Max-Planck-Institut für Kernphysik Saupfercheckweg 1 69117 Heidelberg Vorlesung Physik des Wachstums Sascha Kempf & Jürgen Blum 13. Januar 2006 TU Braunschweig Wintersemester 2005/2006 1 Einleitung 1.1 Was ist Wachstum? Strukturbildung wird in allen naturwissenschaftlichen Disziplinen beobachtet: Geophysik, Biologie, Astrophysik usw.. Bemerkenswert ist auch, daß Strukturbildung auf einem riesigen Längen- und Zeitskalenbereich stattfindet: wir beobachten die Ausbildung großräumigen Strukturen in der Verteilung von Galaxienclustern auf kosmologischen Skalen als auch die Bildung mikroskopischer Aggregate aus Atomen oder Molekülen auf atomaren Skalen. Wachstumsvorgänge gehören zu den wichtigsten natürlichen Phänomenen überhaupt. Die Enstehung von komplexen Strukturen aus einfachen Bausteinen ist immer mit Nichtgleichgewichtsprozessen verbunden. Häufig bilden solche Prozesse hochkomplexe fraktale Strukturen. Abbildung 1.1: Elektronemikroskopische Aufnahmen von Gold-, Glass- und Polystyrolclustern, welche jeweils durch einen schnellen (rechts) und langsamen (links) Aggregationsprozeß gebildet wurden. Die unteren Aggregate sind Ergebnisse numerischer Simulationen (diffusionsbegrenztes (links) und reaktionsbegrenztes Cluster-Cluster-Wachstum (rechts)). Aus M EAKIN (1991). Erstaunlicherweise gelang es häufig mittels sehr einfacher numerischer Simulationen komplexe experimentelle Ergebnisse zu reproduzieren (Abb. 1.1, 1.2). Dies nährte die Hoffnung, 1 1 Einleitung daß diese Prozesse sich auf einfache, elementare Prinzipien reduzieren lassen und Wachstumsphänomene universalen Charakter besitzen. Abbildung 1.2: Zinkmetallblatt, welches durch eine elektrochemische Reaktion in einer wässrigen Lösung aus ZnSO4 mit einer dünnen Grenzschicht aus CH3 COO(CH2 )3 CH3 mit einer Graphit-Kathode und einer Zink-Anode entstanden ist (linke Abb.). Die mittlere Abb. zeigt das Ergebnis einer Simulationsrechnung mittels eines zellulären Automats. In der rechten Abb. wurde die Anlagerungswahrscheinlichkeit am simulierten Aggregat farbkodiert und weiterhin als Potentialplot unterlegt. (www.fraktalwelt.de, P. J OSSEN & D. E YER). Wichtige Fragen bezüglich Wachstumsphänomenen sind: • Was ist der Zusammenhang zwischen der Struktur der wachsenden Aggregate und dem Wachstumsprozeß? Bestimmt der Prozeß die Aggregatstruktur oder bestimmt die Aggregatstruktur den Prozeß? • Welche Grundtypen von Wachstumsprozessen existieren? • Wie ist die zeitliche Entwicklung des Aggregatensembles? • Welche Bedeutung hat die Mikrophysik des Wachstumsprozeß? • Welche sind die Grundprinzipien hinter den Wachstumsprozessen? Sind diese universal für alle Prozesse? • Können die makroskopischen Wachstumsgleichungen direkt aus der statistischen Mechanik abgeleitet werden? • Warum sind Wachstumsphänomene häufig durch Selbstähnlichkeit und Skaleninvarianzen charakterisiert? • Warum entstehen überhaupt Fraktale? • Warum überhaupt? Die Antworten zu einigen der aufgezählten Fragen sind noch nicht bekannt. Das Ziel dieser Vorlesung ist es daher, grundlegende Konzepte zur physikalischen Modellierung von Wachstumsphänomenen darzustellen und einige Grundfragen zu diskutieren. 2 1.2 Wachstumsprozesse Abbildung 1.3: Fraktale Strukturen in Wolken (rechts) und Dentriten (links) (www.fraktalwelt.de). 1.2 Wachstumsprozesse Wachstum im Sinne dieser Vorlesung bedeutet, daß sich Teilchen eines Ensembles ohne direkte äußere Einflußnahme zu größeren Objekten verbinden. Hierzu ist es nicht notwendigerweise erforderlich, daß sich Teile einer Struktur wirklich berühren; es wird allerdings implizit angenommen, daß die enstehenden Strukturen starr sind. Unter diesen Bedingungen können größere Aggregate wachsen, vorausgesetzt daß: 1. sich die Objekte des Ensembles relativ zueinander bewegen 2. sich Objekte innerhalb eines bestimmten Radius zu einem neuen Objekt vereinigen können. Beide Voraussetzungen betreffen die Mikrophysikdes Wachstums. Der erste Punkt bestimmt den ”Motor des Wachstums, während der zweite Punkt den Wirkungsquerschnitt für die aggregatbildenden Teilchenkollisionen definiert. Diese beiden Eigenschaften des Ensembles bestimmen die wahrscheinlichsten Partner zur Bildung eines größeren Aggregats und dadurch auch letztlich die Aggregatstruktur. Es existieren zwei einfache Grenzprozesse des Wachstums: das Teilchen-Cluster-Wachstum (Particle Cluster Aggregation – PCA) und das Cluster-ClusterWachstum (Cluster Cluster Aggregation – CCA). Bleibt die Struktur der Aggregate nach dem verbindenden Stoß erhalten, so erzeugen diese Prozesse fraktale Aggregate. Teilchen-Cluster-Wachstum (PCA) Erfolgen nur Kollisionen zwischen Aggregaten und Einzelteilchen, enstehen dichte, kompakte (obwohl durchaus fraktale) Strukturen. Dieser Prozeß wird als Teilchen-Cluster-Wachstum (PCA) bezeichnet. Diesen Prozeß beobachtet man, wenn die Beweglichkeit der Cluster relativ zueinander stark eingeschränkt und ein hinreichend großes Reservoir von Einzeilteilchen vorhanden ist (diese Bedingungen sind beispielsweise für ein ortstfestes Aggregat in einem Schauer von Einzelteilchen erfüllt). 3 1 Einleitung Modell diffusionsbegrenzt1) reaktionsbegrenzt, monodispers2) reaktionsbegrenzt, polydispers3) ballistisch4) ballistisch4) Methode on-lattice on-lattice on-lattice on-lattice off-lattice d=2 1.44 ± 0.03 1.53 ± 0.01 1.59 ± 0.01 1.44 ± 0.02 1.56 ± 0.02 d=3 1.78 ± 0.06 1.94 ± 0.02 2.11 ± 0.03 1.81 ± 0.03 2.00 ± 0.03 1) M EAKIN (1983) 2) B ROWN & BALL (1985), monodispers: nur Stöße zwischen Clustern gleicher Größe werden zugelassen, Haftwahrscheinlichkeit P → 0. 3) B ROWN & BALL (1985), polydispers: Stöße zwischen Clustern jeder Größe werden zugelassen, Haftwahrscheinlichkeit P → 0. 4) M EAKIN (1984) Tabelle 1.1: Numerisch bestimmte fraktale Dimensionen des CCA-Prozesses in 2- und 3-dimensionaler euklidischer Einbettung Cluster-Cluster-Wachstum (CCA) Erfolgt das Wachstum aufgrund der Verbindung von Clustern ähnlicher Größe, so spricht man von Cluster-Cluster-Wachstum (CCA). Dieser Prozeß ist charakteristisch für das Wachstum in einen Ensemble, dessen Mitglieder sich ausschließlich stochastisch relativ zueinander bewegen. Die resultierenden Aggregate haben spinnenwebenartige, filligrane Strukturen (fraktale Dimensionen ∼ 2, siehe Tab. 1.1). Projeziert man diese Gebilde auf eine Ebene, kann man fast alle Einzelteilchen des Aggregats erkennen. Stoßen die Aggregate nicht auf ballistischen Trajektorien oder ist die Haftwahrscheinlichkeit nicht identisch 1, so beeinflußt das die fraktale Dimension ein wenig. Bewegen sich die stoßenden Cluster diffusiv auf Längenskalen in der Größenordnung ihrer Ausdehnung und haften im Moment der ersten Berührung starr aneinander, spricht man vom diffusionsbegrenzten Wachstum (Diffusion Limited Aggregation – DLA). Ist die Haftwahrscheinlichkeit für einen Stoß nicht 1, so wird dieses Regime als reaktionsbegrenzt bezeichnet (siehe auch Tab. 1.1). 4 2 Makrophysik des Teilchenwachstums Für viele Wachstumsprozesse ist die Struktur der wachsenden Aggregate unabhängig von Entwicklungszustand des Ensembles. In solchen Fällen kann man häufig die Mikrophysik des Wachstums, d.h. die Haftungsprozesse, die Teilchendynamik usw., von der Makrophysik des Wachstums, d.h. der zeitlichen Entwicklung des Ensembles, entkoppeln. Theoretische Modelle nähern sich der makroskopischen Beschreibung von zwei Seiten: Der Ausnutzung von Analogien zu kritischen Phänomenen sowie der “mean field”-Beschreibung des Wachstums mittels einer Ratengleichung. 2.1 Mean Field-Modellierung des Wachstums mittels Ratengleichungen 2.1.1 Smoluchowski-Gleichung Häufig kann man die zeitlichen Entwicklung der Größenverteilung von wachsenden Aggregaten durch eine Raten-Gleichung mathematisch modellieren. S MOLUCHOWSKI (1917) leitete eine Ratengleichung für die Stoßprozesse zwischen den Teilchensorten ab, wobei er folgende Annahmen bezüglich des Systems traf: • die Stoßrate zwischen Aggregaten der Massen1 i und j hängt nicht von der Zeit ab und ist durch das Matrixelement Ki j gegeben • die Teilchenzahldichte ist so gering, daß nur 2-Körper-Stöße stattfinden • die Anzahldichten der Clustersorten sind durch ihr räumliches Mittel gegeben. Unter diesen Voraussetzungen ist die Bildungsrate eines Aggregats der Masse (i + j) aus Aggregaten der Massen i und j proportional zu Ki j ni (t)n j (t). Die Änderung der Anzahldichte der Sorte s ergibt sich dann aus der Bilanz der Massengewinne und Verluste die S MOLUCHOWSKI -Gleichung ∞ dns 1 = K n (t)n (t) − n (t) (2.1) ij i j s ∑ Ksini(t). dt 2 i+∑ j=s i=1 Aufgrund der dritten Annahme ist Gl. (2.1) eine “mean field”-Beschreibung des Wachstums. Die mikrophysikalischen Eigenschaften des Prozeßes sind vollständig im Koagulationskern Ki j parametrisiert. 1 Wird im folgendem als Symbol für die Clustermasse nicht das Symbol m benutzt, ist darunter die Anzahl der im Cluster enthaltenen Ausgangsteilchen mit der Masse m0 zu verstehen, d.h. die Masse i eines Clusters hat den ganzen Wert i = mi /m0 . 5 2 Makrophysik des Teilchenwachstums 2.1.2 Wichtige Koagulationskerne Der Koagulationskern (oder die Stoßratenmatrix) Ki j in Gl. (2.1) hat die prinzipielle Form Ki j ∼ Stoßquerschnitt(i, j) · Relativgeschwindigkeit(i, j) und muß aus der Mikrophysik des Prozesses abgeleitet werden. Koagulationskern für diffusive Kollisionen Ändert sich der Geschwindkeitsvektor eines Teilchens auf Skalen, welche klein verglichen mit der Ausdehnung des größeren Stoßpartners sind (Kn 1, so stoßen die Teilchen auf diffusiven Trajektorien, weshalb die Teilchendynamik hydrodynamisch beschrieben werden darf. Zur Ableitung der Stoßrate wird das Teilchen der Masse i im Ursprung einer Kugel gedanklich festgehalten. Die Teilchen der Sorte j diffundieren aufgrund des Konzentrationsgradienten ∂r n j (r) durch die Kugelschalen im Abstand r um das zentrale Teilchen. Der entsprechende Teilchenstrom ist J j (r) = D j ∂r n j (r), wobei D j die Diffusionskonstante der j-ten Sorte bezeichnet. Durch direkte Integration der Flußrate s j = 4πr2 J j (r) findet man die Anzahldichte der j-Teilchen im Abstand r zum festgehaltenen i-Teilchen sj n j (r) = n j (∞) − 4πrD j Hierfür wurde benutzt, daß aufgrund der Massenerhaltung die Flußrate durch Kugelschalen nicht von deren Radius abhängt. Für r = (R(i) + R( j))/2 koaguliert das im Ursprung festgehaltene Teilchen mit einem Teilchen der j-ten Sorte zu einem Teilchen der Masse i+ j, weshalb n j ((R(i) + R( j))/2) = 0 und somit s j = 2π(R(i) + R( j))D j n j (∞) Da das gedanklich festgehaltene Teilchen auch diffundiert, ist die relative Diffusion der Sorten i und j für die Stoßwahrscheinlichkeit bestimmend. Die Stoßratenmatrix für das diffusive Wachstum ist dann (2.2) Ki j = 23 kT η−1 (i1/3 + j1/3 )(i−1/3 + j−1/3 ) S MOLUCHOWSKI (1917). Die Voraussetzung für die Gültigkeit dieses Kerns ist, daß die Teilchenform während des Wachstums erhalten bleibt. D.h. zwei stoßende kugelförmige Teilchen der Volumen V1 und V2 bilden ein neues kugelförmiges Teilchen mit dem Volumen V1 + V2 , was als koaleszentes Wachstum bezeichnet wird. Koagulationskern für ballistische Kollisionen Stoßen die Teilchen dagegen ballistisch, darf die kinetische Gastheorie zur Beschreibung des Teilchensystems benutzt werden, d.h. die Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen entspricht dann der M AXWELL -B OLTZMANN-Verteilung. Die Stoßrate eines im Ursprung festgehaltenen kugelförmigen Teilchens mit dem Radius R entspricht dem Produkt seiner Oberfläche 4πR2 mit dem Teilchenstrom J j = 14 vth ( j)n j , wobei vth ( j) = 6 8kT π m0 j 1/2 2.1 die mittlere thermische Geschwindigkeit der Sorte j ist. Verallgemeinert man das Problem auf zwei sich ballistisch bewegende Teilchen, so ergibt sich die Stoßrate s j = vth (i, j)π{R(i) + R( j)}2 ni n j . Hieraus folgt für sphärische Teilchen mit der Dichte ρ der ballistische Koagulationskern (6kT )1/2 Ki j = ρ2/3 3 4π 1/6 i −1 +j −1 1/2 2 1/3 1/3 i +j (2.3) F RIEDLANDER (1977). Auch dieser Kern beschreibt koaleszentes Wachstum. Koagulationskerne für ballistische Kollisionen zwischen fraktalen Aggregaten Natürliche Wachstumsprozesse sind häufig mit der Ausbildung fraktaler Teilchenstrukturen verbunden. Der Stoßquerschnitt fraktaler Teilchen ist vom Stoßquerschnitt von Kugeln mit gleichem Radius verschieden, da ein fraktales Teilchen die umhüllende Kugel eines anderen Teilchens auch ohne Stoß durchdringen vermag. M EAKIN (1991) schätzte für Fraktale mit Dm ≤ 2 den effektiven Stoßquerschnitt mit σ(i, j) ∼ i j2/Dm −1 mit i ≥ j (2.4) ab, indem er die Aggregate auf eine Ebene senkrecht zu ihrer Bewegungsrichtung projezierte. Ein nützlicher Ausdruck wurde von O SSENKOPF (1993) aus numerischen Stoßexperimenten bestimmt ( ( ( ) 1.22 )) R (i) Rv ( j) 2 v + Rv ( j)2 4π − 8.3 1 − (2.5) σ(i, j) = hσ(i)i 1 − Rv (i) Rv ( j) mit Rv (i) > Rv ( j). Der darin benutzte Verzahnungsradius Rv ist als der halbe Abstand der Massenmittelpunkte von zwei sich im Mittel gerade berührenden Fraktalen gleicher Größe definiert: 2 1/3 ! 3 0.21 i 1/3 σ(i) Rv (i) = 0.72i 1 − 0.216 . (2.6) 2 i σ(i)3 Für den in Rv eingehenden mittleren projezierten Querschnitt σ(i) eines CCA-Aggregates der Masse i und der Dimension Dm =1.95 wurde aus Monte-Carlo-Simulationen die Näherung ( 15.2i2/3 exp(−2.86i−0.096 ) : i ≤ 20 σ(i) = 0.692i0.95 (1 + 0.301/ ln(i)) : i > 20 (2.7) abgeleitet. 7 2 Makrophysik des Teilchenwachstums 2.2 Wachstumsbeschreibung in Analogie zu kritischen Phänomenen Kritische Phänomene Viele Wachstumsprozesse zeigen eine formale Analogie zu kontinuierlichen Phasenübergängen2 in einem thermodynamischen System, den sogenannten kritischen Phänomenen. Am kritischen Punkt können die physikalischen Observablen durch kritische Exponenten in der Form X ∼ |Tc − T |α charakterisiert werden, wobei Tc die Temperatur am kritischen Punkt und α der entsprechende kritische Exponent ist. Es ist die bemerkenswerte Eigenschaft kritischer Phänomene, daß häufig unterschiedliche thermodynamische Systeme die gleichen kritischen Exponenten haben. Das bedeutet letzlich, daß die kritischen Phänomene von der Mikrophysik des jeweiligen thermodynamischen Systems unabhängig - d.h. universal - sind und nur von wenigen globalen Parametern abhängen. Es muß jedoch unbedingt bemerkt werden, daß die Analogie zwischen Wachstumsprozeßen und kritischen Phänomenen rein formal ist! Charakerisierung eines Wachstumsprozeß durch kritische Exponenten Die zeitliche Entwicklung des Ensembles wachsender Aggregate ist durch die Größenverteilung ns (t) der Aggregate der Masse s gekennzeichnet. Aufgrund der Erhaltung der Massendichte ρ erfüllt ns (t) die Normierungsbedingung ∞ ρ = ∑ ns (t)s. (2.8) 1 Numerische Wachstumsstudien ergaben, daß für feste Zeitpunkte das Größenspektrum bis zu einer cut-off-Masse sc (t) durch ein Potenzgesetz ns (t) ∼ s−τ gegeben ist (Abb. 2.1 a). Dies bedeutet, daß sich die Größenverteilung selbstähnlich entwickelt. Die cut-off-Masse sc wächst monoton mit der Zeit und divergiert für t → ∞. Dies entspricht formal dem Verhalten eines Gleichgewichtssystems in der Nähe seines kritischen Punktes, wobei sc mit der Korrelationslänge zu identifizieren wäre. Infolge dessen schlugen V ICSEK & FAMILY (1984) sowie KOLB (1984) vor, die zeitliche Entwicklung des Spektrums analog zum Skalenverhalten kritischer Systeme zu beschreiben: ns (t) ∼ t −w s−τ f (s/sc (t)). (2.9) Die Skalenfunktion f (x) der cut-off-Masse ist für x 1 konstant, während sie für x → ∞ exponentiell gegen Null geht. Der Term t w berücksichtigt den wachstumsbedingten Verlust 2 Während Phasenübergängen zweiter Art wird keine latente Wärme abgegeben. Beispiele sind der ferromagnetische Übergang und die Superfluidität. 8 2.2 Wachstumsbeschreibung in Analogie zu kritischen Phänomenen (a) Statisches Skalenverhalten von ns(t) 109 Dynamisches Skalenverhalten von ns(t) 109 108 s= 1 108 n s (t) ~ t 107 s= 2 n s (t) ~ s t=370.h 105 107 −τ s= 3 ns [m−3] ns [m−3] t=95.h t=187.h 106 -w t=731.h s= 5 106 s=10 s=15 s=20 104 105 103 102 1 10 100 104 0.1 1000 1.0 10.0 t [h] s [m0] 100.0 1000.0 Abbildung 2.1: Das Bild a zeigt das statische Skalenverhalten (d.h. ns (t) als Funktion der Aggregatmasse) des Massenspektrums des Brownschen Wachstums. Innerhalb eines großen Massenintervalls wird ns (t) für feste Zeiten durch den Potenzansatz s−τ beschrieben. Das Bild b zeigt das dynamische Skalenverhalten (d.h. ns (t) als Funktion der Zeit) des Brownschen Staubwachstums. Die asymptotische Abnahme der Clustersorten ist proportional zu t −w (K EMPF & M ITARB . , 1999). der kleinen Aggregate. Die zeitliche Entwicklung der cut-off-Masse soll wiederum durch ein Potenzansatz sc ∼ t z gegeben sein. Unter diesen Annahmen folgt aus Gl. (2.8) ρ∼ Z ∞ 1 sns (t) ds ∼ t −w Z ∞ s 1−τ z f (s/t ) ds = t z(2−τ)−w 1 Z ∞ t −z x1−τ f (x) dx. Für große Zeiten ist t −z ≈ 0 und hierdurch das Integral über x eine zeitunabhängige Funktion, d.h. ρ ∼ t z(2−τ)−w Aufgrund der Zeitunabhängigkeit von ρ folgt dann die Bedingung für die kritischen Exponenten für große Zeiten w = (2 − τ)z. (2.10) Aus physikalischen Gründen sind w und z positiv, folglich ist τ < 2. Für die Anzahldichte n(t) findet man, daß n(t) ∼ Z ∞ 1 ns (t) ds ∼ t z(1−τ)−w Z ∞ t −z x−τ f (x) dx ∼ t z(1−τ)−w , und unter Nutzung von Gl. (2.10) ( t −z n(t) = −w t :τ<1 . :τ>1 (2.11) 9 2 Makrophysik des Teilchenwachstums Das erste Moment der Größenverteilung ns ist nicht die mittlere Aggregatsmasse S(t), sondern aufgrund von Gl. (2.8) R∞ s ns (t) ds ρ R1 ∞ = ∼ n(t)−1 n (t) ds n(t) 1 s proportional zum Kehrwert der Anzahldichte. Die mittlere Aggregatsmasse ist durch das zweite Moment der Verteilung gegeben R∞ 2 Z ∞ Z ∞ s ns (t) ds −w 2−τ z −w+z(3−τ) 1 ∼t s f (s/t ) ds ∼ t x2−τ f (x) dx S(t) ∼ R ∞ 1 s ns (t) ds t −z 1 und skaliert für große Zeiten wie S(t) ∼ t z . (2.12) Die kritischen Exponenten sind stark von der Mikrophysik des jeweiligen Prozesses abhängig, weshalb die Exponenten nicht universal sind. Weiterhin ist der Gültigkeitsbereich des Skalenansatzes auf große Zeiten als auch große s beschränkt. Häufig wird anstatt Gl. (2.9) ein alternatives Skalengesetz der Form ns (t) ∼ s−θ g(s/sc (t)) (2.13) benutzt, wobei die Skalenfunktion g(x) die Eigenschaften ( ∼ x∆ x 1 g(x) = 1 x1 besitzt und ∆ der sogenannte “cross over”-Exponent ist. Für x 1 ist dann ns (t) ∼ t −z∆ s∆−θ und geht unter Berücksichtigung, daß f (x) = 1 für x 1 ist, für θ = 2 in die Form des Skalengesetzes (2.9) über. Folglich gilt für x 1, daß ns (t) ∼ s−2 · e−x . Skalenverhalten homogener Kerne Ki j Entwickelt sich ns (t) selbstähnlich, kann aus dem Kern der S MOLUCHOWSKI-Gleichung der Wachstumsexponent z näherungsweise abgeleitet werden. In diesem Fall ist die Stoßmatrix bezüglich ihrer Argumente homogen, d.h. sie erfüllt ein Skalengesetz der Form Kλiλ j = λ2ω Ki j . Für das CCA-Wachstum tragen zum Anstieg der mittleren Größe S = ∑k nk k2 / ∑k nk k hauptsächlich die Stöße zwischen Aggregaten gleicher Größe bei. In dieser Näherung reduzieren sich die Summen in der Koagulationsgleichung (2.1) auf die Reaktion zwischen zwei Clustern der halben mittleren Clustergröße d nk ∼ K k k n2k (t) 22 2 dt 10 2.3 Wie gut sind die makroskopischen Wachstumsmodelle? Berechnet man hiervon das zweite Moment, findet man Ṡ(t) ∼ ∑ K k k k2 n2k (t) ≈ K S S (Sn S (t))2 ≈ K S S ρ2 ∼ K S S = ( 12 )2ω KSS ∼ KSS = [S(t)]2ω K11 k 22 2 22 2 22 22 (K ANG & M ITARB . 1986). Durch Vergleich mit Gl. (2.12) erhält man die Beziehung zwischen dem kritischen Exponenten z und ω z ≈ (1 − 2ω)−1 . Durch die Vorgabe konkreter Kerne erlaubt die obige Gl. die Bestimmung des kritischen Exponenten als Funktion der Diffusionskonstanten und der fraktalen Dimensionen der Teilchen. Beispielsweise ergibt sich für das vollständig diffusive, koaleszente Brownsche Wachstum z ≈ 1 (KOLB 1984), während man für den ballistischen, koaleszenten Kern z ≈ 65 findet. Für das Wachstum fraktaler Teilchen (d.h. σ ∼ m) ergibt sich z ≈ 2. 2.3 Wie gut sind die makroskopischen Wachstumsmodelle? Numerische Wachstumssimulationen sind sehr nützlich, um die Anwendbarkeit der makroskopischen Wachstumsmodelle zu prüfen. In dem folgenden Abschnitt werden die Modelle mit Ergebnissen einer N-Teilchen-Simulation des Brownschen ballistischen Wachstums verglichen. Die gewählten Parameter der Simulationen entsprechen den Bedingungen während der Frühphase der Planetenentstehung (K EMPF & M ITARB . 1999). 2.3.1 Gültigkeit der Skalenannahme Ist die Skalenannahme (2.9) gültig, wird die zeitliche Entwicklung jeder Sorte s durch die gleiche Skalenfunktion f (s/t z ) beherrscht. Diese Eigenschaft ist das Testkriterium für das Zutreffen der Skalenvermutung: Trägt man für jede Sorte ns (t)/s−2 über s/t z in einem Diagramm auf, so müssen die resultierenden Graphen (welche mit der Skalenfunktion f (x) korrespondieren) einander entsprechen. In der Abb. 2.2 wurde dieser Test für das gemittelte Massenspektrum von 7 Simulationen für n0 = 2 ·109 m−3 ausgeführt. Hierfür wurden Clustermassen bis s = 20 berücksichtigt. Die Einbeziehung größerer Aggregate (s > 20) ist nicht sinnvoll, da für sie aufgrund der endlichen, simulierten Teilchenzahl die statistische Interpretation der Clustergrößenverteilung ihre Bedeutung verliert. Erwartungsgemäß weichen die Graphen für die sehr kleinen Aggregate (s < ∼ 4) stark von der resultierenden Skalenfunktion ab, da der Skalenansatz nur für große Massen geeignet ist (siehe Abschn. 2.2). Darüber hinaus wird die Anzahldichte der Monomere von der monodispersen Anfangsgrößenverteilung beeinflußt. Hiervon abgesehen gehen die Skalenfunktionen nach einer relativ kurzen Zeit in eine gemeinsame Kurve über. Folglich belegt der Test, daß die Skalenannahme für das Brownsche Staubwachstum eine gute Näherung ist. 2.3.2 Zeitliche Entwicklung der Stoßraten Ki j Eine Grundannahme der S MOLUCHOWSKI-Theorie ist die zeitliche Unabhängigkeit der Elemente der Stoßratenmatrix Ki j . Hierbei gibt das Element Ki j die Zahl der Stöße zwischen Clustern der Massen i und j innerhalb der Einheitszeit im Einheitsvolumen an. Wurden während 11 2 Makrophysik des Teilchenwachstums Skalenfunktion f(x) 1010 s=1 ns s 2 109 108 s=4 s=3 107 10!7 10!6 10!5 10!4 s/tz s=2 10!3 10!2 10!1 Abbildung 2.2: Skalenverhalten der dynamischen Clustergrößenverteilung ns (t) des Brownschen Wachstums für n0 = 2.1010 m−3 . Berechnungsgrundlage waren die gemittelten Massenspektren von 7 Simulationen mit 20 000 Teilchen. Abgesehen von den sehr kleinen Clustern (s < ∼ 4) gehen alle Graphen nach einer relativ kurzen Zeit in eine gemeinsame Kurve über, was den Skalenansatz (2.9) rechtfertigt. 1000.0 Zeitliche Entwicklung der effektiven Kollisionsrate K1s s=1 K1s/K11 100.0 s=2 s=3 10.0 s=5 s=10 s=20 1.0 0.1 0.0001 0.0010 0.0100 0.1000 t [h] 1.0000 10.0000 100.0000 Abbildung 2.3: Zeitliche Entwicklung der Stoßraten K1s zwischen Monomeren und Clustern bis s = 20. der Beobachtungszeit ∆t im Volumen ∆V νi j Stöße zwischen den Clustersorten i und j beobachtet, so betrug die Stoßrate Ki j (t) = ν (t) ij . hni (t)i n j (t) ∆t ∆V (2.14) Hierin ist n j (t) die über die Beobachtungszeit gemittelte Anzahldichte der Cluster i. In der Abb. 2.3 ist die zeitliche Entwicklung der Stoßraten zwischen Monomeren und Clustern bis s = 20 dargestellt. Die Angaben der Stoßraten beziehen sich auf die theoretische Rate (2.3) für p (b) ballistisch stoßende Monomere K11 = 4 12kTg Rs /ρs (ρs – Teilchendichte, Rs – Radius des Monomers). Die großen Fluktuationen für kleine Zeiten haben ihre Ursache in der geringen Anzahl der Cluster zu diesem Zeitpunkt. Für große Zeiten wird die Stoßrate zumindest für die sehr kleinen Cluster zeitunabhängig. Nach sehr großen Zeiten würde man wiederum starke Fluktuationen erwarten, da dann die Clusterzahlen sehr klein sind. Unter Gleichgewichtsbedingungen sollte die Stoßrate für Monomere dem aus kinetischen Betrachtungen abgeleiteten 12 K1i/K11 2.3 Wie gut sind die makroskopischen Wachstumsmodelle? 14 12 10 8 6 4 2 0 K1i 0 10 20 30 40 30 40 30 40 K2i/K11 i 14 12 10 8 6 4 2 0 K2i 0 10 20 K3i/K11 i 14 12 10 8 6 4 2 0 K3i 0 10 20 i Abbildung 2.4: Mittlere Stoßraten von Monomeren, Dimeren und Trimeren mit Clustern mit s < 40. Die durchgezogenen Linien zeigen die Stoßraten entsprechend der von O SSENKOPF (1993) angegebenen Näherung für das ballistische Wachstum von fraktalen Clustern mit Dm = 1.95. Wert entsprechen (siehe Abschn. 2.1), da einerseits die Monomerdichte relativ groß ist und andererseits die Monomere kugelförmig sind. Es spricht deshalb sehr für die gute Qualität der (b) Simulation, daß die gemessene Stoßrate der Monomere von K11 /K11 = 0.95 nahezu diesem Wert entspricht. 2.3.3 Analytische Form der Stoßraten Ki j Auf der Grundlage der gemessenen mittleren Stoßraten Ki j kann die analytische Form von Ki j als Funktion der Teilchenmassen eingegrenzt werden. Für diese Analyse sind von den berechneten Matrixelementen nur die Spalten K1i , K2i und K3i geeignet (Abb. 2.4), da die Stoßraten für größere Massen zu stark fluktuieren. Im allgemeinen ist eine Stoßrate das Produkt aus der typischen Relativgeschwindigkeit zwischen den stoßenden Teilchen und des effektiven Stoßquerschnitts. Im Fall des ballistischen Cluster-Cluster-Wachstums ist die typische Relativgeschwindigkeit durch die (von der Teilchenstruktur unabhängige) thermische Relativgeschwindigkeit der Aggregate gegeben. Falls die betrachteten Cluster klein sind, wird das Wachstum bei einer anfänglichen Dichte von n0 = 2.109 m−3 nur schwach von räumlichen Fluktuationen beeinflußt. Daher ist es zumindest eine sehr gute Näherung, als typische Geschwindigkeit zur Ableitung der resultierenden Stoßratenmatrix die thermische Relativgeschwindigkeit p vth (i, j) = 8kTg /m0 (i + j) anzunehmen, d.h. Ki j ∼ {i−1 + j−1 }1/2 σ(i, j). Aufgrund √ des oben abgeleiteten Homogenitätsindex ω ≈ 0 muß σ(i, i) annähernd proportional zu i sein. Als Stoßquerschnitt der fraktalen Teilchen wurde die von O SSENKOPF (1993) angegebene Näherung (2.5) genutzt. Diese Approximation beschreibt die funktionale Massenabhängigkeit der Spalte K1 j sehr gut (siehe Abb. 2.4). Dagegen stimmen die Spalten K2 j und K3 j nur für größe- 13 2 Makrophysik des Teilchenwachstums re Massen j mit der Näherung (2.5) überein. Da die Stöße zwischen Clustern kleiner Masse überwiegend zum Beginn des Wachstums stattfinden, ist diese Abweichung wahrscheinlich auf die starken Fluktuationen der Stoßraten in dieser Wachstumsphase zurückzuführen. Für größere Anzahldichten n0 ist der Stoßquerschnitt (2.5) eine gute erste Näherung. Dies wird weiterhin durch die gute Übereinstimmung der Lösung der S MOLUCHOWSKI-Gleichung für diesen Stoßquerschnitt mit den simulierten Massenspektren für n0 = 2 ·109 m−3 belegt. Dagegen sind die Abweichung für kleine Anzahldichten erheblich. Für die korrekte Behandlung solcher Probleme im Rahmen der S MOLUCHOWSKI-Theorie muß die Stoßratenmatrix aus den gemessenen Stoßraten von N-Teilchen-Simulationen abgeleitet werden. 14 3 Stochastische Teilchenbewegung als Quelle von Relativgeschwindigkeit Kleine, in ein Gas oder eine Flüssigkeit eingebettete Teilchen bewegen sich aufgrund der Stöße mit den Molekülen der Umgebung sprunghaft, unregelmäßig und unkorreliert. Die Natur dieses Phänomens wurde im wesentlichen von A LBERT E INSTEIN (1905) enthüllt, indem er die im statistischen Sinne grundsätzliche Gleichheit der Moleküle des Mediums und der (verglichen mit den Molekülen großen) eingebetteten Teilchen erkannte. Diese thermische Bewegung (oder auch nach ihren Entdecker B ROWNsche Bewegung) ist eine der wichtigsten Quellen von Relativbewegung zwischen wachsenden Objekten. Auf dem ersten Blick erscheint es unmöglich, die unregelmäßige thermische Bewegung durch eine hinreichend korrekte Bewegungsgleichung zu fassen, müßte man doch hierfür den vollständigen Satz derartiger Gleichungen für das Testteilchen und alle Moleküle des Mediums aufstellen. Die Grundidee besteht in der Simulation der Teilchenstöße durch zufällige Störungen der deterministischen Bewegungsgleichung des Testteilchens. E INSTEIN beschrieb die Gasstöße durch ein weißes Rauschen, wodurch die Ableitung der (makroskopischen und statistischen) Diffusionsgleichung aus der mikroskopischen Bewegungsgleichung für das Testteilchen gelang. Hier soll jedoch der intuitive Ansatz von L ANGEVIN (1907) kurz dargestellt werden, der die Grundlagen für die Theorie der stochastischen Physik legte. 3.1 Thermische Bewegung eingebetteter Teilchen Die freie eindimensionale thermische Bewegung eines Teilchen ist das einfachste stochastische Bewegungsproblem. Das durch die Molekülstöße beschleunigte Teilchen wird aufgrund der viskosen Reibung mit dem einbettenden Medium wieder gebremst. Da das Teilchen groß gegenüber der Molekülgröße ist, wird man das gleiche Reibungsverhalten wie für makroskopische Körper in Flüssigkeiten oder Gasen beobachten und führt folglich die Reibungskraft proportional zur relativen Geschwindigkeit als FR = −βv mit dem Reibungskoeffizienten β ein. Man kann formal die Bewegungsgleichung dieses Problems für in Teilchen der Masse m in der Form dt x = v (3.1) a β dt v = − v + ξ(t) m m (3.2) aufschreiben. Die Molekülstöße werden hier durch die stochastische Kraft Fs = a · ξ(t) mit den Eigenschaften hxi(t)i = 0 und hξ(t)ξ(t 0 )i = δ(t − t 0 ) (3.3) 15 3 Stochastische Teilchenbewegung approximiert1 . Schaltet man die stochastische Kraft ab, so wird die kinetische Energie der Teilchenbewegung relativ zum Gas innerhalb der Ankoppelzeit τf = m/β (3.4) Dies bedeutet, daß auf größeren Zeitskalen als τf das Teilchen im thermodynamische Gleichgewicht mit dem Gas steht. Seine mittlere Geschwindigkeit hvi und Energie hEi sind dann durch die bekannten Ausdrücke der statistischen Mechanik gegeben: p hvi = 8kT /πm = vth (3.5) 1 hEi = 2 kT, (3.6) wobei T die Gastemperatur und k die Boltzmannkonstante sind. Hatte das Testteilchen die Anfangsgeschwindigkeit v0 , so findet man durch Integration von Gl. (3.2), daß −t/τ f v(t) = v0 e a + m Z t 0 e−(t−t )/τf ξ(t 0 )dt 0 . (3.7) 0 Für t τf muß das Äquipartitionstheorem der statistischen Mechanik erfüllt sein, d.h. 2 v = a2 lim m2 t→∞ Z t Z t t 0 =0 0 t 00 =0 e−(2t−t −t 00 )/τ f hξ(t 0 )ξ(t 00 )idt 0 dt 00 | {z } δ(t 0 −t 00 ) a2 2 τf −2t/τ f −2(t−t 0 )/τ f 0 lim dt = a lim 1 − e e m2 t→∞ 0 2m2 t→∞ 1 ! kT , = a2 = 2βm m Z t = und findet als “Stärke” der stochastischen Kraft p a = 2kT β. Weiterhin folgt für große Zeiten, daß die Teilchengeschwindigkeit im Mittel ihren stationären Wert erreicht hat und die Zeitableitung in (3.2) verschwindet, weshalb Z t p x(t) = 2kT /β ξ(t 0 ) dt 0 . 0 Die Dispersion der Teilchenposition ist dann x2 (t) = 2kT β −1 Z tZ t 0 hξ(t 0 )ξ(t 00 )i dt 0 dt 00 = 2kT β−1t = 2Dt, 0 wobei D= kT β (3.8) die Diffusionskonstante im Ortsraum ist (E INSTEIN 1905). 1 Diese Eigenschaften entsprechen einem weißen Rauschen, d.h. Fluktuationen, welche in Raum und Zeit unkorreliert sind. 16 3.2 Ein kurzer Exkurs in die Stochastik 3.2 Ein kurzer Exkurs in die Stochastik Leider kann die Methode des vorigen Absatz nicht einfach auf komplexere Probleme angewendet werden. Die Integrale über die stochastischen Kräfte bedürfen einer Interpretation. 3.2.1 Die L ANGEVIN-Beschreibung der stochastischen Bewegung Es sei der physikalische Zustand eines Testteilchens durch den Vektor x(t) gegeben. Dann wird die zeitliche Änderung von x(t) durch die L ANGEVIN–Gleichung (LG) dx(t) = A(x) dt + B̂(x) dW(t) (3.9) beschrieben. In ihr sind A(x) der Driftvektor, welcher den deterministischen Anteil der Bewegung beschreibt, B̂2 (x) die Diffusionsmatrix sowie Z t W(t) = ξ(t 0 ) dt 0 (3.10) 0 der W IENER-Prozeß mit der Eigenschaft dW (t)2 = dt. (3.11) Natürlich ist es nicht möglich, die L ANGEVIN–Gleichung analytisch geschlossen zu lösen. Allerdings ist man auch nur an statistischen Aussagen interessiert. Eine stochastische N EWTON sche Bewegungsgleichung ist somit offensichtlich eine Bewegungsgleichung für die stochastischen Observablen des Systems, deren konkrete Werte aussagelos sind und immer einer statistischen Interpretation bedürfen. Aus der Menge der möglichen Werte der stochastischen Observablen leitet man deren Verteilungsfunktion ab und hat somit das stochastische Bewegungsproblem gelöst. In der Regel approximiert man ξ durch ein weißes Rauschen (siehe Gl. (3.3)). Neben der Diskontinuität von dW ist ein weiterer, unangenehmer Unterschied einer stochastischen zu einer gewöhnlichen Differentialgleichung das Verhalten bei einer Koordinatentransformation. Sei g[x(t)] eine beliebige Funktion der stochastischen Größe x. Entwickelt man dg[x(t)] in eine Taylorreihe bis zur zweiten Ordnung von x, ersetzt dx durch (3.9) und vernachlässigt Terme höherer Ordnung, findet man dg[x(t)] = g[x(t) + dx(t)] − g[x(t)] = g0 [x(t)]dx(t) + 12 g00 [x(t)]dx(t)2 + O (dx3 ) = g0 [x(t)]{A[x(t)]dt + B[x(t)]dW (t)} + 21 g00 [x(t)]B[x(t)]2 dW (t)2 +O (dx3 ). die als I TO-Gleichung bekannte transformierte neue L ANGEVIN–Gleichung dg[x(t)] = {A[x(t)] dt + B[x(t)] dW (t)}g0 [x(t)] + 21 B[x(t)]2 dt g00 [x(t)]. (3.12) Diese Formel zeigt, das eine LG bezüglich Koordinatentransformationen nur dann den Regeln der Differentialrechnung folgt (entsprechend derer man nur den Ausdruck in den geschweiften Klammern ableiten würde), wenn die Transformation g[x(t)] eine lineare Funktion in x(t) ist. Transformiert man beispielsweise die LG dv = B dW für die Geschwindigkeit v in eine 17 3 Stochastische Teilchenbewegung Gleichung für die kinetische Energie E = mv2 /2, so ergibt sich entsprechend (3.12)√dE = √ mB2 /2 dt + mB E dW , während der Differentialkalkül nur die Beziehung dE = mB E dW liefern würde. Obwohl die LG in gewissem Sinne eine Verallgemeinerung der Newtonschen Bewegungsgleichungen der klassischen Mechanik ist, kann sie aufgrund der statistischen Natur der Observablen nicht mit den Methoden der klassischen mathematischen Physik gelöst werden. 3.2.2 Die F OKKER -P LANCK-Beschreibung der stochastischen Bewegung Die Dynamik stochastischer Probleme ist vollständig durch die räumlich und zeitliche Ent2 wicklung der Wahrscheinlichkeitsdichte p(x,t|x 0 ,t0 ) des Prozesses x(t) beschrieben , da sich R aus ihr alle statistischen Gewichte h f (x)n i = p(x,t|x0 ,t0 ) f (x)n dx der von der stochastischen Observablen x abhängigen Größe f bestimmen lassen. Daher muß die zeitliche Änderung des Erwartungswertes h f [x(t)]i durch die Änderung von p(x,t|x0 ,t0 ) bestimmt sein, d.h. d h f [x(t)]i = dt Z f (x)∂t p(x,t|x0 ,t0 ) dx. (3.13) Andererseits ist das Differential der stochastischen Observablen f [x] durch die I TO-Gleichung (3.12) gegeben d 1 h f [x(t)]i = hd f [x(t)]i = A(x)∂x f (x) + 12 B(x)2 ∂2x f (x) , dt dt wobei die Eigenschaft hdW (t)i = 0 des W IENER-Prozesses ausgenutzt wurde. Durch Ersetzen des Mittlungsoperators hi durch das Integral über die Wahrscheinlichkeitsdichte für x und nachfolgende partielle Integration (mit Vernachlässigung der Oberflächenterme) geht diese Beziehung in d h f [x(t)]i = dt Z f (x){−∂x [A(x)p(x,t|x0 ,t0 )] + 21 ∂2x [B(x)2 p(x,t|x0 ,t0 )]} dx (3.14) über. Da die Funktion f [x(t)] in den Gl. (3.13) und (3.14) beliebig ist, muß folglich die Wahrscheinlichkeitsdichte p(x,t|x0 ,t0 ) die F OKKER -P LANCK-Gleichung (FPG) ∂t p(x,t|x0 ,t0 ) = {−∂x A(x) + 12 ∂2x B2 (x)}p(x,t|x0 ,t0 ) erfüllen (P LANCK 1917). In analoger Weise leitet man für mehrdimensionale Probleme die Gleichung ∂t p(x,t) = {−∂i Ai (x) + 12 ∂i ∂ j B2i j (x)}p(x,t) (3.15) her. Das ist die gesuchte Bewegungsgleichung für die Wahrscheinlichkeitsdichte der stochastischen Observablen x. 2 Die Schreibweise p(x,t|x0 ,t0 ) bedeutet, daß p die Wahrscheinlichkeitsdichte für das Auffinden des Teilchens am Ort x zum Zeitpunkt t unter der Bedingung ist, daß es sich zum Zeitpunkt t0 am Ort x0 befunden hatte. 18 3.2 Ein kurzer Exkurs in die Stochastik Für praktische Anwendungen ist es häufig einfacher, die FPG anstelle der korrespondierenden LG zu lösen, da sie eine gewöhnliche hyperbolische Differentialgleichung ist. Hingegen ist es zur Bestimmung der Form des Driftvektors sowie der Diffusionsmatrix eines Problems physikalisch anschaulicher, von der LG auszugehen, da aufgrund ihrer pseudo-newtonischen Struktur A unmittelbar aus der klassischen Mechanik abgeleitet werden kann. Die Diffusionsmatrix bestimmt man danach aus der Forderung, daß für große Beobachtungszeiten die Lösung durch die klassische statistische Mechanik gegeben sein muß. 3.2.3 Beispiel: Relative Bewegung zweier Brownscher Teilchen Besteht das betrachtete System nur aus zwei Teilchen, so können alle interessierenden Größen wie die Stoßwahrscheinlichkeiten und die mittlere Zeit bis zu einer Kollision der Teilchen analytisch abgeleitet werden. Allerdings muß weiterhin vorausgesetzt werden, daß alle physikalischen Prozesse auf Zeitskalen größer als die Ankoppelzeit τf stattfinden. In diesem Fall wird die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsdichte des einzelnen Teilchens durch eine FPG in der Form einer gewöhnlichen Diffusionsgleichung, d.h. ∂t p(x) = Dx ∆x p(x,t|x0 ,t0 ) (3.16) beschrieben. Zur Untersuchung eventueller Kollision im Zweitteilchensystem ist nur die relative Bewegung zwischen den beiden Teilchen von Interesse. Deshalb ist es vorteilhaft, diese relative Bewegung auf die Bewegung eines effektiven Teilchens zurückzuführen. Dies ist für sich unabhängig bewegende Teilchen möglich, da im Rahmen der statistischen Mechanik gezeigt wird: die relativen Bewegungen der Gasteilchen zueinander werden durch die gleiche Statistik wie die Bewegungen der einzelnen Teilchen beschrieben. Die zeitliche Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsdichte für die Positionen (x1 , x2 ) für ein System von zwei sich voneinander unabhängig diffusiv bewegenden Teilchen wird durch die Fokker-Planck-Gleichung (FPG) ∂t p(x1 , x2 ,t) = [D1 ∆x1 + D2 ∆x2 ] p(x1 , x2 ,t) (3.17) beschrieben, wobei D1 und D2 die jeweiligen Diffusionskoeffizienten der Teilchen sind. Analog zur klassischen Mechanik zerlegt man nun die Bewegung des Systems in die Bewegung eines Pseudoteilchens des diffusiven Schwerpunktes3 R sowie eines der relativen Bewegung x der Teilchen zueinander: R = (D2 /Dr )x1 + (D1 /Dr )x2 ), x = x1 − x2 bzw. x1 = R + (D1 /Dr )x, x2 = R − (D2 /Dr )x. Die transformierte FPG für ein solches System lautet dann ∂t p(x, R,t) = [Dr ∆x + DR ∆R ] p(x, R,t), (3.18) 3 Für den mechanischen Schwerpunkt des Zweiteilchensystem gilt für die diffusive Bewegung kein Erhaltungssatz. Dies folgt unmittelbar aus dem Umstand, daß die FPG keine Newtonsche Bewegungsgleichung ist. Dagegen kann man zeigen, daß für den diffusiven Schwerpunkt ein derartiger Erhaltungssatz existiert und somit in den diffusiven Relativkoordinaten die Diffusionskonstanten mit den Massen korrespondieren. 19 3 Stochastische Teilchenbewegung worin Dr = D1 +D2 die Diffusionskonstante der relativen Bewegung sowie DR = D1 D2 /Dr die Diffusionskonstante der Schwerpunktsbewegung sind. Auf diese Weise wird das Problem der stochastischen Bewegung zweier unabhängiger Teilchen auf die Diffusion der Schwerpunktsposition sowie der Diffusion des Teilchenabstandes zurückgeführt. Für die Untersuchung von diffusiven Stößen ist eigentlich nur der Betrag des Teilchenabstands r von Interesse. Hierzu wird die FPG für die relative Teilchenbewegung in Polarkoordinaten transformiert, deren radiale Komponente durch ∂t p(r,t) = L p(r,t) (3.19) L = {−∂r [2Dr /r] + 12 ∂2r [2Dr ]} (3.20) mit dem Ortsoperator gegeben ist. Diese Gleichung enthält im Gegensatz zu (3.18) einen Driftterm A(x) = 2Dr /r. Dieser bewirkt, daß die stochastische Bewegung im relativen Abstandsraum einer Vorzugsrichtung folgt, d.h. man kann das Auftreten des Driftterms als ein Vorhandensein einer deterministischen Kraft, welche die Teilchen auseinandertreibt, interpretieren. Hieraus folgt unmittelbar das Nichtverschwinden des mittleren Teilchenabstandes: p hr(t)i = 16Dr t/π, mit t τ f . Ein Stoß der beiden Teilchen erfolgt dann, wenn ihr relativer Abstand r der Summe der beiden Teilchenradien R = R1 + R2 entspricht. Nun soll die Wahrscheinlichkeitsdichte π(t|0, r0 ) dt für einen Stoß innerhalb des Zeitintervalls (t,t + dt) gefunden werden. Diese kann nicht direkt aus der Ortswahrscheinlichkeitsdichte p(r,t|r0 , 0)dr abgeleitet werden, weil in ihr die Zeit die Rolle eines Parameters spielt. Stattdessen führt man diese Fragestellung auf das Problem des Verlassens eines Intervalls R ≤ r0 ≤ s zurück, dessen “Wände” absorbierend sind, d.h. es gelten die Randbedingungen p(R,t) = 0 und p(s,t) = 0, (3.21) wobei s die maximale Teilchenseperation ist. Diese RB bewirken, daß zum Zeitpunkt t die Wahrscheinlichkeit für den Aufenthalt des Teilchens innerhalb des Intervalls gleich dem Integral über p(r,t|r0 , 0) ist. Die totale Wahrscheinlichkeit gR (r0 ,t), daß die Teilchen nach der Zeit t miteinander stoßen (d.h. daß das effektive Teilchen im relativen Abstandsraum das Intervall durch die untere Grenze R verläßt), ist durch den Wahrscheinlichkeitsstrom J durch R gegeben Z ∞ gR (r0 ,t) = t −J(R,t 0 |r0 , 0) dt 0 . (3.22) Die Wahrscheinlichkeit πR (r0 ) für das Zusammenstoßen der beiden Teilchen, d.h. daß das Relativteilchen das Intervall überhaupt durch R verlaßt, entspricht dem Gesamtstrom durch R, d.h. πR (r0 ) = gR (r0 , 0). Falls die Teilchen kollidieren, so ist prob(T < t) = gR (r0 ,t)/πR (r0 ) die WK, daß sie dies später als zum Zeitpunkt T tun. Die zeitliche Ableitung von prob(T > t) liefert die Wahrscheinlichkeitsdichte πR (t|0, r0 ) dt für einen Stoß innerhalb des Zeitintervalls (t + dt,t) (vorausgesetzt sie stoßen überhaupt) πR (t|0, r0 ) dt = ∂t prob(t 0 < t) = −J(R,t|r0 , 0)/πR (r0 ) dt. (3.23) Auf analoge Weise berechnet man, daß die WKD πs (t|0, r0 ) dt für das Erreichen der maximalen Teilchenseparation s innerhalb (t,t + dt) πs (t|0, r0 ) dt = −J(s,t|r0 , 0)/(1 − πR (r0 )) dt 20 (3.24) 3.2 Ein kurzer Exkurs in die Stochastik entspricht. Das Ortsproblem (3.19) mit den Randbedingungen (3.21) wird gelöst, indem man p nach den Eigenfunktionen des Ortsoperators L Gl. (3.20) entwickelt p(r,t|r0 , 0) dt = 2 2 r ∞ sin (λn [r − R]) sin (λn [r0 − R]) e−Dr λnt dt, ∑ s − R r0 n=1 (3.25) wobei λn = nπ/(s − R) die Eigenwerte des Problem sind. Hieraus ergibt sich entsprechend Gl. (3.23) die Stoßwahrscheinlichkeit πR (r0 ) = R s − r0 . s − R r0 (3.26) Es ist sehr bemerkenswert, daß auch für ein unendlich großes Intervall die Stoßwahrscheinlichkeit nicht identisch 1 wird (außer für die triviale Lösung r0 = R). Weiterhin findet man die Ausdrücke für die Wahrscheinlichkeitsdichten mit 2 2Dr ∞ λn sin(λn [r0 − R])e−λn Dr t dt. ∑ s − r0 i=1 (3.27) 2 2Dr ∞ λn sin(λn [s − r0 ])e−λn Dr t dt. πs (t|0, r0 ) dt = ∑ r0 − R i=1 (3.28) πR (t|0, r0 ) dt = Diese WKD haben einige sehr wichtige Eigenschaften, welche sie grundsätzlich von denen der Diffusion im Ortsraum unterscheiden: • Die Verteilungen sind sehr breit und asymmetrisch. Dies hat zur Folge, daß der zeitliche Stoßprozeß nur durch seine WKD und nicht durch seine statistischen Momente vollständig beschrieben werden. Dies wird deutlicher, wenn man die mittlere Stoßzeit ht(r0 )i = − Z ∞ 0 tπR (t|0, r0 ) dt = 1 (r0 − R)(2s − R − r0 ). 6Dr (3.29) mit ihrer Varianz 2 1 t (r0 ) = (r0 −R)(−7R3 +28R2 s−32Rs2 +8s3 −7R2 r0 +8s2 r0 +3Rr02 −12sr02 +3r03 ), 180D2r (3.30) vergleicht, welche von der gleichen Größenordnung ist.4 Diese Eigenschaft ist charakteristisch für die WKD von zeitlichen Diffusionsphänomenen [?]. • Die WKD für einen Teilchenstoß hängt ist stark von der willkürlich gewählten und nicht durch das Stoßproblem spezifizierbaren maximalen Teilchenseparation s ab. Dies zeigt zeigt sich inbesondere bei der Untersuchung der mittleren Stoßzeit, welche für ein unendlich großes Intervall unendlich wird. Um die Bestimmung der Stoßwahrscheinlichkeiten zwischen den Teilchen eines N-TeilchenSystems auf 2-Teilchen-Probleme reduzieren zu können, muß man angeben, innerhalb welches Umkreises s man 2 benachbarte Teilchen als isoliertes 2-Teilchen-System auffaßt. Aufgrund der oben diskutierten Abhängigkeit der Stoßwahrscheinlichkeit von s ist dies nicht selbstkonsistent möglich. Hieraus folgt, daß zum Auffinden der Stöße in einem N-Teilchen-System die diffusive Bewegung aller Teilchen betrachtet werden muß. 4 Dies ist der wichtigste Unterschied zur Diffusion im Ortsraum, welche durch die Angabe des Mittelwertes sowie des Schwankungsquadrates der Position vollständig charakterisiert ist 21 3 Stochastische Teilchenbewegung 3.3 Thermische Bewegung auf beliebige Zeitenskalen Möchte man die thermische Bewegung auf Zeitskalen untersuchen, welche kleiner oder von der gleichen Größenordnung wie die Ankoppelzeit τf sind, ist die Reduzierung des Problems auf die Diffusion im Ortsraum nicht mehr möglich. Das allgemeine Bewegungsproblem für ein Testteilchen der Masse m, eingebettet in einem Gas der Temperatur T , auf welches eine räumlich und zeitlich konstante Kraft F0 = mg einwirkt, ist durch das Differentialgleichungssystem dx = v dt √ −1 dv = (g − τ−1 2D dW f v)dt + τ f (3.31) (3.32) gegeben. Dies ist das O RNSTEIN -U HLENBECK-Problem. Der physikalische Zustand des Teilchens ist durch die Teilchenposition x und die Geschwindigkeit v vollständig bestimmt. Im Sinne der stochastischen Theorie korrespondiert jede unabhängige Observable mit einem stochastischen Integral. Dann ist die “Lösung” des Problems durch eine bivariante Normalverteilung 1 1 T −1 (3.33) p2 (x) = p exp − (x − x̄) Σ (x − x̄) 2 2π |Σ| gegeben, wobei Σ die 2-dimensionale positiv definite Kovarianzmatrix T Σ = h(x − x̄) (x − x̄)i = σ21 σ12 σ21 σ22 (3.34) ist. Die Komponenten der Kovarianzmatrix der bivarianten Verteilung p2 (V, X,t|V0 , X0 ,t0 ) für das d-dimensionale U HLENBECK -O RNSTEIN-Problem lauten σ2X = {hx2 i − hxi2 }/d = hv2 iτ2f 2τ − 3 + 4e−τ − e−2τ σV2 = {hv2 i − hvi2 }/d = hv2 i 1 − e−2τ 2 σXV = {hvxi − hvihxi}/d = hv2 iτf 1 − e−τ . (3.35) Das Nichtverschwinden der Korrelation hXVi bedeutet, daß nach t τf die Positions- und Geschwindigkeitsfluktuationen korreliert sind. Weiterhin lauten die Mittelwerte für die Teilchenposition und Geschwindigkeit: hx(t)i = x0 + v0 τf 1 − e−τ + gτ2f τ − 1 + e−τ hv(t)i = v0 e−τ + gτf 1 − e−τ . (3.36) (3.37) Für lange Beobachtungszeiten (t τf ) entspricht die mittlere Teilchenposition der Trajektorie x0 + v0 τf + gτf t der Sedimentation im konstanten Feld g. Die hierin enthaltene konstante Verschiebung v0 τf ist durch die Kenntnis der Anfangsgeschwindigkeit v0 bedingt. Weiterhin geht die mittlere Geschwindigkeit unabhängig von der Anfangsgeschwindigkeit v0 in die konstante Sedimentationsgeschwindigkeit vsed = gτf über. 22 3.3 Thermische Bewegung auf beliebige Zeitenskalen !x2/"v2#$f2 4 !v2/"v2# 1.0 3 !xv/"v2#$f 1.0 0.8 0.8 0.6 0.6 0.4 0.4 0.2 0.2 2 1 0 0 1 2 0.0 3 0 $/$f 1 2 0.0 3 0 1 $/$f 2 3 $/$f Abbildung 3.1: Zeitliche Entwicklung der Dispersion im Ortsraum (linkes Bild), im Geschwindigkeitsraum (mittleres Bild) sowie der Korrelation zwischen Teilchenposition und Geschwindigkeit (rechtes Bild) eines freien Brownschen Teilchens Ornstein-Fürth-Beziehung Die abgeleitete Verteilung gibt die Wahrscheinlichkeit für ein Testteilchen an, es nach einer gewissen Zeit t an einer konkreten Position x mit der konkreten Geschwindigkeit v zu finden. Vom experimentellen Gesichtspunkt her ist es jedoch schwierig, gleichzeitig Positions- und Geschwindigkeitsmessungen an Brownschen Teilchen durchzuführen. Aus der allgemeinen Verteilungsfunktion für die Brownsche Bewegung läßt sich jedoch sofort die Verteilung für den Fall ableiten, daß die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t nicht gemessen wird. Hierzu mittelt man die Verteilung über alle möglichen Werte für v(t) und erhält die sogenannte O RNSTEIN F ÜRTH-Verteilung, welche nur von der Teilchenposition (sowie x0 und v0 ) abhängt: |∆x − v0 τf [1 − e−τ ] |2 1 (3.38) exp − p(x,t|x0 , v0 ,t0 ) = q 2σ 2 R 3 (2πσR ) Hiermit berechnet sich das mittlere Schwankungsquadrat der Teilchenposition wie folgt 2 h∆x2 iv = σ2X + v0 τf 1 − e−τ + gτ2f τ − 1 + e−τ . (3.39) Mittelt man diesen Ausdruck nun auch noch über alle möglichen Werte für die Anfangsgeschwindigkeit v0 und berücksichtigt das Äquipartitionstheorem hv2 i = kT /m, so geht das Schwankungsquadrat für die Teilchenposition in h∆x2 (t)iv,v0 = 2Dτf + g2 τ4f τ − 1 + e−τ (3.40) über. In dieser Beziehung wurde durch die Mittlungen über v und v0 die Geschwindigkeitsbhängigkeit des Diffusionsprozesses eliminiert. Deshalb geht Gl. (3.40) für ein verschwindendes Kraftfeld und Beobachtungszeiten t τf in 2Dt über. 23 3 Stochastische Teilchenbewegung 24 4 Mikrophysik des Teilchenwachstums 4.1 Wechselwirkung des Teilchens mit dem Medium Die Voraussetzung für das Wachstum durch “haftende Stöße” sind Relativbewegungen zwischen den Teilchen. Die Quellen relativer Teilchenbewegungen sind: • Geschwindigkeitsfluktuationen des Mediums • Turbulenz im Medium • differentielle Sedimentation. Ein Medium kann auf verschiedenen Längenskalen fluktuieren. Daher ist das Kriterium für die Kopplungsstärke des Teilchens an die turbulente Gasbewegung das Verhältnis zwischen der typischen Gasankoppelzeit τf und der Fluktuationszeitskale des Mediums. 4.2 Ankopplung an die thermischen Fluktuationen im Medium: typische Ankoppelzeit τf Die Gasankoppelzeit τf ist die typische Zeitskale, auf welcher die kinetische Energie der (translativen) Bewegung des Teilchen relativ zum Gas dissipiert wird. Dies ist physikalisch gleichbedeutend mit der typischen Zeit, welche das Teilchen benötigt, um das thermodynamische Gleichgewicht mit seiner Umgebung einzustellen. Ist die Geschwindigkeit des Teilchens relativ zum Medium wesentlich kleiner als die Schallgeschwindigkeit cs im Medium, so darf die Wechselwirkung zwischen dem Teilchen und dem Medium durch eine Reibungskraft mv̇ = −βv approximiert werden. Der Reibungskoeffizient β ist dann eine Funktion der Teilchengeometrie sowie der Eigenschaften des Mediums. Aus v(t) = v(0) exp(−t/τf ) folgt die Definition der Ankoppelzeit τf = m/β für v cs . (4.1) Die Ursache der Dissipation der kinetischen Energie der Teilchenbewegung relativ zum Medium sind die thermischen Fluktuationen des Mediums. Somit ist τf auch die typische Zeitskale der Brownschen Bewegung. 25 4 Mikrophysik des Teilchenwachstums 4.3 Bestimmung der Reibungskonstante β Bewegt sich ein Teilchen relativ zum Medium, so wird es aufgrund von Stößen mit den Molekülen des Mediums gebremst. Die Art und Weise des Impulsübertrags vom Teilchen auf das Medium hängt vom Verhältnis der freien Weglänge der Moleküle λg zur typischen Ausdehnung des Teilchens R, der Knudsenzahl Kn ab: Kn = λg /R. (4.2) Wichtig sind die beiden Grenzfälle: • Kn 1: hydrodynamisches Regime Wirkung des Mediums auf das Probeteilchen kann durch hydrodynamische Methoden behandelt werden. Die Strömung des Mediums ist vollständig laminar und die Mikrostruktur des Teilchens darf vernachlässigt werden. Für ein Gas mit der molekularen Viskosität η ist β ist durch das Stokes-Gesetz βStokes = 6πRη (4.3) gegeben. • Kn 1: Regime des freien Molekülflusses Teilchen-Medium-Wechselwirkung wird durch Einzelstöße der Moleküle beherrscht. Das Verhalten konvexer Körper unter diesen Bedingungen wird durch die E PSTEIN-Theorie beschrieben. Für Wachstumsphänomene ist das Regime großer Knudsenzahlen besonders wichtig. Das β kompliziert aufgebauter Körper wird häufig durch eine heuristische Verallgemeinerung der Ergebnisse der E PSTEIN-Theorie approximiert, welche daher kurz dargestellt wird. 4.3.1 Reibungskoeffizient für kugelförmige Körper: E PSTEIN-Theorie Die Ableitung der Reibungskoeffizienten β kugelförmiger mikroskopischer Körper in dünnen Gasen durch PAUL E PSTEIN (1923) geht von folgenden Annahmen aus: 1. Die am Teilchen reflektierten Moleküle beeinflussen die Geschwindigkeitsverteilung des umgebenden Gases nicht, d.h., das der Geschwindigkeitserwartungswert des auftreffenden Moleküls durch die M AXWELL -B OLTZMANN-Verteilung gegeben ist. Bewegt sich das Teilchen mit v relativ zum Gas, so ist die Anzahl der Moleküle, welche mit Geschwindigkeiten zwischen w und w + dw auf das Teilchen auftreffen N(w) dw = ng mg 32 − mg (v+w)2 e 2kT dw, π 2kT (4.4) wobei ng die Teilchenzahldichte der Moleküle, T die Gastemperatur sowie mg die Molekülmasse sind. 26 4.3 Reibungskonstante β 2. Die Teilchengeschwindigkeit v darf gegenüber der mittleren thermischen Geschwindigkeit vth des Gases vernachlässigt werden, d.h. man braucht nur die erste Ordnung der Entwicklung von Gl. (4.4) zu berücksichtigen: N(w) dw ≈ ng mg 32 π 2kT mg 2 m 1 − kTg (v · w) e− 2kT |w| dw. (4.5) Diese Annahme ist äquivalent mit der Annahme eines geschwindigkeitsunabhängigen Reibungskoeffizienten. Die Anzahl der je Zeiteinheit auf das Oberflächenelement dS auftreffenden Moleküle ist −N(w) dw(w · dS), wodurch auf dS in Richtung der Geschwindigkeit v der Impuls p(i) dS = − 14 ρg vth v(cos2 θ + 12 sin2 θ)dS übertragen wird. Hier sind θ der Winkel zwischen der Flächennormalen und v, ρg = ng mg die Gasdichte sowie R der Teilchenradius. Die auf die Oberfläche aufgrund der auftreffenden Moleküle einwirkenende Kraft ist dann I (i) F = p(i) dS = − 34 πR2 ρg vth |v|. (4.6) 3. Jedes auf dem Teilchen auftreffende Molekül verläßt dieses chemisch unverändert, d.h. es findet sowohl kein Ausfrieren von Gas als auch im Mittel keine chemische Reaktion auf der Teilchenoberfläche statt, welche in der Impulsbilanz berücksichtigt werden muß. Die das Teilchen beschleunigende Kraft F (e) aufgrund der entweichenden Moleküle ist von der Beschaffenheit der Oberfläche abhängig und wird als Vielfaches von F (i) parametrisiert: geometrische Reflektion auf Oberfläche, 0 2 2 F (e) = − 3π 16 ρg vth R v diffusive Refl., therm. Nichtleiter 2 π − 6 ρg vth R2 v diffusive Refl., therm. Leiter Die resultierende, das Teilchen bremsende Kraft ist dann F = F (i) + F (e) = δPF (i) , und somit β = 43 σs δP ρg vth , wobei σs = πR2 die projizierte Teilchenoberfläche sowie geometrische Reflexion 1 9 δP = 1 + 64 π ≈ 1.442 diffuse Refl., thermischer Nichtleiter 1 + 81 π ≈ 1.393 diffuse Refl., thermischer Leiter (4.7) (4.8) die Art des Impulsübertrags bezeichnen. Hieraus ergibt sich für die Ankoppelzeit kugelförmiger Teilchen: m 1 τf = . (4.9) σs 43 ρg vth Von besonderer Bedeutung für die Wachstumsprozesse ist die Tatsache, daß für kugelförmige Körper die Ankoppelzeit proportional zum Verhältnis von Teilchenmasse und Teilchenoberfläche und somit eine lineare Funktion der Teilchengröße ist. 27 4 Mikrophysik des Teilchenwachstums Weiterhin kann gezeigt werden, daß das E PSTEIN-Gesetz in der Form der Gl. (4.9) für alle Körper mit konvexen Oberflächen gültig ist. Dieser Zusammenhang wurde auch für zylinderförmige Körper und Scheiben bestätigt (Daneke 1973). Die Gültigkeit der E PSTEINBeziehung wurde durch Hochpräzisionsexperimente an Kugeln in einer PAUL-Falle von H UT CHINS & Mitarb. (1995) sowie für freie Teilchen von B LUM & Mitarb. (1996) experimentell bestätigt. 4.3.2 Reibungskoeffizient für beliebig geformte Körper Erfolgen die Stöße zwischen Aggregaten langsam, so bleibt die Struktur der kollidierenden Aggregate erhalten. Dies hat zur Folge, daß die wachsenden Teilchen eine sehr unregelmäßige und nichtkonvexe Struktur aufzeigen, für welche die theoretischen Konzepte der E PSTEIN-Theorie nicht mehr angewand werden können. Es ist allerdings möglich, einen formalen Ausdruck für den Reibungskoeffizienten beliebiger Körper zu formulieren: β = 43 ρg σs · δP · vg . (4.10) Der Operator hi bezeichnet hierin die statistische Mittelung über die Reibungskoeffizienten aller möglichen Teilchenstrukturen, deren projizierte Oberfläche durch σs gegeben ist. Die Mittelung erfolgt in einem Gasvolumen mit der mittleren Gasgeschwindigkeit vg = vth und der mittleren Moleküldichte ρg . Sind die Größen innerhalb nicht oder nur des hi-Operators sehr schwach mit der Oberfläche σs korreliert, so darf σs · δP · vg durch das Produkt der Mittelwerte ersetzt werden (4.11) βve = 43 ρg hσs i δP · vg . Mit diesem Ausdruck ergibt sich analog zur Ankoppelzeit für kugelförmige Teilchen 1 m , τf = 4 hσs i 3 δP · vg (4.12) wobei τf wiederum linear vom Verhältnis von der Teilchenmasse zur mittleren projizierten Teilchenoberfläche abhängt. Da dieser Ausdruck ausschließlich von der Struktur abhängt, verknüpft τf die dynamischen und die strukturellen Eigenschaften des Teilchens. Es ist verlockend, auch δP · vg durch hδPi vg zu ersetzen (was auch zahlreiche Autoren getan haben!). Es lohnt sich jedoch, die Folgen dieses Schrittes näher zu beleuchten. Die obige Annahme bedeutet nämlich, daß die an der Teilchenoberfläche reflektierten Moleküle nicht die lokale Geschwindigkeitsverteilung des Gases verändern und somit nur MolekülTeilchenoberflächen-Stöße, nicht jedoch die Stöße der Moleküle untereinander berücksichtigt werden müssen. In filligranen Strukturen mit zahlreichen Hohlräumen kollidiert ein Molekül viele Male mit der Teilchenoberfläche, bevor es wieder mit einem anderen Gasmolekül zusammenstößt und hierdurch an die Temperatur des Gases “erinnert” wird. Solche Effekte führen zu einer lokalen Abweichung der Geschwindigkeitsverteilung des Gases und hierdurch zu einer Korrelation zwischen der Teilchenoberfläche und vth . Diese offene Frage erfordert wohl neuartige Methoden zu ihrer Beantwortung. 28 4.4 Selbstähnliche Teilchenstrukturen und fraktale Dimension 4.4 Selbstähnliche Teilchenstrukturen und fraktale Dimension Vernachlässigt man die Schwierigkeiten mit dem Ausdruck δP · vg , so verbleibt die Aufgabe, eine geeignete Beschreibung für m/hσs i und somit für die Teilchenstruktur zu finden. Wachstumsphänomene haben nun meistens zwei sehr interessante Eigenschaften: • häufig generieren sehr unterschiedliche Wachstumsphänomene sehr ähnliche Teilchenstrukturen • häufig bleibt die Struktur der Aggregate während des Wachstums erhalten. Während die erste Eigenschaft andeutet, daß die Teilchenstruktur ein universaler Parameter von Wachstumsprozessen ist, weist die zweite Eigenschaft auf die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit hin. 1.47 1.59 1.69 1.74 1.84 1.92 2.00 2.12 2.22 2.39 Abbildung 4.1: Beispiele für Cluster mit fraktalen Dimensionen von 1.47 bis 2.39. Fraktale Dimensionen von ∼ 1 bedeuten, daß die Clusterstruktur auf eine Linie abgebildet werden kann, bei Dm ∼ 2 kann jedes Clusterteilchen in einer zweidimensionalen Projektion gesehen werden. Die Aggregate sind das Ergebnis einer N-Teilchen-Simulation Brownschen Staubwachstums mit dem Modell B ROWN 2 und bestehen aus ∼ 100 − 200 Einzelteilchen. Die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit der Teilchenstruktur wird bei zahlreichen chemischen, physikalischen sowie kristallographischen Wachstumsphänomenen beobachtet und mathematisch sehr effektiv mittels des Konzepts einer fraktalen Dimension beschrieben. In Abb. 4.1 sind Beispiele simulierter fraktaler Teilchen abgebildet. 29 Fractal dimension Df 4 Mikrophysik des Teilchenwachstums 4.4.1 Das mathematische Konzept der Fraktalität L - length of the structure Objekten, welche eine hohen Grad von Selbstähnlichkeit aufweisen, können in der Regel keiR - zugewiesen linear extension of the structure ne ganzzahlige Dimension werden. Man kann jedoch einer beliebigen Punktmenge ! - scale size eine (in der Regel gebrochenzahlige) fraktale Dimension D f zuordnen, welche zwischen der topologischen Dimension der Menge und der einbettenden Raumdimension liegt. example: von Koch curve Abbildung 4.2: Die ersten 5 Konstruktionschritte einer VON KOCH-Kurve. /labor/Sascha/Texte/Folie/Potsdam/fractal2.fig Selbstähnliche Objekte zeigen eine Skaleninvarianz bezüglich einer Größe x, f (λx) = λD f (x). (4.13) Für nichtfraktale Objekte entspricht D der topologischen (ganzzahlige) Dimension des Objekts, während für fraktale Objekte die fraktale Dimension D f relle positive Werte annimmt. 30 4.4 Selbstähnliche Teilchenstrukturen und fraktale Dimension Die fraktale Dimension ist dann Df = log ( f (λx)/ f (x)) . log λ (4.14) Als Beispiel für ein Fraktal betrachten wir die VON KOCH-Kurve, welche die Eigenschaft hat, nirgens differenzierbar, aber überall stetig zu sein. Man erhält sie, indem man iterativ aus jedem Streckensegment der Länge Li das innere Drittel entfernt und durch zwei neue Strecken der Länge Li+1 = 31 Li im Winkel von 60◦ ersetzt, wobei man mit einem Segment der Länge L0 beginnt. Da offensichtlich nach jedem Iterationschritt die Länge der Kurve um den Faktor 4 3 zunimmt, ist die Länge l∞ der VON K OCH -Kurve unbegrenzt, jedoch die von ihr umgrenzte Fläche endlich (A∞ = 95 ). Abb. 4.2 zeigt die ersten 5 Konstruktionsschritte der fraktalen Kurve. Die fraktale Dimension der VON KOCH-Kurve ist dann: L( 13 L0 ) L(L0 ) log 13 log Df = log = 1 4 L(L0 ) L(L0 ) log 31 = log 4 ≈ 1.26. log 3 (4.15) 4.4.2 Fraktale Aggregate Möchte man das Konzept der Skaleninvarianz auf reale Aggregate anwenden, ergeben sich zwangsläufig Einschränkungen. Strenggenommen erfordert die mathematische Theorie fraktaler Strukturen die Erfüllung der Selbstähnlichkeit auf allen Größenskalen, welche selbstverständlich für reale Staubaggregate nicht erfüllt. Trotzdem bleibt die Eindeutigkeit der Charakterisierung des Wachstumsprozesses durch eine fraktale Dimension erhalten, falls die Selbstähnlichkeit über ein hinreichendes Teilchengrößenintervall gewahrt ist. Die Teilchenstruktur beeinflußt sowohl die Oberfläche als auch die Masse eines Aggregats; somit wird der Wachstumsprozeß durch die fraktale Massendimension Dm und Oberflächendimension Dσ charakterisiert: m(R) ∼ RDm σ(R) ∼ RDσ . (4.16) Der Radius R ist hier die typische Ausdehnung des Aggregats. Aufgrund der unregelmäßigen, fraktalen Struktur der Aggregate ist seine Wahl in gewissen Grenzen willkürlich. Im allgemeinen wird hierfür der Gyrationsradius ( R̂gyr = N N ∑ m2i ri2 i=1 )1/2 N / ∑ mi . (4.17) i=1 gewählt. Er entspricht dem Radius des kugelförmigen Teilchens, welches das gleiche Trägheitsmoment wie das Aggregat bestehend aus N Teilchen der Masse mi im Abstand ri zum Massenmittelpunkt besitzt. Ist das Aggregat aus identischen Teilchen aufgebaut, so ist die Masse zur 2 1/2 ist. Teilchenzahl äquivalent, während Rgyr = {1/N ∑N i=1 ri } Die Ankoppelzeit fraktaler Aggregate ist aufgrund Gl. 4.12 proportional zu m/hσs i, weshalb τf mit der Teilchenausdehnung wie τf ∼ RDm −Dσ (4.18) 31 4 Mikrophysik des Teilchenwachstums Wachstumspfade zum Cluster # 32084 Fraktale Massendimension der Wachstumspfade 10000 200 <Dm>=2.00±0.16 längster Pfad: 58 Stöße Dm=2.00 kürzester Pfad: 3 Stöße Dm=2.46 150 p(Df)dDf 1000 100 10 100 50 1 1 10 Rgyr 100 0 1.5 2.0 2.5 Dm 3.0 3.5 Abbildung 4.3: Darstellung der Pfade aller Aggregate, welche am Aufbau des Aggregates in Abb. 4.4 bestehend aus 1115 Teilchen beteiligt waren. Das rechte Bild zeigt die Verteilung der für die verschiedenen Pfade gemessenen fraktalen Dimensionen. skaliert. Die Teilchenoberfläche hängt nur schwach von der Teilchenstruktur ab, weshalb häufig Dσ mit 2 abgeschätzt wird. Dieser Ansatz führt jedoch zu Widersprüchen, da einerseits aus physikalischen Gründen τf mit wachsender Clustergröße zunehmen muß, andererseits viele Wachstumsszenarien durch fraktale Massendimensionen kleiner als 2 gekennzeichnet sind. Hieraus folgt, daß in dreidimensionalen Systemen die Dimensionen fraktaler Teilchen die Ungleichung 1 ≤ Dσ ≤ Dm ≤ 3 (4.19) erfüllen müssen. Fraktale Dimensionen von Dm ∼ 2 bedeuten, daß die Teilchen des Clusters im wesentlichen in der Oberfläche des Gebildes liegen, während eine Dimension von Dm ∼ 3 volumenkonzentrierte Gebilde kennzeichnet. Numerische Simulationen ergaben fraktale Dimensionen von Dσ ∼ 1.5 sowie Dm ∼ 1.85 (K EMPF & Mitarb. 1999). 4.4.3 Bestimmung der Dimension fraktaler Aggregate Die Bestimmung der fraktalen Dimension von Aggregaten für einen spezifischen Wachstumsprozeß kann mittels zweier Methoden erfolgen. Beide nutzen die Eigenschaft der Universalität der fraktalen Dimension für einen Prozeß: • man untersucht die Massenzunahme eines wachsenden Aggregates • man untersucht die Struktur eines einzelnen großen Aggregats. Ableitung von D f aus Wachstumssequenz Verfolgt man die Zunahme der Aggregatmasse (bzw. Oberfläche) mit wachsendem Gyrationsradius, so kann man mittels m(R) ∼ RDf (4.20) direkt die Dimension des Aggregats abschätzen. Diese Methode setzt jedoch voraus, daß die “Geschichte” des wachsenden Aggregates bekannt ist. 32 4.4 Selbstähnliche Teilchenstrukturen und fraktale Dimension 2−Punkt−Korrelation des Clusters 100 Dm=2.02+−0.02 c(R)d3R 10−2 10−4 10−6 cluster #32084: 1115 Teilchen 10−8 1 10 R/R0 100 Abbildung 4.4: Ansicht der räumlichen Struktur des Farktals aus Abb. 4.3 sowie dessen 2-PunktDichtekorrelation. Die hieraus bestimmte fraktale Dimension von Dm = 2.02 ± 0.02 steht in guter Übereinstimmung mit der aus der “Aggregatsgeschichte” abgeleiteten Dimension von Dm = 2.00 ± 0.39. Der Wachstumsbaum führt zu einer intrinsische Uneindeutigkeit, da es keinen ausgezeichneten Wachstumspfad gibt. Dies kann man sich folgendermaßen verdeutlichen: Durch einen haftenden Stoß wird aus zwei Aggregaten ein neues aufgebaut. Demnach hat jedes Aggregat zwei Vorgänger, welche wiederum ihre individuelle, im allgemeinen voneinander verschiedene “Vorgeschichte” haben. Offensichtlich existieren eine Vielzahl von Wachstumspfaden zu einem Aggregat; deren Auswahl beeinflußt den gemessenen Wert der fraktale Dimension des jeweiligen Clusters (siehe Abb. 4.3). Derartige Probleme sind charakteristisch für “natürlich” gewachsene Strukturen. Dagegen ist der Grenzfall des monodispersen Cluster-Cluster-Wachstums (d.h. es stoßen jeweils Cluster identischer Größe) mit einem eindeutigen Pfad verbunden, da beide Stoßpartner die gleiche Vergangenheit haben. Weiterhin ist auch der Pfad eines wachsenden PCA-Teilchens eindeutig, da es ausschließlich mit “geschichtslosen” Einzelteilchen stößt. Ableitung von D f aus Aggregatsstruktur Da die innere Struktur des Aggregats skaleninvariant ist, kann dessen Dimension aus der Analyse der Massenverteilung im Aggregat abgeleitet werden (M EAKIN 1991). Hierzu betrachtet man die 2-Punkt-Dichte-Korrelationsdichte c(r)dr = hρ(r0 )ρ(r0 + r)ir0 dr, (4.21) welche die Wahrscheinlichkeit angibt, innerhalb eines Aggregats zwei Teilchen im Abstand r zu finden. ρ(r) ist die lokale Dichte im Aggregat. Aufgrund der Selbstähnlichkeit der Teilchenstruktur ist die Korrelationsdichte invariant unter einer Skalentransformation des Abstands c(λr) ∼ λα c(r). Dieser Zusammenhang kann nur durch Funktionen der Form c(r) ∼ rα (4.22) erfüllt werden, wobei die Kodimension α = D f − d der Differenz der fraktalen Dimension D f und der Dimension des einbettenden Raumes d entspricht. Abb. 4.4 zeigt die Korrelationsdich- 33 4 Mikrophysik des Teilchenwachstums te für ein simuliertes Aggregat. Aufgrund der endlichen Größe realer Aggregate muß jedoch die obige Methode modifiziert werden. Das Gültigkeitsintervall des Potenzansatzes 4.22 skaliert wiederum mit der typischen Größe R, weshalb die Korrelationsfunktion in der Form c(r, R) geschrieben werden kann. Andererseits gilt ein Skalengesetz für die Aggregatgröße, dessen Exponent wiederum D f ist. Daher ist es naheliegend, dieses Verhalten auch für die Korrelationsdichten von Clustern verschiedener Größen zu fordern, d.h. c(λr, λR) = λD f −d c(r, R). Nutzt man weiterhin, daß für identische Aggregatteilchen R durch die Teilchenanzahl R ∼ N 1/D f ersetzt werden kann, erhält man c(r) = N 1−d/D f f (r/N 1/D f ). (4.23) Werden die Korrelationsfunktionen für verschiedene Clustergrößen in einem doppeltlogarithmischen Diagramm über r/N 1/D f abgetragen, so müssen sie für den korrekten Wert von D f in einer gemeinsamen Skalenfunktion f zusammenfallen. Diese Verfahrensweise verbessert die Bestimmung der fraktalen Dimension erheblich. 34 Literatur Lehrbücher • T. Vicsek (1992). Fractal Growth Phenomena (WordScientific, Singapore) • C. Gardiner (1994). Stochastic Methods for Physics, Chemistry and the Natural Sciences (Springer, Berlin) • S. Chandrasekhar (1943). Stochastic Methods in Physics and Astronomy (Reviews of Modern Physics, 15, 1) • L.D. Landau und E.M. Lifschitz (1997). Lehrbuch der theoretischen Physik, Bd. 7, Elastizitätstheorie (Harry Deutsch Verlag) • K. Johnson (1987) Contact Mechanics (Camebridge University Press, Camebridge) Artikel • • • 35