Ursachen bekämpfen!

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Luxemburger Wort
Montag, den 14. Dezember 2015
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Ursachen bekämpfen!
Das Flüchtlingsproblem stellt uns vor gewaltige Herausforderungen
VON MARCEL OBERWEIS *
Die aktuellen Flüchtlingsströme werden durch die dramatischen Entwicklungen u. a. in Afghanistan, in Libyen,
in Syrien, am Horn von Afrika und in
der Sahelzone hervorgerufen. Die
Vereinten Nationen schätzen, dass
derzeit etwa 60 Millionen Menschen
aus ihren angestammten Heimatregionen vertrieben wurden. Es sind vor
allem junge Menschen, die den beschwerlichen und oft gefahrvollen
Weg über das Mittelmeer resp. über
die Balkanroute antreten, um an die
Pforten der Europäischen Union anzuklopfen. Die Aufnahme, die Beherbergung sowie die Verpflegung verlangen von den 28 EU-Mitgliedsländern einen titanischen Kraftakt.
Die Linderung dieser Krise kann
nur dann eintreten, wenn die Ursachen der Flüchtlingswellen ergründet und bekämpft werden. Wenn der
ersehnte Frieden in den Krisenregionen eingetreten ist, dann müssen
unverzüglich umfangreiche Hilfsprogramme zum Aufbau von demokratischen Strukturen durchgeführt
werden. Den Menschen die Perspektiven auf ein besseres Leben aufzeichnen, ist das Gebot der Stunde.
Die reichen Industrie- und die
Schwellenländer kommen nicht umhin, ihre Außenpolitik, ihre Handelspolitik und ihre nicht nachhaltige
Energieversorgung zu überdenken
sowie die Entwicklungszusammenarbeit kohärent abzustimmen. Kriege
und die absolute Armut sind die
Hauptursachen der aktuellen Krise.
Auch die globalen Unterschiede im
Wohlstand führen dazu, dass die Zahl
der Migranten nicht abnimmt.
Ein weiteres negatives Phänomen
stellt die illegale Kapitalflucht dar. Der
ehemalige Präsident Südafrikas, Thabo Mbeki, bezifferte unlängst, dass
sich der jährliche Kapitalexport aus
Afrika auf 50 Milliarden US$ beziffert. Und diese Finanzmittel fehlen für
die Behebung der Massenarmut, den
Abbau der miserablen Infrastrukturen und lebenswerten Wohnungen,
den Bau von Schulen und Krankenhäusern. Anlässlich des UN-Sondergipfels in New York im vergangenen
September wurden die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele für die kommenden 15 Jahre verabschiedet. Die
Kernpunkte lauten: den Hunger in der
Welt ausradieren, jedem Menschen
das Recht auf Wasser garantieren und
den Zugang zur Schule ermöglichen.
Es kann doch niemand ernsthaft
glaubhaft machen, dass Menschen ihre Heimat freiwillig verlassen, wenn
dort Frieden und Wohlstand herrschen. Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen und dem Bevölkerungswachstum lassen sich der
Klimawandel, die prekäre Wasserversorgung & Ernährungslage, die
Verringerung der landwirtschaftlichen Flächen, die fehlenden Infrastrukturen und die Energieversorgung als weitere Ursachen ausmachen. Im Folgenden werden drei Ursachen näher beleuchtet.
Ernährungslage
Die Armut und der Hunger, die Umweltzerstörung und die undemokratische Regierungsführung in vielen
Ländern zwingen die Menschen zur
Landflucht, vor allem in den Ländern
südlich der Sahara – laut den Angaben der Vereinten Nationen. Es darf
Eine Flüchtlingsfamilie überquert die griechisch-mazedonische Grenze.
keineswegs verschwiegen werden,
dass die Weltbank und der Internationale Währungsfonds die Armut in
den Entwicklungsländern durch ihre
aufgezwungenen strukturellen Anpassungsprogramme während der
vergangenen Jahrzehnte eher erhöht
als gelindert haben.
Wenn Erfolge ausgewiesen werden
sollen, dann nur durch die tatkräftige
Unterstützung der Familienbetriebe
und der kleinbäuerlichen Betriebe. Ihnen muss die Chance eingeräumt werden, Dienstleistungen und Produkte für
den lokalen und den regionalen Markt
anzubieten. Mit Hilfe der Mikrofinanz
sind bereits bemerkenswerte Resultate erzielt worden. Es kann jedoch nicht akzeptiert werden, dass
die reichen Länder durch den
massiven Export
ihrer Produkte in
die
Entwicklungsländer, bedingt durch höchst unfaire Zolltarife, die einheimischen
Preise unterbieten. Die Kleinbauern
müssen ihre Produkte teurer verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, sie können nicht mit den
niedrigen Weltmarktpreisen mithalten, sodass sich der Verarmungsprozess weiter erhöht.
„
ment „Down the Earth – der Boden
von dem wir leben“ kann man entnehmen, dass den Menschen vor 50
Jahren rechnerisch etwa 50 Ar Anbaufläche zur Verfügung standen, um
ihre Ernährung zu sichern: heute noch
etwa 25 Ar und nur noch 10 Ar im Jahr
2050. Es möge in Erinnerung gerufen
werden, dass jährlich 0,3 bis 0,5 Prozent der weltweit landwirtschaftlich
genutzten Flächen verloren gehen.
Die negativen Auswirkungen des Klimawandels, gekoppelt mit einer zunehmenden Verschlechterung der
Umweltbedingungen und der nicht
umweltverträglichen
Flächennutzung führen zu einer Verschlimmerung der sozioökonomischen
und gesundheitlichen Probleme.
Weitaus
schlimmer wirkt
sich die prekäre
Lage im Bereich
der Trinkwasserversorgung aus. Durch die anhaltenden Trockenzeiten wird das Trinkwasser zu einer äußerst gefragten Naturressource und regionale Streitigkeiten um das seltene Gut werden aufflammen. Die Menschen in den am
wenigsten entwickelten Ländern wird
es schwerfallen, sich an die Veränderungen anzupassen und die aufkommenden Schäden zu verringern u. a.
durch effizientere Bewässerungssysteme und Regenwasserspeicher. Die
Lebensgrundlagen von Hunderten
Millionen Menschen werden ohne ihr
Verschulden zunichte gemacht, die
sich anschließenden Wanderungen
werden wenig friedvoll ablaufen und
die Reichen im „Weltdorf“ werden
dies ebenfalls schmerzlich verspüren.
Derzeit sind
auf der Welt
60 Millionen Menschen
auf der Flucht.“
Klimawandel
In vielen Entwicklungsländern liegt
der Anteil der landwirtschaftlichen
Produktion bei 50 Prozent des Bruttoinlandproduktes, sodass der Klimawandel eine äußerst wichtige Bedeutung erhält. Vor allem sind Hunderte
Millionen Kleinbauern in den ländlichen Regionen von den Wetterextremen und den Änderungen der klimatischen Bedingungen betroffen.
Bedingt durch den Umstand, dass
mehr als 70 Prozent der in Afrika
landwirtschaftlich genutzten Fläche
stark degradiert und 66 Prozent des
Kontinentes als Ödland und Wüsten
eingestuft sind, wird der Klimawandel die Ernährungslage und die Wasserversorgung noch prekärer gestalten1. Die wachsende Bevölkerung in
Afrika von derzeit 1,1 Milliarden Menschen auf möglicherweise 4,4 Milliarden (Horizont 2 100) verschärft
diese Situation zusätzlich und erhöht
den Druck auf die Naturressourcen.
Dem kürzlich erschienenen Doku-
Landgrabbing
Bedingt durch die wachsende Weltbevölkerung schaffen viele Länder
u. a. China, Indien und Südkorea sowie die reichen Erdölförderstaaten es
nicht mehr, genügend Nahrungsmittel im eigenen Land herzustellen; sie
sind auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Ein Ausweg besteht nunmehr seit einigen Jahren im Ankauf
oder der langfristigen Pacht riesiger
ertragreicher Agrarflächen in den
Entwicklungsländern. Sie sichern die
Ernährung der eigenen Bevölkerung
auf Kosten der Ärmsten.
Insbesondere in den Ländern, in
(FOTO: AFP)
welchen weder das Parlament noch
die Zivilgesellschaft eine Kontrollfunktion ausüben, bereichern sich die
herrschenden Eliten durch die willkürliche Vergabe von Landkonzessionen. Laut den Unterlagen2 wurden
etwa 60 Millionen ha Agrarflächen in
den Entwicklungsländern zur landwirtschaftlichen Nutzung an ausländische Investoren im Jahr 2014 verkauft oder verpachtet. Die kleinbäuerlichen Familien müssen ohnmächtig zusehen, wie ihre überlieferte Sozialstruktur zerstört und das bereits
schwache ökologische Gleichgewicht schwer beschädigt werden.
In diesem Zusammenhang muss
erwähnt werden, dass Landgrabbing
das Menschenrecht auf die angemessene Ernährung schwer verletzt. Dieses Recht ist ein wichtiger Teil des
geltenden Völkerrechts und im Artikel 11 des Internationalen Paktes über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte aus dem Jahr 1966 verankert.
Friedensentwicklung
ist ein wichtiger Schlüssel
Angesichts dieser brisanten Entwicklung mit Bezug auf die Flüchtlingsströme können nur eine allumfassende Diplomatie und eine systematische Unterstützung aller friedensbereiten Kräfte zur Konfliktbeilegung
beitragen. Bedingt durch das steigende Ungleichgewicht zwischen den
armen und den reichen Menschen im
„Weltdorf“ muss dringend Sorge dafür getragen werden, die schlimmsten Konflikte einzudämmen. Würde
man die Finanzmittel, welche derzeit
für die kriegerischen Auseinandersetzungen verwendet werden, für eine gerechte Entwicklungszusammenarbeit einsetzen, dann käme die
Welt einem allumfassenden Frieden
etwas näher.
Dies könnte geschehen, wenn die
politisch Verantwortlichen die Kohärenz von Wirtschafts-, Außenpolitik und Entwicklungspolitik anstreben. Denn nur eine vernetzte Sicht
erlaubt die erfolgreiche Bekämpfung
der Fluchtursachen, verbessert die
Lebensqualität aller Menschen erheblich und lässt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft keimen.
* Der Autor ist CSV-Abgeordneter.
Literaturhinweise:
1
IPCC-Berichte 2014
2
Organisation Brot für die Welt
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