Literarische Analyse des Textes Text N. 30 Kleine Italienreise (Kurze Erzählungen) Heinrich und Hermine standen auf Vesuv. Der Vesuv rauchte, wie der Prospekt es befahl. „Prächtig!“ sagte Heinrich. „Einmalig!“ sagte Hermine beeindruckt und fügte hinzu: „Ob es oben Stocknägel zu kaufen gibt? Die Leute würden ein Bombengeschäft machen!“ Dann packte sie ihre Siebensachen zusammen und sagte: „Das wäre geschafft!“ Jetzt kommt Pompeji!“ „Wo kommt er?“ fragte Heinrich und schaute sich um. „Pompeji kommt doch nicht her! Wir gehen jetzt hin!“ „Zu Pompeji? Hast du die Adresse?“ „Heinrich! Heinrich!“ sagte Hermine. „Erinnerst du nicht mehr, dass ich daheim sagte: wenn wir den Vesuv gesehen haben, besuchen wir Pompeji.“ „Ja doch! Das weiß ich! Aber dazu müssen wir doch wissen, wo der Mann wohnt.“ „Pompeji ist kein Mann! Pompeji ist eine Stadt!“ „Dachte ich es mir doch fast! Wer wohnt denn dort, den du kennst?“ Hermine holte aus ihrer Tasche den Baedecker hervor. „Pompeji“, las sie laut, „einst eine blühende Hafenstadt in Kampanien.“ „Wieso Kampanien?“ unterbrach Heinrich. „Wir sind doch in Italien.“ „Das hieß früher so.“ „Was? Wie? Italien hieß früher Kampanien? Wenn ich daheim erzähle, wir haben eine Kampanienreise gemacht, weiß keiner, wo wir waren. Wieso hat denn das früher anders geheißen?“ Hermine zuckte die Schultern. „Was weiß ich? Ich habe doch früher auch Müller geheißen und heiße jetzt Gölle.“ „Ja du! Weil du mich geheiraten hast! Mit Müller ist das die gleiche Sache wie mit Kampanien. Wenn man sagt, man war bei Müller, weiß keiner, bei welchem Müller! Und in diesem Kampanien liegt nun dein Pompeji? Was gibt´s zu sehen?“ „Alte Sachen, Heinrich!“ Heinrich schaute schief, wie auf den Arm genommen. „Alte Sachen? Alte Sachen habe ich an. Wenn ich alte Sachen sehen will, schaue ich daheim in meinem Kleiderschrank.“ „Das sind doch andere Sachen, Heinrich. Diese hier sind aus Marmor.“ Heinrich wurde hellwach. „Marmor? Marmor?“ Das lässt sich hören! Wir haben daheim das Bild über dem Bett: Marmor und Psyche.“ „Das heißt Amor, Heinrich!“ „Wegen des einen M? Weit kann es da nicht weg sein!“ Hermine, die Bildungsbefliessene, ließ den Mut nicht sinken. „Pompeji ist etwas anderes, Heinrich. Da sind alte Häuser und alte Figure in besonders schönen Proportionen.“ „Siehst!“ sagte Heinrich erfreut. „Das hängt also doch mit dem Bild im Schlafzimmer zusammen. Und das ist dort zu sehen?“ „Pompeji ist eine untergegangene Stadt“, belehrte Hermine, „eines schönen Tages Ist se Vesuv ausgebrochen und hat die ganze Stadt mit glühender Lava übergossen. Das siehst du alles in Pompeji, als wäre es erst gestern geschehen. Da liegt auch noch damals gebackenes Brot und Semmeln 2000 Jahre alt, Steinhart, dabei sehen sie wie frisch aus.“ „So eine Semmel habe ich heute zum Frühstück im Hotel bekommen!“ rief Heinrich. „Die sah auch aus wie frisch! Nein, Hermine, da marschier schön allein, ich gehe inzwischen schnell nach Sorrent hinunter und schaue mir den Busen von Neapel an. Dann erzählst du mir, wie´s bei dir war, und ich erzähle dir, wie´s bei mir war. Auf diese Weise haben wir alles gesehen und einen ganzen teuren Reisetag gespart.“ Seht, auch so reisen die Leute ins Land der Antike. Der Bildungsdrang ist bei manchen ins ungeheuerliche gewachsen.