Wirtschafts- und Sozialgeschichte „Wealth of Nations

Werbung
Wirtschafts- und Sozialgeschichte
„Wealth of Nations“ oder Wealth of Regions“.
Nationale versus regionale wirtschaftliche Entwicklung
Wirtschaftliche und demographische Entwicklung Frankreichs in der Zeit
von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Margit Roy, 2006
Inhaltsverzeichnis
1
2
3
Geographie und Staat ......................................................................................... 3
1.1
Geographische Lage .................................................................................... 3
1.2
Staatsterritorium und Verwaltungseinteilung ................................................ 4
1.2.1
Regionen ............................................................................................... 4
1.2.2
Departements........................................................................................ 5
1.2.3
Die überseeischen Gebiete ................................................................... 5
Die Bevölkerung .................................................................................................. 6
2.1
Die Bevölkerungsentwicklung seit 1750 ....................................................... 6
2.2
Die Wanderungen zwischen Frankreich und dem Ausland .......................... 7
2.3
Auswanderungen ......................................................................................... 8
2.4
Einwanderungen .......................................................................................... 9
2.5
Bilanz der Wanderungsbewegungen.......................................................... 10
2.6
Regionale Bevölkerungsverteilung ............................................................. 10
2.7
Geburten- und Sterberate .......................................................................... 13
Die Wirtschaft .................................................................................................... 14
3.1
Die Bedeutung der Industrie vor 1851 ........................................................ 14
3.2
Die Dynamik des Binnenmarktes ............................................................... 15
3.2.1
4
3.3
Die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft ......................................... 15
3.4
Aufbau der Industrie nach dem Ersten Weltkrieg ....................................... 18
3.5
Die geographische Verteilung der Industrien ............................................. 19
Entwicklung Frankreichs seit dem Zweiten Weltkrieg ........................................ 21
4.1
Zusammenbruch und Erneuerung .............................................................. 22
4.2
Die Vierte Republik 1946 – 1958 ................................................................ 23
4.2.1
4.3
5
Die allgemeinen Bewegungen vor 1850 .............................................. 15
Politische Instabilität und Krisen.......................................................... 23
Die Fünfte Republik (seit 1958) .................................................................. 23
Wirtschaftsentwicklung Frankreichs seit dem Zweiten Weltkrieg ...................... 24
5.1
Staat und Wirtschaft ................................................................................... 24
5.2
Planification ................................................................................................ 24
5.3
Die wirtschaftliche Entwicklung .................................................................. 25
1
6
Die Wirtschaftszweige ....................................................................................... 26
6.1
Landwirtschaft ............................................................................................ 26
6.2
Industrie ..................................................................................................... 28
6.3
Der Dienstleistungsbereich ........................................................................ 30
7
Regionale Wirtschaftsstruktur ............................................................................ 32
7.1
Paris – Provinz ........................................................................................... 32
7.2
Probleme des Südwestens ......................................................................... 33
8
Frankreichs Wirtschaft heute ............................................................................. 35
9
Zusammenfassung ............................................................................................ 36
10
Literaturliste ................................................................................................... 39
2
1 Geographie und Staat
Das französische Staatsgebiet (Mutterland) mit der Hauptstadt Paris umfasst
543.998 qkm und ist das größte Land in Westeuropa. In diesem Gebiet leben im
Jahr 2006 etwa 59,64 Millionen Menschen. Amtssprache ist Französisch. Es gibt
sprachliche Minderheiten, wie die okzitanische Sprache (Longue d’oc), welche von
der aquitanischen Küste bis zur italienischen Grenze verbreitet ist – sie wird jedoch
nur noch von wenigen Menschen gesprochen. Weitere sprachliche Minderheiten sind
die Bretonen (etwa 1 Mio. Menschen), die etwa 400 000 Flamen (um Dünkirchen in
Französisch-Flandern) sowie die 200 000 Katalanen im Roussillon und die etwa 100
000 Basken im äußersten Südwesten. Etwa 1 Mio. leben im deutschen
Sprachbereich (Elsass, Ostlothringen); die deutsche Sprache ist jedoch stark
zurückgedrängt. Etwa 1 Mio. Menschen sprechen Italienisch (Korsika, Gebiet um
Nizza).1
1.1 Geographische Lage
Frankreich grenzt im Norden an den Ärmelkanal, Im Nordosten an Belgien und
Luxemburg, im Osten an Deutschland, die Schweiz, Italien und Monaco. Im Süden
wird Frankreich vom Mittelmeer begrenzt, im Südwesten von Spanien und Andorra
und im Westen vom Atlantischen Ozean. Die Insel Korsika liegt im Mittelmeer
nördlich der italienischen Insel Sardinien. Die landschaftliche Vielfalt reicht von den
Bergmassiven der Alpen und Pyrenäen, den Flusstälern der Loire, Rhône und
Dordogne bis zur Côte d’Azur und den flacheren Regionen der Normandie und der
Atlantikküste.2
1
Peter-Matthias Gaede (Hrsg.), GEO Themenlexikon in 20 Bänden, Band 1: Unsere Erde. Länder, Völker,
Kulturen. Afghanistan bis Irak, Mannheim 2006, S. 323-333.
2
Ebd., S. 323.
3
1.2 Staatsterritorium und Verwaltungseinteilung
Frankreich ist nicht nur auf das „Mutterland“ in Europa beschränkt. Frankreich hat
aus seiner kolonialen Vergangenheit noch die Kontrolle über einige Überseegebiete,
darunter
sind
vier
Übersee-Departements
und
Überseeregionen.
In
den
Departements Guadeloupe, Martinique, Guyana und La Réunion gelten die gleichen
Gesetze wie im Mutterland.
Die weiteren Übersee-Gebiete, die Inseln Saint-Pierre-et-Miquelon und Wallis-etFutuna, Mayotte, Französisch Polynesien, Neukaledonien, die Terres Australes und
die französische Antarktis unterstehen dem „Überseeministerium“, dem „Ministre de
l’outre-mer“.3
1.2.1 Regionen
In den Jahren 1955/56 wurden 26 Regionen geschaffen, davon 22 im Mutterland und
vier in Übersee, welche 1982 den Status einer Gebietskörperschaft erhielten.4 Jede
der 22 Regionen in Frankreich hat durchschnittlich 2,47 Millionen Einwohner. Die
größte der Regionen
ist die Ile-de-France, der Pariser Großraum, mit über 10
Millionen Einwohnern. Die Region Korsika ist mit 250 000 Einwohnern die kleinste. In
der Region Ile-de-France leben etwa 20 % der französischen
Bevölkerung. Die
Wirtschaftsentwicklung dieser Region verlief sehr ungleichmäßig und führte zu einem
großen Wohlstandgefälle zwischen den Gemeinden des Pariser Großraums. Die
Region Korsika bekam im Rahmen der Dezentralisierungsgesetze mehr Autorität
bezüglich der Bereiche Umwelt, Kultur, Schulwesen, Wirtschaftsentwicklung und
Finanzen, um die kulturelle Identität der Insel zu schützen.5
Daneben gibt es die Regionen Alsace, Aquitaine, Auvergne, Bourgogne, Bretagne,
Centre, Champagne-Ardennes, Franche Comté, Languedoc-Roussillon, Limousin,
Lorraine, Midi-Pyrénées, Nord-Pas-de-Calais, Basse-Normandie, Haute-Normandie,
3
Günther Haensch/Hans J. Tümmers (Hrsg.), Frankreich. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, München 19983, S.
251f.
4
Stefan Grüner/Andreas Wirsching, Frankreich: Daten, Fakten, Dokumente, Tübingen – Basel 2003, S. 25.
5
Günther Haensch/Hans J. Tümmers (Hrsg.) Frankreich, S. 241f.
4
Pays de la Loire, Picardie, Poitou-Charentes, Provence-Alpes-Côte d’Azur und die
Region Rhône-Alpes.6
1.2.2 Departements
Die Regionen sind unterteilt in Departements. Es gibt 100 Departements, 4 davon in
Übersee. Durchschnittlich leben etwa 565 000 Einwohner in jedem Departement.
Nord in der Region Nord-Pas-de-Calais ist mit 2,5 Millionen Einwohnern das größte,
Lozère in der Region Languedoc-Roussillon mit 72 860 Einwohnern das kleinste
Departement. Auch bezüglich der Fläche gibt es größere Abweichungen.
Die
durchschnittliche Größe dieser Departements beträgt 5 666 qkm. Gironde in der
Region Aquitaine ist mit 10 000 qkm das größte und Paris mit 105 qkm das kleinste
Departement.7
1.2.3 Die überseeischen Gebiete
Wie bereits erwähnt, gibt es die vier überseeischen Departements (départements
d’outre-mer – DOM) Guadeloupe, Martinique, Guyane und La Réunion, die
gleichzeitig auch eine Region bilden. Weiters gibt es noch die überseeischen
Territorien (territoires d’outre-mer – TOM) Neukaledonien, Französisch-Polynesien,
Wallis und Futuna, die Terres australes et antarctiques, die u.a. die Kerguelen Inseln
beinhalten, die über eine größere Autonomie verfügen.
Beide haben sie den Status von Gebietskörperschaften, die von einem Ministre des
départements et territoires d’outre-mer verwaltet werden, und ihre Einwohner sind
französische Staatsbürger.8
6
Stefan Grüner/Andreas Wirsching, Frankreich: Daten, S. 25.
Günther Haensch/Hans J. Tümmers (Hrsg.), Frankreich, S. 236.
8
Ebd., S. 251f.
7
5
2 Die Bevölkerung
2.1 Die Bevölkerungsentwicklung seit 1750
Im Jahre 1750 lebten schätzungsweise 25 Millionen Menschen in Frankreich. Damit
war Frankreich das bevölkerungsreichste Land in West- und Mitteleuropa.
Deutschland und Italien hatten ein Drittel weniger Bevölkerung und in England lebten
sogar nur 9 Millionen Einwohner. Bis
zum Jahre 1850 wuchs die französische
Bevölkerung auf 37 Millionen Einwohner an. In den folgenden Jahrzehnten kam es
nahezu zu einem Stillstand in der Bevölkerungsentwicklung, sodass bis Ende des
Zweiten Weltkrieges die Bevölkerung auf nur 40 Millionen Menschen anstieg. Mit
dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Nachkriegszeit
Bevölkerungszahl sehr schnell. Die Zuwanderung von
wuchs auch die
ausländischen Arbeitern
verstärkte das Wachstum zusätzlich. Am 1. Januar 1996 wurden in Frankreich 58,3
Millionen Menschen registriert. Ein Vergleich mit der demographischen Entwicklung
von Großbritannien, Italien und Deutschland zeigt uns, dass Frankreich in der
Bevölkerungsentwicklung hinter diesen Ländern liegt. Großbritannien zählte im Jahr
1995 rund 58,6 Millionen, Italien 57, 3 Millionen und Deutschland 82 Millionen
Menschen.9
9
Ebd., S. 254f.
6
Die Bevölkerungsentwicklung Frankreichs im europäischen Vergleich:
Bevölkerungszahl in Millionen
Quelle: M. L. Lévy, La population de la France des années 80, Paris 1982, aktualisiert 1997.
2.2 Die Wanderungen zwischen Frankreich und dem Ausland
Die Wanderungsbewegungen zwischen Frankreich und dem Ausland waren im
Vergleich zu vielen anderen westeuropäischen Ländern
verschiedenartig.
Die
Auswanderungen nahmen nie das Ausmaß wie in den Ländern Großbritannien,
Skandinavien, Deutschland oder Italien an. Dies war wahrscheinlich eine Folge des
geringen Wachstums der französischen Bevölkerung. Auf der anderen Seite holte
man ausländische Arbeitskräfte in das Land, so dass die Einwanderung schon bald
ein bedeutendes Ausmaß annahm.10
10
Fernand Braudel/Ernet Labrousse (Hrsg.), Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich im Zeitalter der
Industrialisierung. 1789 – 1880, Band 1, Frankfurt am Main 1986, S. 155.
7
2.3 Auswanderungen
Aufgrund von unsicheren, unvollständigen und uneinheitlichen Quellen, ist es
schwierig eine genaue Beschreibung der französischen Auswanderungen zu
machen. Einige Ergebnisse sind indes relativ sicher. So weiß man, dass die Motive
der Auswanderer im 18. Jahrhundert völlig andere waren, als die der Emigranten
hundert Jahre später. Während des Ancien Régime verließen viele Menschen ihre
Heimat aus politischen oder religiösen Gründen oder auch um in einem der
Kolonieländer ihr Glück zu versuchen. Der Grund für die Auswanderungen im 19.
Jahrhundert war hingegen vor allem die schlechte Wirtschaft. Elend durch schlechte
Ernten und Arbeitslosigkeit veranlasste die Menschen ihr Land zu verlassen, um
woanders ein besseres Auskommen zu finden.
Nach dem Demographen Henri Bunle erreichte die Auswanderung pro Jahr folgende
Durchschnittszahlen:
1821 – 1830
2.500 Personen
1831 – 1840
14.000 Personen
1841 – 1850
26.000 Personen
1851 – 1860
25.000 Personen
1861 – 1870
18.000 Personen
1871 – 1880
35.000 Personen
1881 – 1890
47.000 Personen
Der Historiker Louis Chevalier kritisierte diese Zahlen, da sie ihm viel zu gering
erschienen.
Ungeachtet
dieser
Zweifel
steht
dennoch
fest,
dass
die
Auswanderungen niemals ein Ausmaß annahmen, das mit dem der Einwanderungen
vergleichbar war.11
11
Ebd., S. 155f.
8
2.4 Einwanderungen
Im 19. Jahrhundert gab es viele Faktoren, die Frankreich für
Arbeiter aus dem
Ausland attraktiv machten. Die Entwicklung der mechanisierten Großindustrie schuf
viele Arbeitsplätze die keiner Fachausbildung bedurften. Durch das geringe
Bevölkerungswachstum im Land konnten diese Arbeitsplätze nicht mit Einheimischen
besetzt werden. Die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs lockte Arbeiter aus dem
Ausland an.
Die Einwanderung hing vom Bedarf an Arbeitskräften ab. Besonders
seit der Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine verstärkte Einwanderung. In der
ersten Hälfte des Jahrhunderts kamen anscheinend wenige Ausländer in das Land.
Vorher war die industrielle Entwicklung relativ langsam vor sich gegangen und die
benötigten Arbeitskräfte wurden in den überbevölkerten ländlichen Gebieten in den
Klassen der armen Landbewohner gefunden. Bei der Volkszählung von 1851 wurden
die Ausländer zum ersten Mal gezählt. Von da an kann man die zunehmende Zahl
der in Frankreich lebenden Fremden verfolgen:
Absolute Zahl
Anteil an der Gesamtbevölkerung
1851
379.300
1,0 %
1861
506.400
1,3 %
1866
655.000
1,7 %
1872
741.000
2,0 %
1876
801.800
2,1 %
1881
1.001.100
2,6 %
1886
1.126.300
2,9 %
Die Steigerung war so stark, dass es 1886 dreimal so viele Ausländer gab wie 1851.
In diesem Zeitraum stieg die Zahl der Eingebürgerten von 13.000 im Jahr 1851 auf
104.000 im Jahr 1886 an. Wenn man die Eingebürgerten zu den Ausländern addiert,
ergibt das für das Jahr 1886 3,24 Prozent der Gesamtbevölkerung Frankreichs.
9
Aus welchen Gebieten kamen diese Einwanderer? Es wird angenommen, dass etwa
85 % der Einwanderer aus Belgien, Deutschland, Schweiz, Italien und Spanien
kamen.12
2.5 Bilanz der Wanderungsbewegungen
Überschüsse an Einwanderungen (+) oder Auswanderungen (-)
(absolute Zahlen in 1.000):
insgesamt
jährlicher
Anteil am Bevölkerungsanstieg
Durchschnitt
insgesamt
1801 – 1821
+ 171
+ 8,6
5,5 %
1821 – 1831
+ 288
+ 28,8
13,7 %
1831 – 1841
+ 272
+ 27,2
16,4 %
1841 – 1851
+ 90
+ 9,0
5,8 %
1851 – 1861
-
36
- 3,6
1861 – 1972
- 300
- 27,3
1872 – 1881
+ 422
+ 46,9
26,9 %
1881 – 1891
+ 133
+ 43,3
19,8 %
Folglich war die Einwanderung immer stärker als die Auswanderung, bis auf die
Periode von1851 bis 1872. Außerdem war die Zahl der Einwanderer weit höher als
die der Auswanderer. Aufgrund der schwachen Geburtenraten erscheint Frankreich
seit dieser Zeit als Einwanderungsland.13
2.6 Regionale Bevölkerungsverteilung
Im Jahre 1801 entsprach die Bevölkerungsdichte in den Departements derjenigen
am Ende des Ancien Régime. Am dichtesten bevölkert waren die Zonen nördlich
einer Linie Nantes - Méziéres, d.h. im wesentlichen in Flandern, in der Picardie,
12
13
Ebd., 156f.
Ebd., S. 160.
10
Normandie und die Bretagne, wobei die Küstengebiete an der Spitze lagen, dann im
Elsass, bis hin in den östlichen Teil Lothringens, und schließlich im Gebiet um Lyon.
Am schwächsten bewohnt waren die Gebiete östlich und südlich des Pariser
Beckens, einem Teil Burgunds, westliche Gebiete und das Becken nördlich von
Aquitanien. Weiters wiesen auch die Alpen, Korsika, die Pyrénées-Orientales, der
Aude und die Landes eine niedrige Bevölkerungsdichte auf.14
Gegen Ende des 20. Jahrhundert lebten in Frankreich auf 1qkm rund 106 Menschen.
In Deutschland waren es pro
qkm 228 Menschen. Die Bevölkerung ist jedoch
unregelmäßig über die Departements und Regionen verteilt, ebenso wie die
Industrie. In der Frühzeit der Industrialisierung bildeten sich regionale Schwerpunkte
der Wirtschaftstätigkeit, so genannte Wachstumspole, heraus.
In den Regionen Nord-Pas-de-Calais, Lorraine und Rhône-Alpes
entstanden
aufgrund von Kohle- und Eisenerzlager, sowie über das Vorhandensein von
Wasserkraft große Wirtschaftszentren der Eisen- und Stahlindustrie sowie auch der
Textilindustrie, in deren Umgebung sich dann weiterverarbeitende Industrien
ansiedelten. Diese neuen örtlich konzentrierten Wirtschaftszentren brauchten
Arbeitskräfte und lösten eine Binnenwanderung aus.15 Dadurch entstand eine große
Bevölkerungsdichte vor allem im Norden und Osten, im Pariser Raum und in der
Region Rhône-Alpes. Heute, 150 Jahre später, sind eine Vielzahl wirtschaftlicher
Subzentren und Verwaltungspole in Frankreich entstanden, die auf Zuwanderer noch
immer eine mehr oder weniger große Attraktivität ausüben. Diese Anziehungskraft
zeigt sich u.a. in der Höhe des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf der Bevölkerung.
14
15
Ebd., S. 161.
Günther Haensch/Hans J. Tümmers (Hrsg.), Frankreich, S. 264.
11
Verfügbares Bruttoeinkommen je Einwohner im Jahr 1992:
Quelle: INSEE, Tableaux de l’économie francaise 1996/97, S. 89.
Die
gegenwärtige
Bevölkerungsverteilung
regionalwirtschaftlichen
ist
Entwicklungsgeschichte,
ein
Resultat
aber
regionalcharakteristischer Sterbe- und Geburtenrate.
auch
der
das
ungleichen
Resultat
In der Bretagne und den
angrenzenden Regionen ist die verhältnismäßig hohe Bevölkerungsdichte vor allem
auf die ausgeprägte Geburtenfreudigkeit und weniger auf wirtschaftliche Gründe
zurückzuführen. Auch in Longuedoc-Roussillon und in der Provence-Côte d’Azur hat
die Bevölkerungsdichte weniger mit wirtschaftlicher Anziehungskraft, als vielmehr mit
besonderer Lebensqualität in diesen
landschaftlichen und klimatisch attraktiven
Gegenden zu tun.16 Besonders junge Menschen drücken mit ihrer Abwanderung aus
ihrem Wohnort Unzufriedenheit mit ihren dortigen Lebensperspektiven aus. Für
Pensionisten
spielt oft das Klima bei der Wahl ihres künftigen Wohnorts
vordergründig eine Rolle.17
16
17
Ebd., S. 266.
Ebd., S. 267.
12
2.7 Geburten- und Sterberate
Zwischen 1750 und 1800 lag die Sterberate noch bei 35 Todesfällen auf 1000
Personen der Wohnbevölkerung. Bis Ende des Zweiten Weltkriegs halbierte sich die
Sterblichkeitsrate durch medizinische Fortschritte und eine verbesserte Versorgung
der Bevölkerung. Heute gibt es etwa 10 Sterbefälle auf 1000 Personen im Jahr. Der
auffällige
Rückgang
der
Sterblichkeit
Kindersterblichkeit, die von 15 bis 20 %
Gegenwart gesunken ist.
liegt
vor
allem
im
Rückgang
der
im 19. Jahrhundert auf 1 % in der
Die Differenz aus Geburten- und Sterberate war bis zur
Mitte des 19. Jahrhunderts immer positiv, was zu einem stetigen Anstieg der
französischen Bevölkerung führte.18
Geburtenrate, Sterberate und Zahl der Eheschließungen in Frankreich seit 1750:
Quelle: La population francaise de A à Z, Séries longues, cahiers francaise nr 219, Jan.-Feb. 1985,
aktualisiert 1990.
Von 1850 bis nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar fast immer mehr Geburten
als Todesfälle, jedoch starben in den Jahren 1870/71 im deutsch-französischen Krieg
mehr Menschen als geboren wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die
Geburtenrate im Gegensatz zur abnehmenden Sterberate wieder zu. Die Folge war
ein hohes Bevölkerungswachstum. Während in der Mitte des 18. Jahrhunderts die
durchschnittliche Lebenserwartung eines Franzosen etwa 30 Jahre war, konnten die
Männer 1994 erwarten 74 Jahre und die Frauen über 82 Jahre alt zu werden. Durch
18
Ebd., S. 257.
13
den Rückgang der Geburtenziffern und die höhere Lebenserwartung der Menschen
verschiebt sich der Altersaufbau der Bevölkerung. Mitte des 18. Jahrhunderts waren
etwa 40 % der Gesamtbevölkerung unter 20 Jahre alt, heute sind das etwa nur noch
30 %. Währenddessen verdreifachte sich der Seniorenanteil von 5 % im Jahr 1750
auf heute etwa 15 %. Die vormals rasch anwachsende Bevölkerungszahl hatte von
der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg beinahe einen
Wachstumsstillstand und erreichte dann durch ein erneutes schnellen Anwachsen
danach,
jetzt ein Stadium mit einer niedrigeren Geburtenzahl, als dies für eine
dauerhafte beständige Bevölkerungszahl erforderlich wäre.19
3 Die Wirtschaft
3.1 Die Bedeutung der Industrie vor 1851
Während
Paris
bereits
durch
die
industrielle
Entwicklung
einen
hohen
Bevölkerungsanteil hatte, waren Le Havre, Le Mans, Dijon und die industriellen
Zentren im Norden und Osten noch kleine Provinzstädte. Außerhalb von Paris löste
die industrielle Entwicklung in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
kein starkes
plötzliches Bevölkerungswachstum aus. Die Industrie hatte damit bis zur Mitte des
Jahrhunderts weder eine tief greifende Veränderung in der Bevölkerungsverteilung,
noch ein massives städtisches Wachstum bewirkt. Der Grund dafür war, dass die
Textilindustrie die meisten Arbeitsplätze bot und nicht die Schwer-, Hütten- und
Metallindustrie. Diese waren weit verstreut, was erklärte, dass eher die ländlichen
Regionen eine höhere Bevölkerungsdichte hatten.20
19
20
Ebd., S. 258.
Ferdinand Braudel/Ernest Labrousse (Hrsg.), Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich, S. 168.
14
3.2 Die Dynamik des Binnenmarktes
3.2.1 Die allgemeinen Bewegungen vor 1850
Laut Maurice Lévy-Leboyer muss der nationale Verkehr im Jahr 1835 auf 2.760
Millionen Tonnenkilometer geschätzt werden. Davon wurden zwei Drittel auf dem
Landweg und ein Drittel auf dem Wasserweg transportiert. Für die Zeit von 1815 –
1835 gibt es keine Daten. Es ist aber anzunehmen, dass der Landtransport noch
viele Mängel aufwies und der Industrialisierungsprozess der Jahre 1820 – 1826
dadurch sehr erschwert wurde. Zwischen 1840 und 1851 kam es zu einer
beachtlichen Ausdehnung des Binnenverkehrs und folglich auch des Marktes. So
erhöhte sich der Güterverkehr auf dem Landweg gegenüber 1835 um 34,3 % auf
2.400 Millionen tkm. Auch auf den Wasserwegen stiegen die Transporte erheblich
an. Waren es 1849 noch 1.495 Millionen tkm, so waren es 1851 bereits 1.718 tkm.
Laut J. Gaspard hatten sich die Transporte auf dem Wasserweg somit seit dem
Ersten Kaiserreich verdreifacht. Diese Erhöhung ist im Zusammenhang mit dem
Aufschwung in der Dampfschifffahrt
zu sehen. Der Eisenbahnverkehr spielte in
dieser Zeit noch eine relativ kleine Rolle. Jedoch nahm er von 38 Millionen tkm im
Jahre 1841 auf 462 Millionen tkm 1851 zu. Damit würden 1862 die gesamten
Transporte zu Lande, zu Wasser und auf der Schiene 4.582 Millionen tkm betragen
haben, gegenüber 2.760 Millionen im Jahr 1835. Das würde eine Gesamterhöhung
von 60 % ergeben, was ein zuverlässiges Indiz für die Ausbreitung eines
Binnenmarktes ist.21
3.3 Die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft
Im 19. Jahrhundert war der Kohlemangel eine ernste Behinderung der industriellen
Entwicklung. Trotz der Erschließung des Kohlevorkommens in den nördlichen
Departements änderte sich die Lage nicht. Die Kohleförderung war schwierig, die
Qualität schlecht, sodass die Verwendbarkeit zur Koksherstellung beschränkt war.
Die Herstellungskosten waren im Vergleich zur deutschen oder englischen Kohle
21
Ebd., S. 220f.
15
sehr hoch. Bis zum Ersten Weltkrieg mussten ein Drittel des Gesamtkohleverbrauchs
und etwa die Hälfte des Koksbedarfs eingeführt werden. Von 1904 bis 1913 stieg die
Erzförderung von 7 Millionen auf 22 Tonnen an. Während Frankreich 1913
5
Millionen Tonnen Stahl produzierte, wurden in Großbritannien 7,5 Millionen und in
Deutschland 17 Millionen Tonnen Stahl hergestellt. Aufgrund des Fehlens von Kohle
und Koks musste ein großer Teil der Erzförderung exportiert werden, hauptsächlich
nach Deutschland. Die zur Koksherstellung bestens geeignete Ruhrkohle ist ein
komplementärer Grundstoff für die Erze, die im ehemaligen deutschen und
französischen Lothringen gefördert wurden. Die gegenseitige Ergänzung der beiden
Gebiete bildete vor dem Krieg die Grundlage der deutschen schwerindustriellen
Herstellung. Durch die Rückgabe Lothringens an Frankreich wurde dieses System
empfindlich gestört. Frankreich hatte in Voraussicht des Bedarfs an deutschem
Ruhrkoks im Friedensvertrag Kohlenlieferungen für die, in französischen Besitz
übergegangene, lothringische Industrie bis zum Jahre 1930 festgesetzt.
Auf
deutscher Seite musste die Schwerindustrie andere Länder, vor allem Schweden, zur
Ersatzlieferung heranziehen. Währenddessen wurde die Veredlungsindustrie, die
Textilindustrie so stark gefördert, dass von 1909 bis 1914 der Export von
Baumwollerzeugungen
wesentlich
anstieg.
Die
wichtigsten
Orte
Baumwollverarbeitung sind Lille, Roubaix, Tourcoing, die Normandie22
der
und
Mülhausen im Elsass. Lyon ist das Zentrum der Seidenindustrie, St. Ètienne das
Zentrum der Bandweberei. Die chemische Industrie sowie die Elektroindustrie
konnten sich bis zum Krieg nur langsam entwickeln. Als während des Kriegs die
industriell wichtigen Gebiete besetzt wurden, war eine Verlegung der Standorte vor
allem der kriegswichtigen Industrien, notwendig. Nach Kriegsende entwickelten sich
diese Industrien weiter, wie z.B. die chemische Industrie in Toulouse, deren
Düngemittel nach dem deutschen Haber-Bosch-Verfahren die Landwirtschaft des
Südens intensivierte. Die Weiterentwicklung dieser chemischen Industrie nach 1919
ist wahrscheinlich ein gutes Beispiel für die industriepolitischen Resultate des
Weltkriegs. Nach dem Krieg entstand eine staatliche Arbeitsmarktpolitik, die durch
Ein- und Rückwanderung ausländischer Arbeitskräfte, die wirtschaftlichen Krisen, die
aufgrund mangelnder Arbeitskräfte auftraten, sehr stark einschränkte.
Auch die
Rohstoffbeschaffung war während des Kriegs unter staatliche Kontrolle gekommen.
22
Ernst Robert Curtius/Arnold Bergsträsser, Frankreich. Staat und Wirtschaft Frankreichs, zweiter Band,
Stuttgart – Berlin 1931, S. 96f.
16
Der staatliche Eingriff in die industrielle Entwicklung brachte eine Modernisierung mit
sich. Durch die bessere Nutzung von Wasserkraft und Elektrizität, die bessere
Verwertung der eigenen Kohle, der steigende Gebrauch des Automobils und die
Durchsetzung der Serienfabrikation in der Automobilindustrie, die Entwicklung der
Aluminiumindustrie unter Verwertung der Bauxitvorkommen und die eigene
Herstellung von Produktionsmitteln, insbesondere Maschinen, waren das Ergebnis
der staatlichen Einmischung.23 Die erfolgreiche französische Wirtschafts- und
Währungspolitik hatte einen zweifachen Erfolg. Die Industrie wurde ausgebaut, aber
unter Rücksichtsnahme darauf, dass das Land nicht von einem Gläubigerland zu
einem Schuldnerland werden würde. Die ausdrückliche
Ausnutzung
des
Friedensvertrages und der Reparationsverhandlungen sicherte dieses für die Zukunft
wichtige Resultat. Der Friedensvertrag brachte die Kaliindustrie des Elsass, die alte
elsässische Textilindustrie und die lothringische Eisenindustrie sowie die Ölquellen
bei Pechelbronn an Frankreich. Die industrielle Gesamterzeugung steigerte sich von
1913 bis 1928 auf 135 %. Die Automobilherstellung und die Kautschukproduktion
wurden auf 700 %, die Maschinenproduktion auf 150 % gesteigert. Der Export stieg
von 1913 bis 1928 auf 200 %. Die Seetransporte und der Schiffbau erreichten 130
Prozent. Es gab in der folgenden Zeit keine Verlangsamung in der Entwicklung.
Anfang 1930 ist Frankreich auf dem Weg zu den Weltmärkten. Die französische
Industrie
veränderte
sich
von
den
Verbrauchsgüterindustrien
zu
Kapitalgüterindustrien. Die Arbeitskräfte wanderten von der einen Gruppe in die
andere ab. Die Kennzeichen des Wandels sind die Zunahme der Rohstoffeinfuhr, die
Steigerung der Ausfuhr von Fertigprodukten, Luxuswaren und landwirtschaftliche
Spezialerzeugnisse.
Andererseits
nahm
die
Einfuhr
von
Produktionsmitteln,
besonders von Maschinen, ab.24
Die Versuche, die Landwirtschaft in einem ähnlichen Maße wie die Industrie zu
verbessern, gelangen nicht. Nachdem die französische Landwirtschaft auf eine
Gleichstellung mit der französischen Industrie drängte, hob man das Ausfuhrverbot
für landwirtschaftliche Produkte auf. Damit erreichte man bereits nach einem Jahr
eine
wesentliche
Exportsteigerung.
Exportprodukte standen
23
24
An
der
Spitze
der
landwirtschaftlichen
Kartoffeln, Weine, Käse und Früchte.
Ebd., S. 98f.
Ebd., S. 102.
17
Die agrarische
Weltmarktposition Frankreichs beruht nicht auf dem Export großer Massen, sondern
auf dem hoher Qualitäten. Die Probleme in der Landwirtschaft bestehen weiter. Von
großer Bedeutung für die agrarische Entwicklung wurden die inneren Faktoren. Die
wichtigste Ursache ist der Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften. Weiters ist
die Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe gering, und die französischen
Kleinbauern sind nicht geneigt, Kapitalaufwendungen für die fehlende Arbeitskraft
aufzuwenden. Die traditionell gebundene Landwirtschaft versucht eher das
Vermögen zu erhalten als den Ertrag zu steigern. Althergebrachte Anbaumethoden
werden behutsam beibehalten. Nur wo sich die Bodenbeschaffenheit für Gemüseund Obstanbau, sowie Blumenzucht eignet, entstanden kapitalintensive Betriebe, die
große Erfolge erzielen konnten.25
3.4 Aufbau der Industrie nach dem Ersten Weltkrieg
Die französischen Politiker legen seit dem Krieg besonderen Wert auf die Förderung
der Industrie. Neben der Sicherung der erforderlichen Rohstoffquellen sollen die
Eigenproduktion intensiviert und der Export gesteigert werden. Die Kohleeinfuhr
wurde vermindert, die innerfranzösische Eisenproduktion und –verarbeitung, sowie
die eigene Koksgewinnung gesteigert. Weiters wurde der Erdölbedarf durch
Lieferungsverträge
und
Kapitalbeteiligungen
im
Ausland
gesichert
und
die
heimischen Wasserkräfte zur Energiegewinnung genutzt. All das enthielt das
Programm der Wirtschaftspolitiker. Die Schifffahrt und die Luftschifffahrt sowie auch
einzelne Industrien, vor allem die Eisenindustrie, bekamen Subventionen. Um die
Industrialisierungsentwicklung anzuregen, wurden die Kartellgesetzgebung und das
Aktienrecht neu geordnet und die Steuergesetzgebung reformiert.26
Nach der Zählung im Jahre 1921 arbeiteten 6.181.441 in der Industrie und im
Handwerk, das waren rund 30 % aller Erwerbstätigen. Im Vergleich dazu, arbeiteten
in Deutschland rd. 42 % in diesen Sparten. Bei den Betriebszählungen 1921 wurden
555.654 Betriebe des Bergbaus und der Verarbeitungsindustrien registriert, von
denen jedoch 414.033 Firmen weniger als sechs Arbeiter und nur 282 Firmen mehr
als hundert Arbeiter beschäftigten. Insgesamt wurden 35 Betriebe mit über 5 000
25
26
Ebd., S. 102f.
Ebd., S. 226.
18
Arbeitnehmern gezählt, davon waren 15 im Bergbau und 10 in den verarbeitenden
Industrien. Vor allem die eisenverarbeitenden Betriebe und die Textilindustrie waren
vornehmlich mittlere Betriebe. Die in anderen Sparten Erwerbstätigen waren 1921
mit 5,45 Prozent auf das Verkehrswesen, 0,33 Prozent auf die Fischerei, 10,37
Prozent auf Handel, Bankgewerbe und Gastwirtschaften, 2,73 Prozent auf freie
Berufe, 3,9 Prozent auf häusliche Dienste und 6,09 Prozent auf öffentliche Dienste
verteilt.27
3.5 Die geographische Verteilung der Industrien
Die Industrien wurden gerne in der Nähe der Standortslage ihrer Rohmaterialien oder
wegen der Absatzchancen in großen Städten angesiedelt. Die Hauptindustriegebiete
sind der Norden um Lille und Valenciennes, Lothringen, Paris und Lyon. Die
Kohlelager im Pas-de-Calais und bei Valenciennes schufen
die Basis
für eine
eisenschaffende und eisenverarbeitende Industrie. Im Norden, in den Zentren Lille,
Roubaix und Tourcoing entstand eine große Textilindustrie. In Paris und seiner
Umgebung
sammelten
sich
die
Metallindustrie,
die
Bekleidungs-
und
Parfumerieindustrie, die Nahrungsmittelherstellungsindustrie, die Möbelindustrie, die
Industrie für chemische Erzeugnissen, Glas- und Bijouteriewaren, Instrumenten usw..
Hier in der Großstadt waren neben Fabriks- und Warenhaus- noch Atelier- und
Heimarbeit gefragt.
In der Normandie, einem Agrarland mit Viehzucht, gab es bedeutende Webereien in
Rouen und Elbeuf. Weiters gab es in Le Havre und Cherbourg Schiffsbau,
Eisenerzlager und Eisenindustrie und die traditionell verwurzelte Bonneterie und
Dentellerie. In Lothringen war auf dem Minettevorkommen die Schwerindustrie im
Becken von Briey und Longwy, bei Nanca und Diedenhofen angesiedelt. Im Elsass
wuchs die alte Textilindustrie in Mülhausen weiter an. Die Kaligruben nördlich von
Mülhausen waren besonders wichtig für die Wirtschaft Frankreichs und bei
Pechelbronn war das einzige Petroleumvorkommen des Landes. Burgund hatte eine
Schwerindustrie und Maschinenindustrie auf den Kohlelagern von Le Creusot. Lyon
ist das Zentrum der Seidenindustrie, Saint-Ètienne der Bandweberei. In den Alpen
27
Ebd., S. 227.
19
entstanden durch die Ausnutzung der Wasserkraft Eisenwerke, chemische Fabriken
und Papierindustrien.
Die meisten Kohlevorkommen gab es in den Departements Pas-de-Calais und Nord,
wo etwa zwei Drittel der Gesamterzeugung gefördert wurden, sowie bei SaintÈtienne und in Burgund. Der Kohlebedarf des Landes konnte jedoch nur 66 Prozent
des Bedarfs decken. Durch den Ausbau des Bergbaus konnte die Fördermenge von
40,8 Millionen Tonnen im Jahr 1913 auf 52,4 Millionen Tonnen im Jahr 1928 erhöht
werden. Die Ausbeutung war schwer, die Transportlage ungünstig und die
Förderleistung des Arbeiters28 viel geringer als in den Konkurrenzländern. Hier zum
Vergleich - die tägliche Arbeitsleistung eines Arbeiters im Kohlebergbau im Jahr
1927: in Frankreich 606 kg [1928: 650 kg], in England 1040 Kg, an der Ruhr 1132
kg. Durch technische Änderungen konnte in den folgenden Jahren eine bessere
Arbeitsleistung erreicht werden. Um die ausländische Konkurrenz, die bessere
Transportanlagen haben zu hemmen, wurde ein Kohlezoll gefordert. Der
Kohleüberfluss in Europa steigerte die Absatzschwierigkeiten des französischen
Kohlebergbaus
und
man
versuchte
diesen
mit
einer
Verbesserung
der
Verwertungsmöglichkeiten der Kohle und ihrer Nebenprodukte zu verringern. Man
wollte die Verkokung im eigenen Land vornehmen. Um den Kohleverbrauch zu
steigern, schloss man an die Zechen Elektrizitätswerke an und erweiterte die
Nutzung der chemischen Nebenprodukte aus dem Verkokungsprozess. Die in
Straßburg ankommende Kohle wurde gleich vor Ort verkokst. Man wollte 75 % des
Koksbedarfs im eigenen Land decken, bis dahin konnte man aber nur 55 % davon
erzeugen.
Die Kalivorkommen zwischen Mülhausen und den Vogesen erlaubten der
Landwirtschaft eine große Steigerung des Kaliverbrauchs. In der Provence gibt es
einige Bauxitvorkommen. Die Gewinnung stieg von 309.000 Tonnen im Jahr 1913
auf 597.000 Tonnen im Jahr 1926 an. Bauxit wird zur Aluminiumherstellung benötigt.
In verschiedenen Gegenden kommen in geringen Mengen andere Mineralien wie
Antimon, Blei und Zink vor.29
Das Eisenvorkommen war die Basis der Schwerindustrie zu Beginn der
Industrialisierung. Das Minettegebiet in Lothringen stellte 95 Prozent der gesamten
Erzförderung Frankreichs. Von 5,6 Millionen Tonnen im Jahr 1900 stieg die
28
29
Ebd., S. 228.
Ebd., S. 229.
20
Förderung auf 35,598 Millionen Tonnen im Jahre 1925 und 49,328 Millionen Tonnen
im Jahre1928 an. Auch die Normandie hatte Eisenerzvorkommen. Diese waren mit
45 Prozent Eisengehalt qualitativ sehr viel besser als die lothringische Minette. Die
Förderung in der Normandie betrug 1928 zwei Millionen Tonnen, wovon etwa
500.000 Tonnen nach Deutschland exportiert wurden. 1928 wurden insgesamt 12,7
Millionen Tonnen nach der Belgisch-Luxemburgischen Zollunion und drei Millionen
Tonnen nach Deutschland exportiert.
Erzförderung
im
Land
Es wurden also nur etwa zwei Drittel der
verarbeitet.
Die
im
Jahr
1928
beträchtliche
Produktionssteigerung in der Eisenindustrie zeigte zugleich einen Zuwachs in der
inländischen Nutzung des Erzes.
In Lothringen wurden 75 Prozent der Gesamtproduktion von Roheisen, Stahl und
Walzwerkzeugen hergestellt. Die restliche Eisenindustrie lag im Norden, auf den
Kohlevorkommen zwischen Meubeuge und Lille, in der Normandie und Bretagne, bei
Caen und Nantes, in Burgund bei Le Creusot. Während die innerfranzösischen
Werke hauptsächlich den
Binnenmarkt brauchten, exportierten die lothringischen
nach der Belgisch-Luxemburgischen Union, nach Deutschland und Großbritannien.30
4 Entwicklung Frankreichs seit dem Zweiten Weltkrieg
Frankreichs Geschichte nahm nach dem Zweiten Weltkrieg einen aufregenden
Verlauf. Nach Beginn der IV. Republik erlebte das Land einen politischen Zerfall und
daraufhin die Entstehung einer neuen, der V. Republik. Zusätzlich war Frankreich
mehr als 15 Jahre lang in koloniale Kriege in Indochina und in Algerien verwickelt.
Durch eine soziale Krise im Mai 1968 wurde das politische und gesellschaftliche
System
erschüttert.
Auf
der
anderen
Seite
prägten
Erneuerungs-
und
Modernisierungsversuche auf allen gesellschaftlichen Ebenen die Geschichte des
Landes. Die Ergebnisse der Versuche waren unterschiedlich.
•
Wirtschaft
und
Gesellschaft
durchliefen
einen
fortdauernden
Wandlungsprozess; die Widerstände gegen die Veränderung waren teilweise
beträchtlich.
30
Ebd., S. 230.
21
•
Die Erneuerung auf dem politischen Gebiet erforderte einen zweiten Anlauf
(1958),
um
nachwirkende
Erfolge
zu
erzielen;
denn
der
erste
Erneuerungsversuch in der unmittelbaren Nachkriegszeit misslang schon nach
wenigen Jahren.
Im Folgenden wird das Geschehen der französischen Nachkriegsgeschichte
aufgezeigt, deren Grundzüge von Erneuerung und Beständigkeit geprägt werden.31
4.1 Zusammenbruch und Erneuerung
Die Menschenverluste Frankreichs während des Zweiten Weltkrieges trafen das
Land schwer, da die Bevölkerung sich ohnehin sehr schwach vermehrte. Weiters war
am Kriegsende die Wirtschaft völlig am Boden und das Institutionssystem der Dritten
Republik
hatte
sich
aufgelöst.
Obwohl
die
Niederlage
von
1940
das
Selbstbewusstsein der Franzosen sehr erschütterte, war der Wille zur Erneuerung
der französischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik groß. Unter General de Gaulle,
der in den ersten Nachkriegsjahren die provisorische Regierung (1944/45) führte und
dem Dreiparteienblock von Kommunisten, Christdemokraten und Sozialisten wurden
die entscheidenden Impulse für einen erfolgreichen Neubeginn gesetzt.
•
Die Nationalisierungen der Jahre 1944 – 46 in der Industrie, im Energie-,
Banken- und Versicherungssektor erleichterten den Konzentrationsprozess
und erhöhten den Einfluss des Staates. Gelegentlich wurden sie durch
staatliche Initiativen zum Vorreiter in der sozialen Entwicklung.
•
Die Planification, mit der im Januar 1946 begonnen wurde, spielte durch ihr
Modernisierungskonzept eine wichtige Rolle bei der Erneuerung der
wirtschaftlichen Strukturen.
31
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Informationen zur politischen Bildung, Heft 186: Frankreich,
Bonn 1980, S. 1.
22
•
Die Sozialversicherung wurde eingeführt, die der Bevölkerung soziale
Absicherung brachte.
•
Die Unternehmensausschüsse eröffneten im Februar 1945 den Arbeitern eine
Kontrollmöglichkeit über die Unternehmen.
Diese Maßnahmen waren entscheidende Voraussetzungen, um die wirtschaftliche
und soziale Entwicklung der Nachkriegszeit neu zu gestalten. Diese ersten Ansätze
blieben bis heute wichtig für einen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft.32
4.2 Die Vierte Republik 1946 – 1958
4.2.1 Politische Instabilität und Krisen
In der IV. Republik hatte die Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft ungleichen
Erfolg. In den sechziger Jahren erlebte die Bevölkerung einen ansehnlichen
Aufschwung.
Die Wirtschaft begann eine Umorientierung auf die industrielle
Entwicklung, die bis in die Gegenwart reicht. Weiters öffnete sie sich zunehmend
gegenüber dem Weltmarkt.33
4.3 Die Fünfte Republik (seit 1958)
Die Fünfte Republik begann am 1. Juni 1958 mit der Wahl de Gaulles zum
Ministerpräsidenten, der mit Sondervollmachten ausgestattet wurde, um den
Militärputsch
niederzuwerfen.
Sie
brachte
eine
Umkehr
in
der
Nachkriegsentwicklung und einen zweiten Erneuerungsschub für Wirtschaft und
Politik mit sich. Die Modernisierung Frankreichs wurde vorangetrieben. Nach der
Gründung der EWG wurden die primären Ziele der Wirtschaftspolitik,
der
Gleichstand der französischen Industrie mit ihren europäischen Konkurrenten und
ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.34
32
Ebd., S. 2.
Ebd.
34
Ebd., S. 4.
33
23
5 Wirtschaftsentwicklung Frankreichs seit dem Zweiten
Weltkrieg
5.1 Staat und Wirtschaft
Wie bereits erwähnt, wurde der wirtschaftliche Wiederaufbau des Landes nach 1944
vom Staat gelenkt. Dies ist in Frankreich schon fast traditionell. Schon in der
Vorkriegszeit kam die Wirtschaft mit den Erfordernissen des modernen Zeitalters
nicht zurecht.
Aus dieser Zeit stammen zwei Grundsatzentscheidungen, die das französische
Wirtschaftssystem noch immer prägen: die Einführung einer Wirtschaftsplanung
(planification) und die Verstaatlichung eines Teils der Wirtschaft.35
5.2 Planification
Mit Jean Monnet, dem Berater des ehemaligen Regierungschefs de Gaulle und
späteren „Vater“ der europäischen Einigung, begann man 1946 mit der Planification.
Monnet gelang es mit Hilfe dieser neuen Art von Wirtschaftsplanung die besonders
schwierigen Aufgaben des wirtschaftlichen Neuaufbaus zu bewältigen. Im Jahr 1947
begann man mit dem ersten Vierjahresplan. In dem Plan wurden die primären Ziele
der Wirtschaftspolitik für die kommenden Jahre bestimmt und die Finanzierung für
die hierzu notwendigen Investitionen sichergestellt. In einem Plankommissariat,
eine kleine Institution mit wenigen Mitarbeitern, die dem Premierminister zugeordnet
sind, wird die Erstellung des Plans abgestimmt. Zusätzlich arbeiten auch fachlich
spezialisierte Plankommissionen, denen Vertreter der Unternehmensverbände und
Gewerkschaften, Experten und Hohe Beamte angehören, an dem Plan mit. Der Plan,
der den Charakter eines Gesetzes hat, ist nicht verbindlich, sondern stellt einen
Rahmenplan dar, dessen Ziele den Betrieben eine Orientierung geben sollen. Der
Staat kann allerdings die Umsetzung der Planziele mit sanftem Druck fordern. Er hat
die Möglichkeit die Unternehmen des staatlichen Sektors einzusetzen oder die
Entscheidungen der privaten Unternehmen in seinem Sinne zu beeinflussen, zum
35
Ebd., S. 11.
24
Beispiel über die Vergabe von Subventionen, öffentlichen Aufträgen und Krediten an
Unternehmen. Während die ersten Pläne wenige präzise Ziele zum Inhalt hatten, die
sich insbesondere auf die Produktionssteigerung in den lebensnotwendigen
Wirtschaftszweigen bezogen, sind die heutigen Pläne viel breiter gefächert.
Sie
beinhalten neben der Wirtschaftspolitik auch alle Bereiche der Sozial- und
Gesellschaftspolitik.36
5.3 Die wirtschaftliche Entwicklung
Ein Vergleich der wirtschaftlichen Nachkriegsentwicklung in Frankreich und
Deutschlands zeigt anfangs ähnliche Entwicklungen. In beiden Ländern brachte der
Wiederaufbau ein anhaltendes schnelles wirtschaftliches Wachstum. In 20 Jahren
hatte sich die französische Wirtschaft mehr als verdreifacht. In Frankreich wie auch
in Deutschland wurden zahlreiche traditionelle Firmen durch neue Unternehmen und
Wirtschaftszweige verdrängt. In der Folge zählen beide Länder zu den reichen,
modernen und hoch entwickelten Industriestaaten.37 Doch trotz dieser Parallelen
waren die wirtschaftlichen Veränderungen in Frankreich weitaus größer, weil die
Industrialisierung in Deutschland und in anderen europäischen Staaten schon vor
dem Krieg viel weiter entwickelt war. In Frankreich hatte die Industrialisierung
im
19. Jahrhundert beinahe einen Stillstand erlebt. Die Wirtschaft und die Gesellschaft
setzten vor allem auf Sicherheit und suchten Schutz vor der Konkurrenz und der
Veränderung. Über Jahrzehnte verzögerten sie damit die Modernisierung der
französischen Wirtschaft. Kennzeichen dieser Entwicklung waren zum Beispiel:
•
Der geringe Bevölkerungsanstieg, welche das Wachstum des Binnenmarktes
für
die
entstehende
Konsumgüterindustrie
wirtschaftliche Entwicklung hemmte.
36
37
Ebd.
Ebd., S. 5.
25
und
damit
die
gesamte
•
Das vorhandene Kapital wurde gerne in Bodenspekulationen, Staatsanleihen
oder aber im Ausland angelegt, weniger jedoch für die Finanzierung der
heimischen Industrialisierung verwendet.
•
Es wurde am Ideal der Kleinproduktion festgehalten. Länger als in anderen
Ländern blieb der kleine Familienbetrieb die Basis der industriellen Produktion,
was
der
Ausbreitung
von
modernen
Großunternehmen
und
der
wirtschaftlichen Konzentration hinderlich war.
Frankreich war industriell gegenüber seinen europäischen Nachbarländern weit im
Rückstand. Spätestens nach der militärischen Niederlage Frankreichs im Jahre 1940
war den Politikern klar, dass sich etwas ändern musste. So wurde nach dem Krieg
die Modernisierung der Wirtschaft vorrangig in Angriff genommen. Es galt, aus einem
noch stark landwirtschaftlich geprägten Land mit überwiegend traditionellen
Produktions- und Verhaltensweisen eine moderne Industriegesellschaft zu machen.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der wirtschaftliche Strukturwandel nach
dem Kriege für Frankreich wesentlich einschneidendere Veränderungen mit sich
brachte und eine ungleich höhere Bedeutung hat als in der Bundesrepublik. Die
nachgeholte und beschleunigte Industrialisierung mit ihren Leistungen, Gegensätzen,
Problemen und Lücken stellt einen Schlüssel zum Verständnis des heutigen
modernen Frankreich dar.38
6 Die Wirtschaftszweige
6.1 Landwirtschaft
Gerade die Landwirtschaft ist ein gutes Beispiel um die extreme wirtschaftliche
Veränderung Frankreichs seit dem Kriegsende aufzuzeigen. Zunächst setzte eine
starke und bis heute andauernde Landflucht ein. Dabei
Menschen
die
Landwirtschaft
hinter
sich.
Innerhalb
ließen fünf Millionen
kurzer
Zeit
war
der
landwirtschaftliche Sektor nicht mehr der führende. Am Ende des Krieges waren
noch über ein Drittel der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig, während in den
38
Ebd., S. 6.
26
80er Jahren
die Beschäftigungszahl in diesem Sektor unter einem Zehntel lag.
Gleichzeitig begann eine umfangreiche Modernisierung in den landwirtschaftlichen
Betrieben.
Neben
verbesserten
Anbaumethoden
wurden
zur
besseren
wirtschaftlichen Nutzung, Gründstücke zusammengelegt (Flurbereinigung). Weiters
wurden Betriebe vergrößert und letztendlich führte deren Ausstattung mit modernen
Maschinen zu einer beträchtlichen Steigerung der Erträge. Vor dem Krieg gab es im
ganzen 35.000 Traktoren; 1954 waren es schon 250.000, 1967 1,1 Mio. und 1973
waren es bereits 1,3 Millionen. Diese Entwicklung brachte eine gewaltige Steigerung
der Produktion. Zwischen 1949 und 1974 stieg die Produktion auf mehr als das
zweifache an. Der heimische Verbrauch stieg nicht im gleichen Umfang an und so
entwickelte sich der Export in andere Länder immer stärker. Mussten 1958 noch
viele Nahrungsmittel importiert werden, so ist Frankreich heute mit den Niederlanden
hinter den USA
der zweitgrößte landwirtschaftliche Exporteur der Welt.
Die
französische Landwirtschaft zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus. Sie ist
besonders begünstigt durch die geographische Lage, die Bodenbeschaffenheit und
die Klimaverhältnisse. 39
Die Betriebe im Norden betreiben gemischte Landwirtschaft, d.h. Ackerbau und
Viehzucht, mit hohen Produktionsergebnissen. In der Bretagne überwiegt ebenfalls
die auf tierische Produkte ausgerichtete Landwirtschaft. Im Pariser Becken werden
mit Hilfe von landwirtschaftlichen Arbeitern auf extrem großen Flächen Getreide und
Mais angebaut. Im Longuedoc
ist man spezialisiert auf Weinbau, wobei
gleichermaßen sehr kleine und sehr große Betriebe Lohnarbeiter beschäftigen. Die
großen Betriebe befinden sich vor allem im Pariser Becken, d.h. in der Pariser
Region, in der Champagne-Ardennes und in der Picardie. Die durchschnittliche
Größe dieser Höfe beträgt etwa 40 ha.
Indessen sind die Betriebe im Süden –
Longuedoc-Roussillon, Provence-Alpes-Côtes d’Azur – und im Elsass eher klein. Die
Durchschnittsgröße dieser Höfe ist rund 10 ha und über die Hälfte dieser haben
weniger als 5 ha. Das Durchschnittseinkommen je Arbeitskraft ist im „reichsten“
Departement Seine-et-Marne bei Paris zehnmal so hoch wie im „ärmsten“ Lozère.40
In keiner anderen sozialen Gruppe sind die Einkommen derart unterschiedlich wie in
der Landwirtschaft. Die Entwicklung der französischen Landwirtschaft ist eng an den
EG-Agrarmarkt und die damit verbundene gemeinsame Preispolitik gekoppelt.
39
40
Ebd.
Ebd.
27
Frankreich engagiert sich in den 60er Jahren sehr für die Errichtung des
gemeinsamen Agrarmarktes. Man erhofft sich für die riesigen Überschüsse in der
Landwirtschaft sichere Absatzmärkte. 75 Prozent der Agrarprodukte werden in EGLänder exportiert.
Zu den Exportschlagern zählen neben Weizen, Gerste,
Körnermais auch Milchprodukte, Wein und andere Getränke. Insgesamt können die
Erwartungen der Wirtschaftspolitiker aber noch nicht erfüllt werden. Viele
Exportmöglichkeiten werden nur unvollkommen genutzt.
Gründe dafür sind
die
teilweise noch immer ungenügende Modernisierung der Landwirtschaft, die
mangelhafte Vermarktung der Produkte und letztlich eine fehlende leistungsfähige
Nahrungsmittelindustrie.41
6.2 Industrie
Viel mehr als die Landwirtschaft, hat die Industrie seit dem Krieg die französische
Wirtschaft umgeformt.
Die Wirtschaftsplanung sowie die intensive staatliche
Industriepolitik seit den 60er Jahren machte die Industrie zum dynamischen Motor
der gesamten Wirtschaft. Gleichzeitig begann eine umfassende Modernisierung der
Industriestruktur:
•
Zu
den
führenden
industriellen
Investitionsgüterindustrien,
wie
Sektoren
gehören
Elektroindustrie,
heute
die
Maschinenbau,
Automobilindustrie u.a., in der Maschinen, Fabrikanlagen und andere wichtige
Ausrüstungen für Betriebe hergestellt werden.
•
Die Familienbetriebe, deren Unternehmensführung unbeweglich und wenig
auf die Eroberung neuer Märkte ausgerichtet war, wurden verdrängt. An ihre
Stelle kamen Großunternehmen, deren Entstehung staatlich gefördert wurde
und die heute das Bild der französischen Wirtschaft prägen.42
All diese Veränderungen tragen dazu bei, dass Frankreich heute hinter den USA,
Japan und Deutschland, das viertgrößte Industrieland der westlichen Welt ist. Fast
41
42
Ebd., S. 6f.
Ebd., S. 7.
28
nichts erinnert mehr an die traditionelle, rückständige, an der Landwirtschaft
orientierte Wirtschaft. Es gibt bereits viele französische Unternehmen, die in Europa
führend sind. Zu ihnen gehören in der Automobilindustrie Renault und PeugeotCitroen. Auch in der Flugzeugindustrie gibt es zwei führende Unternehmen. Dazu
zählt neben dem Betrieb Dassault, der Militärflugzeuge herstellt, auch die staatliche
SNIAS, die maßgeblich am Überschallflugzeug Concorde und am Großraumflugzeug
Airbus beteiligt ist. Im Bereich der Raumfahrttechnik steht das europäische
Satellitenprogramm
„Ariane“
unter
französischer
Führung
und
in
der
Atomkraftindustrie ist die Firma Framatome einer der größten Hersteller von
Kernreaktoren. Dass in allen Bereichen staatliche Unternehmen beteiligt sind, ist ein
Hinweis auf die besondere Rolle des staatlichen Wirtschaftssektors für die
industrielle Entwicklung des Landes. Auch wenn die schnelle Industrialisierung und
Modernisierung der französischen Wirtschaft sehr erfolgreich ist, gibt es auch
negative Seiten:43
•
Der Wohlstand ist ungleich verteilt, worunter besonders die Arbeiter der
Industrie unter der, im europäischen Vergleich, deutlichen Unterbezahlung,
leiden.
•
Man kann der staatlichen Industriepolitik entgegen halten, dass sie
Prestigeobjekte, wie z.B. die „Concorde“ in Milliardenhöhe subventioniert,
während sie die für Bevölkerung und Wirtschaft wichtige Versorgung mit
öffentlicher Infrastruktur (Telefon- und Verkehrsnetz, Schulen, Wohnungen
usw.) vernachlässigt.
•
Die staatliche Konzentrationspolitik bedroht bzw. vernichtet viele Klein- und
Mittelbetriebe.
So wird der Modernisierungsprozess der französischen Industrie von vielen sozialen
Konflikten begleitet. Es trifft besonders die Arbeiter, Bauern, Kleinhändler und
Kleinunternehmer.44
43
44
Ebd.
Ebd.
29
6.3 Der Dienstleistungsbereich
Im tertiären Sektor findet in den westlichen Industrieländern gegen Ende des 20.
Jahrhunderts über die Hälfte der Erwerbstätigen Arbeit. Auch in Frankreich wächst
der Dienstleistungsbereich sehr stark an. Beschäftigte dieser Sektor 1973 etwa 50 %
der Erwerbstätigen, so waren es im Jahre 1994 bereits 68 %, die etwa 70 % des
Bruttoinlandprodukts erwirtschafteten. Anfänglich gab es nur wenige Bereiche, die in
diesen tertiären Sektor fielen. Zwischenzeitlich umfasst dieser Bereich das
Friseurhandwerk,
die
Telekommunikation,
das
Tourismusgewerbe,
die
Industrieconsulting, die Forschung und vieles mehr. Es gibt Dienstleistungen, die
einen Markpreis erzielen, wie zum Beispiel das Bankwesen, und es gibt
Dienstleistungen, die staatlich finanziert werden, zu dem die verschiedenen
staatlichen Einrichtungen zählen. Die erste Gruppe wird unterteilt in einen
handwerklichen und einen intellektuellen Bereich, wie etwa die Forschung, die
Softwareentwicklung, das Beratungswesen usw.. Diese Unterscheidung ist für
Untersuchungen des tertiären Bereichs einer entwickelten Industriegesellschaft
äußerst wichtig. Der staatliche Sektor stieg von 1960 bis 1995 von 16,7 % auf 28 %
an. Im Jahre 1995 fanden 28 % der Erwerbstätigen in diesem staatlichen Sektor
Arbeit. Dies zeigt, dass der Staat als Arbeitgeber eine große Rolle spielt.45
In der
zweiten Gruppe waren im Jahr 1995 rund 2,6 Millionen Menschen beschäftigt. Die
Marktanteile des Groß- und Einzelhandels nahmen zwischen 1970 und 1994 stark
zu.
45
Günther Haensch/Hans J. Tümmers (Hrsg.), Frankreich, S. 373f.
30
Die Entwicklung des tertiären Sektors von 1960 bis 1995 – Anteil der Beschäftigten in %:
Jahr
1960
1974
1980
1987
1995
Dienstleistungen ohne Marktpreis
16,7
16,5
21,8
25,6
28,0
Andere Dienstleistungen
26,6
35,3
35,1
38,1
41,7
Dienstleistungen insgesamt
43,3
51,8
56,9
63,7
69,7
Quelle: Zusammengestellt aus: Capul/Meurs, Les grandes questions de l’Economie francaise, Paris
1988 und INSEE, Tableaux de l’economie Francaise, versch. Jahrgänge.
Die kleinen Betriebe können mit den großen nicht mithalten. Der Strukturwandel
stärkt die Super- und Hypermärkte, die meisten Tante-Emma-Läden können nicht
überleben. Es gibt neben kleinen und mittleren Banken auch viele Großbetriebe, wie
Crédit Agricole, Crédit Lyonnais usw., die zu den renommiertesten in Europa
gehören. Weiters haben viele der größten Versicherungen, wie z.B. die Axa,
Generali, usw. ihren Sitz in Frankreich. Im Telekommunikationsbereich gibt es in
Frankreich im Jahr 1995 32,4 Millionen Telefonanschlüsse.46
Im Gegensatz zu den Transporten auf der Straße, die um die Hälfte zunehmen,
gehen die Bahntransporte zurück. Beim Flugverkehr liegt Frankreich hinter den USA,
Großbritannien, Japan und der Russischen Föderation auf Platz fünf.
Die nationalen Ausgaben für Forschung und Entwicklung erreichten im Jahr 1994
eine Quote von 2,38 %.47
Wie bereits zu Beginn erwähnt, nahm die Beschäftigungszahl im tertiären Sektor seit
1970 immer mehr zu. Besonders in den Bereichen Finanzwesen, Telekommunikation
und anderen Hochtechnologiebereichen finden die Erwerbstätigen Arbeitsplätze.
Ein typisches Phänomen dieser Entwicklung sind die Technologieparks. Hier treffen
Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsunternehmen zusammen. So wurden
mehrere Forschungszentren nach dem Vorbild des Silicon Valley geschaffen:
„Sophia Antipolis“ bei Nizza im Jahre 1969, „Zirst de Melan“ bei Grenoble 1974 und
„Nancy Brabois“ 1977. In Zirst de Melan sind etwa 10 000 Wissenschaftler tätig, die
durch ihre Verbindung mit den regionalen Universitäten einen wichtigen Beitrag zum
Technologie-Transfer leisten. In den folgenden Jahren wurden noch viele weitere
46
47
Ebd., S. 375ff.
Ebd., S. 378.
31
Forschungszentren geschaffen. Die Veränderungen des tertiären Sektors wirken
sich natürlich auf die Wirtschaftsgeographie Frankreichs aus. War das industrielle
Frankreich früher eher östlich von Le Havre / Marseille angesiedelt, so gibt es heute
viele High-Tech-Zentren in Paris, Rennes, Nantes, Bordeaux, Toulouse, Montpellier,
Avignon, Marseille, Grenoble, Lyon und Annecy.48
7 Regionale Wirtschaftsstruktur
Ein Hauptproblem, das eng mit der wirtschaftlichen Modernisierung des Landes der
Nachkriegszeit verflochten ist, ist die extreme regionale Ungleichheit in der
Wirtschaft. Es gibt ein traditionelles, doppeltes Wirtschaftsgefälle: einmal zwischen
Paris und der Provinz, zum anderen zwischen dem industrialisierten Norden und
Osten sowie dem landwirtschaftlich geprägten West-Südwestraum.49
7.1 Paris – Provinz
Die Pariser Region ist ein gewaltiges wirtschaftliches Zentrum, Hauptsitz nahezu aller
wichtigen Konzerne und Banken und erwirtschaftet ein Viertel des französischen
Sozialproduktes. Es ist klar, dass der politische Zentralismus diese Neigung gefördert
hat, da alle wichtigen Entscheidungen in Paris fallen. Die Konzentration auf den
Pariser Raum wird für die französische Wirtschaft als negativ empfunden. In Paris
gibt es dadurch schwierige Verkehrs- und Umweltprobleme, als auch Raum- und
Wohnungsmangel. Die anderen Regionen werden durch die Attraktivität der
Hauptstadt in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung eingeschränkt. Seit den 60er Jahren
versucht der Staat mehr oder weniger erfolglos eine Dezentralisierung des Pariser
Raums zu fördern, indem er Industrieunternehmen in die Provinz verlagert. Meist
profitieren die Regionen rund um die Hauptstadt.50
48
Ebd., S. 378f.
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Informationen zur politischen Bildung, S. 8.
50
Ebd.
49
32
7.2 Probleme des Südwestens
Eine gedachte Linie, die Frankreich zwischen den Städten Caen (im Nordwesten)
und Marseille (im Südosten), diagonal zerschneidet, symbolisiert ein Problem.
Östlich dieser Linie liegt der größte Teil des industrialisierten Frankreich, westlich
davon die landwirtschaftlich unterentwickelten Gebiete. Es ist zwar heute nicht mehr
so extrem, doch existiert nach wie vor ein solches Wirtschaftsgefälle. Die größten
Industrieregionen außer Paris liegen nördlich, östlich und südöstlich der Hauptstadt.
Die Region Rhône-Alpes mit den Städten Lyon, Grenoble und Saint-Etienne ist ein
mannigfaltiges industrielles Gebiet mit den Schwerpunkten Energiewirtschaft,
Metallverarbeitung, Textil- und chemische Industrie. Diese Region zählt zu den
Gebieten mit dem größten Wachstum seit dem Krieg und ist heute der
zweitwichtigste Wirtschaftsraum nach Paris.51
Die Region Nord-Pas-de-Calais im Norden Frankreichs mit den Städten Lille,
Roubaix und Tourcoing als Zentrum ist weitgehend von der Textil-, der Kohle- und
Stahlindustrie sowie dem Maschinenbau geprägt. Ähnlich wie die Region Lorraine
(Lothringen)
im
Osten
mit den Schwerpunkten
Kohlebergbau,
Stahl-
und
Textilindustrie, leidet sie unter einem Übergewicht „traditioneller“ Industriezweige.
Diese Industriezweige sind überall in Europa in schwere Krisen geraten. Es gehen
jährlich viele Tausende von Arbeitsplätzen in der Kohle-, Stahl- und Textilindustrie
verloren. Beide Regionen haben das Problem, ihre einseitige Wirtschaftsstruktur
durch Ansiedlung anderer Industrieunternehmen zu verbessern und damit neue
Arbeitsplätze zu schaffen. Leider gelingt dies nur teilweise.52
Der Westen und der Südwesten Frankreichs haben ganz andere Probleme. In dieser
Gegend war kurz nach dem Krieg der Großteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft
beschäftigt. Der starke Rückgang der Landwirtschaft machte viele Arbeitskräfte
arbeitslos. Da die Industrie in dieser Gegend schlecht entwickelt war, verließen viele,
vor allem jüngere Menschen ihre Heimat, um in den Industriezonen im Norden und
Osten
eine neue Existenz zu finden. Das Ergebnis war eine immer schwächere
Besiedlung und eine Überalterung der verbliebenen Bevölkerung.
Die ohnehin
schwache Infrastruktur – Verkehrswege, Bildungseinrichtungen - verfiel zusehends.
Es ist wohl die schwierigste Aufgabe der Nachkriegszeit für die Wirtschaftspolitiker,
51
52
Ebd., S. 9.
Ebd.
33
dieses Gebiet industriell zu besiedeln. Bis jetzt sind die Erfolge begrenzt. Durch die
Fortschritte in der industriellen Entwicklung konnte in der Region Midi-Pyrénées die
Industrie durch die Ansiedlung wichtiger Flugzeugbau- und Rüstungsbetriebe in
Toulouse und durch die Erdgasproduktion bei Lacq einen Auftrieb erleben. Ebenso
sind in den Regionen Pays de la Loire (mit Nantes und Saint-Nazaire) und Bretagne
(mit Rennes) neue industrielle Zentren entstanden. Der wirtschaftliche Aufschwung
erfasst aber längst nicht alle Gebiete und teilweise steht die Industrialisierung noch
auf schwachen Füßen. So kann das Ost-West-Gefälle der französischen Wirtschaft
nicht
annähernd
beseitigt
werden.
Ursache
einer
zum
Teil
noch
hohen
Arbeitslosigkeit ist nach wie vor die wirtschaftliche Unterentwicklung in manchen
Regionen. Auch sind die Einkommen in den Regionen des Westens und Südwestens
deutlich niedriger als im übrigen Frankreich.53
Der Beitrag der Wirtschaftszweige zur Wirtschaftsleistung (in %):
Wirtschaftszweig
Frankreich
BR Deutschland
1960
1974
1960
1974
1. Landwirtschaft
11,2
6,4
5,3
3,9
2. Nahrungsmittelindustrie
7,7
6,2
7,2
6,7
3. Energie
6,5
7,3
5,8
5,9
4. Grundstoffindustrie
10,9
12,0
13,4
15,2
5. Investitionsgüterindustrie
11,3
15,1
16,1
19,9
6. Konsumgüterindustrie
8,3
7,5
9,2
8,3
7. Bauindustrie
10,0
11,3
9,8
8,9
8. Verkehr, Nachrichtenwesen
6,4
6,4
6,8
6,7
9. Dienstleistungen
15,3
15,2
10,6
9,8
10. Handel
12,3
12,6
15,8
14,7
Quelle: INSEE.
Nicht berücksichtigt: Banken/Versicherungen; Staat und öffentliche Dienstleistungen.
53
Ebd.
34
8 Frankreichs Wirtschaft heute
Nach wie vor ist die Agrarwirtschaft für die französische Volkswirtschaft von großer
Bedeutung. Etwa 60 % der Fläche Frankreichs werden landwirtschaftlich genutzt und
ca. 3 % der Erwerbstätigen finden in diesem Bereich Beschäftigung. Frankreich ist
mit 20 % der Gesamtproduktion größter Produzent landwirtschaftlicher Erzeugnisse
in Europa. Exportiert werden vor allem Wein, Fleisch und Fleischwaren, Getreide und
Getreideerzeugnisse, Milch- und Molkereiprodukte, Zucker, Gemüse und Obst. Vor
allem in der Weinerzeugung ist Frankreich weltweit sehr bedeutend. Die großen
Weinbaugebiete sind Burgund, die Champagne, das Bordelais, das Tal der Loire,
das Elsass und das Longuedoc. Frankreich deckt 22 % des Weinbedarfs weltweit,
und 52 % des Bedarfs der Europäischen Union.
Auch wenn Frankreich selbst über Bodenschätze, wie Uran, Bauxit, Blei, Zink,
Barium und Wolfram verfügt, müssen Rohstoffe zusätzlich eingeführt werden. Der
Steinkohle- und Eisenerzabbau geht seit 1970 immer mehr zurück, 2004 schloss die
letzte Kohlenzeche. Auch die früher beachtliche Kalisalzförderung, besonders in
Mülhausen, verliert heute an Bedeutung.
Seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts setzte Frankreich energiepolitisch auf
Kernenergie und deckt heute damit 80 % des Energiebedarfs des Landes. Damit ist
Frankreich der weltgrößte Erzeuger von Kernkraft.
Der wichtigste Bereich der Investitionsgüterindustrie ist die Automobilindustrie. Sie ist
nach Deutschland der zweitgrößte Hersteller in Europa. Weiters ist die chemische,
pharmazeutische
und
kosmetische
Industrie
beachtlich.
Auch
die
Bekleidungsindustrie hat in Europa eine Führungsrolle.
Ein neuer Industriezweig – die technologische Industrie - hat sich südlich der Loire,
in Nizza, Bordeaux und Toulouse angesiedelt.
Gegenüber
der
seit
langem
zurückgehenden
Landwirtschaft,
wächst
der
Dienstleistungssektor stark. Ewa 70 % der Erwerbstätigen werden in diesem Bereich
beschäftigt. Mit über 75 Millionen Besuchern konnte Frankreich 2003 weltweit die
meisten Touristen verbuchen. Besonders beliebt bei den Touristen sind Paris, die
Mittelmeerküste, die Normandie, die Bretagne, das Loiretal, die Atlantikküste,
Burgund und die Provence.
35
Frankreich verfügt trotz geringer Bevölkerungsdichte über ein sehr gutes Straßenund Eisenbahnnetz. Das Straßennetz ist über 980.000 km lang, davon sind 9.300 km
gebührenpflichtige Autobahnen. Die Eisenbahnstrecken sind über 30.000 km lang.
Seit
1981
verkehrt
zwischen
den
großen
Städten
Frankreichs
der
Hochgeschwindigkeitszug TGV (Train à Grande Vitesse). Frankreich verfügt auch
über ein dichtes Netz von Binnenwasserstraßen. Die Hauptflüsse Seine, Loire,
Garonne und Rhône und ihre Nebenflüsse sind durch Kanäle miteinander
verbunden, welche heute aber großteils veraltet sind. Von den rund 8.500 km
Wasserwegen werden etwa 6.700 km genutzt, davon sind 3.800 km Kanäle. Am
bedeutendsten sind die Seine zwischen Paris und Le Havre, die Rhône und der
elsässische Teil der Rhein-Rhône-Verbindung. Marseille ist der
drittgrößte
europäische Seehafen. Frankreich ist bei den Fluggästen die Nummer Eins in
Europa. Mit über 73 Millionen Passagieren nimmt Paris jährlich den ersten in
Kontinentaleuropa, weltweit den sechsten Platz ein. Weitere bedeutende Flughäfen
sind in Nizza, Marseille, Lyon und Toulouse.54
9 Zusammenfassung
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte Frankreich noch ein großes Kolonialgebiet.
Nach 1945 erhielten die Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien rasch
Bedeutung. Trotz vieler Reformversuche und Verfassungskonstruktionen konnte
Frankreich viele koloniale Gebiete nicht im eigenen Einflussbereich halten.
Frankreich wurde in langjährige Kolonialkriege verwickelt, wie etwa in Indochina.
Eine Reihe überseeischer Territorien blieb aber freiwillig bei Frankreich, sie sind
heute Teil der französischen Republik: vier Überseedepartements (Guadeloupe,
Guyane,
Martinique,
Réunion),
vier
Überseeterritorien
(Nouvelle-Calédonie,
Polynésie francaise, Wallis-et-Futuna, Terres australes et antarctiques francaises).
Die Nachkriegszeit war für Frankreich ein Zeitabschnitt vieler und rascher
Veränderungen. An der Verfassungsentwicklung zeigt sich, dass es nicht ohne
Spannungen und Krisen ablief. Die im Jahre 1946 gegründete IV. Republik konnte
54
Peter-Matthias Gaede (Hrsg.), GEO Themenlexikon in 20 Bänden, Band 1: Unsere Erde, S. 331ff.
36
keine stabilen Institutionen herausbilden. Nach einem Putschversuch wurde 1958
Charles de Gaulle als Regierungsoberhaupt gewählt. Diese V. Republik brachte u.a.
einen Erneuerungsschub für die Wirtschaft. Die Modernisierung des Landes wurde
vorangetrieben. Für die Wirtschaftspolitiker wurde der Gleichstand der französischen
Industrie mit ihren europäischen Nachbarn vorrangiges Ziel. Frankreich stand nach
1945, anders als Deutschland, nicht nur vor dem Problem des wirtschaftlichen
Wiederaufbaus,
sondern
es
hatte
auch
ein
Modernisierungsproblem.
Die
Industrialisierung im 19. Jahrhundert war ins Stocken geraten und hatte sich in vielen
Bereichen nur zögernd bzw. nicht vollständig durchgesetzt. Für die Verantwortlichen
in Politik, Verwaltung und Wirtschaft war klar, dass Frankreich sich aus dieser
Rückständigkeit frei machen und seine Wirt- und Gesellschaft mit aller Kraft
modernisieren musste. Man wollte innerhalb kurzer Zeit den Vorsprung der anderen
aufholen und traditionelle, stark landwirtschaftlich geprägte Produktions- und
Verhaltensweisen überwinden. Die Wirtschaftspolitiker waren sich einig, dass diese
Modernisierung nicht allein dem Markt überlassen werden konnte. Daher wurde
diesbezüglich dem Staat und der Verwaltung eine führende Rolle zugewiesen. Der
Wiederaufbau und die Modernisierung wurden also durch staatliche Initiativen und
Lenkungsmaßnahmen
vorangetrieben.
Ein
Sinnbild
für
die
staatliche
Modernisierungspolitik war der verstaatlichte Wirtschaftssektor. Ein großer Teil der
Unternehmen wurde unter öffentliche Kontrolle gestellt. Die zentralistisch gelenkte
Modernisierung von oben hatte Erfolg. In nur drei Jahrzehnten gelang es, Frankreich
aus
einer
traditionalistischen
in
eine
moderne
Industrie-
und
Dienstleistungsgesellschaft zu verwandeln.
Die Landwirtschaft war nach 1945 noch stärkster Sektor und hatte mehr Menschen
als die Industrie beschäftigt. Doch durch den Strukturwechsel verlor sie relativ schnell
ihre Führungsrolle. War nach dem Zweiten Weltkrieg noch jeder Dritte in der
Agrarwirtschaft tätig, so ist es heute nur noch jeder Fünfundzwanzigste. Durch eine
grundlegende Modernisierung der Anbaumethoden, der Ausstattung der Betriebe mit
Maschinen, durch Flurbereinigungen und eine dementsprechend höhere Produktion
je Beschäftigtem wurden nicht mehr so viele Arbeiter benötigt. Es wäre jedoch falsch,
das Gewicht des Agrarwesens nur an ihrem relativ geringen Beitrag zum
Sozialprodukt zu messen. Die französische Landwirtschaft ist sehr leistungsfähig. Sie
bietet die Basis für die Nahrungsmittelindustrie, die die landwirtschaftlichen Produkte
verarbeitet. Firmen wie Danone, Pernod-Ricard oder Nestlé-France prägen das Bild
37
einer erfolgreichen Branche, die gemeinsam mit der Landwirtschaft große
Exportüberschüsse erzielt.
Die Industrie war seit 1944 Zentrum der Modernisierungspolitik. Traditionelle
Sektoren, etwa die Textil- und Bekleidungsindustrie oder die Lederverarbeitung, aber
auch die Eisen- und Stahlindustrie, litten unter einer nachlassenden Nachfrage und
wachsender
Konkurrenz.
In
anderen
Sektoren,
wie
dem
Maschinenbau,
elektronischen Geräten, aber teils auch Automobilen, waren es Rationalisierungen
und technische Innovationen, die die Leistungsfähigkeit, also die Produktionsmenge
je Beschäftigten stark erhöhten. Unabhängig davon nahm mit der Modernisierung die
Bedeutung der Dienstleistungen, wie beispielsweise Forschung, Entwicklung,
Werbung und Marketing für die industrielle Produktion zu. Heute zeigt sich die
französische Industrie in vielen Bereichen als hoch leistungsfähig und weist eine
Reihe weltweit führender Unternehmen auf.
Die Bevölkerung Frankreichs ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sehr rasch
angewachsen.
Zu
diesem
Bevölkerungswachstum
kam
es
durch
einen
explosionsartigen Anstieg der Geburtenrate und die längere Lebenserwartung der
Menschen. Dies beruht auf einer Abnahme der Sterblichkeitsrate in allen
Altersgruppen, insbesondere auf dem starken Absinken der Kindersterblichkeit. Ein
weiterer Grund für das Bevölkerungswachstum ist die große Anzahl der Einwanderer.
Die französische Raumordnungspolitik ist bemüht, das Gefälle zwischen Paris und
der „Provinz“ auszugleichen, jedoch mit begrenztem Erfolg. Im Pariser Großraum,
der Region Île
de France, leben heute etwa 20 % der Einwohner Frankreichs,
doppelt so viel wie in der nächst großen Region Rhône-Alpes. Das Problem ist
qualitativ. Der Großraum Paris zieht die strategischen, höchstqualifizierten
Tätigkeiten in einem Maße an sich, die den übrigen Ballungsgebieten nur wenig
Entfaltung lässt. Dennoch
konnten die übrigen Regionen vom wirtschaftlichen
Aufstieg nach 1944 profitieren. Die Provinz hat ihr Gesicht gründlich geändert –
gefördert von der Politik, die Firmenansiedlungen in diesen Regionen vorantrieb und
die auch großstädtische Ballungsräume wie Straßburg, Lille, Nantes, Bordeaux,
Marseille oder Lyon als so genannte Ausgleichsmetropolen förderte.
38
10 Literaturliste
Braudel, Ferdinand/Labrousse, Ernet (Hrsg.), Wirtschaft und Gesellschaft in
Frankreich im Zeitalter der Industrialisierung. 1789 – 1880, Band 1, Frankfurt am
Main 1986.
Bundeszentrale
für
politische
Bildung
(Hrsg.),
Informationen
zur politischen
Bildung, Heft 186: Frankreich, Bonn 1980.
Curtius, Ernst Robert/Bergsträsser, Arnold, Frankreich. Staat und Wirtschaft
Frankreichs, zweiter Band, Stuttgart – Berlin 1931.
Gaede, Peter-Matthias (Hrsg.), GEO Themenlexikon in 20 Bänden, Band 1: Unsere
Erde. Länder, Völker, Kulturen. Afghanistan bis Irak, Mannheim 2006.
Gründer, Stefan/Wirsching, Andreas, Frankreich: Daten, Fakten, Dokumente,
Tübingen – Basel 2003.
Haensch, Günther/Tümmers, Hans J. (Hrsg.), Frankreich. Politik, Gesellschaft,
Wirtschaft, München 19983.
39
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen