Bothes Koinzidenzmethode – Wegbereiterin der modernen Teilchenphysik Volker Metag II. Physikalisches Institut Universität Gießen 10.2.2007 Nobelpreis für Physik 1954 „für die Koinzidenzmethode und seine damit gemachten Entdeckungen“ 1908-13: Studium der Physik, Mathematik, Chemie und Musik in Berlin 1913-29: Physikalisch-Technische Reichsanstalt Berlin (unterbrochen durch I. Weltkrieg) 1929: Walther Bothe geb. 1891 gest. 1957 Privatdozent und außerordentlicher Professor an der Universität Gießen 1930-32: ordentlicher Professor und Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Giessen 1933-57: Leiter des Instituts für Physik im Kaiser-Wilhelm Institut für Medizinische Forschung, Heidelberg (heute: Max-Planck-Institut), und Universität Heidelberg Was ist eine Koinzidenz? Zeit-Lexikon: Zusammentreffen zweier Ereignisse Wikipedia: Zusammentreffen verschiedener Signale in einem einzigen Ereignis Koinzidenz: zeitliches (und örtliches) Zusammentreffen von Pfeil und Bär Alle Körper fallen gleich schnell horizontaler Wurf und vertikaler Fall Vergleich der Bewegungen einer senkrecht nach unten fallenden und einer waagrecht geworfenen Kugel Man sieht deutlich, dass die vertikale Position unabhängig von der horizontalen Bewegung ist. Beide Kugeln erreichen gleichzeitig, d.h. koinzident den Boden Bothes erste Koinzidenzschaltung (1928) Koinzidenzstufe Detektor 1 Verstärker Detektor 2 Verstärker Zeitauflösung ∆t ≈ 0,1 ms Moderne Koinzidenz-Schaltung Detektor 1 Detektor 2 Diskriminator Diskriminator Koinzidenzeinheit Verzögerung stop start Zählrate TAC time-to-amplitude converter (TAC) Zeit-zu-Amplituden-Konverter t [ns] Zeitauflösung ∆t ≈ 1 ns Kosmische Strahlung • meistens Protonen, aber auch schwere Elemente: 85% p; 12.5% He; 2.5% schwere Ionen mit Energien bis zu 1020 eV • Reaktionen der kosmischen Protonen mit Atmosphäre (N, O) der Erde in ca. 10 km Höhe • Kaskaden von Zerfallsprozessen z.B.: p + p → p n π+ π+ → µ+ νµ Myon Das KASKADE Experiment im Forschungszentrum Karlsuhe zur Untersuchung der Höhenstrahlung Eine Vielzahl von Einzeldetektoren wird koinzident ausgelesen: energiereiche Schauer bis zu 1020 eV beobachtet Bothes Entdeckungen mittels der Koinzidenzmethode (I) Höhenstrahlung: Nachweis einer durchdringenden Komponente (Myonen) in der Höhenstrahlung Comptoneffekt: koinzidenter Nachweis von gestreutem Photon und Rückstoß-Elektron; strenge Gültigkeit von Energie- und Impulserhaltung im elementaren Stoßprozess gestreute Strahlung E = h ·ν' ankommende Strahlung E = h ·ν e– Bothes Entdeckungen mittels der Koinzidenzmethode (II) Erste Beobachtung eines angeregten Atomkerns: γ α-Teilchen (4He) γ Atomkern Abregung des Atomkerns durch ein oder mehrere koinzident nachgewiesene γ-Quanten Beobachtung einer durchdringenden Strahlung: Beschuss von 9Be mit α-Teilchen aus einer Po-Quelle: α (Po) → 9Be Reaktion: 9Be(α,nγ)12C; Beobachtung des Neutrons Bedeutung des Experiments nicht erkannt; Nobelpreis (1935) → James Chadwick (Liverpool) Zeitliche Entwicklung des Universums 15 Milliarden Jahre 3K 1 Milliarde Jahre Zeit 300.000 Jahre 3 Minuten 1 tausendstel Sekunde Temperatur 20 K 3.000 K 109 K 1012 K Länge zurück zum Urknall Zurück zum Urknall mit ultrarelativistischen Kern-Kernstößen Geschwindigkeit der kollidierenden Atomkerne nahe Lichtgeschwindigkeit hoch verdichtete und erhitzte Kollisionszone T≈1012K Explosion der Kollisionszone Bei der Kollision zweier Atomkerne entsteht gleichzeitig eine Vielzahl neuer Teilchen, die - um das Ereignis zu charakterisieren - alle koinzident (∆t < 1 ns) nachgewiesen werden müssen. Umwandlung von Energie in Masse: E = mc2 Der STAR-Detektor am RHIC, Brookhaven, USA (Relativistic Heavy-Ion Collider) Millionen von Detektorelementen müssen koinzident ausgelesen werden Rekonstruierte Spuren von Teilchen aus einer Au-Au-Kollision (in Richtung der kollidierenden Strahlen gesehen) seitliche Sicht auf eine Au-Au-Kollision Der ATLAS Detektor am CERN Inbetriebnahme des LHC: November 2007 Large Hadron Collider, CERN, Genf 27 km Umfang, 100m tief Koinzidenter Nachweis der Teilchen-Antiteilchen Vernichtung Zerstrahlung von Positronium (e+,e-) • e+ und e- umkreisen einander ähnlich wie e- um p in H-Atom γ e+ τ =1,25·10-10 s e- γ E = mc2 • e+ und e- haben gewisse Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Zentrum; bei Aufeinandertreffen von e+ und e- Zerstrahlung von Materie und Antimaterie: keV e + + e − → 2γ ; me = 511 c2 Es werden gleichzeitig 2 Photonen mit einer Energie von je 511 keV kollinear emittiert; Zerstrahlung nachzuweisen durch koinzidente Registrierung der beiden Photonen Positronen-Emissions-Tomographie (PET) Matrix aus BGO Szintillationskristallen 12 C (Z=6, N=6, A=12) 11 C Kernreaktion des 12C-Projektils mit den Atomkernen der Krebszellen: Abstreifen eines Neutrons Projektilfragmentation: 12C → 11C + n radio-aktiver Zerfall: T1 / 2 = 20 min 11 11 C → 5 B + 6 e+ + ν e e+ + e- → 2 Photonen (511 keV) ; Masse → Strahlung (Einstein: E = mc2) 3-dimensionale Rekonstruktion des Emissionsorts mit Millimetergenauigkeit Anordnung von BGO-Szintillationskristallen für PET (GSI-Darmstadt) Erste Bestrahlung bei der GSI im Dezember 1997 12 C-Ionen mit Energie von 350 MeV/u Überwachung der Bestrahlung mittels Positronen-Emissions-Tomographie Vorteil der Krebstherapie mit Schwerionenstrahlen (12C) • millimeter genaue Energiedeposition konzentriert im Bereich des Tumors • Schonung des gesunden Gewebes Energiedeposition • kaum Nebenwirkungen • Überwachung der Bestrahlung durch PET größte Energieabgabe am Ende der Ionenbahn 12 C Photonen Eindringtiefe [cm] ca. 500 Patienten erfolgreich bei GSI bestrahlt; dedizierte Beschleunigeranlagen im Aufbau in Heidelberg und Marburg Zusammenfassung: Ich hoffe, folgende Fragen beantwortet zu haben: • Was ist eine Koinzidenz? • Worin besteht Bothes Koinzidenzmethode? • Welche bedeutenden Entdeckungen gelangen Bothe mit der Koinzidenzmethode? • Welche Bedeutung hat Bothes Koinzidenzmethode heute a.) in der Forschung? b.) in der medizinischen Anwendung?