unizeit 64

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unizeit 64 | aktuelles | seite 2
12. 02. 2011
Leben spenden
Wegwerfen oder einfrieren? Beim Umgang mit
Nabel­schnurblut stehen werdende Eltern vor dieser
Entscheidung – oft, ohne es zu wissen.
»Erstmals Heilung einer Leukämie
durch das eigene Nabelschnurblut« – Mit
dieser Überschrift informierte Vita 34, die
größte private Nabelschnurblutbank Deutschlands, im November 2010 über die erfolgreiche Behandlung eines neunjährigen Mädchens. Im Alter von drei Jahren erkrankte
sie an Leukämie. Zur Therapie erhielt sie
eigene Stammzellen, die nach der Geburt aus
Nabel­schnurblut gewonnen und eingefroren
worden waren. Glück für das Kind und die
betroffene Familie. Aber ist es auch ein Argument dafür, Nabelschnurblut nach der Geburt
für viel Geld privat einzulagern? Bei Vita 34
ist nach eigenen Angaben Nabelschnurblut
von mehr als 75.000 Kindern eingefroren. Seit
1997 gibt es diese Bank, und nur ein Kind mit
Leukämie wurde bisher mit eigenem Nabelschnurblut geheilt. Das klingt nicht gerade
nach einer Erfolgsstory.
Eine Erklärung dafür liefert der Kieler Stammzellexperte Professor Martin Gramatzki: Bei
einer Krebserkrankung komme das eigene
Nabelschnurblut gewöhnlich nicht zum Einsatz. »Die meisten Patienten, denen wir Knochenmark transplantieren, haben ein bös-
artiges Leiden. Bei denen würden wir eine
passende Fremdspende vorziehen, selbst
wenn eine genetisch identische Spende von
einem eineiigen Zwilling vorhanden wäre.«
Der Grund: Die Fremdspende verspricht eine
bessere Immunüberwachung. »Deswegen
sind die eingefrorenen eigenen Stammzellen
bei einer bösartigen Erkrankung wie Leukämie nicht so ideal«, erläutert der Ärztliche
Leiter der Sektion für Stammzell- und Immuntherapie am Kieler Dr. Mildred Scheel Haus.
Segensreich kann das Nabelschnurblut aber
für andere Menschen sein. Die Deutsche
Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie empfiehlt daher, die aus Nabelschnurblut
gewonnenen Stammzellen für alle Patienten
zugänglich zu machen und an öffentliche
Blutbanken zu spenden.
Dies ist auch bei Geburten in der Klinik für
Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus
Kiel, möglich. »Wir klären Schwangere bei
der Vorstellung in der Schwangerenambulanz
oder beim Aufnahmegespräch über die Möglichkeit auf, Nabelschnurblut zu spenden«,
sagt Madalena Schwarz. »Wir entnehmen das
Nach dem Abnabeln bleibt in der Nabelschnur und im Mutterkuchen Blut zurück. Es enthält
wertvolle Stammzellen, die lebensrettend sein können.
Blut aus dem Nabelschnurstück, das nach
dem Abnabeln an dem Mutterkuchen hängen bleibt und sonst entsorgt werden würde. Weder die Mutter noch das Kind haben
davon einen Nachteil«, versichert die Assis­
tenzärztin der Kieler Uni-Frauenklinik, die
im April ihr zweites Kind erwartet und das
Nabel­schnurblut spenden wird. Eine solche
öffentliche Spende kostet die Familie keinen
Cent. Falls jedoch Nabelschnurblut für etwaige eigene Zwecke eingelagert werden soll,
müssen die Familien selbst dafür aufkommen.
Mit Kosten ab 1.500 Euro ist zu rechnen.
Experten raten jedoch von der privaten Lagerung ab. So schreibt die deutsche Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation in einer Stellungnahme:
»Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Kind
oder später beim Erwachsenen eigene Nabelschnurstammzellen zur Behandlung von
Tumor- oder sonstigen Erkrankungen sinnvoll angewandt werden können, ist extrem
gering. Hier stehen schon jetzt sinnvolle und
hochwirksame andere Behandlungsoptionen
zur Verfügung.«
Davon ist auch Professor Martin Gramatzki
überzeugt. »Wir machen hier im Jahr etwa 130
Transplantationen, davon 50 von Fremdspendern. Bisher haben wir noch kein Mal Nabelschnurblut transplantiert. Das kann sich aber
dieses Jahr ändern.«
Kerstin Nees
Vorteile von Nabelschnurblut
Als Nabelschnurblut bezeichnet man das nach der
Abnabelung des Kindes noch in Nabelschnur und Mutterkuchen vorhandene kindliche Blut. Dieses ist reich
an Stammzellen, die in der Lage sind, das blutbildende
System wiederherzustellen. Gegenüber KnochenmarkStammzellen haben die Nabelschnurblut-Stammzellen
verschiedene Vorteile: Sie können ohne Risiko entnommen werden, sind im Bedarfsfall sofort verfügbar und
sind vor allem besser verträglich, das heißt, das Transplantat verursacht seltener unerwünschte Immunreaktionen. Aus diesem Grund kann auch transplantiert
werden, wenn die Gewebemerkmale von Empfänger
und Spender nicht hundertprozentig übereinstimmen.
Allerdings ist die Anzahl an Stammzellen im Nabelschnurblut recht gering und für manche Empfänger
nicht ausreichend. ne
Der weite Weg zum
Wunder
Stark vergrößerter Blick auf menschliche Blutzellen.
Stammzellen sind die Wundertüten des menschlichen
Körpers. Um aber mit ihrer Hilfe schwere Krankheiten
zu kurieren, bedarf es keiner Wunder, sondern
nimmermüder Forschungsarbeit.
So ungefähr ist es gemeint, wenn
Professor Thomas Bosch für die SchleswigHolsteinische Universitätsgesellschaft seine Vorträge mit dem Titel »Wunder dauern
etwas länger« hält. Bosch und sein Team
am Zoologischen Institut der Uni Kiel haben
besonders dem Süßwasserpolypen Hydra
manches genetische Geheimnis entlockt, bleiben aber trotzdem auf dem Teppich. Selbst
wenn Erkenntnisse in einzelnen Bereichen
der Stammzellforschung noch so spektakulär
erscheinen mögen, sind immer noch zu viele
Fragen offen, meint Bosch.
Nicht von ungefähr wecken gerade die
Stammzellen das Interesse der Genforschung.
Diese Zellen gelten als wahre Vielseitigkeitskünstler, weil sie ganz verschiedenartige Funktionen ausüben können. Wie das
funktioniert, darüber weiß die Wissenschaft
schon allerhand. »Die molekulare Sprache der
Stammzellen ist im Wesentlichen aufgeklärt«,
befindet Professor Bosch und betrachtet das
gleichwohl nur als einen Teilerfolg.
Mitverantwortlich für diese Zurückhaltung ist
der chinesische Forscher Professor Ting Xie,
der herausfand, dass es keineswegs genügt,
nalen Stammzellen eine Brücke über eine
meist durch einen Unfall geschädigte Stelle
im Rückenmark zu bauen. Sehstörungen, aber
auch Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson könnten nach Boschs Einschätzung eines
nicht sehr fernen Tages ähnlich behandelt
werden. Ein Wundermittel gegen Krebs sei
wegen der enorm komplexen Ursachen dieser
Krankheit aber noch in weiter Ferne.
Dem stimmt Professor Martin Gramatzki zwar
zu, dennoch ist nach seinen Worten im Kampf
gegen Krebs schon heute einiges möglich,
zum Beispiel auch mit Stammzelltherapien.
Gramatzki ist Ärztlicher Leiter der Sektion
für Stammzell- und Immuntherapie im Dr.
Mildred Scheel Haus am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel. Unter
seiner Regie erhalten dort jährlich etwa 120
Krebs­patienten Knochenmarktransplantationen. Bei der Hälfte der Patienten, die meist
an Krebserkrankungen des Blut- und Lymphsystems leiden, werden nach einer hochdosierten Chemotherapie zuvor gewonnene
und tiefgefroren aufbewahrte körpereigene
Stammzellen übertragen, die anderen Patienten benötigen Stammzellen fremder Spen-
eine Stammzelle an sich zu verstehen. Vielmehr hat die unmittelbare Umgebung der
einzelnen Zelle großen Einfluss auf deren
Verhalten, so dass es die Wissenschaft im
Grunde mit kommunizierenden Wesen zu tun
hat. »Das macht es nicht einfacher«, betont
Bosch, der mit seinen eigenen Leuten ebenfalls etwas zur allgemeinen Verkomplizierung
beigetragen hat. So tauschen sich in der
Hydra evolutionsgeschichtlich neue Moleküle mit uralten Rezeptoren aus, ohne dass
bislang jemand schlüssig erklären kann, wie
das funktioniert.
Diese Wissenslücken sind jedoch kein Grund
zur Verzweiflung. Schließlich gibt es immer
wieder kleine und große Erfolgsgeschichten,
die tatsächlich wie Wunder anmuten. Etwa
als es der amerikanischen Firma Geron mit
Hilfe von Stammzellen gelang, gelähmte Ratten wieder laufen zu lassen. Inzwischen wird
dieses Verfahren an Menschen weiterentwickelt, und Thomas Bosch ist zuversichtlich,
dass damit womöglich schon in den nächsten
zehn Jahren erhebliche Fortschritte bei Querschnittslähmungen erreicht werden können.
Es kommt also »nur« darauf an, mit neuro-
der. Die zweite Variante hat den Vorteil, dass
durch das Transplantat das Immun­system
des Patienten erheblich gestärkt werden
kann. Nach einer Chemotherapie verbliebene Krebszellen werden damit laut Gramatzki meist »erstaunlich präzise« unschädlich
gemacht. Dank der angewandten Stammzellenforschung hat sich beispielsweise die
Wahrscheinlichkeit, die gefürchtete »akute
myeloische Leukämie« zu überleben, dramatisch verbessert.
Ein Sieg über den Krebs mit Mitteln der
Stammzellentherapie ist das aber noch lange nicht, betont Professor Gramatzki: »Wir
sind immer noch nicht annähernd in der
Lage, Tumore gentherapeutisch zu behandeln, haben aber mit immunologischen und
molekularen Methoden enorme Fortschritte
in einer zielgerichteten Therapie gemacht.«
Grundlegende Forschungsarbeiten wie sie
das Team um Professor Bosch leistet, könnten
jedoch, so hofft Gramatzki, dazu beitragen,
dass die Stammzelltherapie sich über die
Tumorbehandlung hinaus zur Ersatztherapie
geschädigten Gewebes weiterentwickelt.
Martin Geist
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