Predigt zu - Stadtkirche Durlach

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Predigt zum Märtyrerfenster (Apg 7,51-8,1) der Ev. Stadtkirche Durlach
am 18.08.2013 von Judith Winkelmann
Liebe Gemeinde,
ein Märtyrerfenster in einer evangelischen Kirche ist ungewöhnlich. In der
Regel finden wir solche Darstellung in den katholischen Kirchen. Hinter
vielen katholischen Heiligenfiguren stehen Martyriumsgeschichten. Da wir
in der evangelischen Tradition aber an Paulus anschließen, sind alle Getauften Heilige. Doch nicht alle Heilige sind Märtyrer. Was also sind Märtyrer?
In den Medien werden die islamistischen Selbstmordattentäter mit dem
Sprengstoffgürtel um den Bauch als Märtyrer bezeichnet. Sie opfern ihr
Leben, sie sprengen sich selbst in die Luft, um viele andere mit in den Tod
zuziehen. Gezielt setzen sie ihren Körper als Waffe. Aus meiner Sicht sind
sie Teil einer Gruppierung, die die Religion für die eigenen Machtbedürfnisse missbraucht. Insofern sind sie für mich keine Märtyrer. Denn Märtyrer wollen nicht den Tod, sondern das Leben, nicht die Macht oder einen
heiligen Krieg, sondern den Frieden und Gerechtigkeit.
Andere Märtyrer unserer Zeit sind die verzweifelten Mönche in Tibet. Sie
verbrennen sich auf offener Straße und sehen ihren Tod als die einzige
Möglichkeit, um gegen die chinesische Besatzungsmacht, gegen die Vernichtung ihrer tibetisch-buddhistischen Kultur und die Aufhebung ihrer
religiösen und politischen Selbstbestimmung zu protestieren. Doch auch sie
sind aus meiner Sicht keine Märtyrer. Denn Märtyrer töten sich nicht
selbst. Sie werden getötet von denen, deren Machtinteressen sie im Wege
stehen.
Unser heutiges Predigtfenster will ein wenig mehr Licht in die Frage bringen: Was sind christliche Märtyrer und warum macht es Sinn, sich ihrer zu
erinnern?
Der erste christliche Märtyrer in der Bibel heißt Stephanus. Ihn sehen wir
deshalb ganz unten auf dem Fenster. Stephanus ist einer der sieben Armenpfleger in der Urgemeinde in Jerusalem. Er sollte sich um die Armen, besonders um die griechischen Witwen kümmern. Und Stephanus ist ein
Mann voll Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen, wie Luther
übersetzt. Auf gut deutsch: Er ist eine charismatische Persönlichkeit, der
nicht nur den armen Witwen das Essen bringt. Er ist auch ein begabter und
kluger Prediger, der die Machtspiele in der frühen Gemeinde durchschaut
und kritisiert. Denn die Gemeinde in Jerusalem hat noch längst keine festen
klaren Strukturen. Sie ist eine wilde Mischung aus ehemals griechischen
und hebräischen Judenchristen. Jede Gruppierung bringt ihre Traditionen
ein und will sie durchsetzen. Stephanus gehört zu dem griechischen Lager.
Er kritisiert die hebräisch sprechenden Judenchristen, die den anderen ihre
Traditionen aufzwingen wollen. Stephanus erklärt ihnen, dass sie damit
permanent gegen ihre eigene jüdische Traditionen verstoßen. So legt er
sukzessive ihre Machtinteressen offen. Seine Rede vor ihnen endet mit dem
Fazit: Ihr habt das Gesetz empfangen durch Weisungen von Engeln und
habt’s nicht gehalten.
Doch in der Gesellschaft des 1. Jh.’s, in der die Juden unter den römischen
Besatzern nur im Bereich der Religion ihre Selbstbestimmung behalten
durften, ist jede Kritik an dieser Religion verboten. Auch wenn diese Juden
sich nun Judenchristen nennen, hat sich an dieser Einstellung nichts geändert. Die Konsequenz ist klar: Stephanus muss sterben. In der Apostelgeschichte heißt es dazu weiter:
Als sie, - die Männer, die im Hohen Rat saßen - das hörten, ging’s ihnen
durchs Herz, und sie knirschten mit den Zähnen über ihn. Er aber, voll heiligen Geistes, sah auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und
Jesus stehen zur Rechten Gottes und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel
offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. Sie schrien aber
laut und hielten sich ihre Ohren zu und stürmten einmütig auf ihn ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ihre
Kleider ab zu den Füßen eines jungen Mannes, der hieß Saulus, und sie
steinigten Stephanus; der rief den Herrn an und sprach: Herr Jesus, nimm
meinen Geist auf. Er fiel auf die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen
diese Sünde nicht an! Und als er das gesagt hatte, verschied er. Saulus
aber hatte Gefallen an seinem Tode.
Blicken wir in diese Geschichte, so wird deutlich: Stephanus lässt sich
nicht von seiner Überzeugung abbringen. Im Gegenteil, die ganze Steinigungsgeschichte weist darauf hin, dass gerade er in der Tradition des Todes
Jesu steht und damit Gott auf seiner Seite hat.
Dreimal meldet er sich noch zu Wort. Zuerst schildert er seine Vision. Sie
erinnert an die Worte Jesu bei dessen Verurteilung vor dem Hohen Rat, wo
Jesus sagt: Von nun an wird der Menschensohn sitzen zur Rechten der
Kraft Gottes. Dann übergibt Stephanus Jesus seinen Geist und stellt sich
damit in die Tradition Jesu, der im Lukasevangelium sagt: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände. Und zuletzt bittet er den Herrn um Vergebung für seine Mörder. Auch dies erinnert an Worte Jesu: Vater, vergib
ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.
Und immer wieder redet Stephanus vom Herrn, vom Kyrios. Auch das ist
mehr als eine Anrede. Wenn Stephanus Jesus als den Kyrios anredet, dass
überträgt er ihm einen weltlichen Titel. Nicht mehr die Herren dieser Welt
sind für ihn maßgebend, nicht die Synagogenvorsteher, nicht die Männer
im Hohen Rat, nicht die Gelehrten. Nein, sein Herr ist Christus.
Die Gegenseite bleibt verstockt. Saulus ist noch nicht zu Paulus geworden.
Noch ist er gefangen in seiner Rechtgläubigkeit und es dauert noch ein paar
Kapitel, bis diese Rechtgläubigkeit Brüche bekommt und er schließlich
selbst ein glühender Christ wird, der später wiederum aufgrund seines
Glaubens und seiner Kritik an den Herrschenden sterben muss.
So zieht sich diese Kritik an den Herrschenden und denen, die mit kooperieren, wie ein rotes Band durch die Geschichte der Märtyrer. Blicken wir
noch mal auf unser Kirchenfenster: Ganz unten steht Stephanus im Blitzlicht Gottes, das ihn wie ein harter Strahl von oben trifft. Im Hintergrund
grinst Saulus.
Stephanus war übrigens der Namensgeber dieser Kirche in vorreformatorischer Zeit. Sie war ihm geweiht und hieß auch nach der Reformation noch
lange Stephanuskirche.
Über ihm sehen wir einen Märtyrer der Reformationszeit. In der Reformationszeit richten sich die Anliegen der Märtyrer gegen Macht und Willkür
der Kirche selbst. Wenn wir an Reformation denken, dann sind uns in der
Regel die Namen derer bewusst, die hier erfolgreich gewirkt haben: Martin
Luther, Philipp Melanchthon, Johannes Calvin, Huldrich Zwingli usw.
Aber bis es soweit kommen konnte, landeten viele mit ähnlichen Ideen auf
dem Scheiterhaufen. Dazu gehörte Johannes Hus. Er regte eine Reformationsbewegung in Tschechien an, forderte die freie Predigt, den Wein beim
Abendmahl auch für Laien, eine strenge Kirchenzucht gegen die verfallene
Moral und Armut auch für den Klerus. Auf dem Konzil in Kostanz wollte
er vorsprechen. Freies Geleit war ihm zugesagt worden. Aber es sollte anders kommen. Mit der Ketzermütze auf dem Kopf wurde er durch die Stadt
getrieben und starb 1415 auf dem Scheiterhaufen. Die Kirche im Fenster
deutet das Konstanzer Münster an. In ihr wurde sein Todesurteil gefällt.
Die Figuren im obersten Teil des Fensters zeigen Märtyrer der Neuzeit.
Vielleicht würden wir heute hier Dietrich Bonhoeffer erwarten. Aber Anfang der 50-er Jahre, als die Fenster entstanden, war die Zeit noch nicht reif
genug für die Kritik an der jüngsten Geschichte, den faschistischen Gedanken des dritten Reiches.
Dargestellt ist stattdessen ein Pfarrer aus Litauen, Traugott Hahn, der 1919
zusammen mit einem katholischen Priester und einem orthodoxen Bischof
von den Bolschewiken erschossen wurde. Sein Tod steht für die Angst der
totalitären weltlichen Macht vor der religiösen inneren oder mystischen
Freiheit. Was sich dahinter verbirgt, zeigen die drei Darstellungen des
evangelischen Pfarrers:
Die obere Figur hält die Bibel in der Hand. Wie Stephanus auf Jesus zur
rechten Gottes hinweist, so weist er auf die Bibel hin, das Wort Gottes, auf
dem seine Überzeugung beruht. Der Märtyrer ist Zeuge des Evangeliums in
der Welt.
Die mittlere Figur betet. Sein Blick ist fragend nach oben gerichtet: „Muss
das sein?“ Auch er zweifelt, hat Angst, fühlt sich ganz und gar nicht als
Held. Aber die betenden Hände weisen darauf hin, dass er weiterhin an
Gott festhält. Sein Glaube ist sein Leben, auch wenn ihn der Tod erwartet.
Die untere Figur betet auch, aber ihre Augen sind geschlossen. Man bekommt den Eindruck, dass sie von dem Todesurteil weiß. Vater, nicht
mein, sondern dein Wille geschehe, sagt Jesu. Ähnlich beten wir es im Vater unser bis heute.
Märtyrer sind keine Helden. Sie opfern sich nicht freiwillig. Sie wollen
keine Stärke demonstrieren. Sie haben genau wie wir Angst vor dem Tod,
Angst vor der Willkür der Machthaber. Und doch zeigt sich in ihnen der
Geist Gottes auf eine ganz starke Weise. Sie haben ihre Finger immer wieder dort in die Wunde gelegt, wo Macht und Willkür das menschliche Leben bedroht haben. Ihr Tod spiegelt wieder, dass sich der Tod Jesu überall
dort wiederholt, wo Menschen aufgrund ihres Glaubens und ihres Einsatzes
für das Leben verfolgt und getötet werden. Im Blick auf sie wird unser
Glaube politisch. Er hat ganz konkrete Auswirkungen auf unser Verhalten,
unsere Einstellung zu den Mächten, die unser Leben beherrschen: das
Geld, die Wirtschaft, Konzerne, Politik usw.
Insofern ist diese Fenster in unserer Kirche die Erinnerung daran, das diese
Welt noch nicht so ist, wie Gott sie gewollt hat. Wir sind noch auf dem
Weg. Aber am Ende wartet auf uns nicht der Tod, sondern -wie ganz oben
im Fenster - sondern die Krone des Lebens. Amen.
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