Weltweit fast zehn Millionen Neuerkrankungen

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MEDIZINREPORT
DEMENZ
Weltweit fast zehn Millionen
Neuerkrankungen
Laut Welt-Alzheimer-Report soll die Zahl der Demenzkranken
weltweit dramatisch steigen. Eine aktuelle Studie kommt unterdessen
zu der Einschätzung, die Entwicklung könnte sich stabilisieren.
lle drei Sekunden erkrankt
ein Mensch an Demenz. Allein im Jahr 2015 ist weltweit
mit 9,9 Millionen Neuerkrankungen zu rechnen. Das ist die Prognose des neuen Welt-Alzheimer-Reports. Der von der Dachorganisation „Alzheimer‘s Disease International“, London, herausgegebene
Bericht, hat aktuelle Erkenntnisse
zur Epidemiologie zusammengestellt. Demnach leiden derzeit
weltweit 46,8 Millionen Menschen
an einer Demenz. Bis 2030 wird
die Zahl auf 74,7 Millionen steigen
und bis 2050 auf 131,5 Millionen.
Die meisten Demenzkranken leben
dem Report zufolge derzeit in Ostasien, Westeuropa, Südasien und
Nordamerika.
Die Vorsitzende der Deutschen
Alzheimer Gesellschaft, Heike von
Lützau-Hohlbein, sprach von „alarmierenden Zahlen und Fakten“.
„Die ärmeren Länder müssen beim
Ausbau ihrer Gesundheitssysteme
A
A 1470
mit Wissen und finanziellen Mitteln
unterstützt werden.“ Darüber hinaus forderte sie einen „Nationalen
Aktionsplan Demenz“ für Deutschland. Neue Zahlen für Deutschland
enthält der Report nicht. Aber auch
hierzulande wird für die kommenden Jahre mit steigenden Erkrankungszahlen gerechnet (Kasten).
Ob die vorliegenden Prognosen
tatsächlich zutreffend sind, gilt allerdings keineswegs als gesichert.
EPIDEMIOLOGIE
In Deutschland leben derzeit etwa 1,5 Millionen Demenzkranke. Prognosen zufolge soll ihre Zahl bis 2050 auf drei
Millionen steigen, sofern kein Durchbruch in der Therapie
gelingt. In etwa zwei Drittel der Fälle handelt es sich um
eine Demenz vom Typ Alzheimer.
Eine zentrale Rolle bei der Demenz spielt das Alter.
Zwei Drittel der Erkrankten sind 80 Jahre oder älter. Etwa
70 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Hauptgrund dafür
ist die höhere Lebenserwartung.
Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft
Die Auswertung von fünf Kohortenstudien in Lancet Neurology
(2015; doi: 10.1016/S1474-4422
(15)00092-7) deutet für Europa sogar einen Rückgang an. Die Autoren führen dies auf die erfolgreiche
Vermeidung von kardiovaskulären
Risikofaktoren zurück.
Tatsächlich spielt die Atherosklerose bei der Demenz eine wichtige Rolle. Zwar ist die Alzheimererkrankung nach jetzigem Kenntnisstand die häufigste Form der Demenz, danach folgen aber die vaskuläre Demenz und Mischformen.
Differenzialdiagnostisch sind zudem die frontotemporale Demenz,
eine Demenz bei Parkinson und die
Lewy-Körperchen-Demenz in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus
können auch andere Grunderkrankungen zu einer Demenz führen.
Eine kausale Demenztherapie
gibt es nicht. Gegenstand der Forschung sind unter anderem Antikörper, die den Morbus Alzheimer aufhalten sollen, indem sie krankheitsassoziierte Amyloide aus dem Gehirn entfernen. Dass damit der
Durchbruch gelingt, kann man jedoch bezweifeln, wie eine in JAMA
Neurology veröffentlichte Studie
nahelegt (2015; doi: 10.1001/jama
neurol.2015.1721). Ein Viertel der
Patienten mit der klinischen Diagnose leichte bis mittlere Alzheimerdemenz hatten keine oder kaum
Amyloid-Ablagerungen im Gehirn.
Bei Patienten ohne den genetischen
Risikofaktor APOE4 lag der Anteil
sogar bei 37 Prozent. Postmortal
wurde jedoch fast bei der Hälfte
dieser Patienten eine ausgedehnte
neurofibrilläre Degeneration gefunden, die als weiteres Kennzeichen
der Alzheimererkrankung gilt.
Demenzen sind ein komplexes
Geschehen. Orientierung liefert die
überarbeitete S3-Leitlinie Demenz,
die federführend von der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie und der
Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
erstellt wird. Die neue Leitlinie soll
bis Ende September vorliegen. ▄
Dr. med. Birgit Hibbeler
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Der Welt-Alzheimer-Report im Internet:
www.aerzteblatt.de/151470
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 37 | 11. September 2015
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