Perspektiven Kritischer Sozialer Arbeit

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Perspektiven Kritischer Sozialer Arbeit
Band 11
Herausgegeben von
R. Anhorn, Darmstadt
F. Bettinger, Darmstadt
J. Stehr, Darmstadt
H. Schmidt-Semisch, Bremen
In der Reihe erscheinen Beiträge, deren Anliegen es ist, eine Perspektive kritischer Sozialer
Arbeit zu entwickeln bzw. einzunehmen. „Kritische Soziale Arbeit“ ist als ein Projekt
zu verstehen, in dem es darum geht, den Gegenstand und die Aufgaben Sozialer Arbeit
eigenständig zu benennen und Soziale Arbeit in den gesellschaftspolitischen Kontext von
sozialer Ungleichheit und sozialer Ausschließung zu stellen. In der theoretischen Ausrichtung wie auch im praktischen Handeln steht eine kritische Soziale Arbeit vor der Aufgabe, sich selbst in diesem Kontext zu begreifen und die eigenen Macht-, Herrschafts- und
Ausschließungsanteile zu reflektieren. Die Beiträge in dieser Reihe orientieren sich an der
Analyse und Kritik ordnungstheoretischer Entwürfe und ordnungspolitischer Problemlösungen – mit der Zielsetzung, unterdrückende, ausschließende und verdinglichende
Diskurse und Praktiken gegen eine reflexive Soziale Arbeit auszutauschen, die sich der
Widersprüche ihrer Praxis bewusst ist, diese benennt und nach Wegen sucht, innerhalb
dieser Widersprüche das eigene Handeln auf die Ermöglichung einer autonomen
Lebenspraxis der Subjekte zu orientieren.
Herausgegeben von
Roland Anhorn
Evangelische Hochschule Darmstadt
Johannes Stehr
Evangelische Hochschule Darmstadt
Frank Bettinger
Evangelische Hochschule Darmstadt
Henning Schmidt-Semisch
Universität Bremen
Elke Schimpf • Johannes Stehr (Hrsg.)
Kritisches Forschen
in der Sozialen Arbeit
Gegenstandsbereiche –
Kontextbedingungen –
Positionierungen – Perspektiven
Herausgeber
Elke Schimpf,
Johannes Stehr,
Evangelische Hochschule Darmstadt,
Deutschland
ISBN 978-3-531-17777-9
DOI 10.1007/978-3-531-94022-9
ISBN 978-3-531-94022-9 (eBook)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Inhalt
Elke Schimpf/Johannes Stehr
Kritisches Forschen in der Sozialen Arbeit – eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .7
1
Theorien und Gegenstandsbereiche eines kritischen Forschens in der
Sozialen Arbeit
Johannes Stehr/Elke Schimpf
Ausschlussdimensionen der Sozialen-Probleme-Perspektive in der Sozialen Arbeit . . . 27
Fabian Kessl/Susanne Maurer
Radikale Reflexivität als zentrale Dimension eines kritischen
Wissenschaftsverständnisses Sozialer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Roland Anhorn/Johannes Stehr
Grundmodelle von Gesellschaft und soziale Ausschließung:
Zum Gegenstand einer kritischen Forschungsperspektive in der Sozialen Arbeit . . . . 57
2
Kritisches Forschen als Auseinandersetzung mit hegemonialen
Forschungspraxen
Heinz-Jürgen Dahme/Norbert Wohlfahrt
Forschung als Sozialtechnologie – Betriebswirtschaftliche Instrumente und
managementwissenschaftliche Leitbilder als Programm einer affirmativen
Sozialpolitik- und Sozialarbeitsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Holger Ziegler
Wirkungsforschung – über Allianzen von Evaluation und Managerialismus
und die Möglichkeit erklärender Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Elke Schimpf/Johannes Stehr
Forschung und ihre Verstrickungen und Positionierungen in Konfliktfeldern
der Sozialen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
3
Entwicklung kritischer Forschungsperspektiven in der Sozialen Arbeit –
Potenziale und Fallstricke
3.1 Die Praxis Sozialer Arbeit als Forschungsgegenstand
Helga Cremer-Schäfer
Kritische Institutionenforschung. Eine Forschungstradition, an der weiter
gearbeitet werden kann? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
5
Inhalt
Eva Nadai
Von Fällen und Formularen: Ethnographie von Sozialarbeitspraxis im
institutionellen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Marion Ott
Ethnographische Zugänge zum Forschungsfeld – Machtverhältnisse in
Forschungspraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Kirsi Juhila/Christopher Hall/Suvi Raitakari
Zurechnung von störendem Verhalten: Beschuldigungen, Entschuldigungen
und Verantwortlichkeit in den Redeweisen von Professionellen . . . . . . . . . . . . 181
Mojca Urek
Wie in der Sozialen Arbeit ein Fall gemacht wird: Die Konstruktion einer
„schlechten Mutter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Helge Peters
Potenziale und Perspektiven der Etikettierungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
3.2 Lebenssituationen von Adressaten und Adressatinnen in Bezug zur
Sozialen Arbeit
Elke Schimpf
Widersprüchliche Deutungsmuster und Praktiken lebensweltorientierten Forschens . 233
Paul Mecheril/Claus Melter
Gegebene und hergestellte Unterschiede – Rekonstruktion und Konstruktion
von Differenz durch (qualitative) Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Wolf-Dietrich Bukow/Susanne Spindler
Fallstricke einer biographischen Hinwendung zum Subjekt in Forschungsprozessen . 275
Ellen Bareis
Nutzbarmachung und ihre Grenzen – (Nicht-)Nutzungsforschung im Kontext von
sozialer Ausschließung und der Arbeit an der Partizipation . . . . . . . . . . . . . . 291
Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
6
Elke Schimpf/Johannes Stehr
Kritisches Forschen in der Sozialen Arbeit –
eine Einleitung
Soziale Arbeit präsentiert sich inzwischen auch als „forschende Disziplin“ und kann einen
„signifikanten Zuwachs an Forschungsaktivitäten (Sommerfeld 2011: 1462) verzeichnen.
Sowohl in der Praxis als auch im Kontext der Ausbildung hat Forschung einen mächtigen Stellenwert erhalten, was in zahlreichen Lehr- und Arbeitsbüchern, Themenheften,
Sammelbänden, Buchreihen, Tagungen und in den Modulhandbüchern für Bachelor- und
Master-Studiengänge zum Ausdruck kommt. Einige Forschungsszenen sind inzwischen
spezialisierter geworden und organisieren eigene Tagungen, gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass theoretisch und thematisch eine große Offenheit existiert und ein Diskurs über
die Forschungspraktiken und deren Beitrag für eine erkenntnistheoretische Positionierung
und Wissensproduktion der Sozialen Arbeit kaum stattfindet. In den zahlreichen Publikationen wird vor allem gezeigt, „welche Methoden bislang in welchen Forschungsfeldern der
Sozialen Arbeit mit welchen spezifischen Problemen und Chancen Anwendung gefunden
haben“ (Miethe/Bock 2010: 10). Der Auftrag einer Forschung der Sozialer Arbeit wird dabei meist sehr allgemein formuliert, so soll Forschung einerseits „der Theoriebildung bzw.
deren Überprüfung“ dienen wie auch dazu, die „Gestaltungsmöglichkeiten der Praxis zu
verbessern und insofern zur Praxisentwicklung gestaltend beizutragen“ (vgl. Sommerfeld
2011: 1470). Herausgestellt wird dabei immer wieder, dass „die komplexen Fragestellungen
der Sozialen Arbeit zum einen hochprofessionelle Forschung mit elaborierten Methoden
der empirischen Sozialforschung und zum anderen das Zusammenwirken von Vertretern
verschiedener Herkunftsdisziplinen“ erfordern (Maier 2009: 48). Auch wird darauf verwiesen, dass Forschungsmethoden „abgekürzt“ und als „forschungsorientierte Handlungspraxis“ von Professionellen wie auch zur „Entwicklung eines professionellen Habitus“ genutzt
werden können (Bock/Miethe 2010: 16). Bislang wurde noch keine eigene systematische
Forschungstradition ausgebildet, in welchen die bedeutsamen theoretischen Bezüge der Sozialen Arbeit, wie z. B. der Lebensweltansatz, die Systemtheorie oder die Dienstleistungsorientierung, im Vordergrund stehen, dagegen werden v.a. qualitative Forschungsmethoden
für die Soziale Arbeit als besonders geeignet herausgestellt, da diese „eine besondere Nähe
zur Grundintention Sozialer Arbeit aufweisen“ (Bock/Miethe 2011: 1190). Betont wird,
dass gerade die „fallförmige Strukturiertheit der Sozialen Arbeit“ eine „fallrekonstruktive
Theoriebildung“ herausfordere und Fallrekonstruktionen „auf zentrale Probleme der Sozialen Arbeit gerichtet (soziale Auffälligkeit, soziale Probleme, soziale Intervention)“ sind
(Kraimer 2000: 37).
Während das Verhältnis von Forschung und Praxis problematisiert wird und v.a. Forschungen, die als Praxisforschungen bezeichnet werden, hinsichtlich ihrer Wissenschaftlichkeit angezweifelt werden, erscheint das Verhältnis von Forschung und Theorie eher konfliktfrei. Theoriedebatten gelten als „Hintergrund“, vor welchem das sozialpädagogische
bzw. sozialarbeiterische Forschungsfeld in Bezug auf „die zuständigen Institutionen“, die
E. Schimpf, J. Stehr (Hrsg.), Kritisches Forschen in der Sozialen Arbeit,
DOI 10.1007/978-3-531-94022-9_1,
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012
7
Elke Schimpf | Johannes Stehr
„in ihnen tätigen Professionellen bzw. beruflich oder ehrenamtlich Tätigen“ und die „Adressatinnen und Adressaten aufgespannt wird“ (Lüders/Rauschenbach 2005: 564). Sommerfeld (2011: 1469) erweitert diese Aspekte in Bezug auf das „professionelle Handeln und die
professionellen Verfahrensweisen“, „die Bedingungen dieses Handelns auf der Ebene der
Gesellschaft“ und den „Koproduzenten/innen“, womit nicht nur die Adressaten/innen, sondern auch „andere Beteiligte am Problemlösungsprozess, insbesondere auch Angehörige
anderer Professionen und ehrenamtlich sozial Tätige“ gemeint sind. Herrschaftsinteressen
von Politik, Verbänden oder auch der (wissenschaftlichen) Institutionen selbst werden in
diesem Zusammenhang nicht thematisiert, wodurch die Konfliktverhältnisse in Forschungskontexten verdeckt bleiben und Konflikte eher auf Nebenschauplätzen – meist in der eigenen Disziplin selbst – ausgetragen werden. So werden z. B. der Disziplin der Sozialen Arbeit
insgesamt ein „laxer Umgang mit forschungsmethodischen Standards“ und eine unangemessene und eher randständige Berücksichtigung methodischer und methodologischer Fragen vorgeworfen (Bock/Miethe 2011: 1192). Hoffnung wird v.a. auf die nächste Generation
von Forschenden gesetzt, die „nicht nur mit dem Instrumentarien qualitativer Forschung
sehr gut vertraut ist, sondern es versteht, dieses Methodenrepertoire in der Forschung und
Theoriebildung Sozialer Arbeit zielsicher einzusetzen“ (Miethe/Bock 2010: 14). Was mit
zielsicher gemeint ist, wird allerdings nicht ausgeführt. Genau diese Argumente können als
Einfallstor von anderen Disziplinen wie auch zur Abgrenzung und Positionierung genutzt
werden, ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung führen zu müssen, womit die Frage, welchen Beitrag Forschungen in der Sozialen Arbeit zur gesellschaftskritischen Positionierung
wie auch in Bezug auf die Adressaten/innen und Nutzer/innen leisten, darüber völlig aus
dem Blick gerät. Die Notwendigkeit forschungsbezogener Diskurse besteht nicht allein darin, „Kräfte zu bündeln“ und einen „gesicherten Wissenskorpus der Sozialen Arbeit“ zu
etablieren (Sommerfeld 2011: 1471), sondern auch darin, „empirisch untermauerte Analysen zur gesellschaftlichen Funktion von Sozialer Arbeit zu realisieren“ (Oelerich/Otto
2011: 11). Sowohl in den Hochschulen als auch in der Praxis Sozialer Arbeit und der Politik
existieren sehr unterschiedliche Forschungsvorstellungen und was als Forschung anerkannt
wird, ist vor allem abhängig von den Themen und Rahmungen hegemonialer Diskurse und
der Relevanz, die diesen (institutions-)politisch oder auch von einzelnen Stiftungen erteilt
wird. Gerade über die ‚Auftragsforschungen‘ entsteht eine Hierarchisierung, die unter den
Forschenden zu Konkurrenzen führt und Forschung generell in eine Wettbewerbssituation
bringt, deren Zielorientierungen und Bewertungsmaßstäbe extern, von Seiten der Politik,
definiert werden. Die Entwicklung einer eigenständiger Forschungsperspektive in der Sozialen Arbeit, aus der heraus theoretisch angeleitete gesellschaftskritische Forschungsfragen
zu entwickeln wären, wird durch die politisch gesetzten Rahmenbedingungen behindert und
an den Rand gedrängt. Mit der normativen Ausrichtung sowohl der Praxis Sozialer Arbeit
als auch des Wissenschaftsbetriebes auf Effizienz und Effektivität und der gleichzeitigen
Behauptung, dass beides in der Praxis Sozialer Arbeit regelmäßig nicht erreicht werde, wird
gegenwärtig an der Propagierung des Konzepts der Wirksamkeit und der Implementierung
einer Wirkungsforschung gearbeitet, die die Disziplin wie auch die Profession der Sozialen
Arbeit einer politischen Außensteuerung unterwirft, die – vordergründig paradoxerweise
– als Aufgabe der professionellen Praxis und als Verpflichtung für die Adressaten/innen
„Aktivierung“ und „Selbststeuerung“ als Zielmarke setzt. Es ist gerade nicht davon auszugehen, dass der politische Druck, der damit auch auf die Praxis Sozialer Arbeit ausgeübt
wird, zu mehr Interesse an einem forschungsbasiertem Wissen führt (so die Hoffnung von
8
Kritisches Forschen in der Sozialen Arbeit – eine Einleitung
Sommerfeld 2011) – zumindest, insofern dieses Wissen über reines Legitimationswissen hinausgeht, eher dürfte die Praxis wie auch die Forschung Sozialer Arbeit darauf hin orientiert
und verpflichtet werden, die politisch definierten Kriterien von Effizienz und Effektivität
als Maßstab ihres Handelns anzuerkennen. Das Erkenntnisinteresse der Wirkungsforschung
„besteht in der Optimierung des Einsatzes von Mitteln und Ressourcen im Hinblick auf
die Zielerreichung. Die Fragestellungen der Wirkungsforschung sind damit stets aus der
Perspektive der Institution und des Programms formuliert“ (Schaarschuch/Oelerich 2005:
15). Wirkungsforschung nimmt eine Verwaltungsperspektive ein, aus der heraus gerade
keine eigenständige disziplinäre Forschungsperspektive entwickelt werden kann. Das über
Wirkungsforschung ermittelte Wissen ist zwar „forschungsbasiertes Wissen“, dienlich ist
es aber vor allem der Politik und der Verwaltung, die damit ihre sozialpolitischen Ziele –
durchaus auch gegen die Interessen der Profession Sozialer Arbeit wie auch der Adressaten/
innen gerichtet – effektiver und effizienter umzusetzen versuchen.
Die skizzierten problematischen Tendenzen in der Forschungslandschaft machen es
notwendiger denn je, sich kritisch mit allen Varianten affirmativer Forschung auseinanderzusetzen. Erforderlich ist jedoch auch eine (Weiter-)Entwicklung kritischer Forschungsperspektiven, die die Forschungspraxen selbst als Momente der Auseinandersetzung um
eine gesellschaftskritische Positionierung Sozialer Arbeit begreifen und als Möglichkeit,
über die eigenen Anteile an Ordnungspolitiken wie an der Herstellung von Herrschafts-,
Ungleichheits- und Ausschließungsverhältnissen zu reflektieren. Die insbesondere von qualitativ Forschenden praktizierte Strategie, der Praxis eine Erweiterung ihres Methodenspektrums anzubieten und „in der Kombination unterschiedlicher Herangehensweisen eigenständige, neue Verfahren“ zu entwickeln (Bock/Miethe 2011: 1194), erscheint uns insofern
kontraproduktiv, als sich wissenschaftliche Forschung dadurch in eine Dominanzposition
gegenüber der Praxis bringt, in welcher nicht die Handlungspraxis und die Erfahrungen der
in der Praxis tätigen Professionellen zum Ausgangspunkt einer „forschenden Reflexion“
genommen werden, sondern der Praxis ein vermeintlich neutrales Handwerkszeug bereitgestellt wird, das in anderen, praxisfernen Forschungskontexten erprobt wurde. Gewinne
sind hier wohl eher auf der Ebene von Statuspolitik zu verbuchen: Wissenschaftliche Forschung kann ihren Experten/innenstatus gegenüber der Praxis herausstellen und die Praxis
wiederum kann über das Aufgreifen der Methoden-Angebote ihren Status als Profession
festigen. Problematisch ist zudem, dass durch die Favorisierung narrativer Interviews und
des Einzelfallbezugs in Forschungskontexten therapeutisch orientierte Rahmungen Sozialer
Arbeit verstärkt werden und damit eine Entpolitisierung Sozialer Arbeit weiter vorangetrieben wird, die wiederum kompatibel ist mit der gegenwärtigen Ausrichtung der Sozialpolitik, die auf den normalisierenden bis aussschließenden Zugriff auf Individuen setzt,
deren Verhalten geändert werden soll. Gerade eine Statuspolitik im Kontext von Forschung
verhindert eine kritische Positionierung gegenüber der aktuellen Sozialpolitik und hegemonialen Forschungsausrichtungen und sollte zugunsten einer systematischen Reflexion der
Bedingungen und Möglichkeiten einer eigenständigen Sozialen Arbeit aufgegeben werden.
Angesichts der hegemonial gewordenen Auftragsforschung ist auch über alternative
Forschungskontexte und – praxen nachzudenken, in denen die Handlungspraxis Sozialer
Arbeit in konkreten Situationen kritisch analysiert werden kann und in denen die Forschenden eine weitgehende Eigenständigkeit entwickeln und aufrechterhalten können. In diesem
Zusammenhang sind insbesondere auch die Bedingungen für ein kritisches Forschen im
Rahmen dessen, was relativ nichtssagend als „Praxisforschung“ beschrieben und versam-
9
Elke Schimpf | Johannes Stehr
melt wird, herauszuarbeiten. Gerade kleinere, lokale und regionale, auch einrichtungsbezogene Forschungsprojekte dürften wohl mehr Dimensionen eines eigenständigen Forschens
ermöglichen, weil hier Aushandlungsprozesse möglich werden und Abhängigkeiten von
mächtigen Auftraggebern eher reduziert werden können. Auch das „forschende Lernen“
im Kontext der BA- und MA-Studiengänge kann Rahmenbedingungen für ein kritisches
Forschen eröffnen, insofern hier die Befremdung der eigenen Praxis systematisch eingeübt wird (vgl. Miethe/Stehr 2007) und auf dieser Basis kleinere eigenständige studentische
Forschungsprojekte jenseits politischer Vereinnahmung und vorherrschender Wirkungsforschung realisierbar werden.
Welche Möglichkeiten wissenschaftliches Forschen zur kritischen Gesellschaftsbeschreibung eröffnet und wie dadurch hegemoniale Positionen hinterfragt, Konfliktverhältnisse und herrschaftssichernde Ideologien erkannt und benannt werden (können), ist für
eine Soziale Arbeit, die sich gesellschaftskritisch positioniert, zentral. Ein gesellschaftskritisches Forschen interessiert sich außerdem für die Folgen forschenden Handelns und fragt
auch nach dem Nutzen der Forschung für die Adressaten/innen (vgl. Freikamp et al. 2008).
„Die Konstitutierung der Adressaten/innenposition“ ist allerdings nur als „konflikthaftes
Terrain der Auseinandersetzung analytisch zugänglich“ (Bitzan/Bolay 2011: 20), daher
kommt der Kategorie des Konflikts und der Konfliktorientierung eine zentrale Bedeutung
bei der Analyse zu. Forschungsbezogene Auseinandersetzungen, in deren Kontexten die
Reichweite und Relevanz von Forschungsprozessen hinterfragt werden, erfolgen zwar im
Rahmen einzelner Studien und Projekte, werden jedoch eher selten in Fachdiskursen der
Sozialen Arbeit aufgenommen und wenig publiziert. Auch eine Reflexion des Verhältnisses
von Forschung und Theorie bzw. Disziplin Sozialer Arbeit wie auch eine Selbstreflexion der
Wissenschaft Sozialer Arbeit in Bezug auf ihre Forschung und ihren Gegenstandsbereich
stehen bislang noch aus.
Mit dieser Publikation verfolgen wir den Anspruch, das Verhältnis von (sozialwissenschaftlicher) Theorie und Forschung in der Sozialen Arbeit zu beleuchten und das Forschen
explizit als gesellschaftskritische Praxis zu verstehen. Gesellschaftskritisches Forschen beginnt bei der Wahl des Gegenstandes und hat den Anspruch, erkenntnistheoretische Positionen traditioneller Wissenschaften zu hinterfragen, deren „Einschränkungen zu erkennen
und deren Grenzen zu überwinden“ (Freikamp et al. 2008: 7). Ziel dieses Forschens ist
es, gesellschaftliche Vorgänge, Prozesse und Strukturen nicht zu verdoppeln, sondern die
Selbstverständlichkeiten des Gegebenen einer kritischen Befragung zugänglich zu machen.
Damit stellt sich zunächst die Frage nach geeigneten Forschungsperspektiven auf einen
Gegenstand, den es im Rahmen einer kritischen Gesellschaftstheorie zu konkretisieren und
zu „situieren“ gilt. Zugleich ist herauszustellen, dass wissenschaftliche Forschung nicht
außerhalb der gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse stattfindet und insofern als soziale Praxis selbst mit in den Blick zu nehmen und auf ihre Positionierung hin
mit zu reflektieren bzw. zu analysieren ist. Ein gewichtiger Aspekt dieser Forschungspraxis
ist auch die Methodenwahl, da über die gewählten Methoden die Forschungssituationen
maßgeblich strukturiert werden. Ein kritisches Forschen macht sich nicht an der Wahl einer
Methode fest, eher ist ein kreativer Umgang mit der Anwendung von Methoden gefragt
(vgl. Harvey 1990), der sich zum einen aus der konkreten inhaltlichen Fragestellung ergibt, zum anderen aus der Reflexion der Strukturierungsleistung von Forschungssituationen
durch Methodenanwendung. Demzufolge besteht eine weitere Herausforderung für ein kritisches Forschen u.E. darin, einen methodenkritischen Blick zu entwickeln, der Methoden
10
Kritisches Forschen in der Sozialen Arbeit – eine Einleitung
auf ihren Herrschaftscharakter hin befragt (vgl. die frühe Kritik des Interviews als Herrschaftssituation bei Berger 1974) und Strukturierungen der Forschung präferiert, die in der
Forschungssituation eine Artikulation von Widerspruch und in der Interpretationssituation
eine Perspektivenvielfalt ermöglichen. Die gewählten Forschungsmethoden sind folglich
immer danach zu befragen, welche Forschungsverhältnisse und welche Forschungssituationen durch diese erzeugt und strukturiert werden und welche Aspekte von „Selbstdarstellung“ und „Selbstthematisierung“ damit ermöglicht und/oder verhindert bzw. welche
Momente der „Zurichtung“ und „Verdinglichung“ damit vorgenommen werden.
Welche Möglichkeiten für eine kritische Gesellschaftsbeschreibung über das Forschen
eröffnet werden, kann vorab nicht beantwortet werden, sondern zeigt sich v.a. in den Forschungsergebnissen. „Auch die kritischste Fragestellung“ kann zu „affirmativen Ergebnissen“ führen (Freikamp u.a. 2008: 11), daher sind Gegenstand, Kategorien wie auch
Methoden immer wieder zu reflektieren, damit sie nicht für herrschaftliche Zwecke instrumentalisiert werden. Ein zentrales Kriterium ist hier die Frage, auf welche Weise Forschung
für die Adressaten/innen der Sozialen Arbeit einen Gebrauchswert entfalten und inwieweit
bzw. auf welche Weise Forschung von diesen als eine Ressource zur Artikulation eigener
Interessen und zur Thematisierung von gesellschaftlichen Konflikten und Widersprüchen
genutzt werden kann.
Mit dieser Publikation wollen wir folglich weder ein weiteres Methodenbuch vorlegen,
noch eine Gebrauchsanweisung für ein „kritisches Forschen“ erstellen, sondern vor allem
Anhaltspunkte und Hinweise für eine kritische Reflexion des Forschens in der Sozialen
Arbeit geben. Die Notwendigkeit einer kritischen Reflexion sehen wir auf drei Ebenen:
auf der Ebene der inhaltlich-theoretischen Schärfung des Gegenstandes, auf der Ebene der
kritischen Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Forschungsperspektiven und Forschungspraxen und auf der Ebene der Auseinandersetzung mit bereits existierenden kritischen Forschungsperspektiven; hier gilt es insbesondere herauszuarbeiten, welche Potenziale und Fallstricke diese Perspektiven beinhalten.
Der Band gliedert sich entsprechend in drei Teilbereiche: Der erste Teil fokussiert
„Theorien und Gegenstandsbereiche eines kritischen Forschens in der Sozialen Arbeit“. Zu
Beginn thematisieren Johannes Stehr und Elke Schimpf die Soziale-Probleme-Perspektive
und deren Bedeutung für die Forschung Sozialer Arbeit. Sie weisen darauf hin, dass diese
Perspektive zur Instrumentalisierung neoliberaler Interessenspolitik und zur Herstellung
neoliberaler Ordnung wie auch zur Rechtfertigung von sozialen Ungleichheits-, Machtund Herrschaftsverhältnissen und Ausschlussprozessen genutzt wird bzw. werden kann und
gesellschaftskritische Positionen mit ihr entschärft werden. Gezeigt wird, welchem Denken
die Soziale-Probleme-Perspektive entspringt und wie im modernen Wohlfahrtsstaat mit seinen Einrichtungen und Professionen eine „Kultur sozialer Probleme“ etabliert wird, in welcher soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse zwar thematisiert,
gesellschaftliche Konflikte und Widersprüche jedoch über den Prozess der Problematisierung „aufgelöst“ und umgedeutet werden in individuelle bzw. kollektive Fehlanpassungen
und Abweichungen von Normen und Störungen des gesellschaftlichen Konsenses. Herausgestellt wird, dass die Bedeutungsverschiebungen vor allem über sprachliche Strategien
erfolgen, weshalb die Forschung in der Sozialen Arbeit als bedeutsamer Akteur im Feld der
Kultur sozialer Probleme bewertet wird. Dargestellt wird zwar, dass Forschungen in der Sozialen Arbeit den Versuch unternehmen, soziale Probleme eigenständig zu bestimmen und
die Bearbeitung gesellschaftlich als relevant angesehener Problemlagen zum Gegenstand zu
11
Elke Schimpf | Johannes Stehr
machen, dies geschieht allerdings ohne die Interessensbündnisse, die mit ihren Definitionen
Anerkennung finden und an der Entwicklung von Ausschlussprozessen beteiligt sind, in
ihre Analyse einzubeziehen. Mit welchen Interessen soziale Probleme erforscht werden,
wird von den beiden Autor/innen als zentrale Frage herausgestellt; problematisiert wird
diesbezüglich auch die Bezugnahme auf Wissensbestände anderer Disziplinen, die in Forschungskontexte der Sozialen Arbeit implementiert und in Form von „Problemforschung“
überwiegend Legitimationen für einen disziplinierenden wie auch ausschließenden Zugriff
auf über Forschung mitkonstruierte „Problemgruppen“ bereitstellen. Die Soziale-Probleme-Orientierung des Forschens in der Sozialen Arbeit wird in der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Situation des neoliberalen Abbaus des Wohlfahrtstaates und angesichts
der Etablierung eines umfassenden Ausschlussregimes äußert kritisch bewertet; gefordert
wird eine Schärfung der theoretischen Entwürfe wie auch der Gegenstandsbestimmungen.
Der Beitrag von Fabian Kessl und Susanne Maurer ist als wissenschaftstheoretische
Grundlegung zu verstehen, in der „radikale Reflexivität“ als zentrale Dimension eines kritischen Wissenschaftsverständnisses Sozialer Arbeit herausgestellt wird. Diskutiert wird, wie
wissenschaftstheoretische Ansprüche und Dimensionen in der Sozialen Arbeit zu formulieren sind, um hegemonialen Denk- und Redeweisen etwas entgegensetzen zu können, und
wie in herrschaftskritischer Absicht auch Raum für Potenzialität und soziale Imagination
eröffnet werden kann. Plädiert wird für „eine Haltung radikaler Reflexivität“ als Perspektive
einer kritischen Wissenschaft, die in Distanz zur alltäglichen Strukturlogik von Forschung
(Disziplin) und sozialpädagogischem/sozialarbeiterischem Handlungsvollzug (Profession)
geschehen sollte, jedoch von den Akteuren/innen eine erkennbare Positionierung im Kontext ihrer alltäglichen Praxis erfordert und damit eine politische Dimension umfasst. Diese
Haltung wird von den Autor/innen als „Grenzbearbeitung“ gefasst, als „Tätigkeit an den
Grenzen bzw. den Begrenzungen durch die gegebenen Verhältnisse“, und kritische Wissenschaft bzw. kritisches Forschen wird als Ort für eine „analytische Grenzbearbeitung“
verstanden. Ein kritisches Forschen in der Sozialen Arbeit umfasst unterschiedliche „Praktiken der Grenzbearbeitung“ und nimmt sowohl Zumutungen und Begrenzungen von Lebensmöglichkeiten wie auch Chancen in Bezug auf Teilhabe, Zugehörigkeit und Zugang zu
(im)materiellen Ressourcen und die Entwürfe und Möglichkeiten zur Herstellung von mehr
‚Gleichheit‘, ‚Solidarität‘ und ‚Gerechtigkeit‘ in den Blick. Als relevant für eine kritische
Forschungsperspektive, die die Frage der Reflexivität ins Zentrum stellt, wird sowohl die
Kategorisierung wissenschaftlicher Deutungsangebote wie auch die Unterscheidung einer
kritischen und einer affirmativen oder ‚traditionellen‘ Wissenschaft benannt. Mit Bezug auf
die Arbeiten von Michel Foucault wird das forschende Handeln als „suchendes Handeln“
und in Bezug auf eine radikale Reflexivität als „erschütterbares“ Handeln und „riskierendes
Engagement“ gekennzeichnet, um eine Wissenskultur und -praxis entfalten zu können, in
welchen die Individuen und deren Interessen zur Sprache kommen. Herausgestellt wird,
dass eine Haltung radikaler Reflexivität in der Frage nach dem „Wofür“ der Erkenntnisse
sichtbar wird und v.a. in Bezug auf das Wissenschaftsmodell sozialpädagogischer/sozialarbeiterischer Wirkungsforschung zu hinterfragen ist. Betont wird, dass radikale Reflexivität
nicht nur für die Wissenschaft Sozialer Arbeit, sondern als relevante Erkenntnistätigkeit
im Kontext empirischer Wissenschaften zu bewerten ist, bei der es darum geht, präzise zu
untersuchen, wie soziale Situationen durch soziale und diskursive Praktiken geschaffen und
verändert werden.
12
Kritisches Forschen in der Sozialen Arbeit – eine Einleitung
Im dritten Beitrag von Roland Anhorn und Johannes Stehr werden die gesellschaftstheoretischen Grundlagen einer kritischen Forschungsperspektive dargelegt und der konstitutive Zusammenhang von Gesellschaftsmodellen und Forschungspraxis verdeutlicht. Die
Autoren präsentieren dabei einen Orientierungsrahmen, der die Theoretisierung von Gesellschaft unterscheidet nach der Art des Nachdenkens über Gesellschaft und nach der Art
des Wissens, das im Forschungsprozess generiert wird. Unterschieden werden theoretische
Zugänge, „die Gesellschaft primär unter dem Gesichtspunkt der Herstellung und Aufrechterhaltung von Ordnung in den Blick nehmen“ – und „auf die Generierung und Anwendung
von zu Herrschaftszwecken nutzbarem Ordnungs-Wissen gerichtet sind“ – von Zugängen,
die Gesellschaft unter dem Blickwinkel der Befreiung im Sinne der Überwindung bzw.
Minimierung von Herrschaft zum Gegenstand gesellschaftstheoretischer Reflexion machen
und auf die Produktion von Befreiungs-Wissen orientiert sind. Die Autoren zeigen darüber
hinaus, wie sich diese Grundmodelle mit Konsens- bzw. Konflikttheorien von Gesellschaft
verbinden und zu unterschiedlichen Bestimmungen von „sozialer Ausschließung“ als Gegenstand der Forschung in der Sozialen Arbeit führen. In der kritischen Auseinandersetzung mit der Thematisierung von sozialer Ausschließung als ein Ordnungsproblem, das
eine Abweichung vom gesellschaftlichen Normen- und Werte-Konsens markiert, skizzieren
die Autoren die Konturen einer „befreiungs- und konflikttheoretisch ausgerichteten Forschungsperspektive“ und thematisieren einige forschungsmethodologische wie auch forschungspraktische Herausforderungen, die es in einer kritischen Forschungsperspektive zu
reflektieren und zu bearbeiten gilt. Anknüpfend an ein theoretisches Verständnis von sozialer Ausschließung als institutioneller Mechanismus, über den soziale Ungleichheit und
Herrschaft herstellt werden, sehen die Autoren die Aufgaben einer kritischen Forschung
in der Sozialen Arbeit darin, institutionelle Prozesse sozialer Ausschließung sichtbar zu
machen, wie auch darin, eine Subjektperspektive einzunehmen, die die Subjekte als Konfliktpartei bzw. als „Konfliktsubjekte“ in den Auseinandersetzungen um gesellschaftliche
Positionierungen versteht. Forschung „als Ort der Ermöglichung und des Erkennens von
Widerspruch“, so ihre ausblickende These, benötige Forschungszugänge, die auf Konflikte
als soziale Situation fokussieren, über deren Thematisierung sich Subjekte artikulieren und
gesellschaftlich positionieren können.
Die Beiträge im zweiten Teil setzen sich mit den hegemonialen Forschungspraxen in der
Sozialen Arbeit auseinander und arbeiten deren perspektivische Begrenzungen und ideologischen Implikationen heraus. Heinz-Jürgen Dahme und Norbert Wohlfahrt zeigen in ihrem
Beitrag, wie die Prozesse der Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs zum „Auszug
gesellschaftstheoretisch fundierter Analyse aus dem Wissenschaftsbereich“ geführt haben
und die Produktion von Wissen dem Effizienzimperativ untergeordnet wird. Empirische
Forschung konturiert sich in der Folge (wieder) als Sozialtechnologie, die sich der Bearbeitung von gesellschaftlichen „Identitäts- und Funktionalitätsproblemen“ und damit „der
Optimierung des Vorgefunden“ verschreibt. In der weiteren Konsequenz verschwimmen
den Autoren zufolge die Grenzen zwischen Politik- und Unternehmensberatung bzw. Organisationsentwicklung und empirischer Forschung und wird Wissenschaft in den Dienst
der funktionalen Steuerung der Gesellschaft gestellt, über die „Theorie und Praxis“ wie
auch „Forschung und Wirklichkeit“ miteinander versöhnt werden. In der Folge von „New
Public Management“ und seiner managerialistischen Steuerungstheorie ist Forschung immer stärker darauf verwiesen, die Leistungen politisch-administrativ verordneter Wirkungen zu messen, so dass z. B. die Evaluationsforschung kaum mehr auf die Überprüfung des
13
Elke Schimpf | Johannes Stehr
Erreichens gesellschaftspolitisch gesetzter Ziele zielt (z. B. die Bekämpfung von Armut,
Schaffung von Erwerbsarbeitsplätzen), sondern – über die weitgehende Angleichung von
Forschung an Controlling-Verfahren – vorrangig auf „organisationale Leistungsmessung
mit Effizienzfokus“ orientiert ist. Forschung in der Sozialen Arbeit wird als Konsequenz
dieser politisch-administrativen Neuausrichtung zusehends als Wirkungsforschung organisiert, bei der es darum geht, „Interventionen zu messen, zu optimieren und Steuerungsmodelle der Effizienzsteigerung zu entwickeln und deren Implementation zu begleiten“.
Extern entwickelte Wirkungsparameter, über die die praktischen Interessen von Kostenträgern im Sozialsektor als Maßstab gesetzt werden, beeinflussen die Forschungsprozesse auf
allen Ebenen und bilden den „Transmissionsriemen einer neuen sozialstaatlich gesteuerten
Forschungspraxis, die den sozialstaatlichen Verwertungszusammenhang zum obersten Ziel
von Wissenschaft werden lässt“. Empirische Forschung dient dadurch immer mehr der Legitimierung sozialpolitischer Strategien als dass sie in der Lage wäre, wissenschaftliche Erkenntnis zu produzieren. Diese Form affirmativer Forschung erschöpft sich allerdings nicht
in Ideologieproduktion, die Autoren zeigen abschließend am Beispiel der Sozialraumorientierung, wie gerade über Forschung (neoliberale) sozialpolitische Zielsetzungen in Werte
umdefiniert werden, die nicht mehr hinterfragt werden und in der Folge das praktische
Handeln in der Sozialen Arbeit anleiten.
Holger Ziegler beschäftigt sich in seinem Beitrag eingehend mit der Wirkungsforschung
und ihrem utilitaristisch-instrumentalistischem Credo „What Counts is What Works“. In
der kritischen Auseinandersetzung mit der Wirkungsforschung sieht er die Chance, besser
konturieren und genauer bestimmen zu können, was „gute Soziale Arbeit“ ausmacht. Der
Autor zeigt zunächst, dass Wirkungsforschung notwendigerweise auf einem politischen Selektionsprozess beruht, innerhalb dessen festgelegt wird, welche Wirkungsnachweise als relevante Informationsbasis definiert werden. Bereits an diesem Ausgangspunkt stellt sich die
„Macht- aber auch Demokratiefrage, wer daran beteiligt ist und welche Interessen maßgeblich sind, wenn über die Festlegung der gültigen Informationsbasis entschieden wird“. Als
Produkt von Outcome-Orientierung der Neuen Steuerungsmodelle und veränderter Governanceformen verlangt Wirkungsforschung von den Professionellen nicht nur die Transformation ihrer Fachkonzepte in die Sprache von Kosten und Nutzen, sie gründet zugleich auf
einem Misstrauen in die professionelle Selbststeuerung, die durch „Zielvereinbarungen,
Richtlinien und Zertifizierungssysteme sowie durch ein (dezentralisiertes) System von Kontrollketten und Evaluations- und Auditprozessen“ ersetzt wird. Mit der Verschiebung von
professionellen Organisationsformen hin zu einem „wissenschaftlich-bürokratischen Organisationsmodell“ war die Hoffnung verbunden, gewährleisten zu können, dass auf der Basis
einer kontinuierlichen Gewinnung von praxisrelevanten Wissensbeständen durch Evaluationen wirksamste und effizienteste Strategien ableitbar seien – eine Hoffnung, die sich allerdings nicht erfüllt habe, da die Wirkungsforschung überwiegend ihren eigenen Ansprüchen
nicht genüge und methodologische Standards nicht erfülle, stattdessen „junk science“ dominiere und wirkungsorientierte Steuerung „without evidence“ betrieben werde. Über den
Versuch, die methodologischen Herausforderungen zu bearbeiten, greife die experimentelle
Wirkungsforschung allerdings in die Gestaltung Sozialer Arbeit in spezifische Weise ein,
als damit der Implementierung standardisierter (Trainings-)Programme und insbesondere
kognitiv-behaviouraler Maßnahmen Vorschub geleistet werde, die eine „Verhaltenstherapeutisierung Sozialer Arbeit“ befördere und einen Widerspruch zur Forderung nach Partizipation im Sinne von Entscheidungsrechten von Adressaten/innen darstelle. Als Konsequenz
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