nis eine Washington-Tokyo-Peking-Achse einer Paris-BonnMoskau-Achse g e g e n ü b e r s t e h e n wird. Das gibt zwar ökonomisch, nicht aber ideologisch Sinn. Ich m ö c h t e an dieser Stelle jedoch nicht weiter hierauf eingehen. Sollte sich aber ein derartiges B ü n d n i s s y s t e m herauskristallisieren, w ä r e dies für A f r i k a wahrscheinlich recht nützlich, denn es w ä r e dann mmstrittenes< Gebiet und beide Seiten m ü ß t e n u m es >werben<. Auf einem ganz anderen Blatt steht, zweitens, die künftige Entwicklung der Weltfamilie der Anti-System-Bewegungen. Dort herrscht momentan große Verwirrung. I n den Metropolen werden die dominierenden alten Bewegungen der I I . Internationale durch die verschiedenen Erscheinungsformen der sogenannten Neuen L i n k e n unter Druck gesetzt. I n den sozialistischen Ländern sind die an der Macht befindlichen Bewegungen der I I I . Internationale den Angriffen verschiedenster Bewegungen ausgesetzt, von denen Solidarnosc lediglich die bekannteste ist. I n der Dritten Welt verfolgen traditionelle Befreiungsbewegungen immer noch ihre Ziele i n L ä n d e r n , i n denen noch keine R e v o l u tion« stattgefunden hat — vom ANC S ü d a f r i k a s bis zur F M L N / FDR El Salvadors. Wir haben es m i t einer ernstzunehmenden Krise innerhalb der Anti-System-Bewegung zu tun, die sich strukturell u m ihre jetzt fünffache Spaltung dreht, und m i t wachsender Skepsis hinsichtlich der langfristigen Wirksamkeit der klassischen Strategien. Die Frage ist, ob es i n den n ä c h s t e n zwanzig Jahren Neua n s ä t z e für eine Strategie-Synthese geben w i r d und infolgedessen den Beginn eines neuen, transnationalen B ü n d n i s s e s von Bewegungen. Das ist noch l ä n g s t nicht sicher, denn diese A k t i v i t ä t e n haben j a gerade erst begonnen. Dennoch, wenn sie auch nur ein S t ü c k c h e n v o r a n k ä m e n , k ö n n t e n sie die Lage Afrikas erheblich beeinflussen. Die dritte und letzte Variable ist die Frage, wie es i n A f r i k a selbst weitergeht. A f r i k a ist der ä r m s t e Teil der Peripherie und als letzter entkolonisiert worden. M i t der — h ö c h s t wichtigen — Ausnahme von S ü d a f r i k a und Namibia haben inzwischen alle afrikanischen Staaten die erste Runde der Mobilisierung und des politischen Wandels hinter sich. Die Ergebnisse sind unbefriedigend. Es ist klar, d a ß sich eine zweite Runde anbahnt; weniger k l a r ist, i n welcher Gestalt. D a r ü b e r besteht so viel Unklarheit, d a ß man zögert, p r ä z i s e r e Voraussagen zu treffen. M a n kann feststellen, d a ß die w o h l wichtigste einzelne Variable für Afrikas unmittelbare Zukunft i m Ziel und i n der Richtung der Anti-System-Mobilisierung innerhalb der u n a b h ä n g i g e n afrikanischen Staaten selbst besteht. Hierfür kann der Kampf i n S ü d a f r i k a wichtige Impulse liefern. N k r u m a h ist zu früh dagewesen. Ein neuer panafrikanistischer, antikapitalistischer Vorstoß kann durchaus R e a l i t ä t werden. Ich meine einen w i r k lichen Vorstoß und nicht nur Sprücheklopfen. Aber er m u ß von innen kommen, u m erfolgreich zu sein. Hier liegt t a t s ä c h l i c h die Herausforderung der n ä c h s t e n zwanzig Jahre. Wenn aber ein solcher Vorstoß sich ereignet, w i r d er die Gegebenheiten des Weltsystems grundlegend v e r ä n d e r n . A u s s c h l i e ß e n läßt sich diese Möglichkeit jedenfalls nicht. Anmerkungen 1 Siehe meinen Beitrag >Africa and the World-Economy<, der in Band VI der von der UNESCO herausgegebenen Allgemeinen Geschichte Afrikas erscheinen wird (J.FA. Ajayi (ed.), The Nineteenth Century Until the 1880's). 2 Siehe meinen Beitrag >Crisis as Transition« in: S. Amin, G. Arrighi, A.G. Frank and I. Wallerstein, Dynamics of Global Crisis, New York (Monthly Review) 1983. Afrika zwischen Zentmm und Peripherie Der Titel des Beitrags e n t h ä l t drei heute g ä n g i g e Schlüsselworte: Afrika, Zentrum, Peripherie. Sie sind jedoch nicht selbstverständlich, sondern (wie alles Menschliche) nur relativ zu verstehen, m i t b e s c h r ä n k t e r , weil historisch umgrenzter Aussagekraft. Als scheinbar universale Kategorie sind sie nur hantierbar durch möglichst p r ä z i s e Definition i n Zeit und Raum. Ein fruchtbarer Umgang m i t ihnen erfordert daher einige grundsätzliche V o r k l ä r u n g e n , die aber schon m i t t e n i n die Thematik führen. A f r i k a ist, wie der Name der ü b r i g e n Kontinente, nur eine praktische Abstraktion zur Benennung eines als r ä u m l i c h e Einheit e r f a ß t e n Erdteils. Der Name k o m m t (wie Asien) von der antiken Bezeichnung einer kleinen Landschaft, des Gebiets u m Karthago, und breitete sich von dort z u n ä c h s t ü b e r das gesamte von den R ö m e r n beherrschte Nordafrika aus. Er wurde erst s p ä t e r von den E u r o p ä e r n i m Zeitalter der E n t d e c k u n g e n « auf den gesamten Kontinent ü b e r t r a g e n . >Afrika< und >Afrikaner< also sind von a u ß e n stammende kollektive Bezeichnungen. Auch das ist nicht u n g e w ö h n l i c h i n der Geschichte. So sind >Germanen< und > Slawen« ä h n l i c h e Sammelbezeichnungen A u ß e n s t e h e n d e r zur Zusammenfassung von Völkern und S t ä m m e n zu einem Zeitpunkt, als sie sich selbst noch gar nicht als ethnische, sprachliche oder gar politische Einheit h ä t t e n verstehen können. Entsprechend w ä r e vor Ankunft der E u r o p ä e r und vor Aufnahme der von ihnen vermittelten Kenntnisse und Kategorien kein >Afrikaner< dazu i n der Lage gewesen, sich und A f r i k a als Einheit zu sehen oder gar abstrakt zu definieren. Er h ä t t e sich stets nur als A n g e h ö r i g e r eines Clans, eines Stammes oder eines g r ö ß e r e n Volkes verstanden. Eine solche Aussage hat nichts m i t geistigem Hochmut eines E u r o p ä e r s , m i t kulturellem Kolonialismus oder Neokolonialismus zu tun, sondern u m r e i ß t nur einen universalen Mechanismus, der so ü b e r a l l und zu allen Vereinte Nationen 4/84 Zeiten w i r k t , auch auf >Europäer< i n f r ü h e r e n Phasen ihrer Geschichte: I n der Regel sehen erst A u ß e n s t e h e n d e den gemeinsamen Nenner für G r o ß g r u p p e n von Menschen. Nach den E u r o p ä e r n waren daher Menschen afrikanischer Abstammung, ehemalige Sklaven oder deren Nachfahren, die i n England oder A m e r i k a die moderne Bildung Europas aufgenommen hatten, seit dem s p ä t e n 18. Jahrhundert die ersten >Afrikaner«, die A f r i k a ü b e r h a u p t als Einheit begriffen, eben weil sie die f r ü h e r e Heimat ihrer V ä t e r inzwischen von a u ß e n und m i t ü b e r g r e i f e n d e n Kategorien sahen. Nicht zufällig ging von solchen Gruppen, ferner von denjenigen m i t dem l ä n g s t e n und intensivsten Kontakt m i t E u r o p ä e r n (an der westafrikanischen Küste) der moderne afrikanische Nationalismus aus, der sich seit dem s p ä t e n 19. Jahrhundert zum Panafrikanismus als eine auf den Kontinent A f r i k a projizierte Befreiungs- und Einigungsbewegung erweiterte. Zentrum und Peripherie in der Weltgeschichte >Zentrum< und >Peripherie< sind j ü n g s t e , fast schon modische Begriffe aus dem Bereich der B e m ü h u n g e n , Probleme der sich entfaltenden Welt-Gesellschaft auf den Begriff zu bringen, i n der Regel m i t fortschrittlichen, antiimperialistischen, europaund kapitalismuskritischen Vorzeichen. Die Einbeziehung Afrikas i n die historischen und z e i t g e n ö s s i s c h e n Zentrum-Peripherie-Beziehungen erfolgt vor allem von der sogenannten Dependenz-Theorie, die s e l b s t v e r s t ä n d l i c h von Europa als Zent r u m der modernen Entwicklung ausgeht. Diese Selbstvers t ä n d l i c h k e i t ist ein Reflex eurozentrischer Sicht, nur jetzt k r i tisch gemeint. Jede noch so wohlgemeinte Selbstkritik an w i r k licher oder angeblicher Europazentriertheit dreht sich jedoch i m Kreise, wenn sie nur — manchmal bis zur S e l b s t z e r s t ö r u n g — Kompensierung für f r ü h e r e S ü n d e n seit der Expansion Europas i n Ü b e r s e e ist, die Europa vor einem halben Jahrtausend 117 t a t s ä c h l i c h zum Zentrum der modernen Weltgeschichte machte. Ohne falsche Ideologisierung kann das dialektische Begriffspaar Zentrum/Peripherie aber sehr wohl als nützliches Instrument zur historischen K l ä r u n g komplexer Sachverhalte dienen. Die Zentrum-Peripherie-Problematik läßt sich nur durch Relativierung ihrer allgemeinsten Formulierung lösen: Jedes Individuum, jede Menschengruppe sieht sich s e l b s t v e r s t ä n d l i c h als Zentrum der Erde und der Weltgeschichte, wie es anders auch gar nicht sein kann. Alles andere w i r d automatisch Peripherie. Nur darf sich solche gleichsam elementar-existentielle AutoZentrierung, Auf-sich-selbst-Bezogenheit, nicht absolut setzen. Sie m u ß sich stets durch die Zentrum-Peripherie-Sicht anderer e i n s c h r ä n k e n und relativieren lassen, darf sich nicht zur dominierenden oder gar alleingültigen Weltsicht aufwerfen. W i r k l i che Anerkennung der eigenen Zentrum-Peripherie-Sicht führt daher zu Bescheidenheit und Toleranz. Historisch gewendet und auf kollektive Gebilde ü b e r t r a g e n , findet auch A f r i k a seinen Platz. Denn i n der Weltgeschichte gab es geographisch wechselnde Schwerpunkte oder Zentren großer, f r ü h e r oder s p ä t e r die gesamte Erde erfassender Prozesse: > Entstehung der Menschheit ü b e r h a u p t vor ein bis zwei M i l lionen Jahren; > Ü b e r g a n g zur agrarischen Produktion vor rund 10 000 Jahren; > Ü b e r g a n g zur industriellen Produktion seit rund 200 Jahren. Die Entwicklung verlief jeweils von geographisch klar umrissenen Zentren — östliches und südliches Afrika, Vorderer Orient (Mesopotamien und Ägypten), Westeuropa — aus, für die der Rest der Welt v o r ü b e r g e h e n d >Peripherie< war. Entsprechend lassen sich wandernde Grenzen< i n der E r s c h l i e ß u n g der Erde für die Ausbreitung der jeweiligen Lebens- und Produktionsform erkennen, m i t tiefgreifenden Konsequenzen für die sich entfaltende Menschheit — Expansion • des Menschen auf der Stufe der Steinzeit ü b e r h a u p t ; • der agrarischen Produktion; • seit u n g e f ä h r 5 000 Jahren der s t ä d t i s c h e n Zivilisation, Staatlichkeit, Hochreligionen, Schriftlichkeit; • der industriellen Revolution bis i n die Gegenwart. Dieser komplexe G e s a m t p r o z e ß umspannt das, was gemeinhin als Fortschritt gilt, namentlich i n seiner j ü n g s t e n Phase der industriellen Produktion. Von Stufe zu Stufe vollzog sich die Entwicklung der Menschheit als komplexer, konfliktreicher, aber auch immer mehr sich selbst b e w u ß t werdender Prozeß: Entstehung und Ausbreitung der Menschheit, Anfänge der agrarischen Produktion und ihre frühe Expansion erfolgten noch i m Dunkel der Vorgeschichte, das sich erst n a c h t r ä g l i c h durch archäologische Forschungen erhellen ließ. Seit dem Übergang zu Schriftlichkeit, Staatlichkeit und zentraler B ü r o k r a t i e vor rund 5 000 Jahren wuchs die B e w u ß t w e r d u n g der menschlichen Entwicklung, z u n ä c h s t i n den Zivilisationszentren und an ihren R ä n d e r n , vermittelt durch Mythen und ein immer dichter werdendes Netz schriftlicher Überlieferung. Der Ü b e r g a n g zur Industrialisierung u n g e f ä h r ab 1760 spielte sich dagegen schon i m vollen Licht sozusagen historischer Öffentlichkeit ab und brachte sich bald selbst auf den Begriff — >industrielle Revolution^ Seit dem Entstehen damals moderner Staatlichkeit i m alten Vorderen Orient vor rund 5 000 Jahren entwickelten die g r o ß e n Zivilisations- und Machtzentren — der Vordere Orient, das antike Griechenland und Rom, Indien und China — als T r ä g e r der jeweiligen Entwicklungsstufe ein subjektives Überlegenheitsgefühl. Es war Ausdruck ihrer t a t s ä c h l i c h e n objektiven (materiellen, technischen, ö k o n o m i s c h e n , m i l i t ä r i s c h e n etc.) >Überlegenheit< g e g e n ü b e r den >Barbaren< der jeweiligen Peripherie. F ü r die Bewohner des Zentrums war die >Welt< schlechth i n ihr eigener Machtbereich und die ihnen bekannte Peripherie. Die Folge waren A n s p r ü c h e auf regionale Hegemonie — >Weltherrschaft< ü b e r die (jeweils t a t s ä c h l i c h bekannte) >Welt<. 118 Den Hochmut i n den g r o ß e n (und kleineren) Macht- und Z i v i l i sationszentren d r ü c k t e am sinnfälligsten die Ideologie des alten China als Reich der Mitte aus, dessen Kaiser eigentlich ü b e r alle >Barbaren< herrschen m ü ß t e . I n anderen Zivilisations- und Machtzentren wurde dieser Macht- und Herrschaftsanspruch g e g e n ü b e r der >barbarischen< Peripherie wie g e g e n ü b e r den eigenen Untertanen auch noch religiös überhöht, oft durch Hochreligionen m i t universalem Geltungsanspruch — Buddhismus, Christentum, Islam, jeweils m i t besonderen Varianten. Auch i n A f r i k a gab es diesen Mechanismus, wenn auch m i t mannigfachen Abwandlungen. Die Bewohner Afrikas sind ethnisch und i n ihrer sozio-ökonomischen Entwicklung keineswegs homogen. So zeichnet sich auf dem Kontinent eine ganze Hierarchie >überlegener< und minderangesehener Völker und Gruppen ab, i m allgemeinen von h e l l h ä u t i g e n Bewohnern (Arabern, Berbern, Tuareg) ü b e r sogenannte Hamiten bis hin zu den ganz Schwarzen, und unter ihnen standen noch P y g m ä e n und San (>Buschmänner<). Auch das alte A f r i k a kannte verschiedene Strukturen der Herrschaft und Abhängigkeit, gebundener A r beit und innerafrikanischer Sklaverei, Ausbeutungs- und Verachtungsmechanismen. Es gibt keine Veranlassung, das p r ä k o loniale A f r i k a zur Idylle umzudeuten, so verständlich auch jetzt die Versuchung dazu für Afrikaner sein mag, als Reaktion auf f r ü h e r e D ä m o n i s i e r u n g durch E u r o p ä e r . Seit seiner Expansion i n Ü b e r s e e ab u n g e f ä h r 1500 stieg Europa zweifellos zum Z e n t r u m eines neuen, von i h m beherrschten Weltsystems auf, war aber nicht minder zweifelsfrei bis dahin eben nur >Peripherie< i m ä l t e r e n , agrarisch fundierten Weltsystem gewesen, dessen damals höchstentwickelte Zentren zuletzt Indien und China waren. Europas Expansion i n Ü b e r s e e vorausgegangen war ein rund h a l b t a u s e n d j ä h r i g e r Entwickl u n g s p r o z e ß ab etwa 1000 i m >Fernen Western (vom >Fernen Osten< her gesehen), aber sozusagen noch unterhalb des weltpolitischen Horizonts der damaligen Zentren Indien und China. Seit seiner Konsolidierung nach Abwehr seiner ä u ß e r e n Feinde (Sarazenen, Normannen, Ungarn) flössen ab etwa 1000 i m lateinischen Europa zahlreiche Kulturtechniken aus dem alten Orient auf dem damals modernsten und h ö c h s t e n Stand zusammen und wurden dort miteinander und m i t seit der Renaissance wiederentdeckten Kenntnissen der e u r o p ä i s c h e n A n t i k e kombiniert. So bereitete sich allmählich die technische, s p ä t e r auch wissenschaftliche und militärische Ü b e r l e g e n h e i t des Neuen Westens g e g e n ü b e r dem alten Orient, erst recht g e g e n ü b e r den ü b r i g e n Gebieten der traditionellen >Peripherie< vor. Sie m ü n dete ein i n die effektive Weltherrschaft Europas i m neuen »kapitalistischen (besser: sich industrialisierenden) W e l t s y s t e m « (Immanuel Wallerstein) m i t seinen neuen Prinzipien (Kolonialimperialismus, Industrialisierung) und reduzierten auch die traditionellen Zentren Indien und China zur >neuen Peripherien Afrikas Stellung in der Geschichte Wie nun ist die Stellung Afrikas i n diesem hier notwendig nur grob skizzierten welthistorischen E n t w i c k l u n g s p r o z e ß ? Die A n t w o r t fällt schwer, weil sie, zumal i n der hier nur möglichen Kürze, leicht M i ß v e r s t ä n d n i s s e und Ressentiments hervorrufen kann: Afrika war einmal Zentrum der Weltgeschichte gewesen — bei dem langwierigen Prozeß der Menschwerdung. Aber diese Zeit liegt so unvorstellbar lange zurück, d a ß erst die moderne Archäologie der E u r o p ä e r i n den letzten Jahrzehnten m ü h s a m genug die frühe Menschwerdung i n Afrika rekonstruieren konnte. Danach hatte das n o r d ö s t l i c h e A f r i k a m i t der Herausbildung der ä g y p t i s c h e n Hochkultur einen Anteil am Ü b e r g a n g zur agrarischen Produktion und zur Staatlichkeit, m i t einer der beiden f r ü h e s t e n Hochkulturen ab 3000 v. Chr. Es gab sicher mannigfache Ausstrahlungen des ägyptisch-nubischen Kulturzentrums, m ö g l i c h e r w e i s e durch Wanderungsbewegungen vom mittleren Nil nach Westen entlang der Savanne, wie es Abstammungs- und Wanderungslegenden mancher westafrikanischer Völker irgendwo aus dem >Osten< und die physische Vereinte Nationen 4/84 Geographie des Sudan nahelegen. Sonst aber verlagerten sich die g r o ß e n Zentren der Entwicklung von A f r i k a weg, und die g r o ß e n E n t w i c k l u n g s s t r ö m e gingen fortan an Afrika weitgehend vorbei oder erreichten es erst s p ä t e r (wie die Eisengewinnung, die die Assyrer bei ihrer Invasion Ä g y p t e n s u m 670 v. Chr. erstmals nach A f r i k a brachten). Ü b e r h a u p t war Ä g y p t e n eine der wichtigsten und häufigsten Einfallspforten für a u s l ä n d i s c h e Einflüsse, die A f r i k a erreichten. Generell aber war Schwarzafrika von den g r o ß e n Entwicklungszentren weitgehend isoliert, fast sich selbst ü b e r l a s s e n . Die K ü s t e n hatten eine starke Brandung, die einen normalen Schiffsverkehr u n m ö g l i c h machten und wiesen nur ganz wenige n a t ü r l i c h e H ä f e n an großen F l u ß m ü n d u n g e n auf, waren zudem meistens von S a n d w ü s t e n oder M a n g r o v e n s ü m p f e n bedeckt und boten wenig Anreiz zur ö k o n o m i s c h e n Erschließung. Die Sahara bildete seit ihrer Austrocknung eine ä u ß e r s t w i r k same Barriere nach Norden und ließ auf Jahrtausende jeglichen organisierten Verkehr zwischen Schwarzafrika und Nordafrika ruhen. Erst die E i n f ü h r u n g des Kamels aus Asien durch die R ö m e r u m die Zeitenwende und die Expansion des Islam e r m ö g l i c h t e n ab etwa 750 die Wiederaufnahme eines Handelsverkehrs durch die W ü s t e — auf wenigen Pisten, stets m i t gro- ß e n Gefahren, von Natur und Menschen ( R ä u b e r n ) ausgehend. Der N i l und die S t r a ß e von Bab-el-Mandeb waren weitere Routen, auf denen fremde Einflüsse nach Schwarzafrika kamen. Die weitgehende Isolierung Afrikas faktisch ü b e r Jahrtausende hinweg hatte zumindest für Schwarzafrika eine schwerwiegende Konsequenz: Komplexe soziale und politische Entwicklung ist e r f a h r u n g s g e m ä ß nur möglich unter den Bedingungen intensiver und langer Kontakte m i t der A u ß e n w e l t . Gesellschaften, die weitgehend i n der (freiwilligen oder unfreiwilligen) Isolierung auf sich selbst z u r ü c k g e w o r f e n sind, stagnieren oder entwickeln sich nur sehr langsam. Aber genau dies trat, von Ausnahmen abgesehen, auf die gleich noch n ä h e r einzugehen ist, für Schwarzafrika ein, w ä h r e n d Nordafrika stets i n Verbindung zur mediterranen, europäischvorderasiatischen Zivilisation blieb. So konnte der Eindruck bei den von a u ß e n kommenden E u r o p ä e r n entstehen, A f r i k a habe keine Geschichte gehabt. Da Schwarzafrika keine autochthone Schrift entwickelte und sich schriftliche Dokumente unter afrikanischen Bedingungen (Klima, Termiten) ohnehin nur m i t besonderen M ü h e n erhalten lassen, Kenntnis von Geschichte aber z u n ä c h s t an Schriftlichkeit gebunden ist, galt A f r i k a lange Zeit als der dunkle, geschichtslose Kontinent. Die angebliche Geschichtslosigkeit, von Hegel gleichsam philosophisch geadelt, Fremde Interventionen in Afrika haben nicht erst 1884 begonnen; auch wurde auf der in jenem Jahr eröffneten Berliner Konferenz entgegen einer weitverbreiteten Annahme die Aufteilung Afrikas nicht vollzogen. Wohl aber wurden Regeln für meue Besitzergreifungen an den Küsten< festgelegt sowie, bilateral und außerhalb des förmlichen Konferenzrahmens, Ansprüche abgeklärt. Weltgeschichtlich hatte die Konferenz eher symbolische denn reale Bedeutung. Der Symbolwert allerdings ist beträchtlich: Die Berliner Konferenz steht für die — letztlich mit Gewalt durchgesetzte, mit Gewalt aufrechterhaltene — Fremdbestimmung über den Kontinent. Die Zusammenkunft währte vom 15.November 1884 bis zum 26. Februar 1885; die Grenzen des projektierten >Kongo-Freistaats<, dessen Oberhaupt der belgische König Leopold II. wurde, und des Freihandelsgebiets sowie den Stand der europäischen >Besitzergreifung< zeigt diese zeitgenössische Karte aus Petermanns Geographischen Mitteilungen. Vereinte Nationen 4/84 119 wurde den A f r i k a n e r n m i t dem Weitergehen der Expansion Europas als Argument h ö h n i s c h entgegengehalten, als Rechtfertigung für ihre angebliche biologisch permanente, also r a s s i sche« Minderwertigkeit, als Rechtfertigung für e u r o p ä i s c h e Kolonialherrschaft. Die These von der >Geschichtslosigkeit< Afrikas ist jedoch nicht so ganz einfach zu widerlegen. Vielmehr k o m m t es ganz auf die Definition von Geschichte an: Gilt Geschichte allgemein als Vergangenheit der Menschen, gar noch rekonstruierbare, so hat A f r i k a n a t ü r l i c h eine Geschichte. V e r ä c h t e r der afrikanischen Vergangenheit w ü r d e n verzweifeln, m ü ß t e n sie alle wissenschaftlichen B ü c h e r und Aufsätze lesen, die i n westlichen Sprachen i n den letzten drei Jahrzehnten zur Geschichte Afrikas veröffentlicht wurden. Eine durchaus mögliche Variante von der Auffassung dessen, was Geschichte ausmacht, kann sich jedoch auf die bekannte Vergangenheit des Menschen bes c h r ä n k e n , hebt also auf das ab, was Menschen von ihrer Vergangenheit t a t s ä c h l i c h wissen. Eine solche, engere Definition von Geschichte macht die Ignoranz der E u r o p ä e r hinsichtlich der Geschichte Afrikas bei ihrer Ankunft zumindest verständlicher, ist jedoch noch keine Entschuldigung für die sich ans c h l i e ß e n d e Arroganz der E u r o p ä e r , die m i t ihrer Verneinung afrikanischer Geschichte den A f r i k a n e r n ein S t ü c k humaner Existenz i n d i r e k t absprachen. Aber i m m e r h i n w u ß t e n auch die Afrikaner so gut wie nichts von der Geschichte ihres Kontinents. Sie hatten allenfalls m ü n d l i c h e Ü b e r l i e f e r u n g e n ihres je eigenen Stammes oder Volkes, ohne absolute oder gar exakte Chronologie, ohne ü b e r g r e i f e n d e Kenntnisse und Kategorien. Erst die V e r m i t t l u n g e u r o p ä i s c h e r Wissenschaft und europäischer Forschung machte die Erhellung afrikanischer Geschichte möglich, wie sie jetzt afrikanische Historiker zunehmend selbst i n die Hand nehmen. Die Einsicht i n solche komplizierten Z u s a m m e n h ä n g e sollte es heute zumindest ermöglichen, allseitig sachlicher und emotionsfreier ü b e r afrikanische Geschichte zu sprechen, gerade angesichts der ohnehin schwierigen Zentrum-Peripherie-Problematik. Afrika als Peripherie Unter universalhistorischen Aspekten, die allein dem g r o ß e n Thema angemessen erscheinen, war A f r i k a seit dem Ü b e r g a n g zur agrarischen Produktion also ü b e r w i e g e n d Peripherie. Nicht erst i m neuen, bald zur Industrialisierung und Imperialismus d r ä n g e n d e n Weltsystem Europas, sondern auch schon gegenü b e r den Kulturzentren des alten Vorderen Orients: Nubien, das m ö g l i c h e r w e i s e i n der f r ü h e n Formierungsphase des späteren pharaonischen Ä g y p t e n s eine bedeutende Rolle spielte, war für das alte Ä g y p t e n klassisches Kolonisationsgebiet, das i n den Bereich der ä g y p t i s c h e n Hochkultur durch den Wechsel von m i l i t ä r i s c h e r Eroberung und kultureller Durchdringung einbezogen wurde. Schon seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. lieferte es Ä g y p t e n unfreiwillig, was der Kontinent anderen Kultur- und Machtzentren s p ä t e r insgesamt i m freien Handelsaustausch bot — Gold und Sklaven, begehrt als A r b e i t s k r ä f t e oder Soldaten. I n frühchristlicher Zeit wurde Nubien von Byzanz aus christianisiert und r e p r ä s e n t i e r t e bis ins s p ä t e Mittelalter m i t zwei K ö n i g r e i c h e n die monophysitische Variante der Ostkirchen. Vorher waren aus dem s ü d a r a b i s c h e n Jemen ü b e r die S t r a ß e von Bab-el-Mandeb die Vorfahren der s p ä t e r e n Amharen i m 1. Jahrtausend v. Chr. nach Eritrea eingewandert und bildeten den Grundstock des s p ä t e r e n Äthiopien, ebenfalls s p ä t e r m i t einer monophysitischen Kirche, der sogenannten Koptischen (weil von Ä g y p t e n kommenden) Kirche. Die Äthiopien beherrschenden Amharen betrachteten sich aber lange als von a u ß e n kommende Eroberer, die sich weigerten, sich m i t Afrika zu identifizieren (wie eine Gruppe panafrikanischer Idealisten i n London 1936 zu ihrer Ü b e r r a s c h u n g und B e s t ü r z u n g erfahren m u ß t e , als sie den Negus Haile Selassie nach seiner Ankunft i m britischen Exil freundlich b e g r ü ß e n wollte und vom ahnenstolzen Amharen b r ü s k z u r ü c k g e w i e s e n wurde). Sehr viel solider und dauerhafter war die Verbindung, die der 120 Islam zwischen dem mediterranen K u l t u r z e n t r u m und weiten Teilen Afrikas herstellte, so d a ß der Islam heute oft (zu Unrecht) als einheimische afrikanische Religion gilt. Auch für den Islam war A f r i k a s e l b s t v e r s t ä n d l i c h nur Peripherie — Missionsgebiet, wandernde Grenze für kulturelle und politische Expansion. Mehrere Einfallzonen zeichnen sich ab: — von Ägypten aus Nordafrika bis nach Marokko, von dort nach Süden durch die Sahara und entlang dem mittleren Nil in die Savanne des Sudan; — über die Straße von Bab-el-Mandeb aus dem inzwischen muslimisch gewordenen Jemen nach Eritrea übersetzend, die inzwischen christlich gewordenen Äthiopier gleichzeitig ins Landesinnere abdrängend; — die Ostküste Afrikas, die nach inneren Konflikten im Islam von der unterlegenen Minderheit der Charidjiten aus Arabien und Persien mit einer Kette von Stadtstaaten erschlossen wurde, als Ausgangsbasis der arabisch-persisch-afrikanischen Suaheli-Mischkultur. Der Islam war i m Prinzip durchaus nicht tolerant g e g e n ü b e r den einheimischen afrikanischen Religionen und zahlreichen sozialen Strukturen, sondern versuchte, ä h n l i c h wie s p ä t e r das Christentum, seine Normen überall i n aller Strenge koranischer Reinheit durchzusetzen. Wo, wie i n den meisten Fällen, die Erzwingung eines integralen Islam nicht auf Anhieb gelang, provozierten die vielfältigen Formen synkretistischer V e r u n reinigung« immer wieder muslimische Erneuerungs- und Reinigungsbewegungen zur notfalls gewaltsamen Durchsetzung des reinen Islam, so zuletzt i n verschiedenen Heiligen Kriegen (Jihads) i n Westafrika i m 18. und 19. Jahrhundert. Gold und Sklaven — wichtigste Exportartikel Afrikas Durchdringung der Sahara nach S ü d e n und E r s c h l i e ß u n g der ostafrikanischen K ü s t e durch die Suaheli-Kultur hatte für Schwarzafrika zwei bemerkenswerte Folgen: Es entstanden am s ü d l i c h e n Rande der Sahara, i n der Sahel-Zone — >Sahel< bedeutet, wie >Suaheli< auf arabisch, >Küste<, >Strand<, d. h. des Sandmeeres Sahara bzw. des Indischen Ozeans — und i m I n land der S u a h e l i - K ü s t e w ä h r e n d des e u r o p ä i s c h e n Mittelalters muslimische Stadtstaaten und das Reich des Monomatapa m i t den Befestigungen von Simbabwe als Mittelpunkt. Sie organisierten den Export der inzwischen traditionell gewordenen wichtigsten A u s f u h r g ü t e r Schwarzafrikas: Gold und Sklaven. Dadurch stellten die Stadtstaaten des Sahel und der SuaheliK ü s t e eine indirekte ö k o n o m i s c h e Verbindung Schwarzafrikas zu den traditionellen Kultur- und Wirtschaftszentren her — ü b e r den Indischen Ozean (alter Orient von Arabien ü b e r Persien bis nach Indien und China) wie über Sahara-Mittelmeer nach Byzanz und zu dem sich allmählich aufbauenden neuen Zentrum Europa. Den Export ü b e r s c h ü s s i g e r Arbeitskraft i n Form des Sklavenhandels — innerhalb Afrikas wie über Sahara und Mittelmeer nach Byzanz und Europa, ü b e r den Indischen Ozean i n den alten Orient — besorgten die Afrikaner selbst. Der Transatlantische Sklavenhandel, der sich seit Beginn der Neuzeit und der Expansion Europas i n Ü b e r s e e zu riesigen Dimensionen ausweitete, war letzten Endes auch eine Variante des i n A f r i k a traditionellen Sklavenhandels, der noch einige Zeit weiterlief, als England bis 1888 m i t der Abschaffung der Sklaverei i n Brasilien das Ende des Sklavenhandels i n der Neuen Welt erzwungen hatte. Der Export menschlicher Arbeitskraft, i n den A b n a h m e l ä n d e r n meist relativ hoch bezahlt, bewirkte auch i n A f r i k a eine Gerings c h ä t z u n g der Völker, die traditionell gebundene A r b e i t s k r ä f t e stellten. Sklavenjagd, Sklavenhandel und Sklaverei wurden zur Grundlage für den s p ä t e r e n Rassismus Europas, der sich seit dem s p ä t e n 18. Jahrhundert i n den subtropischen Plantagenkolonien der K a r i b i k und a n s c h l i e ß e n d i n den S ü d s t a a t e n der USA als Rechtfertigungsideologie der Sklaverei i n der Neuen Welt herausbildete. I n den muslimischen L ä n d e r n dagegen verhinderte der Islam m i t der zumindest theoretischen Gleichbehandlung aller Gläubigen einen systematischen Rassismus westlicher P r ä g u n g . Aber eine elementare G e r i n g s c h ä t z u n g für Menschen i n der Stellung des Sklaven blieb auch hier. Vereinte Nationen 4/84 Der Export von Gold war wirtschaftsgeschichtlich nicht minder wichtig, vor allem aus Westafrika ü b e r die Sahara, Nordafrika und das Mittelmeer i n die g r o ß e n italienischen H a f e n s t ä d t e des Mittelmeers. Seitdem die e u r o p ä i s c h e n Goldquellen zur Finanzierung des u n g e f ä h r ab 1000 wieder neu anlaufenden Fernhandels zum Orient erschöpft waren, stieg das westafrikanische Gold (meistens ü b e r die westafrikanischen Reiche Mali, Ghana und Songhai vermittelt) zu einer lebensnotwendigen Quelle für den interkontinentalen Fernhandel Europas nach Indien und China auf. Westafrikanisches Gold e r m ö g l i c h t e also indirekt die Vorbereitung des mittelalterlichen Europa auf seine s p ä t e r e Expansion i n Ü b e r s e e , weil die Aufrechterhaltung des interkontinentalen Fernhandels auch das E i n s t r ö m e n entscheidender Kenntnisse und Kulturtechniken aus den traditionellen Wirtschafts- und Kulturzentren des alten Orients i n die sich e n t wickelnde« damalige >Peripherie< Westeuropa ermöglichte. Und die Kontrolle des westafrikanischen Goldhandels wurde i m 15. Jahrhundert, seit der Eroberung Ceutas durch die Portugiesen (1415), zu einem entscheidenden Motiv für die Entdeckungsfahrten entlang der K ü s t e Afrikas auf dem Seeweg nach >Indien< (damals und z u n ä c h s t noch lange Zeit ein Synonym für den alten Orient von der S u a h e l i - K ü s t e bis nach China). Suche des Seewegs nach >Indien< war das u r s p r ü n g l i c h e prim ä r e Motiv der Portugiesen zu ihrem s p e k t a k u l ä r e n Aufbruch in Ü b e r s e e . Sie wollten den (die begehrten Waren des Orients so verteuernden) Zwischenhandel von Tataren/Mongolen und T u r k v ö l k e r n auf der ü b e r w i e g e n d zu Land verlaufenen Nordroute des Fernhandels (>Seidenstraße<) ebenso umgehen wie die Kontrolle der Mamluken, die die strategisch wichtige Meerenge von Suez beherrschten und damit eine Schlüsselposition der s ü d l i c h e n Route, die meist zu Wasser verlief. Direkter ökonomischer Zugang nach >Indien< war also das erste p r i m ä r e Ziel der e u r o p ä i s c h e n Expansion i n Ü b e r s e e . Ausschaltung des einheimischen Zwischenhandels (Mali, Berber/Tuareg) i m Goldhandel aus Westafrika trat ab 1415 als wohl gleichberechtigtes p r i m ä r e s Motiv hinzu. Nur s e k u n d ä r e Motive dagegen waren christliche Mission, Sklavenhandel und die Suche nach dem l e g e n d ä r e n P r i e s t e r k ö n i g Johannes, der irgendwo i n A f r i k a i m R ü c k e n des Islam als potentieller V e r b ü n d e t e r vermutet wurde. Auf jeden Fall war aber A f r i k a auch jetzt für Europa eher zweitrangig. Abgesehen vom westafrikanischen Gold, war es z u n ä c h s t lästiges geographisches Hindernis auf dem Seeweg nach Indien. Bald wurde es auch Objekt eines sich allmählich entfaltenden Handels auf dem Wege nach S ü d e n , der dazu beitrug, die Entdeckungsfahrten nach >Indien< tunlichst selbst zu finanzieren — Gummiarabicum, Gold, a l l m ä h l i c h auch Sklaven, die z u n ä c h s t zur Iberischen Halbinsel und i n die entdeckten Inselgruppen des Atlantiks zwischen Europa und A f r i k a kamen. Vor allem die Azoren, Madeira, die Kanarischen und Kapverdischen Inseln wurden so zu Zwischenstationen und g r o ß e n Versuchslaboratorien für die s p ä t e r e Entfaltung des Transatlantischen Sklavenhandels und der Sklaverei i n der Neuen Welt bald nach der >Entdeckung< Amerikas durch Kolumbus. Afrika im neuen Weltsystem Europas Auch als sich der Handel m i t Westafrika, namentlich der Transatlantische Sklavenhandel, nach 1500 m i t der Zeit gleichsam v e r s e l b s t ä n d i g t e , blieb das Interesse des neuen Zentrums Europa an der afrikanischen Peripherie g e g e n ü b e r den lukrativeren Interessen an den alten Zentren (Indien, China) und an den neuen Zentren ö k o n o m i s c h e r Aktivität i n der Neuen Welt untergeordnet. Die e u r o p ä i s c h e n S e e m ä c h t e engagierten sich i n A f r i k a jahrhundertelang nur an der Küste, nur soweit es nötig wurde, u m den Gold- und Sklavenhandel sicherzustellen, stets i n Kooperation m i t traditionellen einheimischen Kräften. Eine tiefere Penetration ins Landesinnere, gar eine m i l i t ä r i s c h e Eroberung, w ä r e aus klimatischen und technischen G r ü n d e n vor dem Zeitpunkt u n m ö g l i c h gewesen, an dem sie t a t s ä c h l i c h erfolgte, also i m s p ä t e n 19. Jahrhundert. Voraussetzung für die Vereinte Nationen 4/84 f r ü h e n Handelsreiche der E u r o p ä e r , die z u n ä c h s t i n das einm ü n d e t e n , was neuerdings i n f o r m e l l e s Imperium< (Informal Empire) heißt, war also gerade die Behandlung Afrikas als >Peripherie< — sich i m Innern selbst ü b e r l a s s e n bleibend, m i t dem sparsamsten Einsatz e u r o p ä i s c h e r Investitionen (Bau von Küstenforts und Handelsstationen direkt an der Küste) und m i l i t ä r i s c h e r Machtmittel. Innere Entwicklungen i m noch p r ä k o l o n i a l e n A f r i k a waren jedoch l ä n g s t nicht so isoliert, wie es den ä u ß e r e n Anschein haben mochte. Die ö k o n o m i s c h e n A k t i v i t ä t e n der E u r o p ä e r an den K ü s t e n hatten Ausstrahlungen auf das Innere des Kontinents, auch als A f r i k a noch lange Zeit äußerlich u n a b h ä n g i g blieb. Namentlich i n Westafrika, dem Gebiet m i t dem l ä n g s t e n und intensivsten K o n t a k t Schwarzafrikas zu Europa, v e r ä n d e r ten die K ü s t e n g e b i e t e i h r e n Charakter. Zuvor waren sie k a u m viel mehr als fast ödes H i n t e r l a n d für die Savannengebiete gewesen, die ü b e r die Sahara zum Mittelmeergebiet orientiert waren. Jetzt stieg die K ü s t e zum dynamischsten Teil Westafrikas auf, w ä h r e n d die Bedeutung des Saharahandels wenigstens relativ zurückging, so d a ß die Savanne allmählich zum stagnierenden Hinterland absank. Durch die Verbindung zum Islam hatten auch große Ereignisse i n der islamischen Welt durch die Sahara R ü c k w i r k u n g e n auf Schwarzafrika. Die Expansion des Osmanischen Reiches i n Nordafrika stieß i m ä u ß e r s t e n Maghreb auf den Widerstand Marokkos, das nun seinerseits expansive Energien mobilisierte und, nach dem Sieg ü b e r Portugal 1578, versuchte, durch die Eroberung Songhais (1591) die osmanische Stellung i m heutigen Libyen von S ü d e n her zu umfassen. Und der Untergang Songhais hatte verheerende Konsequenzen für politische Stabilität und ö k o n o m i s c h e P r o s p e r i t ä t weiter Teile Westafrikas, m i t R ü c k w i r k u n g e n wiederum bis zur K ü s t e . Umgekehrt löste der Niedergang des Osmanischen Reiches seit seiner Niederlage vor Wien 1683 eine tiefgreifende Krise des Islams aus, als deren Reflex auch i n A f r i k a muslimische Erneuerungsbewegungen entstanden, die gerade i n Westafrika seit etwa 1720 die charakteristische Form regionaler Jihads annahmen (vor allem unter den Fulbe). Erst der Durchbruch der industriellen Revolution v e r ä n d e r t e allmählich die Situation von Grund auf: Die technische Überlegenheit der E u r o p ä e r wurde so groß, d a ß sie auch die klimatischen und geographischen Hindernisse zu ü b e r w i n d e n vermochte. Wesentlicher war der innere Impuls des e u r o p ä i s c h e n Weltsystems, das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Druck sich rasch beschleunigender Industrialisierung zu einer zweiten g r o ß e n Phase der Expansion aufbrach. Da die anderen Kontinente der Welt zum g r ö ß t e n Teil schon von Kolonialmächten besetzt und erschlossen worden waren, konzentrierte sich der neue Imperialismus vor allem auf Afrika. Abschaffung des Transatlantischen Sklavenhandels, seine Ersetzung durch l e g i timen Handeh, christliche Mission und das Eindringen europäischer Importwaren hatten bereits seit dem f r ü h e n ^ . J a h r hundert den Weg für den Wettlauf nach A f r i k a (Scramble for Africa), für die e u r o p ä i s c h e Kolonialexpansion und die Aufteilung Afrikas vorbereitet. Die Konkurrenz alter (Frankreich, Portugal) und neuer (Belgien, Italien, Deutschland) Kolonialm ä c h t e zwang England, das i n Afrika eine (relativ) dominierende Stellung an den K ü s t e n errungen hatte, seine bisherige Politik des i n f o r m a l Empire< aufzugeben und sich selbst möglichst große Territorien zu sichern, bevor die e u r o p ä i s c h e Konkurrenz zugreifen w ü r d e . Die vielzitierte Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 war nur ä u ß e r e r H ö h e p u n k t einer Entwicklung, die schon lange vorher angelaufen war. Aber selbst jetzt blieb für England noch immer Indien ausschlaggebend — Sicherung des Seewegs nach Indien, z u n ä c h s t ü b e r die Kaproute, nach Eröffnung des Suezkanals (1869) durch das Rote Meer, so d a ß Ä g y p t e n eine ganz neue strategische Bedeutung erlangte. Und auch jetzt blieb das Prinzip des möglichst sparsamen finanziellen und personellen Einsatzes i n den Kolonien: diese sollten sich durch Steuern und Zölle finanziell 121 tunlichst selbst tragen und das jeweilige >Mutterland< möglichst wenig kosten. A f r i k a blieb Peripherie, v e r ä n d e r t e aber seine weltpolitische Position nach zwei Weltkriegen. I m K a l t e n Krieg, durch die Entkolonisierung und die Rivalität der beiden neuen SuperW e l t m ä c h t e Vereinigte Staaten und Sowjetunion wurde Afrika nunmehr Schauplatz für ideologische wie globalstrategische M a n ö v e r dieser M ä c h t e . Die zahlreichen neu aufbrechenden Konflikte i n und zwischen den jungen N a t i o n a l s t a a t e n Afrikas erleichtern den W e l t m ä c h t e n weitgehend i h r Spiel, können aber auch zu immer neuen weltpolitischen Komplikationen f ü h r e n — besonders i m S ü d e n wie am H o r n Afrikas. • Die t a t s ä c h l i c h e Fülle der Geschichte des Kontinents und seiner Völker w i r d sich dem Interessierten wenigstens i n ihren Umrissen e r s c h l i e ß e n durch die von der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und K u l t u r (UNESCO) herausgegebene achtbändige Allgemeine Geschichte Afrikas. Bisher sind Band I und Band I I i n englischer und französischer Sprache erschienen: Methodologie und afrikanische Frühgeschichte und Die alten Zivilisationen Afrikas. Die weiteren B ä n d e sind teils i m Erscheinen begriffen, teils in Vorbereitung: Afrika vom 7. bis zum 11. Jahrhundert (III), Afrika vom 12. bis zum 16. Jahrhundert (IV), Afrika vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (V), Das 19. Jahrhundert bis zu den 1880er Jahren (VI), Afrika unter fremder Herrschaft, 1880-1935 (VII) und Afrika seit 1935 (VIII). Die beiden bisher vorliegenden B ä n d e sind reich bebildert; schon jetzt geben sie einen Vorgeschmack von der Konzeption des Gesamtwerkes. Alle Herausgeber der einzelnen B ä n d e sind afrikanische Historiker, doch sind auch renommierte e u r o p ä i s c h e und amerikanische Historiker m i t einzelnen B e i t r ä g e n vertreten, so d a ß eine w i r k l i c h internationale Sicht g e w ä h r l e i s t e t ist. Die Privatisierung des nachkolonialen Staates: Schwarzafrika zwischen Shaka und Shylock i Der nachkoloniale Staat i n Afrika unterliegt zwei konkurrierenden K r ä f t e n — dem Hang zur Privatisierung und dem Drang I m kapitalistischen Westen w i r d Staatszur Militarisierung. eigentum als Alternative oder gar als Gegensatz zum Privateigentum angesehen. So stellt zum Beispiel die Privatisierung der Stahlindustrie i n England eine Alternative zu Staatseigentum bzw. weitgehender staatlicher Kontrolle dar. I m nachkolonialen Afrika hingegen stellt sich die Frage, ob der Staat selbst privatisiert w i r d , i n Privatbesitz ü b e r g e h t . Findet der b e r ü c h t i g t e Ausspruch Ludwigs X I V . — »Der Staat bin ich« — i n A f r i k a neuen Widerhall? Es gibt t a t s ä c h l i c h eine A r t Echo, aber m i t spezifisch afrikanischen Variationen. Gleichzeitig m ü s s e n w i r i n Erinnerung behalten, d a ß der Druck zur Privatisierung i n A f r i k a einhergeht m i t dem Druck zur Militarisierung. Bei dem Drang zur Privatisierung handelt es sich teilweise u m ein V e r m ä c h t n i s der Habsucht i m Sinne eines Shylock. Der Hang zum Militarismus ist das Erbe nackter Gewalt i m Stil eines Shaka (des dem deutschen Leser auch als >Tschaka< bekannten kriegerischen Herrschers der Zulu i m f r ü h e n 19. Jahrhundert). I n Nigeria schien es zwischen 1979 und 1984, als ob sich diese beiden Tendenzen als Alternativen darstellten. A b 1979, unter ziviler Herrschaft, k a m die Privatisierung i n Schwung. Die Ressourcen der Nation wurden praktisch als privates Jagdrevier der Machthaber und ihrer Gefolgsleute betrachtet. Lukrative Aufträge, i m Handel wie bei Bauarbeiten, wurden auf der Basis privater E r w ä g u n g e n vergeben. A u s l ä n d i s c h e Devisen wurden privat verteilt. Millionen von Dollars und Naira verschwanden i n Privatbesitz und auf Konten i m Ausland. Diese zügellose Privatisierung staatlicher Ressourcen bildete den Hintergrund für die Militarisierung des Staates. Die Geduld der nigerianischen S t r e i t k r ä f t e — die ohnehin aus verschiedenen G r ü n d e n schon strapaziert war — m i t den Politikern i n Zivil wurde so noch zusätzlich auf die Probe gestellt. A m 31. Dezember 1983 intervenierten die Soldaten einmal mehr und ü b e r n a h m e n die Macht. Der Hang zur Militarisierung hatte ü b e r den Drang zur Privatisierung des nigerianischen Staates gesiegt. Die Soldaten rechtfertigten ihre Intervention damit, d a ß sie der privaten Plünderung der Ressourcen des Landes ein Ende setzen wollten. Obwohl die beiden Grundtendenzen Privatisierung und Militarisierung sich i n dieser spezifischen Phase der nigerianischen Geschichte scheinbar als Alternativen g e g e n ü b e r s t a n d e n , hat122 ten sie i n der Zeit, als die Soldaten ( w ä h r e n d der siebziger Jahre) an der Macht waren, einander v e r s t ä r k t . Das Militär war seinerseits geneigt, ü b e r die Staatskasse herzufallen. I n der politischen Landschaft Afrikas t r i t t der privatisierte Staat i n drei Formen auf — i n dynastischer, ethnischer und anarchischer Form. Auch hier wieder handelt es sich nicht unbedingt u m Kategorien, die sich gegenseitig a u s s c h l i e ß e n , obwohl ihre Charakteristika oft recht spezifisch sind. II Das politische System Nigerias wies i n den Jahren 1979 bis 1983 h a u p t s ä c h l i c h anarchische Z ü g e auf, hatte aber auch einige ethnische Komponenten. Die staatlichen Ressourcen flössen i n private H ä n d e ; teilweise, weil es keine wirksame Kontrolle gab. P r ä s i d e n t Shehu Shagari selbst mag zwar als Person >sauber< gewesen sein, aber er war wohl nicht geneigt oder i n der Lage, den Prozeß der Privatisierung aufzuhalten oder i n geordnetere Bahnen zu lenken. Es war dieses fast völlige Fehlen ökonomischer Kontrolle i n Nigeria i n diesen vier Jahren, das den p r i m ä r anarchischen Verlauf des Wirtschaftsprozesses zur Folge hatte. Aber es gab auch ethnische Komponenten — h a u p t s ä c h l i c h , weil die Basis von Shagaris Partei (die National-Partei Nigerias, NPN) w e i t h i n aus Haussa und Fulbe bestand, wenn auch keineswegs ausschließlich. Denn viele Haussa und Fulbe g e h ö r t e n Konkurrenzparteien an. Zudem war die U n t e r s t ü t z u n g für die NPN t a t s ä c h l i c h viel breiter und eher gesamtnational als bei irgendeiner anderen Partei. Die Privatisierung der Ressourcen Nigerias fand zwar ethnische Begrenzungen, i m wesentlichen aber verlief der >Plünderungszug< anarchisch. M i t einem eindeutigeren Fall kombinierter ethno-anarchischer Privatisierung haben w i r es bei I d i A m i n s Uganda zu tun. Einerseits war die allgemeine moralische Ordnung zusammengebrochen, waren das politische System und die Wirtschaft durcheinandergeraten. I n diese von G r u n d auf anarchische Situation war Uganda durch I d i A m i n getrieben worden. Andererseits bestand kaum Zweifel daran, d a ß sich die K a k w a (Amins ethnische Gruppe) und die Nubier (die i n Ostafrika verstreuten Nachkommen der Söldner des E m i n Pascha alias Eduard Schnitzer) einen u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g g r o ß e n Teil der staatlichen Ressourcen und wirtschaftlichen Chancen sicherten. Hier bedeutete die Privatisierung teilweise eine Umleitung der ResVereinte Nationen 4/84