Jennifer Neff (Autor) Genoschemische und evolutionäre Analyse von MHC-Klasse-IGenen bei einem Halbaffen (Microcebus murinus) https://cuvillier.de/de/shop/publications/2564 Copyright: Cuvillier Verlag, Inhaberin Annette Jentzsch-Cuvillier, Nonnenstieg 8, 37075 Göttingen, Germany Telefon: +49 (0)551 54724-0, E-Mail: [email protected], Website: https://cuvillier.de Einleitung 13 1 Einleitung Genetische und evolutionäre Studien über die Immunantwort werden häufig anhand des Haupthistokompatibilitätskomples (MHC) durchgeführt. Der MHC ist eine Region von ca. 4 Mb (bei Säugern), die die für den MHC charakteristischen MHC-Klasse-I und MHC-Klasse-II-Gene enthält. MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-Moleküle präsentieren antigene Peptide an TLymphozyten und kontrollieren somit entscheidend die Immunantwort. Weiterhin ist der MHC signifikant mit Infektions- und Autoimmunkrankheiten assoziiert. Primaten werden häufig als Tiermodelle für solche Erkrankungen, Organtransplantationen und bei der Entwicklung neuer Impfstoffe eingesetzt (BONTROP 2001). Dennoch ist bisher im Vergleich zum Menschen wenig über die genetische Vielfalt der Primaten bekannt. Dieses erscheint jedoch äußerst wichtig für die Übertragung der Forschungsergebnisse aus den Tiermodellen auf den Menschen, da der MHC eine sich sehr rasch entwickelnde genomische Region darstellt. MHC-Klasse-I-Gene sind bisher in Altweltaffen (Catharrini) und Neuweltaffen (Plathyrrhini) beschrieben worden. Studien am Gorilla (LAWLOR et al. 1991), Schimpansen (ADAMS u. PARHAM 2001; ANZAI et al. 2003), Orang-Utan (ADAMS et al. 1999), Rhesusaffen (DAZAVAMENTA et al. 2004) und Pavian (SIDEBOTTOM et al. 2001) zeigten, dass im Vergleich zu den exprimierten humanen Klasse-I-Genen HLA-A, HLA-B, HLA-C, HLA-G, HLA-E und HLA-F die entsprechenden Klasse-I-Gene mit Ausnahme von HLA-C in Altweltaffen vorkommen, während bei den Neuweltaffen nur HLA-G, HLA-E und HLA-F-ähnliche Sequenzen gefunden wurden (VOGEL et al. 1999). Über die Evolution von MHC-Klasse-I-Genen in Halbaffen (Strepsirrhini) ist bisher kaum etwas beschrieben worden, weshalb deren Beziehung zu den humanen Klasse-I-Genen weitestgehend ungeklärt ist. Bei Untersuchungen an der cDNA des Grauen Mausmaki (Microcebus murinus) konnten vier vollständige MHC-Klasse-I-Gensequenzen identifiziert werden, die sehr wahrscheinlich Klasse-Ia-Gene repräsentieren (FLÜGGE et al. 2002). Eine Stammbaumanalyse zeigte, dass keine der gefundenen Sequenzen hohe Ähnlichkeit zu den humanen Klasse-I-Genen aufweist. Auch partielle Klasse-I-Sequenzen eines madagassischen Lemur catta und eines asiatischen Nycticebus pygmaeus ließen keine besondere Ähnlichkeit zu den humanen Klasse-IGenen erkennen, so dass eine orthologe Beziehung zu den Klasse-I-Genen der Catarrhini oder Platyrrhini bisher nicht festzustellen war (FLÜGGE et al. 2002). Es wird daher vermutet, dass die 14 Einleitung Entwicklung der HLA-A, HLA-B, HLA-C und HLA-G-Charakteristika des Mausmakis erst nach der Trennung der Strepsirrhini von den Platyrrhini und den Catarrhini erfolgt sein muss. Das Vorhandensein von MHC-Klasse-I-verwandten MIC-Genen des Menschen wurde ebenfalls erst in den letzten Jahren bei Primaten erforscht. Mittels PCR konnten drei homologe Sequenzen aus Rhesusaffen (Macacca mulatta) isoliert werden, die einen hohen Verwandtschaftsgrad zu den exprimierten MIC-Genen MICA bzw. MICB haben und MIC1, MIC2 und MIC3 bezeichnet wurden (SEO et al. 1999). Homologe Sequenzen zu den humanen Pseudogenen MICC, MICD, MICG und MICF wurden allerdings nicht gefunden. Die Auswertung weiterer Gensequenzen von Macaca mulatta ergab verschiedene MIC2- und MIC3-Allele sowie ein orthologes Gen zum humanen MICD (SEO et al. 2001). Allerdings sind nicht bei jedem Rhesusaffen alle drei MIC-Gene vorhanden. Die Anwesenheit der MIC-Gene variiert zwischen ein bis drei Genen, wobei bisher kein Rhesusaffe getestet wurde, der überhaupt kein MIC-Gen besaß (FLÜGGE 2003). Abbildung 1: Microcebus murinus Einleitung 1.1 15 Fragestellung der vorliegenden Arbeit Der MHC ist mit zahlreichen Krankheiten assoziiert, deren genetische Ursachen meist nicht bekannt sind. Vor allem für die Analyse immunologischer Erkrankungen sowie für die Transplantationsforschung ist die Kenntnis der genomischen Struktur des MHC und der darin enthaltenen Gene von besonderer Bedeutung. Im Rahmen dieser Arbeit sollte daher die strukturelle Analyse der MHC-Klasse-I-Gene bei Microcebus murinus (Abb. 1) erfolgen und die Evolution der MHC-Klasse-I-Gene näher untersucht werden. Mit Hilfe einer Bacterial Artificial Chromosome (BAC)-Bank des Genoms von Microcebus murinus sollten die Klasse-I-Gene durch ein Screening mit einer MHC-Klasse-I-Genprobe identifiziert und physikalisch kartiert werden. Es sollte ferner herausgefunden werden, wie viele Klasse-I-Gene vorhanden sind. Zur Erstellung einer physikalischen Karte der MHC-Region musste auch die Anordnung der sogenannten Framework-Gene (nicht Klasse-I-, nicht Klasse-II-Gene) bestimmt werden, um diese dann mit dem MHC von Mensch, Maus, Ratte und Rhesusaffe vergleichen zu können. Ein weiteres Ziel war die Untersuchung der MIC-Gene. Es sollte herausgefunden werden, ob Microcebus murinus diese Gene besitzt und ob sie einem humanen MIC-Gen zugeordnet werden können. Schließlich sollte die evolutionäre Beziehung der Klasse-I-Gene zu anderen Halbaffen sowie höheren Primaten analysiert werden. 16 Literaturübersicht 2 Literaturübersicht 2.1 Lemuren auf Madagaskar Die Verbreitung der Lemuren beschränkt sich auf die Insel Madagaskar im Indischen Ozean. Vor ca. 165 Mio. Jahren war der nördliche Teil der Insel mit Tansania, Kenia und Somalia verbunden, bevor sie sich vom afrikanischen Festland trennte und vor ca. 125 Mio. Jahren ihre heutige geographische Lage, 400 km östlich von Afrika, erreichte (RABINOWITZ et al. 1983). Der indische Subkontinent brach vor 88 Mio. Jahren von der Insel ab (STOREY et al. 1995) und wanderte nord-ostwärts bis dieser vor 56-66 Mio. Jahren auf das asiatische Festland traf (BECK et al. 1995). Seit der Trennung von Afrika, entwickelte sich die insulare Flora und Fauna weitestgehend unabhängig, so dass die meisten Tier- und Pflanzenarten auf der Insel endemisch vorkommen (JENKINS 1990). Es ist noch nicht vollständig geklärt, wann und wie die auf Madagaskar lebenden Lemuren die Insel besiedelten. Phylogenetische Untersuchungen haben ergeben, dass die madagassischen Lemuren vermutlich aus Afrika einwanderten (MARTIN 1995, YODER et al. 1996) und die Insel vor 47 - 80 Mio. Jahren besiedelt haben müssen (ROOS et al. 2004). Es existieren drei Hypothesen wie die Primaten und andere Säugetiere nach Madagaskar immigrierten: 1. über eine Landbrücke zwischen Afrika und Madagaskar während sich der Meeresspiegel absenkte (MC CALL 1997), 2. „Island hopping“ über den Mosambique Kanal (TATTERSALL 1982) und 3. „rafting“ auf dem Seeweg mit Hilfe treibender Vegetation (KAPPELER 2000). Die ersten beiden Hypothesen werden für sehr unwahrscheinlich gehalten, da es keine eindeutigen Hinweise für eine durchgängige Landbrücke oder Inselkette gibt. Außerdem würde man in diesem Zusammenhang eine größere Anzahl an terrestrischen Säugetieren auf der Insel erwarten. Die „Rafting-Hypothese“ erscheint für die Kolonisation der Primaten am wahrscheinlichsten. Es wird angenommen, dass Schlafgruppen Cheirogaleidae-ähnlicher Arten, die üblicherweise mehrere Wochen oder Monate schlafend in ihren Baumhöhlen verbringen, den Kanal überquerten. Dies ist möglich, da die Tiere während der Trockenzeit in einen Inaktivitätszustand mit assoziierter Hypothermie (Topor) fallen, in dem ihr Körpermetabolismus bis zu 90 % gesenkt wird (KAPPELER 2000). Anhand von phylogenetischen Untersuchungen, basierend auf repetitiven Elementen, erstellten ROOS et al. (2004) eine Phylogenie, die auf eine einmalige Besiedlung Madagaskars durch Halbaffen hinweist. Die Literaturübersicht 17 molekularen Analysen unterstützen die Annahme der Immigration über den Mozambique Kanal mittels „Rafting“ zwischen der späten Kreidezeit und dem mittleren Eozän. Abbildung 2: Besiedlung Madagaskars nach der "Rafting-Hypothese" (nach YODER et al. 1996) 18 Literaturübersicht 2.2 Der Graue Mausmaki (Microcebus murinus) 2.2.1 Taxonomische Einordnung Klasse: Säugetiere ( Mammalia ) Ordnung: Primaten Subordnung: Strepsirrhini Infra-Ordnung: Lemuriformes Familie: Cheirogaleidae Gattung: Microcebus Art: Microcebus murinus (nach TATTERSALL 1982; PURVIS 1995) Der graue Mausmaki wird der Familie der Cheirogaleidae zugeordnet, die zu den ursprünglichsten und kleinsten rezenten Primatenarten gehören (DUTRILLAUX 1979). Die Gattung Microcebus beinhaltet derzeit acht verschiedene Arten (Tab. 1) (ZIMMERMANN et al. 1998; YODER et al. 2000). Tabelle 1: Arten von Microcebus Microcebus-Art Körperlänge Gewicht [g] Färbung [cm] Microcebus Lebensraum (Abb. 3) 12,0-13,4 55-87 rot-braun Ankarafantsika 12,1-13,7 57-67 grau-braun Andranomena ravelobensis Microcebus murinus Vohimena, Kirindy, Manamby Literaturübersicht Microcebus 19 11,6-13,6 46-76 dunkelbraun Ankarana 11,7-12,9 47-79 grau-rotbraun Beza Mahafaly 8,9-9,5 30-31 rotbraun Kirindy 11,3-12,1 38-50 rotbraun Manongarivo 11,9-12,8 43-55 rötlich-braun Aboalimena Tavaratra Microcebus griseorufus Microcebus berthae Microcebus sambiranensis Microcebus Bemaraha myoxinus Microcebus rufus 10,2-10,5 45-80 rötlich-braun Andasibe Ostküste Südosten 20 Literaturübersicht Microcebus tavaratra Microcebus sambiranensis Microcebus revelobensis Microcebus myoxinus Microcebus murinus Microcebus berthae Microcebus griseorufus Abbildung 3: Lebensräume der verschiedenen Microcebus-Arten (nach YODER et al. 2000). Der Lebensraum des im Osten lebenden Microcebus rufus ist nicht eingezeichnet. Literaturübersicht 2.2.2 21 Vorkommen und Lebensweise Die Grauen Mausmaki leben entlang der Süd-Westküste Madagaskars, in der „fine-branche-niche“ der laubabwerfenden Trockenwälder, die aus Zweigen, Lianen und dichtem Blätterwerk besteht (MARTIN 1972; TATTERSALL et al. 1982). Sie sind einheitlich grau-braun gefärbt und wiegen mit einer mittleren Körperlänge von ca. 13 cm und einer Schwanzlänge von ebenfalls 13 cm im Durchschnitt 60 g (TATTERSALL et al. 1982; ZIMMERMANN et al. 1998) Ein Sexualdimorphismus zugunsten der männlichen Tiere, in Form von verlängerten Eckzähnen, einem höheren Körpergewicht oder einer längeren Körpergröße, sind bei dieser Gattung nicht festzustellen (KAPPELER 1991). In ihrem Lebensraum bewegen sich die Mausmaki hauptsächlich quadruped laufend, hüpfend, springend oder kletternd fort (MARTIN 1972). Ihre akustischen sowie olfaktorischen Sinne sind besonders ausgeprägt. Sie ermöglichen es ihnen, Laute bis weit in den Ultraschallbereich hinein zu produzieren und wahrzunehmen (HAFEN et al. 1998; ZIMMERMANN 1995; ZIMMERMANN u. HAFEN 2001). Typische Verhaltensweisen wie z.B. Urinwaschen, Mundwinkelmarkieren, Astbeißen und Anogenitalmarkieren resultieren aus dem Vorhandensein eines gut ausgeprägten und funktionsfähigen Vomeronasalorgans, wobei hierfür Körpersekrete verwendet werden, da der Mausmaki keine speziell entwickelten Drüsen besitzt (GLATSTON 1979; SCHILLING u. PERRET 1987; SCHILLING 1987). Da Mausmaki strikt nachtaktive Tiere sind, besitzen sie in Anpassung daran große, vorwärts gerichtete Augen, die mit einem Tapetum lucidum ausgekleidet sind (MARTIN 1973, 1995; ROWE 1996). Tagsüber schlafen sie in Baumhöhlen, Nestern, Totholz und vereinzelt auch in dichtem Gebüsch. Die Weibchen bilden dabei feste Schlafgruppen, während die Männchen hauptsächlich allein schlafen. Selten findet man auch Männchen und Weibchen zusammen. Die Bildung von festen Schlafgemeinschaften ist in Bezug auf die Thermoregulation und dem Schutz vor Raubfeinden wie z.B. Carnivore, Schlangen, Taggreifvögel und Eulen für die kleinen Lemuren sehr wichtig. Nachts dagegen trennen sich die Schlafgruppen und die Tiere gehen allein auf Nahrungssuche (MARTIN 1972; RADESPIEL et al. 1998; EHRESMANN 2000). Hauptnahrungsbestandteile sind Blüten, Früchte, Nektar, Baumsäfte, Insekten, Spinnen und kleine Wirbeltiere, wobei das Angebot jahreszeitlich bedingt ist (MARTIN 1972, 1973; HLADIK 1979; HLADIK et al. 1980). In der nahrungsarmen Trockenzeit (Juni bis September) wird die Körpertemperatur gesenkt und die Tiere fallen in den sogenannten Topor, einen Inaktivitätszustand mit assoziierter Hypothermie, um so die gesteigerte Konkurrenz um Nahrung zu umgehen. Der