3.1 Polynome und Polynomring

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Lineare Algebra II – Sommersemester 2015
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c Rudolf Scharlau
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Polynome und Polynomring
Vorbereitend zur Beschreibung von Polynomen zunächst die Definition einer
neuen“ algebraischen Struktur, die uns in Wirklichkeit jedoch schon mehrfach
”
begegnet ist.
Definition 3.1.1 (K-Algebra) Es sei K ein Körper. Eine K-Algebra ist ein
Ring R mit Einselement, der gleichzeitig ein K-Vektorraum ist (mit der gleichen Addition), in dem die folgende Verträglichkeitsbedingung zwischen skalarer
Multiplikation und Ringmultiplikation · erfüllt ist:
α(x · y) = (αx) · y = x · (αy) für alle α ∈ K, x, y ∈ R .
Beispiele 3.1.2 (K-Algebren)
1. C ist eine R-Algebra. Allgemeiner ist jeder Körper L, der unseren gegebenen
Körper K als Teilkörper enthält, eine K-Algebra. Die skalare Multiplikation
ist die Einschränkung der Multiplikation in L auf K × L.
2. Mn (K) = K n×n ist eine K-Algebra.
3. Für einen beliebigen Vektorraum V ist End(V ) eine K-Algebra; dabei ist
die Multiplikation die Abbildungs-Verkettung.
4. F(I, R) (die Menge der auf I definierten reellen Funktionen) ist eine RAlgebra. Sie ist kommutativ.
Wir kommen nun zu Polynomen, genauer zum Ring der Polynome über K. Wir
nehmen einen ähnlichen Standpunkt wie bei der Behandlung der komplexen Zahlen in 1.4 ein: Wir geben eine Beschreibung, die alles wesentliche enthält, aber
weder eine axiomatische Kennzeichnung noch eine Konstruktion des Polynomrings.
Erklärung 3.1.3 (Polynomring, Polynome) Gegeben sei ein Körper K.
a) Der Polynomring K[X] ist eine kommutative K-Algebra. Es gibt hierin ein
ausgezeichnetes Element X, die sog. Unbestimmte derart, dass
K[X] = {a0 + a1 X + a2 X 2 + · · · + an X n | n ∈ N0 , a0 , a1 , . . . , an ∈ K} .
Die Elemente aus K[X] heißen Polynome über K.
b) Wenn zwei Polynome f = a0 + a1 X + a2 X 2 + · · · + an X n und g = b0 +
b1 X + b2 X 2 + · · · + bn X n übereinstimmen, dann ist ai = bi für i = 0, . . . , n.
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c) In Polynome kann man Elemente β einer beliebigen K-Algebra R einsetzen:
Für f ∈ K[X] wie eben definiert man
f (β) := a0 1R + a1 β + a2 β 2 + · · · + an β n .
Das Einsetzen ist ein Ringhomomorphismus, d.h. (f + g)(β) = f (β) + g(β)
und (f · g)(β) = f (β) · g(β) für festes β und alle f, g ∈ K[X].
Wenn f = a0 +a1 X +a2 X 2 +· · ·+an X n ein Polynom ist, dann nennen wir a0 auch
den konstanten Term von f . Er kann auch als f (0) (Einsetzen von 0 ∈ K in f )
beschrieben werden. Wenn zusätzlich f 6= 0 ist und n so gewählt ist, dass an 6= 0
ist, dann heißt n der Grad von f , kurz grad(f ), und an wird Leitkoeffizient von
f genannt. Der Grad gibt also wie üblich die höchste in f vorkommende Potenz
der Unbestimmten an; er ist gleich 0, wenn X im Polynom nicht vorkommt, aber
a0 6= 0 ist. Der Grad des Nullpolynoms ist nicht definiert. Im folgenden Satz
halten wir zwei wichtige Eigenschaften des Polynomrings über einem beliebigen
Körper fest.
Satz 3.1.4
a) (Gradformel) Wenn f und g zwei von Null verschiedene Polynome sind, dann ist auch f · g ungleich Null, und es gilt
grad(f · g) = grad(f ) + grad(g).
b) Für die Multiplikation von Polynomen gilt die Kürzungsregel:
f ·g =f ·h ⇒ g =h
für alle f, g, h ∈ K[X], f 6= 0.
Beweis: Teil a) ergibt sich unmittelbar aus der Rechenregel an X n · bm X m =
(an bm )X n+m (wobei n = grad(f ), m = grad(g)); der Leitkoeffizient von f · g ist
das Produkt der Leitkoeffizienten von f und g, und dieses Produkt ist tatsächlich
von Null verschieden.
Teil b) ist eine Folgerung aus a): Es ist f · (g − h) = 0, und wenn g − h von
Null verschieden wäre, dann hätten wir, weil f 6= 0 ist, einen Widerspruch zu
Teil a).
Durch das Einsetzen liefert jedes Polynom f insbesondere eine Funktion fe : K →
K, α 7→ f (α), aber das Polynom ist nicht diese Funktion. Wenn der Körper K nur
endlich viele Elemente hat, können verschiedene Polynome die gleiche Funktion
liefern.
Beispiel 3.1.5 Betrachte den Körper F2 = {0, 1} aus zwei Elementen,
das Po!
0 1
lynom g = X + X 2 ∈ F2 [X] sowie das Element S =
der F2 -Algebra
1 0
!
1 1
M2 (F2 ). Dann ist ge = 0 (die Nullfunktion auf F2 ), aber g(S) =
.
1 1
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Bekanntlich kann man Polynome über Körpern auch dividieren, wobei allerdings
in der Regel ein Rest” bleibt. Die genauen Eigenschaften dieser Division mit
”
Rest werden im folgenden Satz festgehalten; er ist völlig analog zum Satz 1.2.5
über die Division mit Rest von ganzen Zahlen.
Satz 3.1.6 Es sei K ein Körper. Zu je zwei Polynomen f, g ∈ K[X] mit g 6= 0
gibt es eindeutig bestimmte Polynome q und r, den Quotienten und den Rest (von
f bei Division durch g), so dass f = qg + r und grad r < grad g oder r = 0 ist.
Beweisskizze: Die Existenz der Zerlegung zeigt man mit dem bekannten Rechenverfahren zur Polynomdivision, das mit den höchsten Termen von f und g
beginnt und über jedem Körper Sinn macht (man muss durch den Leitkoeefizienten von g teilen).
Die Eindeutigkeit ergibt sich, indem man zwei solche Darstellungen gleich
setzt, umstellt und die Gradformel sowie zum Schluss die Kürzungsregel benutzt.
Verwendet wird dabei die leicht einzusehende Regel
grad(r + s) ≤ max{grad(r), grad(s)} für alle r, s ∈ K[X].
Beispiel: (X 4 + 2X 3 + X + 1) : (X 2 − 2) = X 2 + 2X + 2 Rest 5X + 5
bzw.
X 4 + 2X 3 + X + 1 = (X 2 + 2X + 2) · (X 2 − 2) + (5X + 5)
Die zweite Schreibweise ist mathematisch vorzuziehen, da es sich um eine echte
Gleichung handelt. Die erste Schreibweise mit Rest“ ist zum praktischen schrift”
lichen Rechnen aber erlaubt.
Folgendes erfordert keine eigene Definition: Ein Polynom g teilt ein Polynom
f , wenn der Rest der Division von f durch g gleich dem Nullpolynom ist. Unabhängig von letzten Satz formuliert: g teilt f , abgekürzt g | f genau dann, wenn
ein Polynom q existiert mit f = qg. Diese Definition macht in jedem Ring Sinn,
sie hat nicht wesentlich mit Polynomen zu tun. Die Teilbarkeitsrelation von Polynomen benutzt man, um das folgende Kriterium für Nullstellen zu formulieren:
Satz und Definition 3.1.7 Es sei f ∈ K[X] ein Polynom.
a) Ein Element α ∈ K ist genau dann eine Nullstelle von f (d.h. f (α) = 0),
wenn das Polynom X − α ein Teiler von f ist.
b) Unter Voraussetzung von a) gibt es eine eindeutige Darstellung
f = (X − α)m h, wobei h ∈ K[X] ein Polynom mit h(α) 6= 0 ist. Die Zahl
m =: m(α, f ) heißt auch die Vielfachheit der Nullstelle α von f .
Durch Weiterführung der Überlegungen zu Satz 3.1.7 a) kann man schließlich
noch folgenden nützlichen Sachverhalt einsehen:
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Satz 3.1.8 Ein von Null verschiedenes Polynom vom Grad n ≥ 1 kann höchstens
n verschiedene Nullstellen haben.
Beweis(skizze): Es sei f ∈ K[X], n = grad(f ) ≥ 1 und α1 , . . . , αk voneinander
verschiedene Nullstellen von f . Durch mehrfache Anwendung von 3.1.7.a) zeigt
man, dass das Produkt (X − α1 )(X − α2 ) · · · (X − αk ) ein Teiler von f ist. Wir
haben also eine Gleichung von Polynomen
(X − α1 )(X − α2 ) · · · (X − αk ) · q = f mit einem q ∈ K[X].
Anwendung der Gradfomel aus Satz 3.1.4.a) liefert die gewünschte Beziehung
k ≤ n.
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