Aurum-Metallurgie IX

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GRUNDZÜGE DER METALLURGIE
FÜR GOLDSCHMIEDE — IX
METALLURGISCHE KENNTNISSE - EIN VORTEIL FÜR DIE PRAXIS
MARK F. GRIMWADE
In der letzten Folge seiner Serie über die metallurgischen Grundlagen erklärt
Mark Grimwade, warum es für den Goldschmied von Nutzen sein kann, sich mit
Metallurgie zu befassen, und faßt kurz die wichtigsten Punkte zusammen,
die in früheren Artikeln behandelt worden sind.
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AURUM 8
Die Serie mit dem Titel Grundzüge
der Metallurgie für Goldschmiede
basiert auf den Vorlesungen über
Metallurgie für Gold- und Silberschmiede, die Mark F. Grimwade
regelmäßig an der Sir John Cass
School in London hält. Dieser Kurs
soll:
• den Gold- und Silberschmieden
dabei helfen, die physikalische,
chemische und metallurgische Natur
der Metalle und Legierungen zu
erkennen, mit denen sie arbeiten;
• das Verständnis für die Vorgänge
fördern, die sich bei der Be- und
Verarbeitung von Goldlegierungen
abspielen, und aufzeigen, warum
Metalle und Legierungen geglüht
werden müssen, wenn man ungünstige Eigenschaften vermeiden und
die Duktilität wiederherstellen will;
• begreiflich machen, wie durch
Legieren bestimmte Eigenschaften
des Goldes — Festigkeit, Duktilität,
chemische Beständigkeit, Farbe und
viele andere — beeinflußt werden,
und verdeutlichen, daß die Verbesserung dieser Eigenschaften durch
Gefügeänderungen bedingt ist;
• den Gold- und Silberschmieden
die Möglichkeit geben, die Ursachen
einiger der zahlreichen Fehler und
Unzulänglichkeiten zu erkennen,
die in Metallen beim Kaltverfestigen
oder Gießen auftreten können, so
daß es einfacher wird, Abhilfe zu
schaffen oder zumindest zu wissen,
wann die Beratung durch einen
Metallurgen angebracht ist.
Der wissenschaftliche Weg zum
Verständnis der Natur von Metallen und Legierungen und ihrer
chemischen, physikalischen, mechanischen und metallurgischen
Eigenschaften ist verhältnismäßig
neuen Ursprungs. Erst vor knapp
AUR UM
einhundert Jahren wurde das metallurgische Mikroskop erfunden, das
dem Menschen erstmals die Möglichkeit gab, die Mikrostruktur, das
"Gefüge" der Metalle, zu erforschen
und auf diese Weise die Wirkung
des Legierens auf den Aufbau und
die mechanischen Eigenschaften zu
erfassen.
Ebenfalls erst in diesem Jahrhundert erfand man die Röntgen-Diffraktionsanalyse und entwickelte
das Elektronenmikroskop, das uns
Einblick in die Anordnung der
Atome innerhalb eines Kristallgitters gibt und erkennen läßt, auf
welche Weise metallische Kristalle
— "Körner" — während der mechanischen Bearbeitung deformiert
werden. Auch die erfindungsreichen
Instrumente für die Messung einer
Vielzahl von physikalischen und
chemischen Eigenschaften der Metallen und Legierungen sind relativ
neuen Datums.
Heute kann der Goldschmied mit
Recht behaupten, daß sein Beruf in
praktischer Hinsicht seit mehr als
6000 Jahren hohe Anerkennung
genießt — nicht nur als Handwerk,
sondern auch deswegen, weil diese
Tätigkeit bei der Schaffung der
metallurgischen Grundlagen eine
sehr bedeutende Rolle gespielt hat.
Man braucht nur einen Blick auf die
außergewöhnlichen
und
phantasievollen Objekte zu werfen,
die frühere Zivilisationen wie etwa
die Sumerer, Ägypter, Etrusker
und die präkolumbischen Völker in
Süd- und Mittelamerika geschaffen
haben, um zu sehen, daß die
Goldschmiede früherer Zeiten
nicht nur ausgesprochen geschickte
Handwerker waren, sondern daß
sie auch ziemlich genau wußten,
wie sich ein Metall während des
Schmelzens, Legierens, Gießens und
Lötens verhält.
All das wird in den Schriften bestätigt, die der deutsche Mönch
Theophilus im 12. Jahrhundert und
der berühmte italienische Goldschmied Benvenuto Cellini verfaßt
haben. So kann sich der zeitgenössische Goldschmied berechtigterweise fragen, warum es angesichts
all der Kenntnisse und Erfahrungen,
die uns im Verlauf der Jahrhunderte
übermittelt worden sind, erforderlich oder vorteilhaft sein sollte, die
metallurgischen Grundlagen zu
studieren, die für die Verarbeitung
von Gold und Goldlegierungen
gelten.
Die praktischen Erfahrungen, die
man beim Umgang mit Metallen
zwangsläufig macht, sind ohne
Zweifel der beste Lehrer — erst
wenn alles schiefläuft, wenn Gußteile ein nicht mehr akzeptables
Maß an Porosität aufweisen, wenn
während der Bearbeitung Risse oder
Brüche auftreten, erkennt man unter
Umständen ohne einige metallurgische Grundkenntnisse die
wahre Natur des Problems und die
geeignete Lösung nicht mehr. Das
gilt besonders dann, wenn man an
den Einfluß der modernen Technologie auf das Schmuckgewerbe
denkt. Selbst bei der Fabrikation
im kleinen Maßstab — etwa wenn
hundert oder mehr Ringkörper in
einem Guß hergestellt werden —
greift man für die Wärmebehandlung und das Löten kleiner Artikel
auf die Vorteile von Schutzgasöfen
zurück, und mechanische Verfahren
lassen sich bei der Herstellung von
Halbzeugen wie Stangen, Drähten,
Rohren und Blechen ebenfalls nicht
mehr wegdenken. Unter diesen
Umständen ist es aus wirtschaft-
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liehen Gründen unumgänglich, etwaige Probleme möglichst schnell
zu lösen. Häufig ist ein Defekt metallurgischen Ursprungs, und da die
Edelmetalle
die
allgemeinen
Eigenschaften aller Metalle teilen,
können die Ursachen und die
Möglichkeiten, bestimmte Unzulänglichkeiten zu vermeiden, dem
Berufsmetallurgen durchaus bekannt
sein.
Die folgenden Beispiele stammen
aus meinem eigenen Erfahrungsbereich und könnten zeigen, daß
einige metallurgische Grundkenntnisse von großem Nutzen sind,
wenn man in der Werkstatt ein
praktisches Problem zu lösen hat.
Ringkörper, sondern direkt in die
Rückseite des Kastens einzufüllen.
• Fall 2:
Vor einiger Zeit berichtete man
mir über drei voneinander unabhängige Rißerscheinungen im Anschluß an die Fertigung von Artikeln aus 9karätigern Gold. Auch
hier war der Hersteller nicht in der
Lage, die Ursache des Problems zu
erkennen — es stellte sich heraus,
daß es sich um Spannungskorrosion
handelte (siehe auch "Grundzüge
der Metallurgie für Goldschmiede"
in AURUM 7). Abhilfe konnte in
diesen Fällen durch Wärmebehandlung derart geschaffen werden, daß
die Werkstücke von inneren Spannungen befreit wurden. Das läßt
sich bekanntlich entweder durch
• Fall l:
Ein Schmuckhersteller stand vor
dem Problem, daß eine bestimmte
Art Ring mit schönen Verzierungen 1
in Form von zahlreichen Granalien
aus einer massiven Goldlegierung
(Abb. 1) am Grund zwischen den
Kügelchen eine unansehnliche Grünfärbung zeigte. Er verstand weder
die Ursachen, noch hatte er eine
Vorstellung davon, wie das Problem
zu lösen wäre.
Eine oberflächliche Untersuchung
mit dem Vergrößerungsglas ließ
darauf schließen, daß in den
Vertiefungen gießtechnisch bedingte
Poren vorhanden waren. Nach dem
Zerschneiden des Rings und einer
eingehenden Untersuchung unter
dem Mikroskop zeigt sich, daß an
der Oberfläche der Vertiefungen
tatsächlich ein hoher Grad an
interdendrischer
Porosität
vorhanden war, was sich mit ungeeignetem Einfüllen der Schmelze
in die Gußform erklären läßt. Die
grüne Färbung war durch eingedrungene Reinigungsmittel bedingt,
die nach der Oberflächenbehandlung verwendet worden waren.
Dem Hersteller wurde empfohlen,
die Anordnung des Angusses zu
ändern. Die Lösung des Problems
bestand darin, die Schmelze nicht
über den verhältnismäßig dünnen
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vollständiges Glühen und anschließendes langsames Abkühlen oder
durch Spannungsfreiglühen bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen bewerkstelligen.
• Fall 3:
Gelegentlich erweist sich eine Legierung als außergewöhnlich spröde
und schlecht bearbeitbar. Man bezeichnet diese Erscheinung als Kaltsprödigkeit — die Ursache hierfür
kann darin liegen, daß die Legierung unerwünschte Verunreinigungen enthält. Ich konnte nachweisen, daß bereits 0,02 Prozent Blei
in 9- und l8 karätigen Legierungen
deren Bearbeitbarkeit drastisch
verschlechtern. Ähnliche Erscheinungen sind in der Nullausgabe von
AURUM (Abb. 2) behandelt
worden.
Zusammenfassung des Inhalts
der Serie "Grundlagen der
Metallurgie für Goldschmiede"
Für Leser, die nicht über sämtliche
AURUM-Ausgaben verfügen, sei
hier eine kurze Zusammenfassung
der hier behandelten Themen
angeführt.
• Teil l:
Die Natur der Metalle und ihrer
Legierungen
Die Eigenschaften reiner Metalle, ihre
Kristallstruktur, Schmelzpunkte; das
Entstehen von Legierungen, deren
Gefüge und Verhalten beim Schmelzen und Erstarren. Erstarrungs-Kennlinien. AURUM Nullausgabe.*
Abb. 1 Darstellung eines massiven Rings
und eines Schnitts. Der Ring wies in den
Vertiefungen zwischen den Granalien eine
unansehnliche grüne Färbung auf. Diese
Erscheinung war darauf zurückzuführen,
daß der Ring an dieser Stelle infolge eines
falsch angeordneten Angusses Poren
aufwies, die sich mit Reinigungsflüssigkeit
zugesetzt hatten. Abhilfe konnte damit
geschaffen werden, daß man den Anguß
direkt an den Ringkasten setzte.
AU RUM
• Teil II:
Legierungen und Phasendiagramme
Einführung zu den einfachen Zustandsdiagrammen, deren Erstellung
und Anwendung bei der Beschreibung
von Legierungen; Beispiele für binäre
Gold-, Kupfer- und Silber-KupferLegierungen und das ternäre GoldSilber-Kupfer-System. AURUM 1.
• Teil III:
Das Erstarren von Metallschmelzen
Die Entstehung von Kristallisationskernen und das Kornwachstum während des Erstarrens einer Schmelze;
Kornstruktur und Korngröße; das
Erstarren eines Metalls in einer Form;
die Schwindung beim Gießen. AURUM
2.
• Teil IV:
Schmelzen, Legieren und Gießen
Die Praxis des Schmelzern, Legierens
und Gießens und die erforderlichen
Vorsichtsmaßnahmen; Beschreibung
der üblichen Gußfehler, deren Ursachen und geeignete Gegenmaßnahmen.
AURUM 3.
• Teil V:
Spanlose Verarbeitung und Glühen
Der Einfluß der Kaltverfestigung und
des anschließenden Glühens auf Struktur
und Eigenschaften von Metallen;
Einführung in die einfache Dislokationstheorie, die die Wirkung von
mechanischen Deformationen auf die
Metalle und die Ursachen für übermäßige Verfestigung und Risse erklärt;
Abb. 2 Diese Mikrofotografie zeigt den
Einfluß geringster Bleiverunreinigungen in
Goldlegierungen.
a) Ein 1,5 mm dicker Draht aus 18karätigem Gold wurde in einer Zugmaschine
bis zum Bruch gedehnt. Die Textur der
Bruchfläche ist typisch für eine
verunreinigungsfreie Legierung.
b) Derselbe Test wurde mit einem ähnlichen Draht durchgeführt, der in diesem
Fall aus einer 18karätigen Goldlegierung mit
0,02 Prozent Bleizusatz bestand. Die
Aufnahm e zeigt, daß der Bruch an den
Korngrenzen auftrat. Diese Aufnahmen sind
bereits im Rahmen des Art ik e ls
"Bleiverunreinigungen in Goldlegie rungen" von
Ch. J. Raub gezeigt worden (Nullausgabe von
A UR UM ) .
AURU M8
Rekristallisierung und Kornwachstum
während des Glühens und die einflußreichen Variablen. AURUM 4.
• Teil VI:
Mechanische Eigenschaften und
Prüfverfahren
Beschreibung der Methoden für die
Messung von Härte, Zugfestigkeit,
Bruchdehnung, Duktilität und Tiefzieheigenschaften (Erichsen-Tiefungsversuch); die Bedeutung der gemessenen Eigenschaften. AURUM 5.
• Teil VII:
Wärmebehandlung
Der Einfluß der Wärmebehandlung
auf die Eigenschaften von Metallen
und Legierungen; Ausscheidungshärten und Ordungsphänomene in Goldlegierungen; Öfen und die Anwendung
von Schutzgasen; Wärmebehandlung
von Stählen. AURUM 6.
• Teil VIII:
Umwelteinflüsse und
Goldlegierungen, Anlauf- und
Korrosionsbeständigkeit
Eine kurze Erklärung der Prinzipien
umwelttechnischer und chemischer
Einflüsse; die chemische Beständigkeit
von reinem Gold und seinen Legierungen; Korrosion und Anlaufen; die
Ursachen der Spannungskorrosion in 9und 14karätigen Goldlegierungen,
Gegenmaßnahmen; der Einfluß von
Quecksilber auf Gold. AURUM 7.
Danksagung
Ich möchte bei dieser Gelegenheit Herrn
Peter Gainsbury, Forschungsdirektor
der Worshipful Company of Goldsmiths
in London, und seinen Kollegen Brian
Taylor und Christopher Walton meinen
Dank dafür aussprechen, daß sie mich
mit der Metallurgie der Edelmetalle und
mit der Arbeit der Goldschmiede ver
traut gemacht haben. Ebenso danke ich
Herrn Pärn Taimsalu, Technischer Re
dakteur bei AURUM, für seine Unter
stützung bei der Ausarbeitung dieser
Artikelserie.
•
* Zahlreiche AURUM-Leser haben uns um
eine Kopie der AURUM-Nullausgabe gebeten,
um die Artikelserie von Mark F. Grimwade
vervollständigen zu können. Diese Ausgabe ist
leider seit langem vergriffen, und wir planen,
diese erste Folge der Reihe "Grundzüge der
Metallurgie für Goldschmiede" in einer der
nächsten AU RUM-Ausgaben zu wiederholen.
Mark F. Grimwade ist Metallurge mit
vielen Jahren Industrieerfahrung. Seit
1966 Dozent der Fachrichtung Metallurgie und Konstruktionswerkstoffe am
Sir John Cass College of Science and
Technology, heute Teil der City of London Polytechnic, ist M. Grimwade gegenwärtig Dozent für Fertigungsmetallurgie.
Im Jahre 1971 wurde M.F. Grimwade
von Peter Gainsbury, Forschungsdirektor
der Worshipful Company of Goldsmiths,
gebeten, einen Kurs mit 24 Vorlesungen
über die Grundlagen der Metallurgie für
Gold- und Silberschmiede zu organisieren, und kam auf diese Weise mit
der Metallurgie der Edelmetalle und der
Arbeit der Goldschmiede in Berührung.
Im Verlauf der letzten Jahre nahm
Mark Grimwade die Aufgabe wahr, den
Studenten der Fachrichtung "Silversmithing and Jewellery" an der Sir John
Cass School of Art, City of London
Polytechnic, Vorlesungen über Metallurgie zu halten.
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