Jerzy Ma?ków: Totalitarism. und danach. Einführung in den

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Jerzy Ma?ków: Totalitarism. und danach. Einführung in den Kommunismus
und die postkommunistische Systemtransformation
Besprochen von Alexander J. Motyl
Dies ist ein äußerst wichtiges Buch. Lapidar und nicht ohne Humor
geschrieben, stellt Totalitarismus und danach eine klare und
überzeugende Analyse des Totalitarismus-Begriffs und des
Totalitarismus selbst und seiner Folgen dar. Jerzy Ma?kóws
Verdienst besteht auch darin, die Diskussion über den Totalitarismus
gewissermaßen entpolitisiert zu haben. Ob man mit Ma?kóws
Analyse einverstanden ist oder nicht, sie ermöglicht eine nüchternere
Betrachtung des sogenannten Totalitarismus-Modells.
Jerzy Ma?ków:
Totalitarismus und danach.
Einführung in den
Kommunismus und die
postkommunistische
Systemtransformation.
Baden-Baden: Nomos,
2005, 168 S., 24 €
Wie wichtig eine solche Entemotialinisierung ist, werden diejenige
Sowjetologen wissen, die die siebziger und achtziger Jahre bewußt
miterlebten. Damals war der Totalitarismus-Begriff fast wie ein
Schimpfwort, das den Benutzer zum Antikommunisten, Imperialisten,
und Kapitalismus-Apologeten abstempelte. Besonders
bemerkenswert war das übliche Ritual, wonach man eine Analyse
mit der obligatorischen Denunziation des Begriffs anfing. Diese
einschränkende Politisierung wurde erst zur Zeit der Perestrojka
geschwächt, wenn, ganz unerwartet für die Gegner des Begriffs,
sogar sowjetische Analytiker anfingen, die Sowjetunion als totalitär
zu bezeichnen. Als die Behauptung damit unmöglich wurde, daß nur
Sowjetgegner den Begriff benutzten, konnte die langsame
Rehabilitation des Modells kurz danach folgen.
Warum erlebte der Begriff ein Comeback? Hauptsächlich darum, weil
die Sowjetologie der siebziger und achtziger Jahre den Zerfall des
sowjetischen Systems nicht erklären konnte. Dieses Manko war das
Resultat der vorhandenen Präferenz für soziale Geschichte, für das
Partikulare, das Lokale, das Nicht-systematisierende. An und für sich
war das keine schlechte Richtlinie für die wissenschaftliche
Forschung. Aber eine derartige Fokusierung auf das Partikulare war
einfach nicht imstande, die Sowjetunion als System zu verstehen
und den Zerfall des ganzen Systems zu begreifen. Ob die
Sowjetologie den sowjetischen Zerfall voraussagte oder nicht, eines
ist klar: sie versagte, den Zerfall sogar nach dem Zerfall zu
verstehen. Der Vorteil der Totalitarismus-Theorie bestand darin, daß
sie systembezogen war und deshalb die Gründe des Zerfalls im
System als System finden konnte.
Wie die Erfinder des Modells versteht auch Ma?ków den
Totalitarismus als System, das vom Autoritarismus und Demokratie
zu differenzieren ist. Kurz gesagt:
"Im Totalitarismus strebt die kommunistische Partei im Auftrag der
totalitären Ideologie eine möglichst vollkommene (†˜totale') Kontrolle
und Lenkung der Gesellschaft an. [...] Der Totalitarismus stellt sowohl
ein politisches System als auch eine Gesellschaftsordnung dar, weil
er die Autonomie der gesellschaftlichen Subsysteme aufhebt. Die
Folgen sind eine schier grenzenlose Entpolitisierung und
Atomisierung der Untertanen - der †˜Sowjetmenschen'." (S. 152).
Das Hauptmerkmal des Totalitarismus ist weniger die Macht des
Parteistaates als die Abwesenheit von autonomen
außerparteistaatlichen Institutionen. Infolgedessen besteht die
Hauptaufgabe der postkommunistischen Systemtransformation darin,
die im Totalitarismus nichtexistierenden oder äußerst schwach
entwickelten Institutionen auf einmal zu etablieren oder zu
konsolidieren. "Die postkommunistischen Regierungen streben die
gleichzeitige Umwandlung aller gesellschaftlichen Subsysteme an.
Sie sind bemüht, gleichzeitig die staatliche Regulierung der
Wirtschaft, der Kultur and des Sozialen auf ein vernünftiges, die
Gesellschaft nicht erstickendes Maß zurückzufahren" (S. 89). Das ist
mehr als ein "Gleichzeitigkeitsdilemma," denn, wenn man sich
wirklich darum bemüht, alle politischen, wirtschaftlichen, kulturellen,
und sozialen Institutionen gleichzeitig und radikal zu ändern, ist
dieser Versuch einer Revolution von oben gleich. Abgesehen davon,
wie man diese Aufgabe nennt, ist die Verwirklichung einer
postkommunistischen Systemtransformation offensichtlich alles
andere als einfach.
Zwei von Ma?kóws Thesen hätten etwas überzeugender formuliert
werden können. Ma?ków behauptet, daß die Wurzeln des Zerfalls im
Versuch lagen, das totalitäre System nach Osteuropa von außen
einzuführen. Da die Institutionen, Traditionen und Kulturen dieser
Region für den "eingeführten" Totalitarismus nicht geeignet waren,
kam es unweigerlich zu Krisen, Umbrüchen und, im Laufe der Zeit,
zum Zerfall. "Wenn in der Gesellschaft die Ablehnung der totalitären
Ideologie, das Streben nach staatsunabhängigen Institutionen und
der Mut, gegen das System zu handeln, verbreitet sind, muß dies
einen zersetzenden Einfluß auf den ideologischen Parteistaat haben.
Die Bedrohung der totalitären Ordnung kann folglich durchaus aus
der Gesellschaft in den Parteistaat hineingetragen werden" (S. 83).
MaÂ?Âkóws Aussage ist theoretisch und empirisch überzeugend für
die Satelliten-Staaten, aber nicht für die Sowjetunion. Es ist deshalb
kein Zufall, daß seine Erklärung des sowjetischen Zerfalls eher
historisch und tatsachenbezogen als theoretisch wirkt. Statt von der
"latent vorhandene[n] Spannung zwischen Staat und Gesellschaft" in
der Sowjetunion zu sprechen, hätte MaÂ?Âków die Thesen vieler
Totalitarismus-Theoretiker der fünfziger Jahren benutzen können.
Ihnen zufolge, war der Totalitarismus als System - egal ob eingesetzt
oder endogen - lebensunfähig. Karl Deutsch, z. B., entwickelte
bereits 1954 eine elegante Theorie, basiert auf den
systemzersetzenden Konsequenzen der Zentralisation der
Information. Bereits George Kennan sprach von den internen
Schwächen des Totalitarismus in seinem berühmten X. Artikel von
1947. Solche systembezogene Theorien hätten Ma?kóws Analyse
nur bereichert.
Nicht ganz überzeugend ist auch Ma?kóws Behauptung, beim
ökonomischen Erfolg "der postkommunistischen
Systemtransformation […] kam [es] […] auf die Konsequenz und das
Geschick der Regierenden an, an der marktwirtschaftlichen
Umwandlung auch dann festzuhalten, wenn in der Bevölkerung
Widerstände gegen die Reformpolitik wuchsen" (S. 112). Das stimmt,
aber diese Erklärung ist nicht ganz im logischen Geist von MaÂ?Âkóws allgemeiner These, daß das totalitäre System die
postkommuniÂstische Transformation stark beeinflußte. In diesem
Licht wäre der wirtschaftliche Erfolg auch mit dem Zustand der
vorhandenen, geerbten Institutionen und kulturellen Traditionen zu
erklären. Es kann ja kein Zufall sein, daß gerade die Regierenden in
den Satelliten wesentlich mehr Geschick erwiesen als ihre Kollegen
in den ehemaligen Sowjetstaaten. Die osteuropäischen Regierenden
waren vielleicht kluger, aber ihr Hauptvorteil bestand darin, daß ihre
Staaten auch weniger totalitär als die Sowjetrepubliken gewesen
waren.
Man kann nur hoffen, daß Ma?kóws exzellentes Buch bald auf
Englisch erscheint.
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