Was wissen wir über den Inquisitionsprozeß - Doors

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Was wissen wir über den Inquisitionsprozeß ?
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文部科学省法科大学院等専門職大学院形成支援プログラム
「国際的視野と判断力をもつ法律家の養成」
同志社大学法科大学院 第43回国際セミナー(2005年11月24日)
Was wissen wir über den Inquisitionsprozeß ?
Stand und Ergebnisse der rechtshistorischen Forschung
Wolfgang Sellert, Göttingen
Vorbemerkung
Der Inquisitionsprozeß gehört zu den besonders häufig behandelten Themen der
deutschen Strafrechtsgeschichte. Dementsprechend ist die Literatur zu diesem
Gegenstand sehr umfangreich. Eine nahezu vollständige und neuere Literaturzusammenstellung enthält die im Jahre 2002 erschienene Arbeit von Alexander Ignor über die
„Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846“.
In der rechtshistorischen Forschung über den Inquisitionsprozeß geht es nach
wie vor um folgende Hauptfragen: 1. Wie und wo ist der Inquisitionsprozeß entstanden?
2. Wie hat sich der Inquisitionsprozeß in Deutschland entwickelt? 3. Welche Rolle spielte
das im Mittelpunkt des Inquisitionsprozesses stehende Beweismittel der Folter? 4.
Welches sind die typischen Elemente des Inquisitionsprozesses? 5. Wie unterscheidet
sich der Inquisitionsprozeß von andern Verfahrensarten? 6. Welche Ziele wurden mit
dem Inquisitionsprozeß verfolgt? 7. Welches waren die negativen Seiten des
Inquisitionsprozesses und wie wurden sie überwunden? 8. Welche Veränderungen hat
der Inquisitionsprozeß durch die Strafrechtswissenschaft erfahren? 9. Welche
Voraussetzungen und Hintergründe hatte die Reform des Inquisitionsprozesses seit dem
18. Jahrhundert? 10. Welche Bedeutung hatte das Inquisitionsprinzip in der
nationalsozialistischen Zeit? 11. Ist es gerechtfertigt, daß der deutsche Strafprozeß in
seiner Grundstruktur auch heute noch dem Inquisitionsprinzip folgt?
Die meisten dieser Fragen sind inzwischen gründlich untersucht worden.
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Insgesamt haben wir heute ein recht zuverlässiges Bild von der Geschichte des
Inquisitionsprozesses, deren Ergebnisse im folgenden in einer kurzen Zusammenfassung
dargestellt werden sollen.
I. Die Entstehung des Inquisitionsprozesses und seine Entwicklung in
Deutschland
1. Entstehung
In der strafrechtsgeschichtlichen Forschung besteht heute Einigkeit darüber,
daß die Wurzeln des Inquisitionsprozesses in der katholischen Kirchenpolitik des
Mittelalters zu suchen sind. Die Entwicklung begann mit der Ketzerverfolgung der
Kirche, d.h. mit dem Kampf der Kirche gegen diejenigen, die von den Lehren des
katholischen Glaubens abgefallen waren und sich wie die Katharer und Waldenser zu
Anfang des 12. Jahrhunderts in Sekten zusammengeschlossen hatten. Gegen diese
religiösen Bewegungen, durch die nicht nur die Kirche, sondern auch die im
katholischen Glauben verankerten Grundlagen des Heiligen Römischen Reiches bedroht
waren, wehrten sich Papst und Kaiser. Im Jahre 1184 verfügte daher Papst Lucius III. im
Einvernehmen mit dem deutschen Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) in Verona, daß die
Ketzer gerichtlich verfolgt und bestraft werden sollen.
Zu diesem Zwecke entwickelte die Kirche den Inquisitionsprozeß (von lateinisch
inquirere = untersuchen, nachforschen). Kennzeichnend war für dieses Verfahren, daß
die Taten der Ketzer durch eine eigens dazu von der Kirche gegründete Behörde
öffentlich und von Amtswegen geahndet werden sollten. Das Verfahren begann mit
einer öffentlichen Aufforderung an alle Ketzer, sich den kirchlichen
Verfolgungsbehörden zu stellen. Darüber hinaus wurden die Gläubigen aufgefordert,
Ketzer zu denunzieren. Verdächtige wurden gefangen genommen und angeklagt. In dem
sich anschließenden Prozeß waren die Angeklagten ihren Richtern schutzlos
ausgeliefert. Ein Verteidiger war nicht zugelassen. Zeugen und Denunzianten bekamen
die Angeklagten nicht zu Gesicht. Papst Innozenz IV. erlaubte 1252 gegen verdächtigte
Ketzer die Anwendung der Folter. Wer leugnete, wurde also mit Gewalt zu einem
Geständnis gezwungen. Wer sich schuldig bekannte, kam oft mit kirchlichen Strafen
davon. Dazu gehörten Gebete, Spenden an die Kirche, Fastenzeiten oder Wallfahrten. In
schweren Fällen konnte es allerdings auch zur Güterentziehung oder zur Auslieferung
des Angeklagten an die weltliche Gewalt kommen, wo ihm der Feuertod drohte.
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Einen unrühmlichen Höhepunkt fand die Ketzerverfolgung seit etwa der 2. Hälfte
des 15. Jahrhunderts mit der sog. „Heiligen Inquisition“ in Spanien. Sie wurde dort von
einem „Großinquisitor“ mit brutaler Grausamkeit betrieben. Noch der spanische König
Ferdinand VII. war ein strenger Befürworter der Inquisition und Folter. Nach seinem
Regierungsantritt im Jahre 1814 ließ er mit ungewöhnlicher Härte nicht nur angebliche
Ketzer, sondern auch seine politischen Gegner verfolgen. Der berühmte spanische Maler
Francisco José de Goya (1746-1828) hat in seinen Zeichnungen diese im Namen von
Moral und Religion begangenen Verbrechen eindrucksvoll dargestellt.
2. Entwicklung in Deutschland
a. Vormittelalterliche Entwicklungen: Wo kein Kläger ist, da ist kein Richter
Die ältere deutsch-germanische Rechtstradition kannte kein mit dem
Inquisitionsprozeß vergleichbares Verfahren. Verbrechen wurden vielmehr, wenn es
zwischen der verletzten Sippe und dem Straftäter zu keinem Vergleich (compositio)
kam, im Wege der Selbstjustiz, d.h. durch Rache und Fehde geahndet. In dem um 500
entstandenen fränkischen Stammesrecht, der Lex Salica, ist allerdings auch von einem
Verfahren vor dem Königsgericht die Rede. Dieses kam nur in Gang, wenn das Opfer
eines Verbrechens selbst oder ein Vertreter seiner Sippe Klage erhob. Die
Verbrechensverfolgung wurde also der privaten Initiative des Einzelnen überlassen. In
der rechtsgeschichtlichen Wissenschaft wird diese Art des Verfahrens im Gegensatz zu
dem von Amts wegen eingeleiteten Inquisitionsprozeß als „Akkusationsprozeß“
bezeichnet.
Daneben haben sich schon in der fränkischen Zeit unter dem Einfluß eines
starken Königtums Ansätze zu einer amtlichen Verbrechensverfolgung entwickelt. So
haben einige Herrscher dieser Epoche um das Jahr 800 sog. „Rügegeschworene“, d. h.
königliche Beamte eingesetzt, die eidlich verpflichtet wurden, Verbrecher zu verfolgen
und dingfest zu machen.
Diese Praxis hat sich jedoch nicht durchsetzen können. Sie hat trotz zaghafter
Ansätze in den Städten nicht zu einem mit dem kirchlichen Inquisitionsverfahren
vergleichbaren Strafprozeß geführt. Statt dessen galt weiterhin der Grundsatz: „Wo kein
Kläger ist, da ist kein Richter”, wie er noch in dem um 1220 entstandenen bekannten
deutschen Rechtsbuch des „Sachsenspiegels” zu finden ist.
b. Rezeption
Die entscheidende Wende zum Inquisitionsprozeß vollzog sich in Deutschland
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erst im 13. Jahrhundert mit der sog. Rezeption des römisch-kanonischen Rechts. Unter
dem Einfluß der Rezeption eroberte der ursprünglich für die Ketzerverfolgung gedachte
kirchliche Inquisitionsprozeß die deutsche Gerichtsbarkeit. Obwohl der
Inquisitionsprozeß ursprünglich für die Verfolgung schwerer Religionsdelikte – in
Deutschland rechneten vor allem Zauberei und Hexerei (crimina magiae) dazu –
gedacht war, wurde er bald ganz allgemein zum Vorbild für die Verfolgung und
Aburteilung strafrechtlicher Taten. Auf diese Weise trat an die Stelle des alten
deutschen Akkusationsprozesses der von den gelehrten Juristen bevorzugte kanonische
Inquisitionsprozeß.
Die Ursachen für diesen Wandel sind noch nicht in allen Einzelheiten erforscht.
Dazu bedürfte es eines tieferen Einblicks in die strafrechtliche Praxis des 12. und 13.
Jahrhunderts, den uns die bisher bekannten Quellen nicht geben. Es dürfte allerdings
sicher sein, daß die Gründe für den Wandel nicht allein juristischer, sondern
hauptsächlich kriminalpolitischer Natur waren. Denn mit dem überkommenen
Akkusationsprozeß, der die Einleitung eines Strafverfahrens in das private Ermessen
des Einzelnen stellte, war eine wirksame Bekämpfung des vor allem in den Städten
zunehmenden Verbrechertums nicht möglich.
So ist es nicht weiter verwunderlich, daß der Inquisitionsprozeß zuerst in den
Gesetzgebungen der Städte als verbindliches Verfahrensrecht eingeführt wurde. Das gilt
beispielsweise für das 1498 mit der Hilfe gelehrter Juristen zustandegekommene
Stadtrecht von Worms, die sog. „Wormser Reformation“. Als es zu Beginn des 16.
Jahrhunderts darum ging, ein Strafgesetzbuch für das gesamte Reich zu schaffen,
konnte man sich allerdings noch nicht ganz von dem überkommenen
Akkusationsverfahren lösen und normierte eine Mischform. Dementsprechend
bestimmte das berühmteste deutsche Strafgesetzbuch der älteren Zeit, die Peinliche
Halsgerichsordnung Kaiser Karls V. (Carolina) von 1532 einerseits, daß ein
Strafverfahren grundsätzlich nur durch eine private Klageerhebung eingeleitet werden
könne (Art. 11). War jedoch die Privatklage erhoben und der beschuldigte Straftäter
nicht geständig, konnte der Prozeß andererseits durch das Gericht von Amts wegen
unter Androhung der Folter weitergeführt werden (Art. 46).
Eberhard Schmidt hat die Ansicht vertreten, daß es sich bei dem Strafverfahren
der Carolina nur der „Einleitungsformel“ nach um ein Akkusationsverfahren gehandelt
habe. In der Sache hätte die Carolina den amtlich und öffentlich betriebenen
Inquisitionsprozeß geregelt. Denn nach Erhebung der Privatklage habe das Gericht von
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Amts wegen den Strafprozeß fortgeführt, ohne daß es „auf eine Mitwirkung des Klägers“
angekommen wäre. Schmidt hat daher von einem „verkappten Inquisitionsprozeß“
gesprochen.
Dieser Ansicht ist der Würzburger Rechtshistoriker Winfried Trusen mit
überzeugenden Argumenten entgegengetreten. Er hat zurecht darauf hingewiesen, daß
sich die Tätigkeit des Privatklägers keineswegs auf die Klageerhebung beschränkte.
Nach den Bestimmungen der Carolina war er vielmehr auch am weiteren Verfahren
beteiligt. Dementsprechend hatte er dem Gericht die Beweise für das angeblich
begangene Verbrechen zu liefern (Art. 11). Reichten diese nicht aus, mußte er die
Folter beantragen (Art. 45), deren Durchführung dann allerdings von Amts wegen
erfolgte. Trusen stimmt aber mit Eberhard Schmidt darin überein, daß in der Carolina
die Schwerpunkte vom Akkusationsverfahren in das Inquisitionsverfahren verlegt
wurden.
Die weitere Zukunft gehörte folglich dem Inquisitionsverfahren. Von ihm wurde
die Rechtsentwicklung des deutschen Strafverfahrensrechts bis in die Gegenwart
entscheidend bestimmt. Reste des alten Akkusationsverfahrens sind im geltenden
Strafprozeßrecht nur noch in der Gestalt des sog. „Privatklageverfahrens“ (§§ 374-394
StPO) erhalten geblieben. Danach können einfache Delikte wie Hausfriedensbruch,
Beleidigung oder Körperverletzung durch den Verletzten selbst mit einer Klage bzw.
Anklage verfolgt werden.
II. Grundsätze des Inquisitionsprozesses: Geständnis, Folter, Endlicher
Rechtstag
Was waren die allgemeinen Grundsätze des Inquisitionsprozesses? – Die Gerichte
wurden verpflichtet, Verbrechen zu ahnden sowie die Täter in einem Strafverfahren
anzuklagen und abzuurteilen (Offizialmaxime). Darüber hinaus wurde den Gerichten
auferlegt, den objektiven, also den wahren strafwürdigen Sachverhalt von Amts wegen
zu ermitteln (Untersuchungsmaxime).
Die Befolgung dieser beiden Prozeßmaximen setzte neue rationale Methoden bei
der Aufklärung und Feststellung des strafrechtlichen Tatherganges voraus. Tat-,
Wahrnehmungs- oder Wissenszeugen, der Augenscheinsbeweis oder die von Amts
wegen vorgenommene eidliche Einvernahme von Sachverständigen bildeten nunmehr
die maßgeblichen Beweismittel. Sie traten an sie Stelle der archaischen und irrationalen
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Beweismittel, zu denen insbesondere die Gottesurteile und der Reinigungseid gehörten.
Die Tataufklärung und Wahrheitserforschung erfolgte durch ein inquisitorisches
Vorverfahren. Im Mittelpunkt dieses Verfahrens stand die Befragung des Beschuldigten
und vor allem sein Geständnis. Das Geständnis galt als die „Königin der Beweise”
(regina probationum). Leugnete der Beschuldigte und gab es weder Tatzeugen noch
ausreichende Verdachtsmomente (Indizien), wurde das Geständnis wie in den
kirchlichen Ketzerprozessen mit einer „peinlichen Befragung“, d. h. mit der Folter
erzwungen. Die Folter war der problematischste Teil des Inquisitionsprozesses und
begleitete ihn wie ein trauriger Schatten. Die „peinliche Befragung“ fand ohne
Verteidiger des Beschuldigten unter Ausschluß der Öffentlichkeit in dunklen Kellern
hinter dicken Steinwänden statt. Zahlreiche dieser Folterkammern, aus denen die
Schmerzenschreie der Gequälten nicht nach außen dringen konnten, sind in
Deutschland – wie beispielsweise in Duderstadt oder Rothenburg o. d. T. – erhalten
geblieben und gehören heute zu den Attraktionen touristischer Besichtigungen.
Der Beschuldigte wurde frei gelassen, wenn er – und das kam sehr selten vor –
trotz der Folter kein Geständnis abgelegt hatte. Schloß das Vorverfahren mit einem
Geständnis ab, folgte der sog. „Endliche Rechtstag“. Hierbei handelte es sich um einen
der Abschreckung dienenden Schauprozeß, bei dem das Urteil förmlich verkündet
wurde, nachdem der Täter sein Geständnis öffentlich wiederholt hatte. Hatte er
genügend Mut, sein Geständnis auf dem „Endlichen Rechtstag“ zu widerrufen, nutzte
ihm das wenig. Denn in diesem Falle reichte das Zeugnis derjenigen Beamten zu einer
Verurteilung aus, die sein Geständnis auf der Folter gehört hatten und ihre
Wahrnehmung nun bestätigten.
Zunehmend wurde die Folter unbedenklich und unkontrolliert auch gegen solche
Personen angewendet, gegen die nur vage Verdachtsmomente bestanden, so z.B. wenn
jemand anonym denunziert worden war. Die Folter wurde außerdem dazu benutzt, um
von dem Beschuldigten Angaben über Anstifter, Helfer und Mittäter zu erpressen. In
einigen Städten hatte die Folter bereits im 13. Jahrhundert ein derart schreckliches
Ausmaß erreicht, daß sie das Wiener Stadtrecht nur noch dann zulassen wollte, wenn
jemand öffentlich vor Gericht von einen glaubwürdigen Zeugen beschuldigt wurde,
einen Straftat begangen zu haben. Gleichwohl breitete sich die Folter ungehemmt aus.
In den von der Kirche gebilligten Ketzer- und Hexenprozessen erreichte sie einen
traurigen Höhepunkt. Nach gesicherten Erkenntnissen sind damals Tausende
unschuldiger Menschen wegen Hexerei verfolgt, mit der Folter zu Geständnissen
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gezwungen und mit dem Feuertod bestraft worden.
Die Folter kam schließlich sogar dann noch zur Anwendung, wenn der Täter
durch sichere Beweise überführt war, aber gleichwohl das Verbrechen nicht gestehen
wollte. Insoweit wurde das Geständnis zu einer Art religiöser Beichte instrumentalisiert.
Es ist das Verdienst des schwedischen Rechtshistorikers Göran Inger, den
Zusammenhang zwischen religiöser Beichte und prozeßrechtlichem Geständnis in
seinem Werk „Das Geständnis in der schwedischen Prozeßrechtsgeschichte“ erforscht
zu haben.
III. Begrenzung und Abschaffung der Folter
Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts wurde im Inquisitionsprozeß die Folter
erheblich eingeschränkt. Nach dem Wormser Stadtrecht von 1498 sollte sie nur noch in
den Fällen zugelassen sein, in denen ausreichende Indizien gegen einen Beschuldigten
vorlagen. Besonders fortschrittlich wurde die Anwendung der Folter in der Peinlichen
Halsgerichtsordnung von 1532 (Carolina) geregelt. Dort wurden für nahezu jede Straftat
Indizien festgelegt, ohne deren Vorliegen die Folter nicht angewendet werden durfte.
Demgemäß sollte beispielsweise die Folter für einen des Mordes verdächtigten Täter
nur zulässig sein, wenn dieser zur Zeit des Mordes mit blutigen Kleidern oder Waffen in
der Nähe des Tatorts gesehen worden war oder wenn bei ihm Gegenstände des
Ermordeten gefunden worden waren oder wenn er solche Gegenstände zum Verkauf
angeboten hatte. Aber selbst dann sollte die Folter nur zur Anwendung kommen, wenn
es dem Beschuldigten nicht gelungen war, den Verdacht durch glaubwürdige
Gegenbeweise zu entkräften (Art. 33).
In der strafrechtlichen Praxis wurden jedoch die Regelungen der Carolina nur
halbherzig und häufig überhaupt nicht beachtet. Es mehrten sich daher die Stimmen,
die sich kritisch mit der Folter auseinandersetzten. Der Jurist Johannes Zanger
(1557-1607) setzte sich 1598 in seiner Abhandlung über die Folter (Tractatus de
quaestionibus seu torturis reorum) dafür ein, daß diese nur zur Anwendung kommen
sollte, wenn der Täter nicht auf einfacherem Wege – so z. B. durch zwei glaubwürdige
Zeugen – überführt werden könne. Ein anderer Jurist namens Antonius Matthäus
äußerte 1644 in seinem Werk „Über die Verbrechen“ (De criminibus) die Ansicht, daß
das durch die Folter erzwungene Geständnis kein sicheres Beweismittel sei. Trotz
Geständnis müsse dem Beschuldigten daher die Tat nachgewiesen werden. Wiederum
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andere, wie der wohl berühmteste deutsche Strafjurist des 17. Jahrhunderts Benedict
Carpzov (1595-1666), hielten zwar an dem Geständnis als notwendige
Urteilsvoraussetzung fest, mahnten aber zur Vorsicht bei der Anwendung der Folter. Sie
nannten Gründe, wie z.B. körperliche Schwäche, hohes Alter oder Schwangerschaft, die
von der Folter befreiten. Ein ohne Indizien erfoltertes Geständnis sollte unwirksam sein
und Regreßansprüche gegen den Richter begründen. Im übrigen hielt man die Folter
zunehmend für ein höchst zweifelhaftes und gefährliches Hilfsmittel zur
Wahrheitsfindung. Denn es gebe Beispiele genug, daß Unschuldige nur wegen der
unerträglichen Folterschmerzen ein Geständnis abgelegt hätten. So berichtet ein
Gefolterter in einem durch Quellen belegten Fall aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, er
sei so gequält und gemartert worden, daß er vor Schmerzen fast das Bewußtsein
verloren hätte. Deswegen könne er sich nicht mehr erinnern, ob er ein Geständnis
abgelegt hätte oder nicht.
Einer der schärfsten Gegner der Folter kam aus dem Lager der katholischen
Kirche. Es war der Jesuit Friedrich v. Spee, der in seiner 1631 anonym erschienenen
Schrift „Cautio criminalis contra sagas“ zu dem Ergebnis gekommen war, daß die
Folter nicht nur ein inhumanes, sondern auch ein ganz und gar unzuverlässiges Mittel
zur Erforschung der Wahrheit sei. So schreibt er: „Ich pflege mir darum oft zu sagen,
daß wir nicht allesamt Zauberer sind, hat nur den einen Grund, daß wir noch nicht mit
der Folter in Berührung gekommen sind. So hat sich neulich der Inquisitor eines
mächtigen Fürsten ... beim Trunk mit vollem Recht zu rühmen gewagt, und wenn der
Papst selbst ihm unter seine Hände und Folterwerkzeuge geriete, so würde er auch am
Ende gestehen, ein Hexenmeister zu sein“. Spee verlangte daher, daß ...“die Tortur
völlig abzuschaffen und nicht mehr anzuwenden ist“.
Die Mahnungen Spees und vieler anderer Gegner der Folter blieben jedoch noch
lange ungehört. Erst als der Rechtsprofessor Christian Thomasius aus Halle (1655-1728)
die Schrift Friedrich v. Spees wiederentdeckte, geriet die Abschaffung der Folter in
Sichtweite. Sie wurde alsbald von vielen Juristen der Aufklärungsepoche als ein Mittel
bezeichnet, daß weder mit der menschlichen Vernunft noch mit dem Naturgesetz zu
vereinbaren sei. Als der preußische König Friedrich der Große 1740 seine Regierung
antrat, verbot er die Anwendung der Folter. Eine Ausnahme sollte nur gelten, wenn es
sich um Verbrechen handelte, die – wie z.B. Hochverrat – staatsgefährdenden Charakter
hatten. Andere deutsche Staaten ließen allerdings weiterhin uneingeschränkt die Folter
zu. Noch in dem 1768 unter der österreichischen Kaiserin Maria Theresia (1717-1780)
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ergangenen Strafgesetzbuch (Constitutio Criminalis Theresiana) war die Anwendung
der Folter zugelassen und in allen Einzelheiten geregelt worden.
Erst mit den Reformgesetzgebungen gegen Ende des 18. und beginnenden 19.
Jahrhunderts wurde die Folter in allen deutschen Ländern endgültig verboten.
Dementsprechend hieß es in der Preußischen Kriminalordnung von 1805 in § 285: „Um
den Verdächtigen zum Geständnisse zu bringen, dürfen keine gewaltsamen Mittel, von
welcher Art sie auch sein mögen, angewandt werden“.
Bedenklich war allerdings, daß jetzt statt der Folter sog. „Lügenstrafen“
zugelassen wurden. Halsstarrige und verschlagene Verbrecher, so hieß es in der
Preußischen Kriminalordnung, die sich durch freche Lügen und Erdichtungen oder
durch verstocktes Leugnen oder gänzliches Schweigen der verdienten Strafe entziehen
wollen, können durch körperliche Strafen zur Aussage gezwungen werden. Auch wurde
dem Grundsatz der Unschuldsvermutung (in dubio pro reo, im Zweifel für den
Angeklagten) keine Bedeutung beigemessen. Waren daher die Beweise zur Überführung
eines Angeklagten nicht ausreichend, so konnte gegen ihn wie früher schon eine
Verdachtsstrafe verhängt werden.
War auch die Folter abgeschafft, so blieben doch die übrigen Grundelemente des
Inquisitionsprozesses weiter bestehen. Dazu gehörten die behördliche
Verbrechensverfolgung (Offizialmaxime), die amtliche Erforschung der materiellen
Wahrheit (Untersuchungsmaxime) durch einen von seinem Dienstherrn abhängigen
Richter, der zugleich auch der Ankläger war. Zu nennen sind hier außerdem die
fehlende Öffentlichkeit des Verfahrens und die weitgehend rechtlose Stellung des
Beschuldigten, der nicht Subjekt, sondern Objekt des Verfahrens war und für dessen
anwaltliche Vertretung nur unzureichend gesorgt wurde. In den von einer starken
Zentralgewalt beherrschten absoluten deutschen Staaten, in denen die Untertanen noch
keine Freiheitsrechte genossen, schien dieses schonungslose und rücksichtslose
Verfahren das einzig wirksame Mittel für die Verbrechensbekämpfung zu sein.
IV. Der reformierte Strafprozeß
Grundlegende Veränderungen des Inquisitionsprozesses vollzogen sich erst unter
dem Eindruck der großen französischen Revolution und zwar mit einer demokratischfreiheitliche Bewegung, die den Absolutismus bekämpfte und die Freiheit des einzelnen
Bürgers in den Mittelpunkt stellte. Es war die Zeit, in der die Forderungen nach
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Achtung der Menschenwürde und der Persönlichkeitswerte auch das strafrechtliche
Denken beeinflußten. Vor diesem Hintergrund erschien das auf subjektiver Willkür und
individuellem Ermessen beruhende Inquisitionsprinzip, das dem Beschuldigten
gegenüber der Staatsmacht keine ausreichenden Rechtsgarantien gewährte, nicht mehr
zeitgemäß. Folgt man Alexander Ignor, so sind für das strafrechtliche Umdenken
allerdings weniger die demokratisch-freiheitlichen Kräfte, sondern das spätestens seit
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende Spannungsverhältnis zwischen der
„Sicherheit des Staates“ einerseits und der „Freiheit des Bürgers“ andererseits
maßgebend gewesen. Zutreffend ist, daß bereits in diesem Zeitpunkt der
Inquisitionsprozeß in die Kritik geriet und seine Maximen in der einschlägigen
Reformliteratur diskutiert wurden. Es ist aber auch richtig – und das wird von Ignor
nicht bestritten – , daß es erst im 19. Jahrhundert zum entscheidenden Durchbruch
kommen konnte, als sich im Strafprozeß unter dem Einfluß des französischen Code d’
Instruction criminelle von 1808 und der freiheitlichen Ideen das Gewicht von der
„Sicherheit des Staates“ zur „Freiheit des Bürgers“ verschob.
Es waren die freiheitlich-demokratischen Kräfte, die nach französischem Vorbild
nicht nur Verfahrensöffentlichkeit und Mündlichkeit, sondern auch die Einführung einer
unabhängigen Anklagebehörde (Staatsanwaltschaft) forderten. Zusammen mit der
staatlichen Gewaltenteilung verlangte man den gesetzlichen und unabhängigen Richter.
Für alle schweren Strafsachen und politischen Vergehen sollten Schwurgerichte
eingerichtet werden. Die Geschworenen, die keine Berufsrichter waren, sollten in erster
Linie für eine Kontrolle der strafrechtlichen Staatsgewalt sorgen. Josef Anton
Mittermaier (1787-1867), einer der damals führenden und international anerkannten
liberalen Strafrechtler, war darüber hinaus der Ansicht, daß in den Strafverfahren
zwischen dem Ankläger und dem Angeklagten „Waffengleichheit“ bestehen müsse. Die
Verteidigungsrechte des Angeklagten sollten also hinter den Strafverfolgungsrechten
der Staatsanwaltschaft nicht zurückstehen. Dazu gehörte es, daß dem Angeklagten
rechtliches Gehör und ausreichend Gelegenheit zu seiner Verteidigung durch einen
Strafverteidiger gegeben wurde. Der Angeklagte sollte zudem das Recht haben, zu
seiner Entlastung Beweisanträge zu stellen, denen der Richter, soweit er sie für
erheblich hielt, nachzugehen hatte. Niemand sollte wegen derselben Tat auf Grund der
allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden dürfen (ne bis in idem). Eine Tat
sollte im übrigen nur bestraft werden dürfen, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt
war, bevor das Verbrechen wurde (nulla poena sine lege). Natürlich sollten auch
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Verdachts- und Lügenstrafen nicht mehr zulässig sein.
Alle diese Grundsätze sind zunächst in der 1849 verabschiedeten „Verfassung des
Deutschen Reiches“ (sog. Paulskirchenverfassung) verankert worden. Obwohl diese
Verfassung mangels politischer Zentralgewalt nicht in Kraft treten konnte, gingen von
ihr Signale aus, die auch für das Strafprozeßrecht ihre Wirkungen nicht verfehlten. Als
nach dem Sieg über Frankreich 1871 das Deutsche Reich gegründet wurde und
einheitliche Gesetze für ganz Deutschland geschaffen werden mußten, gehörten auch
die Maximen eines reformierten Strafprozesses zum Kodifikationsprogramm. Sie
wurden nach vielen Diskussionen 1877 im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und in der
Strafprozeßordnung (StPO) verankert und traten zusammen mit den sog.
Reichsjustizgesetzen am 1. Oktober 1879 in Kraft.
Damit verfügte Deutschland über ein modernes Strafverfahrensrecht mit
menschlichem Antlitz, in dem das Bedürfnis des staatlichen Gemeinwesens nach Schutz
und Rechtssicherheit auf der einen Seite sowie die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte
des Bürgers auf der anderen Seite in ein vernünftiges Verhältnis gebracht worden
waren. Auch wenn das neue Strafverfahrensrecht schon bald nachgebessert werden
mußte, weil sich beispielsweise das Beweisantragsrecht des Angeklagten als Mittel zur
Prozeßverschleppung erwiesen hatte, bewährte es sich bis zur Machtergreifung der
Nationalsozialisten.
V. Inquisition und Nationalsozialistischer Staat
Das totalitär-polizeistaatliche System des nationalsozialistischen Staates
beseitigte die den Angeklagten schützenden Normen des liberalen Strafprozesses und
führte in die Praxis wiederum die schädlichen Elemente des alten Inquisitionsprozesses
ein. Denn, so wurde argumentiert, das vornationalsozialistische Strafprozeßrecht sei im
Interesse des Angeklagten zu dessen Schutz, aber sehr zum Schaden der Wahrheit, viel
zu weit gegangen. Der Staat sei durch das Prinzip der „Waffengleichheit“ auf die gleiche
Stufe mit dem Verbrecher gestellt worden. Der Strafprozeß müsse ein staatliches
Zwangsverfahren bleiben, in welchem sich der Beschuldigte als Untersuchungsobjekt
mit seinen Interessen denen der Allgemeinheit unterzuordnen habe. Man dürfe, so
erklärte der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler, den Täter
nicht zum Herren des Strafverfahrens, sondern müsse ihn zum Gegenstand der
strafrechtlichen Untersuchung machen.
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Solche und andere Thesen waren die Grundlage zur illegalen Wiedereinführung
von Folter und Geständniszwang. Die menschenunwürdigen Quälereien an den von der
nationalsozialistischen Polizei in Schutzhaft genommenen politisch verfolgten Personen
sind inzwischen zur genüge bekannt. Sie standen den mittelalterlichen Foltermethoden
nicht nach.
VI. Der Strafprozeß im demokratischen Rechtsstaat
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges schloß man wieder an die liberalen
Grundsätze des vornationalsozialistischen Strafprozeßrechts an. Eingedenk der
schlimmen Auswüchse in der NS-Diktatur und der grundgesetzlichen Verpflichtung zur
Wahrung des fundamentalen Rechts auf Menschenwürde stärkte der Gesetzgeber in
hohem Maße die Verteidigungsrechte des Beschuldigten. Dazu gehören u.a. das Recht
des Verteidigers zur Akteneinsicht, Möglichkeiten des Verteidigers zur mündlichen
Unterredung mit dem inhaftierten Beschuldigten (§§ 147 ff. StPO), das Beweisantragsrecht (§ § 136, 244 StPO) sowie eine umfassende Belehrungspflicht des
Beschuldigten über sein Aussageverweigerungsrecht (§§ 136, 163 a, 243 IV StPO).
Physischer und psychischer Zwang sind verboten. Der Beschuldigte darf daher, so
lautet § 136 a der Strafprozeßordnung, in der Freiheit seiner Willensentschließung und
in seiner Willensbetätigung nicht „durch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch
körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch
Täuschung oder Hypnose“ beeinträchtigt werden.
Trotz dieser Rechtsgarantien wird am deutschen Strafverfahren weiterhin Kritik
geübt. Wiederum wird das in § 244 II StPO normierte Beweisantragsrecht gerügt, weil
es nach wie vor von den Strafverteidigern ausgenutzt wird, um Prozesse zu
verschleppen. Kritisiert wird ferner die aus dem alten Inquisitionsprozeß erhalten
gebliebene Untersuchungsmaxime, d.h. das Prinzip der materiellen
Wahrheitserforschung. Ihre Gegner erinnern daran, welchen Verbrechen dieses Prinzip
in der deutschen Rechtsgeschichte gedient habe und meinen in diesem Zusammenhang
natürlich die Wahrheitsermittlung durch die Folter. Außerdem stellen sie die berechtigte
Frage, ob eine Ermittlung der materiellen, d. h. der objektiven Wahrheit überhaupt
möglich und von welchen Erkenntnisbedingungen sie abhängig ist. Es wird daher
empfohlen, das deutsche Strafverfahren nach dem Vorbild des angelsächsischen
Strafprozesses umzugestalten, das den Grundsatz einer amtlichen, von einem Richter
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Was wissen wir über den Inquisitionsprozeß ?
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durchgeführten Wahrheitsermittlung nicht kennt.
Nun ist dem deutschen Prozeßrecht diese Art der Wahrheitsermittlung
keineswegs fremd. Sie betrifft jedoch nur den Zivilprozeß. Dort gilt weder die
Offizialmaxime noch der strafrechtliche Untersuchungsgrundsatz, sondern die
Dispositions- und Verhandlungsmaxime. Letztere besagen, daß die Parteien über den
Beginn, den Verlauf und das Ende eines Verfahrens entscheiden können und nicht das
Gericht, sondern sie selbst für die tatsächlichen Urteilsgrundlagen zu sorgen haben. Das
Gericht darf daher – von Ausnahmen abgesehen – nur diejenigen Tatsachen seinem
Urteil zugrunde legen, die von den Parteien im Prozeß vorgebracht worden sind. Auch
sind für das Gericht – wiederum von bestimmten Ausnahmen abgesehen – nur
diejenigen Beweismittel maßgebend, die die Parteien angeboten haben. Das Gericht
kann daher nur solche Zeugen laden und vernehmen, die von den Parteien benannt
worden sind. Zwar sind die Parteien im Zivilprozeß dazu verpflichtet, „ihre Erklärungen
über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben“ (§ 138 I
ZPO). Der Richter hat zudem „Sorge zu tragen, daß die Sache erschöpfend erörtert“
wird (§ 136 III ZPO). Neuerdings muß er auch darauf hinwirken, „daß sich die Parteien
... rechtszeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären“ (§ 139 I ZPO),
ja, er kann sogar „die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch
Sachverständige anordnen“ (§ 144 ZPO). Trotz aller dieser richterlichen Befugnisse ist
der Zivilprozeß jedoch kein Verfahren, in dem wie im Strafverfahren der objektive und
wahre Sachverhalt – unter Umständen auch mit Hilfe der Polizei und Staatsanwaltschaft
– von Amts wegen ermittelt wird.
Nach meiner Einschätzung haben diese unterschiedlichen Prinzipien durchaus
ihre Berechtigung und sollten nicht geändert werden. Im Strafprozeß bedarf es der
Offizial- und Untersuchungsmaxime, weil es zu den elementaren Aufgaben des Staates
und nicht des einzelnen Bürgers gehört, Straftaten von Amts wegen zu verfolgen und
den wahren Sachverhalt einer Straftat zu ermitteln. Anderenfalls käme der
Rechtsfrieden in Gefahr, weil eine wirksame Verfolgung von Straftätern und ihre
gerechte Verurteilung nicht gewährleistet wäre.
Anders ist die Lage im Zivilprozeß. Hier geht es nicht um einen Strafanspruch
des Staates, sondern um vermögensrechtliche und andere Forderungen einzelner
Bürger. Ebenso wie die Bürger in eigener Verantwortung Rechtsverhältnisse gestalten
und Verträge schließen können, sollen sie über die daraus entstandenen Forderungen
und ihre Grundlagen in einem Prozeß frei disponieren können. Insoweit entspricht die
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同志社法学 58巻 6 号
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im Zivilrecht geltende Vertragsfreiheit in gewisser Weise der im Zivilprozeß
vorherrschenden Dispositions- und Verhandlungsmaxime.
Ausgewählte Literatur:
A. Erler, Inquisition, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler
und E. Kaufmann, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 370-375; H. Holzhauer, Geständnis, in: Handwörterbuch zur
deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann, Bd. 1, Berlin 1971, Sp.
1629-1642; A. Ignor, Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846. Von der Carolina Karls
V. bis zur Reform des Vormärz (=Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der GörresGesellschaft, Neue Folge , Bd. 97), Paderborn/München/Wien/Zürich 2002, besprochen von W. Sellert
in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 26. Jahrgang 2004 Nr. ¾, S. 297-299; G. Inger, Das
Geständnis in der schwedischen Prozeßrechtsgeschichte, Stockholm 1976; E. Kaufmann, Lügenstrafe,
in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann, Bd.
3, Berlin 1984, Sp. 98-99; Derselbe, Strafprozeß I (bis zur Carolina), in: Handwörterbuch zur
deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann, Bd. 4, Berlin 1990, Sp.
2030-2034; R. Lieberwirth, Folter, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg.
von A. Erler und E. Kaufmann, Bd. 1, Berlin 1971, Sp.1149-1152; K. Marxen, Strafprozeßordnung, in:
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann, Bd. 4,
Berlin 1990, Sp. 2039-2046; I. Müller, 100 Jahre Wahrheit und Gerechtigkeit, in: Kritische Justiz, Bd.
10, 1973, S. 11 ff.; H. Reynold, Der englische Strafprozeß, in: Deutsche Richterzeitung (DriZ), 1962, S.
74-80; G. Paulsen, Grundzüge des amerikanischen Strafprozesses, in: Zeitschrift für für die gesamte
Strafrechtswissenschaft (ZStW), Bd. 77, 1977, S. 637-668; A. Roth, Verdachtsstrafe, in:
Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann, Bd. 5,
Berlin 1997, Sp. 681-684; C. Roxin, Strafverfahrensrecht. Ein Studienbuch, 24. Auflage, München
1995, S. 496 ff.; W. Sellert, Friedrich Spee von Langenfeld – ein Streiter wider Hexenprozeß und
Folter, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), 1986, S. 1222-1229; Derselbe, Benedict CarpzovEin fanatischer Hexenverfolger?, in: Vom Unfug des Hexenprozesses, hrsg. Von H. Lehmann und O.
Ulbricht (=Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 55), Wiesbaden 1992, S. 325-340; Derselbe, Die
Bedeutung und Bewertung des Inquisitionsprinzips aus rechtshistorischer Sicht, in: Recht und Staat
im sozialen Wandel, hrsg. Von N. Achterberg, W. Krawitz und D. Wyduckel, Berlin 1983, S. 161-182;
Derselbe, Strafprozeß II (gemeiner, reformierter), in: Handwörterbuch zur deutschen
Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 2035-2039;
Derselbe, Nationalsozialistische Ideologie und der Versuch zu einer Reform des Strafprozeßrechts im
Dritten Reich, in: Justiz und Nationalsozialismus, Hannover 1985, S. 59-96; Derselbe, The Historical
Development in Germany of “Independence of Judge” and “Judge Determined by Law”, in: Nanjing
University Law Review, 1997, No. 1, S. 122-129; Derselbe, Ne bis in idem, in: Handwörterbuch zur
deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler und E. Kaufmann, Bd. 3, Berlin 1984, Sp.
940-943; Derselbe, Borgerlike, pinlike und misschede klage nach der Sachsenspiegelglosse des Johann
v. Buch, in: Überlieferung, Bewahrung und Gestaltung in der rechtsgeschichtlichen Forschung,
Festschrift für E. Kaufmann, hrsg. v. St. Buchholz, P. Mikat u. D. Werkmüller (= Rechts- und
Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, NF Bd. 69, 1993, S. 321-342; W.
Sellert - H. Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, W.
Sellert, Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Aufklärung. Aalen 1989, 108 ff., 205 ff., 263 ff., 377 f.; H.
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Was wissen wir über den Inquisitionsprozeß ?
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Schlosser, Inquisitionsprozeß, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von
A. Erler und E. Kaufmann, Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 378-382; E. Schmidt, Einführung in die Geschichte
der deutschen Strafrechtspflege, 3. Auflage, Göttingen 1965, S. 86 ff., 194 ff.; W. Trusen, Der
Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, in: Zeitschrift der Savigny
Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung, Bd. 105, 1988, S. 164 ff.; G. Wesener,
Prozeßmaximen, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), hrsg. von A. Erler und
E. Kaufmann, Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 55-62.
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