Vertrauensfrage

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Politik
Facharbeit
Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers im
November 2001 – war die Verknüpfung mit einer
Sachfrage legitim?
Simon Böert
Melle
2003
Gymnasium
Melle
2002/2003
2
Politik
Simon Böert
Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers im November 2001 –
war die Verknüpfung mit einer Sachfrage legitim?
Fachlehrer: Herr Westphal
Ausgabetermin: 07.02.2003
Abgabetermin: 21.03.2003
Bewertung:
Unterschrift des Verfassers
......................................
Punkte
Unterschrift des Fachlehrers
.............................. ............
3
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
S. 4
2. Die Vertrauensfrage
S. 6
2.1 Was ist eine Vertrauensfrage ?
S. 6
2.2 Wer hat bisher davon Gebrauch gemacht ?
S. 7
3. Erläuterung der Hintergründe
S. 8
4. Position der Grünen
S. 10
4.1 Position der Fraktionsmehrheit
S. 10
4.2 Die „Abweichler“ der Fraktion
S. 12
5. Position der Opposition
S. 13
6. Die Entscheidung im Bundestag
S. 14
6.1 Abstimmungsverhalten der Fraktionen
S. 14
6.2 Christa Lörcher
S. 16
7. Schlussbemerkung
S. 18
8. Literaturverzeichnis
S. 20
9. Erklärung
S. 22
4
1. Einleitung
War die Verbindung der Vertrauensfrage mit einer Sachfrage legitim? Dieser Fragestellung
möchte ich in der folgenden Facharbeit nachgehen. Ich beginne diese Arbeit mit einer
Erläuterung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertrauensfrage, um den Leser auf
das Thema hinzuführen. Anschließend folgt eine Aufzählung der ehemaligen Bundeskanzler,
die von der Vertrauensfrage in der Vergangenheit Gebrauch gemacht haben. Ich lege die
Hintergründe für ihre jeweilige Entscheidung dar und füge an, wie die Abstimmungen im
einzelnen Fall verlaufen sind. Das dritte Kapitel erläutert die Hintergründe, die Bundeskanzler
Schröder dazu bewogen haben, die Vertrauensfrage zu stellen. Ich lege dabei Wert auf die
Darstellung der Umstände nach dem 11. September 2001, dabei gehe ich davon aus, dass die
Geschehnisse vom 11. September 2001 selber bekannt sind. Das Kapitel schließt mit der
Begründung ab, warum Gerhard Schröder die Vertrauensfrage in Verbindung mit einer
Sachfrage gestellt hat. Mit den Verschiedenen Positionen der Grünen befasse ich mich im
vierten Kapitel. Dabei wird unter anderem auch auf den Standpunkt der Abweichler zum
Bundeswehreinsatz und zur Vertrauensfrage eingegangen, der ausschlaggebend für die
Regierungskrise der rot-grünen Koalition
war. In dem nachfolgenden Kapitel habe ich
versucht, die Position der Opposition bezüglich der Entscheidung des Bundeskanzlers
herauszuarbeiten. Das erwies sich aber aufgrund der dürftigen Materiallage bei der
CDU/CSU-Fraktion, abgesehen von Kommentaren in Zeitungen und Zeitschriften, als
verhältnismäßig schwierig. Außer den Reden der einzelnen Bundestagsabgeordneten auf ihren
eigenen Internetseiten beim Bundestag, fand man auf der Homepage der CDU/CSU-Fraktion
keine Presseerklärungen oder ähnliche Dokumente aus erster Hand. Im fünften Kapitel wird
außerdem die Position der FDP-Fraktion herausgearbeitet und der Schwerpunkt auf die
Absichten der Partei bei möglichen Neuwahlen gelegt. Kapitel sechs beinhaltet das
Abstimmungsverhalten der einzelnen Bundestagsfraktionen und das Verhalten der
verbliebenen vier „Abweichler“. Ich füge ein ganzes Unterkapitel über Christa Lörcher an, da
ich es wichtig finde, diese prinzipientreue Bundestagsabgeordnete besonders hervorzuheben.
Frau Lörcher hat sich nicht einfach der Fraktionsdisziplin unterworfen, sondern ihre eigene
Meinung vertreten. Am Schluss beziehe ich dann Stellung zu der Frage, ob die Verbindung
der Vertrauensfrage mit einer Sachfrage aus meiner Sicht legitim war.
5
2. Die Vertrauensfrage
2.1 Was ist eine Vertrauensfrage?
Der
Bundeskanzler
der
Bundesrepublik
Deutschland
verfügt
praktisch
über
die
verfassungsrechtlich größte Macht. Er wird durch die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten
gewählt und trägt die Verantwortung über die Politik der Bundesregierung.1 Da der
Bundeskanzler nicht direkt von der Bevölkerung gewählt wird, muss er sich auf die
Zustimmung der Abgeordneten im Bundestag verlassen können. Entweder hat seine eigene
Partei bei den Wahlen zum Bundestag die absolute Mehrheit erlangt, womit er alleine
regieren könnte, oder er muss eine Koalition mit der Partei bilden, die mit seinen eigenen
politischen Zielsetzungen am besten korrespondiert. Einen Koalitionspartner zu haben
bedeutet aber fast immer eine gewisse politische Instabilität, da auch der andere
Koalitionspartner seine Wählerschicht in der neuen Regierung vertreten muss, um bei der
nächsten Bundestagswahl wieder eine Fraktion stellen zu können. Diese Unterschiede
zwischen den Partnern führen zuweilen zu Konflikten in der Bundesregierung und in den
Fraktionen, die sich negativ auf das Abstimmungsverhalten der betreffenden Partei im
Bundestag auswirken können. Der Bundeskanzler läuft in diesem Fall Gefahr, bei einer
wichtigen Abstimmung im Bundestag keine Mehrheit mehr zu haben. Um sicherzustellen,
dass er den Hauptteil der Bundestagsabgeordneten noch hinter sich vereinen kann, besteht die
Möglichkeit, nach Art. 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage zu stellen. Verweigern die
Abgeordneten dem Bundeskanzler das Vertrauen, so kann dieser den Bundespräsidenten
darum bitten, den Bundestag innerhalb von 21 Tagen aufzulösen, sofern zwischenzeitlich
noch kein neuer Bundeskanzler durch das Parlament gewählt worden ist. Diese Entscheidung
des Bundeskanzlers würde zu Neuwahlen führen.2 Die Vertrauensfrage hat jedoch keine
zwingenden rechtlichen Konsequenzen. Der Regierungschef könnte folglich auch weiterhin
im Amt bleiben, was ihn aber politisch schwächen würde. In der Bundesrepublik wurde die
Vertrauensfrage bisher nur zur Stabilisierung statt zur Destabilisierung der Regierung oder
zum Herbeiführen von Neuwahlen gestellt.
2.2 Wer hat bisher davon Gebrauch gemacht?
Am 20.09.1972 stellte Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) als erster in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland die Vertrauensfrage. Brandt fehlte damals der nötige Rückhalt
im Parlament, da einige Abgeordnete die Regierungskoalition bestehend aus SPD und FDP
1
2
vgl. GG, Art. 63/2 und 65
vgl. GG, Art. 68/1
6
verlassen hatten. Die Opposition nutzte die momentane Schwäche der Regierung, um den
Versuch zu starten, den Bundeskanzler mithilfe des konstruktiven Misstrauensvotums nach
Artikel 67 des Grundgesetzes zu stürzen. Dieser Versuch scheiterte jedoch an zwei fehlenden
Stimmen im Bundestag. Brandt stellte kurz darauf die Vertrauensfrage, um Neuwahlen
herbeizuführen. Dabei erhoffte sich die SPD, aus der Wahl als stärkste Fraktion
hervorzugehen und somit ihre Position zu stärken. Mit einer Mehrheit von fünfzehn
Abgeordneten entzog man Brandt im Bundestag das Vertrauen. Bei der anschließenden
Neuwahl wurde die SPD zu ersten Mal stärkste Fraktion und bildete mit der FDP erneut die
Regierung.
Brandts Nachfolger Schmidt gewann am 05.02.1982 die von ihm selber gestellte
Vertrauensfrage mit einer Mehrheit von 45 Abgeordnetenstimmen. Die Diskussion um die
Stationierung von amerikanischen Pershing II-Raketen und die zunehmende Kritik an
Schmidts Programm zur Arbeitslosigkeitsbekämpfung veranlassten ihn dazu, diesen Schritt zu
gehen. Die Koalition aus SPD und FDP zerbrach aber kurz darauf, da die FDP an die Seite der
CDU wechselte und beide zusammen den Bundeskanzler durch ein konstruktives
Misstrauensvotum abwählten.
Es folgte Helmut Kohl, der durch das konstruktive Misstrauensvotum der Nachfolger von
Schmidt wurde. Kohl nutzte das Instrument der Vertrauensfrage, um seine Position zu stärken
und sich nachträglich vom Volk legitimieren zu lassen. Die Vertrauensfrage wurde gestellt,
um vorgezogene Neuwahlen zu ermöglichen. Deshalb ließ Kohl die Abstimmung absichtlich
verloren gehen. Die Abgeordneten der SPD-Fraktion sprachen ihm das Misstrauen aus, die
Mitglieder der FDP und der CDU enthielten sich oder stimmten gegen Kohl. Bundespräsident
Karl Carstens zögerte, aufgrund von Kohls taktischen Hintergründen, mit der Auflösung des
Bundestages, willigte aber letztendlich ein. Kohl war der Auffassung, dass er die Wahlen
gewinnen würde, womit er auch Recht behalten sollte. Doch dieser politische Schachzug blieb
nicht folgenlos für zukünftige Kanzler. 3 Der Fall beschäftigte das Bundesverfassungsgericht,
da Abgeordnete aller Fraktionen in Karlsruhe klagten. Die Klage wurde abgewiesen, jedoch
mit der zukünftigen Einschränkung, dass die Vertrauensfrage nur dann gestellt werden dürfe,
wenn der Bundeskanzler „eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht
mehr sinnvoll zu verfolgen vermag“. 4
3. Erläuterung der Hintergründe
3
4
HUSEMANN et al. in Süddeutsche Zeitung Nr. 262 vom 14.11.01, S.5
KERSCHER in Süddeutsche Zeitung Nr. 263 vom 15.11.01, S.6
7
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf die USA veranlassten die NATO am
04.10.2001 zum ersten Mal in der Geschichte des Bündnisses dazu, den Bündnisfall nach
Artikel fünf des NATO-Vertrages auszurufen. Folglich wurde der Terroranschlag als Angriff
auf alle Mitgliedsländer der NATO gewertet.5 Nach Ausrufung des Bündnisfalls gemäß
Artikel fünf besteht für die Mitglieder der NATO eine Beistandspflicht entsprechend ihrer
Möglichkeiten, d.h. es bleibt den Mitgliedsstaaten selber überlassen, in welcher Art und
Weise oder ob sie ihrem Bündnispartner helfen. 6
Die Bundesrepublik Deutschland trat am 5. Mai 1955 dem Nordatlantikpakt bei.
7
Dieser
Entscheidung verdankte Deutschland die längste Friedensperiode in seiner Geschichte.
Bundeskanzler Gerhard Schröder sicherte den USA die uneingeschränkte Solidarität der
Bundesregierung und der Deutschen nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 zu. Die
Vereinigten Staaten baten Deutschland daraufhin um eine Beteiligung an der NATOOperation „ENDURING FREEDOM“, die u.a. die Vertreibung der Taliban aus Afghanistan
zur Aufgabe hatte. Den Taliban wurden enge Beziehungen zum Terrornetzwerk von „Al
Qaida“ nachgesagt und Afghanistan von den Amerikanern dabei als „Keimzelle des
internationalen Terrorismus“ bezeichnet. Zudem vermuteten die USA, dass die Taliban den
Al Qaida Führer Osama Bin Laden versteckt hielten. Afghanistan wurde daraufhin
angegriffen und das Talibanregime in Folge dessen abgesetzt. Für die Zeit nach dem Regime
musste eine internationale Schutztruppe (ISAF) gebildet werden, die nach den Vorstellungen
der Amerikaner auch aus deutschen Soldaten bestehen sollte. Der Bundestag musste jedoch
diesem ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr außerhalb Europas erst zustimmen, worin das
eigentliche Problem für den Bundeskanzler bestand. Er hatte dem amerikanischen Präsidenten
George W. Bush die uneingeschränkte Solidarität der Bundesrepublik zugesagt und musste,
wollte er vor den Amerikanern nicht als unzuverlässiger Bündnispartner dastehen, die
Mehrheit der Bundestagsabgeordneten auf seine Seite bringen. Der Regierungsvorschlag
wurde am 07.11.2001 im Kabinett verabschiedet und musste nun noch den Bundestag
passieren. Durch die Koalition mit den Grünen hätte er die Mehrheit von 334 im Bundestag
erreicht. Nach Aussagen vom Fraktionsvorsitzenden der SPD Peter Struck hätte nämlich die
gesamte SPD-Fraktion bei der Abstimmung über den Einsatz hinter Bundeskanzler Schröder
gestanden. 8 Einige Abgeordnete der Grünen meldeten jedoch Zweifel am Sinn der Operation
in Afghanistan an. Bei den Grünen kristallisierten sich acht Mitglieder der Fraktion heraus,
die gegen den Bundeswehreinsatz stimmen wollten. Sie beriefen sich dabei auf ihr Gewissen.
5
http://www.einsatz.bundeswehr.de/pic/einsatz_aktuell/oef/mandate/ue_ausl.htm
vgl. OVERWEG 1999, S.9
7
vgl. OVERWEG 1999, S.7
6
8
9
Die Regierungsmehrheit war in dieser Frage nicht mehr gesichert. Bundeskanzler Schröder
nutzte nach dieser Bekanntmachung der Grünen das Instrument, welches ihm nach Artikel 68
des Grundgesetzes in die Hand gegeben wird, um seine Position zu stärken. Er wollte sicher
gehen, dass er die Unterstützung der Abgeordneten in den beiden Regierungsfraktionen auch
bei schwierigen Entscheidungen noch besitzt. Schröder verknüpfte aus diesem Grund, zum
ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die Abstimmung über die
Vertrauensfrage mit einem konkreten Anliegen der Regierung. Er verband die Abstimmung
über den Bundeswehreinsatz mit der Vertrauensfrage. 10
Diese Entscheidung des Bundeskanzlers brachte jene acht Abgeordneten der Grünen, die im
Bundestag gegen die NATO-Operation stimmen wollten, in einen Zwiespalt. Die
„Abweichler“ sahen sich einerseits dem Zwang unterworfen die Koalition nicht zu gefährden,
andererseits wollten sie ihrem Gewissen folgen. Steffi Lemke – eine der „Abweichler“ –
bezweifelte, dass man den internationalen Terrorismus mit Streubomben bekämpfen könne.
Sie wolle nicht dafür verantwortlich sein, dass möglicherweise Zivile Opfer bei der Suche
nach Terroristen zu beklagen sein würden. 11
4. Position der Grünen
4.1 Position der Fraktionsmehrheit
Abgesehen von den acht „Abweichlern“, die in Abschnitt 4.1 behandelt werden, gab es in der
Bundestagsfraktion der Grünen auch viele Abgeordnete, die eine deutsche Beteiligung an
„ENDURING FREEDOM“ nur unter gewissen Einschränkungen begrüßten. Sie stellten zu
diesem Zweck im Parteirat am 12.11.2001 ein Forderungspaket zusammen, das sie in ein RotGrünes Forderungspapier einbrachten. Eine zentrale Forderung des Papiers bestand darin, den
Einsatz der deutschen Bundeswehrsoldaten nur auf Afghanistan zu beschränken. Damit
wollen sie eine Verwicklung deutscher Soldaten in einen Konflikt mit dem Irak oder mit
Somalia verhindern. Ferner wurde beschlossen, dass die Bundeswehr nicht an Luftangriffen
der Alliierten teilnimmt. Spezialeinheiten der deutschen Streitkräfte bekommen in dem Papier
nur polizeiliche Befugnisse zugewiesen. Sie sind dazu autorisiert Zugriffe auszuführen,
dürfen aber keine Sabotageaktionen auf terroristische Ziele ausüben. Der deutsche Beitrag ist
8
FRIED/HÖLL in Süddeutsche Zeitung Nr.262 vom 14.11.01, S.1
Abgeordnete sind nach Art. 38/1 GG bei Entscheidungen im Bundestag nur ihrem Gewissen verpflichtet
10
http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Aussenpolitik/reden.html (Gerhard Schröder, SPD)
11
http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Aussenpolitik/reden.html (Steffi Lemke)
9
9
rein humanitär, defensiv und auf den Schutz der Zivilbevölkerung ausgelegt. Es soll
vermieden werden, den Hass der arabischen Welt auf den Westen durch unverhältnismäßige
Repressionsmaßnahmen zu steigern. Deshalb wurde als Maßgabe für alle militärischen und
polizeilichen Aktionen die Charta der UN vorausgesetzt, um die Menschenrechte zu wahren.
Der Bundestag muss bezüglich des Einsatzes immer auf dem Laufenden gehalten werden.
Eine umfassende Informationspolitik, auch gegenüber der Bevölkerung der Bundesrepublik,
ist laut Parteirat zwingend notwendig, um den Einsatz und seinen Nutzten in der
Öffentlichkeit zu legitimieren. Gleichzeitig zu allen militärischen Operationen muss aber auch
eine Lösung für die Probleme Afghanistans, wie z.B. Hunger, gefunden werden, die aus der
Herrschaft der Taliban und der jahrzehntelangen Kriege entstanden sind. Den internationalen
Terrorismus kann man laut Parteirat nur bekämpfen, wenn man ihn an seinen Wurzeln
hemmt. Der Hauptgrund für die Terrorismusproblematik besteht für die Fraktion der Grünen
nämlich in der Tatsache, dass es auf der Welt zu viel Armut gibt. Der eine Teil der Welt lebt
im Überfluss, während der andere Teil in Armut lebt. Das treibt die Menschen im Elend in die
Arme der Terroristen, die in der westlichen Welt ihr Feindbild sehen.
12
Der Vorstand der
Grünen empfahl den Abgeordneten der Fraktion sich für einen Militäreinsatz in Afghanistan
auszusprechen, wenn die genannten Einschränkungen beachtet würden. Sie dürften die RotGrüne Koalition wegen der Abstimmung nicht opfern, um die Durchsetzung der anderen
Regierungsziele nicht zu gefährden. Die Grünen waren der Auffassung, dass eine negative
Abstimmung das Ende der Koalition bedeuten würde.
Prominente Verfechter der Beschlüsse des Parteirates waren u.a. Christa Nickels (Vorsitzende
des Menschenrechtsausschusses im Bundestag) und Rezzo Schlauch (Fraktionsvorsitzender
der Grünen). Beide sahen die Operation „ENDURING FEEDOM“, und somit vor allem auch
den Feldzug gegen die Taliban in Afghanistan, als gerechtfertigt an. Sie waren der
Überzeugung, dass der Krieg die freiheitlich demokratische Ordnung der westlichen Welt
verteidigen würde. Rezzo Schlauch formulierte es mit den Worten „Bin Laden greift die
offene Gesellschaft an, also auch unsere“13. Fraktionskollegin Nickels bezeichnete
Afghanistan
sogar
als
„Flugzeugträger
des
internationalen
Terrorismus“14.
Die
Staatengemeinschaft dürfe nicht zulassen, dass sich die Menschenrechtssituation in
Afghanistan unter den Taliban weiter verschlechtere. Beide Abgeordneten waren der
Meinung, dass auch Deutschland seinen Beitrag dazu leisten muss; sowohl militärisch als
12
http://www.gruene-partei.de/rsvgn/rs_doc/0,,2507,00.htm
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,167113,00.html
14
Süddeutsche Zeitung Nr. 263 vom 15.11.2001, S.10
13
10
auch humanitär. Dabei setzte Nickels - im Gegensatz zu Schlauch - ihre Akzente stärker auf
den humanitären, als auf den militärischen Part der Hilfeleistung. 15 16
Sowohl die „Abweichler“ als auch die Befürworter des Einsatzes hielten die Verknüpfung der
Vertrauensfrage von Bundeskanzler Schröder mit einer Sachfrage nicht für notwendig. Zudem
gaben die Grünen an, dass auch ein Großteil der Bevölkerung einer solchen Verbindung mit
Misstrauen begegne. 17
4.2 Die „Abweichler“ der Fraktion
Nicht alle Fraktionsmitglieder der Grünen standen einer deutschen Beteiligung an
„ENDURING FREEDOM“ aufgeschlossen gegenüber. Einige Pazifisten konnten den Einsatz
nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Zu ihnen gehörte der ehemalige RAF-Anwalt HansChristian Ströbele, der zum linken Flügel der Grünen zählt. Ströbele gab zu bedenken, dass
die Politik der USA an diesem Konflikt einen großen Anteil habe, da sie die Afghanen und
Osama Bin Laden während der Sowjetbesatzung im Kalten Krieg mit Waffen belieferten. Er
sprach sich dafür aus, erst die Terrorstrukturen in Deutschland zu bekämpfen und zu
verfolgen. Zudem würden in diesem Krieg zu viele unschuldige Zivilisten getötet, was nach
einem Krieg gegen das Land Afghanistan und nicht nach einem Krieg gegen den
internationalen Terrorismus aussehe. Das schüre den Hass der arabischen auf die westliche
Welt. 18
Eine weitere prominente Persönlichkeit der Grünen, die sich unter den acht „Abweichlern“
befand, war die parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Steffi Lemke. Sie wollte im
Bundestag ebenfalls gegen eine deutsche Beteiligung an „ENDURING FEEDOM“ stimmen,
da sie nicht dafür verantwortlich sein wollte, wenn unschuldige Zivilisten in einem Krieg
gegen den internationalen Terrorismus sterben. Ein anderer Einwand ihrerseits bestand darin,
dass sie die Kooperation mit der Nordallianz für äußerst gefährlich hielt, da diese Miliz nicht
demokratisch verwurzelt sei. Zudem gebe es noch keine weiterführenden Vorstellungen über
die Zukunft der afghanischen Bevölkerung nach der Herrschaft der Taliban. Der Einsatz von
Streubomben bei der Bekämpfung der Terroristen von Al Qaida verstoße gegen
internationales Recht, da diese Art der Kriegsführung weltweit geächtet sei. Die Benutzung
von derartigen Kriegsmaterialien sei nicht zielgerichtet und treffe in einem hohen Maße auch
die unschuldige Zivilbevölkerung. 19
15
Süddeutsche Zeitung Nr. 263 vom 15.11.2001, S.10
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,167113,00.html
17
http://www.gruene-partei.de/rsvgn/rs_doc/0,,2507,00.htm
18
http://www.gruene-partei.de/rsvgn/rs_dok/0,,2469-print,00.htm
19
http://www.uni-kassel.de /fb10/frieden/themen/Aussenpolitik/reden.html (Steffi Lemke)
16
11
Unter den acht „Abweichlern“ der Grünen befanden sich auch die Namen weniger geläufiger
Abgeordneter wie Annelie Buntenbach, die sich schon gegen einen Einsatz der Bundeswehr
auf dem Balkan aussprach. Irmingard Schewe-Gerigk, die familienpolitische Sprecherin der
Fraktion, kündigte ebenfalls an, gegen einen Einsatz zu stimmen. Diese Einstellung teilte auch
die „Symbolfigur der Kriegsgegner“
20
Winfried Hermann, der die Vorgehensweise des
Bundeskanzlers als Erpressung und als Fehler bezeichnete.
21
Hermann sprach sich gegen
einen „Angriff auf das freie Mandat“ aus, 22 nur um eine positive Entscheidung zu erzwingen.
Monika Knoche, Sylvia Voß und Christian Simmert schlossen sich ebenfalls dieser Meinung
an. 23
5. Position der Opposition
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Friedrich Merz bezeichnete
die Vertrauensfrage als das Ende der Koalition aus SPD und Grünen. Eine Mehrheit, die auf
Druck der Regierung mit allen erdenklichen
Mitteln zustande kommt sei nicht ehrlich.
Michael Glos betonte sogar, dass die Abgeordneten des Bundestags gegen ihre Amtspflicht
verstoßen, wenn sie eine Entscheidung auf Druck der Fraktion fällen, statt ihrem Gewissen zu
folgen.
24
Die CDU/CSU-Fraktion war bereit, die Bundeswehr an einem Krieg gegen den
internationalen Terrorismus zu beteiligen und Truppen nach Afghanistan zu entsenden. Durch
die Verknüpfung der Abstimmung mit der Vertrauensfrage musste die Fraktion ihren
Pflichten als Opposition nachkommen, da sie dem Bundeskanzler nicht das Vertrauen
aussprechen wollte. Zur Begründung hieß es von Seiten der Fraktion, dass sie zwar die Politik
gegenüber Terroristen unterstütze, aber z.B. in der Frage der Wirtschaftspolitik nicht einer
Meinung mit der Regierung sei. Der Bundeskanzler sollte die beiden Abstimmungen
voneinander trennen, um dem Parlament zu ermöglichen, den Einsatz der deutschen Soldaten
zu legitimieren und zu unterstützen. Friedrich Merz führte an, dass eine Regierung, die bei
wichtigen Abstimmungen keine Mehrheit habe nicht tragbar sei und das Ansehen der
Deutschen, als Bündnispartner gegenüber Amerika, gefährde. 25 Die CDU/CSU-Fraktion fand
die Verbindung der Vertrauensfrage mit der Abstimmung über den Einsatz der Bundeswehr
nicht legitim, da dadurch den Abgeordneten des Bundestags die Möglichkeit genommen
wurde, den Einsatz auf eine große parlamentarische Basis zu stellen. Mit Hilfe einer breiten
20
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,167659,00.html
HANDWERGER 2002, S.168-169
22
http://www.bundestag.de/mdbhome/hermawi0/abstimmungserklärung.htm
23
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,167659,00.html
24
Süddeutsche Zeitung Nr. 265 vom 17.11.2001, S.6
25
http://www.documentarchiv.de/brd/2001/rede_merz_1116.html
21
12
Basis im Bundestag sollte den Soldaten die Gewissheit gegeben werden, dass sie den
Rückhalt im Parlament haben. Das Wort Vertrauen sei von Bundeskanzler Schröder in dieser
Abstimmung missbraucht worden. 26
FDP-Chef Guido Westerwelle formulierte es noch etwas schärfer, indem er der Regierung
Nötigung, Einschüchterung und Erpressung ihrer Abgeordneten vorwarf. Westerwelle wies
die Abgeordneten darauf hin, dass sie sich nicht dem Druck der Regierung beugen, sondern
ihren eigenen moralischen Grundsätzen gerecht werden sollten. Der Hintergedanke
Westerwelles bei dieser Aufforderung an die „Abweichler“ der Grünen bestand darin, dass er
auf eine Machtübernahme nach der Vertrauensfrage, spätestens aber nach den nächsten
Wahlen spekulierte. Er war zwar von einer positiven Beantwortung der Vertrauensfrage
überzeugt, vermutete aber, dass bei einer erneuten diffizilen Abstimmung über Krieg oder
Frieden die Koalition brechen würde. Für diesen Fall wollte er Schröder als Koalitionspartner
zur Verfügung stehen, wenn er Änderungen in seiner Politik vornehmen würde.
27
Seine
Hoffnungen waren begründet, da sich Schröder schon vor der öffentlichen Bekanntgabe der
Vertrauensfrage in Verbindung mit der Abstimmung über den Bundeswehreinsatz mit
Westerwelle unterhalten hatte. Schröder beendete dieses Treffen mit dem FDP-Chef mit der
Aussage, dass das Verhalten der Grünen seine Koalitionsneigungen bei den nächsten Wahlen
beeinflussen könne.
28
Die FDP-Fraktion wollte genau wie die CDU/CSU-Fraktion den
Militäreinsatz beschließen, war aber nicht gewillt, der Bundesregierung ihr Vertrauen
auszusprechen. Vielmehr sollte der Wähler entscheiden, ob die Koalition ihre Arbeit
fortsetzen sollte. 29
6. Die Entscheidung im Bundestag
6.1 Abstimmungsverhalten der Fraktionen
Am 16.11.2001 traf der Bundestag schließlich zusammen. Über den Antrag der
Bundesregierung zu Entsendung von Bundeswehrsoldaten in Verbindung mit der
Vertrauensfrage wurde abgestimmt. Es votierten 336 von 662 Abgeordneten für den Einsatz
und sprachen dem Bundeskanzler auf diese Weise gleichzeitig das Vertrauen für seine weitere
Regierungsarbeit aus. Die insgesamt 322 Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der
PDS stimmten (wenn auch aus verschiedenen Beweggründen) geschlossen dagegen. Die
26
Süddeutsche Zeitung Nr. 265 vom 17.11.2001, S.6
http://www.guido-westerwelle.de/reden.php?id=1601
28
SCHWENNICKE in Süddeutsche Zeitung Nr. 261 vom 13.11.2001, S.4
29
http://www.guido-westerwelle.de/reden.php?id=1601
27
13
CDU/CSU-Fraktion und die FDP waren gewillt, einem Bundeswehreinsatz zuzustimmen,
wollten der Politik des Kanzlers aber nicht das Vertrauen aussprechen. Die Unionsparteien
und die FDP sprachen von einem baldigen Bruch der Koalition. Die PDS hingegen sprach
sich in jeder Beziehung gegen einen Bundeswehreinsatz aus. Hinzu kamen die vier
verbliebenen „Abweichler“ der Grünen, welche die Zahl der Gegenstimmen auf 326 erhöhten.
30
Von den ursprünglich acht „Abweichlern“ waren am Schluss nur noch vier übrig geblieben,
um die Koalition mit der SPD nicht zu beenden. Zu den Fraktionsmitgliedern, die dem Antrag
zustimmten gehörten Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk, Monika Knoche und Sylvia
Voß. Steffi Lemke betonte aber nach der Abstimmung, dass dies nur eine taktische
Zustimmung der vier Abgeordneten gewesen sei, um die Regierungsarbeit weiterzuführen und
der FDP nicht in die Regierung zu überlassen. In der Frage eines Kriegseinsatzes bleibe die
Gruppe weiterhin bei ihrem Nein. Gegen den Bundeswehreinsatz und die Vertrauensfrage
stimmten die Abgeordneten Ströbele, Hermann, Buntenbach und Simmert. Sie wollten dem
Bundeskanzler ebenfalls ihr Vertrauen aussprechen, wurden aber durch ihr Gewissen dazu
getrieben gegen den Militäreinsatz zu stimmen. 31
Aus der SPD-Fraktion kamen keine Gegenstimmen; die Ausnahme war Christa Lörcher, die
aber kurz zuvor aus der SPD-Fraktion ausgetreten war, also rein formal gesehen zur
Opposition gehörte. Aber auch einige SPD-Abgeordnete meldeten Bedenken gegen eine
deutsche Beteiligung der Bundeswehr in Afghanistan an. Sie stimmten aber zu, da sie der
Auffassung waren, dass die rot-grüne Regierungsarbeit weitergeführt werden musste. In einer
persönlichen Erklärung der sechzehn SPD-Abgeordneten von Rüdiger Veit und Konrad
Gilges brachten sie ihre Bedenken zum Ausdruck. In dem Papier zweifelten die Abgeordneten
die Verhältnismäßigkeit der Mittel im Afghanistankrieg an. Es sei vor allem die
Zivilbevölkerung von den Bombardements betroffen. Die sechzehn SPD-Mitglieder forderten
die Regierung deshalb auf, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen. 32
6.2 Christa Lörcher
Der Fraktionsvorsitzende der SPD Peter Struck war nicht in der Lage alle Abgeordneten
seiner Fraktion auf den Kurs der Regierung zu bringen. Eine renitente Abgeordnete blieb ihm
erhalten, die den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan nicht legitimieren wollte. Ihr Name
ist Christa Lörcher, die zuvor schon gegen die Einsätze im Kosovo und in Mazedonien
30
HÖLL in Süddeutsche Zeitung Nr. 265 vom 17.11.2001, S.1
KAHLWEIT in Süddeutsche Zeitung Nr. 265 vom 17.11.2001, S.7
32
http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Aussenpolitik/erklaerungen.html
31
14
stimmte. Als überzeugte Pazifistin, die mitten im Krieg in Polen zur Welt kam, engagierte sie
sich im Bundestag vor allem in der Sozial- und Ausländerpolitik. Lörcher ist der Ansicht, dass
Konflikte nur mit friedlichen Mitteln zu lösen sind. Deshalb setzte sie sich in der
Vergangenheit vor allem für alternative Konfliktlösungen ein. Nach ihrer Auffassung könnte
man das Geld, das die Regierungen für das Militär ausgeben besser anderweitig verwenden.
Durch Bomben und Granaten würden nur unschuldige Menschen getroffen und die
überlebensnotwendige Infrastruktur z.B. Wasserleitungen oder Stromversorgung zerstört. Die
Leidtragenden seien vor allem Alte, Kranke und Kinder. Jene Gruppen bedürften aber eines
besonderen Schutzes. Der Angriff auf Zivilpersonen schüre den Hass auf die westliche Welt
und ihre Verbündeten, der dann zu neuer Gewalt und Eskalation führe. Diese Politik der
Bundesregierung wollte Lörcher nicht mittragen, da sie der Meinung war, dass man Konflikte
nur mithilfe ziviler Helfer und Programme lösen könne.
33
Ihre Einstellung war in der SPD
und vor allem bei Peter Struck nicht sehr populär. Der Druck, den die Fraktion auf Christa
Lörcher ausübte, wurde letztendlich so groß, dass sie sich am 15.11.2001 in einem Brief an
Peter Struck entschloss, aus der Bundestagsfraktion der SPD auszutreten. Sie blieb aber
weiterhin Mitglied ihrer Partei und behielt auch ihr Bundestagsmandat bis sie am Ende der
Legislaturperiode aus der aktiven Politik und somit aus dem Bundestag ausschied. Einer
anderen Fraktion wollte sie in dieser Zeit nicht beitreten, da sie sich weiterhin der Politik der
SPD verbunden fühlte und diese auch weiterhin unterstützen wollte. Wenn die Abstimmung
über Vertrauensfrage und Bundeswehreinsatz getrennt abgestimmt worden wäre, hätte
Lörcher dem Kanzler das Vertrauen ausgesprochen. Den Bundeswehreinsatz wollte sie jedoch
nicht legitimieren und verweigerte die Fraktionsdisziplin. Lörcher stimmte gegen den
Bundeswehreinsatz, wollte aber eigentlich für den Bundeskanzler stimmen und ihm das
Vertrauen in den anderen Bereichen seiner Politik aussprechen. Christa Lörcher fand es
bedauerlich, dass Pazifismus in der SPD keine Konjunktur mehr hat. Ihre Wähler wollte sie
aufgrund ihrer Entscheidung nicht im Stich lassen und gab ihr Bundestagsmandat, entgegen
einzelner Forderungen aus ihrer Partei nicht ab, um ihren Wahlkreis auch weiterhin zu
vertreten. 34
33
http://www.christaloercher.de/vertrauen.html
15
7. Schlussbemerkung
Der Kanzler hatte aus den verschiedenen Meinungen also wieder eine (seine) gemacht und die
Vertrauensfrage gewonnen. Die Mehrheit war zwar denkbar knapp, aber sie war vorhanden.
Man könnte jetzt denken, dass die Abstimmung im Bundestag ein voller Erfolg für den
Kanzler und die Koalitionsdisziplin war, aber einen bitteren Beigeschmack hatte die Sache
dann doch, denn die Mehrheit war von vornherein alles andere als gesichert. Bis kurz vor der
Abstimmung wurden die „Abweichler“ der Grünen so stark beeinflusst, dass letztendlich vier
von ihnen dem Regierungsantrag und der Vertrauensfrage zustimmen mussten. Sie handelten
dadurch gegen ihre eigenen Überzeugungen, nur um sich dem Willen der Fraktionsführung
unterzuordnen und die Koalition zu retten. Diese Abgeordneten verloren meiner Meinung
nach ihre Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit und gaben sich der Lächerlichkeit preis. Auch
andere Abgeordnete der Grünen und der SPD wandten sich gegen einen Militäreinsatz in
Afghanistan,
stimmten
aber
letztendlich
auch
für
Bundeskanzler
Schröder.
Bundestagsmitgliedern, die gegen einen Militäreinsatz aber für die Koalition waren wurden
durch die Verbindung der Vertrauensfrage mit einer Sachfrage erpresst, beiden Anliegen
zuzustimmen.
Den Kanzler interessierte nur seine Mehrheit. Wie sie auch immer zustande kam war ihm
egal. Deshalb wurden alle Reserven der jeweiligen Fraktionen mobilisiert, um die
Abstimmung doch noch zu gewinnen. Schwangere und kranke Abgeordnete wurden in den
Plenarsaal „gekarrt“; auf Fraktionskollegen wurde großer Druck ausgeübt und Mehrheiten
von den Fraktionsvorsitzenden und den parlamentarischen Geschäftsführern „organisiert“.
Der Druck, der auf die Abgeordneten ausgeübt wurde, nahm erschreckende Formen an.
Zweiflern am Bundeswehreinsatz wurde nahegelegt, auf ihr Mandat im Bundestag zu
verzichten, um den Weg für einen Nachrücker freizumachen, der für den Kanzler stimmen
sollte. Der Grundsatz des Grundgesetzes, wonach jeder Abgeordnete bei Entscheidungen nur
seinem Gewissen folgen muss, wurde durch das Vorgehen der Fraktions- und Parteiführer
außer Kraft gesetzt.
Die Verknüpfung der Vertrauensfrage mit einer Sachfrage war rein verfassungsrechtlich legal.
In Artikel 68 des Grundgesetzes steht nur, was bei einer eventuellen
Niederlage des
Bundeskanzlers für Möglichkeiten bestehen daraus Konsequenzen zu ziehen oder auch nicht.
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http://wahl.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,2301,OID998712_TYP3_THE_REF434
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Meiner Meinung nach war die Verknüpfung der Vertrauensfrage mit einer Sachfrage aber
moralisch verwerflich, da den Abgeordneten, welche die Regierungskoalition nicht gefährden
wollten, ihr Abstimmungsverhalten abgepresst wurde. Ich kann verstehen, warum immer
mehr Bürger aus diesem Grund Politikverdrossenheit an den Tag legen. Aus machtpolitischen
Erwägungen werden eigene Meinungen und Überzeugungen zurückgestellt und dem
Fraktionszwang geopfert. „Abweichler“, die trotz ihres Pazifismus für einen Krieg stimmten,
haben meiner Meinung nach gegen Artikel 38/1 des Grundgesetzes verstoßen. Es war zwar
der Bundeskanzler, der die Abgeordneten in diese diffizile Situation gebracht hat, von einem
Mitglied des deutschen Bundestags hätte der Wähler aber erwarten können, dass es sich bei
Entscheidungen, die über Menschenleben bestimmen nicht unbedingt seiner Fraktion
anschließt, sondern seinen eigenen Verstand benutzt. Die einzig aufrechte Abgeordnete, die
ihren Prinzipien treu geblieben ist war Christa Lörcher. Sie hat ihre Meinung, auch wenn
diese nicht gebilligt wurde, vertreten und letztendlich auch daraus die Konsequenzen gezogen.
Wird eine Abgeordnete zum Austritt aus ihrer Fraktion gedrängt, nur weil sie von ihrer
Position nicht abweichen will, ist das für die betreffende Partei ein Armutszeugnis.
Wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage nicht gestellt hätte, wären die Abgeordneten gar
nicht erst in diese Situation gekommen, zwischen den Entscheidungen abzuwägen. Vielmehr
habe ich mich jedoch darüber aufgeregt, in welcher Art und Weise die Mehrheit für den
Regierungschef zustande gekommen ist. Das darf in einer Demokratie nicht passieren, wenn
sie für die Bürger weiterhin glaubwürdig bleiben und die Politikverdrossenheit der Bürger
vermindern will.
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8. Literaturverzeichnis
Literatur
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Landeszentrale für politische Bildung
HANDWERGER, Manfred (Hrsg.) (2002): Demokratie in Deutschland. Bamberg: Buchner
Verlag
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Internetquellen
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http://www.spiegel.de (16.02.2003). „Auch ich habe mein Gewissen befragt“. Meldung vom
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Entsendung deutscher Soldaten in den Afghanistan-Krieg
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http://www.christaloercher.de (12.03.2003). Erklärung zur Vertrauensfrage. Meldung vom
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http://wahl.tagesschau.de (12.03.2003). Ihr „Nein“ machte sie kurz bekannt
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http://www.einsatz.bundeswehr.de (04.03.2003). Meldung vom 04.10.2001
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