Psychopharmaka und Sucht Roland Mader Pörtschach 27.6.2014 Psychopharmaka in der Suchtbehandlung • Entzugsbehandlung • Behandlung komorbider Erkrankungen • Medikamentenabhängigkeit Häufigkeit verschiedener Suchtformen in Österreich 25.000 Menschen - drogenabhängig 150.000 Menschen - arzneimittelabhängig 340.000 Menschen - alkoholabhängig 1.600.000 Menschen - nikotinabhängig ALKOHOL Alkohol Überwiegend konsumiertes Suchtmittel Alkoholabhängigkeit = schwerwiegendes gesundheitsund sozialpolitisches Problem Folgeerkrankungen mannigfaltig und schwer Somatisch (internistisch, neurologisch) Psychiatrisch Soziale / familiäre Folgen Epidemiologie ▪ es gibt in Österreich ca. 340.000 Alkohol-Kranke (Prävalenz) ▪ Tendenzen beim Alkoholkonsum: - „Akzeleration“ (Pubertät früher erste Erfahrungen mit Alk. früher) - „Emanzipation“ (Anzahl Frauen - Anzahl Männer ) - „Globalisierung“ (Alkoholkonsumkulturen verwischen sich (in EU)) ▪ Alkoholverbrauch pro Jahr und Kopf (2007): - alle ÖsterreicherInnen: 10,9 l Reinalkohol - 15 – 99-jährige: 12,9 l Reinalkohol 6,4 l aus Bier mit 5% 128 l Bier pro Kopf und Jahr 4,4 l aus Wein mit 11,5% 38 l Wein pro Kopf und Jahr Medikamentöse Entzugsbehandlung • So früh wie möglich beginnen • Ausreichende Dosierung • Ausschleichen der Medikation bis zum Sistieren der Entzugssymptome • Rechtzeitige Reduktion und rechtzeitiges Absetzen • Behandlung komorbider Störungen Benzodiazepine • Oxazepam (Praxiten®), Nitrazepam (Mogadon®), Diazepam (Gewacalm®, Valium®) • Individuelle Dosisanpassung, da individuelle Ausprägung der Entzugssymptomatik • Dosierungsanpassung in relativ kurzen Abständen nach unten oder oben • Absetzen so rasch wie möglich (Suchtgefahr!) • In der Regel oral, nur bei schweren Entzugssyndromen bzw. Delir, parenteral • Antidot: Flumazenil (Anexate®) i.v. Benzodiazepine - Vorteile • • • • • • Gesicherte Wirksamkeit Gute antiepileptische Wirkung Rascher Wirkungseintritt Hohe therapeutische Breite Möglichkeit einer parenteralen Gabe Möglichkeit der Kombination mit Neuroleptika (Alkoholdelir) Benzodiazepine - Nachteile • Hohes Suchtpotential • Lange Halbwertszeit einzelner Metabolite, dadurch schlechte Steuerbarkeit und Gefahr der Kumulation Komorbidität • Bezeichnet das überzufällig gemeinsame Auftreten von mehr als einer Störung bei einer Person • In der Therapie substanzabhängiger Personen hat das Vorliegen einer weiteren psychiatrischen Störung wesentlichen Einfluss auf die zu setzenden Behandlungsmaßnahmen • Kommt es nicht zu einer gleichzeitigen Behandlung ist ein Rückfall weitgehend vorprogrammiert • Gegenseitige Beeinflussung Komorbidität • 75% der Frauen und 53% der Männer in stationärer Behandlung weisen zumindest eine komorbide Störung auf • 32% Angststörung • 33% der Männer und 56% der Frauen schweres depressives Syndrom • 10% der Männer und 12% der Frauen hypomanische oder manische Episode Medikation bei Komorbidität • Vorsicht bei Verwendung von Medikamenten mit Suchtpotential • Viele Symptome sind unter Abstinenz reversibel (eventuell abwarten) • Manche Antidepressive bzw. Neuroleptika wirken delirogen und senken die Krampfschwelle Rückfallprophylaxe • DISULFIRAM (Antabus®), CALCIUMCARBAMID (Colme®): Aversionstherapie, Alkoholdehydrogenaseblocker, Äthanolmetabolit Azetaldehyd kann nicht abgebaut werden -> Vergiftung • ANTI-CRAVING-SUBSTANZEN: Acamprosat (Campral®), Naltrexon (Revia®) Reduktion des Alkoholkonsums • Nalmefen (Selincro®) • Opioidmodulator mit µ (Mü), δ (Delta) und κ (Kappa) Profil Antagonist am µ und δ Rezeptor, partieller Agonist am κ Rezeptor • Wird rasch resorbiert (0,5 – 3h), HWZ 13h Nalmefen Label • Indikation: Reduktion des Alkoholkonsums • Bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit, deren Alkoholkonsum sich auf einem hohen Risikoniveau befindet (>60g/Tag bei Männern und >40g/Tag bei Frauen) • Bei denen keine körperlichen Entzugserscheinungen vorliegen und • Für die keine sofortige Entgiftung erforderlich ist • Anwendung bei Bedarf, 1-2 Stunden vor dem geplanten Alkoholkonsum • In Verbindung mit kontinuierlicher psychosozialer Unterstützung Medikamentenabhängigkeit Ursachen der Medikamentenabhängigkeit • Soziale Entwicklung: Vorbildwirkung, familiäre Krisen u d Ko flikte, fehle de „I h-Stärku g“ • Psychosozialer Ausgleich: Arbeitsbelastung, Stress, strikte Zeit-Takt-Abhängigkeit, familiäre Belastungen • Multimorbidität: oft ältere Menschen, oft iatrogen • Persönlichkeitsstruktur: „Se satio -Seeker“, Hedonisten, Konfliktintoleranz • Eventuell körperliche Disposition (Vererbung?) • Abhängigkeitspotential der Substanz • Suche nach der jederzeit steuerbaren Befindlichkeit Medikamentenabhängigkeit Besonderheiten • Häufig: Low-Dose-Dependence • „Weiße Su ht“, dur h Ärzte u d Apotheker verordnet (Vertrauens-und Autoritätspersonen) • Werbung • Arzneimittelmissbrauch findet heimlich und verborgen statt, ist daher unspektakulär • Internethandel ! Medikamentenabhängigkeit Pseudonym • • • • „Rezeptierte Su ht“ „Stille Su ht“ „Weiße Su ht“ „Vor eh e,-Oberschicht,-oder Privatpatie te su ht“ Österreich • 150.000 Medikamentenabhängige • 30.000 stationäre Aufnahmen wegen Medikamentenzwischenfällen • 1600 bis 2400 Todesfälle pro Jahr • Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer • Gefährdung steigt mit dem Alter • Jede zehnte Frau über 70 Jahre konsumiert regelmäßig Benzodiazepine • Rund 10% aller Arzneimittel haben ein Suchtpotential Tablettensucht = Frauensucht ? • Drei Viertel aller Psychopharmaka werden an Frauen verschrieben • Frauen gehen häufiger zum Arzt als Männer • Meist „seku däre“ A hä gigkeit, Fraue leide häufiger unter Depressionen, Unruhe und Angst • Bei Essstörungen 90% Frauen -> Laxantien.. • Rollenbild der Frau (soziale Abhängigkeiten, Erziehungsarbeit, Anpassungsbereitschaft) • Fassade der Normalität kann länger aufrecht erhalten werden Sucht im Alter • Ein Drittel der über 70 Jährigen erhält psychotrope Substanzen • Werden oft über längere Zeit ohne weitere Indikationsüberprüfung verordnet • -> Medikamenteninteraktionen, Beeinträchtigung der Vigilanz, Blutdrucksenkung, Sturzgefahr, Koordinationsstörungen • Auch bei älteren Menschen kann Suchttherapie indiziiert sein • Ältere Menschen verlieren oft den Überblick in der Einnahme ihrer Medikamente Missbrauchte Medikamente • • • • • • • • • • • • Analgetika, Migränemittel, Lokalanästhetika Hypnotika, Tranquilizer Antitussiva Schnupfenmittel, Nasensprays Mittel gegen grippale Infekte Appetitzügler Diuretika, Laxanzien Psychostimulanzien Parkinson-Mittel Antidepressiva Antiepileptika Narkosemittel Psychopharmaka • Weltweit leidet jeder vierte Arztbesucher an einer psychischen Störung, vierthäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit • Psychopharmaka nur eine Option -> Psychotherapie, Entspannungstechniken.. • Viele Präparate haben unangenehme NW Viele haben hohes Suchtpotential !! • Sollten nur unter fachärztlicher Diagnostik und Beratung in einem umfassenden Behandlungskonzept eingesetzt werden • • • • • • • Tranquillanzien (Tranquilizer) und Sedativa Antidepressiva Neuroleptika Phasenprophylaktika Psychostimulanzien Antihistaminika Phytopharmaka Benzodiazepine • 96 : „Librium®“ , der erste Vetreter der „Benzos“ • Weltweit die mit Abstand am meisten verordneten Schlaf- und Beruhigungsmittel • Rasche und wirksame Behandlung von Unruhe, Angst und Schlafstörungen • Positive Wirkungen verleiten jedoch zur Dauereinnahme verbunden mit rascher Gewöhnung und ausgeprägten Entzugssymptomen beim Absetzen • Wirkung: anxiolytisch, sedierend, schlafanstossend, krampflösend und muskelrelaxierend Hwz • Je nach Wirkstoff Abbau über einige Stunden bis zu mehreren Tagen • Bei la ger HWZ „Hangover“ u d Ku ulatio bei kurzer HWZ subjektives Entzugsempfinden • Problem: Metaboliten ! • Ideal: Wirkstoffe ohne aktive Metaboliten, HWZ zwischen 15 und 25 Stunden Hwz und Metaboliten Wirkstoff Handelsname HWZ (h) Metabolit HWZ (h) Bromazepam Lexotanil® 10 - 20 Hydroxybromaz Kurz epam Clobazam Frisium® 12 – 60 Desmethylclob azam Clonazepam Rivotril® 30 – 40 Aminoclonazep Wirksam? am Diazepam Gewacalm® 20 – 40 Nordazepam Oxazepam 36 – 200 10 - 20 Flunitrazepam Rohypnol® 16 – 35 Aminoflunitraz epam ? Nitrazepam Mogadon® 15 – 38 - - Oxazepam Praxiten® 10 – 20 - - Triazolam Halcion® 2,5 - - 50 – 100 Langzeitkonsum • • • • • • • Gewöhnung und Abhängigkeit Wirkungsverlust oder Wirkumkehr Kognitive Störungen Sturzrisiko Verstärkung von Schlafapnoe Absetzen nur unter fachärztlicher Aufsicht Benzodiazepine werden nicht primär zu häufig sondern zu lange verordnet ! Abhängigkeit • Niedrigdosisabhängigkeit: „low-DoseDependence“, oft kei e Dosissteigerung doch auch Entzugssymptome beim Absetzen • Hochdosisabhängigkeit: Seltener, starke körperliche und psychische Abhängigkeit. Dosissteigerung, Persönlichkeitsveränderungen, schwere Entzugssymptome, schwieriger Entzug, starke Fixierung, Indikationserweiterung, Hei li hkeit, „Ärztehopping“, Rezeptfäls hu ge , meist bei Mehrfachabhängigen Entzugssyndrom • Alle Benzodiazepine führen bei längerfristiger Anwendung zu körperlicher und psychischer Abhängigkeit mit Entzugssymptomen beim Absetzen • Au h „No -Be zodiazepi e“ (Zolpidem..) können zu einer Abhängigkeit führen • Entzugssymptome über Wochen bis Monate • Vielfältiges Muster, schwer kalkulierbar • Schlafstörungen, Angst, Verstimmung, Muskelschmerzen, Zittern, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwitzen, Epileptische Anfälle, Psychosen Entzugsmedikation • Niemals Benzodiazepine schlagartig absetzen, langsam reduzieren! • Antikonvulsive Abschirmung (Cave: entzugsepileptischer Anfall) • Eventuell Zusatzmedikation: Sedierende Antidepressiva, sedierende Phytopharmaka, ev. Neuroleptika (senken die Krampfschwelle) • Unter stationären Bedingungen ev. Umstellung auf Barbiturat (Phenobarbital) Intervention durch Arzt und Apotheker • Apotheker erkennen bei der wiederholten Verschreibung die „kritis he “ Patie te u d kö e die I itiative zu E tzug ergreifen • Hausärzte sehen die Notwendigkeit einer Entzugsbehandlung oft nicht oder zu spät (Zeit!) • Beratungspflicht des Apothekers gegenüber Patienten UND Ärzten • Das pharmakologische Wissen und die Beratungskompetenz von Apothekern sollten mehr genützt werden • Apotheker erkennen Langzeitverschreibungen, kennen die Betroffenen oft schon langjährig, können in Abstimmung mit dem behandelndem Arzt gezielt tätig werden Psychostimulanzien • Anregend, antriebssteigernd, appetithemmend, verminderndes Schlafbedürfnis, Wohlgefühl bis euphorische Stimmung, subjektive Leistungssteigerung • Methylphenidat (Ritalin®, Concerta®): bei ADHS, hoher Stellenwert am Schwarzmarkt • Coffein in Arzneimittel (Thomapyrin®): kann zu körperlicher Abhängigkeit führen • Ephedrin (Wick MediNait®): Schnupfen, Asthma, kann zur Drogensynthese verwendet werden • Fenetyllin (Captagon®): Amphetamin Derivat, praktisch nicht mehr verfügbar • GHB (Alcover®): Zum Alkoholentzug, Narkolepsiebehandlung in niedriger Dosierung anregend, aphrodisierend, in höheren Dosen sedierend Fazit • Verantwortung liegt bei verschreibenden Ärzten, Kontrolle auch bei Apotheker und Pflegepersonal • Für Entzug nie zu spät • Häufig Low Dose Dependence • High Dose Dependence bedarf meist stationäre Behandlung Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit Prim. Dr. Roland Mader [email protected] www.api.or.at