Editorial - Schattauer

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Editorial
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ieses Heft ist den Gemeinsamkeiten und Unterschieden sowie den Verstehens- und Behandlungsansätzen sowohl der symptomatischen
Zwangsstörungen als auch der Anankastischen
(zwanghaften) Persönlichkeitsstörung gewidmet. In
der deutschsprachigen Psychiatrie wurde lange Zeit
die Ansicht vertreten, dass es sich beim „Anankasmus“ um eine (prämorbide) Persönlichkeitsstruktur handle, aus der heraus sich die symptomatische
Zwangsstörung („Zwangskrankheit“) entwickeln
könne. Auch psychoanalytische Autoren gingen seit
Freuds grundlegender Arbeit über „Charakter und
Analerotik“ von Zusammenhängen zwischen Zwangscharakter und Zwangsstörungen beziehungsweise
von einer charakterlich präformierten „Zwangsneurose“ aus. Im Unterschied dazu wurde von klinischpsychologischer und verhaltenstherapeutischer Seite bereits früh die mögliche Nähe der symptomatischen Zwangsstörungen zu den Angststörungen und
nicht die zur Zwanghaften Persönlichkeitsstörung
betont. Die Ergebnisse einer Reihe empirischer Studien schienen die Notwendigkeit der diagnostischen
Trennung von Persönlichkeitsmerkmalen und
Zwangssymptomen zu bestätigen. Entsprechend
fand diese Sichtweise ihren Niederschlag in der Ordnungsstruktur der beiden Klassifikationssysteme
DSM und ICD.
Aufgrund aktueller Forschungsarbeiten erscheint die strikte diagnostische Trennung beider
Bereiche nach wie vor sinnvoll. Denn die früher vermuteten Zusammenhänge zwischen anankastischer
Persönlichkeit und Zwangsstörung sind immer nur
bei einer Minderzahl von Patienten nachweisbar. In
solchen Einzelfällen könnte auch die Hypothese angedacht werden, dass die anankastische Persönlichkeit ein prämorbides Risiko für die Zwangsstörung
darstellt. Andererseits lassen sich bei Patienten mit
Zwängen eine ganze Reihe unterschiedlicher Persönlichkeitsstörungen finden, und bei Patienten mit
zwanghafter Persönlichkeit lässt sich ebenfalls ein
erhöhtes Komorbiditätsrisiko für die unterschiedlichsten Achse-I-Störungen beobachten. Ergebnisse
zur Differenzialdiagnose und Komorbidität werden
insbesondere in der Arbeit von Stefan Ruppert, Mi-
chael Zaudig und Jürgen Konermann über „Zur Frage der Komorbidität von Zwangsstörung und Zwanghafter Persönlichkeitsstörung“ vorgestellt und diskutiert (ergänzend auch die Beiträge von Peter Fiedler sowie Willi Ecker und Sascha Gönner in diesem
Heft).
Eröffnet wird dieses Heft mit zwei Beiträgen zu
den modernen Verstehens- und Behandlungsansätzen von Zwangsstörungen beziehungsweise Anankastischer Persönlichkeitsstörung. Peter Fiedler
stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Behandlung beider Störungsbereiche aus kognitiv-verhaltenstherapeutischer Sicht vor und diskutiert Besonderheiten in der Behandlungsplanung von Patienten mit Zwangsstörungen, wenn bei diesen zeitgleich eine Persönlichkeitsstörung (anankastisch
oder eine andere) diagnostiziert werden kann. Wie
Hermann Lang in seinem Beitrag ausführt, scheinen
sich auch psychoanalytische Autoren zunehmend
einig zu sein, dass zwischen der Zwangsneurose (als
Zwangsstörungen) und dem zwanghaften Charakterbild zwar ein ätiologischer und behandlungsrelevanter Zusammenhang bestehen kann, aber keinesfalls immer gegeben sein muss. Welche ätiologischen Vorstellungen sich dazu unter psychoanalytischer Perspektive anbieten, und welche Konsequenzen sich dabei für eine psychodynamische Psychotherapie ergeben, steht im Mittelpunkt von Langs
Arbeit.
Willi Ecker und Sascha Gönner beschäftigen sich
mit einer in jüngster Zeit erneut wieder entdeckten
Hypothese von Pierre Janet (Anfang des letzten Jahrhunderts), nach der ein so genanntes Unvollständigkeitserleben einen Beitrag zum Verständnis des Zusammenhangs von Zwangsstörung und zwanghaften
Persönlichkeitszügen leistet. Ergebnisse einer noch
laufenden Studie der Autoren deuten darauf hin,
dass Unvollständigkeitsgefühle in der Tat ein wichtiges, auch behandlungsrelevantes Bindeglied zwischen Symptomzwängen und zwanghaften Persönlichkeitsakzentuierungen darstellen könnten.
Die Ich-Syntonie bei Persönlichkeitsstörungen
führt unabhängig von der Diagnose einer Zwangsstörung in der therapeutischen Beziehung häufig zu
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Kommunikationsschwierigkeiten und Konflikten. In
der Behandlung von Zwangspatienten kommt hinzu,
dass die Zwangssymptomatik zu Beginn der Therapie für die Patienten höchste Priorität hat und persönlichkeitsbedingte Defizite dadurch kaschiert
werden. Durch ein von Igor Tominschek und Günther Schiepek vorgestelltes computerbasiertes so genanntes Synergetisches Therapieprozess-Management bekommen Therapeut und Patient die Möglichkeit, ihre subjektiven Einschätzungen des Therapieprozesses untereinander abzugleichen. Dadurch
gewinnt der Therapeut einen tieferen Einblick in das
(Beziehungs-)Erleben des Patienten und in dysfunktionale Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster.
Graziella Meyer-Groß und Michael Zaudig machen
in ihrem, dieses Heft abschließenden Beitrag mit einem in jüngster Zeit häufiger diskutierten Störungsbild, der Orthorexia nervosa, näher vertraut: Die damit
gemeinte krankhafte Fixierung, sich vermeintlich richtig, jedoch extrem einseitig und häufig ungesund zu ernähren, wird zwar seit einigen Jahren unter Ernährungswissenschaftlern häufiger diskutiert, sie wird
hier jedoch erstmals in die deutschsprachige wissenschaftliche medizinisch-psychologische Diskussion
eingeführt – mit dem Vorschlag, wenn überhaupt, sie
als atypische Zwangsstörung aufzufassen.
Peter Fiedler und Michael Zaudig
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