Wirtschaftssysteme und öffentliche Finanzen am Beispiel Afrikas I 1 Dr. Paul Marschall Ernst-Moritz-ArndtUniversität Greifswald 9 Tel.: (03834) 86-24 15 Fax: (03834) 85-24 75 E-Mail: paul.marschall @uni-greifswald.de 1 Gliederung I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 2. Akteure, Institutionen und Organe II: Die öffentlichen Ausgaben 3. Die Theorie öffentlicher Ausgaben 4. Ausgabenprogramme afrikanischer Staaten III: Die öffentlichen Einnahmen 5. Theorie der Steuern 6. Steuern und ähnliche Einnahmequellen afrikanischer Staaten 7. Defizit und Verschuldung 8. Auslandshilfe IV: Entscheidungsprozesse 9. Neue Politische Ökonomie Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 2 Basisliteratur Ahmad, E. und N.. Stern (1989), Taxation for Developing Countries, in: Chenery und T. Srinivasan (eds.), Handbook of Development Economics, Vol. II, S. 1005 – 1092. Durth, R., Körner, H. und K. Michaelowa (2002), Neue Entwicklungsökonomik, Stuttgart. Goode, R. (1984), Government Finance in Developing Countries, Washington D. C. Moreno-Dodson, B. und Q. Wodon (Eds.) (2008), Public Finance for Poverty Reduction, Concepts and Case Studies from Africa and Latin America, Washington D.C. Ohiorhenuan, J. und Z. Keeler (2008), International Political Economy and African Economic Development: A Survey of Issues and Research Agenda, in: Journal of African Economies 17 Suppl. 1, S. i140-i239. Rwegasira, D. und F. Mwega (2003), Public Debt and Macroeconomic Management in Sub-Saharan Africa, in: United Nations Conference on Trade and Development (ed.), Management of Capital Flows: Comparative experiences and implications for Africa, New York u. a., S. 259 – 312. Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 3 Basisliteratur Shah, A. (Ed.) (2007), Budgeting and Budgetary Institutions, Washington D.C. Stiglitz, J. (2000), Economics of the Public Sector, 3rd ed. New York. The International Bank for Reconstruction and Development (2008), Africa Development Indicators 2008/2009: Youth and Employment in Africa: The Potential, the Problem, the Promise, Washington D. C. United Nations Conference on Trade and Development (2004), Economic Development in Africa – Debt Sustainability: Oasis or Mirage? United Nations, New York and Geneva. Volkerink, B. (2009), Tax Policy in Sub-Saharan Africa: A Survey of issues for a number of countries, Utrecht University, Center for Taxation and Public Governance, Working Paper Series No. 2009-01, Utrecht. World Economic Forum, the International Bank for Reconstruction and Development/The World Bank, African Development Bank (2009), The Africa Competitiveness Report 2009, Geneva. Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 4 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Finanzwissenschaft: Analyse der Staatstätigkeit mit Schwerpunkt auf den Einnahmen und Ausgaben des Staates Räumliche Fokussierung: Subsahara-Afrika (SSA) • Beschränkung auf SSA entspricht weithin gängiger Praxis der meisten Internationalen Organisationen (IO) • gewisse gesamtafrikanische Bezüge sollen dabei keinesfalls negiert werden • auch SSA ist sehr heterogen! Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 5 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Die Heterogenität afrikanischer Staaten Zusammengefasster Index aus: • reales BIPWachstum • Investitionsquote, • Pro-KopfEinkommen, • Einkommensungleichheit (Gini-Index), • Output pro Arbeiter • Index der Humanen Entwicklung (HDI). Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 6 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand SSA-Länder gehören zu den ärmsten Staaten der Welt • Low-Income-Countries (LIC) = Kriterium der Weltbank orientiert sich an der Höhe des Bruttonationaleinkommens (Einkommen/Einwohner ≤ 1.005 US$ pro Jahr) Quelle: Weltbank 2010 World Bank Klassifikation (18 July 2011) http://data.worldbank.org/about/country-classifications Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 7 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Klassifikationen der Entwicklungsländer 1.1 Analysegegenstand I. UNO a) Less Developed Countries (LDC) und Least Developed Countries (LDC bzw. LLDC) [nicht einheitlich gebraucht] b) Most Seriously Affected Countries (MSAC) Landlocked Countries (LLC) Small Island States (SIS; AOSIS) c) Human Development Index II. Weltbank a) Low Income Countries (LIC) Middle Income Countries (MIC) Low Income Food Deficit Countries (LIFDC) b) Severly Indebted Low-Income Countries (SIMIC) mit Unterscheidung MIMIC und LIMIC Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 8 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen BNE in SSA p.c. (in US$) im Jahr 2009 1.1 Analysegegenstand Quelle: Weltbank 2011, African Development Indicators Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 9 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Pro-Kopf-Einkommen in Afrika 1.1 Analysegegenstand Quelle: IWF Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 10 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Quelle: African Development Indicators 2006 Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 11 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Reales BIP Wachstum (jährliche Veränderung in %) 1.1 Analysegegenstand Quelle: Ohiorhenuan und Keeler 2008 Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 12 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Missing Links 1.1 Analysegegenstand Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 13 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Exporte von Güter und Dienstleistungen SSA (% BIP) im Jahr 2009 Quelle: Weltbank 2011, African Development Indicators Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 14 1.1 Analysegegenstand Cluster Afrikanischer Volkswirtschaften Exporte p.c, 2008, in US$ Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Wirtschaftliche Diversifikation Anteil Produktions- und Dstlstgsektor am BIP, 2008, in % Cluster (ausgewählte Länder) BIP p.c. Quelle: McKinsey Global Institute (2010) Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 15 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Importe von Güter und Dienstleistungen SSA (% BIP) im Jahr 2009 Quelle: Weltbank 2011, African Development Indicators Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 16 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Externe Verschuldung in SSA in % des BNP im Jahr 2009 (Gegenwartswert) Quelle: Weltbank 2011, African Development Indicators Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 17 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Gesamter Schuldendienst in SSA (in % der Exporte an Güter, Dienstleistungen und Einkommen) im Jahr 2009 Quelle: Weltbank 2011, African Development Indicators Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 18 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Öffentliche Entwicklungshilfe (netto, alle Geber) (in US$) pro Kopf im Jahr 2009 Quelle: Weltbank 2011, African Development Indicators Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 19 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Betroffenheit durch Globale Finanzmarktkrise 1.1 Analysegegenstand Quelle: IWF 2009 Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 20 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand SSA im Strudel der Weltwirtschaftskrise • aufgrund der geringen Integration SSAs in die internationale Finanzwirtschaft schwere Betroffenheit erst in der zweiten Runde • Realwirtschaft stark von Verschlechterung wirtschaftlicher Rahmenbedinungen betroffen - Rückgang der Rohstoffnachfrage - Einbruch der Preise für Industrie- und Energierohstoffe seit 1/2008 um bis zu 60% • Implikationen für staatlichen Sektor: - starke Einbußen bei Export- & Steuereinnahmen - zusätzliche Belastung durch Ausgaben - hohe Finanzierungskosten • geringere Tourismuseinnahmen • sinkende Rücküberweisungen • Rückgang Gebermittel Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 21 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Weltwirtschaftliche Integration SSAs 2008 1.1 Analysegegenstand Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 22 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Rohstoffpreisentwicklung in SSA 1.1 Analysegegenstand Quelle: Shirzadi 2009 • rückläufige Preise für Erdöl und Nahrungsmittel bringen für deren Nettoimporteure aber auch spürbare Entlastung • vermutlich werden rohstoffärmere Länder (z. B. Eritrea, Malawi, Togo) im Krisenkontext eine Verbesserung ihrer TOT erfahren • dezidierte Analyse: Bröll und Scheen 2009. Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 23 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.1 Analysegegenstand Analysearten positive Analysen erklären das IST, somit nachprüfbar die faktische Staatstätigkeit normative Analysen bewerten das SOLL, somit auf der Basis bestimmter Werturteile, was geschehen sollte, um bestimmte Ziele der Staatstätigkeit zu erreichen Finanzwirtschaft: Faktische Handlungen öffentlicher Entscheidungseinheiten • Welche Ausgaben werden getätigt? • Welche Einnahmen werden erhoben? Beispiele: Budgetanteile Gesundheit, Verteidigung Finanztheorie: Analyse öffentlicher Entscheidungseinheiten in Modellen Beispiel: Optimal Taxation Finanzpolitik: zielorientierte Handlungen öffentl. Entscheidungseinheiten Beispiel: antizyklische Fiskalpolitik Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 24 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1. 2 Rolle des Staates Rechtfertigung staatlicher Aktivität bzw. Eingriffe in den Wirtschaftsablauf? 1.2.1 Allokation, Distribution, Stabilisierung und Wachstum (a) Allokationsziel • Bezug: Ressourcen • Korrektur von Marktineffizienzen => Afrika: Fülle von Informationsprobleme • Versagen von Güter- und Faktormärkten => Bestimmte Güter und Einsatzfaktoren werden nicht in gewünschter Art und Menge angeboten • Ausgangspunkt: 1. Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 25 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen • Aussage: Unter bestimmten Bedingungen sind Wettbewerbsgleichgewichte Pareto-effizient • Bedingungen: 1.2 Rolle des Staates - Private Güter - Nichtsättigung - Keine Externalitäten - vollständige und transparente Information - andere technische Bedingungen • Implikationen: Tauschwirtschaft - 2 Personen: 1, 2 - 2 Güter x1, x2 - Anfangsausstattungen Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 26 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen • Allokation beschreibt die Menge von beiden Gütern, welche beide Haushalte besitzen • Edgeworth-Box bildet mögliche Allokationen innerhalb der Wirtschaft ab • Nutzenmaximierung 1.2 Rolle des Staates Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 27 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen • Beide Individuen können sich durch Tausch besser stellen; Tauschvorteile erst ausgeschöpft, falls die relativen Wertungen überein stimmen • Kontraktkurve = Ort aller Pareto-optimaler Allokationen 1.2 Rolle des Staates Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 28 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen • Darstellung im Nutzenmöglichkeitenraum 1.2 Rolle des Staates • Kurve bildet Pareto-optimale Allokationen ab • Alternative Optima ↔ Besserstellung von Person 1 ist nur auf Kosten von Person 2 möglich • Nutzenmöglichkeitengrenze • Nutzenmöglichkeitenraum Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald • Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 29 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen • Erweiterung um Produktionssektor 1.2 Rolle des Staates • Allokationsmechanismen wie - Markt- und Preismechanismus - öffentliche Planung - Lotterie - Windhundverfahren ermöglichen gleichzeitige Erreichung von Produktionseffizienz und Nachfrageorientierung • (gesamtwirtschaftliches) Allokationsproblem = Zuordnung knapper Ressourcen auf konkurrierende Verwendungsmöglichkeiten • Wirtschaftlichkeitsprinzip Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 30 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Allokationsfunktion des Staates 1.2 Rolle des Staates • Festlegung Allokationsmechanismus • staatliches Eingreifen, falls die Voraussetzungen für die Gültigkeit des 1. HS Wohlfahrtsökonomik nicht erfüllt sind • Bereitstellung wichtiger institutioneller Rahmenbedingungen, wie - Rechtsordnung - Währungssystem - Finanzverfassung • Erhaltung des Wettbewerbs Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 31 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Allokative Aspekte öffentlicher Finanzen 1.2 Rolle des Staates • auf öffentliche Finanzwirtschaft selbst gerichtete Allokationsüberlegungen - Begründung Staatstätigkeit (Theorie öfftl. Güter/ opt. Budget) - Staatsinterne Effizienz (Staatsaufbau) • auf finanzpolitische Maßnahmen gerichtete Allokationsüberlegungen - finanzwirtschaftliche Allokationspolitik (effiziente Bereitstellung öffentlicher Güter) - Beobachtung allokativer Nebenwirkungen (Besteuerung) Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 32 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen (b) Distributionsziel 1.2 Rolle des Staates • • ? • Theorie Umverteilung sollte in Form einer Veränderung der Anfangsausstattung erfolgen, nicht über Preisänderungen, Subventionen! Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 33 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Redistribution 1.2 Rolle des Staates Gerechtigkeit Trade-off Effizienz Mehr Gerechtigkeit geht zu Lasten der Effizienz Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 34 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen was ist “gerecht” ? 1.2 Rolle des Staates • Theoretische Lösung möglich, aber Aggregationsproblematik (Arrow) individuelle Präferenzen lassen sich idR nicht schlüssig aggregieren • deshalb Annäherung an “gerechte” Verteilung • Problem: verschiedene Gerechtigkeitsbegriffe 1. Utilitaristisches Konzept (Bentham) gesellschaftliche Wohlfahrt ist verteilungsunabhängig 2. Egalitäre Lösung Nash-Lösung und Rawles-Lösung befinden sich zwischen den Extremen Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 35 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.2 Rolle des Staates • Nash-Lösung: Umverteilung gilt als gesellschaftlich indifferent, wenn Nutzenzuwachs des empfangenden Reicheren den Nutzenverlust des abgebenden Ärmeren übertrifft d. h. zunehmende gesellschaftliche Ungleichheit muss durch verstärkten Nutzenzuwachs kompensiert werden • Rawls-Lösung: gesellschaftliches Nutzenniveau wird durch das Nutzenniveau des ärmsten Mitglieds der Gesellschaft bestimmt d.h. Umverteilung zu Lasten der absoluten Position der Ärmeren lässt sich hier nie rechtfertigen Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 36 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.2 Rolle des Staates Staat und Gerechtigkeit Die Entscheidung darüber, welche Verteilung als gesellschaftlich „gerecht“ gelten soll, ist ein Werturteil,das nur auf politischem Wege gefällt werden kann was soll umverteilt werden? • Einkommen • Konsum • Vermögen ? Ansatzpunkte • intragenerativ • intergenerativ Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 37 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.2 Rolle des Staates Aufgabe der Finanzpolitik ist es, auf Opportunitätskosten alternativer Verteilungslösungen hinzuweisen und die „effizientesten“ Instrumente zur Erreichung konkreter Verteilungsziele vorzuschlagen. einnahmeseitig • Frage der „Steuergerechtigkeit“ Steuern müssen als „gerecht“ empfunden werden • Umsetzbarkeit ??? ausgabenseitig • gleichmäßige Versorgung mit öffentlichen Gütern • Realisierungspotenzial? Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 38 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen (c) Stabilisierung und Wachstum 1.2 Rolle des Staates • Glättung von Konjunktur- und Wachstumsschwankungen • Volle Auslastung des Produktionpotenzials • fiscal policy strebt kurz-/ mittelfristig ausgeglichene Auslastung des volkswirtschaftlichen Produktionspotenzials an • Gleichgewichtskonzepte Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 39 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Charles Darwin „The Origin of Species“ 1.2 Rolle des Staates „[The plants and animals of the Galapagos differ radically among islands that have] the same geological nature, the same height, climate, etc. . . . This long appeared to me a great difficulty, but it arises in chief part from the deeply seated error of considering the physical conditions of a country as the most important for ist inhabitants; whereas it cannot, I think, be disputed that the nature of the other inhabitants, with which each has to compete, is at least as important, and generally a far more important element of success.“ (Darwin 1859, S.540) Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 40 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Interpretation 1.2 Rolle des Staates • Ähnlichkeit Ökonomie und Ökologie • Darwin hat implizit erkannt, dass Ökosysteme multiple Gleichgewichte haben können • Bedeutung von Zufall • (ökologische) Umwelt [= endogene Variablen] besitzt bedeutendere Rolle als allgemeine Grundlagen (hier: Wetter, Geografie) hinsichtlich Systementwicklung • wesentlicher Bestimmungsfaktor der eigenen Umwelt ist vom Verhalten der Anderen geprägt, deren Verhalten wiederum von ihren Vorstellungen über das Verhalten Anderer abhängt • Erkenntnis muss auch bei der Implementierung politischer Maßnahmen berücksichtigt werden Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 41 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Unterschied zu Industrieländer (IL) 1.2 Rolle des Staates • Bedeutung von Konjunkturzyklen in Abhängigkeit der staatlichen Entwicklung • Staat kann Konjunkturprogramm häufig nicht schultern; begrenzte staatliche Ausgabenprogramme etwa durch Tansania in Finanzkrise [1,3 Mrd. US$] (UNCTAD 2010) • Umfang Landwirtschaft/ Informeller Sektor • Konzept der Stabilisierung in EL und dessen Implementierung komplexer Beispiele: - Produktionspotenzial = ? - Bevölkerung weniger „unemployed“ als „underemployed“ • Bedeutung der Förderung von wirtschaftlichem Wachstum • wie kann Wachstum generiert werden? Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 42 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Wachstum und Verteilung 1.2 Rolle des Staates • Trotz des in einigen Staaten ansehnlichen Wirtschaftswachstums scheint die Armut nicht abzunehmen Beispiel: Uganda Jährliches BIP-Wachstum 1983 – 2001, in % Quelle: World Bank (2003), African Development Indicators Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 43 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Zunehmende Ungleichheit 1.2 Rolle des Staates Konsumveränderungen in Uganda nach Perzentile Quelle: Kappel, R. u. a. (2004), The Missing Links – Uganda‘s Economic Reforms and Pro-Poor Growth, Eschborn. Interpretation: Wachstum zwischen 1992/93 und 2002/03 zwar auf breiter Basis, doch das höchste Perzentil hat viel stärker daran teilgenommen Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 44 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.2 Rolle des Staates Pro-Poor Growth • Erkenntnis, dass undifferenzierte Wachstumsstrategien das Problem der Armut nicht beseitigen • Breitenwirksames Wachstum: Ein wichtiger Aspekt der Armutsbekämpfung ist es, ein ausreichendes wirtschaftliches Wachstum in den EL zu erreichen und die armen Bevölkerungsschichten an diesen Prozessen zu beteiligen Unterschiedliche Situation • Bsp: Agrarökonomie Uganda, Rohstoffökonomie Botsuana und Weltmarktintegration Mauritius • Betroffenheit durch Naturkatastrophen, AIDS • good governance ? Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 45 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.2 Rolle des Staates 1.2.2 Marktversagen und Staatsversagen Marktversagen = Situation, in dem es einem sich selbst überlassenen Markt nicht mehr gelingt, die Ressourcen effizient zuzuteilen Die Grundannahmen für die Herausbildung eines effizienten Marktgleichgewichts liegen in der Realität oftmals nicht vor Technische Definition: = bestehende Tauschgewinne werden bei dezentralen freiwilligen Entscheidungen nicht ausgeschöpft Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 46 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.2 Rolle des Staates Mögliche Gründe: • Nichtvorhandensein von Märkten (Externe Effekte und Öffentliche Güter) • Informationsprobleme (Information liegen nicht (kostenlos) vor; Fehlinformationen führen zu Fehlanpassungen) • Anpassungskosten verhindern Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen • Keine vollkommene Konkurrenz/ Marktmacht • Fehlende oder unvollkommene Eigentumsrechte => ökonomische Begründung Staatsintervention Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 47 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.2 Rolle des Staates Staatsversagen • Koordinierungsmängel auf Märkten aufgrund staatlicher Intervention • Gründe für staatliche Intervention: - Diktatoren - Politiker - organisierte Interessengruppen handeln rationalerweise nicht im Sinne des Gemeinwohl, sondern eigennutzorientiert => Wiederwahlorientierung Politiker (Demokratische Staaten) => strategische Gruppen („Elite“) Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 48 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1. 3 Charakteristika subsaharischer Staaten (i) Bedeutung primärer Sektor (ii) Dualismus: traditioneller versus moderner Sektor besondere Implikationen hinsichtlich ökonomischer und sozialer Strukturen und Abläufe (iii) Ungleichheit große Anzahl von Menschen lebt unter Armut; extrem kleiner Anteil reicher Menschen (iv) Fragmentierung von Kapitalmärkten (v) Segmentierung von Arbeitsmärkten Ausgeprägter informeller Sektor Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 49 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.3 Charakteristika subsaharischer Staaten Informeller Sektor • Konzept stammt von Keith Hart (Kenia 1972) • dualistisches Modell von ILO popularisiert • Formeller (FS) versus Informeller Sektor (IS); legal fundierte Einkommenserzielung ? • hier: IS weitgehend Kleingewerbe, Staatsferne • legale Güter werden produziert/ vertrieben ohne Konzession • FS und IS nicht unverbunden (Heterogenität; Netzwerke und Cluster) • Zahlreiche wissenschaftliche Debatten (Definitionen, Ursachen etc.) • Evergreen: Diskussion mehrmals auf Basis neuer Erkenntnisse neu belebt Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 50 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.3 Charakteristika subsaharischer Staaten (vi) viele Kleinstunternehmen/ informeller Sektor (vii) geringes Bildungsniveau (viii) Verzerrung im Handel (ix) Besondere Bedeutung von Zulassungen, Zuteilungen, Genehmigungen, Lizenzen (x) zahlreiche Einkommensquellen vor allem bei ärmeren Bevölkerungsschichten (“hard to tax”) (xi) tw. umfangreicher Staatssektor (xii) tw. problematische Ausgabenschwerpunkte durch Kriege und Konflikte bedingt (xiii) hohe, oft nicht nachhaltige Verschuldung Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 51 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.3 Charakteristika subsaharischer Staaten (xiv) Korruption Transparency International Corruption Korruptionsindex 2010 Quelle: http://www.transparency.de/ Hinweise zur Tabelle: *CPI bezieht sich auf das von erfahrenen Geschäftspersonen und Länderanalysten wahrgenommene Ausmaß der Korruption und rangiert zwischen 10 (frei von Korruption) und 0 (extrem von Korruption befallen). **Vertrauensintervall zeigt eine Spannweite von möglichen CPI Punktwerten. Dies zeigt, wie die Punktwerte in den einzelnen Ländern, entsprechend der Messgenauigkeit, variieren können. Normalerweise liegt der Wert mit 5%iger Wahrscheinlichkeit über dem Intervall und mit weiterer 5%iger Wahrscheinlichkeit unterhalb diesem. Insbesondere dann, wenn nur wenige Quellen zur Verfügung stehen, ist eine erwartungstreue Schätzung des Mittelwertes nur noch mit weniger als 90%iger Sicherheit möglich. Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 52 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.3 Charakteristika subsaharischer Staaten Transparency International Corruption Perceptions Index 2010 . Quelle: Transparency International (2010) Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 53 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.3 Charakteristika subsaharischer Staaten Transparency International Corruption Perceptions Index 2010 . Rang Land 2010 CPI Punktwert* Vertrauensintervall** 1 Dänemark Neuseeland Singapur 9,3 9,1 – 9,4 9,2 – 9,5 9,2 – 9,4 15 Deutschland 7,9 7,5 – 8,3 33 Botswana 5,8 5,4 – 6,2 39 Mauritius 5,4 4,7 – 6,8 54 Südafrika 4,5 3,4 – 5,1 98 Burkina Faso 3,1 1,9 – 4,8 105 Senegal 2,9 2,1 – 3,4 116 Tansania 2,7 2,1 – 3,3 134 Nigeria 2,4 2,0 – 3,3 134 Simbabwe 2,4 1,3 – 3,5 172 Sudan 1,6 1,2 – 2,1 178 Somalia 1,1 0,9 – 1,4 Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 54 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.3 Charakteristika subsaharischer Staaten Erscheinungsformen von Korruption • Schmiergeld (grease money; bribery; graft; facilitation payment) • Gelegenheitskorruption • Bestechung und Bestechlichkeit in der öffentlichen Verwaltung • Genehmigungskorruption • kriminelle Netzwerke • Käuflichkeit politischer Entscheidungen Implikationen: • betrifft staatliche Einnahmen und Ausgaben • verlangsamt Wachstum • reduziert Effektivität von Hilfsgeldern Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 55 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen 1.3 Charakteristika subsaharischer Staaten (xv) Kapitalflucht Illegale Geldflüsse aus LDC-Ländern als BIP-Anteil; im Durchschnitt der Jahre 1990-2008 Anteil nach Regionen Quelle: UNDP (2011) Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 56 Teil I: Einführung 1. Definitionen und Grundlagen Reale Geldabflüsse aus SSA 1970-2004 in Mill US$ 1.3 Charakteristika subsaharischer Staaten (2010) (2008) • Anstieg im Zeitablauf: 1970-9: 57 Mrd US$ 2000-8: 437 Mrd US$ (kum.) • besonders betroffen: West- und Zentralafrika • für jeden US$, den EL als ODA erhalten, verlieren EL 10 US$ durch Kapitalflucht • Problem nicht nur Spiegelbild innerstaatlicher Probleme; sondern auch globaler Finanzströme Paul Marschall, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Öffentliche Finanzen afrikanischer Staaten I 57