Von der HIV-Struktur zu neuen AIDS

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Von der HIV-Struktur zu neuen AIDS-Therapien
Bei der Reifung zum infektiösen Virus werden die Bausteine der Proteinhülle des AIDS Erregers HIV neu zusammengesetzt. Heidelberger Forscher haben diese
Strukturveränderungen auf molekularer Ebene sichtbar gemacht. Die Erkenntnisse können
dazu dienen, neue dringend benötigte AIDS -Therapeutika zu entwickeln.
Hans-Georg Kräusslich, Universitätsklinikum Heidelberg (links), und John Briggs, Europäisches Molekularbiologisches
Laboratorium. © EMBL
Das Resümee aus mehr als dreißig Jahren AIDS -Forschung, seit das durch HIV-Infektion
verursachte Immunschwäche-Syndrom als eigenständige Krankheit erkannt wurde, ist
zwiespältig. Auf der Erfolgsseite sind die Identifizierung und Charakterisierung des HI-Virus und
die Aufklärung der Infektionswege zu verbuchen, die so rasch und intensiv erfolgten wie kaum
je bei einem anderen Virus und die zur Entwicklung von etwa 25 Medikamenten führten, die
heute in der AIDS -Therapie zugelassen sind.
Den HIV-Infizierten bietet sich dadurch eine Perspektive für ein gutes langfristiges Leben mit
dem Erreger – jedenfalls in hoch entwickelten Ländern wie Deutschland, in denen die teuren
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antiretroviralen Medikamente verabreicht und ihre lebenslange Einnahme kontrolliert werden
können. Auf der anderen Seite ist AIDS mit etwa 35 Millionen Infizierten weltweit noch immer
eine Pandemie vom Ausmaß der größten Seuchen der Menschheitsgeschichte. Mit 1,6 Millionen
Toten jährlich steht sie nach dem WHO-Bericht 2013 an sechster Stelle der häufigsten
Todesursachen. Trotz gelegentlicher Sensationsmeldungen in der Presse ist AIDS noch immer
nicht heilbar, es gibt keine wirksame Impfung dagegen, und Resistenzen gegen die
verfügbaren Medikamente nehmen rasch zu.
Strukturanalysen höchster Genauigkeit
Die genaue Analyse der HIV-Architektur und ihrer dynamischen Veränderungen während der
Virusentstehung und Reifung könnte Erklärungen über die Mechanismen der Resistenzbildung
gegen die heute vorhandenen Therapeutika liefern. Außerdem lassen sich aus den
Strukturdaten, so hoffen die Wissenschaftler, auch Informationen für die Entwicklung
maßgeschneiderter neuer Wirkstoffe gewinnen, die das Zusammenfügen („assembly“) der
einzelnen Bausteine zu infektiösen Viruspartikeln verhindern. Mit einer im renommierten
Fachjournal „Nature“ veröffentlichten Arbeit sind Forscher des Europäischen
Molekularbiologischen Laboratoriums (EMBL) und der Universität Heidelberg diesen
Zielsetzungen näher gekommen.
Bei der Reifung zum infektiösen HI-Virus (Bild rechts) werden die Bausteine des unreifen HIV (Mitte) umgelagert. Zum
Vergleich die Struktur eines unreifen Mason-Pfizer Monkey Virus (links). © EMBL/ F. Schur
Den Arbeitsgruppen des Biochemikers John Briggs vom EMBL und des Virologen Prof. Dr. HansGeorg Kräusslich, Sprecher des Zentrums für Infektiologie am Heidelberger
Universitätsklinikum, ist es mithilfe der Kryo-Elektronentomographie gelungen, den Aufbau der
Proteinhülle des AIDS -Erregers HIV-1 mit einer bisher unerreichten Auflösung von 8,8 Å
darzustellen. Bei dieser Methodik werden die Partikel innerhalb von Millisekunden unter hohem
Druck in flüssigem Stickstoff (-196 °C) schockgefroren. Dadurch können sich keine
zerstörerischen Eiskristalle bilden, und die Originalstruktur wird wie in einem Schnappschuss
festgehalten. Sie wird im Elektronenmikroskop aus verschiedenen Richtungen aufgenommen
und zu einem dreidimensionalen Strukturmodell mit höchster Detailgenauigkeit
zusammengefügt. Die Forscher zeigten, dass sich die Bausteine der Virushülle beim Übergang
vom nichtinfektiösen, unreifen Virus in den infektiösen, reifen Zustand umlagern. Zu ihrer
Überraschung waren die Bausteine ganz anders arrangiert als bei dem verwandten MasonPfizer Monkey Virus, dessen Proteinkomponenten biochemisch denen von HIV stark ähneln.
Ansatzstellen für neue Medikamente
Das in einer infizierten Zelle des menschlichen Immunsystems synthetisierte unreife HIV-
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Partikel besteht aus zwei Kopien des Virus-RNA-Genoms, das von einer kugeligen Proteinhülle
umgeben ist, die aus zwei- bis dreitausend Bausteinen des Gag-Polyproteins besteht. Bei der
Knospung an der Zelloberfläche wird das Virus noch von einem Stück Plasmamembran der
Wirtszelle eingehüllt. Das Assembly der Bausteine und die Knospung werden durch das GagPolyprotein gesteuert. Die Reifung erfolgt außerhalb der Zelle. Dabei wird Gag an fünf Stellen
durch ein im Viruspartikel ebenfalls enthaltenes Enzym, die Virusprotease, gespalten. Die
Proteinhülle wird in ihre Bausteine zerlegt und wieder neu zur reifen, kegelförmigen Hülle
zusammengesetzt.
HIV im Elektronenmikroskop. Rechts die Knospung unreifer Viruspartikel an der Plasmamembran der Zelle, links reife
HIV. © H. Zentgraf, DKFZ
Wirkstoffe, mit denen die Virusprotease inhibiert und somit die Reifung und Infektiosität
verhindert werden kann, gehören zu den Hauptstützen der heute gängigen Anti-HIV-Therapien.
Ihre Wirksamkeit wird jedoch durch Resistenzbildungen immer mehr eingeschränkt. Wie Briggs
und Kräusslich hervorheben, sollte das Assembly des Proteingerüsts – sowohl für die
intrazellulären, unreifen Partikel als auch die extrazellulären, reifen Viren – gute Zielstrukturen
für antivirale Wirkstoffe liefern. Die geordnete Zusammenlagerung der Proteinbausteine der
Hülle, die jetzt mit Kryo-Elektronentomographie sichtbar gemacht werden konnte, erfordert
das Zusammenspiel zahlreicher schwacher molekularer Wechselwirkungen. An diesen können
Moleküle angreifen, die das Assembly unterbrechen und die Vermehrung des Virus verhindern,
sodass sie als Kandidaten für neuartige AIDS -Medikamente infrage kommen.
Die Studie, an der auch PD Dr. Barbara Müller vom Zentrum für Infektiologie beteiligt ist,
wurde im Rahmen der „Molecular Medicine Partnership Unit“ (MMPU) durchgeführt, in der
Briggs und Kräusslich seit Jahren erfolgreich die Struktur und das Assembly von HIV
erforschen. Die MMPU ist ein im Jahr 2002 zwischen dem EMBL und der Universität Heidelberg
eingerichtetes Joint Venture zur Verbindung von hervorragender molekularbiologische
Grundlagenforschung und klinisch relevanter medizinischer Forschung.
Publikation:
Schur FKM, Hagen WJH, Rumlová M, Ruml T, Müller B, Kräusslich H, Briggs JAG: The structure of the immatureHIV-1
capsid in intact virus particles at 8.8 Å resolution. Nature, 2 November 2014. DOI: 10.1038/nature 13838.
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Fachbeitrag
15.12.2014
EJ
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Molecular Medicine Partnership
Unit
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Bioanalytik - Neue Techniken zur Charakterisierung biologischen Materials
Retroviren: Vom Krankheitserreger zum Therapiehelfer
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