Harninkontinenz und Sexualität in der Pflege urologischer Patienten

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29.06.2008
Harninkontinenz und Sexualität
in der Pflege urologischer
Patienten
Teil 1
Harninkontinenz
 Harninkontinenz, Formen und Häufigkeit
Rand-, Tabu- oder Trendthemen?
 Bedeutung
 Folgen und Einflussnahme auf die
Lebensqualität am Fallbeispiel
Manuela Heyn, Schule für Gesundheitsberufe Luckenwalde, Fernstudentin Medizinpädagogik 8. Semester, HU Berlin
Teil 2
Sexualität
 Begriffsannäherung
 Sexualität der zu Pflegenden
Harninkontinenz?
„Jeder unfreiwillige
Harnverlust“
Internationale Kontinenzgesellschaft ICS, 2002
 Sexualität in der Pflegeausbildung
 Sexualität und Pflegetätigkeiten
Formen der
Harninkontinenz
Der Betroffene kann nicht mehr selbst bestimmen, wann
sich die Blase entleert!
Häufigkeitsverteilung
 Belastungsinkontinenz (Stressharninkontinenz)
 Dranginkontinenz
 Belastungsinkontinenz
35 – 45 %
 Überlaufinkontinenz
 Dranginkontinenz
10 – 25 %
 Reflexinkontinenz
 kombinierte (Misch) Formen
20 – 40 %
 Extraurethrale Inkontinenz
 sonstige (neurogene) Formen
5 – 10 %
 Enuresis nocturna
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Exkurs
Pflegemittelverordnungen
Schweregradeinteilung
(lt. Dt. Kontinenzgesellschaft)
Pflegehilfsmittel
Hilfsmittel
 sporadische Inkontinenz
< 10 ml/ Stunde
SGB XI
SBG V
 belastende Inkontinenz
< 25 ml/ Stunde
Einmalartikel zum Verbrauch
bestimmt
Technische Hilfen
 schwere Inkontinenz
< 50 ml/ Stunde
 absolute Inkontinenz
> 50 ml/ Stunde
Kann ab Pflegestufe I
beantragt werden
Gutachter MDK muss im
Bericht Inkontinenz
erwähnen
Hilfsmittel –
konkrete Diagnose: z.B.
konkret Stuhl- und/ oder
Harninkontinenz, nicht nur
Inkontinenz
Form der Inkontinenz +
Stärke!
Bedeutung
Was gehört auf`s Rezept?
 Persönliche Patientendaten
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 Kennzeichnung für Hilfsmittelrezept
angekreuzt
 Diagnose, verordnetes Hilfsmittel
 Durchschnittlicher täglicher u.
monatlicher Verbrauch
Kooperation:
Rücksprache mit betreuender Sozialstation
Bedeutung
 Folge RPE, Cystektomie, häufige HWI
 vaginale Geburt, postpartale Inkontinenz, mehrere Entbindungen
 gynäkologische Operationen (z.B. Entfernung Gebärmutter)
 Adipositas, Diabetes mellitus
 Lungenerkrankungen (COPD)
• Deutschland ca. 5 Mio. Betroffene
• ab dem 60. Lebensjahr deutlich
zunehmend
• 30% bei über 70 –jährigen (van der
Horst, 2007)
• jeder zweite Patient über 50 Jahre in
deutschen Arztpraxen (Naumann –
Husemeyer, 2005)
Bedeutung
Risikofaktoren
 schwere körperliche Tätigkeit
Prävalenz
„Naja, ich merk`s an
der Blase...“
Scham
„Eines ist sicher: Wenn eine Frau wegen
ihrer Harninkontinenz einen Arzt
konsultiert, ist sie im Allgemeinen so stark
belästigt, dass die Furcht vor den sozialen
Konsequenzen größer ist als ihre Scham, ihre
Beschwerden zu offenbaren.“
(Debus-Thiede und Dimpfl, 1993, S. 333)
 neurologische Erkg. (MS, Apoplex); Querschnittslähmungen
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29.06.2008
Bedeutung
Bedeutung
Scham
Inkontinenz
Tabuthema?
Hartnäckige Vorurteile:
unvermeidliche „normale“
Alterserscheinung
Kirschner – Hermanns
(1998)
 ca. 60 % Männer und Frauen verschweigen Inkontinenz aus
Scham bis Leidensdruck unerträglich!! (van der Horst, 2007)
 zunehmende Rolle bei Männern nach Prostataoperationen mit
Sphinkterschwäche
 45% Beschwerdedauer von mehr als 7 Jahren (Naumann –
Husemeyer, 2005)
 über 50% der Betroffenen sprechen Problematik gegenüber
ihrem Arzt nicht an (Welz – Barth et al, 2000)
 „Physicians don`t ask and patients don`t tell“
(Welz – Barth et al
2000, S.436)
Bedeutung
Folgen
Scham
 Intimität und Sexualität:
„Die Gymnastik war das Erste,
was ich aufgeben musste –
unter fadenscheinigen Gründen
natürlich. Wer gibt schon gerne
zu, dass er dauernd nasse
Hosen hat? Der Gang zum
Hausarzt wurde lange
hinausgeschoben. Ich frage
mich heute noch, ob ich ihm
wahrheitsgemäß von meinen
Problemen berichtet hätte,“
Einfluss auf Lebensqualität und Sexualleben steigt mit
Häufigkeit und Ausmaß der Harninkontinenz und Notwendigkeit
des Tragens von Inkontinenzmaterial (Madersbacher et al, 1999)
 Hoher Leidensdruck:
Harninkontinenz wird zum beherrschenden Faktor des
Lebens für denjenigen, der weniger gut damit zurecht
kommt, entscheidend Art der Inkontinenz und Alter
(Hunskar und Vinsnes, 1991)
Angst, durch Uringeruch aufzufallen (Zettl, 2004)
Folgen
Folgen
 Psychosoziale Probleme (Isolationsgefahr):
Abnahme sozialer Aktivitäten, Ängstlichkeit, Beschämung und
Isolation (Beutel et al, 2005)
Angst, Verlegenheit, beeinträchtigtes soziales und geistiges
Wohlbefinden, Unternehmungen werden auf breitem Spektrum
abgelehnt (Norton et al, 1998)
negatives Zukunftsgefühl, Auswirkungen auf körperliche Kontakte
mit Partner und negative Einflüsse auf Partnerschaft (Naumann –
Husemeyer, 2005)
Welche Anstrengungen unternehmen
Betroffene, um ihr Blasenproblem zu
verbergen? (ISOGAM 2003)
 geringe Trinkmenge, auch an heißen Sommertagen
 Ausbleiben von Reiseunternehmungen
 Enkelkinder/ Kinder nicht mehr auf den Arm nehmen
 Einkaufsbummel mit Freundinnen absagen
 Sport vermeiden, Verzicht auf Kinobesuch
 tägliches Benutzen von Einlagen, Waschzwang
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Fazit!
Möglichkeiten der
Einflussnahme
Körperliche Symptome der
Harninkontinenz verursachen ein soziales
Problem!
An zwei authentischen Patientenfallbeispielen
zur Radikalen Prostatektomie
Es kommt zu einer Inkontinenz bedingten
veränderten Lebensweise!
Folgen der RPE
1. Impotenz
2. Belastungsinkontinenz/ Strikturneigung
3. Lymphozelen
fast alle Patienten sekundäre Harnwegsinfekte
Zwei maximal kontrastierende
Patientenfallbeispiele
Patient 1
•Ca. 60 Jahre, berufstätig
Patient 2
•Nach Diagnosestellung Vielzahl
eigener Aktivitäten/
Informationen
•Ca. 55 Jahre, berufstätig
•Keine Wartezeit auf Befund
•Eindruck starker Verdrängung
•8 Wochen präoperativ mehrmals
tgl. Beckenbodengymnastik
•Forderte selbst kaum Aufklärung
ein
•Hochmotiviert, stabile psychische
Verfassung
vor RPE
•Sehr aufgeregt, stark regressive
Züge
nach RPE
Patient 1
Postoperative Ängstlichkeit
erkennbar
Kooperative Anleitung
möglich
Am 14. Tag
Katheterentfernung
Sofort kontinent
Miktion 200-300 ml
Teil 2
Patient 2
Sexualität
Vergleichbar viele
Arztgespräche
Eindruck starker
Verdrängung
Anleitung und Motivation
ausgesprochen problematisch
Nach Katheterentfernung
 Begriffsannäherung
 Sexualität der zu Pflegenden
komplette
 Sexualität in der Pflegeausbildung
Inkontinenz
 Sexualität und Pflegetätigkeiten
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Begriffsannäherung
Begriffsannäherung
Sexualität aus
biologischer
Ein Blick zurück – historisch geprägtes
Phänomen
•Mittelalter: sexuelle Erregung verglich man mit anderen Stimmungen,
Ejakulation eine von vielen Absonderungen
Zwischenmenschlichsozialer
Sicht
• kleine Kinder zur Ruhigstellung masturbiert
• man schlief nackt in einem Bett mit Familienangehörigen und
Dienstpersonal in einem Raum und Bett
subjektorientierter
•16. Jahrhundert: veränderte Einstellungen zu Körper und Sexualität
• 19. Jahrhundert: Entstehung Sexualitätsbegriff
Biologisch
Spezialisierte Form der
Fortpflanzung, Reproduktion
ca. 0,5% der Geschlechtsakte Repro.
Subjektorientiert
Erfahrung von Lust, Freude am
eigenen Körper, narzisstischer
Aspekt Selbstbestätigung,
Selbst- und Lebensgefühl
Zwischenmenschlichsozial
Form der Bezogenheit auf
andere, interpersonal
gebundene, umfassende, die
menschliche Beziehung
tragende Motivation
Wird die Existenz des sexuellen
Aspekts menschlichen Seins in der
Institution Krankenhaus anerkannt?
-
Hug et al.(1988)
36% Ablehnung
Sexualität
Erotik
Wird die Existenz des
sexuellen Aspekts
menschlichen Seins in der
Institution Krankenhaus
anerkannt?
Sexualität der zu Pflegenden
Hug et al.(1988)
64% positive Reaktion
Sexualität
Erotik
+
Hug et al.(1988)
14% Sexualität nicht
zur Krankenpflege
Klass-Siegel et al. (1992)
58% Sex. im Krankenhaus
Tabuthema
Sexualität der zu Pflegenden
Hug et al.(1988)
25% Annahme neu,
dass Sex. u. Pflege in
Beziehung
Möchten Patienten mit Pflegenden über
Sexualität sprechen, gibt es Informations- und
Beratungsbedarf?
Männer nach Prostatektomie:
Keine Erwartungen an
Pflegepersonen, mit ihr über
eigene Sexualität zu sprechen
(Scherrer – Richartz, 1993)
Gynäkologisch – onkologische
Patientinnen:
88% möchten von Ärzten oder
Pflegenden über mögliche
Auswirkungen der Behandlung
auf ihr Sexualleben informiert
werden
(Jenkins, 1988)
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Sexualität in der
Sexualität der zu Pflegenden
Pflegeausbildung
Wie beurteilen Patienten die
gegengeschlechtliche Pflege im Pflegealltag?
Befragungsergebnisse Mittelkurse
Krankenpflegeausbildung 1998
Glauben Sie, dass im Krankenhaus Rücksicht auf
die Intimsphäre der Patienten genommen wird?
78%
29 von 30 männlichen und weiblichen Patienten bevorzugen bei der
Intimhygiene gleichgeschlechtliche Pflegeperson (Bombe 1995)
Ist Ihrer Meinung nach bei Pflegepersonen
Bereitschaft zu einem offenen Gespräch über
Sexualität mit Patienten vorhanden?
0% Ja
Frauen bevorzugen beim Gewaschen werden gleichgeschlechtliche
Pflege (Bauer 1996)
Haben Sie das Gefühl, dass mit dem Thema
„Sexualität im Krankenhaus“ anders umgegangen
wird als in anderen Lebensbereichen?
selten
13% Nein
61%
tabuisiert
Sexualität der zu Pflegenden
Wie beurteilen Patienten die
gegengeschlechtliche Pflege im Pflegealltag?
Gynäkologische Patientinnen nehmen zu zwei Dritteln bei intimen
Pflegeverrichtungen an, dass sich weibliche Pflegekräfte eher in sie
einfühlen und sensibler mit ihren Problemen umgehen (Lodge et al. 1997)
Männern nach einem urologischen Eingriff ist es gleichgültig, ob eine
weibliche oder männliche Pflegeperson intime Pflegeverrichtungen an
ihnen ausführt, „seriös ohne Techtelmechtel“ (Scherrer – Richartz 1993)
Eine schöne Schwester könne dem Bemühen, die Pflegeperson in ihrer
beruflichen Rolle zu sehen u.U. im Wege stehen (Kleinevers 2004)
Für über 67% ist die körperliche Entblößung „eines der schlimmsten
Dinge“ (Bauer 1996)
Für 77% sinkt die Scham- und Peinlichkeitsgrenze mit der Schwere der
Erkrankung (Bauer 1996)
Sexualität und
Pflegetätigkeiten
Wie verhalten sich Pflegende in sexuell
gefärbten Pflegesituationen?
„Während ich einen... Patienten intim wasche, erigiert sein Penis.
Ich bin so verblüfft, als hätte ich zum ersten Mal erlebt, dass ein
Glied erigieren kann. Meine Verunsicherung wird von steigendem
Mißbehagen abgelöst... Ich kann dem Patienten nicht in die Augen
sehen... Aber, obwohl ich mit der Intimwäsche kaum begonnen
hatte, setze ich sie nicht fort, sondern fahre nur noch flüchtig mit
dem Handtuch über seine Geschlechtsteile und entferne mich
wortlos. In mir festigt sich der Entschluß, dass ich diesen Patienten
auf keinen Fall mehr waschen werde.“ (zit. in: Kleinevers S. 55)
Sexualität und
Sexualität und
Pflegetätigkeiten
Pflegetätigkeiten
Wie verhalten sich Pflegende in sexuell
gefärbten Pflegesituationen?
Haben Scham- und Ekelgefühle bei Pflegenden
Auswirkungen auf die Qualität der Pflege?
(Sowinski 1999)
Ablehnung der weiteren Versorgung
Ziel:
Schutz vor Wiederholung des
unangenehmen Ereignisses
Abwehrmechanismen:
 Tabuisierung
 Leugnung
 ignorierende Haltung
 Distanzierung durch mangelnde Empathie/
gesunde Nähe zulassen
 schnelleres Arbeiten
 Reduzierung der Gespräche und Berührungen
Schuldgefühle bei Pflegenden, unzureichende
Dienstleistung erbracht zu haben
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Sexualität und
Sexualität und
Pflegetätigkeiten
Pflegetätigkeiten
Verhaltensunsicherheiten bei der Intimhygiene werden
bei der Einleitung häufig sprachlich umschrieben:
(Bombe 1995)
„Sie wissen, was jetzt kommt“
„Nun wasche ich Sie unten herum“
„Jetzt kommen wir da unten hin“
„Nun gehen wir eine Etage tiefer“
„Ich schrubbe jetzt da, wo es am nötigsten ist“
„Ich mache Großputz im Unterstock“
„Nun geht`s an die peinliche Arbeit“
„Jetzt ist die Intimpflege dran“
Wie verhalten sich Pflegende in sexuell
gefärbten Pflegesituationen?
3 Fallbeispiele (Kleinevers 2004: S. 77)
Demenziell Erkrankten wurden in Pflegeheimen Dauerkatheter
angelegt, um Selbstbefriedigung zu verhindern
Eine alte Frau musste unter Gewaltanwendung auf ihre
Selbstbefriedigung verzichten, weil Pflegende Fixierungsbeschluss unter
Vorwand der Gangunsicherheit erwirkt haben
Ein Pflegeschüler masturbiert einen beatmeten und bewusstlosen
Jugendlichen, dessen Penis bei der Ganzkörperpflege wiederholt
erigierte
Rand-, Tabu- oder Trendthemen?
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