Skript

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Einführung in die Differentialgeometrie
Martin Henk
(basiernd auf einem Skript von Prof. Dr. Betke)
Wintersemester 2003/2004
http://fma2.math.uni-magdeburg.de/
∼henk/lectures/diffgeo I/
Literatur
[1] A. Thorpe, Elementary Topics in Differential Geometry, Springer (ist
im wesentlichen die Grundlage der Veranstaltung).
[2] M. do Carmo, Differentialgeometrie, Vieweg.
[3] M. Spivak, A Comprehensive Introduction to Differential Geometry
Volume I, Publish or Perish.
[4] W. Klingenberg, Eine Vorlesung über Differentialgeometrie, Springer.
[5] C. Bär, Elementare Differentialgeometrie, de Gruyter.
Kapitel 1
Graphen und Niveaumengen
1.1 Definition [Niveaumengen]. Sei f : U → R, U ⊂ Rn+1 , dann heißen
für c ∈ R die Mengen f −1 (c) Niveaumengen von f zur Höhe c.
1.2 Beispiel.
1. Für f : U → R, U ⊂ Rn+1 ist der Graph von f definiert durch
graph (f ) = (x1 , . . . , xn+2 )⊺ ∈ Rn+2 :
(x1 , . . . , xn+1 ) ∈ U, xn+2 = f (x1 , . . . , xn+1 ) .
Damit sind die Niveaumengen zur Höhe c diejenigen Punkte aus U , für
die der Graph den Abstand c hat, d.h. die Punkte der Form (u, c) ∈
graph (f ).
2. f (x1 , . . . , xn+1 ) = x21 + · · · + x2n+1 .
3. Im Fall n = 1 entspricht eine Niveaumenge der Höhenlinie einer Landkarte.
Auch Niveaumengen im R3 lassen sich mit Hilfe von Höhenlinien darstellen,
wie die Abbildung zeigt.
1
Graphen und Niveaumengen
Abbildung 1.1: Darstellung von Niveaumengen im R3 mit Hilfe von Höhenlinien bezüglich der ersten Koordinate für die Mengen x21 + x22 + x23 = 1 und
x21 − x22 + x3 = 0.
2
Kapitel 2
Vektorfelder
2.1 Definition [Vektor]. Ein Vektor an einem Punkt p ∈ Rn+1 ist ein
Paar v = (p, v) mit v ∈ Rn+1 .
Geometrisch kann man v als in p angehefteten Vektor v verstehen. Die
Vektoren an p bilden einen Vektorraum der Dimension n + 1, in dem die
Addition und Skalarmultiplikation definiert sind durch
(p, v) + (p, w) = (p, v + w), λ(p, v) = (p, λv),
λ ∈ R.
• Bilden {v1 , . . . , vn+1 } eine Basis des Rn+1 , so ist {(p, v1), . . ., (p, vn+1 )}
eine Basis von
Rn+1
= (p, v) : v ∈ Rn+1 .
p
• Die Menge aller Vektoren an allen Punkten des Rn+1 läßt sich als
Punktmenge mit dem cartesischen Produkt Rn+1 ×Rn+1 identifizieren.
• Vektoren an verschiedenen Punkten lassen sich nicht addieren!
• Wie üblich ist für (p, v) und (p, w) ihr Skalarprodukt mittels des Standardskalarproduktes des Rn+1 durch
(p, v) · (p, w) = v · w
definiert.
• Für (p, w), (p, v) ∈ R3p ist ihr Kreuzprodukt durch das Standardkreuzprodukt des R3 definiert als
(p, v) × (p, w) = (p, v × w).
• Für v = (p, v), w = (p, w) ist die Länge definiert durch
kvk = (v · v)1/2
3
Vektorfelder
und der Winkel θ zwischen v und w durch
cos θ =
v·w
,
kvkkwk
0 ≤ θ ≤ π.
2.2 Definition [Vektorfeld]. Ein Vektorfeld X auf U ⊂ Rn+1 ist eine Abbildung, die jedem Punkt aus U einen Vektor an diesem Punkt zuordnet.
Ein Vektorfeld hat also die Gestalt
X(p) = (p, X(p)),
p ∈ U,
für eine Abbildung X : U → Rn+1 . Vektorfelder auf dem Rn+1 werden
meistens mit Hilfe der Abbildung X beschrieben.
Abbildung 2.1: Beispiele von Vektorfeldern
2.3 Definition [Glatte Vektorfelder]. Eine Abbildung f : U → R,
U ⊂ Rn+1 offen, heißt glatt, falls die partiellen Ableitungen aller Ordnungen
existieren und stetig sind. f : U → Rk heißt glatt, falls für f = (f1 , . . . , fk )
jede Komponentenfunktion glatt ist. Ein Vektorfeld X auf U heißt glatt,
falls die zugehrige Abbildung X : U → Rn+1 glatt ist.
2.4 Definition [Gradient]. Jeder glatten Funktion f : U → R, U ⊂ Rn+1
offen, wird ein glattes Vektorfeld auf U , genannt Gradient ∇f von f zugeordnet, das durch
∂f
∂f
(p)
(p), . . .,
(∇f )(p) = p,
∂x1
∂xn+ 1
definiert ist.
2.5 Definition [Parametrisierte Kurve, Geschwindigkeitsvektor].
i) Eine parametrisierte Kurve im Rn+1 ist eine glatte Funktion α : I →
Rn+1 für ein offenes Intervall I ⊂ R.
4
Vektorfelder
ii) Der Geschwindigkeitsvektor zur Zeit t ∈ I einer parametrisierten Kurve α : I → Rn+1 , α(t) = (x1 (t), . . . , xn+1 (t)) ist der durch
dx1
dxn+1
α̇(t) = α(t),
(t), . . .,
(t)
dt
dt
definierte Vektor an α(t).
iii) Die Menge der Punkte der Kurve α wird als Bild von α, bild α, bezeichnet, d.h. bild α = {α(t) : α ∈ I}.
Abbildung 2.2: Parametrisierte Kurve mit Geschwindigkeitsvektor
2.6 Definition [Integralkurve]. Eine parametrisierte Kurve α : I →
Rn+1 heißt Integralkurve des Vektorfeldes X auf U ⊂ Rn+1 , U offen, falls
α(t) ∈ U und α̇(t) = X(α(t)) für alle t ∈I.
• α hat also die Eigenschaft, daß ihr Geschwindigkeitsvektor in jedem Punkt
der Kurve mit dem Wert des Vektorfeldes in diesem Punkt übereinstimmt.
2.7 Satz [(Maximale) Integralkurve eines Vektorfeldes]. Sei X ein
glattes Vektorfeld auf U ⊂ Rn+1 offen, und sei p ∈ U . Dann existiert ein
offenes Intervall I mit 0 ∈ I und eine Integralkurve α : I → U von X, so
daß
i) α(0) = p.
ii) Ist β : I˜ → U eine andere Integralkurve von X mit β(0) = p, dann gilt
I˜ ⊂ I und β(t) = α(t) für alle t ∈ I.
α heißt maximale Integralkurve von X durch p oder einfach die Integralkurve
von X durch p.
Beweis: Der Satz ist eine Umformulierung des Existenz- und Eindeutigkeitssatzes für Lsungen von Systemen von Differentialgleichungen erster
Ordnung. X hat die Form
X(p) = (p, X1(p), . . ., Xn+1 (p))
5
Vektorfelder
Abbildung 2.3: Integralkurve eines Vektorfeldes
mit glatten Funktionen Xi : U → R. α : I → R hat die Gestalt
α(t) = (x1 (t), . . . , xn+1 (t))
mit glatten Funktionen xi : I → R. Die Geschwindigkeit von α ist
α̇(t) = (α(t),
dx1
dxn+1
(t), . . .,
(t)).
dt
dt
Die Aussage, daß α(t) eine Integralkurve von X ist, bedeutet α̇(t) =
X(α(t)) oder
dx1
(t) = X1 (x1 (t), . . ., xn+1 (t))
dt
..
(2.1)
.
dxn+1
(t) = Xn+1 (x1 (t), . . ., xn+1 (t))
dt
Dies ist ein System von n + 1 gewhnlichen Differentialgleichungen erster
Ordnung in n + 1 Unbekannten. Nach dem Existenzsatz für die Lsungen
solcher Gleichungen existiert ein offenes Intervall I1 um 0 und und n + 1
Funktionen xi : I1 → R, die diesem System mit den Anfangsbedingungen
xi (0) = pi , i = 1, . . . , n + 1 genügen. Setzt man β1 (t) = (x1 (t), . . ., xn+1 (t))
für diese Funktionen, so erhlt man eine Integralkurve β1 : I1 → U mit
β1 (0) = p.
Nach dem Eindeutigkeitssatz für die Lsungen von Differentialgleichungen
erster Ordnung gilt: Ist x̃i : I2 → U ein weiterer Satz von Funktionen, der
6
Vektorfelder
(2.1) mit den Anfangsbedingungen x̃i (0) = pi genügt, dann gilt x̃i (t) = xi (t)
für alle t ∈ I1 ∩ I2 . Mit anderen Worten: Ist β2 : I2 → U eine weitere Integralkurve von X mit β2 (0) = p, dann gilt β1 (t) = β2 (t) für alle t ∈ I1 ∩ I2 .
Es folgt daraus, daß es eine eindeutig bestimmte maximale Integralkurve α
von X mit α(0) = p gibt (ihr Wertebereich ist die Vereinigung aller Wertebereiche von Integralkurven von X, die 0 nach p abbilden), und daß für
eine andere Integralkurve β : I˜ → U von X mit β(0) = p β einfach die
Einschrnkung von α auf Ĩ ist. qed
2.8 Beispiel. Sei X das Vektorfeld auf R2 mit X(x1, x2 ) = (−x2 , x1 ). Die
(maximale) Integralkurve von X durch (1, 0) ist gegeben durch α(t) =
(cos t, sin t).
7
Kapitel 3
Der Tangentialraum
3.1 Definition [Tangentialvektor]. Sei f : U → R, U ⊂ Rn+1 offen,
eine glatte Funktion und seien c ∈ R mit f −1 (c) 6= ∅ und p ∈ f −1 (c). Ein
Vektor an p heißt tangential zur Niveaumenge f −1 (c), wenn er Geschwindigkeitsvektor einer parametrisierten Kurve des Rn+1 ist, deren Bild in f −1 (c)
enthalten ist.
heit
3.2 Lemma. Der Gradient von f an p ∈ f −1 (c) ist orthogonal zu allen
Vektoren, die zu f −1 (c) an p tangential sind.
Beweis: Jeder Tangentialvektor zu f −1 (c) an p hat die Gestalt α̇(t0 ) fr eine
parametrisierte Kurve α : I → Rn+1 mit α(t0 ) = p und Bild α ⊂ f −1 (c). Es
folgt f (α(t)) = c fr alle t ∈ I und so nach der Kettenregel
0=
d
(f ◦ α)(t0 ) = ∇f (α(t0 )) · α̇(t0 ) = ∇f (p) · α̇(t0 ).
dt
Fr ∇f (p) 6= 0 heißt dies, dass die Menge der Tangentialvektoren zu f −1 (c)
an p im n-dimensionalen Unterraum [∇f (p)]⊥ von Rn+1
liegt, der zu ∇f (p)
p
orthogonal ist. qed
3.3 Definition [Regulärer Punkt]. Sei f : U → R, U ⊂ Rn+1 offen, eine
glatte Funktion. p ∈ U mit ∇f (p) 6= 0 heißt regulärer Punkt von f .
3.4 Satz. Sei U ⊂ Rn+1 offen, und f : U → R glatt. Sei p ∈ U ein regulärer
Punkt von f und c = f (p). Dann ist die Menge aller Tangentialvektoren zu
f −1 (c) an p gleich
[∇f (p)]⊥ = {(p, v) : ∇f (p) · v = 0} .
8
Der Tangentialraum
Beweis: Nach dem Lemma liegt jeder Tangentialvektor zu f −1 (c) in
[∇f (p)]⊥. Es bleibt fr v = (p, v) ∈ [∇f (c)]⊥ v = α̇(0) fr eine parametrisierte
Kurve α mit bild α ⊂ f −1 (c) zu zeigen. Zur Konstruktion von α betrachte
man das konstante Vektorfeld X auf U , gegeben durch X(q) = (q, v). Sei
jetzt Y definiert durch
Y(q) = X(q) −
X(q) · ∇f (q)
∇f (q).
k ∇f (q) k2
Y ist auf der offenen Teilmenge von U definiert, auf der ∇f 6= 0 gilt. Da p
regulärer Punkt ist, liegt p im Wertebereich von Y. Weiter gilt Y(p) = X(p).
Damit ist Y ein glattes Vektorfeld mit Y(q) ⊥ ∇f (q) fr alle q aus dem
Wertebereich von Y und Y(p)=v.
Sei jetzt α eine Integralkurve von Y durch p. Dann gilt α(0) = p, α̇(0) =
Y(α(0)) = Y(p) = X(p) = v und
d
f (α(t)) = ∇f (α(t)) · α̇(t) = ∇f (α(t)) · Y(α(t)) = 0
dt
fr alle t aus dem Wertebereich von α, also f (α(t)) konstant. Dies bedeutet
bild α ⊂ f −1 (c) wie gefordert. qed
3.5 Definition [Tangentialraum]. Sei p regulärer Punkt p einer Niveaumenge f −1 (c) einer glatten Funktion. Der Tangentialraum von f −1 (c) an p
besteht aus den Geschwindigkeitsvektoren aller parametrisierten Kurven in
f −1 (c) durch p.
• Nach Satz 3.4 ist der Tangentialraum von f −1 (c) an p die durch [∇f (p)]⊥
gegebene Hyperebene des Vektorraums (p, Rn+1 ).
Abbildung 3.1: Tangentialraum an einem typischen Punkt der Niveaumenge
f −1 (1) für f (x1 , . . . , xn+1 ) = x21 + · · · + x2n+1 .
9
Kapitel 4
Flächen
4.1 Definition [Flächen]. Eine Fläche der Dimension n oder n-Fläche im
R ist eine Menge S ⊂ Rn+1 , S 6= ∅ der Gestalt S = f −1 (c), wobei f : U → R,
U ⊂ Rn+1 offen, eine glatte Funktion mit ∇f (p) 6= 0 für alle p ∈ S ist. Eine
1-Fläche im R2 heißt auch ebene Kurve. Eine 2-Fläche im R3 heißt einfach
Fläche. Eine n-Fläche im Rn+1 fr n > 2 heißt Hyperfläche.
• Nach dem vorigen Satz hat jede n-Fläche S in jedem Punkt p ∈ S einen
Tangentialraum, der n-dimensionaler Untervektorraum von Rn+1
ist. Dieser
p
Tangentialraum wird mit Sp bezeichnet. Sp hängt nur von der Menge S,
nicht aber von der Funktion f ab, durch die S definiert wird, wie aus der
Definition als Menge von Geschwindigkeitsvektoren folgt. Für eine konkrete
Funktion f mit S = f −1 (c) und p ∈ S gilt Sp = [∇f (p)]⊥.
4.2 Beispiel.
i) Die n-Sphäre x21 + . . . + x2n+1 = 1 ist eine n-Fläche.
ii) Für 0 6= (a1 , . . . , an+1 ) ∈ Rn+1 und b ∈ R ist durch a1 x1 + . . . +
an+1 xn+1 = b eine n-Fläche gegeben (Hyperebene).
iii) Sei f : U → R eine glatte Funktion auf U ⊂ Rn , U offen. Der Graph
von f
graph (f ) = {(x1 , . . . , xn+1 ) ∈ Rn+1 : xn+1 = f (x1 , . . ., xn )}
ist eine n-Fläche im Rn+1 wegen graph (f ) = g −1 (0) mit
g(x1 , . . ., xn+1 ) = xn+1 − f (x1 , . . . , xn ).
iv) Sei S ⊂ Rn eine (n − 1)-Fläche. Dann ist S × R eine n-Fläche im Rn+1 .
Für S = f −1 (c) gilt nämlich S × R = g −1 (c) für g(x1 , . . . , xn+1 ) =
f (x1 , . . . , xn ). S × R heißt Zylinder über S.
10
Flächen
Abbildung 4.1: Der Zylinder g −1 (1) über der n–Sphäre: g(x1, . . . , xn+1 ) =
x21 + · · · + x2n .
4.3 Beispiel. Sei C = f −1 (c), f : U → R , U ⊂ R2 offen, eine (ebene)
Kurve im R2 . Sei S = g −1 (c) für g : U ×R → R mit g(x1 , x2, x3 ) = f (x1 , (x22 +
x23 )1/2). S heißt Drehfläche der Kurve C um die x1 -Achse.
Abbildung 4.2: Eine Drehfläche.
4.4 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 , S = f −1 (c) mit f : U → R und
∇f (q) 6= 0 für alle q ∈ S. Sei weiter g : U → R eine glatte Funktion
und p ∈ S ein Extrempunkt von g auf S. Dann existiert ein λ ∈ R mit
∇g(p) = λ∇f (p). (λ heißt Lagrangemultiplikator).
Beweis: Die Aussage ist gerade der Satz über Extrema unter Nebenbedingungen.
11
Flächen
Direkter Beweis: Der Tangentialraum von S an p ist Sp = [∇f (p)]⊥.
Damit gilt ∇g(p) = λ∇f (p) für ein λ ∈ R genau dann, wenn ∇g(p) ∈ Sp⊥ ;
d.h. ∇g(p) · v = 0 für alle v ∈Sp . Jedes v ∈ Sp hat die Gestalt v = α̇(t0 ) für
eine parametrisierte Kurve α : I → S, t0 ∈ I und α(t0 ) = p. t0 ist sicher ein
Extrempunkt von g ◦ α. Also
0 = (g ◦ α)′ (t0 ) = ∇g(α(t0 )) · α̇(t0 ) = ∇g(p) · v
für alle v ∈Sp und daher ∇g(p) = λ∇f (p) für ein λ wie gefordert. qed
Bemerkung: Ist S kompakt, dann nimmt jede glatte Funktion g : U → R
Maximum und Minimum auf S an. Mit dem Satz können dann die Kandidaten für die Extrema bestimmt werden.
4.5 Beispiel. S Einheitskreis x21 + x22 = 1, g(x1 , x2 ) = ax21 + 2bx1 x2 + cx22
mit a, b ∈ R.
∇f (x1 , x2 ) = (x1 , x2 , 2x1, 2x2 )
∇g(x1 , x2 ) = (x1 , x2 , 2ax1 + 2bx2, 2bx1 + 2cx2 )
Die notwendige Bedingung ist damit
x
x1
a b
=λ 1 .
x2
x2
b c
Die Extrempunkte
von g auf S sind daher Eigenvektoren der symmetrischen
a b
.
Matrix
b c
Abbildung 4.3: Niveaukurven der Funktion g(x1 , x2 ) = ax21 + 2bx1 x2 + cx22
mit ac − b2 > 0 und ihre Extrempunkte auf dem Einheitskreis S.
12
Kapitel 5
Vektorfelder auf Flächen,
Orientierung
5.1 Definition [Vektorfelder auf Flächen]. Ein Vektorfeld X auf einer
n-Fläche S ⊂ Rn+1 ist eine Funktion, die jedem p in S einen Vektor X(p) ∈
Rn+1
an p zuordnet. Ist X(p) tangential an S (d.h. X(p) ∈ Sp ) für jedes
p
p ∈ S, dann heißt X tangentiales Vektorfeld auf S. Ist X(p) orthogonal zu
S (d.h. X(p) ∈ Sp⊥ ) für jedes p ∈ S, dann heißt X normales Vektorfeld auf
S.
Abbildung 5.1: Vektorfelder auf der 1–Sphäre, (a) ein tangentiales und (b)
ein normales Vektorfeld.
5.2 Definition [Glatte Vektorfelder auf Flächen]. g : S → Rk für eine n-Fläche S im Rn+1 heißt glatt, falls sie Einschränkung einer glatten
Funktion g̃ : U → Rk , U ⊂ Rn+1 offen, S ⊂ U auf S ist. Entsprechend
heißt ein Vektorfeld X auf S glatt, wenn es die Einschränkung eines glatten
Vektorfeldes ist, das auf einer offenen Menge definiert ist, die S enthält.
• X ist also genau dann glatt, wenn X : S → Rn+1 glatt ist, wobei X(p) =
13
Vektorfelder auf Flächen, Orientierung
(p, X(p)) für alle p ∈ S ist. Satz 2.7 über Existenz und Eindeutigkeit von
Integralkurven überträgt sich auf tangentiale Vektorfelder:
5.3 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 , X ein glattes tangentiales Vektorfeld
auf S und p ∈ S. Dann existiert ein offenes Intervall I mit 0 ∈ I und eine
parametrisierte Kurve α : I → S, so daß gilt:
i) α(0) = p,
ii) α̇(t) = X(α(t)) für alle t ∈ I.
iii) Ist β : I˜ → S eine weitere parametrisierte Kurve in S, die i) und ii)
genügt, dann gilt I˜ ⊂ I und β(t) = α(t) für alle t ∈ I.
Eine parametrisierte Kurve α : I → S, die ii) genügt, heißt Integralkurve
des tangentialen Vektorfeldes X. Das eindeutig bestimmte α, das i) – iii)
genügt, heißt maximale Integralkurve von X durch p ∈ S.
Beweis: Da X glatt ist, existiert ein offenes V mit S ⊂ V und ein glattes
Vektorfeld X̃ auf V mit X̃(q) = X(q) für alle q ∈ S. Sei f : U → R und
c ∈ R mit S = f −1 (c) und ∇f (q) 6= 0 für alle q ∈S. Sei
W = {q ∈ U ∩ V | ∇f (q) 6= 0}
X̃ und f sind auf W definiert. Sei Y das Vektorfeld auf W , das durch
Y(q) = X̃(q) − (X̃(q) · ∇f (q)/ k ∇f (q) k2 )∇f (q)
definiert ist. Dann ist Y überall tangential zu den Niveaumengen von f und
Y(q) = X(q) für alle q ∈ S. Sei α : I → W die maximale Integralkurve von
Y durch p. Dann gilt α(I) ⊂ S wegen
(f ◦ α)′ (t) = ∇f (α(t)) · α̇(t) = ∇f (α(t)) · Y(α(t)) = 0,
und f ◦ α(0) = f (p) = c, also f ◦ α(t) = c für alle t ∈I. Damit sind die
Bedingungen (5.3) und (5.3) erfüllt. (5.3) ist ebenso erfüllt, da eine weitere
Integralkurve β : I˜ → S, die (5.3) und (5.3) genügt, auch eine Integralkurve
von Y ist, so daß die Behauptung aus dem Satz aus Kapitel 2 folgt. qed
5.4 Korollar. Sei S = f −1 (c) eine n-Fläche im Rn+1 mit f : U → Rn+1
und ∇f (p) 6= 0 für alle p ∈ S. Weiter sei X ein glattes Vektorfeld auf U ,
dessen Restriktion auf S ein tangentiales Vektorfeld auf S ist. Ist α : I → U
eine Integralkurve von X mit α(t0 ) ∈ S für ein t0 ∈ I, dann gilt α(t) ∈ S
für alle t ∈ I.
14
Vektorfelder auf Flächen, Orientierung
Beweis: Sei etwa α(t) 6∈ S für ein t ∈ I mit t > t0 . Sei t1 das Infimum der
Menge
{t ∈ I | t > t0 und α(t) 6∈ S}.
Dann gilt f (α(t)) = c für t0 ≤ t < t1 und aus Stetigkeitsgründen
f (α(t1 )) = c, also α(t1 ) ∈ S. Sei β : I˜ → S eine Integralkurve durch α(t1 )
der Einschränkung von X auf S. Dann ist β auch eine Integralkurve von X,
die 0 auf α(t1 ) abbildet, wie auch α̃, definiert durch α̃(t) = α(t + t1 ). Wegen
der Eindeutigkeit von Integralkurven folgt α(t) = α̃(t − t1 ) = β(t − t1 ) ∈ S
für alle t, so daß t − t1 im gemeinsamen Definitionsbereich von α̃ und β
liegt. Dies widerspricht jedoch α(t) 6∈ S für gewisse t, die beliebig dicht bei
t1 liegen. Also gilt α(t) ∈ S für alle t ∈ I mit t > t0 . Der Beweis für t < t0
ist ähnlich. qed
5.5 Definition [Zusammenhang]. S ⊂ Rn+1 heißt zusammenhängend,
wenn es zu jedem Paar p, q ∈ S eine stetige Abbildung α : [a, b] → S eines
Intervalls [a, b] gibt mit der Eigenschaft α(a) = p und α(b) = q.
5.6 Beispiel. Die n-Sphäre ist zusammenhängend, falls n ≥ 1.
Bemerkung: Es läßt sich zeigen, daß für jede n-Fläche S und jedes p ∈
S, die Menge aller Punkte, die durch eine stetige Kurve mit p verbunden
werden können, selbst wieder eine n-Fläche ist, die zusammenhängend ist.
Man kann die Zusammenhangskomponenten dann einzeln untersuchen, so
daß im folgenden stets zusammenhängende n-Flächen untersucht werden.
5.7 Satz. Sei S = f −1 (c) ⊂ Rn+1 , ∇f (p) 6= 0 für alle p ∈S, eine zusammenhängende n-Fläche. Dann gibt es auf S genau zwei glatte Einheitsnormalenvektorfelder N1 und N2 , nämlich
N1 (p) =
∇f (p)
k∇f (p)k
und
N2 (p) = −
∇f (p)
,
k∇f (p)k
p ∈ S.
Beweis: Sei f : U → R und c ∈ R so daß S = f −1 (c) und ∇f (p) 6= 0 für alle
p ∈S. Dann hat das Vektorfeld N1 auf S, das durch
N1 (p) = ∇f (p)/ k ∇f (p) k,
p∈S
sicher die gewünschten Eigenschaften. Ebenso gilt dies für N2 , das durch
N2 (p) = −N1 (p) für alle p ∈ S definiert ist.
Es bleibt zu zeigen, daß dies die einzigen Vektorfelder mit diesen Eigenschaften sind. Sei daher N3 ein weiteres solches Vektorfeld. Dann ist für
jedes p ∈ S N3 (p) ein Vielfaches von N1 (p), da beide im 1-dimensionalen
Unterraum Sp⊥ ⊂ Rn+1
liegen. Also gilt
p
N3 (p) = g(p)N1(p)
15
Vektorfelder auf Flächen, Orientierung
mit der glatten Funktion g(p) = N3 (p) · N1 (p) für p ∈ S. Da N1 (p) und
N3 (p) beides Einheitsvektoren sind, gilt g(p) = ±1 für jedes p ∈ S. Da g
glatt und S zusammenhängend ist muß g auf S konstant sein (Übung). Also
gilt entweder N3 = N1 oder N3 = N2 . qed
5.8 Definition [Orientierung]. Ein glattes Einheitsnormalenvektorfeld
auf einer n-Fläche S im Rn+1 heißt Orientierung.
• Nach Satz 5.7 hat jede zusammenhängende n-Fläche im Rn+1 genau zwei
Orientierungen. Eine n-Fläche zusammen mit einer festen Orientierung heißt
orientierte n-Fläche. • Nach Satz 5.7 ist z.B. das Möbiusband keine 2-Fläche
des R3 !
Abbildung 5.2: Das Möbiusband.
• Auf einer ebenen Kurve kann eine Orientierung dazu benutzt werden, um
eine Tangentenrichtung in jedem Punkt festzulegen. Auf einer 2-Fläche im
R3 kann durch eine Orientierung eine Drehrichtung festgelegt werden.
• Auf einer n-Fläche im Rn+1 werden durch eine Orientierung N (p) der
Fläche eine Klasseneinteilung der Menge aller geordneten Basen jedes Tangentialraumes in zwei Klassen erreicht: Man nennt die geordnete Basis
{v1 , . . . , vn } konsistent mit der Orientierung, wenn


v1
 .. 


det  .  > 0,
 vn 
N (p)
im anderen Fall inkonsistent.
16
Vektorfelder auf Flächen, Orientierung
Abbildung 5.3: Orientierung auf einer 2–Sphäre
17
Kapitel 6
Die Gaußsche Abbildung
6.1 Definition [Gaußsche Abbildung]. Sei S eine orientierte n-Fläche
mit einem glatten Einheitsnormalenvektorfeld N = (p, N (p)), und sei S n
die n-Einheitssphäre. Die Abbildung
N : S → Sn
[mit p → N (p)]
heißt Gaußsche Abbildung.
N ist also die Abbildung, die jedem Punkt p ∈ S den Punkt des Rn+1
zuordnet, den man erhält, indem man den Einheitsnormalenvektor N (p) in
den Ursprung verschiebt.
Das Bild der Gaußschen Abbildung N (S) heißt sphärisches Bild der orientierten n-Fläche S. Die Größe des sphärischen Bildes mißt also, wie stark
eine Fläche im Raum gekrümmt ist. Ist eine n-Fläche kompakt, so muß sie in
jede Richtung gekrümmt sein. Dieser Satz kann hier zunächst nur in einem
Spezialfall bewiesen werden:
6.2 Satz. Sei S eine kompakte zusammenhängende n-Fläche im Rn+1 , die
Niveaufläche f −1 (c) einer glatten Funktion f : Rn+1 → R mit ∇f (p) 6= 0 für
alle p ∈ S sei. Sei N(p, N (p)) eine Orientierung auf S. Dann gilt N (S) = S n .
Beweis: Idee: Verschiebe zu gegebenem v die n-Ebene mit Normalenvektor
v aus dem unendlichen an die Fläche, bis sie berührt. Einer der beiden
Berührpunkte hat dann die gesuchte Normale.
Präziser: Für v = (a1 , . . . , an+1 ) betrachte man die Funktion
g : Rn+1 → R,
g(p) = p · v.
Die Niveaumengen dieser Abbildung sind parallele n-Ebenen. Da S kompakt
ist, nimmt die Einschränkung von g auf S Maximum und Minimum etwa
bei p und q an. Nach Satz 4.4 gilt
(p, v) = ∇g(p) = λ∇f (p) = λ k ∇f (p) k N(p)
18
Die Gaußsche Abbildung
Abbildung 6.1: Das sphärische Bild einer Schale eines 2–schaligen Hyperbolids x21 −
x22 −· · ·−x2n+1 = 4, x1 > 0, orientiert durch N = −∇f/k∇fk mit f(x1 , . . . , xn+1) =
x21 − x22 − · · · − x2n+1 .
für einen Lagrangemultiplikator λ. Also sind v und N (p) Vielfache voneinander. Da beide Vektoren Einheitslänge haben, folgt N (p) = ±v. Ebenso
folgt N (q) = ±v.
Es bleibt zu prüfen, da N (p) 6= N (q) gilt. Dazu genügt es eine stetige
Funktion α : [a, b] → Rn+1 mit folgenden Eigenschaften zu konstruieren:
1. α ist für a und b differenzierbar,
2. α(a) = p, α(b) = q, α̇(a) = (p, v), α̇(b) = (q, v),
3. α(t) 6∈ S für a < t < b.
Dann gilt nämlich für N = ∇f / k ∇f k nach (2)
(f ◦ α)′ (a) = ∇f (α(a)) · α̇(a) =k ∇f (p) k N(p) · (p, v) =k ∇f (p) k N (p) · v
19
Die Gaußsche Abbildung
und entsprechend
(f ◦ α)′ (b) =k ∇f (q) k N (q) · v.
Für N = −∇f / k ∇f k gilt der gleiche Schlu. Wäre also N (q) = N (p),
dann wäre f ◦ α an beiden Endpunkten monoton steigend oder an beiden
Endpunkten monoton fallend. Da f ◦α(a) = f ◦α(b) = c müten t1 , t2 ∈ (a, b)
mit f ◦ α(t1 ) > c und f ◦ α(t2 ) < c existieren. Nach dem Zwischenwertsatz
existierte dann ein t3 mit f ◦ α(t3 ) = c im Widerspruch zu (3).
Abbildung 6.2: Konstruktion von α
Es bleibt die Konstruktion von α. Wegen der Kompaktheit von S existiert eine Kugel B, so da S im Inneren von B liegt. Sei jetzt α1 (t) = p + tv
(0 ≤ t ≤ a1 ), wobei a1 so gewählt ist, da α1 (a1 ) ∈ ∂B gilt. Weiter sei
α2 (t) = q − tv (0 ≤ t ≤ a2 ), wobei a2 so gewählt ist, da α2 (a2 ) ∈ ∂B gilt.
Schlielich sei α3 : [b1 , b2] → ∂B ein stetiger Weg mit α3 (b1 ) = α1 (a1 ) und
α3 (b2 ) = α2 (a2 ). Solch ein stetiger Weg existiert sicher, da ∂B = S n sicher
für n ≥ 1 zusammenhängend ist. Dann hat die Abbildung α, die definiert
ist durch

(0 ≤ t ≤ a1 )
 α1 (t)
α(t) =
α3 (t + b1 − a1 )
(a1 ≤ t ≤ a1 + b2 − b1 )

α2 (a1 + a2 + b2 − b1 − t) (a1 + b2 − b1 ≤ t ≤ a1 + a2 + b2 − b1 )
die gewünschten Eigenschaften:
Stetigkeit, (1) und (2) sind offensichtlich und (3) ist erfüllt, da
(i) α1 (t) 6∈ S für t > 0 da (g ◦ α)′ (t) = ∇g(α1 (t)) · α̇1 (t) = v · v >0, also
g längs α1 monoton wachsend ist, aber g sein Maximum auf S für
p = α1 (0) annimmt.
(ii) α2 (t) 6∈ S für t > 0
20
Die Gaußsche Abbildung
(iii) α3 (t) 6∈ S für t ∈ [b1 , b2 ], da α3 (t) ∈ ∂B aber ∂B ∩ S = ∅.
qed
21
Kapitel 7
Geodätische Linien
Geodätische Linien spielen für n-Flächen die gleiche Rolle wie Geraden im
Rn . Zu ihrer Einführung wird der Begriff der Differentiation längs einer
parametrisierten Kurve benötigt:
7.1 Definition [Vektorfeld längs einer Kurve]. Ein Vektorfeld X
längs einer parametrisierten Kurve α : I → Rn+1 ist eine Abbildung, die
für alle
jedem t ∈ I einen Vektor X(t) an α(t) zuordnet, d.h. X(t) ∈ Rn+1
α(t)
t ∈ I. Eine Funktion f längs α ist eine Abbildung f : I → R.
7.2 Beispiel. Für eine parametrisierte Kurve α ist der Geschwindigkeitsvektor α̇ ein Vektorfeld längs α. Sein Betrag kα̇k : I → R, der durch
kα̇k(t) = kα̇(t)k für alle t ∈ I definiert ist, ist eine Funktion längs α. kα̇k
heißt Geschwindigkeit von α.
7.3 Beispiel. Vektorfelder längs α entstehen häufig durch Einschränkungen: Ist X ein Vektorfeld auf U , U ⊂ Rn+1 , U offen und bild α ⊂ U , dann
ist X ◦ α ein Vektorfeld längs α.
• Ein Vektorfeld X längs α hat die Gestalt
X(t) = (α(t), X1 (t), . . ., Xn+1 (t)),
wobei jede Komponente Xi eine Funktion längs α ist. X heißt glatt, falls
jedes Xi glatt ist.
7.4 Definition [Ableitung längs einer Kurve]. Die Ableitung eines
glatten Vektorfeldes X längs einer Kurve α ist das Vektorfeld Ẋ längs α,
das durch
dXn+1
dX1
(t), . . . ,
(t))
Ẋ(t) = (α(t),
dt
dt
gegeben ist.
22
Geodätische Linien
7.5 Beispiel. Die Beschleunigung α̈ einer parametrisierten Kurve α ist das
Vektorfeld längs α, das man durch Differentiation des Geschwindigkeitsfeldes
längs α erhält.
Abbildung 7.1: Geschwindigkeitsvektorfeld α̇ einer parametrisierten Kurve
α und Beschleunigung α̈ in einem Punkt
Man prüft leicht nach, das die Differentiation eines Vektorfeldes längs parametrisierten Kurven die folgenden Eigenschaften hat:
7.6 Lemma. Für glatte Vektorfelder X und Y längs einer parametrisierten
Kurve α : I → Rn+1 und eine glatte Funktion f längs α gilt:
˙ Y) = Ẋ + Ẏ,
1. (X +
2. (f ˙X) = f ′ X + f Ẋ,
3. (X · Y)′ = Ẋ · Y + Ẋ · Y,
wobei X + Y, f X und X · Y durch
(X + Y)(t) = X(t) + Y(t),
(f X)(t) = f (t)X(t),
(X · Y)(t) = X(t) · Y(t)
für alle t ∈ I definiert sind.
7.7 Definition [Geodätische]. Eine geodätische Linie oder kurz Geodätische auf einer n-Fläche S ⊂ Rn+1 ist eine parametrisierte Kurve α : I → S
⊥ für alle t ∈ I.
mit α̈(t) ∈ Sα(t)
• Bei einer Geodätischen ist die Beschleunigung also überall orthogonal zu S,
d.h. die Beschleunigung dient nur dazu die Kurve auf der Fläche zu halten.
• Geodätische Linien haben eine konstante Geschwindigkeit:
d
d
kα̇(t)k2 = (α̇(t) · α̇(t)) = 2α̇(t) · α̈(t) = 0.
dt
dt
23
Geodätische Linien
Abbildung 7.2: Geodätische Linien α(t) = (cos(at + b), sin(at + b), ct + d) auf
dem Zylinder x21 + x22 = 1 für a = 0, c = 0 und a 6= 0, c 6= 0
7.8 Beispiel. Enthält eine n-Fläche S eine Strecke α(t) = p + tv, t ∈ I,
dann ist die Strecke eine Geodätische in S, wie sofort aus α̈(t) = 0 folgt.
7.9 Beispiel. Für a, b, c, d ∈ R ist die parametrisierte Kurve
α(t) = (cos(at + b), sin(at + b), ct + d)
eine Geodätische auf dem Zylinder x21 + x22 = 1 im R3 wegen
α̈(t) = (α(t), −a2 cos(at + b), −a2 sin(at + b), 0) = ±a2 N(α(t))
für alle t ∈ R.
7.10 Beispiel. Für jedes Paar orthogonaler Einheitsvektoren {e1 , e2 } im
R3 und jedes a ∈ R ist der Großkreis bzw. Punkt
α(t) = (cos at)e1 + (sin at)e2
eine Geodätische auf der 2-Sphäre x21 + x22 + x23 = 1 im R3 wegen α̈(t) =
(α(t), −a2 α(t)) = ±a2 N(α(t)) für alle t ∈ R.
7.11 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 , p ∈ S und v ∈Sp. Dann existiert
ein offenes Intervall I mit 0 ∈ I und eine Geodätische α : I → S mit
(i) α(0) = p und α̇(0) = v.
(ii) Ist β : I˜ → S eine weitere Geodätische auf S mit β(0) = p und
β̇(0) = v, dann gilt I˜ ⊂ I und β(t) = α(t) für alle t ∈Ĩ.
α heißt maximale Geodätische auf S durch p mit Anfangsgeschwindigkeitsvektor v.
24
Geodätische Linien
Beweis: Sei S = f −1 (c) für eine glatte Funktion f : U → R, U ⊂ Rn+1
offen, c ∈ R und ∇f (p) 6= 0 für alle p ∈ U . Sei N = ∇f /k∇f k.
Nach Definition ist α : I → S genau dann eine Geodätische, falls ihre
Beschleunigung überall orthogonal zu S ist, also mit einer Funktion g : I →
R
α̈(t) = g(t)N(α(t)) für alle t ∈ I
gilt. Bildung des Skalarproduktes der Gleichung mit N(αt)) ergibt
g = α̈ · N ◦ α = (α̇ · N ◦ α)′ − α̇ · N ˙◦ α = −α̇ · N ˙◦ α
wegen α̇ · N ◦ α = 0. Damit ist α : I → S genau dann eine Geodätische,
wenn sie der Differentialgleichung
α̈ + (α̇ · N ˙◦ α)(N ◦ α) = 0
(7.1)
genügt.
Dies ist ein System von Differentialgleichungen zweiter Ordnung für α.
Für α(t) = (x1 (t), . . ., xn+1 (t)) und
N ◦ α = (α, N1(x1 , . . ., xn+1 ), . . . , Nn+1 (x1 , . . . , xn+1 ))
lautet dieses ausgeschrieben
n+1
X
dxj dxk
∂Nj
d2 xi
+
(x1 , . . ., xn+1 )
= 0.
Ni(x1 , . . ., xn+1 )
2
dt
∂xk
dt dt
j,k=1
Nach dem Existenzsatz für die Lösungen solcher Gleichungen existiert ein
offenes Intervall I1 mit 0 ∈ I1 und eine Lösung β1 : I1 → U von (7.1), die
den Anfangsbedingungen β1 (0) = p und β̇1 (0) = v genügt.
Weiter ist diese Lösung in dem Sinn eindeutig, daß für eine weitere
Lösung β2 : I2 → U , 0 ∈ I2 , von (7.1) mit β2 (0) = p und β̇2 (0) = v
β1 (t) = β2 (t) für alle t ∈ I1 ∩ I2 gilt. Wie im Beweis von Satz 2.7 folgt
die Existenz eines maximalen Intervalls I und einer eindeutigen Lösung
α : I → U von (7.1) mit α(0) = p und α̇(0) = v. Ist weiter β : I˜ → U
eine weitere Lösung von (7.1) mit β(0) = p und β̇(0) = v, so ist β die
Einschränkung von α auf I.
Es bleibt zu zeigen, daß die Lösung α von (7.1) eine Kurve in S ist.
Zunächst gilt für jede Lösung α : I → U von (7.1) α̇ · N ◦ α = 0 wegen
(α̇ · N ◦ α)′ = α̈ · N ◦ α + α̇ · N ˙◦ α = 0
nach (7.1). Also ist α̇ · N ◦ α konstant längs α und
(α̇ · N ◦ α)(0) = v · N(p) = 0
25
Geodätische Linien
wegen v ∈ Sp und N(p) ⊥ Sp . Es folgt
(f ◦ α)′ (t) = ∇f (α(t)) · α̇(t) = k∇f (α(t))kN(α(t)) · α̇(t) = 0
für alle t ∈ I. Damit ist f ◦ α konstant und f (α(0)) = f (p) = c, also
f (α(t)) = c für alle t ∈ I, d.h. bild α ⊂ f −1 (c) = S. qed
• Nach diesem Satz ist jede maximale Geodätische auf der Einheitszweisphäre im R3 ein Großkreis oder ein Punkt. Ebenso sind alle maximalen
Geodätischen auf dem Zylinder x21 + x22 = 1 im R3 gegeben durch: vertikale
Gerade, horizontaler Kreis, Schraubenlinie, Konstante.
26
Kapitel 8
Parallelverschiebung
8.1 Definition [Tagentailes Vektorfeld längs einer Kurve]. Ein
Vektorfeld X längs einer parametrisierten Kurve α : I → S auf einer
n-Fläche S heißt tangential zu S längs α, falls X(t) ∈ Sα(t) für alle t ∈ I.
Die Ableitung Ẋ von X ist im Allgemeinen nicht tangential zu S. Man erhält
aber durch Projektion von Ẋ ein tangentiales Vektorfeld:
8.2 Definition [Covariante Ableitung]. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 ,
α : I → S eine parametrisierte Kurve in S, X ein glattes Vektorfeld tangential zu S längs α. Die covariante Ableitung von X ist das Vektorfeld X′
tangential zu S längs α, das durch
X′ (t) = Ẋ(t) − [Ẋ(t) · N(α(t))]N(α(t))
definiert ist, wobei N eine Orientierung von S ist.
• Offensichtlich ist die covariante Ableitung von der Orientierung unabhängig.
Die folgenden Eigenschaften der covarianten Ableitung folgen unmittelbar aus der Definition:
8.3 Lemma. Seien X, Y glatte, zu S tangentiale Vektorfelder längs α und
f eine glatte Funktion längs α. Dann gilt
i) (X + Y)′ = X′ + Y ′ ,
ii) (f X)′ = f ′ X + f X′ ,
iii) (X · Y)′ = X′ · Y + X·Y ′ .
Beweis: Z.B. zeigt folgende Rechnung (iii):
(X · Y)′ = Ẋ · Y + X · Ẏ
= [X′ + (Ẋ · N ◦ α)N ◦ α] · Y + X · [Y ′ + (Ẏ · N ◦ α)N ◦ α] = X′ · Y + X · Y ′
qed
27
Parallelverschiebung
Anschaulich mißt die covariante Ableitung X′ die Veränderung von X, wie
sie von der Fläche aus gesehen wird. Nach Definition ist eine parametrisierte
Kurve α : I → S genau dann eine Geodätische in S, wenn ihre covariante
Beschleunigung (α̇)′ Null längs α ist.
• Im Rn+1 heißen Vektoren v = (p, v) ∈ Rn+1
und w = (q, w) ∈ Rn+1
p
q
euklidisch parallel, falls v = w. Ein Vektorfeld X längs einer parametrisierten
Kurve α : I → Rn+1 ist euklidisch parallel, falls für X(t) = (α(t), X(t)), X(t)
konstant ist, d.h. Ẋ = 0 gilt.
Abbildung 8.1: Zwei euklidisch parallele Vektoren und ein längs einer Kurve
euklidisch paralleles Vektorfeld
8.4 Definition [Levi-Civita parallel]. Zu einer gegebenen n-Fläche S im
Rn+1 und einer parametrisierten Kurve α : I → S heißt ein glattes Vektorfeld X tangential zu S längs α Levi-Civita parallel oder einfach parallel, falls
X′ = 0.
Abbildung 8.2: Levi-Civita paralleles Vektorfeld längs geodätischer Linien
auf der 2–Sphäre
• Anschaulich ist X parallel längs α, falls X von S aus gesehen ein konstantes
Vektorfeld ist.
• Der Levi-Civita-Parallelismus hat die folgenden “trivialen” Eigenschaften:
28
Parallelverschiebung
(i) Ist X parallel längs α, dann ist die Länge von X konstant wegen
d
d
kXk2 = (X · X) = 2X′ · X = 0.
dt
dt
(ii) Sind X, Y parallele Vektorfelder längs α, dann ist X · Y konstant
längs α wegen
(X · Y)′ = X′ · Y + X · Y′ = 0.
(iii) Sind X, Y parallel längs α, dann ist der Winkel arccos(X·Y/kXkkYk)
zwischen X und Y konstant längs α.
(iv) Sind X, Y parallel längs α, dann sind es auch X+Y und cX für c ∈ R.
(v) Das Geschwindigkeitsvektorfeld längs einer parametrisierten Kurve α
in S ist genau dann parallel, wenn α eine Geodätische ist.
8.5 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 , α : I → S eine parametrisierte
Kurve in S, t0 ∈ I und v ∈ Sα(t0 ). Dann existiert ein eindeutig bestimmtes
Vektorfeld V tangential zu S längs α, das parallel ist und V(t0 ) = v genügt.
Beweis: Gesucht ist ein Vektorfeld V tangential zu S längs α, das V ′ = 0
genügt. Es ist jedoch
V ′ = V̇−(V̇·N◦α)N◦α = V̇−[(V·N◦α)′−V·N ˙◦ α]N◦α = V̇+(V·N ˙◦ α)N◦α.
Damit gilt V ′ = 0 genau dann, wenn V der Differentialgleichung
V̇ + (V · N ˙◦ α)N ◦ α = 0
(8.1)
genügt.
Dies ist eine Differentialgleichung erster Ordnung für V. Explizit ist sie
für V(t) = (α(t), V1t), . . . , Vn+1 (t)) das System von Differentialgleichungen
erster Ordnung
n+1
dVi X
(Ni ◦ α)(Nj ◦ α)′ Vj = 0,
+
dt
j=1
wobei die Nj , j = 1, . . . , n + 1, die Komponenten von N sind.
Nach dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz für die Lsungen von Systemen von Differentialgleichungen erster Ordnung, existiert ein eindeutig
bestimmtes Vektorfeld V längs α, daß (8.1) zusammen mit der Anfangsbedingung V(t0 ) = v genügt.
Es bleibt zu zeigen, daß V tangential zu S längs α ist und das V auf
ganz I definiert ist. Nach (8.1) gilt jedoch
(V · N ◦ α)′ = V̇ · N ◦ α + V · N ˙◦ α = [−(V · N ˙◦ α)N ◦ α] · N ◦ α + V · N ˙◦ α
= −V · N ˙◦ α + V · N ˙◦ α = 0.
29
Parallelverschiebung
Daher ist V·N◦α konstant längs α und wegen (V·N◦α)(t0) = v·N(α(t0 )) =
0 ist diese Konstante Null. Schließlich ist dieses Vektorfeld V tangential zu
S längs α parallel, da es (8.1) genügt.
qed
8.6 Korollar. Sei S eine 2-Fläche im R3 und α : I → S eine Geodätische
auf S mit α̇ 6= 0. Dann ist ein zu S längs α tangentiales, glattes Vektorfeld X
genau dann parallel längs α wenn sowohl kXk als auch der Winkel zwischen
X und α̇ konstant längs α sind.
Beweis: “nur dann” folgt unmittelbar aus den Eigenschaften (i) und (ii) der
Definition. “dann” folgt leicht: Da Sp zweidimensional ist, für das parallele
Vektorfeld V, das V(t0 ) = X(t0 ) genügt, nach (i) und (ii) V = ±X(t). Da
V und X glatt sind, gilt überall “+”. qed
• Der Parallelismus kann dazu verwendet werden, um tangentiale Vektoren
von einem Punkt einer Fläche in einen anderen zu verschieben.
8.7 Definition [Parametrisierte Kurve zu zwei Punkten]. Seien p
und q zwei Punkte in einer n-Fläche S. Eine parametrisierte Kurve in S von
p nach q ist eine glatte Abbildung α : [a, b] → S mit α(a) = p und α(b)=q.
8.8 Definition [Parallelverschiebung]. Jede parametrisierte Kurve α :
[a, b] → S von p nach q bestimmt eine Abbildung Pα : Sp → Sq durch
Pα (v) = V(b),
wobei für v ∈ Sp , V das eindeutig bestimmte parallele Vektorfeld längs
α mit V(a) = v ist. Pα (v) heißt die Parallelverschiebung oder parallele
Translation von v längs α nach q.
8.9 Beispiel. S = S 2 (Einheits-2-Sphäre), αθ : [0, π] → S 2 , αθ (t) =
(cos θ sin t, sin θ sin t, cos t), p = (0, 0, 1), q = (0, 0, −1), v = (p, 1, 0, 0) ∈ Sp2 .
Da αθ Geodätische ist, erhält man
Vθ (t) = (cos θ)α̇θ (t) − (sin θ)N(αθ (t)) × α̇θ (t).
Also
Pαθ (v) = Vθ (π)
= (cos θ)(q, − cos θ, − sin θ, 0) − (sin θ)(q, − sin θ, cos θ, 0)
= −(q, cos 2θ, sin 2θ, 0).
• Man sieht, daß die Parallelverschiebung von p nach q vom Weg abhängt.
30
Parallelverschiebung
Abbildung 8.3: Parallelverschiebung längs geodätischer Linien auf der 2–
Sphäre
8.10 Definition [Stückweise glatt]. Die stetige Abbildung α : [a, b] → S
heißt stückweise glatte parametrisierte Kurve in S, falls für a = t0 < t1 <
. . . < tk+1 die Einschränkung von α auf [ti , ti+1 ] glatt ist.
• Tangentiale Vektoren v ∈Sp knnen auch längs stückweise glatter Kurven
verschoben werden: Die Parallelverschiebung von v ∈Sα(a) längs α nach α(b)
erhält man, indem man v längs α parallel nach Sα(t1 ) verschiebt, diesen
Vektor längs α nach Sα(t2) usw. bis schließlich nach Sα(b).
8.11 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 , p, q ∈ S und α eine stückweise
glatte parametrisierte Kurve von p nach q. Dann ist die Parallelverschiebung
Pα : Sp → Sq längs α ein Vektorraumisomorphismus, der das Skalarprodukt
erhält, d.h.
i) Pα ist linear.
ii) Pα ist bijektiv.
iii) Pα (v) · Pα (w) = v · w für alle v, w ∈Sp .
Beweis: (i) folgt unmittelbar aus der Eigenschaft (iv) der Parallelverschiebung. (iii) folgt aus der Eigenschaft (ii) der Parallelverschiebung. Jede Abbildung mit (i) und (iii) ist injektiv, so daß aus Dimensionsgründen (ii) folgt.
qed
31
Kapitel 9
Die Weingartenabbildung
Das lokale Krümmungsverhalten auf einer n-Fläche im Rn+1 in einem Punkt
wird durch die Veränderung der Normalen bei Änderung des Punktes in einer
Richtung beschrieben. Dazu ist es notwendig Vektorfelder auf n-Flächen zu
differenzieren.
• Für eine glatte Funktion f , die auf einer offenen Menge U ⊂ Rn+1 definiert
ist, ist die Ableitung von f in Bezug auf v ∈ Rn+1
definiert durch
p
∇v f = (f ◦ α)′ (t0 ),
wobei α : I → U eine parametrisierte Kurve in U mit α(t0 ) = p und
α̇(t0 ) = v ist. Dabei hängt nach der Kettenregel der Wert der Ableitung
nicht von der Wahl von α ab:
∇v f = (f ◦ α)′ (t0 ) = ∇f (α(t0 )) · α̇(t0 ) = ∇f (p) · v.
• Die Formel zeigt ebenso, dass die Abbildung, die v auf ∇v f abbildet,
linear ist, d.h. es gilt
∇v+w f = ∇v f + ∇w f,
∇cv f = c∇v f
für alle v, w ∈ Rn+1
und c ∈ R. Für kvk = 1 heißt ∇v f Richtungsableitung
p
von f an p in Richtung v.
• Für eine n-Fläche S im Rn+1 und eine glatte Funktion f : S → R ist
ihre Ableitung in Bezug auf einen zu S tangentialen Vektor v entsprechend
durch
∇v f = (f ◦ α)′ (t0 )
definiert, wobei α : I → S eine parametrisierte Kurve in S mit α(t0 ) = p
und α̇(t0 ) = v ist. Der Wert von ∇v f ist unabhängig von der Wahl von α
wegen
∇v f = (f˜ ◦ α)′ (t0 ) = ∇v f˜(α(t0 )) · α̇(t0 ) = ∇f˜(p) · v,
wobei f˜ : U → R irgendeine glatte Funktion auf einer offenen Menge U
mit S ⊂ U ist, deren Einschränkung auf S die Funktion f ist. Aus der
32
Die Weingartenabbildung
Formel folgt ebenso, dass die Abbildung, die v auf ∇v f abbildet, eine lineare
Abbildung von Sp nach R ist.
9.1 Definition [Ableitung eines Vektorfeldes]. Die Ableitung eines
glatten Vektorfeldes X auf einer offenen Menge U ⊂ Rn+1 in Bezug auf
einen Vektor v ∈ Rn+1
, p ∈ U , ist durch
p
∇v X = (X ◦˙ α)(t0 )
definiert, wobei α : I → U irgendeine glatte Kurve in U mit α̇(t0 ) = v ist.
Für ein glattes Vektorfeld X auf einer n-Fläche S im Rn+1 und einen
tangentialen Vektor v ist ∇v X nach der gleichen Formel definiert, wobei α
eine glatte Kurve in S mit α̇(t0 ) = v ist.
• In beiden Fällen gilt ∇v X ∈ Rn+1
und
p
∇v X = (α(t0 ), (X1 ◦ α)′ (t0 ), . . ., (Xn+1 ◦ α)′ (t0 )) = (p, ∇vX1 , . . . , ∇v Xn+1 ),
wobei Xi die Komponenten von X sind. Insbesondere hängt der Wert von
∇v X nicht von der Wahl von α ab.
• Seien X, Y auf U (bzw auf S) glatte Vektorfelder und sei f : U → R (bzw.
f : S → R) eine glatte Funktion. Dann gilt:
i) ∇v (X + Y) = ∇v X + ∇v Y,
ii) ∇v (f X) = (∇v f )X(p) + f (p)(∇v X),
iii) ∇v (X · Y) = (∇v X) · Y(p) + X(p) · (∇v Y)
Weiterhin ist die Abbildung, die v nach ∇v X abbildet, eine lineare Abbildung des Rn+1
in den Rn+1
, falls X ein Vektorfeld auf einer offenen Menge
p
p
U ist, und von Sp in den Rn+1
, falls X ein Vektorfeld auf einer n-Fläche S
p
ist.
• Für ein tangentiales Vektorfeld X auf einer n-Fläche S ist die Ableitung
∇v X in Bezug auf einen tangentialen Vektor v ∈ Sp für p ∈ S im Allgemeinen nicht tangential zu S ist. Es wird daher die tangentiale Komponente
Dv X von ∇v X betrachtet:
Dv X = ∇v X − (∇v X · N(p))N(p),
wobei N eine Orientierung von S ist. Dv X heißt covariante Ableitung des
tangentialen Vektorfeldes X in Bezug auf v ∈ Sp .
• Es gilt
Dv X = (X ◦ α)′ (t0 ),
wobei α : I → S irgendeine parametrisierte Kurve in S mit α̇(t0 ) = v ist,
d.h., Dv X ist gleich der covarianten Ableitung von X längs α in t0 . Die
covariante Ableitung hat die Eigenschaften i)-iii) von oben, wobei ∇ durch
33
Die Weingartenabbildung
D ersetzt ist. Weiterhin ist für jedes glatte tangentiale Vektorfeld X auf S
die Abbildung, die v auf Dv X abbildet, eine lineare Abbildung von Sp in
den Sp .
Jetzt kann die Änderungsrate der Normalenrichtung N auf einer orientierten n-Fläche S im Rn+1 untersucht werden: Für p ∈ S und v ∈Sp ist
∇v N tangential zu S wegen
0 = ∇v (1) = ∇v (N · N) = 2(∇v N) · N(p).
9.2 Definition [Weingarten-Abbildung]. Die lineare Abbildung Lp :
Sp → Sp , die durch
Lp (v) = −∇v N
definiert ist, heißt Weingarten-Abbildung von S an der Stelle p.
Abbildung 9.1: Die Weingartenabbildung Lp (v) = −(N ˙◦ α)(t0 ).
• Die geometrische Bedeutung von Lp ergibt sich aus der Formel
∇v N = −(N ˙◦ α)(t0 ),
wobei α : I → S irgendeine parametrisierte Kurve in S mit α̇(t0 ) = v ist:
Lp (v) misst die Drehrate von N beim Durchgang durch p längs solch einer
Kurve α. Da N Normaleneinheitsvektor von Sp ist, kann man Lp (v) ebenso
als Drehrate der Tangentialebene beim Durchgang durch p längs α auffassen.
Lp enthält also Information über die Gestalt von S.
• Zur Berechnung von Lp(v) dient die Formel
Lp (v) = −∇v N = −(p, ∇v N1 , . . . , ∇v Nn+1 )
= −(p, ∇Ñ1(p) · v, . . . , ∇Ñn+1 (p) · v)
34
Die Weingartenabbildung
wobei Ñ irgendein glattes Vektorfeld ist, das auf einer offenen Menge U ⊃ S
definiert ist und Ñ(q) = N(q) für alle q ∈ S genügt. Insbesondere braucht
Ñ(q) für q 6∈ S kein Einheitsvektor zu sein.
• Für f : U → R mit S = f −1 (c) für ein c ∈ R und N(q) = ∇f (q)/k∇f (q)k
ist es natürlich Ñ = ∇f /k∇f k zu wählen. Z.B. im folgenden Beispiel ist
eine andere Wahl von Ñ geeigneter:
9.3 Beispiel. Sei S die n-Sphäre x21 + . . . + x2n+1 = r 2 mit Radius r > 0,
orientiert durch das innere Normaleneinheitsfeld N:
N(q) = (q, −q/kqk) = (q, −q/r)
für q ∈ S. Mit Ñ(q) = (q, −q/r), q ∈ Rn+1 , ergibt sich für p ∈ S, v ∈ Sp
Lp (v) = −∇v N = −(p, ∇v Ñ1 , . . ., ∇v Ñn+1 )
x1
xn+1
= −(p, ∇v (− ), . . . , ∇v (−
))
r
r
1
1
1
= (p, ∇v (x1 ), . . . , ∇v (xn+1 )) = (p, v1, . . . , vn+1 ) = v.
r
r
r
• Für die n-Sphäre mit Radius r ist die Weingartenabbildung also einfach
die Multiplikation mit r1 . Die Weingartenabbildung hängt von der Wahl der
Orientierung ab: Orientiert man S durch die äußere Normale −N, so ist die
Weingartenabbildung die Multiplikation mit -1/r.
Die folgenden Sätze zeigen wichtige Eigenschaften der Weingartenabbildung.
9.4 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 , die durch ein Einheitsnormalenfeld
N orientiert ist. Seien p ∈ S und v ∈ Sp . Dann gilt für jede parametrisierte
Kurve α : I → S mit α̇(t0 ) = v für ein t0 ∈ I
α̈(t0 ) · N(p) = Lp(v) · v.
• Nach dem Satz ist die Normalkomponente α̈(t0 ) · N(p) der Beschleunigung
für alle parametrisierten Kurven α in durch p mit Geschwindigkeitsvektor
v gleich. Diese Komponente der Beschleunigung wird durch die Gestalt der
Fläche im Punkt p erzwungen. Ist α speziell eine Geodätische, so ist die
gesamte Beschleunigung normal zur Fläche und diese Beschleunigung ist
durch die Gestalt der Fläche erzwungen. In diesem Sinn ist die Geodätische
α durch p mit Tangentialvektor v die “geradeste” Kurve in S mit dieser
Eigenschaft. Beweis: Da α eine parametrisierte Kurve in S ist, gilt α̇(t) ∈
Sα(t) = [N(α(t))]⊥ für alle t ∈ I, d.h. α̇ · (N ◦ α) = 0 längs α. Also
0 = [α̇ · (N ◦ α)]′ (t0 ) = α̇(t0 ) · (N ˙◦ α)(t0 ) + α̈(t0 ) · (N ◦ α)(t0 )
= α̈(t0 ) · N(α(t0 )) + v · ∇v N = α̈(t0 ) · N(p) − v · Lp (v),
so dass α̈(t0 ) · N(p) = Lp (v) · v folgt. qed
35
Die Weingartenabbildung
Abbildung 9.2: Normalkrümmung verschiedener Kurven durch einen Punkt
P mit gleichem Geschwindigkeitsvektor v, β ist eine Geodätische
9.5 Satz. Die Weingartenabbildung ist selbstadjungiert, d.h. es gilt
Lp (v) · w = v · Lp(w)
für alle v, w ∈ Sp .
Beweis: Sei f : U → R (U ⊂ Rn+1 offen) mit S = f −1 (c) für ein c ∈ R und
sei N(p) = ∇f (p)/k∇f (p)k für alle p ∈ S. Dann gilt
Lp(v) · w = (−∇v N) · w
∇f
)·w
= −∇v (
k∇f k
1
1
= −[∇v (
)∇f (p) +
∇v (∇f )] · w
k∇f k
k∇f k
1
1
)∇f (p) · w −
[∇v (∇f )] · w
= −∇v (
k∇f k
k∇f (p)k
Der erste Summand ist Null wegen w ∈ Sp und deshalb
1
∂f
∂f
Lp(v) · w = −
, . . . , ∇v
·w
p, ∇v
k∇f (p)k
∂x1
∂xn+1
∂f
∂f
1
)(p) · v, . . ., ∇(
)(p) · v · w
p, ∇(
=−
k∇f (p)k
∂x1
∂xn+1
!
n+1
n+1
X
X
∂2f
1
∂2f
=−
p,
(p)vi, . . . ,
(p)vi · w
k∇f (p)k
∂xi∂x1
∂xi ∂xn+1
i=1
=−
1
k∇f (p)k
n+1
X
i,j=1
i=1
∂2f
(p)viwj
∂xi ∂xj
36
Die Weingartenabbildung
mit v = (p, v1 , . . . , vn+1 ) und w = (p, w1, . . . , wn+1 ).
Die gleiche Rechnung mit v und w vertauscht zeigt
n+1
X ∂ 2f
1
(p)wivj .
Lp (w) · v = −
k∇f (p)k
∂xi∂xj
i,j=1
Damit folgt die Behauptung unmittelbar aus
∂ 2f
∂ 2f
=
. qed
∂xi ∂xj
∂xj ∂xi
37
Kapitel 10
Die Krümmung ebener
Kurven
Sei C = f −1 (c) mit f : U → R, U ⊂ R2 offen, eine ebene Kurve, die durch
N = ∇f /k∇f k orientiert ist. Dann ist für jedes p ∈ C die Weingartenabbildung Lp eine lineare Transformation des eindimensionalen Raums Cp . Daher
existiert zu jedem p ∈ C ein κ(p) mit
Lp(v) = κ(p)v für alle v ∈ Cp .
10.1 Definition [Krümmung einer Kurve]. Das
Krümmung von C in p.
obige
κ(p)
heißt
• Ist v 6= 0 irgendein tangentialer Vektor an die ebene Kurve C in p ∈ C,
dann gilt
Lp (v) · v = κ(p)kvk2,
und daher für die Krümmung die Formel
κ(p) = Lp (v) · v/kvk2.
• Ist insbesondere α : I → C irgendeine parametrisierte Kurve in C mit
α̇(t) 6= 0 für alle t ∈ I, dann gilt nach Satz 9.4
κ(α(t)) =
Lp (α̇(t)) · α̇(t)
α̈(t) · N(α(t))
=
.
2
kα̇(t)k
kα̇(t)k2
Ist α eine parametrisierten Kurve mit Geschwindigkeit 1 in C, dann mißt
κ(α(t)) die Normalkomponente der Beschleunigung. Man beachte insbesondere die Bedeutung des Vorzeichens von κ(p): Für κ(p) > 0 dreht sich die
Kurve in p in Richtung ihrer Normalen (Orientierung) N(p), für κ(p) < 0
dreht sie sich von N(p) weg.
• Eine parametrisierte Kurve α : I → C heißt konsistent zu C orientiert, falls
α̇(t) 6= 0 für alle t ∈ I und man die Tangentenrichtung durch Drehung der
38
Die Krümmung ebener Kurven
Normalen von C um −π/2 erhält (im Uhrzeigersinn!), d.h., die Determinante
aus α̇(t) und N(α(t)) ist positiv.
• Zu einer orientierten ebenen Kurve C und p ∈ C ist die Parametrisierung
eines Segments von C, das p enthält, eine parametrisierte Kurve α : I → C
mit
i) α ist regulär, d.h. α̇(t) 6= 0 für alle t ∈ I,
ii) α ist zu C konsistent orientiert,
iii) p ∈ α(I).
Ist α surjektiv, so heißt α globale Parametrisierung von C. Im Allgemeinen
heißt α lokale Parametrisierung von C.
• Aus einer lokalen Parametrisierung läßt sich aus der obigen Formel mit
κ ◦ α = (α̈ · N ◦ α)/kα̇k2
die Krümmung berechnen.
• Lokale Parametrisierungen von ebenen Kurven lassen sich im Prinzip leicht
erhalten: Ist C = f −1 (c) durch N = ∇f /k∇f k orientiert, dann ist ∇f (q) =
(q, (∂f /∂x1)(q), (∂f /∂x2)(q)) zu Cq für jedes q ∈ C orthogonal. Daher ist
das Vektorfeld X, gegeben durch X(q) = (q, (∂f /∂x2)(q), −(∂f /∂x1)(q)) ein
tangentiales Vektorfeld, das zur Orientierung von C konsistent ist. Daher ist
zu jedem p ∈ C die maximale Integralkurve α : I → C von X, die p enthält,
eine Parametrisierung eines Segments von C, die p enthält.
• Ersetzt man in dieser Konstruktion ∇f durch N = ∇f /k∇f k, dann wird
α eine Parametrisierung eines Segmentes von C, das p enthält, mit Einheitsgeschwindigkeit wegen
kα̇(t)k = kX(α(t))k = kN(α(t))k = 1 für alle t ∈ I.
• Lokale Parametrisierungen von ebenen Kurven sind bis auf Umparametrisierung eindeutig bestimmt, d.h., ist β : I˜ → C eine konsistente Parametrisierung eines Segments von C, so existiert eine glatte Funktion h : I˜ → R
˜ so daß β(t) = α(h(t)) für alle t ∈ I˜ gilt, wobei α
mit h′ (t) > 0 für alle t ∈ I,
die oben konstruierte lokale Parametrisierung mit Einheitslänge ist. Beweis:
Nach Analysis III läßt sich jede parametrisierte Kurve nach der Bogenlänge
parametrisieren.
10.2 Beispiel. Sei C der Kreis f −1 (r 2 ) mit f (x1 , x2 ) = (x1 − a)2 + (x2 −
b)2 , der durch die äußere Normale ∇f /k∇f k orientiert ist. Wegen ∇f (p) =
(p, 2(x1 − a), 2(x2 − b)) für p = (x1 , x2 ) ∈ R2 , sind die Integralkurven von
X(p) = (p, 2(x2 − b), −2(x1 − a)) lokale Parametrisierungen von C. Die
39
Die Krümmung ebener Kurven
Integralkurve durch (a + r, b) ergibt die globale Parametrisierung α(t) =
(a + r cos 2t, b − r sin 2t). Damit ergibt sich
κ(αt)) =
α̈(t)
∇f (α(t))
α̈(t) · N(α(t))
=
·
= −1/r.
2
2
kα̇(t)k
kα̇(t)k k∇f (α(t))k
Wäre C durch die innere Normale orientiert, wäre die Krümmung 1/r in
jedem Punkt.
• Zu einer beliebigen orientierten ebenen Kurve C und p ∈ C mit κ(p) 6= 0
existiert ein eindeutig bestimmter orientierter Kreis O, der Krümmungskreis
von C an p genannt wird und
(i) in p an C tangential ist, d.h. Cp = Op,
(ii) zu C konsistent orientiert ist, d.h. N(p) = N1 (p), wobei N bzw N1
die Orientierungen von C bzw O sind,
(iii) dessen Normale sich mit der gleichen Geschwindigkeit an O wie die
Normale an C dreht (d.h. ∇v N = ∇v N1 für alle v ∈ Cp = Op).
Dieser Krümmungskreis ist der Kreis, der sich unter allen Kreisen durch p
bestmöglich an die Kurve C anschmiegt. Der Radius r des Krümmungskreises heißt Krümmungsradius von C an p, sein Mittelpunkt heißt Krümmungsmittelpunkt von C an p.
40
Kapitel 11
Die Bogenlänge
11.1 Definition [Länge einer Kurve]. Die Länge l(α) einer parametrisierten Kurve α : I → Rn+1 ist als Integral der Geschwindigkeit definiert:
Z b
l(α) =
k α̇(t) k dt,
a
wobei a und b die Endpunkte von I sind (±∞ möglich).
• Mehrfach von l(α) überdeckte Punkte zählen auch mehrfach.
• Bekanntlich ändert sich bei einer Umparametrisierung die Länge nicht. Ist
insbesondere α nach der Bogenlänge parametrisiert, d.h. k α̇(t) k= 1 für alle
t, so ist die Länge der Kurve gleich der Länge des Definitionsintervalls.
Um das Konzept der Länge einer parametrisierten Kurve zur Definition
der Länge einer ebenen Kurve heranzuziehen, werden zwei vorbereitende
Ergebnisse benötigt:
11.2 Satz. Sei C eine orientierte ebene Kurve. Dann existiert genau dann
eine globale Parametrisierung von C, wenn C zusammenhängend ist.
Beweis: Es folgt unmittelbar aus der Definition, daß eine Kurve mit einer
globalen Parametrisierung zusammenhängend ist.
Sei umgekehrt C = f −1 (c) zusammenhängend. Sei p ∈ C und α : I → C
die lokale Parametrisierung aus dem vorigen Kapitel. α ist also die maximale
Integralkurve durch p des Vektorfeldes X, das aus dem Vektorfeld ∇f durch
Drehung um −π/2 entsteht. Sei jetzt p1 ∈ C. Es ist p1 ∈ α(I) zu zeigen.
Da C zusammenhängend ist, existiert eine stetige Abbildung β : [a, b] →
C mit β(a) = p und β(b) = p1 . Es wird β(b) ∈ α(I) gezeigt. Dazu sei
t0 = sup{t ∈ [a, b] | β(t) ∈ α(I)}
und γ : I˜ → C sei eine Integralkurve von X, mit γ(0) = β(t0 ).
∂f
(β(t0 )) 6= 0. Nach dem Satz
Es ist ∇f (β(t0 )) 6= 0. Sei daher o.B.d.A.
∂x2
über implizite Funktionen existiert ein Intervall Iˆ = (β1 (t0 ) − δ, β1 (t0 ) + δ),
41
Die Bogenlänge
eine offene Menge V mit der Eigenschaft (x1 , x2 ) ∈ V ⇒ x1 ∈ Iˆ und eine
glatte Funktion x2 (x1 ), so daß alle Punkte aus C ∩ V durch (x1 , x2 (x1 ))
gegeben sind.
Es ist
∂f
∂f
(t0 ),
(t0 )).
γ̇(0) = (β(t0 ), −
∂x2
∂x2
∂f
(t0 ) 6= 0 ist γ1 (t) eine streng monotone Funktion in einem
∂x2
˜ ein Intervall (β1 (t0 ) − η, β1(t0 ) + η)
Intervall (−ǫ, ǫ). Damit enthält γ1 (I)
und es ist γ2 (t) = x2 (γ1 (t)) für t ∈ (−ǫ, ǫ).
Sei
V1 = V ∩ {(x1 , x2 ) | x1 ∈ (β1 (t0 ) − η, β1(t0 ) + η)}.
Wegen −
Es existiert eine Folge ti mit α(ti ) → β(t0 ). Damit gilt α(ti ) ∈ V1 für
i genügend groß. Also gilt α(ti ) = γ(t̃). Nach dem Eindeutigkeitssatz für
˜ ⊂ α(I) und
Integralkurven und wegen der Maximalität von α folgt γ(I)
insbesondere β(t0 ) ∈ α(I).
Für t0 = b ist damit alles gezeigt. Für t0 < b existiert ein t̄ mit t0 < t̄ ≤ b
˜ ⊂ α(I) im
mit β(t̄) ∈ V1 wegen der Stetigkeit von β. Es folgt β(t̄) ∈ γ(I)
Widerspruch zur Supremumseigenschaft von t0 . qed
• Ersetzt man im Beweis von Satz 11.2 X überall durch X/kXk, so folgt
ebenso die Existenz einer globalen Parametrisierung nach der Bogenlänge
für jede zusammenhängende orientierte ebene Kurve.
11.3 Satz. Sei C eine zusammenhängende orientierte ebene Kurve und sei
β : I → C eine globale Parametrisierung von C nach der Bogenlänge. Dann
ist β entweder periodisch oder injektiv. Weiter ist β genau dann periodisch,
wenn C kompakt ist.
Beweis: Sei β(t1 ) = β(t2 ) für gewisse t1 , t2 ∈ I mit t1 6= t2 . Sei X das
tangentiale Einheitsvektorfeld an C, das wie im vorigen Kapitel konstruiert
ist und sei α die maximale Integralkurve von X mit α(0) = β(t1 ) = β(t2 ). Da
β ebenfalls Integralkurve von X ist, folgt aus der eindeutigen Bestimmtheit
der Integralkurven
β(t) = α(t − t1 ) und β(t) = α(t − t2 )
für alle t ∈ I. Mit τ = t2 − t1 ergibt sich
β(t) = α(t − t1 ) = α((t + τ ) − t2 ) = β(t + τ )
für alle t mit t und t + τ ∈ I. Damit hat β die Periode τ .
Ist β periodisch, dann ist C kompakt als Bild des abgeschlossenen Intervalls [t0 , t0 + τ ] unter der stetigen Abbildung β.
42
Die Bogenlänge
Sei β nicht periodisch. Die Abbildung β −1 : C → R ist stetig: Zu t0 ∈ I
und ǫ > 0 sei γ(t) = β(t+t0 ) für t mit |t| < ǫ und t+t0 ∈ I. Weiter sei B das
offene Rechteck um p0 = β(t0 ) = γ(0) wie im Beweis von Satz 11.2. Dann gilt
˜ I˜ Definitionsbereich von γ. Es folgt |β −1 (p)−t0 | = |γ −1(p)| < ǫ
C∩B ⊂ γ(I),
für p ∈ C ∩ B also die geforderte Stetigkeit. Es folgt sofort, daß C nicht
kompakt ist, da die stetige Funktion β −1 auf C kein Maximum annimmt.
qed
• Die Periode einer periodischen Funktion β ist das kleinste τ mit β(t +
τ ) = β(t) für alle t mit t, t + τ aus dem Definitionsbereich von β. Ist τ
die Periode, so heißt jede Teilmenge des Definitionsbereiches von β, die die
Gestalt [t0 , t0 + τ ) hat, Fundamentalbereich von β. Die Einschränkung jeder
periodischen globalen Parametrisierung β einer kompakten ebenen Kurve C
auf einen Fundamentalbereich bildet diesen bijektiv auf C ab. Läßt man auch
halboffene Intervalle als Definitionsbereiche von parametrisierten Kurven zu,
dann besitzt jede ebene zusammenhängende Kurve eine bijektive globale
Parametrisierung nach der Bogenlänge. Es folgt unmittelbar, daß alle solche
Parametrisierungen die gleiche Länge haben. Damit wird die Länge einer
ebenen zusammenhängenden Kurve C als Länge von I definiert, wobei α :
I → C eine bijektive globale Parametrisierung von C nach der Bogenlänge
ist.
• Ist α : I → C irgendeine globale bijektive Parametrisierung von C, dann
ergibt sich entsprechend die Länge von C aus
Z
l(C) := l(α) = kα̇(t)kdt.
I
11.4 Beispiel. Sei C der Kreis (x1 − a)2 + (x2 − b)2 = r 2 , der durch seine
äußere Normale orientiert ist. α : R → C mit α(t) = (a + r cos 2t, b −
r sin 2t) ist eine globale Parametrisierung von C, wie im vorigen Kapitel
bestimmt. Die Einschränkung von α auf [0, π) ist eine zugehörige bijektive
Parametrisierung von C. Also gilt
Z π
l(C) =
kα̇(t)kdt = 2πr.
0
43
Kapitel 12
Krümmung von Flächen
Sei S ⊂ Rn+1 eine n-Fläche, die durch N orientiert ist, und p ∈ S. Die
Weingartenabbildung Lp : Sp → Sp war durch Lp (v) = −∇v N für v ∈Sp
definiert. Für n = 1 war Lp die Multiplikation mit einer Zahl κ(p), der
Krümmung von S in p. Jetzt soll Lp für n > 1 untersucht werden.
Für v ∈ Sp ist nach Satz 9.4 Lp (v) · v gleich der Normalkomponente
der Beschleunigung einer parametrisierten Kurve α in S durch p mit Geschwindigkeit v. Diese Komponente der Beschleunigung wird also durch die
Krümmung der Fläche erzwungen.
12.1 Definition [Normalkrümmung]. Für eine Fläche S und v ∈ Sp ,
kvk = 1, p ∈ S heißt die Zahl
k(v) = Lp (v) · v
Normalkrümmung von S an p in Richtung v.
Für k(v) > 0 krümmt sich S in Richtung v hin zu N. Für k(v) < 0
krümmt sich S von N weg (in Richtung v).
12.2 Beispiel. Sei S die Sphäre x21 + . . . + x2n+1 = r 2 , orientiert durch die
innere Normale N(p) = (p, −p/kpk). Nach Kapitel 9 ist Lp die Multiplikation
mit 1/r. Also gilt k(v) = 1/r für alle tangentialen Richtungen v.
12.3 Beispiel. Sei S das Hyperboloid −x21 + x22 + x23 = 1 im R3 , orientiert
durch N(p) = (p, −x1 /kpk, x2/kpk, x3/kpk) für p = (x1 , x2 , x3 ) ∈ S. Für
p = (0, 0, 1) hat jeder Einheitsvektor v ∈ Sp die Gestalt (p, v1 , v2 , 0) mit
v12 + v22 = 1. Es ist Lp (v) = −∇v N = (p, v1, −v2 , 0) und k(v) = v12 − v22 .
Insbesondere ist k(v) = 1 für v = (p, 1, 0, 0) und√k(v) √
= −1 für v =
0) und√v =
(p, 0, 1, 0).
ist k(v) = 0 für v = ±(p, 1/ 2, 1/ 2, √
√
√ Schließlich
enthält
die
beiden
Geraden
α(t)
=
(t/
2, t/ 2, 1)
±(p, −1/ 2, 1/√ 2, 0) (S
√
und β(t) = (t/ 2, −t/ 2, 1) !)
44
Krümmung von Flächen
Abbildung 12.1: Die Normalkrümmung des Hyperboloids im Punkt p =
(0, 0, 1) ist positiv in Richtung e1 = (p, 1, 0, 0) und negativ in Richtung
e2 = (p, 0, 1, 0)
Die Bedeutung der Normalkrümmung ergibt sich durch die Betrachtung
von Normalschnitten:
12.4 Definition [Normalschnitt]. Zu einer n-Fläche S = f −1 (c) im
Rn+1 , die durch N orientiert ist, ist für p ∈ S und v = (p, v) ∈ Sp , kvk = 1,
der Normalschnitt N (v) ⊂ Rn+1 definiert durch
N (v) = {q ∈ Rn+1 | q = p + xv + yN (p), x, y ∈ R},
wobei N die Gaußabbildung ist.
Abbildung 12.2: (a) Der Normalschnitt N (v), v ∈ Sp , p ∈ S, (b) S ∩ N (v)
als Teilmenge des R2
Sei i : R2 → Rn+1 gegeben durch i(x, y) = p + xv + yN (p). Dann gilt
N (v) = i(R2 ). Weiter ist i((f ◦ i)−1 (c)) = N (v) ∩ S. Es gilt
45
Krümmung von Flächen
12.5 Satz. Sei S eine orientierte n-Fläche im Rn+1 und p ∈ S, v ∈ Sp
mit kvk = 1. Dann existiert ein V ⊂ Rn+1 , V offen und p ∈ V , so daß
S ∩ N (v) ∩ V eine ebene Kurve ist. Bei passender Orientierung hat diese
Kurve die Krümmung k(v) in p.
Beweis: Sei f : U → R mit S = f −1 (c) und ∇f (q) 6= 0 für alle q ∈S.
˜ definiert durch ∇f (q) = (q, ∇f
˜ (q)). Zu gegebenem p ∈ S,
Weiter sei ∇f
2
n+1
v = (p, v) ∈ Sp sei i : R → R
wie oben und
˜ (q) · v 6= 0 oder ∇f
˜ (q) · N (p) 6= 0}.
V = {q ∈ U | ∇f
Dann gilt p ∈ V und
˜ (i(x, y)) · v, ∇f
˜ (i(x, y)) · N (p)) 6= 0
∇(f ◦ i)(x, y) = (x, y, ∇f
für alle (x, y) ∈ i−1 (V ). Daher ist
C = i−1 (S ∩ N (v) ∩ V ) = (f ◦ i)−1 (c) ∩ i−1 (V )
eine ebene Kurve.
Sei jetzt α(t) = (x(t), y(t)) eine nach der Bogenlänge parametrisierte
Kurve in C mit α̇(t0 ) = (0, 0, 1, 0), dann ist i ◦ α eine nach der Bogenlänge
parametrisierte Kurve in S ∩ N (v) wegen
2
˙
k(i◦α)(t)k
= k(i ◦ α(t), x′ (t)v + y ′ (t)N (p))k2 = 1
˙
und (i◦α)(t
0 ) = v. Jetzt wird C so orientiert, daß die Normale an (0,0)
(0,0,0,1) ist. Dann ist die Krümmung von C an (0,0)
κ(α(t0 )) = α̈(t0 ) · (α(t0 ), 0, 1) = y ′′ (t0 ).
für die Normalkrümmung von S in Richtung v ergibt sich
k(v) = (i¨
◦α)(t0 ) · N(p)
= (p, x′′(t0 )v + y ′′ (t0 )N (p)) · (p, N (p))
= y ′′ (t0 )
wie behauptet. qed
Jeder n-dimensionale euklidische Vektorraum V läßt sich mit dem Rn
identifizieren, so daß sich die entwickelte Theorie darauf übertragen läßt.
Insbesondere können wir also Sp als Rn auffassen. Damit kann sofort der
Zusammenhang zwischen den Extremwerten der Normalkrümmung auf der
Einheitssphäre des Sp und den Eigenwerten der Weingartenabbildung Lp
hergestellt werden.
46
Krümmung von Flächen
12.6 Lemma. Sei V ein euklidischer n-dimensionaler Vektorraum und L :
V → V eine selbstadjungierte lineare Abbildung auf V . Sei S = {v ∈ V :
v · v = 1} und f : S → R definiert durch f (v) = L(v) · v. Sei f stationär an
v0 ∈ S (d.h. (f ◦ α)′ (t0 ) = 0 für alle parametrisierten Kurven α : I → S mit
α(t0 ) = v0 ). Dann gilt L(v0 ) = f (v0 )v0 , d.h. v0 ist Eigenvektor von L mit
Eigenwert f (v0 ).
Beweis: Da f an v0 stationär ist, gilt (f ◦ α)′ (0) = 0 für alle parametrisierten
Kurven α in S mit α(0) = v0 . Sei v ein Einheitsvektor mit v · v0 = 0,
α(t) = (cos t)v0 + (sin t)v. Dann gilt
d ′
0 = (f ◦ α) (0) = L(α(t)) · α(t)
dt 0
d
= [(cos2 t)L(v0 ) · v0 + 2 sin t cos tL(v0 ) · v + (sin2 t)L(v) · v]
dt 0
= 2L(v0 ) · v.
v0 muß also Eigenvektor von L sein. Der Eigenwert λ ergibt sich aus
λ = λv0 · v0 = L(v0 ) · v0 = f (v0 ).
qed
Die Umkehrung des Lemmas gilt ebenfalls: Ist v0 Eigenvektor von L, dann
ist f (v) = L(v) · v stationär an v0 ∈ S. Gilt α : I → S, so gilt α(t) · α(t) = 1
für alle t und daher (dα/dt)(t) · α(t) = 0. Für α(t0 ) = v0 ergibt sich
d dα
dα
′
(f ◦ α) (t0 ) = [L(α(t)) · α(t)] = L( (t0 )) · α(t) + L(α(t0 )) ·
(t0 )
dt t0
dt
dt
dα
= 2L(α(t0 )) ·
(t0 )
dt
dα
= 2λα(t0 ) ·
(t0 ) = 0.
dt
12.7 Satz. Sei V ein endlich dimensionaler euklidischer Vektorraum und
L : V → V eine selbstadjungierte lineare Abbildung von V . Dann existiert
eine Orthonormalbasis von V aus Eigenvektoren von L.
Beweis: Lineare Algebra. qed
Aus der linearen Algebra ist weiter bekannt, daß jedes selbstadjungierte
L genau n reelle Eigenwerte hat (bei passender Zählung der Vielfachheiten).
12.8 Definition [Hauptkrümmungen]. Für eine orientierte n-Fläche S
im Rn+1 und p ∈ S heißen die Eigenwerte k1 (p), . . ., kn (p) von Lp : Sp → Sp
Hauptkrümmungen von S und die Einheitseigenvektoren von Lp Hauptkrümmungsrichtungen.
47
Krümmung von Flächen
Ordnet man die Hauptkrümmungen, so daß k1 (p) ≤ k2 (p) ≤ . . . ≤ kn (p)
gilt, so ist nach der obigen Diskussion kn (p) der Maximalwert der Normalkrümmung k(v) für v ∈ Sp , kvk = 1. kn−1 (p) ist der Maximalwert von k(v)
für v ∈ Sp , kvk = 1, v ⊥ vn , vn Hauptkrümmungsrichtung zu kn (p), usw..
Alle Hauptkrümmungen ki (p) sind stationäre Werte der Normalkrümmung und k1 (p) ist der Minimalwert von k(v) für v ∈ Sp , kvk = 1.
12.9 Beispiel. Sei S das Hyperboloid aus dem vorigen Beispiel. Dann sind
für p = (0, 0, 1) k1 (p) = −1 und k2 (p) = 1 die Hauptkrümmungen und
v = (p, 0, ±1, 0) bzw v = (p, ±1, 0, 0) die zugehörigen Hauptkrümmungsrichtungen.
12.10 Satz. Sei S eine orientierte n-Fläche im Rn+1 , p ∈ S und seien
{k1 (p), . . ., kn(p)} die Hauptkrümmungen von S an p mit zugehörigen orthogonalen Hauptkrümmungsrichtungen {v1 , . . ., vn }. Dann ist die Normalkrümmung k(v) in Richtung v ∈Sp (kvk = 1) gegeben durch
k(v) =
n
X
i=1
2
ki(p)(v · vi) =
n
X
ki (p) cos2 θi ,
i=1
wobei θi = cos−1 (v · vi) der Winkel zwischen v und vi ist.
Beweis: Da v als Linearkombination der orthonormalen Basisvektoren
{v1 , . . . , vn} ausgedrückt werden kann durch
v=
n
X
i=1
(v · vi )vi =
n
X
(cos θi )vi ,
i=1
erhält man
k(v) = Lp (v) · v
n
X
(cos θi )Lp (vi) · v
=
i=1
=
=
n
X
i=1
n
X
(cos θi )ki (p)vi · v
ki (p) cos2 θi .
i=1
qed
Die Zahlen cos θi aus dem Satz heißen Richtungskosinus von v in Bezug
auf die Orthonormalbasis {v1 , . . . , vn}. Zur selbstadjungierten Abbildung
Lp gehört die quadratische Form Sp , die durch Sp(v) = Lp (v) · v definiert
ist.
48
Krümmung von Flächen
12.11 Definition [2.te Fundamentalform]. Sp heißt zweite Fundamentalform von S an p.
Für kvk = 1 ist Sp(v) gleich der Normalkrümmung von S in Richtung v.
Die erste Fundamentalform von S an p ist die zur identischen Abbildung
gehörige quadratische Form Ip , also Ip(v) = v · v für alle v ∈ Sp .
Die erste Fundamentalform Ip einer orientierten n-Fläche S ⊂ Rn+1
ist stets positiv definit. Die zweite Fundamentalform Sp ist nach dem vorigen Satz genau dann positiv (negativ) definit, wenn alle Hauptkrümmungen
ki (p) positiv (negativ) sind. Ist Sp positiv definit, dann krümmt sich die
Fläche S in jeder tangentialen Richtung auf die Normale N(p) zu, ist Sp
negativ defnit, dann krümmt sich S in allen Richtungen von N(p) weg.
12.12 Satz. Auf jeder kompakten orientierten Fläche S ⊂ Rn+1 existiert
ein p, so daß Sp definit ist (d.h. entweder positiv oder negativ definit).
Abbildung 12.3: |k(v)| ≥ 1/r für alle Richtungen v an p, wobei r den Radius
der umbeschriebenen Sphäre darstellt
Beweis: Man schließe S in einer großen Sphäre ein und schrumpfe diese, bis
sie S berührt. Im Berührungspunkt wird die Krümmung der Fläche durch
die Krümmung der Sphäre abgeschätzt.
Präziser: Sei g : Rn+1 → R definiert durch g(x1, . . . , xn+1 ) = x21 + . . . +
2
xn+1 . Da S kompakt ist, nimmt g auf S sein Maximum etwa in p an. Nach
dem Multiplikatorensatz von Lagrange existiert ein λ ∈ R mit ∇g(p) =
λ∇f (p) = µN(p) für S = f −1 (c) und µ = ±λk∇f (p)k. Das Vorzeichen von
µ hängt von der Orientierung von S ab. Wir nehmen zunächst µ < 0 an,
d.h. S ist durch die innere Normale orientiert. Dann gilt
µ = −|µ| = −kµN(p)k = −k∇g(p)k = −2kpk
und so
N(p) =
1
1
∇g(p) = −
(p, p).
µ
kpk
49
Krümmung von Flächen
Jetzt sei für v ∈ Sp mit kvk = 1 die parametrisierte Kurve α : I → S so
gewählt, daß α̇(t0 ) = v gilt. Es folgt g ◦ α(t0 ) ≥ g ◦ α(t) für alle t ∈ I und so
d2 0 ≥ 2 (g ◦ α)
dt t0
d = ∇g(α(t)) · α̇(t)
dt t0
d = 2(α(t), α(t)) · α̇(t)
dt t0
= 2[kα̇(t0 )k2 + (α(t0 ), α(t0 )) · α̈(t0 )]
= 2[1 − kpkN(p) · α̈(t0 )]
= 2[1 − kpkk(v)].
Also gilt k(v) ≥ 1/kpk für alle Richtungen v ∈ Sp .
Ist S so orientiert, daß µ = ∇g(p) · N(p) > 0 gilt, dann wechselt die Normalkrümmung das Vorzeichen, so daß k(v) ≤ −1/kpk für alle Richtungen v
an p gilt. qed
Die Determinante und die Spur der Weingartenabbildung sind von besonderem Interesse in der Differentialgeometrie. Die Determinante K(p) = det Lp
heißt Gauß-Kronecker Krümmung von S an p. Sie ist gleich dem Produkt
der Normalkrümmungen von S an p. Für n = 2 wird K(p) = k1 (p)k2(p)
einfach Gaußsche Krümmung an p genannt. 1/n mal P
der Spur von Lp heißt
mittlere Krümmung H(p) von S an p. H(p) = (1/n) ni=1 ki (p) ist also das
Mittel der Hauptkrümmungen an p.
Mit dem folgenden Satz läßt sich die Gauß-Kronecker Krümmung berechnen.
12.13 Satz. Sei S eine orientierte n-Fläche im Rn+1 und p ∈ S. Sei Z ein
Vektorfeld auf S mit N = Z/kZk und sei {v1 , . . ., vn } eine Basis von Sp .
Dann gilt





v1
∇v1 Z ,
 .. 

 .. 





K(p) = (−1)n det  . 
kZ(p)kn det  .  ,
 v n 

∇vn Z
Z(p)
Z(p)
wobei für w1 , . . . , wn+1 ∈ Rn+1
, wi = (p, wi,1, . . ., wi,n+1 )
p
 
w1,1 . . .
w
w1
1,n+1
 ..  ..
..
..
det  .  = .
.
.
wn+1,1 . . . wn+1,n+1 wn+1
definiert ist.
50
Krümmung von Flächen
Beweis: Aus Z = kZkN ergibt sich




∇v1 Z
(∇v1 kZk)N + kZk∇v1 N
 .. 


..




.
det  .  = det 

∇vn Z
(∇vn kZk)N + kZk∇vn N
Z(p)
kZ(p)kN(p)


∇v1 N
 .. 


= kZ(p)kn det  . 
∇vn N
Z(p)


Lp (v1 )
 .. 


= (−1)n kZ(p)kn det  . 
 Lp (vn 
Z(p)



v1
0

..   .. 


 A⊤
n
n
.
= (−1) kZ(p)k det 
  . 

0  v n 
Z(p)
0 ... 0 1
wobei A die Matrix von Lp zur Basis {v1 , . . ., vn } von Sp bezeichnet

v1
 .. 


= (−1)n kZ(p)kn(det A) det  . 
 vn 
Z(p)


v1
 .. 


= (−1)n kZ(p)knK(p) det  .  ,
 vn 
Z(p)

woraus das Ergebnis unmittelbar folgt. qed
12.14 Beispiel. Sei S das Ellipsoid (x1 /a)2 + (x2 /b)2 + (x3 /c)2 = 1 mit
a, b, c 6= 0, orientiert durch seine äußere Normale. Z(p) = 21 ∇f (p) =
(p, x1/a2 , x2 /b2 , x3 /c2 ) für p = (x1 , x2, x3 ) ∈ S. Eine Basis von Sp ist
v1 = (p, x2/b2 , −x1 /a2 , 0), v2 = (p, x3/c2 , 0, −x1/a2 ) (für x1 6= 0).
51
Krümmung von Flächen
Es ergibt sich

 x2 /(a2 b2 ) −x1 /(a2 b2 )
0
∇v1 Z
2
2
2
2
0
−x1 /(a c )
det ∇v2 Z = x3 /(a c )
x1 /a2
x2 /b2
x3 /c2 Z(p)
2
x1
x1 x22 x23
x1
= 4 2 2
+ 2 + 2 = 4 2 2.
2
a b c
a
b
c
a b c


x2 /b2 −x1 /a2
2
0 v1
2
2
x
x
x
x
1
1
2
3
2
2
0
−x1 /a = 2
det  v2  = x3 /c
+ 4 + 4 .
a
a4
b
c
x1 /a2 x2 /b2
x3 /c2 Z(p)
kZ(p)k =
x21 x22 x23
+ 4 + 4
a4
b
c
1/2
.
Als Gaußsche Krümmung des Ellipsoids ergibt sich
1
K(p) =
a2 b2 c2
x21
a4
+
x22
b4
+
x23
c4
2 .
Aus Stetigkeitsgründen gilt das Ergebnis auch für x1 = 0.
12.15 Satz. Sei S eine kompakte zusammenhängende n-Fläche im Rn+1 .
Dann ist die Gauß-Kronecker Krümmung K(p) von S an p für alle p ∈ S
genau dann von Null verschieden, wenn die zweite Fundamentalform Sp von
S an p für alle p ∈ S definit ist.
Beweis: Ist Sp definit für alle p ∈ S, dann ist die für alle p die Determinante
von Lp von Null verschieden, so daß die Behauptung folgt.
Umgekehrt existiert nach Satz 12.12 ein p0 ∈ S, so daß Sp0 definit, etwa
positiv definit, ist. Damit ist die minimale Hauptkrümmung k1 von S an
p0 positiv. Da k1 : S → R stetig, S zusammenhängend und k1 6= 0 (wegen
K 6= 0) für alle p ∈ S, muß k1 überall positiv sein. Es folgt sofort, daß Sp
überall positiv definit ist. Ist Sp0 negativ definit, so schließt man analog. qed
Die Sätze 12.12 und 12.15 sind Beispiele von globalen Sätzen, die Sätze 12.10
und 12.13 sind Beispiele von lokalen Sätzen.
52
Kapitel 13
Parametrisierte Flächen
Nach Kapitel 11 hat jede ebene Kurve eine globale Parametrisierung. Daraus
ergaben sich Formeln z.B. für Krümmung und Länge. Das Konzept der Parametrisierung soll jetzt auf Flächen übertragen werden, wobei sich jedoch
nur lokale Parametrisierungen erreichen lassen.
Die erste wichtige Eigenschaft einer Parametrisierung ist die Regularität,
also die α̇(t) 6= 0 entsprechende Eigenschaft. Zur Definition dient das Differential einer Abbildung.
13.1 Definition [Differential]. Sei U ⊂ Rn , U offen, und sei ϕ : U →
Rm eine glatte Abbildung. Das Differential von ϕ ist die folgendermaßen
definierte Abbildung dϕ : U × Rn → Rm × Rm : Zu v = (p, v) ∈ U × Rn mit
p ∈ U sei α : I → U eine parametrisierte Kurve in U mit α̇(t0 ) = v. Dann
ist dϕ(v) ∈ Rm
ϕ(p) definiert durch
dϕ(v) = (ϕ ◦˙ α)(t0 ).
Abbildung 13.1: Das Differential einer Abbildung
• Die Unabhängigkeit von dϕ(v) von der Wahl von α und die Glattheit von
53
Parametrisierte Flächen
dϕ ergeben sich aus der folgenden Formel
(ϕ ◦˙ α)(t0 ) = (ϕ ◦ α(t0 ), (ϕ1 ◦ α)′ (t0 ), . . ., (ϕm ◦ α)′ (t0 ))
= (ϕ(p), ∇ϕ1(α(t0 )) · α̇(t0 ), . . ., ∇ϕm (α(t0 )) · α̇(t0 ))
= (ϕ(p), ∇ϕ1(p) · v, . . ., ∇ϕm(p) · v)
= (ϕ(p), ∇vϕ1 , . . . , ∇v ϕm )
mit ϕ(q) = (ϕ1 (q), . . ., ϕm(q)).
• Nach der Formel ist die Einschränkung dϕp von dϕ auf Rnp eine lineare
Abbildung dϕp : Rnp → Rm
ϕ(p) . Ihre Matrix bezüglich der Standardbasen von
n
m
Rp und Rϕ(p) ist die Jacobi Matrix ((∂ϕi/∂xj )(p)) von ϕ an p. (Einfaches
Ausrechnen!)
S
n
13.2 Definition [Tangentialbündel]. Die Menge U × Rn =
p∈U Rp
n
heißt Tangentialbündel der offenen Menge U ⊂ R und wird mit T (U )
bezeichnet. Mit dieser Bezeichnung gilt dϕ : T (U ) → T (Rm ). Entsprechend ist
S ⊂ Rn+1 ihr Tangentialbündel die Menge
S für eine n-Fläche
n+1
.
T (S) = p∈S Sp ⊂ S × R
• Zu einer glatten Abbildung ϕ : S → Rm ist das Differential die Abbildung
dϕ : T (S) → T (Rm), die durch
dϕ(v) = (ϕ ◦˙ α)(t0 )
definiert ist, wobei α : I → S eine eine parametrisierte Kurve in S mit
α̇(t0 ) = v ist.
dϕ ist die Einschränkung von dϕ̃ auf T (S) für eine glatte Fortsetzung
ϕ̃ von ϕ auf eine offene Menge U . Es folgt unmittelbar die Unabhängigkeit
von α. Weiter ist die Restriktion dϕp von dϕ auf Sp (p ∈ S) eine lineare
Abbildung dϕp : Sp → Rm
ϕ(p) .
13.3 Definition [Parametrisierte n-Fläche]. Eine glatte Abbildung ϕ :
U → Rn+k , U ⊂ Rn offen, heißt regulär, falls dϕp für jedes p ∈ U den Rang
n hat. Eine parametrisierte n-Fläche im Rn+k ist eine reguläre Abbildung
ϕ : U → Rn+k , U zusammenhängend.
• Nach der Regularitätsbedingung ist dϕp (Rnp ) ein n-dimensionaler Untern
raum von Rm
ϕ(p) . dϕp (Rp ) heißt Tangentialebene von ϕ zu p ∈ U .
• ϕ braucht nicht injektiv zu sein und aus ϕ(p) = ϕ(q) folgt nicht dϕp (Rnp ) =
dϕq (Rnq ).
13.4 Beispiel. Eine parametrisierte 1-Fläche ist eine reguläre parametrisierte Kurve.
13.5 Beispiel. Eine parametrisierte n-Fläche im Rn ist eine reguläre glatte
Abbildung einer offenen Menge U des Rn auf eine andere.
54
Parametrisierte Flächen
13.6 Beispiel. Für f : U → R (U ⊂ Rn offen und zusammenhängend) sei
ϕ : U → Rn+1 definiert durch ϕ(p) = (p, f (p)). Dann ist ϕ eine parametrisierte n-Fläche im Rn+1 .
13.7 Beispiel. Sei ϕ : U → R3 gegeben durch
ϕ(θ, δ) = (r cos θ sin δ, r sin θ sin δ, r cos δ)
für U = {(θ, δ) ∈ R2 : 0 < δ < π} und r > 0 (parametrisierte 2-Sphäre).
Für die Einschränkung von ϕ auf −π < θ ≤ π heißen θ, δ die sphärischen
Koordinaten des Punktes ϕ(θ, δ) auf der Sphäre.
13.8 Beispiel. Für L : Rn → Rn+k , k ≥ 1, L nichtsingulär, linear und
w ∈ Rn+k ist ϕ : Rn → Rn+k , ϕ(p) = L(p) + w eine parametrisierte n-Ebene
durch w im Rn+k .
13.9 Beispiel. Sei ϕ : U → Rn+k eine parametrisierte n-Fläche im Rn+k .
Der Zylinder über ϕ ist die parametrisierte (n + 1)-Fläche ϕ̃ : U × R →
Rn+k+1 , die definiert ist durch
ϕ̃(u1 , . . ., un+1 ) = (ϕ(u1 , . . . , un ), un+1 ),
(u1 , . . . , un) ∈ U,
un+1 ∈ R.
13.10 Beispiel. Sei α : I → R2 eine reguläre parametrisierte Kurve mit
α(t) = (x(t), y(t)) und y(t) > 0 für alle t.
ϕ : I × R → R3 ,
ϕ(t, θ) = (x(t), y(t) cos θ, y(t) sin θ)
ist die parametrisierte Drehfläche, die durch Drehung von α um die x1 -Achse
entsteht.
Abbildung 13.2: Beispiel einer parametrisierten Drehfläche (α(t)
(sinh t, cosh t), ϕ(t) = (sinh t, cosh t cos t, cosh t sin t))
=
55
Parametrisierte Flächen
13.11 Beispiel. Sei a > b > 0. ϕ : R2 → R3 gegeben durch
ϕ(θ, δ) = ((a + b cos δ) cos θ, (a + b cos δ) sin θ, b sin δ)
heißt Torus im R3 . Der Torus entsteht durch Drehung von α(δ) = (a +
b cos δ, b sin δ) in der (x1 , x3 )-Ebene um x3 -Achse.
Abbildung 13.3: Ein parametrisierter Torus im R3
Abbildung 13.4: Der Torus als Quadrat, bei dem gegenüberliegende Kanten
zusammengeklebt werden
13.12 Beispiel.
ϕ : R2 → R4 ,
ϕ(θ, δ) = (cos θ, sin θ, cos δ, sin δ).
ϕ ist ein Quadrat, bei dem die gegenüberliegenden Seiten identifiziert sind.
ϕ(R2 ) = {(p, q) ∈ R2 × R2 : p = (cos θ, sin θ), q = (cos δ, sin δ)}.
Damit ist ϕ Kartesisches Produkt von zwei Kreisen. ϕ heißt Torus im R4 .
56
Parametrisierte Flächen
13.13 Beispiel. Sei
ϕ : I × R → R3 ,
θ
θ
θ
ϕ(t, θ) = ((1 + t cos ) cos θ, (1 + t cos ) sin θ, t sin ).
2
2
2
ϕ heißt Möbiusband.
13.14 Definition [Vektorfeld entlang ϕ]. Sei ϕ : U → Rn+k , U ⊂ Rn
offen, eine glatte Abbildung. Ein Vektorfeld längs ϕ ist eine Abbildung X,
die jedem p ∈ U einen Vektor X(p) ∈ Rn+k
ϕ(p) zuordnet. X heißt glatt, falls es
als Abbildung X : U → R2(n+k) glatt ist. Das Vektorfeld X heißt tangential
zu ϕ, falls es die Gestalt X(p) = dϕp (Y(p)) (p ∈ U ) für ein Vektorfeld Y
auf U hat, X heißt normal zu ϕ, falls X(p) ⊥ dϕp (Rn ) für alle p ∈ U gilt.
• Das Geschwindigkeitsvektorfeld einer parametrisierten Kurve lässt sich
folgendermaßen verallgemeinern: Sei ϕ : U → Rn+k , U ⊂ Rn offen, glatt.
Ei , i = 1, . . . , n, bezeichne die tangentialen Vektorfelder längs ϕ, die durch
Ei (p) = dϕp(p, 0, . . ., 0, 1, 0, . . ., 0)
(1 an der i-ten Stelle) definiert sind. Die Komponenten von Ei sind die
Einträge in der i-ten Spalte der Jacobi Matrix:
Ei (p) = (ϕ(p),
∂ϕ
)
∂ui
für ϕ(p) = (ϕ1 (p), . . ., ϕn+k (p)). Die Ei heißen die Koordinatenvektorfelder längs ϕ. Ei (p) ist die Geschwindigkeit der Koordinatenkurve ui 7→
ϕ(u1 , . . . , un ) durch ϕ(p). Ist ϕ eine parametrisierte n-Fläche, dann bilden
die Ei eine Basis des Tangentialraums dϕp für jedes p ∈ U .
Abbildung 13.5: Koordinatenkurven auf der parametrisierten 2–Sphäre, bei
der Nord– und Südpol entfernt sind, ϕ(θ, ϕ) = (cos θ sin ϕ, sin θ sin ϕ, cos ϕ)
57
Parametrisierte Flächen
13.15 Definition. Für glattes ϕ : U → Rn+k , U ⊂ Rn offen, und ein glattes
von X in Bezug auf
Vektorfeld X längs ϕ, ist die Ableitung ∇v X ∈ Rn+k
ϕ(p)
n
v ∈ Rp , p ∈ U definiert durch
d ∇v X = (ϕ(p), (X ◦ α)) = (ϕ(p), ∇vX1 , . . . , ∇v Xn+k )
dt t0
für X(q) = (ϕ(q), X(q)) = (ϕ(q), X1(q), . . ., Xn+k (q)) und eine parametrisierte Kurve α in U mit α̇(t0 ) = v.
• Für v = ei = (p, 0, . . . , 0, 1, 0, . . ., 0) gilt
∇ei X = (ϕ(p),
∂X
(p)).
∂ui
13.16 Definition [Orientierende Vektorfelder]. Sei ϕ : U → Rn+1 eine
parametrisierte n-Fläche im Rn+1 . Für jedes p ∈ U , sei N(p) der folgendermaßen bestimmte Einheitsvektor an ϕ(p) : N(p) ⊥ dϕp(Rnp ) und


E1 (p)
 .. 


det  .  > 0.
En (p)
N(p)
Das längs ϕ glatte Einheitsnormalenvektorfeld N heißt das orientierende
Vektorfeld längs ϕ.
13.17 Definition [Weingartenabbildung]. Die lineare Abbildung
Lp : dϕp(Rnp ) → dϕp(Rnp )
mit Lp (dϕp(v)) = −∇v N ist die Weingartenabbildung an p ∈ U der parametrisierten n-Fläche ϕ : U → Rn+1 .
• Lp ist selbstadjungiert. Ihre Eigenwerte und Einheitseigenvektoren heißen
Hauptkrümmungen und Hauptkrümmungsrichtungen von ϕ an p. Ihre Determinante ist die Gauß-Kronecker Krümmung, und 1/n mal die Spur ist
die mittlere Krümmung von ϕ an p.
13.18 Beispiel. Sei ϕ der parametrisierte Torus im R3 :
ϕ(θ, δ) = ((a + b cos δ) cos θ, (a + b cos δ) sin θ, b sin δ)
Die Vektoranteile der Koordinatenvektorfelder längs ϕ sind
∂ϕ
= (a + b cos δ)(− sin θ, cos θ, 0),
∂θ
∂ϕ
E2 (θ, δ) =
= b(− sin δ cos θ, − sin δ sin θ, cos δ)
∂δ
E1 (θ, δ) =
58
Parametrisierte Flächen
Das orientierende Vektorfeld N längs ϕ hat den Vektoranteil
N (θ, δ) =
E1 (θ, δ) × E2 (θ, δ)
= (cos θ cos δ, sin θ cos δ, sin δ).
k E1 (θ, δ) × E2 (θ, δ) k
Es folgt für p = (θ, δ) ∈ R2
Lp(E1 (p)) = Lp(dϕp(p, 1, 0)) = −∇(p,1,0)N = −(ϕ(p),
∂N
)
∂θ
= −(ϕ(p), − sin θ cos δ, cos θ cos δ, 0)
cos δ
E1 (p).
=−
a + b cos δ
Lp (E2 (p)) = −(ϕ(p),
∂N
) = −(ϕ(p), − cos θ sin δ, − sin θ sin δ, cos δ)
∂δ
1
= − E2 (p).
b
E1 und E2 sind daher Eigenvektoren von Lp . Die Hauptkrümmungen sind
−(cos δ)/(a + b cos δ) und −1/b. Die Gaußsche Krümmung ist K(θ, δ) =
(cos δ)/(b(a + b cos δ)). Damit ist K > 0 auf der “Außenseite” des Torus
(−π/2 < δ < π/2) und K < 0 auf der “Innenseite” (π/2 < δ < 3π/2).
59
Kapitel 14
Lokale Äquivalenz von
Flächen und
parametrisierten Flächen
Die Ergebnisse dieses Kapitels sind eine Konsequenz der folgenden bekannten Sätze der Analysis:
14.1 Satz [Satz über implizite Funktionen]. Sei W ⊂ Rn+1 , W offen, f : W → R, f glatt, x̃ = (x̃1 , . . . , x̃n+1 ) ∈ W mit f (x̃) = 0 und
∂f /∂xn+1 (x̃) 6= 0. Dann existieren V ⊂ W , V offen, U ⊂ Rn , U offen, (x̃1 , . . . , x̃n) ∈ U , aus (x1 , . . . , xn+1 ) ∈ V folgt (x1 , . . . , xn ) ∈ U und
ϕ : U → R, ϕ glatt mit f (x1 , . . ., xn , ϕ) = 0. Weiter ist für jedes x ∈ U
(x, ϕ(x)) der einzige Punkt in V mit f (x, ϕ(x)) = 0.
14.2 Satz [Satz über die Umkehrfunktion]. Sei U ⊂ Rn+1 offen, ψ :
U → Rn+1 glatt und p ∈ U mit dψp nichtsingulär. Dann existiert V ⊂ U
mit p ∈ V und V offen, so dass die Einschränkung ψ|V : V → W mit
W ⊂ Rn+1 offen bijektiv ist. Weiter ist die Umkehrabbildung (ψ|V )−1 glatt.
14.3 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 und p ∈ S. Dann existiert V ⊂
Rn+1 offen mit p ∈ V und eine parametrisierte n-Fläche ϕ : U → Rn+1 , so
dass ϕ U bijektiv auf V ∩ S abbildet.
Beweis: Sei o.B.d.A. f : U1 → R, U1 offen, mit S = f −1 (0) und ∇f (q) 6= 0
für alle q ∈ S. Man wähle ein i mit (∂f /∂xi)(p) 6= 0, das wegen ∇f (p) 6= 0
sicher existiert. O.B.d.A sei i = n + 1. Der Satz über implizite Funktionen
ergibt sofort die Behauptung. qed
• Bemerkung: Die parametrisierte Fläche in Satz 14.3 kann so gewählt werden, dass das orientierende Vektorfeld Nϕ von ϕ und die Orientierung NS
von S übereinstimmen, d.h. NS (ϕ(q)) = Nϕ (q) gilt: Da NS und Nϕ beide
60
Lokale Äquivalenz
Abbildung 14.1: Parametrisierung eines Stücks einer n–Fläche
stetig sind und U zusammenhängend ist, stimmen entweder beide Vektorfelder im obigen Sinn überein oder sind entgegengesetzt. Im letzteren Fall
erhält man durch Vertauschung zweier Variablen von ϕ die Behauptung.
• Eine parametrisierte n-Fläche ϕ : U → Rn+1 , deren Bild eine offene Teilmenge der orientierten n-Fläche S ist, d.h. ϕ(U ) = S ∩ V mit V offen, und
deren orientierendes Vektorfeld mit der Orientierung von S übereinstimmt,
heißt lokale Parametrisierung von S. Zu jedem p ∈ S existiert nach Satz
14.3 eine lokale Parametrisierung. Die Inverse ϕ−1 wird oft Karte genannt,
da sie einen Teil der Fläche wie ein Blatt eines Atlas im Rn kartiert. ϕ−1
wird auch Koordinatensystem genannt, da durch ϕ−1 jedes p ∈ ϕ(U ) einem
n-Tupel reeller Zahlen, den Koordinaten von p, entspricht.
14.4 Beispiel. Sei
U = {(θ, δ) | 0 < θ < 2π, 0 < δ < 2π},
ϕ(θ, δ) = ((a + b cos δ) cos θ, (a + b cos δ) sin θ, b sin δ), für a > b > 0.
Dann ist ϕ−1 die Karte des Torus ((x21 + x22 )1/2 − a)2 + x23 = b2 , bei dem
zwei Kreise entfernt sind.
14.5 Beispiel. Sei
U = {(θ, δ) | 0 < θ < 2π, 0 < δ < π},
ϕ(θ, δ) = (cos θ sin δ, sin θ sin δ, cos δ)
ϕ−1 ist die Karte einer 2-Sphäre mit Ausnahme eines Halbkreises.
14.6 Beispiel. Eine Karte der Einheitssphäre, bei der ein Punkt entfernt
ist, wird durch die stereographische Projektion gegeben. Sei S n die Einheits–
n–Sphäre im Rn+1 mit dem “Nordpol” q = (0, . . ., 0, 1). Sei ϕ : Rn → S n
die Abbildung, die jedes p ∈ Rn auf denjenigen von q verschiedenen Punkt
abbildet, in dem die Gerade durch (p, 0) ∈ Rn+1 und q S n schneidet.
61
Lokale Äquivalenz
Abbildung 14.2: Parametrisierung eines Torus, bei dem zwei Kreise entfernt
wurden
Da α(t) = t(p, 0)+(1−t)q = (tp, 1−t) eine Parametrisierung der Geraden
durch (p, 0) und q darstellt und kα(t)k = 1 genau dann gilt, wenn t = 0 oder
t = 2/(kpk2 + 1) gilt, ist die Abbildung ϕ durch die Formel
ϕ(x1 , . . . , xn ) = (2x1 , . . . , 2xn, x21 + · · · + x2n − 1)/(x21 + · · · + x2n + 1)
gegeben. Die Abbildung ϕ ist eine parametrisierte Fläche, die den Rn bijektiv
auf S n − {q} abbildet. Die Karte ϕ−1 heißt stereographische Projektion von
S n − {q} auf die Äquatorebene.
Abbildung 14.3: Stereographische Projektion der Kugel
14.7 Satz. Sei ϕ : U → Rn+1 eine parametrisierte n-Fläche im Rn+1 und
p ∈ U . Dann existiert U1 ⊂ U , U offen, p ∈ U1 , so dass ϕ(U1 ) eine n-Fläche
im Rn+1 ist.
Beweis: Sei ψ : U × R → Rn+1 definiert durch ψ(q, s) = ϕ(q) + sN (q), wobei
N (q) der Vektorteil des orientierenden Vektorfelds längs ϕ ist. Bezeichnen
Jψ und Jϕ die Jacobimatrizen, dann gilt
Jψ (p, 0) = (Jϕ (p), N (p)) = (E1 (p), . . ., En(p), N (p)),
62
Lokale Äquivalenz
wobei E1 , . . . , En und N die Vektoranteile der entsprechenden Vektorfelder sind. Die Spalten von Jψ (p, 0) sind daher linear unabhängig und
det Jψ (p, 0) 6= 0. Nach dem Satz über die Umkehrfunktion existiert ein
V ⊂ U × R, V offen, (p, 0) ∈ V , so dass ψ|V V bijektiv auf ψ(V ) abbildet. Nach passender Einschränkung von V kann man V = U1 × I für
U1 ⊂ U , U offen, und offenes Intervall I annehmen.
Wir definieren jetzt f : ψ|V (V ) → R durch f (ψ(q, s)) = s, d.h.
f (ϕ(q) + sN (q)) = s. (Anschaulich mißt f den Abstand eines Punktes von
der Fläche). f ist wohldefiniert und glatt, da es die Zusammensetzung der
glatten Abbildung (ψ|V )−1 und der Projektionsabbildung U1 × I → I ist.
Die Niveaumenge f −1 (0) ist jedoch ϕ(U1 ) wegen
f −1 (0) = {ψ(q, s) | q ∈ U1 , s = 0} = {ϕ(q) | q ∈ U1 }.
Schließlich gilt ∇f (z) 6= 0 für z = ψ(q, 0) ∈ f −1 (0), denn für α(s) =
ψ(q, s) = ϕ(q) + sN (q) ergibt sich
∇f (z) · N(q) = ∇f (α(0)) · α̇(0) = (f ◦ α)′ (0) = 1 6= 0.
Also ist ϕ(U1 ) = f −1 (0) eine n-Fläche im Rn+1 . qed
• Nach Satz 14.3 gibt es zu jedem Punkt p einer n-Fläche eine Umgebung V ,
so dass V ∩ S Bild einer parametrisierten n-Fläche ist. Nach Satz 14.7 gibt
es zu jedem Punkt p aus dem Definitionsbereich einer parametrisierten nFläche ϕ eine offene Umgebung V , so dass ϕ|V (V ) eine n-Fläche ist. Wählt
man schließlich die Orientierungen so, dass Nϕ (p) = NS (ϕ(p)) gilt, dann
haben ϕ und S in jedem Punkt die gleiche Geometrie:
(i) Die Weingarten Abbildung Lϕ
p von ϕ im Punkt p ∈ U stimmt mit der
Weingarten Abbildung LSϕ(p) von S in ϕ(p) überein, da für v ∈ Rnp gilt
ϕ
S
S ˙
Lϕ
p (dϕ(v)) = −∇v N = −∇v (N ◦ ϕ) = −(N ◦ ϕ ◦ α)(t0 )
= −∇ϕ◦α(t
NS = −∇dϕ(v) NS = LSϕ(p)(dϕ(v))
˙
0)
mit α : I → U und α̇(t0 ) = v.
(ii) Die Gleichheit aller Krümmungen folgt sofort, da sie aus der Weingarten Abbildung bestimmt werden.
Bemerkung: Es stellt sich die Frage, ob die Aussage von Satz 14.7 auf parametrisierte n-Flächen im Rn+k verallgemeinert werden kann. Definiert man
n-Flächen im Rn+k folgendermaßen, dann ist die Antwort ja:
14.8 Definition [Fläche der Dimension n]. Eine Fläche der Dimension
n oder n-Fläche im Rn+k ist eine nichtleere Teilmenge S ⊂ Rn+k der Form
S = f −1 (c) (c ∈ Rk ), wobei f : U → Rk (U ⊂ Rn+k offen) eine glatte
Funktion mit der Eigenschaft ist: dfp hat Rang k für alle p ∈ S.
63
Lokale Äquivalenz
Die Matrix von dfp in Bezug auf die Standardbasis des Rn+k
ϕ(p) ist die
Jacobimatrix von f , deren Spalten die Vektorteile der Gradienten ∇fi (p)
für f (q) = (f1 (q), . . . , fk (q)), q ∈ U , sind. Die Definition lässt sich daher
auch folgendermaßen umformulieren:
• Eine n-Fläche im Rn+k ist eine nichtleere Teilmenge des Rn+k der Form
S = f1−1 (c1 ) ∩ . . . ∩ fk−1 (ck ),
wo die fi : U → R, U ⊂ Rn+k offen, glatte Funktionen sind, derart dass
{∇f1 (p), . . . , ∇fk (p)} für jedes p ∈ S linear unabhängig ist. Eine n-Fläche im
Rn+k ist daher der Durchschnitt von k (n + k − 1)–Flächen, deren Normalen
in jedem Punkt des Durchschnitts unabhängig sind.
T
• Der Tangentialraum Sp in p ∈ S an eine n-Fläche S = ki=1 fi−1 (ci ) im
Rn+k ist die Menge aller Vektoren im Rn+k
der Form α̇(t0 ) wobei α eine
p
parametrisierte Kurve in S mit α(t0 ) = p ist.
• Der k-dimensionale Unterraum Sp⊥ des Rn+k
, der von
p
{∇f1 (p), . . . , ∇fk (p)} aufgespannt wird, ist der Normalraum an S in
p.
14.9 Beispiel. Eine 1-Fläche im R3 wird Raumkurve genannt.
14.10 Beispiel. Sei fi : R4 → R, i = 1, 2, definiert durch
f1 (x1 , x2 , x3 , x4 ) = x21 + x22 ,
f2 (x1 , x2 , x3 , x4) = x23 + x24 .
Dann ist S = f1−1 (1) ∩ f2−1 (1) eine 2-Fläche im R4 (ein Torus). S ist das
kartesische Produkt eines Einheitskreises in der (x1 , x2 )-Ebene mit einem
Einheitskreis in der (x3 , x4 )-Ebene, also S = bild ϕ, wobei ϕ der parametrisierte Torus des vorigen Kapitels ist.
Die Glattheit einer Abbildung ϕ einer n-Fläche S ⊂ Rn+1 in den Rk
war dadurch definiert, dass ϕ die Einschränkung einer glatten Abbildung ϕ̃
auf einer offenen Menge U , die S enthält, war. Mit Hilfe von lokalen Parametrisierungen lässt sich eine alternative Charakterisierung der Glattheit
geben.
14.11 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 und f : S → Rk . Dann ist f
genau dann glatt, wenn f ◦ ϕ : U → Rk für jede lokale Parametrisierung
ϕ : U → S glatt ist.
Beweis: Ist f glatt, dann ist f ◦ ϕ als Hintereinanderausführung glatter
Abbildungen glatt.
Sei jetzt f ◦ϕ glatt für jede lokale Parametrisierung ϕ von S. Es muss eine
offene Menge V mit S ⊂ V und eine Fortsetzung f˜ von f auf V gefunden
werden, so dass f˜ glatt auf V ist. Die Idee ist für q = p + ǫN (p) mit p ∈ S,
64
Lokale Äquivalenz
N = (p, N (p)) Normale in p, f˜(q) = f (p) zu definieren. Es ist zu zeigen, dass
die ǫ(p) so gewählt werden können, dass V offen ist und f˜ wohldefiniert ist.
Zu p ∈ S sei nach Satz 14.3 ϕp : Up → S eine lokale Parametrisierung von S,
die p enthält, und ψp(q, s) = ϕp (q)+sN (ϕp(q)). Wie im Beweis von Satz 14.7
kann eine offene Umgebung Vp = Ũp × I ⊂ Up × R von (ϕ−1
p (p), 0) gefunden
werden, so dass ψp|Vp Vp bijektiv auf Wp abbildet wird und ( ψp|Vp )−1 glatt
ist.
Zu jedem p ∈ S existiert N ein ǫp , so dass die Kugel B3ǫp (p) mit Mittelpunkt p und Radius 3ǫp in Wp enthalten ist. Sei C(p) = Bǫ(p) (p) ∩ S
und
D(p) = {q : q = q̃ + ǫN (Q̃), q̃ ∈ C(p), |ǫ| < ǫ(p)}.
Es ist
D(p) = ψp(ϕ−1
p (C(p) × (−ǫ(p), ǫ(p)).
Da die rechte Seite offen ist und ψp−1 stetig ist, ist damit D(p) ebenfalls
offen.
S
Sei jetzt V = D(p). Es ist offensichtlich V offen und S ⊂ V . Weiter
existiert zu jedem q ∈ V ein eindeutig bestimmtes q̃ ∈ S, so dass
q = q̃ + ǫN (q̃), p ∈ S, |ǫ| < ǫ(p), q̃ ∈ Bǫ(p) (p) :
Sei
q = q̃1 + ǫ1 N (q̃1 ) = q̃2 + ǫ2 N (q̃2 ),
so dass q̃1 und q̃2 den obigen Bedingungen genügen. Es ist o.B.d.A. ǫ(p1 ) ≥
ǫ(p2 ). Dann gilt q̃2 ∈ B3ǫ(p2 ) (p2 ). Es folgt
−1
q = ψp1 (ϕ−1
p1 (q̃1 ), ǫ1 ) = ψp2 (ϕp2 (q̃2 ), ǫ2 ).
Da ψp1 , ϕp1 bijektiv sind, folgt q̃1 = q̃2 . Damit ist die Funktion f˜ : V → Rk ,
f˜(q) = f (q̃) für q = q̃ + ǫN (q̃) wohldefiniert.
Definiert man pr : Rn+1 → Rn durch pr(u, s) = u so folgt die Glattheit
von f˜ aus
f˜(q) = (f ◦ ϕp) ◦ pr ◦ ( ψp|Vp )−1 (q)
für q ∈ D(p) und die rechte Seite auf D(p) glatt ist. qed
• Für f : S → Rl auf einer n-Fläche S im Rn+k kann die Glattheit von
f entweder durch die Forderung, dass f die Einschränkung einer glatten
Funktion f˜ ist, die auf einer offenen Menge definiert ist, eingeführt werden,
oder durch die Forderung, dass f ◦ ϕ für jede lokale Parametrisierung ϕ von
S glatt ist. Analog Satz 14.11 kann man einsehen, dass beide Definitionen
äquivalent sind.
• Eine glatte Abbildung f mit einer glatten Inversen heißt Diffeomorphismus. So ist z.B. die lokale Parametrisierung ϕ : U → S, die im Beweis von
Satz 14.3 angegeben war, ein Diffeomorphismus der offenen Menge U ⊂ Rn
auf die Menge V ∩ S in S.
65
Lokale Äquivalenz
14.12 Definition. Wir nennen eine Teilmenge W ⊂ S für eine n-Fläche S
offen, falls W = S ∩ U für offenes U ⊂ Rn+1 .
Dazu ist nach dem Beweis von Satz 14.7 äquivalent, dass W die Vereinigung von Bildern offener Mengen unter lokalen Parametrisierungen ist.
14.13 Satz [Satz über die Umkehrabbildung auf n-Flächen]. Seien
S und S̃ n-Flächen, ψ : S → S̃ eine glatte Abbildung, und sei p ∈ S mit
dψp : Sp → S̃ψ(p) nichtsingulär. Dann existiert eine offene Menge V ⊂ S mit
p ∈ V und eine offene Menge W ⊂ S̃ mit ψ(p) ∈ W in S̃, so dass ψ|V ein
Diffeomorphismus von V auf W ist.
Beweis: Seien ϕ1 : U1 → S und ϕ2 : U2 → S̃ injektive lokale Parametrisierungen mit p ∈ ϕ1 (U1 ) und ψ(p) ∈ ϕ2 (U2 ). Dann ist ϕ−1
2 ◦ ψ ◦ ϕ1 : U1 → U2
glatt und
−1
d(ϕ−1
2 ◦ ψ ◦ ϕ1 )ϕ−1 (p) = (dϕ2 )ψ(p) ◦ dψp ◦ (dϕ1)ϕ−1 (p)
1
1
ist nichtsingulär. Nach dem Satz über die Umkehrabbildung für den Rn
existiert daher eine offene Menge V1 ⊂ U1 mit ϕ1−1 (p) ∈ V1 , so dass
(ϕ−1
2 ◦ ψ ◦ ϕ1 ) V1 ein Diffeomorphismus von V1 auf eine offene Menge W1 ⊂
−1
U2 ist. Dann
ist für V = ϕ1 (V1 ) und W = ϕ2 (W1 ) ψ|V = ϕ2 ◦ (ϕ2 ◦ ψ ◦
−1 ϕ1 ) ◦ ϕ1 V ein Diffeomorphismus von V auf W . qed
66
Kapitel 15
Die Exponentialabbildung
Die geodätischen Linien waren als “geradeste Kurven” auf einer n-Fläche
eingeführt worden. Hier soll ihre Rolle als “kürzeste Kurven” untersucht
werden. Dazu dient eine Methode aus der Variationsrechnung.
15.1 Definition [Variation]. Sei α : [a, b] → S eine parametrisierte Kurve
auf einer n-Fläche S ⊂ Rn+1 . Eine Variation von α ist eine glatte Abbildung
ψ : [a, b] × (−ǫ, ǫ) → S (ǫ > 0), so dass ψ(t, 0) = α(t) für alle t ∈ I gilt.
Abbildung 15.1: Variation einer parametrisierten Kurve
Dann sind die beiden Koordinatenvektorfelder E1 und E2 längs ψ:
E1 (t, s) = dψ(t, s, 1, 0),
E2 (t, s) = dψ(t, s, 0, 1)
tangential an S längs ψ. Insbesondere gilt E1 (t, 0) = α̇(t) für alle t ∈ I.
15.2 Definition [Variationsvektorfeld]. Das durch X(t) = E2 (t, 0) definierte Vektorfeld X längs α heißt das Variationsvektorfeld längs α zur
Variation ψ.
• Eine Variation ψ einer parametrisierten Kurve α definiert eine Familie
parametrisierter Kurven αs : [a, b] → S durch αs (t) = ψ(t, s). Die Länge
67
Die Exponentialabbildung
l(αs ) von αs ist durch das Integral
Z
Z b
kα̇s (t)kdt =
l(αs) =
a
b
a
kE1 (t, s)kdt
gegeben. Die Ableitung dieser Funktion bezüglich s ist
Z b
∂
d
l(αs) =
(E1 · E1 )1/2 dt
ds
a ∂s
Z b ∂ ∂ψ
∂ψ
=
·
/kE1 k dt
∂s ∂t
∂t
a
Z b ∂ψ
∂ ∂ψ
·
/kE1 dt.
=
∂t ∂s
∂t
a
Ist α nach der Bogenlänge parametrisiert, dann gilt kE1 ks=0 = kα̇k = 1
und so
Z b
d Ẋ · α̇dt
l(αs) =
ds 0
a
Z b
=
(X · α̇)′ − X · α̈ dt
a
Z b
(X · α̈)dt.
= (X · α̇)(b) − (X · α̇)(a) −
a
Diese Formel heißt erste Variationsformel für das Längenintegral.
Sie ist für jede Variation einer nach der Bogenlänge parametrisierten
Kurve α in S gültig. Insbesondere hängt die rechte Seite nur vom Variationsvektorfeld X ab. Eine Variation ψ : [a, b]×(−ǫ, ǫ) → S heißt Variation mit
festen Endpunkten von α(t) = ψ(t, 0), falls ψ(0, s) = α(0) und ψ(b, s) = α(b)
für alle s ∈ (epsilon, ǫ) gilt. Die Variation heißt Normalvariation, falls das
Variationsvektorfeld X überall orthogonal zu α ist (X(t) ⊥ α̇(t)). Die Anwendung der ersten Variationsformel auf diese Fälle ergibt:
15.3 Satz. Sei α : [a, b] → S eine nach der Bogenlänge parametrisierte
Kurve auf einer n-Fläche S ⊂ Rn+1 . Dann sind die folgenden Aussagen
äquivalent:
i) Das Längenintegral ist stationär für α in Bezug auf Variationen mit
festen Endpunkten.
ii) Das Längenintegral ist stationär für α in Bezug auf Normalvariationen.
iii) α ist eine Geodätische in S.
• Bemerkung: Ist α eine kürzeste Kurve in S, die zwei Punkte von S verbindet, dann ist α eine Geodätische.
Zum Beweis dient folgendes Lemma
68
Die Exponentialabbildung
Abbildung 15.2: Konstruktion einer längenvermindernden Variation längs
einer NichtGeodätischen
15.4 Lemma. Sei [a, b] ein Intervall, dann existiert eine glatte Funktion
f : R → R mit f (t) ≥ 0 für alle t und f (t) 6= 0 genau dann wenn t ∈ (a, b).
(Beulenfunktion)
−1/(((b−a)/2)2−((b+a)/2−t)2 )
e
für t ∈ (a, b)
. qed
Beweis: f (t) =
0
sonst
Beweis des Satzes: Ist ψ : [a, b] × (−ǫ, ǫ) → S eine Variation mit festen
Endpunkten von α, dann gilt X(a) = X(b) = 0. Ist ψ eine Normalvariation
von α, dann gilt X(a) · α̇(a) = 0 und X(b) · α̇(b) = 0. In beiden Fällen
vereinfacht sich die erste Variationsformel zu
Z b
d (X · α̈)dt.
l(αs) = −
ds 0
a
Ist α eine Geodätische in S, dann gilt α̈(t) ⊥ S für alle t ∈ [a, b], also
X · α̈ = 0 längs α und deshalb (d/ds)|0 l(αs) = 0 für alle Variationen mit
festen Endpunkten und alle Normalvariationen. Damit folgt (iii)⇒ (i) und
(iii)⇒ (ii).
Sei jetzt α keine Geodätische. Dann existiert ein t0 ∈ [a, b] mit α̈(t0 ) 6∈
⊥
Sα(t
, d.h. α̇′ (t0 ) 6= 0 für die kovariante Beschleunigung von α. Es wird
0)
eine Normalvariation mit festen Endpunkten konstruiert, deren Variationsvektorfeld längs α f α̇′ für eine nichtnegative glatte Funktion f längs α mit
f (a) = f (b) = 0 und f (t0 ) > 0 genügt. Dies ist eine Normalvariation von α
wegen α̇′ ⊥ α̇ (α ist nach der Bogenlänge parametrisiert!). Die erste Variationsformel ergibt für diese Variation
Z b
Z b
d ′
f kα̇′ k2 dt < 0,
f α̇ · α̈ dt = −
l(αs ) = −
ds 0
a
a
was (i)⇒ (iii) und (ii)⇒ (iii) zeigt.
69
Die Exponentialabbildung
Zur Konstruktion der Variation ψ sei ϕ : U → S eine bijektive lokale
Parametrisierung von S, die α(t0 ) enthält. Man wähle jetzt a1 , b1 mit a <
a1 < t0 < b1 < b und α([a1 , b1]) ⊂ ϕ(U ). Sei β : [a1 , b1] → U definiert durch
β(t) = ϕ−1 ◦ α(t), sei f : [a, b] → R eine glatte Beulenfunktion mit f (t0 ) > 0
und f (t) = 0 für t 6∈ [a1 , b1] und sei Y das glatte Vektorfeld längs β, das
durch Y(t) = f (t)(dϕβ(t))−1 (α̇′ (t)) gegeben ist. Jetzt sei ψ : [a, b]×(−ǫ, ǫ) →
S durch
ϕ(β(t) + sY (t)) für t ∈ [a1 , b1], s ∈ (−ǫ, ǫ)
ψ(t, s) =
α(t)
für t 6∈ [a1 , b1], s ∈ (−ǫ, ǫ)
wobei ǫ > 0 so gewählt ist, dass β(t) + sY (t) ∈ U für alle (t, s) ∈
[a1 , b1 ] × (−ǫ, ǫ). Dann ist ψ eine Variation von α mit festen Endpunkten
deren Variationsvektorfeld
dϕ(Y(t)) für t ∈ [a1 , b1 ]
= f (t)α̇′ (t)
X(t) = dψ(t, 0, 0, 1) =
0
für t 6∈ [a1 , b1 ]
wie gefordert ist. qed
• Bemerkung 1: Der Beweis von Satz 15.3 zeigt, wie man aus α eine kürzere
Kurve erzeugen kann, falls α keine Geodätische ist.
• Bemerkung 2: Satz 15.3 gilt auch für Kurven, die mit konstanter Geschwindigkeit durchlaufen werden.
• Bemerkung 3: Die erste Variationsformel lässt sich mit Hilfe der kovarianten Beschleunigung α̇′ von α darstellen:
Z b
d (X · α̇′ ) dt.
l(α
)
=
(X
·
α̇)(b)
−
(X
·
α̇)(a)
−
s
ds 0
a
• Nach Satz 15.3 ist jede kürzeste Kurve Geodätische, es braucht jedoch
keine kürzeste Kurve zwischen zwei Punkten zu geben, wie etwa das Beispiel
einer Ebene, aus der ein Punkt entfernt wurde, zeigt, und eine Geodätische
braucht keineswegs kürzeste Verbindung zu sein, wie genügend große Stücke
von Großkreisen auf der Sphäre zeigen.
• Im folgenden soll gezeigt werden, dass für zwei Punkte p, q, die hinreichend
nahe beianderliegen, stets eine eindeutig bestimmte Geodätische existiert,
die die kürzeste Verbindung zwischen diesen Punkten darstellt. Dazu wird
die Exponentialabbildung einer Fläche eingeführt.
15.5 Definition
[Exponentialabbildung]. Sei S eine n-Fläche. Für v ∈
S
T (S) = Sp sei αv die eindeutig bestimmte maximale Geodätische mit
α̇v (0) = v. Sei
U = {v ∈ T (S) | αv (1) ist definiert}
und sei exp : U → S definiert durch exp(v) = αv (1). exp wird Exponentialabbildung von S genannt.
70
Die Exponentialabbildung
Abbildung 15.3: Exponentialabbildung für einen Punkt
Man beachte, dass für jedes p ∈ S der Nullvektor von Sp in U liegt und
dass sein Bild unter exp p ist.
15.6 Beispiel. Die maximale Geodätische im Einheitskreis S 1 ⊂ R2
mit Anfangsgeschwindigkeit v = (1, 0, 0, θ) hat die Parameterdarstellung
αv (t) = (cos θt, sin θt) Also
exp(1, 0, 0, θ) = αv (1) = (cos θ, sin θ).
Betrachtet man durch Identifikation von (a, b) und a + bi den R2 als Menge
der komplexen Zahlen, dann nimmt diese Formel die Gestalt exp(1, 0, 0, θ) =
cos θ + i sin θ = eiθ an.
Für den folgenden Satz ist ein Rückgriff auf die Theorie der gewöhnlichen
Differentialgleichungen notwendig:
15.7 Satz. Sei X ein glattes Vektorfeld auf einer offenen Menge U ⊂ Rn+1
und p ∈ U . Dann existiert V ⊂ U , p ∈ V , V offen und ein ǫ > 0, so dass
für jedes q ∈ V eine Integralkurve αq : (−ǫ, ǫ) → U von X mit αq (0) = q
existiert. Weiter ist für jedes V und ǫ mit dieser Eigenschaft die Abbildung
ψ : V × (−ǫ, ǫ) → U , die durch ψ(q, t) = αq (t) definiert ist, glatt.
15.8 Korollar. Sei X wie im Satz 15.7 und β : I → U eine Integralkurve
von X mit [0, 1] ⊂ I. Dann existiert ein ǫ (unabhängig von t), so dass zu
jedem t ∈ [0, 1] ein offenes Vt ⊂ U mit β(t) ∈ Vt existiert, so dass zu jedem
p ∈ Vt eine Integralkurve βp von X mit β(0) = p existiert, die auf (−ǫ, ǫ)
definiert ist.
Beweis: Nehmen wir an, dass kein ǫ mit dieser Eigenschaft existiert. Dann
existiert zu jedem k ∈ N ein pk ∈ β([0, 1]), dass für jede offene Menge W mit
pk ∈ W für ein q ∈ W die maximale Integralkurve αq von X mit αq (0) = q
nicht auf (−1/k, 1/k) definiert ist. Da β([0, 1]) kompakt ist, existiert eine
konvergente Teilfolge von {pk }, die etwa p ∈ β([0, 1]) als Grenzwert habe.
71
Die Exponentialabbildung
Für dieses p sei V und ǫ wie im Satz. Dann existieren pk ∈ V mit k > 1/ǫ.
Für ein solches pk liegt eine ganze Umgebung W in V . Für alle q ∈ W sind
jedoch die Integralkurven für (−ǫ, ǫ) definiert im Widerspruch zur Wahl von
pk . qed
15.9 Satz. Die Exponentialabbildung: U → S einer n-Fläche S im Rn+1
hat die folgenden Eigenschaften:
i) Der Definitionsbereich U von exp ist offen in T (S).
ii) Ist v ∈ U so folgt tv ∈ U für 0 ≤ t ≤ 1.
iii) exp ist eine glatte Abbildung.
iv) Zu jedem p ∈ S existiert ein Up ⊂ Sp , Up offen, 0 ∈ Up mit Up ⊂ U
und exp|Up ist ein Diffeomorphismus von Up auf eine offene Teilmenge
von S, die p enthält.
v) Zu jedem p ∈ S und v ∈ Sp ist die maximale Geodätische αv mit
α̇v (0) = v gegeben durch αv (t) = exp(tv).
Beweis: (v) Sei I der Definitionsbereich von αv . Für jedes t ∈ R ist
die parametrisierte Kurve α(s) = αv (ts) für st ∈ I eine Geodätische mit
α̇(0) = tα̇v (0) = tv. Nach dem Eindeutigkeitssatz für Geodätische folgt
αtv (s) = α(s) = αv (ts). Für s = 1 gilt also exp(tv) = αtv (1) = αv (t).
(ii) Folgt aus (v), denn für v ∈ U liegt 1 im Definitionsbereich von αv .
αv (t) = exp(tv) ist daher für 0 ≤ t ≤ 1 definiert.
(i) T (S) ist nach Übung eine 2n–Fläche im R2n+2 . Man betrachte das
glatte Vektorfeld X auf T (S), das durch
X(v) = (p, v, v, −(v · ∇v N)N (p))
gegeben ist. X heißt geodätischer Spray auf T (S). Die Integralkurven von
X stehen in folgendem Zusammenhang zu den Geodätischen von S:
Sei α : I → S eine parametrisierte Kurve in S. Dann ist die natürliche
Hebung (lift) von α auf T (S) die parametrisierte Kurve α̃ : I → T (S), die
durch
α̃(t) = α̇(t) = (α(t),
dα
(t))
dt
gegeben ist. Die Geschwindigkeit von α̃ ist
dα
d2 α
dα
˙
(t),
(t), 2 (t)).
α̃(t)
= (α(t),
dt
dt
dt
α̃ ist daher genau dann eine Integralkurve von X, wenn gilt
d2 α
= −(α̇ · ∇α̇N)N ◦ α.
dt2
72
Die Exponentialabbildung
Dies ist aber gerade die Differentialgleichung (7.1) aus dem Kapitel 7 für
eine Geodätische in S. α : I → S ist daher genau dann eine Geodätische
in S, wenn seine natürliche Hebung α̃ eine Integralkurve des geodätischen
Sprays X ist. Weiter hat für jedes v ∈ T (S) die maximale Geodätische
αv mit Anfangsgeschwindigkeit v die natürliche Hebung α̃ mit v = α̃v (0)
˙
und X(v) = α̃(0).
X ist daher ein tangentiales Vektorfeld auf T (S), dessen
maximale Integralkurve durch v ∈ T (S) α̃v ist.Es folgt, dass für jedes v ∈
T (S) die maximale Geodätische αv in S mit α̃˙ v (0) = v gegeben ist durch
αv = π ◦ βv , wo βv die maximale Integralkurve von X mit βv (0) = v ist
und π : T (S) → S durch π(p, v) = p definiert ist.
Sei jetzt v ∈ U . Dann hat die Geodätische αv einen Definitionsbereich,
der [0, 1] enthält. Daher hat die maximale Integralkurve βv = α̃v von X
durch v einen Definitionsbereich, der [0, 1] enthält. Nach Korollar 15.8 existiert ein ǫ > 0, so dass zu jedem t ∈ [0, 1] eine offene Menge Vt in T (S)
mit βv (t) ∈ Vt existiert, so dass der Wertebereich jeder Integralkurve von X
S
durch jeden Punkt von Vt das Intervall (−ǫ, ǫ) enthält. Mit V = t∈[0,1] Vt
erhält man eine offene Menge V in T (S) mit βv ([0, 1]) ⊂ V , so dass zu
w ∈ V eine Integralkurve βw von X existiert, so dass β̇w (0) = w gilt und
der Wertebereich von βw (−ǫ, ǫ) enthält. Nach Satz 15.7 ist die Abbildung
ψ : (−ǫ, ǫ) × V → T (S), die durch ψ(t, w) = βw (t) gegeben ist, glatt. Wegen
der eindeutigen Bestimmtheit der Integralkurven gilt ββw (t)(s) = βw (t + s)
für alle t, s mit t, s ∈ (−ǫ, ǫ) und βw (t) ∈ V . Sei jetzt k ∈ N mit 1/k < ǫ
und sei ψ1/k : V → T (S) definiert durch ψ1/k (w) = ψ(1/k, w) = βw (1/k).
Dann folgt
(ψ1/k ◦ ψ1/k )(w) = ββw (1/k)(1/k) = βw (2/k)
für alle w ∈ V mit ψ1/k (w) = βw (1/k) ∈ V . k-fache Iteration ergibt
(ψ1/k ◦ . . . ◦ ψ1/k )(w) = βw (k/k) = βw (1)
für alle w in der offenen Menge
W = {w ∈V | ψ1/k (w) ∈ V, . . ., ψ1/k(w) ◦ . . . ◦ ψ1/k (w) ∈ V },
wobei die letzte Hintereinanderausführung (k − 1)-mal war. Also gilt 1 ∈
Wertebereichβw = Wertebereichπ ◦ βw = Wertebereichαw für alle w ∈ W ,
also W ⊂ U , wegen v ∈ W ist zu jedem v ∈ U eine offene Menge W ⊂ T (S)
mit v ∈ W gefunden.
(iii) Mit der Notation des vorigen Abschnitts ist
exp(w) = αw (1) = π ◦ βw (1) = (π ◦ ψ1/k ◦ . . . ◦ ψ1/k )(w)
für alle w ∈ W , also ist exp glatt.
(iv) Es ist nur nachzuprüfen, dass (d exp)0 : (Sp)0 → Sp nichtsingulär
ist, da dann der Satz über die Umkehrabbildung greift. Jedes Element von
(Sp)0 hat die Gestalt α̇(0) mit α(t) = tv für ein v ∈ Sp . Nach (v) ergibt sich
(d exp)(α̇(0)) = (exp˙ ◦α)(0) = α̇(0) = v.
73
Die Exponentialabbildung
Damit ist (d exp)(α̇(0)) = 0 nur falls α̇(0) = 0 gilt. Also ist (d exp)0 nichtsingulär. qed
• Nach Satz 15.9 können die Geodätischen in S durch p ∈ S beschrieben
werden als die Bilder der Strahlen α(t) = tv in Sp unter exp. Weiter bildet
für hinreichend kleines ǫ > 0, exp die Kugel Bǫ = {v ∈ Sp | kvk < ǫ} diffeomorph auf eine offene Menge Uǫ in S ab. Für q ∈ Uǫ folgt die Existenz einer
Geodätischen in Uǫ , die p und q verbindet. Dies ist für v ∈ Bǫ mit exp(v) = q
die Geodätische αv (t) = exp(tv) (0 ≤ t ≤ 1). Bis auf Umparametrisierung
ist diese Geodätische in Uǫ eindeutig bestimmt. Es wird gezeigt, dass diese
Geodätische in der Tat nicht länger ist, als jede parametrisierte Kurve in S,
die p und q verbindet. Zum Beweis dient das folgende Lemma:
15.10 Lemma. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 und U ⊂ T (S) der Definitionsbereich der Exponentialabbildung von S. Für p ∈ S und v ∈ Sp ∩ U hat
d exp die folgende Wirkung auf Vektoren, die zu Sp an v tangential sind:
i) Ist w ∈ (Sp)v an v tangential zum Strahl α(t) = tv (d.h. ist w ein
Vielfaches von α̇(1)), dann gilt k(d exp)(w)k = kwk.
ii) Ist w ∈ (Sp)v orthogonal zum Strahl α(t) = tv durch v (d.h. α̇(1)·w =
0), dann ist (d exp)(w) orthogonal zur Geodätischen (exp ◦α)(t) =
exp(tv).
• Bemerkung: Die Aussage (ii) wird gewöhnlich Gaußsches Lemma genannt.
Abbildung 15.4: Die Abbildung ϕ(t, s) aus Lemma 15.10
Beweis: (i) (exp ◦α)(t) = exp(tv) ist die maximale Geodätische in S mit
Anfangsgeschwindigkeit v. Da der Geschwindigkeitsbetrag für Geodätische
konstant ist, folgt
k(d exp)(α̇(1))k = k(exp˙ ◦α)(1)k = k(exp˙ ◦α)(0)k = kvk = kα̇(1)k.
Da d exp auf T (S)v ⊃ (Sp )v linear ist, folgt für w = cα̇(1) mit c ∈ R
k(d exp)(w)k = |c|k(d exp)(α̇(1))k = |c|kα̇(1)k = kwk.
74
Die Exponentialabbildung
(ii) Jedes w ∈ (Sp)v hat die Gestalt w = β̇(0) mit β(s) = v + sx für
ein x ∈ Sp . Die Bedingung, dass w orthogonal zum Strahl α ist bedeutet
v · x = 0 wegen
α̇(1) · w = α̇(1) · β̇(0) =
dβ
dα
(1) ·
(0) = v · x.
dt
dt
Es ist (exp˙ ◦α)(1) · (d exp)(w) = 0 zu zeigen. Es ist jedoch
(d exp)(w) = (d exp)(β̇(0)) = (exp˙ ◦β)(0)
und so
(exp˙ ◦α)(1) · (d exp)(w) = (exp˙ ◦α)(1) · (exp˙ ◦β)(0) = E1 (1, 0) · E2 (1, 0),
wobei E1 und E2 die Koordinatenvektorfelder längs der Abbildung ψ :
[0, 1] × (−ǫ, ǫ) → S sind, die durch
ψ(t, s) = exp(t(v + sx))
definiert ist, wobei ǫ > 0 so klein gewählt ist, dass t(v+sx) ∈ U für 0 ≤ t ≤ 1
und |s| < ǫ. Damit ist (E1 · E2 )(1, 0) = E1 (1, 0) · E2(1, 0) = 0 zu zeigen. Wir
werden (E1 · E2 )(t, 0) = 0 für t ∈ [0, 1] zeigen. Es gilt E2 (0, 0) = 0 und so
(E1 · E2 )(0, 0) = 0. Daher genügt es zu prüfen, ob (E1 · E2 )(t, 0) konstant
ist.
Für jedes s ∈ (−ǫ, ǫ) ist die Koordinatenkurve αs : [0, 1] → S, die durch
αs (t) = ψ(t, s) = exp(t(v + sx))
gegeben ist, eine Geodätische in S mit Anfangsgeschwindigkeit v + sx. Da
Geodätische einen konstanten Geschwindigkeitsbetrag haben und v · x = 0
gilt, folgt
kE1 (s, t)k2 = kα̇s (t)k2 = kα̇s (0)k2 = kvk2 + s2 kxk2
für alle (t, s) ∈ [0, 1] × (−ǫ, ǫ).
Nun ist
∂
(E1 · E2 ) = (∇E1 E1 ) · E2 + E1 · (∇E1 E2 )
∂t
mit (∇E1 Ej )(t, s) = ∇(t,s,1,0)Ej für j = 1, 2. Da jede Koordinatenkurve
αs eine Geodätische ist, ist (∇E1 E1 )(s, t) = α̈(t) orthogonal zu S und so
(∇E1 E1 ) · E2 = 0. Weiter ist
∂ 2ψ
(t, s))
∂t∂s
∂ 2ψ
(t, s))
= (ψ(t, s),
∂s∂t
= (∇E2 E1 )(t, s)
(∇E1 E2 )(t, s) = (ψ(t, s),
75
Die Exponentialabbildung
und so
∂
1 ∂
1 ∂
(E1 · E2 ) = E1 · (∇E2 E1 ) =
(E1 · E1 ) =
(kvk2 + s2 kxk2) = skxk2 ,
∂t
2 ∂s
2 ∂s
∂
(E1 · E2 )s=0 = 0 und (E1 · E2 )(t, 0) konstant wie gefordert. qed
also ∂t
15.11 Satz. Sei S eine n-Fläche im Rn+1 , p ∈ S und ǫ > 0 so gewählt,
dass die Exponentialabbildung von S die Kugel Bǫ = {v ∈ Sp | kvk < ǫ}
diffeomorph auf eine offene Menge Uǫ in S abbildet. Dann ist für jedes
q ∈ Uǫ die parametrisierte Kurve α(t) = exp(tv), 0 ≤ t ≤ 1 mit v ∈ Bǫ
und exp(v) = q eine Geodätische in S, die p und q verbindet, und für jede
andere parametrisierte Kurve β : [a, b] → S in S mit β(a) = p und β(b) = q
gilt l(β) ≥ l(α).
Abbildung 15.5: Die Konstruktion aus Satz 15.11 (links ist η dargestellt!)
Beweis: Sei r : Sp → R definiert durch r(x) = kxk. Wir zeigen für das
Differential dr auf Sp − {0}:
a) Ist w ∈ (Sp)v tangential an den Strahl in Sp durch v ∈ Sp, dann gilt
kdr(w)k = kwk.
b) Ist w ∈ (Sp )v orthogonal zum Strahl in Sp durch v ∈Sp dann gilt
dr(w) = 0.
Zum Beweis von a) und b) beachten wir, dass jedes w ∈ (Sp)v die Gestalt
w = γ̇(0) für γ(s) = v + sx für ein x ∈ Sp hat. Ist w tangential zum Strahl
durch v, dann gilt x = λv für ein λ ∈ R und so γ(s) = (1 + λs)v und so
kdr(w)k = kdr(γ̇(0))k
= k(r ◦ γ)′(0)k
d
= k k(1 + λs)vkk
ds 0
= |λ|kvk = kwk.
76
Die Exponentialabbildung
Ist w orthogonal zum Strahl durch v dann gilt x ⊥ v, r ◦ γ(s) = kv + sxk =
(kvk2 + s2 kxk2 )1/2 und dr(w) = dr(γ̇(0)) = (r ◦ γ)′ (0) = 0.
Dass α(t) = exp(tv) eine Geodätische ist, die p und q verbindet ist nach
Satz 15.9 klar. Sei jetzt β : [a, b] → S mit β(a) = p und β(b)=q. Sei weiter
c = sup{t ∈ [a, b] | β([a, t]) ⊂ Uǫ },
Sei jetzt r̄ : Uǫ → R definiert durch r̄ = r ◦ ( exp|Bǫ )−1 . Dann gilt r̄(β(a)) =
r̄(p) = 0 und limt→c r̄(β(t)) = ǫ > r̄(q) für c 6= b, r̄(β(b)) = r̄(q) für
c = b. Nach dem Zwischenwertsatz existiert in jedem Fall ein t ∈ [a, c]
mit r̄(β(t)) = r̄(q), sei t1 das Minimum dieser t. Sei jetzt η : [a, t1 ] → Bǫ
definiert durch η(t) = ( exp|Bǫ )−1 (β(t)). Dann gilt η̇(t) = η̇T (t) + η̇⊥ (t) mit
η̇T (t) tangential an den Strahl in Sp durch η(t) und η⊥ (t) orthogonal zu
diesem Strahl. Nach den obigen Bemerkungen über dr folgt
Z 1
Z 1
l(α) =
kα̇k =
kvk = kvk = r(v) = r̄(q) = r̄(β(t1 )) − r̄(β(a))
0
0
Z t1
Z t1
Z t1
Z t1
′
′
=
(r̄ ◦ β) =
(r ◦ η) =
dr(η̇) =
dr(η̇T )
a
a
a
a
Z t1
Z t1
Z t1
k(d exp)(η̇T )k
kη̇T k =
kdr(η̇T )k =
≤
a
a
a
nach der ersten Aussage in Lemma 15.10
≤
Z
t1
k(d exp)(η̇T ) + (d exp)(η̇⊥ )k
a
nach der zweiten Aussage in Lemma 15.10
=
Z
a
qed
t1
k(d exp)(η̇)k =
Z
t1
a
kexp˙ ◦ηk ≤
Z
a
b
kβ̇k = l(β).
• Bemerkung: l(β) = l(α) kann nur gelten, falls in allen drei Ungleichungen
des Beweises Gleichheit gilt. Verfolgt man diese rückwärts, so sieht man
i) β(t) = β(t1 ) für alle t ≥ t1 .
ii) η̇(t) hat keine zum Strahl in Sp durch η(t) orthogonale Komponente
für alle t ≤ t1 .
iii) r ◦ η ist monoton auf [a, t1 ].
Aus diesen Bedingungen folgt, dass für l(α) = l(β) β = α ◦ h gilt, wobei
h : [a, b] → [0, kvk] monoton ist. Insbesondere haben α und β das gleiche
Bild.
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