of information is pointed out.
1 Einführung
Die Berechnung von Schadstoffkonzentrationen in der Luft
in Räumen hat im Bereich des Arbeitsschutzes üblicherweise die Ermittlung und die Beurteilung der Gefahrstoffexposition des Menschen zum Ziel. Berechnungen setzen umfassende Kenntnisse über das Arbeitsverfahren und die Arbeitsorganisation voraus, wie sie beispielsweise im Rahmen der
gesetzlich vom Arbeitgeber verlangten Gefährdungsbeurteilung zusammenzutragen sind.
In einen Arbeitsraum gelangende Gefahrstoffe verteilen sich
in der Raumluft aufgrund von Strömungs- und Diffusionsvorgängen, so dass Berechnungsmodelle der Gefahrstoffexposition grundsätzlich von einer entsprechenden Vermischung der Luft und der Gefahrstoffe ausgehen. Im Idealfall wird eine homogene Vermischung erreicht („idealer
Rührkessel“). Für Berechnungen werden deshalb in der Praxis Modelle bevorzugt, die auf der Basis des idealen Rührkessels abgeleitet wurden [1]. Bei der Anwendung dieser
Modelle und der entsprechenden Berechnungsgleichung (1)
werden einschlägige Daten zur Kennzeichnung der Tätigkeiten und der Umgebungsbedingungen benötigt.
C=
mit
C
ṁ
 1 − e− λ ⋅ ( t1 − t0 ) 
˙
m

⋅ 1 −
λ ⋅ ( t1 − t0 )
VR ⋅ λ 



(1)
= Gefahrstoffkonzentration
= Emissionsrate des Gefahrstoffs
Dr.-Ing. Horst Kleine,
Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz –
BGIA, Sankt Augustin.
Maßgebliche Kennzeichen einer Schadstoffquelle sind die
Angaben zum Ort sowie die qualitative und quantitative Beschreibung ihrer Emissionen. Als Emissionsquellen gelten
alle Orte oder Einrichtungen in einem Raum, von denen Gefahrstoffe in die Raumluft übertreten, wobei zunächst nach
der Geometrie unterschieden wird zwischen
● Punktquellen (z. B. eine offene Farbdose, Leck an einer
Narkosegasarmatur),
● Linienquellen (z. B. Fugen in Wänden oder Decken) und
● Flächenquellen (z. B. Bodenbelag, Wandflächen, Oberflächen des Mobiliars).
Die weitere Charakterisierung von Emissionsquellen erfolgt
über die Angaben
● zum Ort (Lage und Abmessungen der Quelle),
● zur Zeit (Zeitraum der Emission, Emissionsverlauf),
● zur Qualität (Art der freigesetzten Stoffe) und
● zur Quantität (Emissionsrate).
Von diesen Daten gehen nur die Angaben zur Emissionsrate
und zur Zeit unmittelbar in die Berechnung der Konzentration nach Gl. (1) ein. Die Emissionsrate fasst die wesentlichen Daten zur Kennzeichnung der Emission vereinfachend in einer einzigen Zahl zusammen. Da aber auch die
übrigen Daten die Emission bzw. die Gefahrstoffverteilung
im Raum beeinflussen, erlaubt ihre Kenntnis eine Einschätzung der Validität des gewählten Berechnungsansatzes und
ist bei der Bewertung von Berechnungsergebnissen zu berücksichtigen. So wird beispielsweise bei ausgedehnten Flächenquellen die homogene Verteilung der Gefahrstoffe im
Raum schneller erreicht als bei örtlich begrenzten Punktquellen. Die Unterschiede im zeitlichen Verlauf von Emissionen werden durch folgende Beispiele verdeutlicht:
● gleichförmiger Emissionsverlauf
Formaldehyd aus Furnierleim einer Schrankwand, Kohlenmonoxid von Benzinmotor im stationären Betriebszustand,
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Tabelle 1. Vergleich der Mess- und Berechnungsergebnisse in Offsetdruckereien.
Betrieb Nr.
1
2
3
4
5
6
Anzahl der
Messungen
4
7
10
12
10
5
Konzentration von 2-Propanol in mg/m3
Messung
Berechnung
30
(19 ... 43)
40
64
(37 ... 91)
63
202
(122 ... 382) 228
118
(90 ... 141) 104
143
(89 ... 247) 175
94
(53 ... 132) 135
abklingender Emissionsverlauf
Formaldehyd vom frisch gereinigten und desinfizierten Fußboden eines Krankenzimmers,
● wechselnder Emissionsverlauf
Kohlenmonoxid von Benzinmotor im instationären Betriebszustand unter wechselnden Lastzuständen.
Bei der Planung von Berechnungen sind diese Unterschiede
zu beachten; ggf. ist der zu beurteilende Zeitraum in Berechnungsabschnitte mit unterschiedlichen Emissionen aufzuteilen.
●
2.2 Ermittlungsmethoden für Emissionen
Die qualitative Ermittlung von Emissionen kann sehr anspruchsvoll sein, ist jedoch kein spezielles Problem der Berechnung von Gefahrstoffkonzentrationen. Im Rahmen dieses Beitrages wird deshalb nur der quantitative Aspekt der
Gefahrstoffemission betrachtet, die qualitative Ermittlung
bleibt ausgenommen.
Ermittlungsmethoden der Gefahrstoffemission sind sehr
vielfältig und der jeweiligen Fragestellung und den verfügbaren technischen Möglichkeiten des Anwenders anzupassen. Hier kann deshalb nur eine orientierende Übersicht gegeben werden.
2.2.1 Ermittlung von Emissionsraten aus Massenbilanzen
Häufig lassen sich Emissionsraten hinreichend genau empirisch über eine Massenbilanz ermitteln, etwa aus dem normalerweise leicht zugänglichen Verbrauch während der Arbeitszeit. Wird z. B. bei Klebearbeiten ein lösungsmittelhaltiger Kleber eingesetzt, erhält man die Emissionsrate für das
Lösungsmittel aus dem Klebstoffverbrauch und dem Lösungsmittelgehalt des Klebstoffs unter der Annahme, dass
das Lösungsmittel während des Betrachtungszeitraums
vollständig verdampft.
Ein in der betrieblichen Praxis bewährtes Beispiel für die Ermittlung der Emissionsrate aus einer Massenbilanz bezieht
sich auf Offsetdruckereien, in denen 2-Propanol als Befeuchterzusatz (2 bis 10 % 2-Propanol in Wasser, Luftgrenzwert: 500 mg/m3) sowie Kohlenwasserstoffe (Kohlenwasserstoffgemisch, Luftgrenzwert bis 2004: 1 000 mg/m3) als
Lösungsmittel verwendet werden. Die zuständige Berufsgenossenschaft Druck und Papierverarbeitung hat durch
Untersuchungen in zahlreichen Betrieben nachgewiesen,
dass sich die Exposition an den Arbeitsplätzen hinreichend
genau über den mittleren Verbrauch der Stoffe berechnen
lässt, und hat den Betrieben ein einfaches Berechnungsmodell empfohlen [2]. Es ist nach diesem Modell nicht erforderlich, jeweils den aktuellen Tagesverbrauch zu ermitteln; diese Vereinfachung ist möglich, weil die Produktionsbedingungen in Offsetdruckereien vergleichsweise konstant sind.
Der mittlere Verbrauch wird nach dem Modell erhalten aus
Differenz
in %
+33
-2
+13
-12
+22
+44
Konz =
dem Jahresverbrauch und der Zahl
der Arbeitsschichten pro Jahr. Das
Luftvolumen, auf das sich die Gefahrstoffe verteilen, wird abgeleitet aus
dem Raumvolumen VRaum , der Luftwechselzahl l und der Druckzeit. Die
Berechnung erfolgt nach Gl. (2).
M
Tagesverbrauch
=
Gesamtluftvolumen Vges
in
mg/d
m3/d
(2)
mit
M=
Jahresverbrauch
250 Tage
Vges = VRaum ⋅ Druckzeit ⋅ λ
Tabelle 1 zeigt eine Übersicht der für 2-Propanol erhaltenen
Berechnungsergebnisse im Vergleich zu den Ergebnissen
von Messungen. Man beobachtet im Rahmen der zu erwartenden Genauigkeit eine sehr gute Übereinstimmung zwischen den Messungen und der Berechnung, wobei die Berechnung eine leichte Tendenz zur Überschätzung und damit im Sinne des Arbeitsschutzes zur sicheren Seite zeigt.
2.2.2 Messung von Emissionsraten
Emissionsraten lassen sich in vielen Fällen messtechnisch
bestimmen.
● Gravimetrische Bestimmung der Verdampfungsrate
Häufig gelingt die messtechnische Bestimmung von Emissionsraten auch mit einfachen Methoden, etwa bei verdampfbaren Flüssigkeiten über die in einer bestimmten Zeit
verdampfte Flüssigkeitsmenge. So verdampfen beispielsweise aus einer Petrischale mit einer Oberfläche von 47 cm2
und bei einer Temperatur von ca. 27 °C innerhalb von 10 min
420 mg Tetrachlorethen. Die Gewichtsabnahme lässt sich
dabei auf einer Laborwaage direkt beobachten. Die flächenspezifische Emissionsrate beträgt unter diesen Bedingungen 536 g/h·m2. Auf diese Weise ermittelte Emissionsraten
lassen sich z. B. dazu benutzen, die Belastung eines Raumes
durch freie Flüssigkeitsoberflächen, wie offene Behälter
oder Pfützen am Boden, abzuschätzen.
● Emissionsprüfkammer-Untersuchungen
Zur Ermittlung der Emissionen aus Materialien oder von
Maschinen unter definierten Einsatzbedingungen haben
sich Prüfkammeruntersuchungen sehr bewährt. Das Prüfobjekt wird dabei in einer geeigneten Prüfkammer positioniert bzw. betrieben. Bild 1 zeigt schematisch eine Prüfkammer zur Bestimmung der Emissionen beim Einsatz von Arbeitsmitteln. Die von dem Arbeitsmittel ausgehende Belastung eines Raumes besteht aus zwei Einzelbeiträgen – zum
einen aus dem von einem Erfassungselement am Arbeitsmittel nicht erfassten Anteil sowie zum anderen aus dem
vom Abscheider nicht abgeschiedenen Anteil. Beide Anteile
werden in der Abluft der Prüfkammer summarisch erfasst
und entsprechen der gesamten Emissionsrate des Prüfobjektes unter den gewählten Prüfbedingungen.
Prinzipiell vergleichbar sind Prüfkammeruntersuchungen
zur Ermittlung der Ausgasungen aus Werkstoffen, Produk-
152
Gefahrstoffe - Reinhaltung der Luft
65 (2005) Nr. 4 - April
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ten oder auch aus Geräten. Die Prüfobjekte werden unter
vorgegebenen Bedingungen für Temperatur und Feuchte in
die Prüfkammer eingebracht und dort in der Regel über 28
Tage „beobachtet“. Während dieser Zeit werden jeweils zu
Beginn und am Ende Luftproben genommen. Die vergleichsweise lange Beobachtungsdauer berücksichtigt das
übliche Abklingverhalten der Emissionen aus Materialien.
Je nachdem, ob bei der Berechnung nach der höheren
Anfangsbelastung oder nach der sich später einstellenden
Normalbelastung gefragt ist, sind entweder die zu Beginn
der Prüfung oder die nach 28 Tagen erhaltenen Werte zu verwenden.
Für bereits verbaute Materialien oder auch größere Einheiten, die sich nicht in eine Prüfkammer einbringen lassen,
lassen sich flächenspezifische Emissionsraten auch mithilfe
mobiler Prüfeinrichtungen bestimmen [3]. Bild 2 zeigt
schematisch eine Prüfeinrichtung, bei der eine mit Frischluft beschickte und zur Probenahme abgesaugte Haube dicht
schließend auf die zu untersuchende Oberfläche gesetzt
wird. Derartige Prüfeinrichtungen sind kommerziell erhältlich.
Eigene Prüfkammeruntersuchungen sind dem Anwender
von Berechnungen normalerweise nicht möglich. Er ist deshalb auf entsprechende Untersuchungsergebnisse anderer
Stellen angewiesen. Emissionsraten werden jedoch selten
publiziert und auch nur im Ausnahmefall in Prüfzertifikaten
angegeben. Eine Möglichkeit besteht aber darin, im Sinne
einer Worst-case-Betrachtung mit den für Prüfungen und
die Ausstellung von Prüfzertifikaten festgesetzten Prüfgrenzwerten zu arbeiten. Solche Prüfgrenzwerte sind entweder Emissionsraten E oder häufiger so genannte Ausgleichskonzentrationen C. Beide Größen sind über den Volumenstrom V, mit dem die Prüfkammer durchströmt wird,
miteinander verknüpft:
E=C·V
Als ein Beispiel sei die Prüfung von Holzprodukten im Rahmen der Vergabe des Prüfzeichens „Blauer Engel“ vorgestellt [4]. Die Prüfobjekte werden unter festgelegten klimatischen und lüftungstechnischen Bedingungen in Prüfkammern eingesetzt, wobei die Gefahrstoffkonzentrationen
in der Abluft der Prüfkammer bestimmt werden. Die zugelassenen Ausgleichskonzentrationen für NiedrigemissionsHolzprodukte nach RAL UZ 38 zeigt Tabelle 2.
Als weiteres Beispiel können hier die nach dem AgBB-Bewertungsschema aufgestellten NIK-Werte genannt werden.
Der „Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten“ (AgBB) hat mit diesem Schema für derzeit 167
Stoffe die so genannten niedrigsten interessierenden Konzentrationen (NIK) abgeleitet, die bei der Prüfung von Baumaterialien zugrunde gelegt werden [5].
2.2.3 Emissionsraten aus physikalisch-chemischen Beziehungen
Der Stoffübergang flüssiger oder fester Stoffe in die Luft
wurde im Zusammenhang mit verfahrenstechnischen
Grundoperationen, etwa der Trennung von Stoffgemischen
durch Destillation und Rektifikation oder der Trocknung von
Produkten, theoretisch eingehend untersucht. Die hierzu
entwickelten Berechnungsmodelle lassen sich grundsätzlich auch zur Ermittlung von Quellstärken bei Gefahrstoffberechnungen einsetzen, jedoch ist ihre Anwendung sehr
anspruchsvoll. Daher besteht ein hoher Bedarf, die kom-
Bild 1. Prüfkammer zur Bestimmung von Gefahrstoffemissionen.
plexen Modelle auf einfache Gebrauchsgleichungen für den
Betriebspraktiker zu reduzieren.
Eine weitere Möglichkeit der Berechnung von Emissionsraten für verdampfende Flüssigkeiten besteht darin, die für
eine Reihe von Stoffen dokumentierten Verdunstungszahlen
einzusetzen. Dabei wird Diethylether als Referenzsubstanz
eine Verdunstungszahl von 1 zugewiesen.
3 Lüftung
3.1 Arten der Lüftung
Bei Berechnungen von Gefahrstoffkonzentrationen werden
neben der Kenntnis der Emission (Quelle) und der Arbeitsorganisation auch Informationen über die Lüftungsverhältnisse (Senke, ggf. Quelle) benötigt. Die Raumlüftung erfüllt
dabei nicht nur die Funktion, Gefahrstoffe aus dem Raum
abzutransportieren, sondern hat auch entscheidenden Einfluss auf die Ausbreitung und die Verteilung der Gefahrstoffe im Raum. In manchen Fällen erfolgt über die Lüftung
auch ein Eintrag von Gefahrstoffen, der dann bei der Berechnung ebenfalls zu berücksichtigen ist. Es werden zwei
Grundtypen der Raumlüftung unterschieden, die freie und
die technische Lüftung. Bei der freien Lüftung erfolgt der
Luftaustausch zwischen Innen- und Außenluft über Öffnungen in den Außenwänden oder dem Dach wie z. B. Fenster,
Türen oder Dachreiter. Maßgebend für den Luftaustausch
sind thermisch bedingte Dichteunterschiede zwischen der
Innen- und der Außenluft und Druckdifferenzen am Gebäude durch Windlast.
Bei der technischen Lüftung werden die Luftzufuhr und -abfuhr mit raumlufttechnischen Anlagen bewirkt, die von
den Witterungsbedingungen unabhängige Lüftungsbedin-
Bild 2. Prüfeinrichtung zur Ermittlung der Emissionen aus Oberflächen (schematisch).
153
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gungen gewährleisten. Neben der Tabelle 2. Anforderungen für Niedrigemissions-Holzprodukte (RAL UZ 38).
Raumlüftung ist ggf. auch der zusätzZweidimensionale Produkte Dreidimensionale Produkte
liche Beitrag des Luftaustauschs Substanz
(Platten, Türen ...)
(Möbel ...)
durch vorhandene Erfassungsein0,05 ppm
0,05 ppm
richtungen zu berücksichtigen, mit HCHO
denen Emissionen an der Entste- VOC
300 µg/m3
600 µg/m3
hungs- oder Austrittsstelle abgesaugt Siedepunkt 50 bis 250 °C
werden.
SVOC
100 µg/m3
100 µg/m3
Siedepunkt > 250 °C
3.2 Kennzeichnung der Lüftung
CMT
< 1 µg/m3
< 1 µg/m3
Zur quantitativen Kennzeichnung der
Lüftung gehören insbesondere die
Angaben über die Volumenströme der zu- bzw. der abgeübertragbar. Eine systematische Sammlung von Daten für
führten Luft. In die Standard-Berechnungsgleichung (1) für
Lüftungssituationen, die zur Verwendung bei GefahrstoffGefahrstoffkonzentrationen gehen die Lüftungsverhältnisse
berechnungen verwendet werden können, fehlt bis heute.
mit einem einfachen Zahlenwert ein, der Luftwechselzahl l.
Sie ist definiert als Quotient aus dem zugeführten Frischluft3.3 Ermittlung lüftungstechnischer Kennzahlen
strom und der Raumgröße und beschreibt somit den auf die
Werte der Luftwechselzahl lassen sich sowohl messtechZeit bezogenen Austausch der Raumluft durch Frischluft.
nisch ermitteln als auch durch rechnerische Methoden abBei Anwendung der Luftwechselzahl in der Berechnungsschätzen. Geeignete Berechnungsansätze kommen aus dem
gleichung geht man von der Annahme aus, dass sich die ZuBereich der Auslegung raumlufttechnischer Anlagen. Da der
luft ideal mit der Raumluft durchmischt („Rührkesselmomesstechnische Aufwand bei der Bestimmung von Luftdell“), wodurch sich gleichzeitig die emittierten Stoffe im
wechselzahlen sehr groß werden kann, wird man häufig
Raum gleichmäßig verteilen. Im Rahmen der für Gefahrrechnerische Abschätzungen vorziehen oder wo immer
stoffberechnungen erforderlichen Genauigkeit kann diese
möglich auf dokumentierte Daten zurückzugreifen.
Annahme für kleine Räume, wie Büros oder Krankenzimmer, in erster Näherung als zutreffend gelten.
3.3.1 Messung des Frischluftvolumenstroms
In der Realität weicht jedoch insbesondere bei größeren
Die in einen Raum gelangende Frischluftmenge lässt sich
Räumen der örtliche Luftwechsel immer mehr oder weniger
grundsätzlich ermitteln durch die Bestimmung des Eintrittsstark vom globalen Raumluftwechsel ab. Die wesentlichen
querschnitts aller Luftzuführungen und Messung der darin
Ursachen dafür sind, dass für die Durchmischung eine beherrschenden Luftgeschwindigkeit mit einem Anemometer.
stimmte Zeit erforderlich ist und sich je nach Luftführung
Bei größeren Querschnitten muss dabei durch Messung an
unterschiedliche Strömungsbedingungen im Raum ergemehreren Punkten eine mittlere Geschwindigkeit bestimmt
ben. Weiterhin beeinflussen Einbauten und Einrichtungen
werden. Da aber sowohl die Eintrittsquerschnitte als auch
in einem Raum die Strömungsbedingungen und ergeben
die Luftgeschwindigkeiten, insbesondere bei natürlicher
sich Abweichungen von der idealen Durchmischung. Dies
Lüftung, sehr komplex und veränderlich sein können, könführt im Ergebnis dazu, dass über den gesamten Raum örtnen sich dabei in der Praxis kaum lösbare Aufgaben erlich unterschiedliche Luftwechselzahlen festzustellen sind.
geben. Man denke nur an den Einfluss durch das Öffnen und
Für größere Räume oder Industriehallen sind daher KorrekSchließen von Fenstern und Türen oder an veränderlichen
turfaktoren oder alternative Berechnungsansätze zu wähWind aus wechselnden Richtungen. Lediglich bei Räumen
len.
mit wenigen und gut zugänglichen Öffnungen wird diese
Als maßgebliche Größe zur Kennzeichnung einer Lüftung
Methode zu einem brauchbaren Ergebnis führen.
unter realen Bedingungen wird daher der LuftaustauschErsatzweise lassen sich häufig mit hinreichender Genaugrad L eingeführt – er beschreibt die örtliche Lüftungseffiigkeit auch dokumentierte Daten von Luftgeschwindigkeizienz und basiert auf der Luftwechselzahl l und der „Luftten in Lüftungsquerschnitten einsetzen. So führt z. B. die
austauschzahl LA” als Korrekturfaktor.
Arbeitsstättenrichtlinie „Lüftung” (ASR 5) Luftgeschwindigkeiten in Lüftungsquerschnitten für verschiedene LüftungsL = l· LA
(3)
situationen in Räumen auf [7].
Bei technischen Lüftungsanlagen ist es in der Regel gut mögDer Korrekturfaktor LA berücksichtigt räumliche und luftlich, die Luftmenge aus der gemessenen Geschwindigkeit in
technische Besonderheiten eines Raumes und gibt an, wie
der Zuluftleitung und dem Leitungsquerschnitt zu ermitsich die örtlichen und räumlichen Bedingungen sowie die
teln. Es ist ausdrücklich davor zu warnen, anstelle real geArt der Raumlüftung und hier insbesondere die Luftführung
messener Werte die Nennleistung des Ventilators zu nehauf die Durchmischung und damit auf die Konzentrationsmen, da es sich dabei um einen theoretisch erreichbaren
verteilung der Gefahrstoffe im Raum auswirken.
Maximalwert handelt, der die Leitungs- und Filterverluste
Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Technischen
oder die Alterung der Anlage nicht berücksichtigt.
Regeln für Gefahrstoffe „Dieselmotoremissionen“ [6] wurden für verschiedene Typen von Betriebsstätten Luftaus3.3.2 Messung des Luftaustauschs durch Tracergastechnik
tauschzahlen und Luftaustauschgrade messtechnisch erEine verbreitete Methode zur Untersuchung von Luftströmittelt. Die dokumentierten Daten sind zur Verwendung bei
mungen ist die Tracergastechnik [2]. Dabei wird der Luft an
der Berechnung der Belastung durch Dieselmotoremissiogeeigneter Stelle des Lüftungssystems ein Indikatorgas
nen beim Einsatz von Gabelstaplern in Hallen vorgesehen;
(Tracergas) zugemischt, aus dessen gemessener Konzentrasie sind jedoch auch allgemein auf andere Betriebsstätten
tion an anderer Stelle im System auf die Ausbreitung der Luft
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Gefahrstoffe - Reinhaltung der Luft
65 (2005) Nr. 4 - April
Expositionsermittlung
Bild 3. Schematische Darstellung der Tracergastechnik; rechts: Konzentrationsabklingmethode.
geschlossen werden kann (Bild 3). Tracergase müssen gut
detektierbar sein, dürfen in der Luft nicht oder nur in geringer Konzentration enthalten sein und bei Anwendung in Aufenthaltsräumen von Menschen nicht toxisch sein. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien haben sich insbesondere
Schwefelhexafluorid (SF6) und Helium (He) als Tracergase
durchgesetzt.
Zur Anwendung der Tracergastechnik können im einfachsten Fall Gasspritzen zur Dosierung sowie auch zur Probenahme eingesetzt werden, wobei die Tracergaskonzentration der Proben im Labor bestimmt wird. Bei aufwändigeren
Methoden kommen prozessgesteuerte Dosiervorrichtungen
und vor Ort direkt anzeigende Analysatoren zum Einsatz.
Die Tracergastechnik lässt sich sehr vielfältig einsetzen, insbesondere zur Beurteilung
● der Wirksamkeit einer Raumlüftung durch Bestimmung
des Luftwechsels,
● der Ausbreitung von Gefahrstoffen in Arbeitsbereichen,
● des Erfassungsgrades von Erfassungseinrichtungen (Absaugeinrichtungen),
● der Dichtigkeit von Lüftungsanlagen.
Die übliche Methode zur Bestimmung der Luftwechselzahl
nach der Tracergasmethode ist die Konzentrationsabklingmethode (Bild 3, rechts). Dabei wird im ersten Schritt das
Tracergas in den Raum eingebracht und homogen verteilt.
Anschließend wird der Konzentrationsabfall in Abhängigkeit
von der Zeit messtechnisch erfasst.
welchen Zeitanteilen die Beschäftigten die für die Exposition relevanten Tätigkeiten ausführen.
5 Zusammenfassung
Die Ermittlung der erforderlichen Daten für Berechnungen
der Exposition ist ähnlich komplex wie die Arbeitswelt und
die möglichen Expositionen selbst. In vielen Fällen lassen
sich die Daten vergleichsweise einfach ermitteln, in anderen
Fällen können jedoch auch schnell die Grenzen des heute
Möglichen erreicht werden.
Eine große Hilfe für die Anwendung von Berechnungen in
der betrieblichen Praxis sind deshalb – neben computerbasierten Berechnungshilfen – Dokumentationen über ermittelte Daten zu Emissionsquellen und zur Lüftung. Hier
besteht erheblicher Nachholbedarf. Mit der leichteren Verfügbarkeit valider Daten sollte unter den Arbeitsschutzexperten in der Praxis die allgemeine Akzeptanz von Berechnungsverfahren bei der Expositionsbeurteilung weiter
zunehmen.
Literatur
[1]
luftgetragenen Gefahrstoffbelastungen am Arbeitsplatz. Gefahrstoffe –
Reinhalt. Luft 56 (1996) Nr. 12, S. 457-464.
[2]
3.3.3 Datendokumentationen für Lüftungssituationen
Es liegt eine Reihe dokumentierter Daten über Kennzahlen
für unterschiedliche Lüftungssituationen vor, allerdings
nicht in geschlossener Zusammenstellung. Erwähnt wurden bereits die Daten über Strömungsgeschwindigkeiten in
Lüftungsquerschnitten nach [7] sowie die im Zusammenhang mit der TRGS „Dieselmotoremissionen“ [6] ermittelten
Daten.
Eickmann, U.; Kleine, H.: Berechnungsverfahren zur Abschätzung der
Berechnungsverfahren und Modellbildung in der Arbeitsbereichsanalyse. BIA-Report 3/2001. Hrsg.: Hauptverband der gewerblichen
Berufsgenossenschaften (HVBG), Sankt Augustin 2001.
[3]
Wolkoff, P.; Salthammer, T.; Woolfenden, E. A.: Emission cells and
comparison to small chambers for material emissions testing. Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft 65 (2005) Nr. 3, S. 93-98.
[4]
RAL UZ 38: Grundlage für Umweltzeichenvergabe Emissionsarme Produkte aus Holz und Holzwerkstoffen. www.blauer-engel.de/deutsch/
produkte_zeichenanwender/vergabegrundlagen/ral.php?id=55
[5]
4 Arbeitsverfahren und Arbeitsorganisation
Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten (AgBB):
Vorgehensweise bei der gesundheitlichen Bewertung der Emissionen
von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC und SVOC) aus Bau-
Immer dann, wenn Berechnungsergebnisse zur Beurteilung
der Exposition verwendet werden sollen, ist die Kenntnis des
Arbeitsverfahrens unerlässlich. Zu den in der Gefährdungsbeurteilung zusammenzutragenden Informationen zählen
neben allen Angaben über das Arbeitsverfahren und die
Tätigkeiten der Exponierten insbesondere die Angaben zur
Arbeitsorganisation. Dazu ist zu ermitteln, wann und mit
produkten. Umweltbundesamt, Berlin Juli 2004.
www.umweltbundesamt.de/bauprodukte/archiv/agbb.pdf
[6]
Technische Regeln für Gefahrstoffe: Dieselmotoremissionen (DME)
[7]
Arbeitsstättenrichtlinie ASR 5: Lüftung. BArbBl. (1979) Nr. 10, S. 103;
(TRGS 554). Ausg. 3/2001. BArbBl. (2001) Nr. 3, S. 112-129.
zul. geänd. BArbBl. (1984) Nr. 12, S. 85.
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65 (2005) Nr. 4 - April
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