Alternativantrag zum Antrag nach § 37 GO.LT

Werbung
Landtag von Sachsen-Anhalt
Drucksache 6/3091
14.05.2014
Alternativantrag zum Antrag nach § 37 GO.LT
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum ZDFStaatsvertrag
Antrag Fraktion DIE LINKE – Drs. 6/3049
Der Landtag wolle beschließen:
Rundfunkstaatsverträge modernisieren: Staatlichen Einfluss begrenzen, Transparenz ermöglichen, Vielfalt fördern
Am 30. Mai 1991 unterzeichneten die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen den MDR-Staatsvertrag. Mit Gesetz vom 26. Juni 1991 hat der Landtag von
Sachsen-Anhalt dem Abschluss des Staatsvertrags entsprechend Artikel 69 Absatz 2
der Landesverfassung zugestimmt.
Seit knapp einem Vierteljahrhundert ist der Staatsvertrag unverändert in Kraft. Er ist
seither nie an die veränderten gesellschaftlichen Bedürfnisse und Erkenntnisse angepasst worden. Dabei hat sich seit Inkrafttreten des Vertrages vieles gewandelt. Die
Menschen in Sachsen-Anhalt sind und leben vielfältiger. Zunehmend mehr Menschen mit Migrationshintergrund entscheiden sich für Sachsen-Anhalt. Menschen,
die zu uns kommen, bringen dabei ihre Kultur und ihre Religion mit. Zudem hat das
Bewusstsein der Menschen im Umgang mit Medien zugenommen. Das gewachsene
Demokratiebewusstsein und die Emanzipation hin zu einer Bürger/innen- und Zivilgesellschaft spiegeln sich auch in der Erwartungshaltung gegenüber dem öffentlichrechtlichen Rundfunk wider. Die Menschen wünschen sich ein Programmangebot,
das vielfältig und unabhängig von staatlicher Einflussnahme ist. Sie wünschen sich
einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht wird und einer modernen sowie zeitgemäßen Unternehmensführung entspricht.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist vor diesem Hintergrund zukunftsweisend und muss unverzüglich umgesetzt werden.
1. Der Landtag begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum ZDFStaatsvertrag hinsichtlich der konsequenten Begrenzung des Einflusses der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, zur Sicherung der eigenständigen Aufgabenwahrnehmung der Mitglieder durch Absicherung ihrer persönlichen Rechtsstellung sowie
zur Gewährleistung von Transparenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk;
(Ausgegeben am 14.05.2014)
2
2. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, unverzüglich Vertragsverhandlungen
mit den Ländern zur Neufassung des ZDF-Staatsvertrags sowie mit den mitteldeutschen Bundesländern zur Neufassung des MDR-Staatsvertrages aufzunehmen, um die Entscheidung der Bundesverfassungsgerichts umzusetzen;
3. Die Landesregierung soll bei ihren Vertragsverhandlungen zur Neufassung des
ZDF- und MDR-Staatsvertrages dafür Sorge tragen, dass Regelungen in den neuen Staatsverträgen zu folgenden Punkten getroffen werden:
- Der Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien
der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist konsequent zu begrenzen. Ihr
Anteil darf zusammen ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des Gremiums nicht
übersteigen und soll der Sicherung von gesellschaftlicher Vielfalt Rechnung tragen.
- Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes und der Länder, des
Europäischen Parlaments und der Regierungen des Bundes oder eines der Länder können einem Aufsichtsgremium nicht angehören.
- Außerhalb der erlaubten Anzahl der staatlichen und staatsnahen Mitglieder ist
die Zusammensetzung konsequent staatsfern zu gestalten. Regierungsmitglieder
und sonstige Vertreterinnen und Vertreter der Exekutive dürfen auf die Auswahl
und Bestellung der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben.
Zudem müssen die Regelungen zur Auswahl und Bestellung der staatsfernen
Mitglieder sich am Ziel der Vielfaltsicherung ausrichten.
- Für die staatsfernen Mitglieder ist eine wirksame Inkompatibilitätsregelung zu
schaffen, die ihre Staatsferne in persönlicher Hinsicht gewährleistet.
- Für ehemalige politische Amtsträgerinnen und Amtsträger ist eine Karenzzeit zu
statuieren, nach deren Ablauf diese erst als staatsferne Mitglieder bestellt werden können.
- Zur Sicherstellung der eigenständigen Aufgabenwahrnehmung der Mitglieder der
Aufsichtsgremien durch Absicherung ihrer persönlichen Rechtsstellung dürfen sie
nur aus wichtigem Grund abberufen werden.
- Die Arbeit der Aufsichtsgremien ist transparenter zu gestalten, wobei ein Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Öffentlichkeit und ggf. vorhandenen Vertraulichkeitserfordernissen herzustellen ist. Hierzu ist insbesondere für die Arbeit der
Gremien der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit zu gewährleisten. Die Organisationsstruktur, die Zusammensetzung der Gremien und Ausschüsse, die anstehende Tagesordnung, die Sitzungsprotokolle sowie der Gegenstand und die Ergebnisse der Beratungen sind zumindest dem Grundsatz nach zu veröffentlichen. Ausnahmen können etwa bei Personalangelegenheiten und bei berechtigten Interessen Einzelner vorgesehen werden.
- Die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind zur Hälfte
mit Frauen zu besetzen.
3
4. Die Landesregierung wird aufgefordert, den Landtag frühzeitig und regelmäßig
über den Gang der Vertragsverhandlungen zu informieren. Der Landtag und die
Fraktionen sollen so in die Lage versetzt werden, früh gegenüber der Landesregierung Empfehlungen für die weiteren Vertragsverhandlungen auszusprechen
und ggf. Bedenken zu äußern.
Begründung
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2014 zur Verfassungsmäßigkeit des ZDF-Staatsvertrages (1 BvF 1/11; 1 BvF 4/11) ist Anstoß auch
zur verfassungsmäßigen Überprüfung des MDR-Staatsvertrages. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen Vorgaben für die gesetzliche Gestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks formuliert. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Gemäß Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz wird die Freiheit der Berichterstattung durch
Rundfunk gewährleistet. Damit ist die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf die Sicherung von Vielfalt sowie, als deren Ausfluss, auf die Wahrung einer
hinreichenden Staatsferne verpflichtet.
Der Staat hat hinsichtlich der verfassungskonformen Gestaltung des Rundfunks eine
besondere Verantwortung. Der Rundfunk hat wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität
und seiner Suggestivkraft und die sich insbesondere daraus ergibt, dass Inhalte mittels Ton, Text und Bilder schnell, sogar zeitgleich, übertragen werden können, eine
herausragende Bedeutung.
Der Staat hat für die hinreichende Staatsferne beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk
zu sorgen. Mit dem Gebot der Staatsferne sind jedoch Regelungen nicht vereinbar,
die die staatlichen und staatsnahen Mitglieder in die Lage versetzen, als Gesamtheit
Entscheidungen allein durchzusetzen oder zu blockieren. Hinreichend ausgeschlossen ist ein bestimmender Einfluss in diesem Sinne nur dann, wenn der Anteil der
staatlichen und staatsnahen Mitglieder ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigt.
Wer staatlich oder staatsnah ist, bestimmt sich funktional. Maßgeblich ist dabei, ob
es sich um eine Person handelt, die staatlich-politische Entscheidungsmacht innehat
oder im Wettbewerb um ein hierauf gerichtetes öffentliches Amt oder Mandat steht
und insoweit in besonderer Weise auf die Zustimmung einer breiteren Öffentlichkeit
verwiesen ist. Zu den staatlichen oder staatsnahen Mitgliedern zählen auch Personen, die von politischen Parteien in die Aufsichtsgremien entsandt werden. Sie sind
maßgeblich auf die Besetzung von staatlichen Ämtern ausgerichtet und haben die
Aufgabe verschiedene Positionen zu aggregieren und in Konkurrenz zueinander die
staatliche Willensbildung vorzubereiten und diese zu vermitteln.
Der Staat muss innerhalb der staatlichen und staatsnahen Mitglieder der Vielfaltsicherung Rechnung tragen. Hierzu gehört, dass die verschiedenen politischen Strömungen auch im Sinne parteipolitischer Brechungen möglichst vielfältig Abbildung
finden. Auch hinsichtlich der staatsfernen Mitglieder ist die Zusammensetzung der
Aufsichtsgremien konsequent staatsfern auszugestalten und muss sich zudem am
Ziel der Vielfaltsicherung ausrichten. Regierungsmitglieder und sonstige Vertreterin-
4
nen und Vertreter der Exekutive dürfen auf die Auswahl und Bestellung der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben. Den Gefahren einer Dominanz von Mehrheitsperspektiven und einer Versteinerung der Zusammensetzung der
Gremien entgegenzuwirken.
Das Bundesverfassungsgericht hat zudem ausdrücklich die Implementierung einer
gesetzlichen Inkompatibilitätsregelung gefordert, wonach für staatsferne Mitglieder
ihre Staatsferne auch in persönlicher Hinsicht sichergestellt ist. Denn allein die Tatsache, dass eine Person von einer gesellschaftlichen Gruppierung entsandt worden
ist, bewahrt nicht hinreichend davor, dass sie durch ihre persönliche Einbindung im
Übrigen nicht doch als staatsnaher politischer Akteur handelt. Unter die Inkompatibilitätsregelung müssen auch solche Personen fallen, die in herausgehobener Funktion
für eine politische Partei Verantwortung tragen. Denn wer in herausgehobener Funktion Verantwortung trägt, ist hierdurch unweigerlich in staatlich-politische Entscheidungszusammenhänge und den Wettbewerb um Amt und Mandat eingebunden.
Zu begrüßen ist insoweit auch der Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts, eine
Karenzzeit für politische Amtsträger zu statuierten, nach deren Ablauf diese erst als
staatsferne Mitglieder bestellt werden können. In Anlehnung an die Karenzzeitforderung für ehemalige Mitglieder der Landesregierung durch Regelung im Ministergesetz (Drs. 6/2839) ist es denkbar, eine Karenzzeit für einen Zeitraum von mindestens
drei Monaten und höchstens zwei Jahren nach Beendigung des politischen Amtes
einzuführen.
Darüber hinaus ist es von Verfassungswegen zwingend, gesetzliche Transparenzregeln zu schaffen, um dafür zu sorgen, dass in den Gremien ein Ausgleich zwischen
dem Grundsatz der Öffentlichkeit und dem Vertraulichkeitserfordernis einer sachangemessenen Gremienarbeit hergestellt wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich ausführlich zur Verfassungswidrigkeit des
ZDF-Staatsvertrages eingelassen und den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum
30. Juni 2015 eine verfassungsfeste Neuregelung zu treffen. Eine Prüfung des MDRStaatsvertrages nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts zum ZDF-Staatsvertrag legt offen, dass hinsichtlich der Herstellung einer
verfassungskonformen Rechtslage dringender Handlungsbedarf besteht. Es bietet
sich daher an, gemeinsam mit dem ZDF-Staatsvertrag auch den MDR-Staatsvertrag
neu zu regeln.
Prof. Dr. Claudia Dalbert
Fraktionsvorsitzende
Herunterladen