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Jennifer Neff (Autor)
Genoschemische und evolutionäre Analyse von MHC-Klasse-IGenen bei einem Halbaffen (Microcebus murinus)
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Einleitung
13
1 Einleitung
Genetische und evolutionäre Studien über die Immunantwort werden häufig anhand des
Haupthistokompatibilitätskomples (MHC) durchgeführt. Der MHC ist eine Region von ca. 4 Mb
(bei Säugern), die die für den MHC charakteristischen MHC-Klasse-I und MHC-Klasse-II-Gene
enthält. MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-Moleküle präsentieren antigene Peptide an TLymphozyten und kontrollieren somit entscheidend die Immunantwort. Weiterhin ist der MHC
signifikant mit Infektions- und Autoimmunkrankheiten assoziiert.
Primaten werden häufig als Tiermodelle für solche Erkrankungen, Organtransplantationen und bei
der Entwicklung neuer Impfstoffe eingesetzt (BONTROP 2001). Dennoch ist bisher im Vergleich
zum Menschen wenig über die genetische Vielfalt der Primaten bekannt. Dieses erscheint jedoch
äußerst wichtig für die Übertragung der Forschungsergebnisse aus den Tiermodellen auf den
Menschen, da der MHC eine sich sehr rasch entwickelnde genomische Region darstellt.
MHC-Klasse-I-Gene sind bisher in Altweltaffen (Catharrini) und Neuweltaffen (Plathyrrhini)
beschrieben worden. Studien am Gorilla (LAWLOR et al. 1991), Schimpansen (ADAMS u.
PARHAM 2001; ANZAI et al. 2003), Orang-Utan (ADAMS et al. 1999), Rhesusaffen (DAZAVAMENTA et al. 2004) und Pavian (SIDEBOTTOM et al. 2001) zeigten, dass im Vergleich zu den
exprimierten humanen Klasse-I-Genen HLA-A, HLA-B, HLA-C, HLA-G, HLA-E und HLA-F die
entsprechenden Klasse-I-Gene mit Ausnahme von HLA-C in Altweltaffen vorkommen, während bei
den Neuweltaffen nur HLA-G, HLA-E und HLA-F-ähnliche Sequenzen gefunden wurden (VOGEL
et al. 1999).
Über die Evolution von MHC-Klasse-I-Genen in Halbaffen (Strepsirrhini) ist bisher kaum etwas
beschrieben worden, weshalb deren Beziehung zu den humanen Klasse-I-Genen weitestgehend
ungeklärt ist. Bei Untersuchungen an der cDNA des Grauen Mausmaki (Microcebus murinus)
konnten
vier
vollständige
MHC-Klasse-I-Gensequenzen
identifiziert
werden,
die
sehr
wahrscheinlich Klasse-Ia-Gene repräsentieren (FLÜGGE et al. 2002). Eine Stammbaumanalyse
zeigte, dass keine der gefundenen Sequenzen hohe Ähnlichkeit zu den humanen Klasse-I-Genen
aufweist. Auch partielle Klasse-I-Sequenzen eines madagassischen Lemur catta und eines
asiatischen Nycticebus pygmaeus ließen keine besondere Ähnlichkeit zu den humanen Klasse-IGenen erkennen, so dass eine orthologe Beziehung zu den Klasse-I-Genen der Catarrhini oder
Platyrrhini bisher nicht festzustellen war (FLÜGGE et al. 2002). Es wird daher vermutet, dass die
14
Einleitung
Entwicklung der HLA-A, HLA-B, HLA-C und HLA-G-Charakteristika des Mausmakis erst nach der
Trennung der Strepsirrhini von den Platyrrhini und den Catarrhini erfolgt sein muss.
Das Vorhandensein von MHC-Klasse-I-verwandten MIC-Genen des Menschen wurde ebenfalls erst
in den letzten Jahren bei Primaten erforscht. Mittels PCR konnten drei homologe Sequenzen aus
Rhesusaffen (Macacca mulatta) isoliert werden, die einen hohen Verwandtschaftsgrad zu den
exprimierten MIC-Genen MICA bzw. MICB haben und MIC1, MIC2 und MIC3 bezeichnet wurden
(SEO et al. 1999). Homologe Sequenzen zu den humanen Pseudogenen MICC, MICD, MICG und
MICF wurden allerdings nicht gefunden. Die Auswertung weiterer Gensequenzen von Macaca
mulatta ergab verschiedene MIC2- und MIC3-Allele sowie ein orthologes Gen zum humanen MICD
(SEO et al. 2001). Allerdings sind nicht bei jedem Rhesusaffen alle drei MIC-Gene vorhanden. Die
Anwesenheit der MIC-Gene variiert zwischen ein bis drei Genen, wobei bisher kein Rhesusaffe
getestet wurde, der überhaupt kein MIC-Gen besaß (FLÜGGE 2003).
Abbildung 1: Microcebus murinus
Einleitung
1.1
15
Fragestellung der vorliegenden Arbeit
Der MHC ist mit zahlreichen Krankheiten assoziiert, deren genetische Ursachen meist nicht
bekannt sind. Vor allem für die Analyse immunologischer Erkrankungen sowie für die
Transplantationsforschung ist die Kenntnis der genomischen Struktur des MHC und der darin
enthaltenen Gene von besonderer Bedeutung.
Im Rahmen dieser Arbeit sollte daher die strukturelle Analyse der MHC-Klasse-I-Gene bei
Microcebus murinus (Abb. 1) erfolgen und die Evolution der MHC-Klasse-I-Gene näher untersucht
werden.
Mit Hilfe einer Bacterial Artificial Chromosome (BAC)-Bank des Genoms von Microcebus
murinus sollten die Klasse-I-Gene durch ein Screening mit einer MHC-Klasse-I-Genprobe
identifiziert und physikalisch kartiert werden. Es sollte ferner herausgefunden werden, wie viele
Klasse-I-Gene vorhanden sind.
Zur Erstellung einer physikalischen Karte der MHC-Region musste auch die Anordnung der
sogenannten Framework-Gene (nicht Klasse-I-, nicht Klasse-II-Gene) bestimmt werden, um diese
dann mit dem MHC von Mensch, Maus, Ratte und Rhesusaffe vergleichen zu können.
Ein weiteres Ziel war die Untersuchung der MIC-Gene. Es sollte herausgefunden werden, ob
Microcebus murinus diese Gene besitzt und ob sie einem humanen MIC-Gen zugeordnet werden
können.
Schließlich sollte die evolutionäre Beziehung der Klasse-I-Gene zu anderen Halbaffen sowie
höheren Primaten analysiert werden.
16
Literaturübersicht
2 Literaturübersicht
2.1
Lemuren auf Madagaskar
Die Verbreitung der Lemuren beschränkt sich auf die Insel Madagaskar im Indischen Ozean. Vor
ca. 165 Mio. Jahren war der nördliche Teil der Insel mit Tansania, Kenia und Somalia verbunden,
bevor sie sich vom afrikanischen Festland trennte und vor ca. 125 Mio. Jahren ihre heutige
geographische Lage, 400 km östlich von Afrika, erreichte (RABINOWITZ et al. 1983). Der
indische Subkontinent brach vor 88 Mio. Jahren von der Insel ab (STOREY et al. 1995) und
wanderte nord-ostwärts bis dieser vor 56-66 Mio. Jahren auf das asiatische Festland traf (BECK et
al. 1995). Seit der Trennung von Afrika, entwickelte sich die insulare Flora und Fauna
weitestgehend unabhängig, so dass die meisten Tier- und Pflanzenarten auf der Insel endemisch
vorkommen (JENKINS 1990).
Es ist noch nicht vollständig geklärt, wann und wie die auf Madagaskar lebenden Lemuren die Insel
besiedelten. Phylogenetische Untersuchungen haben ergeben, dass die madagassischen Lemuren
vermutlich aus Afrika einwanderten (MARTIN 1995, YODER et al. 1996) und die Insel vor 47 - 80
Mio. Jahren besiedelt haben müssen (ROOS et al. 2004). Es existieren drei Hypothesen wie die
Primaten und andere Säugetiere nach Madagaskar immigrierten: 1. über eine Landbrücke zwischen
Afrika und Madagaskar während sich der Meeresspiegel absenkte (MC CALL 1997), 2. „Island
hopping“ über den Mosambique Kanal (TATTERSALL 1982) und 3. „rafting“ auf dem Seeweg mit
Hilfe treibender Vegetation (KAPPELER 2000). Die ersten beiden Hypothesen werden für sehr
unwahrscheinlich gehalten, da es keine eindeutigen Hinweise für eine durchgängige Landbrücke
oder Inselkette gibt. Außerdem würde man in diesem Zusammenhang eine größere Anzahl an
terrestrischen Säugetieren auf der Insel erwarten. Die „Rafting-Hypothese“ erscheint für die
Kolonisation der Primaten am wahrscheinlichsten. Es wird angenommen, dass Schlafgruppen
Cheirogaleidae-ähnlicher Arten, die üblicherweise mehrere Wochen oder Monate schlafend in ihren
Baumhöhlen verbringen, den Kanal überquerten. Dies ist möglich, da die Tiere während der
Trockenzeit in einen Inaktivitätszustand mit assoziierter Hypothermie (Topor) fallen, in dem ihr
Körpermetabolismus bis zu 90 % gesenkt wird (KAPPELER 2000). Anhand von phylogenetischen
Untersuchungen, basierend auf repetitiven Elementen, erstellten ROOS et al. (2004) eine
Phylogenie, die auf eine einmalige Besiedlung Madagaskars durch Halbaffen hinweist. Die
Literaturübersicht
17
molekularen Analysen unterstützen die Annahme der Immigration über den Mozambique Kanal
mittels „Rafting“ zwischen der späten Kreidezeit und dem mittleren Eozän.
Abbildung 2: Besiedlung Madagaskars nach der "Rafting-Hypothese" (nach YODER et al.
1996)
18
Literaturübersicht
2.2
Der Graue Mausmaki (Microcebus murinus)
2.2.1
Taxonomische Einordnung
Klasse: Säugetiere ( Mammalia )
Ordnung: Primaten
Subordnung: Strepsirrhini
Infra-Ordnung: Lemuriformes
Familie: Cheirogaleidae
Gattung: Microcebus
Art: Microcebus murinus
(nach TATTERSALL 1982; PURVIS 1995)
Der graue Mausmaki wird der Familie der Cheirogaleidae zugeordnet, die zu den ursprünglichsten
und kleinsten rezenten Primatenarten gehören (DUTRILLAUX 1979). Die Gattung Microcebus
beinhaltet derzeit acht verschiedene Arten (Tab. 1) (ZIMMERMANN et al. 1998; YODER et al.
2000).
Tabelle 1: Arten von Microcebus
Microcebus-Art
Körperlänge
Gewicht [g]
Färbung
[cm]
Microcebus
Lebensraum
(Abb. 3)
12,0-13,4
55-87
rot-braun
Ankarafantsika
12,1-13,7
57-67
grau-braun
Andranomena
ravelobensis
Microcebus
murinus
Vohimena,
Kirindy,
Manamby
Literaturübersicht
Microcebus
19
11,6-13,6
46-76
dunkelbraun
Ankarana
11,7-12,9
47-79
grau-rotbraun
Beza Mahafaly
8,9-9,5
30-31
rotbraun
Kirindy
11,3-12,1
38-50
rotbraun
Manongarivo
11,9-12,8
43-55
rötlich-braun
Aboalimena
Tavaratra
Microcebus
griseorufus
Microcebus
berthae
Microcebus
sambiranensis
Microcebus
Bemaraha
myoxinus
Microcebus
rufus
10,2-10,5
45-80
rötlich-braun
Andasibe
Ostküste
Südosten
20
Literaturübersicht
Microcebus tavaratra
Microcebus sambiranensis
Microcebus
revelobensis
Microcebus
myoxinus
Microcebus
murinus
Microcebus
berthae
Microcebus
griseorufus
Abbildung 3: Lebensräume der verschiedenen Microcebus-Arten (nach YODER et al. 2000).
Der Lebensraum des im Osten lebenden Microcebus rufus ist nicht eingezeichnet.
Literaturübersicht
2.2.2
21
Vorkommen und Lebensweise
Die Grauen Mausmaki leben entlang der Süd-Westküste Madagaskars, in der „fine-branche-niche“
der laubabwerfenden Trockenwälder, die aus Zweigen, Lianen und dichtem Blätterwerk besteht
(MARTIN 1972; TATTERSALL et al. 1982). Sie sind einheitlich grau-braun gefärbt und wiegen
mit einer mittleren Körperlänge von ca. 13 cm und einer Schwanzlänge von ebenfalls 13 cm im
Durchschnitt 60 g (TATTERSALL et al. 1982; ZIMMERMANN et al. 1998) Ein
Sexualdimorphismus zugunsten der männlichen Tiere, in Form von verlängerten Eckzähnen, einem
höheren Körpergewicht oder einer längeren Körpergröße, sind bei dieser Gattung nicht festzustellen
(KAPPELER 1991). In ihrem Lebensraum bewegen sich die Mausmaki hauptsächlich quadruped
laufend, hüpfend, springend oder kletternd fort (MARTIN 1972).
Ihre akustischen sowie olfaktorischen Sinne sind besonders ausgeprägt. Sie ermöglichen es ihnen,
Laute bis weit in den Ultraschallbereich hinein zu produzieren und wahrzunehmen (HAFEN et al.
1998; ZIMMERMANN 1995; ZIMMERMANN u. HAFEN 2001). Typische Verhaltensweisen wie
z.B. Urinwaschen, Mundwinkelmarkieren, Astbeißen und Anogenitalmarkieren resultieren aus dem
Vorhandensein eines gut ausgeprägten und funktionsfähigen Vomeronasalorgans, wobei hierfür
Körpersekrete verwendet werden, da der Mausmaki keine speziell entwickelten Drüsen besitzt
(GLATSTON 1979; SCHILLING u. PERRET 1987; SCHILLING 1987).
Da Mausmaki strikt nachtaktive Tiere sind, besitzen sie in Anpassung daran große, vorwärts
gerichtete Augen, die mit einem Tapetum lucidum ausgekleidet sind (MARTIN 1973, 1995; ROWE
1996). Tagsüber schlafen sie in Baumhöhlen, Nestern, Totholz und vereinzelt auch in dichtem
Gebüsch. Die Weibchen bilden dabei feste Schlafgruppen, während die Männchen hauptsächlich
allein schlafen. Selten findet man auch Männchen und Weibchen zusammen. Die Bildung von
festen Schlafgemeinschaften ist in Bezug auf die Thermoregulation und dem Schutz vor
Raubfeinden wie z.B. Carnivore, Schlangen, Taggreifvögel und Eulen für die kleinen Lemuren sehr
wichtig. Nachts dagegen trennen sich die Schlafgruppen und die Tiere gehen allein auf
Nahrungssuche
(MARTIN
1972;
RADESPIEL
et
al.
1998;
EHRESMANN
2000).
Hauptnahrungsbestandteile sind Blüten, Früchte, Nektar, Baumsäfte, Insekten, Spinnen und kleine
Wirbeltiere, wobei das Angebot jahreszeitlich bedingt ist (MARTIN 1972, 1973; HLADIK 1979;
HLADIK et al. 1980). In der nahrungsarmen Trockenzeit (Juni bis September) wird die
Körpertemperatur gesenkt und die Tiere fallen in den sogenannten Topor, einen Inaktivitätszustand
mit assoziierter Hypothermie, um so die gesteigerte Konkurrenz um Nahrung zu umgehen. Der
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