Prof. Dr. Dirk Ehlers Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) Verfassungsrechtliche und ökonomische Bewertung Gutachten im Auftrag der Sonder-Verkehrsministerkonferenz der Länder Kurzfassung 15. September 2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers KCW GmbH Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht Charlottenstr. 65 Universitätsstr. 14-16 10117 Berlin 48143 Münster Prof. Dr. Dirk Ehlers Vorwort Die Länder haben am 2.8.2007 auf der Sonder-Verkehrsministerkonferenz einvernehmlich den Beschluss gefasst, den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) im Rahmen der geplanten Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG gutachterlich bewerten zu lassen. Hintergrund der Beauftragung ist die Befürchtung der Länder, dass der Gesetzentwurf in seiner vorliegenden Fassung den spezifischen Länderinteressen an einem bezahlbaren und qualitativ hochwertigen Schienenverkehr - insbesondere dem Schienenpersonennahverkehr - nicht hinreichend Rechnung trägt. Ausdruck dessen sind die einstimmigen Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz vom 22./23.11.2006 und 18./19.4.2007. Hierunter fällt auch die Feststellung, dass der Gesetzentwurf die Grundsätze der Entschließung des Bundestags vom 24.11.2006 – vornehmlich die Forderung des dauerhaft gesicherten Mehrheitseigentums des Bundes – nicht vollinhaltlich umsetzt. Vor diesem Hintergrund soll das Gutachten vertiefend prüfen, wie der Gesetzentwurf aus verfassungsrechtlicher Sicht zu bewerten ist, insbesondere auch unter Einbeziehung der nachträglichen Änderungen infolge der Ressortabstimmung der Bundesministerien, die noch nicht Gegenstand der Sachverständigenanhörung des Bundestages vom 23.5.2007 zur verfassungs- und bilanzrechtlichen Konformität des damaligen Entwurfsstandes des EBNeuOG sein konnten. im Sinne der Aufgabenverantwortung der Länder im Schienenpersonennahverkehr ökonomisch zu beurteilen ist. Hierzu formuliert der Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz vom 2.8.2007 unter III. einen Forderungskatalog, der aus zehn Punkten besteht. Untersucht werden soll, ob diese zehn Forderungen durch den Gesetzentwurf abgedeckt werden, wo Nachbesserungsbedarf besteht und wie dieser in Lösungsvorschläge überführt werden kann. Aufgrund der thematischen Eigenständigkeit der Prüfaufträge wurden beide Teile separat verfasst. Um den Gesetzentwurf ganzheitlich beurteilen zu können, bilden sie dennoch eine Klammer. Seite 2 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Teil I: Verfassungsrechtliche Bewertung Seite 3 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Nach Art. 87 e Abs. 3 GG muss der Bund mindestens Mehrheitsanteilseigner der als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führenden Eisenbahnen des Bundes bleiben, soweit es um den Bau, die Unterhaltung und Betreiben von Schienenwegen geht. 2. Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verpflichtet den Bund, das Mehrheitseigentum und die damit verbundenen Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand zu geben. 3. Der Bund ist verpflichtet, seine eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse betriebswirtschaftlich effizient und gemeinwohlorientiert auszuüben. 4. Aus dem in Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG mit enthaltenen Untermaßverbot ergibt sich, dass der Bund zumindest die Ingerenzbefugnisse eines Mehrheitsaktionärs behalten und nutzen muss. 5. Die Einfügung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes in einen Konzern ist nur zulässig, wenn die verfassungsrechtlich gebotenen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes gewährleistet werden. 6. Art. 87 Abs. 4 S. 1 GG enthält einen auf Gewährleistung des Wohls der Allgemeinheit bezogenen Auftrag des Bundes in Gestalt einer Staatszielbestimmung. 7. Zur Sicherstellung des Gewährleistungsauftrags kann sich der Bund externer oder interner Einflussnahmerechte bedienen und sowohl die Rechtsformen des öffentlichen oder privaten Rechts als auch einseitig verbindliche oder kooperative Regelungstechniken in Anspruch nehmen. 8. Die Einwirkungsrechte des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG stehen neben denen aus Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG und vermögen letztere nicht zu ersetzen. 9. Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes verfolgt das Ziel, das juristische und wirtschaftliche Eigentum voneinander zu trennen. Der Versuch, die verfassungsrechtlichen und die wirtschaftlichen Zielsetzungen in Einklang zu bringen, kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Behält der Bund nicht die erforderlichen Einflussrechte, wird Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verletzt. Erhalten die privaten Anleger nicht das versprochene wirtschaftliche Eigentum, werden ihre grundrechtlich geschützten Interessen verletzt. Seite 4 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 10. Die Dauer der Sicherungsübertragung und die Wertausgleichspflicht des Bundes im Falle einer Beendigung der Sicherungsübertragung haben prohibitve Wirkungen und erlauben dem Bund entgegen Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht, den Vermögenswert seines Anteilseigentums durch Wiederzusammenführung von wirtschaftlichem und juristischem Eigentum in vollem Umfange nutzen zu können. 11. Die Übertragung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vom Bund auf die Deutsche Bahn AG respektive den Vorstand der Deutschen Bahn AG stellt nach Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG eine verfassungsrechtlich unzulässige materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt dar. 12. Bei der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind der Bund und der Vorstand der Deutschen Bahn AG auf eine Einigung angewiesen, so dass der Bund seinen Willen nicht – wie verfassungsrechtlich gefordert – einseitig durchsetzen kann. 13. Die dem Bund nach § 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes eingeräumten Zustimmungsvorbehalte beziehen sich nur auf Ausnahmetatbestände. Auch die Zustimmungsvorbehalte des § 2 Abs. 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes vermögen die Einflussrechte des Bundes nicht aufzuwiegen. 14. Das zulässige Ausmaß einer Unternehmenssteuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch die Deutsche Bahn AG wird hinsichtlich der Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Wegeentgelten sowie der Zuweisung von Fahrwegekapazitäten durch das europäische Gemeinschaftsrecht bestimmt. Wird die Unabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht gewährleistet, wird europäisches Gemeinschaftsrecht verletzt. Ist eine Unabhängigkeit gegeben, kann bei der Trassenvergabe und Trassenpreissetzung weder von dem wirtschaftlichen Eigentümer Deutsche Bahn AG noch von dem juristischen Eigentümer Bund Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen genommen werden. Dies ist mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar. 15. Die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Deutsche Bahn AG in ihrer Eigenschaft als wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen zurück, weil nicht sichergestellt ist, dass der Bund von seinem Recht zur alleinigen Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre Gebrauch macht, aller Wahrscheinlichkeit nach die privaten Aktionäre im Aufsichtsrat vertreten sein werden und die Vertrauenspersonen des Bundes im Aufsichtsrat wegen des Eingreifens der unternehmerischen Mitbestimmung ihre Mehrheit im Aufsichtsrat verlieren, wenn auch Seite 5 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers nur ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG von den privaten Anteilseignern bestellt wird. 16. Die materielle Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG lässt sich nicht mit der vom Grundgesetz akzeptierten materiellen Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vergleichen. Bei einer materiellen Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die privaten Anteilseigner der Deutschen Bahn AG darauf dringen werden, die Infrastrukturinvestitionen in die von der Deutschen Bahn AG selber genutzten Netzteile zu lenken und die Trassen- und Stationspreise anzuheben. Dies hätte für den Schienenpersonennahverkehr und damit für die hierfür verantwortlichen Länder erhebliche nachteilige Wirkungen. 17. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Eisenbahnen des Bundes ist mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG insofern nicht vereinbar, als Regelungen über die Art und das anzustrebende Ausmaß einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG fehlen. 18. Die im Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgesehenen externen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben – unabhängig von den nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG gebotenen Sicherungsmaßnahmen – jedenfalls in fünffacher Hinsicht hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Zum Ersten muss der Bund eine einseitige Anpassung verlangen können, wenn mit der abzuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ein betriebsbereiter Zustand der Schienenwege nicht erreicht werden kann. Zum Zweiten ist auch eine Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zuzulassen. Zum Dritten muss dem Bund die Möglichkeit gegeben werden, den Ausbau der Schienenwege dann durchsetzen zu können, wenn sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen weigern, eine Finanzierungsvereinbarung zu zumutbaren Bedingungen abzuschließen. Zum Vierten ist die Regelung über den Nahverkehr nicht ausreichend. Zum Fünften bedarf die Veräußerung von Immobilien einer gesetzlichen Regelung. 19. Erfolgt die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ausschließlich im Wege der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien, verfügt der Bund ebenso wie nach bisherigem Recht über verfassungsrechtlich ausreichende Ingerenzrechte. Verfassungsrechtlich bedenklich bleibt die Erschwerung einer Wiederzusammenführung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum. Ferner bleibt der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes auch in diesem Falle partiell hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Schließlich muss der Gesetzgeber die Entscheidung treffen, welche Art von Aktien der Deutschen Bahn AG veräußert werden sollen. Seite 6 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 20. Resümierend ist festzustellen, dass das Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit den sich aus Art. 87 e Abs. 3 u. 4 GG ergebenden Vorgaben kollidiert. Die Feststellung bezieht sich nicht nur auf die Regelung verschiedener Details, sondern auch und vor allem auf die grundsätzliche Konzeption einer Integration von Netz- und Verkehrsbetrieb bei gleichzeitiger Trennung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum, die zu einer Art Quadratur des Kreises nötigt und eine materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt zur Folge hat. Die verfassungsrechtlichen Probleme werden in einem erheblichen Ausmaße entschärft, wenn die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ausschließlich mittels der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien erfolgt. Seite 7 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Teil II: Ökonomische Bewertung Seite 8 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 1 Das Wichtigste auf zwei Seiten Der Gesetzentwurf der Bundesregierung führt zur faktischen Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Klarer Beleg ist der Wertausgleich – laut Bund derzeit 7,5 Mrd. €. Diesen müsste der Bund an die DB AG zahlen, wenn er das größtenteils von ihm selbst finanzierte Netz und die Stationen zurücknähme. Das rechtliche Eigentum des Bundes ist eine leere Hülle. Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass die Geschäftsfelder Netz und Personenbahnhöfe kapitalmarktadäquate Renditen erzielen müssen. Diese lassen sich der aktuellen Planung der DB AG bereits entnehmen. Das Ergebnis des Netzes soll von - 212 Mio. € 2006 auf + 568 Mio. € 2011 steigen. Damit wäre das bislang als strukturell defizitär geltende Netz neben der Logistiktochter Schenker der größte Gewinnbringer des Konzerns. Die Personenbahnhöfe sollen ihren Gewinn mehr als verdoppeln. Das Infrastrukturmonopol soll eine Rendite abwerfen, die aufgrund ihrer Berechenbarkeit attraktiv ist. Die Bundesregierung ist in diese Pläne eingeweiht und unterstützt sie aktiv. Dem Schienenpersonennahverkehr – d.h. den Ländern - wird die Rolle des Hauptzahlers zugedacht. Folgende Auswirkungen der Privatisierung auf die Länder lassen sich begründet herleiten: Them enfeld Folgen Preis e fü r Vorleis tungen (Tras sen, Stationen, E nergie) Sichere Mehrbelas tung von 1 Mrd. € bis 2011 Kaufkraft der RegMittel wird kontinuierlich entw ertet, erzw ingt Streichung von 5 bis 10 % des SPNV-Angebotes Betriebslänge Netz 6.000 bis 10.000 Netzkm sind mittelfristig s tilllegungsgefährdet, davon voraussichtlich 2.000 km bes chleunigt (siehe LuFV) Stationen Stationen < 100 Ein-/Aussteiger pro Tag w erden ges chlossen Finanzierung Investitionen DB w ird Eigen mittel au f Minimum reduzieren In vestitionen in R egionalnetze/Bahnhöfe zunehmend durch Länder Die Vorkehrungen des EBNeuOG-E zum Schutz des Gemeinwohlauftrags – v.a. Verkehr „in der Fläche“ – halten dem Renditedruck des Kapitalmarktes nicht stand. Die größte Schwäche liegt in der Wirkungslosigkeit des Maßnahmen-„Dreiecks“ – Infrastrukturzustandsbericht, Leistungsund Finanzierungsvereinbarung, Wertausgleich - zur Sicherung der Infrastrukturqualität. Nachbesserungen im System sind möglich und zwingend erforderlich. Die Forderungen der Länder im VMK-Beschluss vom 2.8.2007 weisen in die richtige Richtung, sollten aber präzisiert werden. Lösungsvorschläge zu den einzelnen Forderungen sind der tabellarischen Übersicht auf der nächsten Seite zu entnehmen. Zentral für den Schutz der Länderinteressen ist die Änderung der Wertausgleichsregelung. Die öffentliche Hand darf das Netz nicht zweimal bezahlen. Nur nach der Privatisierung geschaffene Mehrwerte dürfen dem Investor vergütet werden. Die Länder müssen die Gewissheit haben, dass Nachjustierungen an der Privatisierung bis hin zur Kündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bei Schlechtleistungen des Netzbetreibers eine politisch umsetzbare Option bleiben. Bei 7,5 Mrd. € Wertausgleich ist dieser Weg verbaut. Aber: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sämtliche Nachbesserungen die Interessen der Länder am Ende nicht schützen können. Sie kurieren nur an den Symptomen, ohne das Grundproblem zu lösen: die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Vom Bund können die Länder kaum Unterstützung erwarten. Er wird unter dem Druck des Kapitalmarktes noch stärker die Eigentümerinteressen verfolgen (müssen), als er diesen Weg schon heute freiwillig geht. Treffend beschrieben sind die künftigen Kräfteverhältnisse mit der Aussage in der Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des Bundes als öffentlicher Anteilseigner: „…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“ Bund und v.a. Länder mögen die Folgen dieses Rollenverständnisses gründlich überdenken. Seite 9 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Nr. Forderung VMKBeschluss Lösungsvorschläge (Auswahl) - Wertausgleich bei Rücknahme Netz Nur nach der Privatisierung geschaffene Mehrwerte vergüten. Maßstab: Investitionen der DB AG aus Eigenmitteln 1 Mitwirkung Investitionen Nahverkehr Gesetzliche Trennung der Quoten: 5 bis 10 % in Neu- und Ausbau, 20% Bestandsnetz, dazu Mindestinstandhaltungsquote Investitionsmittel den Regionalisierungsmitteln zuschlagen 2 LuFV - Sanktionen, Teilkündigung 3 Regionalisierung Teilkündigung für Länder „handwerklich“ vorbereiten (Recht, Mittelausstattung, Herauslösen aus Sicherungsübereignung, Wertausgleich) 4 Begrenzung des Risikos von Preissteigerungen (Trassen, Stationen) Gesetzliche Begrenzung des Anstiegs der Vorleistungspreise (Trassen, Stationen) auf 1,5 % p.a. Weist DB AG dem Regulierer Rechtfertigung für höheren Anstieg nach, übernimmt der Bund die Differenz 5 Weisungsunabhängigkeit Wiederaufnahme in Gesetzentwurf (siehe 1. Entwurf), dazu Ausdehnung des Regelungsbereichs analog EU-RL 2001/12-14, Vorbild: Unbundlingvorschriften im Energiesektor 6 Stationen Erhebliche Ausweitung der Kriterien, angelehnt an „Bahnhofsentwicklungsprogramm“ der DB, aber mit harten Kennziffern 7 LuFV – Erprobung Ein Jahr Erprobung inkl. Sanktionen vor Beschlussfassung Zustimmungsgesetz kurz vor der Umsetzung der Privatisierung 8 Infrastrukturzustandsbericht 9 Regulierung Aktive Ex-ante-Regulierung aller Infrastrukturkosten auf Basis effizienter Leistungserbringung (für SPNV separat differenziert) LuFV-Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Länder Gesetz räumt Ländern Klagerechte ein 2,5 Mrd. € gelten für heutiges Netz, keine Stilllegungsprämie Länder erhalten Recht, in Regionalnetzen Ersatzvornahme bei Qualitätsmängeln anzuordnen Gesamte LuFV muss erheblich präzisiert und geschärft werden, insbes. Sanktionssystem Grundlegende Änderungen am Messkonzept Streckenbezogene Gliederung Aufnahme von Kennziffern zur Kapazität Länder erhalten Vorschlagsrecht für 5 Strecken zur Stichprobenmessung (EBA muss insgesamt 5.000 km p.a. prüfen) Personalstärke BNetzA-Eisenbahn auf Niveau von Energie, Telekom (auch Zahl der Beschlussabteilungen) 10 Gemeinwohlauftrag Fern- und Güterverkehr Güterverkehrsbedürfnisse über LuFV absichern (Kapazität, insbes. Abstell-, Überhol-, Ladegleise) Gemeinwirtschaftlicher Fernverkehr: Ausweitung der Bestellerrolle erscheint auch nach PrivG möglich, Systemfrage Ggf. gesetzliche Verpflichtung zu „Fernverkehrsplan“ mit Mindestbedienung Seite 10 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 2 Management Zusammenfassung 2.1. Wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG-E) basiert auf dem Eigentumssicherungsmodell (ESM). Kernidee des ESM ist es, zwischen rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) zu trennen. Während das rechtliche Eigentum auf den Bund im Wege der Sicherungstreuhand übertragen wird, behält die DB AG das wirtschaftliche Eigentum an den EIU. Diese untypische Aufspaltung soll den Kompromiss leisten, sowohl den Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes sicherzustellen, als auch der DB AG die Bilanzierung der Schieneninfrastruktur zu ermöglichen. Die wirtschaftliche Eigentümerstellung ist aus bilanzrechtlicher Sicht an strenge Bedingungen geknüpft. Im Prinzip muss der wirtschaftliche Eigentümer nahe dem Range eines Volleigentümers agieren können. Der Bund darf als rechtlicher Eigentümer – von einzelnen Rechtsgeschäften abgesehen - nur noch geringen Einfluss ausüben. Die Anwaltskanzlei Hölters & Elsing, die das BMVBS berät, formuliert die Anforderungen wie folgt: „Während der Laufzeit der Sicherungsabrede behält die DB AG als Sicherungsgeberin uneingeschränkten Zugriff auf die Chancen und Risiken der Anteile und kann aufgrund der erteilten Stimmrechtsvollmacht weiterhin die Stimmrechte in den Gesellschafterversammlungen ausüben. … Damit kann die DB AG den Bund letztlich vollständig von Substanz und Ertrag der Anteile ausschließen.“ Aus der vorstehenden Kompetenzverteilung ergeben sich zwei Erkenntnisse: Realitätsfremd ist die Vorstellung, der private Investor verzichte auf die Entsendung von Vertretern seines Vertrauens in den Aufsichtsrat. Genau dies wurde den Kritik übenden Ministerien während der Ressortabstimmung in Aussicht gestellt, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Als vermeintlicher Kronzeuge des Bundes dient der nachträglich eingefügte Abs. 3 in § 1 DBPrivG, wonach sich der Bund zu keiner bestimmten Stimmabgabe bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern verpflichten dürfe. Kürzlich hat die Bundesregierung jedoch zugegeben, dass dieser Schutzmechanismus löchrig ist. „Mitglieder von Privatinvestoren müssen von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat gewählt werden. Dies kann mit den Stimmen des Bundes geschehen.“ Seite 11 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Stellt man die im Gesetzentwurf vorgesehenen Zugriffsrechte des Bundes und der DB AG auf die Schieneninfrastruktur gegenüber, ist unübersehbar, dass diese wirtschaftlich privatisiert wird. Deutlichste Indikatoren sind die Abführung der Infrastrukturgewinne an den Konzern ohne Zweckbindung und insbesondere der Wertausgleich. Würde tatsächlich „kein Meter Schienennetz“ privatisiert, müsste der Bund keinen Wertausgleich – derzeit laut Bundesregierung rund 7,5 Mrd. € - bezahlen, um die überwiegend von ihm selbst finanzierte Schieneninfrastruktur zurückzuholen. Die zivilrechtliche Stellung des Bundes ist de facto kaum mehr als eine symbolische Hülle. Die ökonomische Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass sie in gleichem Maße dem Renditeanspruch des Kapitalmarktes unterliegt wie die Transportgesellschaften der DB AG. Investoren erwarten, dass alle Segmente eines Unternehmens ihre Kapitalkosten verdienen – auch das Schienennetz, das bisher als strukturell defizitär gilt. Die Vorboten dieses kapitalmarktinduzierten Paradigmenwechsels schlagen sich in der aktuellen Gewinnplanung der DB AG für die Geschäftsfelder Netz und Stationen deutlich nieder. Businessplan DB AG: Netzmonopol als sichere Gewinnquelle (vor DB Regio) Ist-Daten Betriebserg. n. Zinsen DB Netz (Ist/Plan) Plan-Daten Gewinn nach BE II Zinsen Mio. EURin Mio. € 568 600 400 300 2500 LuFV-Mittel 495 DB AG / BMVBS: Umstellung auf 100% Zuschuss zu Baukosten „zwingend“, weil Netz angeblich strukturell defizitär 437 369 Privatisierungsgesetz 500 : 200 100 0 -100 Kum. Verlust: 1,6 Mrd. € -200 -300 22% der Bundesmittel werden als Gewinn privatisiert 233 Kumul. Monopolgewinn: 2,1 Mrd. € Wer bezahlt Gewinn der Investoren? Primär Länder (SPNV) -400 -500 -600 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Anmerkung: Planung ging vermutlich von Verabschiedung des Gesetzes 2007 aus, inzwischen muss der orange Balken nach rechts verschoben werden 2008 2009 2010 2011 Quellen: Geschäftsberichte DB AG, Mittelfristplanung 2006 DB AG lt. Capital Während das Netz von 2001 bis 2006 im Mittel gut 250 Mio. € Verlust pro Jahr erwirtschaftete, soll es bis 2011 neben der Logistiksparte Schenker zum größten Gewinnbringer des Konzerns ausgebaut werden. Geplant ist ein Ergebnissprung Seite 12 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers um 780 Mio. € von 212 Mio. € Verlust 2006 auf 568 Mio. € Gewinn 2011. Die geplante Umsatzrendite liegt im Bereich anderer Netzmonopolisten (z.B. Strom, Wasser), die wegen ihrer hohen Monopolgewinne in letzter Zeit unter öffentliche Kritik und in den Fokus der EU-Kommission geraten sind. Erzielt das Netz 568 Mio. € Gewinn, fließen 22 % des jährlichen Bundeszuschusses von 2,5 Mrd. € in den Konzerngewinn und finanzieren die Dividende privater Investoren mit. Auch bei den Personenbahnhöfen sollen die Gewinne mehr als verdoppelt werden. 2.2. Folgenabschätzung für die Länder Hinterlegt man die Gewinnplanung mit Maßnahmen, wird deutlich, dass auf die Länder erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zukommen. Haupttreiber der fiskalischen Zusatzlasten sind Trassen- und Stationspreiserhöhungen. Hiervon sind die Länder besonders betroffen, da der SPNV der Hauptnutzer der Infrastruktur ist und wegen seiner Zahlungsfähigkeit an erster Stelle abgeschöpft wird. Fest eingeplant sind bereits Trassenpreissteigerungen von (gerundet) 2 % p.a. bis 2011. Schreibt man die für 2008 angekündigte Erhöhung von durchschnittlich 2,4 % bis 2011 fort, beträgt die Mehrbelastung rund 1 Mrd. €. Liegt die Steigerung bei 3,5 % pro Jahr, steigen die Zusatzlasten noch stärker an. Da der SPNV rund 86 % alle Stationsentgelte entrichtet, werden auch die dort geplanten Preiserhöhungen vornehmlich auf die Länder überwälzt. In den Verkehrsverträgen der Aufgabenträger mit den SPNV-Verkehrsunternehmen sind die Infrastrukturnutzungsentgelte im Regelfall als durchlaufende Posten angelegt, so dass die Mehrkosten voll auf die Länder durchschlagen. Weil die Regionalisierungsmittel nicht im Gleichschritt mit den Preiserhöhungen steigen, sinkt die Kaufkraft eines Euros Bestellentgelt der Länder kontinuierlich. In welchem Ausmaß die Entwertung auf das Verkehrsangebot durchschlägt, hängt primär von der Bereitschaft der Länder ab, eigene Mittel einzusetzen. Ohne kompensatorische Maßnahmen zeichnet sich die Streichung von rund 5 bis 10 % des Gesamtangebotes im SPNV bis 2011 ab. Setzt sich die Öffnung der Schere zwischen der Dynamisierung der Regionalisierungsmittel und der Steigerung der Vorleistungspreise auch danach fort, sind weitere Teile des SPNV-Angebotes kürzungsgefährdet. Eine zweite Folge der Privatisierung ist der wachsende Druck auf die Betriebslänge des Netzes. Da das Schienennetz insgesamt strukturell defizitär ist, erhöht der Renditeanspruch des Kapitalmarktes den Druck auf die unprofitabelsten Teile des Netzes. Dies sind vor allem die Regionalnetze, die den Verkehr „in der Fläche“ gewährleisten. Der Wirkmechanismus entfaltet sich nicht direkt, aber dennoch konsequent. Als Hebel bietet sich die „strategische Priorisierung von Investitionsmitteln“ für Netz und Stationen an. Sie ist nicht nur schon vieSeite 13 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers lerorts beobachtbar, sondern in der Anfang des Jahres veröffentlichten Strategie ProNetz offen angelegt. So fällt das umsatzschwächste Drittel des Netzes (17.000 Gleiskilometer), das weniger als 10% zum Gesamtumsatz beiträgt, nicht in das Programm der präventiven Instandhaltung. Bei den Investitionen heißt es: „Gesamtes Netz hinsichtlich bereits geplanter Investitionsmaßnahmen prüfen. … [Unterpunkt:] Insbesondere Schwachlastregionen hinsichtlich des Mitteleinsatzes überprüfen.“ Hierzu passen aktuelle Hinweise von Aufgabenträgern, nach denen Regionalmanager von DB Netz beklagten, dass sie 2008 aufgrund von Umschichtungen der Mittel zugunsten des Fern- und Ballungsnetzes nur noch 50% ihrer alten Planansätze zur Verfügung hätten. Die Konzentration der Mittel setzt in den Randbereichen eine Abwärtsspirale in Gang. Sinkt die Attraktivität einer Verbindung, wandern die Fahrgäste zunehmend ab, was den Netzbetreiber in seiner Schwerpunktsetzung für die Verteilung der Investitionsmittel bestärkt. Sobald Angebotskürzungen durch steigende Infrastrukturentgelte oder äußere Anlässe (Einschnitte bei Regionalisierungsmitteln) erzwungen werden, rücken die Schwachlaststrecken an die Spitze der Streichliste. Das Ziel der „kalten Stilllegung“ wird unmerklich, aber effektiv über einen Umweg erreicht. Formale Entscheidungsrechte wie die Bestellhoheit der Länder oder die Stilllegungsautonomie des Bundes (§ 11 AEG) erweisen sich in der Praxis als schwache Instrumente - faktisch ist es der Netzbetreiber, der als Bauträger und Disponent der Investitionsmittel maßgeblich über die wirtschaftliche Daseinsberechtigung einer Strecke entscheidet. Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass die betriebswirtschaftlichen Handlungszwänge der Netzprivatisierung zu einer Verkleinerung des Netzes um rund 6.000 bis 10.000 Streckenkm führen – davon 2.000 km mit beschleunigtem Druck wegen der Konzeption der LuFV (vgl. 2.3). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die heutigen Regionalnetze (rund 11.500 km). In einem aktuellen Strategiepapier der DB AG ist dazu passend von „unprofitabler Infrastruktur“ die Rede, für die Handlungsalternativen gesucht werden müssten. Wieviel von diesem Segment „überlebt“, hängt vorrangig von der Bereitschaft und der Finanzkraft der Länder ab, für die Ersatzinvestitionen aufzukommen. Hinsichtlich der Stationen zeichnet sich als erster Schritt der DB AG ab, auf die Schließung der Stationen unter 100 Ein- und Aussteigern pro Tag hinzuwirken. Der dritte wesentliche Effekt der Privatisierung ist die beschleunigte Verlagerung der Finanzierungsverantwortung für Infrastrukturinvestitionen auf die öffentliche Hand. Der Bericht des Bundesrechnungshofs zur Finanzierung der Schienenwege vom März 2006 belegt, dass dieser Trend bereits seit 2001 sichtbar greift. Insgesamt wird der Bund der DB AG bis 2008 Vorteile im Wert von rund 9 Mrd. € verschafft haben. Seite 14 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Im Gegenzug ist die Eigenmittellinie der DB AG deutlich gesunken. Neben dem Bund werden die Länder mit dieser Restriktion beständig konfrontiert. Bis auf wenige Ausnahmen bewegt sich z.B. bei Bahnhofssanierungen oder kleineren Investitionen in Fahrkartenautomaten, Toiletten u.ä. nur dann etwas, wenn das Land alle Kosten einschließlich der Planung übernimmt. In der Branche hat sich der Begriff der „120%-Finanzierung“ etabliert. Diese unternehmerisch nachvollziehbare Haltung der DB AG wird sich nach der Zementierung des Netzmonopols durch die Privatisierung noch spürbar verstärken. Die Länder werden vor der Wahl stehen, ihre Investitionsabsicht aus Budgetgründen aufzugeben oder aber selbst einzuspringen. Im Ergebnis zeitigt die Teilprivatisierung der Infrastruktur einen wachstumsfeindlichen Effekt: Die Finanzierung des Systems Schiene wird staatslastiger als zuvor – entgegen den erhofften Vorteilen einer Privatisierung. Auch der Wettbewerb auf der Schiene droht nach der Privatisierung an Schwung zu verlieren. Aktienrechtlich ist der Vorstand der DB AG verpflichtet, alle Maßnahmen zum Wohl des Unternehmens zu ergreifen. Es wäre gegen die Lebenswirklichkeit, das vorhandene Diskriminierungspotenzial des integrierten Netzbetriebs brachliegen zu lassen. Die Länder könnten dann betroffen sein, wenn die Zahl der Bieter in den SPNV-Ausschreibungen auf wenige Unternehmen reduziert würde und der Druck in Richtung Wettbewerbspreise nachließe. Als Fazit der Folgenabschätzung ist festzuhalten, dass die Renditeerwartungen des Kapitalmarktes den gemeinwohlbasierten Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes nachhaltig in die Defensive drängen. Die Länder werden Leistungen der Daseinsvorsorge härter erstreiten – und vor allem deutlich teurer bezahlen müssen. Jede bestellte Leistung des Infrastrukturmonopolisten bezuschlagt der Kapitalmarkt mit einer höheren Gewinnerwartung als die heutige DB AG. Da das Spannungsverhältnis zwischen Rendite und Gemeinwohl systemisch ist, kann kein Gesetz diesen Gegensatz auflösen. Es kann nur versuchen, das öffentliche Interesse so gut wie möglich zu verteidigen. Hierzu müssen in den Gesetzentwurf wirksame Schutzvorkehrungen eingebaut werden. 2.3. Abgleich der Länderforderungen mit dem Gesetzentwurf Der vorliegende Gesetzentwurf leistet die erforderliche Schutzfunktion nicht. Im Ergebnis sind die Interessen der Länder dem Einfluss des Kapitalmarktes weitgehend ausgeliefert; der ohnehin geringe verkehrspolitische Spielraum tendiert gegen null. Seite 15 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Insbesondere das miteinander zu verzahnende Instrumenten-Dreieck zur Sicherung einer guten Infrastrukturqualität erweist sich als stumpf und sieht keine Einwirkungsmöglichkeiten der Länder vor: Der gegenwärtige Infrastrukturzustands- und –entwicklungsbericht (IZB) hat nur minimale Aussagekraft. Das Messkonzept protegiert den Netzbetreiber, indem es die Folgen betrieblicher Mängel durch Ausblenden der Fahrdynamik kleinrechnet, Langsamfahrstellen nur selektiv einbezieht und der DB AG die Definition der Soll-Geschwindigkeit zumindest teilweise überlässt. Sämtliche Kriterien werden als bundesweite Durchschnittswerte gemessen, womit de facto Qualitätsmängel in Bayern durch Planübererfüllung in Mecklenburg-Vorpommern ausgeglichen werden können. Den betroffenen Fahrgästen und Bestellern nützt dies nichts. Vergleicht man den IZB der DB AG mit dem Netzzustandsbericht des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, ergeben sich für Brandenburg erhebliche Abweichungen. Laut VBB-Geschäftsführer Franz wird der wahre Netzzustand verschleiert. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist – soweit im Entwurf bekannt – unausgereift und zur gerichtsfesten Steuerung des Netzbetreibers untauglich. Sie ist als Monolith so konzipiert, dass der Bund stets vor einer „Alles-oder-nichts“-Entscheidung steht: entweder den gesamten Vertrag im Werte von 2,5 Mrd. € kündigen oder alles beim alten belassen. Dadurch entsteht eine kaum überwindbare Hürde für Nachsteuerungen und die Verhängung angemessener Sanktionen. Eine vollständige Kündigung erscheint extrem unwahrscheinlich. Das Sanktionssystem ist bis heute nur in Ansätzen erkennbar, der Höchstbetrag der Rückforderung schöpft den wirtschaftlichen Vorteil des Netzbetreibers wahrscheinlich nicht ab. Anpassungen des Zuwendungsbetrags bei Netzverkleinerungen greifen erst unterhalb von 32.000 km. Damit werden 2.000 km Netz praktisch schon heute als Stilllegungsprämie dem Investor überantwortet. Die Wertausgleichsregelung ist so angelegt, dass die ultima ratio – die Kündigung der LuFV wegen gehäufter Schlechtleistung – nach politischen Maßstäben so gut wie ausgeschlossen ist. Bemessungsgrundlage des Wertausgleichs ist das bilanzielle Eigenkapital der EIU, das laut Bundesregierung derzeit 7,5 Mrd. € beträgt. Dass ein Finanzminister diese in der Tendenz noch steigende Summe aufbietet, erscheint kaum vorstellbar. Aus diesem Grund ist auch die Umkehrung der Beschlussmechanik („wenn Bundestag keine Entscheidung fällt, geht Schieneninfrastruktur an Bund“) keine reale Hilfe, sondern nur symbolisch. Zusammengefasst: Es ist bereits unwahrscheinlich, dass der IZB überhaupt einen Mangel oberhalb der Schwellenwerte zur Sanktion ausweist. Wird dieser Seite 16 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers wider Erwarten festgestellt, sind wirksame Sanktionen auf der Basis der LuFV noch unwahrscheinlicher. Sie belasten das Unternehmensergebnis, rufen wahrscheinlich Interventionen des Investors hervor (s. 2.4) und müssen gerichtsfest verhängt werden. Praktisch ausgeschlossen ist die Kündigung, da die Höhe des Wertausgleichs jede politische Initiative zur Rückholung des Netzes abschreckt. Auch alle anderen Forderungen der Länder werden durch den Gesetzentwurf nicht abgedeckt. Durchschlagskräftige Mitwirkungsrechte bei der Investitionsentscheidung über Nahverkehrsstrecken werden auch künftig nicht eingeräumt. Die angekündigte Stärkung der Regulierung bleibt ein Hoffnungswert, bislang basiert sie auf einer Protokollerklärung der Ministerien. Struktur und Instrumente der Regulierung sind nicht hinreichend klar definiert. Die Protokolle der Diskussionen im Arbeitskreis Entgeltregulierung der Bundesnetzagentur zeigen, wie groß der Widerstand des Regulierungsobjektes ist. 2.4. Empfehlungen für die Position der Länder Kann die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht vermieden werden, sollten die Länder ihre Zustimmung an die Bedingung koppeln, die absehbaren Negativfolgen durch geeignete gesetzliche Vorkehrungen so gering wie möglich zu halten. Finanzielle Mehrbelastungen müssen von vornherein unterbunden oder kompensiert werden. Darüber hinaus sollten die Länder darauf drängen, die Hürden für Weiterentwicklungen oder die Revision der Privatisierung auf ein politisch-realistisches Maß zu senken, um die tatsächliche Reversibilität zu gewährleisten. Die bereits heute vorgezeichnete fiskalische Zusatzbelastung der Länder von mindestens einer Mrd. € bis 2011 lässt sich – vordergründig - dadurch kompensieren, dass die Regionalisierungsmittel aufgestockt werden. So könnte die Dynamisierung bereits 2008 statt 2009 wiederaufleben, die Dynamisierungsrate könnte auf 2 % statt 1,5% erhöht werden. Alternativ vorstellbar ist es, die Dynamisierungsrate der Regionalisierungsmittel an die Entwicklung eines Index aus Trassen-, Stations- und Energiepreisen zu koppeln. Allerdings böten auch diese Mechanismen keine Sicherheit. Wie die Kürzung der Regionalisierungsmittel 2006 gezeigt hat, schützen geltende Gesetze nicht vor Einschnitten. Insofern wäre es aus Ländersicht fahrlässig, Preiserhöhungen nur deshalb unkritisch durchzureichen, weil sie zunächst den Anschein der Kostenneutralität haben. Zudem sollten Ineffizienzen des Netzbetreibers nicht belohnt werden. Um das Risiko der Kaufkraftentwertung aufgrund von Preiserhöhungen für Vorleistungen (insbes. Trassen, Stationen, Energie) institutionell zu begrenzen, sollSeite 17 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers ten die Länder die maximale Erhöhung der Trassenpreise auf 1,5% p.a. per Gesetz begrenzen lassen. Darüber hinausgehende Steigerungen, die die DB AG dem Regulierer bei kosteneffizienter Leistungserbringung begründet nachweist, muss der Bund tragen (z.B. Erhöhung der LuFV-Mittel). Damit würde der Bund einen Anreiz erhalten, die Regulierung tatsächlich zu stärken. Das bis dato in seinen Konturen unscharfe Regulierungsdesign muss schnell, aber sorgfältig entwickelt werden. Notwendig ist eine Ex-ante-Regulierung mit Anreizkomponenten für alle Vorleistungspreise, differenziert nach Verkehrsarten („Produktkörbe“). Ebenso ist eine harte Qualitätsregulierung erforderlich. Die Regulierung muss so angelegt werden, dass die geplanten Überrenditen der DB AG auf ein Normalmaß reduziert werden. Am wirksamsten schützen sich die Länder mit Instrumenten, mit denen sie die Privatisierung im absehbaren Misserfolgsfall teilweise oder gesamthaft revidieren können. Zu den unabdingbaren Präventionsmaßnahmen zählt der Vorbehalt, nur dann dem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn der gegenwärtige Netzzustand objektiv und nach Strecken gegliedert mit Hilfe eines aussagekräftigen Messsystems erfasst wird, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, insbesondere das Sanktionssystem in allen Einzelheiten entwickelt und den Ländern zur Prüfung vorgelegt wird, die LuFV in handhabbare Portionen untergliedert ist, um die Hürde zur Sanktionierung und Kündigung zu senken. Nur so wird auch die Option zur Regionalisierung solcher Strecken und Teilnetze realistisch. die LuFV vor dem Beschluss mindestens ein Jahr unter Realbedingungen mit scharfgeschaltetem Sanktionssystem getestet worden ist. das Abschmelzen des Infrastrukturbeitrags der LuFV (2,5 Mrd. €) nicht erst bei einem Netzumfang von 32.000 km einsetzt, sondern auf dem Ausgangszustand bei jeder Änderung der Betriebslänge und Kapazität. die Umsetzung der Privatisierung an ein Zustimmungsgesetz des Bundesrates geknüpft wird. Nur so können die Länder die endverhandelte LuFV prüfen und die Erfahrungen aus dem Testlauf auswerten. Damit die Länder nach der Privatisierung das System Schiene weiterentwickeln und Fehlentwicklungen korrigieren können, müssen in der LuFV mehrere Voraussetzungen geschaffen werden: Fortdauernde Schlechtleistungen des Infrastrukturbetreibers müssen umgehend und konsequent geahndet werden. Sanktionsdrohungen schrecken nur dann ab, wenn sie ernst zu nehmen sind und den wirtschaftlichen Vorteil des Verstoßes vollständig abschöpfen. Strafen sollSeite 18 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers ten zusätzlich verhängt werden. Die öffentliche Hand muss nach fruchtloser Nachbesserungsfrist die Ersatzvornahme anordnen können. Am Ende einer glaubwürdigen Sanktionskaskade steht die Option der Kündigung, entweder einer Strecke, eines Teilnetzes oder des gesamten Vertrags. Die Teilkündigung einzelner oder aller Regionalnetze (ggf. mit Regionalisierung der Infrastruktur) setzt voraus, dass die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in abgrenzbare Kapitel untergliedert wird und der gekündigte Teil aus der Sicherungsübereignung parallel herausgelöst werden kann. Sanktion und Teilkündigung bedingen einen eigenen Rechtsanspruch der Länder. Die Länder müssen selbständig Feststellungs- und Leistungsklagen anstrengen können. Dazu muss die LuFV mit Schutzwirkung Dritter – zugunsten der Länder – konzipiert werden, im Gesetz muss ein Klagerecht der Länder explizit verankert werden. An wichtigsten aus Ländersicht ist es aber, aktiv auf die Änderung der Wertausgleichsregelung zu drängen. Der Wertausgleich muss so konzipiert werden, dass die Rücknahme der Schieneninfrastruktur durch den Bund eine politisch umsetzbare Handlungsoption ist. Dies liegt im ureigenen Interesse der Länder, um ihre Aufgabenverantwortung weiterhin unter planbaren Bedingungen wahrnehmen zu können. Nur so haben sie die Perspektive, dass die absehbaren Folgen der Privatisierung im Bedarfsfall korrigiert werden können. Dieser Schutz ist um so notwendiger, als die Länder in die Vorbereitungen bis dato nicht eingebunden worden sind (s. Kritik der letzten VMK-Beschlüsse). Der Regelfall des Gesetzes („wenn keine Entscheidung des Bundestag ergeht, dann fällt Schieneninfrastruktur an Bund zurück“) muss auch als tatsächlich umsetzbarer Regelfall ausgestaltet und nicht durch finanzielle Hürden ausgeschlossen werden. Leitsatz für die Bemessung des Wertausgleichs muss sein, dass die über viele Jahre steuerfinanzierte Schieneninfrastruktur, in die auch weiterhin jährlich 2,5 Mrd. € der öffentlichen Hand fließen, kein zweites Mal bezahlt werden darf. Private Investoren sollten ausschließlich für die Mehrwerte entschädigt werden, die die DB AG nach der Privatisierung in der Schieneninfrastruktur schafft. Die Länder sollten daher vehement dafür eintreten, dass nur die künftigen Investitionen aus Eigenmitteln der DB AG dem Wertausgleich zugrunde gelegt werden. Weitere Forderungen der Länder sollten sein: Die Quote für Investitionen in Strecken, die dem SPNV dienen, sollten nach Neu- und Ausbau sowie Bestandsnetz differenziert werden. Die Neu- und Ausbau-Quote sollte bei 5 bis 10 % liegen. Der Anteil für das Bestandsnetz muss im Gesetz und in der LuFV verankert werden. Die Definition der Investitionen mit Nahverkehrsbezug muss präzisiert werden. Die Mittel sollten den Regionalisierungsmitteln zugeschlagen werden. Seite 19 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Trotz aller Nachbesserungen im System sei angemerkt: Die Wahrscheinlichkeit ist erdrückend hoch, dass die Interessen der Länder am Ende nicht gewahrt werden können. Ursächlich hierfür ist das Grundproblem des Gesetzentwurfs: die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an der Schieneninfrastruktur, kombiniert mit der Interessenkollision des Bundes, sowohl Eigentümer der privatisierten DB AG als auch Setzer des verkehrspolitischen Rahmens zu sein. Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass jede bestellte Daseinsvorsorgeleistung durch den Gewinnaufschlag des Kapitalmarktes teurer wird. Steigen die Budgets der Länder nicht im Gleichschritt mit, werden Abstriche am Verkehrsangebot unausweichlich. Der Druck des Kapitalmarktes auf die Schieneninfrastruktur ist auf lange Sicht stärker als der Schutz der öffentlichen Hand, hier des Bundes. Sobald der Bund als Hüter verkehrspolitischer Belange – und damit ggf. als Anwalt der Länder - agieren möchte, handelt er seinen Interessen als Eigentümer der DB AG zuwider. Die Länder müssen realistisch damit rechnen, dass die Eigentümerposition obsiegt. Andernfalls stellen sich folgende Fragen: Warum sollte der Bund unter dem Druck des Kapitalmarktes energischer für die Länder Partei ergreifen, wenn er hierzu bereits als 100%iger Eigentümer der DB AG trotz voller Entscheidungsgewalt nicht bereit ist? Warum sollte der Bund eine schlagkräftige Regulierung aufbauen, wenn er weiß, dass der Konzernerfolg maßgeblich von der Gewinnplanung in der Infrastruktur abhängt (ein Drittel des Konzerngewinns)? Warum sollte der Bund im Bedarfsfall den Mut haben, die LuFV wegen Schlechtleistung zu kündigen, wenn er den Wertausgleich nach politischen Maßstäben prohibitiv hoch auf 7,5 Mrd. € oder höher ansetzt? Weshalb sollten die Länderforderungen nach der Privatisierung stärker das Gehör des Bundes finden, wenn er trotz mehrfacher Bitten die Beschlüsse der VMK bereits heute systematisch ignoriert und die Länder nicht einbindet? Einen unerfreulichen Ausblick auf die absehbaren Kräfteverhältnisse wirft die Aussage in der Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des öffentlichen Anteilseigners: „…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“ Die Länder können die vorgezeichnete Zuschauerrolle der öffentlichen Hand nur verhindern, wenn sie auf die Verbesserung am – nicht im – System drängen. Dies wäre auf der Grundlage der Entschließung des Bundestags vom 24.11.2006 durchaus möglich. Seite 20 Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007 Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) Verfassungsrechtliche und ökonomische Bewertung Gutachten im Auftrag der Sonder-Verkehrsministerkonferenz der Länder Teil I: Verfassungsrechtliche Bewertung 15. September 2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers KCW GmbH Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht Charlottenstr. 65 Universitätsstr. 14-16 10117 Berlin 48143 Münster 2 Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Nach Art. 87 e Abs. 3 GG muss der Bund mindestens Mehrheitsanteilseigner der als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führenden Eisenbahnen des Bundes bleiben, soweit es um den Bau, die Unterhaltung und Betreiben von Schienenwegen geht. 2. Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verpflichtet den Bund, das Mehrheitseigentum und die damit verbundenen Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand zu geben. 3. Der Bund ist verpflichtet, seine eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse betriebswirtschaftlich effizient und gemeinwohlorientiert auszuüben. 4. Aus dem in Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG mitenthaltenen Untermaßverbot ergibt sich, dass der Bund zumindest die Ingerenzbefugnisse eines Mehrheitsaktionärs behalten und nutzen muss. 5. Die Einfügung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes in einen Konzern ist nur zulässig, wenn die verfassungsrechtlich gebotenen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes gewährleistet werden. 6. Art. 87 Abs. 4 S. 1 GG enthält einen auf Gewährleistung des Wohls der Allgemeinheit bezogenen Auftrag des Bundes in Gestalt einer Staatszielbestimmung. 7. Zur Sicherstellung des Gewährleistungsauftrags kann sich der Bund externer oder interner Einflussnahmerechte bedienen und sowohl die Rechtsformen des öffentlichen oder privaten Rechts als auch einseitig verbindliche oder kooperative Regelungstechniken in Anspruch nehmen. 3 8. Die Einwirkungsrechte des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG stehen neben denen aus Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG und vermögen letztere nicht zu ersetzen. 9. Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes verfolgt das Ziel, das juristische und wirtschaftliche Eigentum voneinander zu trennen. Der Versuch, die verfassungsrechtlichen und die wirtschaftlichen Zielsetzungen in Einklang zu bringen, kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Behält der Bund nicht die erforderlichen Einflussrechte, wird Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verletzt. Erhalten die privaten Anleger nicht das versprochene wirtschaftliche Eigentum, werden ihre grundrechtlich geschützten Interessen verletzt. 10. Die Dauer der Sicherungsübertragung und die Wertausgleichspflicht des Bundes im Falle einer Beendigung der Sicherungsübertragung haben prohibitve Wirkungen und erlauben dem Bund entgegen Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht, den Vermögenswert seines Anteilseigentums durch Wiederzusammenführung von wirtschaftlichem und juristischem Eigentum in vollem Umfange nutzen zu können. 11. Die Übertragung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vom Bund auf die Deutsche Bahn AG respektive den Vorstand der Deutschen Bahn AG stellt nach Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG eine verfassungsrechtlich unzulässige materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt dar. 12. Bei der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind der Bund und der Vorstand der Deutschen Bahn AG auf eine Einigung angewiesen, so dass der Bund seinen Willen nicht – wie verfassungsrechtlich gefordert – einseitig durchsetzen kann. 4 13. Die dem Bund nach § 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes eingeräumten Zustimmungsvorbehalte beziehen sich nur auf Ausnahmetatbestände. Auch die Zustimmungsvorbehalte des § 2 Abs. 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes vermögen die Einflussrechte des Bundes nicht aufzuwiegen. 14. Das zulässige Ausmaß einer Unternehmenssteuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch die Deutsche Bahn AG wird hinsichtlich der Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Wegeentgelten sowie der Zuweisung von Fahrwegekapazitäten durch das europäische Gemeinschaftsrecht bestimmt. Wird die Unabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht gewährleistet, wird europäisches Gemeinschaftsrecht verletzt. Ist eine Unabhängigkeit gegeben, kann bei der Trassenvergabe und Trassenpreissetzung weder von dem wirtschaftlichen Eigentümer Deutsche Bahn AG noch von dem juristischen Eigentümer Bund Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen genommen werden. Dies ist mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar. 15. Die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Deutsche Bahn AG in ihrer Eigenschaft als wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen zurück, weil nicht sichergestellt ist, dass der Bund von seinem Recht zur alleinigen Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre Gebrauch macht, aller Wahrscheinlichkeit nach die privaten Aktionäre im Aufsichtsrat vertreten sein werden und die Vertrauenspersonen des Bundes im Aufsichtsrat wegen des Eingreifens der unternehmerischen Mitbestimmung ihre Mehrheit im Aufsichtsrat verlieren, wenn auch nur ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG von den privaten Anteilseignern bestellt wird. 16. Die materielle Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG lässt sich nicht mit der vom Grundgesetz akzeptierten materiellen Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vergleichen. Bei einer materiellen Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG besteht die Wahrscheinlich- 5 keit, dass die privaten Anteilseigner der Deutschen Bahn AG darauf dringen werden, die Infrastrukturinvestitionen in die von der Deutschen Bahn AG selber genutzten Netzteile zu lenken und die Trassen- und Stationspreise anzuheben. Dies hätte für den Schienenpersonennahverkehr und damit für die hierfür verantwortlichen Länder erhebliche nachteilige Wirkungen. 17. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Eisenbahnen des Bundes ist mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG insofern nicht vereinbar, als Regelungen über die Art und das anzustrebende Ausmaß einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG fehlen. 18. Die im Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgesehenen externen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben – unabhängig von den nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG gebotenen Sicherungsmaßnahmen – jedenfalls in fünffacher Hinsicht hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Zum Ersten muss der Bund eine einseitige Anpassung verlangen können, wenn mit der abzuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ein betriebsbereiter Zustand der Schienenwege nicht erreicht werden kann. Zum Zweiten ist auch eine Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zuzulassen. Zum Dritten muss dem Bund die Möglichkeit gegeben werden, den Ausbau der Schienenwege dann durchsetzen zu können, wenn sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen weigern, eine Finanzierungsvereinbarung zu zumutbaren Bedingungen abzuschließen. Zum Vierten ist die Regelung über den Nahverkehr nicht ausreichend. Zum Fünften bedarf die Veräußerung von Immobilien einer gesetzlichen Regelung. 19. Erfolgt die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ausschließlich im Wege der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien, verfügt der Bund ebenso wie nach bisherigem Recht über verfassungsrechtlich ausreichende Ingerenzrechte. Verfassungsrechtlich bedenklich bleibt die Erschwerung einer Wiederzusammenführung von juristischem und wirt- 6 schaftlichem Eigentum. Ferner bleibt der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes auch in diesem Falle partiell hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Schließlich muss der Gesetzgeber die Entscheidung treffen, welche Art von Aktien der Deutschen Bahn AG veräußert werden sollen. 20. Resümierend ist festzustellen, dass das Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit den sich aus Art. 87 e Abs. 3 u. 4 GG ergebenden Vorgaben kollidiert. Die Feststellung bezieht sich nicht nur auf die Regelung verschiedener Details, sondern auch und vor allem auf die grundsätzliche Konzeption einer Integration von Netz- und Verkehrsbetrieb bei gleichzeitiger Trennung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum, die zu einer Art Quadratur des Kreises nötigt und eine materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt zur Folge hat. Die verfassungsrechtlichen Probleme werden in einem erheblichen Ausmaße entschärft, wenn die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ausschließlich mittels der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien erfolgt. 7 Gliederung Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................. 2 A. Der Gegenstand der Untersuchung .....................................................10 I. Die Problemstellung ............................................................................10 1. Die Entwicklung der Bahnreform in Deutschland...............................10 2. Die Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts .....................19 II. Das Interesse der Länder an den im Eigentum des Bundes stehenden Infrastrukturunternehmen der Bahn......................................................20 III. Der Gutachtenauftrag ..........................................................................23 IV. Die Vorgehensweise............................................................................24 B. Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 GG .........................26 I. Die maßgeblichen Tatbestandsmerkmale der Norm .............................26 II. Der Sinngehalt des Erfordernisses eines Mehrheitsanteilseigentums des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen ............................28 1. Die Wortlautinterpretation des Art. 87 e Abs. 3 GG ...........................29 2. Die Entstehungsgeschichte der Norm...............................................31 3. Die systematische Stellung des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG..................33 4. Teleologische Auslegungsgesichtspunkte.........................................34 5. Fazit ................................................................................................35 III. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung der eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse des Bundes ....................35 IV. Die in Betracht kommenden Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form...............................39 1. Die Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ...........................................................................................39 2. Die Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Aktiengesellschaft ............41 3. Das nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG zu wahrende Untermaß der Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes.........................................47 V. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Schachtelbeteiligungen und gestuften Ingerenzrechten ...................................................................48 VI. Ergebnis .............................................................................................49 C. Die Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG................51 I. Der Sinngehalt der Gewährleistungsverpflichtung des Bundes .............51 8 1. Der Charakter der Gewährleistungsverpflichtung..............................51 2. Der Inhalt der Gewährleistungsverpflichtung.....................................52 II. Die in Betracht kommenden Wege zur Sicherstellung der Gewährleistungsverpflichtung ..............................................................54 1. Externe und interne Einflussnahmerechte des Bundes .....................54 2. Die Instrumente der Einflussnahme des Bundes...............................56 III. D. Ergebnis .............................................................................................56 Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit dem Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 GG ...............................................................................58 I. Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes ....................................58 II. Die vermögenswerten Rechte des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen ....................................................68 1. Die eigentumsrechtlichen Konsequenzen der Sicherungsübertragung 68 2. Die Unzulässigkeit eines de facto-Ausschlusses der (Wieder-) Zusammenführung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum..69 III. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen ....................................................76 1. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Abstimmungen in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen.................................................76 2. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und auf die Abstimmungen im Aufsichtsrat..............................................82 3. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Besetzung des Vorstandes respektive der Geschäftsführung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und auf die Willensbildung im Vorstand respektive der Geschäftsführung .......................................84 4. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen über die Einflussnahme auf die Deutsche Bahn AG ..........................................................................86 9 IV. Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG...........................................................................................98 V. E. Ergebnis und Resümee .....................................................................104 Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit der Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG ......................................................................107 I. Die Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach dem Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes..........................................................107 II. 1. Die Einwirkungsbefugnisse zur Erhaltung der Schienenwege..........108 2. Die Einwirkungsbefugnisse zum Ausbau der Schienenwege...........114 3. Die vorgesehene Regelung für den Nahverkehr..............................115 Die Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach dem novellierten Allgemeinen Eisenbahngesetz...............................................................................117 III. Wahrung des Gesetzesvorbehalts des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG.........120 IV. Ergebnis ...........................................................................................120 F. Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit Art. 87 e Abs. 3 und 4 GG im Falle einer Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien der Deutschen Bahn AG..............................................................................................122 G. Resümee .............................................................................................123 10 A. Der Gegenstand der Untersuchung I. Die Problemstellung Am 24. Juli 2007 hat die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland den hier zu begutachtenden Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes gebilligt und beschlossen, den Entwurf in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Damit soll die Bahnreform in Deutschland weitergeführt werden. Um dieses Vorhaben richtig einordnen zu können, soll zunächst ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Bahnreform in Deutschland (1.) und die Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts (2.) geworfen werden. 1. Die Entwicklung der Bahnreform in Deutschland a) Die Änderung des Grundgesetzes Das von den Eisenbahnen des Bundes dominierte Eisenbahnwesen ist in Deutschland im Jahre 1993 grundlegend neu geregelt worden. Bis dahin sah Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG a.F. vor, dass die Bundeseisenbahnen (das heißt die Deutsche Bundesbahn und seit dem 3. Oktober 1990 auch die Deutsche Reichsbahn als Sondervermögen des Bundes) in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt werden. Dies schloss sowohl eine formelle1 als auch (erst recht) eine materielle Privatisierung der Deutschen Bundesbahn aus. Nachdem sich die wirtschaftliche Lage der Deutschen Bundesbahn immer mehr verschlechterte und eine von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Kommission prognostizierte, dass sich unter Beibehaltung des Status quo die Verluste der Deutschen Bundesbahn in den nächsten zehn Jahren auf rund 266 Milliarden DM belaufen würden,2 beschloss die Bundesregierung am 15. Juli 1992 eine grundlegende Reform der Deutschen Bundes1 Vgl. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 117 f.; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG, Stand November 2006, Art. 86 Rn. 60 ff., Art. 87 a. F. Rn. 111 ff., Art. 87 f. Rn. 18 f.; Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (578 f.). 2 Bericht der Regierungskommission Bundesbahn, Dezember 1991, S. 11. 11 bahn.3 Die Reform erforderte eine Änderung des Grundgesetzes, die schließlich nach zähem Ringen zwischen Bundesregierung und Bundestag einerseits sowie Bundesrat andererseits zustande kam.4 Die zentrale Norm für die öffentlichen und privaten Eisenbahnen ist heute der am 23. Dezember 1993 in Kraft getretene Art. 87 e GG.5 Die Vorschrift wird von Regelungen über die einschlägigen Gesetzgebungskompetenzen (Art. 73 Nr. 6 a, Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG), die Finanzierung des Personennahverkehrs (Art. 106 a GG) und die Umwandlung der Bundeseisenbahnen (Art. 143 a GG) flankiert. Die Bestimmung des Art. 87 e GG bezieht sich nur auf die Eisenbahnen des Bundes. Während es für die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes bei der bundeseigenen Verwaltung bleibt (Art. 87 e Abs. 1 S. 1 GG), werden die Eisenbahnen des Bundes als „Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form“ geführt (Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG). Dieser Verfassungsauftrag ist durch die Umwandlung der Deutschen Bundesbahn in die Deutsche Bahn AG mit Wirkung zum 1. Januar 1994 vollzogen worden.6 Derzeit gehören alle Anteile der Deutschen Bahn AG noch der Bundesrepublik Deutschland (Bund). Wie sich aus einem Umkehrschluss zu Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG ergibt, dürfen die Eisenbahnverkehrsunternehmen des Bundes zwar privatisiert werden, doch gelten für die Unternehmen, deren Tätigkeit den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfasst (d. h. für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen), Besonderheiten. Diese stehen im Eigentum des Bundes (Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG). Eine Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Infrastrukturunternehmen aufgrund eines Gesetzes ist zwar nicht verboten. Nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 2 GG verbleibt die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen aber beim Bund. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt (Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG). 3 Vgl. im einzelnen dazu Loschelder, Strukturreform der Bundeseisenbahn durch Privatisierung?, 1993, S. 1 ff.; Suckale, in: Hermes/Sellner (Hrsg.) Beck’scher AEG Kommentar, 2006, Einführung C Rn. 8 ff. 4 Vgl. dazu den Bericht der Abgeordneten Scholz und Stiegler, in BT-Drs. 12/6280, S. 7-9. 5 Vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 20.12.1992 (BGBl. I, S. 2089). 6 Vgl. § 1 des Gesetzes über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft, BGBl. 1993 I, S. 2378 (2386). 12 Zusätzlich schreibt Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG vor, dass der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Auch insoweit ist das Nähere durch Bundesgesetz zu regeln (Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG). b) Die zweite Stufe der Bahnreform Gemäß § 2 Abs. 1 Deutsche Bahn Gründungsgesetz (DBGrG)7 waren aus der Deutschen Bahn AG frühestens in drei Jahren, spätestens in fünf Jahren nach ihrer Eintragung in das Handelsregister die gem. § 25 DBGrG gebildeten Bereiche (Personennahverkehr, Personenfernverkehr, Güterverkehr und Fahrweg) auf dadurch neu gegründete Aktiengesellschaften auszugliedern. Dieser Schritt wurde im Jahre 1999 realisiert.8 Bei der Deutschen Bahn AG handelt es sich somit um eine Holding-Gesellschaft. Die Bahninfrastruktur wurde im Wesentlichen der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH übertragen.9 Die DB Netz AG und DB Station&Service AG erhielten das rechtliche Eigentum an allen Flächen (Grund, Boden und Aufbauten), auf denen sich Trassen bzw. Anlagen der Personenbahnhöfe mit Vorplätzen, Zugängen und Bahnsteigen befinden. Alle Anteile der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH (im Folgenden als Eisenbahninfrastrukturunternehmen bezeichnet) befinden sich in den Händen der Deutschen Bahn AG. c) Die Beschlussfassung der Bundesregierung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (1) Die Entstehungsgeschichte des Gesetzentwurfs 7 BGBl. 1993 I, S. 2386. 8 Zu den Einzelheiten vgl. Suckale (Fn. 3), Einführung C Rn. 30 ff. 9 Zusätzlich hat die Deutsche Bahn AG eine DB ProjektBau GmbH errichtet. 13 Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Bahnreform mit einer materiellen (Teil-) Privatisierung der Deutschen Bahn AG abgeschlossen werden soll. Streitig ist aber von Anfang an gewesen, ob es zulässig ist respektive ob es sich empfiehlt, in diesem Falle die Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Konzern der Deutschen Bundesbahn AG zu belassen. Vielfach ist die Auffassung vertreten worden, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen dann aus dem Konzern der Deutschen Bahn AG ausgegliedert werden müssen oder sollten.10 Ferner ist umstritten, über welche Einflussrechte auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Bund verfügen muss, wenn die Eingliederung dieser Unternehmen in den Konzern der teilprivatisierten Deutschen Bahn AG bestehen bleibt. Nach sorgfältiger Analyse der Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG mit und ohne Netz haben die Fraktionen der Großen Koalition im Deutschen Bundestag einen Antrag zu den Eckpunkten einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG gestellt, dem der Deutsche Bundestag am 24. November 2006 zugestimmt hat.11 Der Deutsche Bundestag hat sich dafür ausgesprochen, dass bei einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG die steuerfinanzierte Eisenbahninfrastruktur im Eigentum des Bundes stehen müsse. „Die DB AG soll bis auf weiteres die integrierte Bewirtschaftung und Betriebsführung des Netzes wahrnehmen. In Kombination mit der bereits bestehenden Regulierungsbehörde, deren Aufgabenbereiche gegebenenfalls noch ausgeweitet werden müssen, wird der diskriminierungsfreie Wettbewerb gewährleistet.“ Demgemäß hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, ein Privatisierungsgesetz zu erarbeiten, das folgende Zielsetzungen erfüllen soll: „1. An der DB AG werden noch in dieser Legislaturperiode private Investoren beteiligt. 2. Die nach einer Teilprivatisierung der DB AG weiter bestehende Infrastrukturverantwortung des Bundes aus Art. 87 e Abs. 4 des 10 Vgl. statt vieler Booz Allen Hamilton, Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG „mit und ohne Netz“, 2006, Gutachten erstattet im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie des Bundesministeriums der Finanzen (sogen. Primon-Gutachten). 11 BT-Drs. 16/3493. 14 Grundgesetzes muss umfassend gesichert werden. Hierzu sind in umfassenden vertraglichen Regelungen Qualitätsziele für die Infrastruktur vorzugeben und bei Vertragsverletzung mit Sanktionen zu versehen. 3. Private Investoren werden nicht an den Infrastrukturunternehmen, die die Eisenbahninfrastruktur halten, beteiligt. Die Infrastrukturgesellschaften werden vor der Kapitalprivatisierung ins Eigentum des Bundes überführt. Juristische Risiken für die eigentümerrechtliche Position des Bundes müssen ausgeschlossen werden. 4. Die DB AG betreibt für einen vertraglich zu vereinbarenden Zeitraum diese Infrastruktur unter der Bedingung, dass sie die vertraglich bzw. gesetzlich neu geregelten Aufgaben zur Pflege des Netzes strikt einhält. Der Bund verpflichtet sich, rechtzeitig vor Auslaufen des Vertrages über eine Verlängerung zu entscheiden. 5. Die DB AG erhält die Möglichkeit, Schienenverkehr und Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit zu betreiben und zu bilanzieren. 6. Zusätzliche Schulden und Risiken für den Bundeshaushalt werden ausgeschlossen. 7. Es wird sichergestellt, dass der konzerninterne Arbeitsmarkt der DB AG und das Beschäftigungsbündnis fortgeführt werden können. 8. Die EU-Kompatibilität hinsichtlich Wettbewerbs-, Vergabe- und Beihilferecht wird sichergestellt. 9. Durch die Endschaftsregelung ist die Reversibilität der Entscheidung sicherzustellen. Das gilt insbesondere für etwaige Entschädigungsleistungen an die DB AG. Verfahren und Kriterien für die Wertermittlung sind verbindlich zu regeln. 10. Zur Sicherung des diskriminierungsfreien Netzzugangs und eines fairen Wettbewerbs auf der Schiene werden die Regulierungsinstrumente der Bundesnetzagentur entsprechend den vorliegenden Erfahrungen fortentwickelt.“ Darüber hinaus sind folgende Gesichtspunkte zu beachten: 1. Das Privatisierungsgesetz wird durch eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zur Erfüllung des grundgesetzlichen Infrastrukturauftrages ergänzt. 2. Der von der DB AG erstellte Infrastrukturzustands- und entwicklungsbericht ist unter Beteiligung externer Sachverständiger zu evaluieren. Er dient als Grundlage für die LuFV. 15 3. In der LuFV wird festgelegt, dass der Bund einen jährlichen Infrastrukturbeitrag für das Bestandsnetz in Höhe von bis zu 2,5 Mrd. Euro zu erbringen hat. Dafür hat die DB AG eine vertraglich definierte Infrastrukturqualität zu gewährleisten. Die Kontrolle der Einhaltung der Standards erfolgt durch den Bund. 4. Für die Neubaumaßnahmen sind ein verlässliches und transparentes Monitoring sowie verbindliche Durchsetzungsmechanismen einzurichten. 5. Vor der Teilprivatisierung der DB AG ist die Kapitalmarktreife für den Deutschen Bundestag durch die Bundesregierung darzulegen.“ Nachdem das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Städteplanung am 11. Januar 2007 einen Vorentwurf für ein solches Privatisierungsgesetz erstellt hat, wurde am 8. März 2007 ein (geänderter) Gesetzentwurf zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) vorgelegt. Der Entwurf, der darauf abzielt, dem Bund zwar unmittelbar juristisches Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu verschaffen, der teilprivatisierten Deutschen Bahn AG aber den Betrieb und die Bilanzierung von Schienenverkehr „und Eisenbahninfrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit“ zu ermöglichen12, ist auf erhebliche Kritik gestoßen. Diese bezog sich nicht nur auf die gesellschafts- und bilanzrechtlichen Ausgestaltungsregelungen, sondern auch auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der gewählten Konstruktion als solcher. So hat das Bundesministerium der Justiz Zweifel daran angemeldet, ob die Bevollmächtigung der Deutschen Bahn AG zur Ausübung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG gerecht wird.13 Auch das Bundesministerium des Innern hat bezweifelt, dass die mit der Zwischenschaltung der Deutschen Bahn AG verbundene Begrenzung der Eigentümerbefugnisse des Bundes durch die bloße Mehrheitseignerschaft an der Deutschen Bahn AG soweit aufgewogen werden könne, dass noch ein hinreichendes Maß an Einflussmöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunterneh12 Vgl. § 1 Abs. 2 BESG-E vom 8.3.2007. 13 Stellungnahme vom 3.5.2007, AZ III B 6 – 7410/20 – 35 110/2007, S. 3 ff. 16 men verbleibe.14 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat mitgeteilt, dass es die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs im Hinblick auf Art. 87 e GG teile.15 Nach Ansicht des Bundesministeriums der Finanzen lasse der Gesetzesentwurf das zentrale Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen von Art. 87 e Abs. 3 GG und den nationalen/internationalen Bilanzregeln für das vorgesehene wirtschaftliche Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei der Deutschen Bahn AG fortbestehen. Vorgeschlagen wird, die Verfassungsmäßigkeit vor Einleitung eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens innerhalb der Bundesregierung zu klären.16 Außerdem hat im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages am 23. Mai 2007 eine Anhörung von Sachverständigen zum Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich, Jan Mücke, Patrick Döring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP stattgefunden.17 Sechs der geladenen sieben Sachverständigen (Prof. Fehling, Prof. Hermes, Prof. Hüttemann, Prof. Kirchhof, Prof. Kleindieck, Prof. Uerpmann-Wittzack) haben die Auffassung vertreten, dass der Gesetzentwurf den rechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird. Die Professoren Fehling, Hermes, Kirchhof und UerpmannWittzack haben die Verfassungskonformität des Gesetzentwurfs für nicht gegeben erachtet. Nur Prof. Gersdorf ist der Meinung gewesen, dass ein Verstoß gegen Verfassungsrecht nicht vorliegt. Schließlich sind – soweit ersichtlich – drei Rechtsgutachten zur verfassungsrechtlichen Überprüfung des Gesetzentwurfs vom 8. März 2007 in Auftrag gegeben worden. Dezidierte verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf haben die Professoren Möllers18 14 Vgl. die Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern vom 30.3.2007, AZ G I 2 – 134 332/15, S. 3. 15 Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 4.5.2007, AZ 852 080/9, S. 4. 16 Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen vom 8.5.2007, AZ 2007/0184564, S. 2. 17 Ausschussdrucksache, Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 40. Sitzung, (redigiertes) Wortprotokoll, Protokoll Nr. 16/40. 18 Vgl. Möllers/Schäfer, Verfassungs- und bilanzrechtliche Prüfung des Gesetzentwurfs „Kapitalprivatisierung Deutsche Bahn AG“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V.-BDI, S. 5 ff. 17 und Masing19 geäußert, während Prof. Scholz20 (in einem im Auftrag der Deutschen Bahn AG erstatteten) Rechtsgutachten zu dem Schluss kommt, dass der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterbreitete Gesetzesvorschlag „in jeder Hinsicht“ verfassungsgemäß ist. Am 29. Juni 2007 hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung einen geänderten Entwurf zum Erlass eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgelegt, den die Bundesregierung weitestgehend unverändert am 24. Juli 2007 beschlossen hat. Allein dieser Gesetzentwurf liegt der Begutachtung zugrunde. Auf die Vorentwürfe wird nur eingegangen, soweit dies zur Beurteilung der Rechtslage erforderlich ist. (2) Die maßgeblichen Regelungen des Gesetzentwurfs Der von der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf lässt die maßgeblichen Weichenstellungen des Entwurfs vom 8. März 2007 unberührt, enthält aber gleichwohl eine ganze Reihe von Veränderungen (insbesondere Erweiterung der Zustimmungsvorbehalte des Bundes und weitere Vorgaben für die Satzungsgestaltung der Deutschen Bahn AG21). Das Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes soll als Artikelgesetz verabschiedet werden. Nach Art. 1 soll ein Gesetz über die teilweise Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn Aktiengesellschaft (DBPrivG), nach Art. 2 ein Gesetz über die Struktur der Eisenbahnen des Bundes (Bundeseisenbahnenstrukturgesetz BESG) und nach Art. 3 ein Gesetz über die Erhaltung und den Ausbau der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes (Bundesschienenwegegesetz 19 Vgl. Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs des Bundesministeriums Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für ein Gesetz zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes, erstattet im Auftrag von Pro Mobilität – Initiative für Verkehrsinfrastruktur (E.V.), S. 4 ff. 20 Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) – Zur Privatisierung der Deutschen Bahn AG – , erstattet im Auftrag der DB AG, S. 4 ff. 21 Vgl. die Auflistung wichtiger Änderungen des Gesetzentwurfs in dem Schreiben der Bundesjustizministerin vom 19.6.2007 an den Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Bundesjustizministerin zieht aus den Gesetzesänderungen den Schluss, dass mit den Änderungen, die zwischenzeitlich vorgenommen worden sind, „der Gesetzentwurf verfassungsrechtlich einwandfrei ist“. 18 BSEAG) erlassen werden. Darüber hinaus sollen verschiedene bestehende Gesetze geändert22 respektive aufgehoben werden. Nach § 1 Abs. 1 DBPrivG-E können sich Dritte neben der Bundesrepublik Deutschland an der Deutschen Bahn AG beteiligen, wobei die Mehrheit der Anteile beim Bund verbleiben muss. Das Bundesministerium der Finanzen bestimmt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Umfang und Zeitfolge der Privatisierung (§ 2 DBPrivG-E). Umfang und Zeitfolge stehen bisher nicht fest. Dasselbe gilt für die Art der Privatisierung. Im Gespräch ist die Ausgabe normaler Aktien, vinkulierter Namensaktien (das heißt von Aktien, die abweichend von dem allgemeinen Grundsatz freier Verfügbarkeit nur mit Zustimmung der Aktiengesellschaft übertragen werden können23) sowie die Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Offen ist ferner, ob die Aktien über die Börse oder nur an bestimmte Investoren veräußert werden sollen.24 Der Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes enthält die maßgeblichen Vorschriften für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Einerseits gehen mit dem Inkrafttreten des Gesetzes sämtliche Anteile der Deutschen Bahn AG an der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH auf den Bund über (§ 1 BESG-E), andererseits erteilt das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen der Deutschen Bahn AG eine Vollmacht zur Ausübung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (§ 2 Abs. 1 BESG-E). Die Übertragung der Stimmrechte auf die Deutsche Bahn AG soll, von Ausnahmefällen (§ 6 BESG-E) abgesehen, fünfzehn und drei, insgesamt also achtzehn Jahre dauern (§ 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 BESG-E) und verlängert werden können. Kommt es zu einer Beendigung der Übertragung auf die Deutsche Bahn AG, steht dieser ein Wertausgleich zu (§§ 6 Abs. 2 S. 2 HS 2, 7 BESG-E). Zugunsten des Bun22 U.a. das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG), vgl. Art. 4 des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes. 23 § 68 Abs. 2 S. 1 AktG. 24 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.9.2007, Nr. 207, S. 16. 19 des werden verschiedene Zustimmungsvorbehalte vorgesehen (§§ 2 Abs. 2, 3 BESG-E). Der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes normiert eine Verpflichtung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Erhaltung der Schienenwege, wobei der Bund zu einer Unterstützung von bis zu 2,5 Milliarden Euro jährlich verpflichtet wird (§ 3 Abs. 2 BSEAG-E). Des Näheren sollen das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und das Bundesministerium der Finanzen einerseits sowie Eisenbahninfrastrukturunternehmen andererseits in der Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung abschließen (§ 4 BSEAG-E). Für den Ausbau der Schienenwege ist der Abschluss einer Finanzierungsvereinbarung vorgesehen (§ 20 BSEAGE). 2. Die Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts Neben dem nationalen Recht enthält auch das europäische Gemeinschaftsrecht Vorgaben für die Ausgestaltung des Eisenbahnwesens. So hat die europäische Gemeinschaft eine Vielzahl von Sekundärrechtsakten (Verordnungen und Richtlinien) erlassen, welche die Eisenbahnunternehmen betreffen.25 Für die Klärung der hier zu beurteilenden Rechtsfragen kommt die größte Bedeutung der Richtlinie 91/440/EWG26 sowie der Richtlinie 2001/14/EG über die Zulassung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur27 zu. Die Richtlinie 91/440/EWG ist durch die Richtlinie 2001/12/EG 28 geändert worden. Nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/12/EG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Funktionen nach Anhang II, die für einen gerechten und nichtdiskriminierenden Zugang zur Infrastruktur ausschlaggebend sind, an Stellen und Unternehmen 25 Vgl. Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Art. 87 e Rn. 6 ff.; Hermes, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), Einführung B Rn. 25 ff. 26 ABl. L 237 v. 24.8.1991, S. 25. 27 ABl. L 75 v. 15.3.2001, S. 29. 28 ABl. L 75, S. 1. 20 übertragen werden, die selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. Ungeachtet der Organisationsstruktur ist der Nachweise zu erbringen, dass dieses Ziel erreicht worden ist. Zu den wesentlichen Funktionen nach Art. 6 Abs. 3 rechnet der Anhang II die Vorarbeiten und Entscheidungen über die Zulassung von Eisenbahnunternehmen, einschließlich der Gewährung einzelner Genehmigungen, die Entscheidungen über die Trassenzuweisung einschließlich sowohl der Bestimmung als auch der Beurteilung der Verfügbarkeit und der Zuweisung von einzelnen Zugtrassen, die Entscheidungen über die Wegeentgelte und die Überwachung der Einhaltung von Verpflichtungen zur Bereitstellung bestimmter Dienstleistungen für die Allgemeinheit. Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG werden für den Fall, dass der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder in seinen Entscheidungen nicht von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist, die im Kapitel II der Richtlinie dargelegten Aufgaben (Wegeentgelte) – außer der Erhebung von Entgelten – von einer entgelterhebenden Stelle wahrgenommen, die rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist. Ebenso bestimmt Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG für die Zuweisung von Fahrwegkapazität, dass die Aufgaben von einer entgelterhebenden Stelle wahrgenommen werden, die rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist, falls der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder in seinen Entscheidungen nicht von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist. II. Das Interesse der Länder an den im Eigentum des Bundes stehenden Infrastrukturunternehmen der Bahn Die Länder haben ein fundamentales Interesse daran, wie der Bund seiner Verpflichtung zum Bau, zur Unterhaltung und zum Betrieb von Schienenwegen nachkommt. Trotz der Zunahme des Kraftfahrzeug-, Luft- und Schifffahrtsverkehrs kommt dem Eisenbahnverkehr nach wie vor eine überragende Bedeutung für die verkehrsmäßige Erschließung in Deutschland zu. Das gilt sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr. So wurden im Jahr 2005 im Perso- 21 nennahverkehr rund 2,012 Milliarden Personen befördert.29 Im selben Zeitraum wurden im Personenfernverkehr etwa 119 Millionen Personen befördert. Der Schienenpersonennahverkehr weist in den letzten zehn Jahren eine deutlich steigende Tendenz auf. Wurden im Jahr 1995 noch 1,470 Milliarden Personen befördert, waren dies 2000 schon 1,855 Milliarden und 2004 1,955 Milliarden. Im Schienenpersonenfernverkehr wurden 1995 rund 149 Millionen Personen befördert, im Jahr 2000 waren es noch 145 Millionen und 2004 noch 115 Millionen. Im Jahr 2005 wurden mehr als 317 Millionen Tonnen Güter über die Schienenwege transportiert. 30 Die Länder müssen aus zweierlei Gründen dafür Sorge tragen, dass auf ihrem Gebiet quantitativ und qualitativ angemessene Verkehrsdienstleistungen erbracht werden. Zum einen sind Bevölkerung und Wirtschaft darauf angewiesen. Dementsprechend bezeichnen die Gesetze die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge.31 Auch ist beispielsweise eine erfolgreiche Standortpolitik ohne einen gut funktionierenden Eisenbahnverkehr nicht vorstellbar. Zum anderen sind den Ländern auf der Grundlage des Art. 87 e Abs. 1 S. 2 GG durch das Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs32 selbst Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung als eigene Angelegenheit übertragen worden, nämlich die Verantwortung für den öffentlichen Personennahverkehr33. Auch das Grundgesetz anerkennt das besondere Interesse der Länder an dem Eisenbahnwesen, wie sich daran ersehen lässt, dass die Bundesgeset- 29 Hierzu und zu den weiteren Zahlen zum Personenverkehr vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, S. 412. 30 Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, S. 418, Tabelle 16.2. 31 Vgl. z. B. § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs, BGBl. 1993 I, S. 2395, zuletzt geändert am 29.6.2006, BGBl. I, S. 1402 (für den öffentlichen Personennahverkehr). 32 Vgl. BGBl. 1993 I, S. 2378 (2395). 33 Die jeweiligen Aufgabenträger werden durch Landesrecht bestimmt, vgl. § 6 ÖPNVG BW; Art. 8 BayÖPNVG; § 3 Abs. 1 ÖPNVG Berl; § 3 ÖPNVG Bbg; § 6 Abs. 1 BremÖPNVG; § 5 HessÖPNVG; § 3 ÖPNVG MV; § 4 Abs. 1 NdsNVG; § 3 ÖPNVG NRW; § 5 NVG Rh-Pf; § 5 ÖPNVG Saarl; § 3 ÖPNVG Sachs; § 4 ÖPNVG LSA; § 2 ÖPNVG SH; § 3 ThürÖPNVG; vgl. ferner Hermes/Suckale, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), Einführung E Rn. 52, mit weiteren Nachweisen. 22 ze zur Ausgestaltung gem. Art. 87 e Abs. 5 S. 1 GG der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Da der Eisenbahnverkehr netzgebunden ist, hängt seine weitere Entwicklung maßgeblich von dem Erhalt, dem Ausbau und dem Betrieb des (Schienen-) Netzes ab. Hierüber entscheiden in erster Linie die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG respektive (mittelbar) die Deutsche Bahn AG selbst, weil die genannten, der Deutschen Bahn gehörenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen über ein weitgehendes Netzmonopol verfügen. Zwar sind die Eisenbahninfrastrukturunternehmen gem. § 14 Abs. 1 S. 1 AEG 34 verpflichtet, gegen Entgelt35 die diskriminierungsfreie Benutzung der von ihnen betriebenen Eisenbahninfrastruktur und die diskriminierungsfreie Erbringung der von ihnen angebotenen Leistungen zu gewähren. Die Einhaltung dieser Vorgabe wird durch die Bundesagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen kontrolliert.36 Auch stellt der Bund den Ländern für den öffentlichen Personennahverkehr erhebliche Mittel zur Verfügung.37 Doch ändert dies nichts daran, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen die operativen Infrastrukturentscheidungen und damit insbesondere auch die Entscheidungen zu treffen haben, welche Schienenwege und Stationen erhalten, gebaut oder ausgebaut werden sollen. Ferner bestimmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch über die für die Nutzung der Wege und Stationen zu zahlenden Entgelte. Der Bund finanziert zwar weitgehend die Erhaltung und den Ausbau der Schienenwege und soll nach dem Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes hierüber mit den Eisenbahninfrastrukturunternehmen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen respektive Finanzierungsvereinbarungen abschließen. An der Gestaltung dieser Vereinbarung sind die Länder aber nur nach Maßgabe des § 21 BSEAG-E beteiligt. 34 Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27.12.1993 (BGBl. I, S. 2378, [2396]), zuletzt geändert am 16.7.2007 (BGBl. I, S. 1383). 35 Vgl. § 14 Abs. 4 AEG i. V. m. der Verordnung über den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur und über die Grundsätze zur Erhebung von Entgelt für die Benutzung der Eisenbahninfrastruktur (EIBV). 36 Vgl. §§ 14 b, 14 d AEG i. V. m. § 4 Abs. 1 BEVVG. 37 Vgl. §§ 5 ff. des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs. 23 Es macht einen wesentlichen Unterschied aus, ob der Bund Alleineigentümer oder nur Miteigentümer des Deutsche Bahn-Konzerns ist (vgl. auch D. III. 4. c)). Ein Alleineigentümer kann grundsätzlich die Unternehmenspolitik eines Unternehmens bestimmen. Die Länder fürchten, dass dies aber nicht mehr der Fall sein wird, wenn der Deutsche Bahn-Konzern teilweise privatisiert wird. Die Realität zeige, dass in gemischt zusammengesetzten Unternehmen nahezu ausnahmslos die privaten Anteilseigner dominieren. Würden die Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwar dem Bund übertragen, die Unternehmen aber in einer wirtschaftlichen Einheit mit der Deutschen Bahn AG geführt, zeichne sich ab, dass die privaten Anteilseigner der Deutschen Bahn AG alles unternehmen würden, um unwirtschaftliche Strecken ganz oder schleichend stillzulegen. Bei rein betriebswirtschaftlichen, kapitalmarktorientierten Maßstäben stünde damit ein Großteil der Strecken auf dem Prüfstand. Der Umstand, dass die Entscheidung über die Abgabe und Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen nach Maßgabe des § 11 AEG der zuständigen Aufsichtsbehörde obliegt, werde sich nicht als Hindernis erweisen.38 So habe die Erfahrung gezeigt, dass mit Hilfe „kalter Stilllegungen“ – das heißt dem systematischen Vernachlässigen einer Infrastruktur – eine Entscheidungslage erzeugt werden könne, der die Aufsichtsbehörde Rechnung tragen müsse. Ferner sei mit einer Einstellung von Zugangsstellen zu rechnen. Schon heute signalisiere die Deutsche Bahn AG den Aufgabenträgern des Personennahverkehrs, dass Stationen unter 100 Ein- oder Aussteigern pro Tag mittelfristig nicht am Netz bleiben würden. Schließlich spreche alles dafür, dass die privaten Investoren danach streben würden, aus dem Infrastrukturmonopol eine hohe Rendite zu ziehen. Deshalb fürchten die Länder eine signifikante Steigerung der Trassenund Stationspreise (näher dazu D. III. 4. c)). III. Der Gutachtenauftrag Die Länder haben erhebliche politische, aber auch rechtliche Bedenken gegen den Entwurf des Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes geäußert und diese in einstimmigen Beschlüssen der Verkehrsministerkonfe38 Näher dazu D. III. 4. c) mit Fn. 262. 24 renz vom 22./23. November 2006 39, 18./19. April 200740 sowie am 2. August 200741 artikuliert. Da die Länder bezweifeln, dass der Entwurf des Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes den Vorgaben des Art. 87 e GG und dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 24. November 2006 gerecht wird sowie die Interessen der Länder wahrt, haben sie den Unterzeichner sowie das Kompetenz-Center Wettbewerb (KCW) GmbH gebeten, ein Gutachten zu erstatten. Der Unterzeichner nimmt nur zur verfassungsrechtlichen Lage Stellung. IV. Die Vorgehensweise Im Folgenden wird zunächst auf den Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 GG (B.) und die Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG (C.) eingegangen. Sodann wird die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit dem Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG (D.) und der Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG (E.) überprüft. Ausgegangen wird hierbei von einer Ausgabe normaler Stimmrechtsaktien an der Deutschen Bahn AG. Durch eine Ausgabe von (vinkulierten) Namensaktien würde sich die Rechtslage nicht grundlegend ändern. Eine andere Beurteilung könnte aber angezeigt sein, wenn Vorzugsaktien ohne Stimmrechte ausgegeben werden. Daher soll darauf gesondert eingegangen werden (F.). Ein Resümee schließt die Untersuchung ab (G.). Es versteht sich von selbst, dass das Gutachten in wissenschaftlicher Unabhängigkeit erstattet wird. Eingegangen wird nur auf die Rechtsfragen, nicht auf die verfassungspolitische oder allgemeinpolitische Beurteilung der angestrebten Privatisierung der Deutschen Bahn AG. Wie ausgeführt, wird in diesem Teil des Gutachtens nur auf die Rechtsfragen, nicht auf die verfassungspolitische oder allgemeinpolitische Beurteilung der angestrebten Privatisierung der Deutschen Bahn AG eingegangen. 39 Verkehrsministerkonferenz, K 1 – 1, Bd. 98. 40 Verkehrsministerkonferenz, K 1 – 1, Bd. 102. 41 Sonder-Verkehrsministerkonferenz vom 2.8.2007, Beschluss zu Punkt 1 der Tagesordnung. 25 26 B. Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 GG Nach Herausstellung der maßgeblichen Tatbestandsmerkmale des Art. 87 e Abs. 3 GG (I.) kommt es für die hier zu beurteilenden Rechtsfragen darauf an, den Sinngehalt des Erfordernisses eines Mehrheitsanteilseigentums des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu ermitteln (II.), die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung der eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse des Bundes zu bestimmen (III.), die in Betracht kommenden Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form herauszuarbeiten (IV.) sowie die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Schachtelbeteiligungen und gestuften Ingerenzrechten zu klären (V.). I. Die maßgeblichen Tatbestandsmerkmale der Norm Aus Art. 87 e Abs. 3 GG ergibt sich für die Eisenbahninfrastruktur zum einen, dass die als Wirtschaftsunternehmen in „privat-rechtlicher“ Form zu führenden Eisenbahnen des Bundes im Eigentum des Bundes stehen müssen, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfasst (Satz 2), zum anderen, dass die Anteile an dem Unternehmen zwar auf der Grundlage eines Gesetzes und nach Maßgabe gesetzlicher Regelungen veräußert werden dürfen, die Mehrheit der Anteile aber beim Bund verbleiben muss (Satz 3). Hieraus folgt zunächst, dass der Betrieb der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes formell privatisiert, also einer in privat-rechtlicher Form organisierten Unternehmenseinheit übertragen werden muss. Zum Betrieb gehören jedenfalls der Bau, die Unterhaltung „und“ das Betreiben von Schienenwegen. Mit Bau ist der Neubau und Ausbau des Netzes und seiner wesentlichen schienenspezifischen Bestandteile (Signaltechnik, Zugleitung, Grundstücke, Bahnhöfe42), mit Unterhaltung sind die zur Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit des Netzes erforderlichen Maßnahmen, mit dem Betreiben von Schienenwegen nicht der Verkehr auf dem Netz, 42 Zum Eisenbahnnetz gehören auch die für den Betrieb der Schienenwege notwendigen Anlagen, vgl. auch § 2 Abs. 3 c AEG sowie § 2 Abs. 3 BSEAG-E i. V. m. § 18 AEG. 27 sondern die Führung der Betriebsleit- und Sicherheitssysteme sowie die Vorhaltung der und Verfügung über die Fahrwegkapazität gemeint.43 Trotz der missverständlichen Verknüpfung der verschiedenen Tätigkeitsarten mit dem Wort „und“ ist es nicht erforderlich, dass die genannten Unternehmensgegenstände von ein und demselben Unternehmen ausgeführt werden.44 Nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG müssen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen „im Eigentum“ des Bundes stehen. Was die Notwendigkeit, die Führung der Eisenbahnen auf privat-rechtliche Wirtschaftsunternehmen zu übertragen, für die Eigentumslage besagt, geht nicht ausdrücklich aus der Normierung des Art. 87 e Abs. 3 GG hervor. Einerseits kommt in Betracht, das Eigentum an den Schienenwegen selbst (das heißt an Grund und Boden) unmittelbar dem Bund zuzuordnen, und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nur die Bewirtschaftung der Schienenwege zu überlassen. Andererseits schließt das Grundgesetz aber auch nicht aus, dass den Eisenbahninfrastrukturunternehmen das Eigentum an den Schienenwegen übertragen wird (wie dies tatsächlich gegenwärtig der Fall ist45). Im zuletzt genannten Fall reduziert sich die Eigentümerstellung des Bundes auf die Stellung eines Anteilseigners an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Der Besitz von „Anteilen“ an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen bedeutet, dass dem Bund qualitativ eigentumsrechtliche Verfügungsbefugnisse in der quantitativ vorgesehenen Höhe an den Unternehmen zustehen müssen.46 Wenn Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 2 GG verlangt, dass die Mehrheit der Anteile beim Bund verbleibt, hat dies – wie auch das Zusammenspiel mit Art. 73 Nr. 6 a GG zeigt – zur Konsequenz, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (unmittelbar oder mittelbar47) mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen müssen. 43 Vgl. auch Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand März 2007, Art. 87 e Rn. 176. 44 Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 176. 45 Siehe oben A. I. 1. b). Zur Zulässigkeit eines Schachteleigentums vgl. auch die Ausführungen zu B. IV. 46 Vgl. Möllers (Fn. 18), S. 14. 47 Vgl. Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146, 177; Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 57; Uerpmann, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. 3, 4./5. Aufl. 2003, Art. 87 e Rn. 14; Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (582). 28 II. Der Sinngehalt des Erfordernisses eines Mehrheitsanteilseigentums des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen Der Zweck des Mehrheitserfordernisses des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 HS 2 GG könnte es sein, nur das Vorhandensein eines Substrats für die in Art. 87 e Abs. 4 GG normierte Gewährleistungsverpflichtung des Bundes sicherzustellen. Die Gewährleistungsverpflichtung des Bundes bezieht sich nämlich gem. Art. 87 e Abs. 4 GG nur auf Eisenbahnen des Bundes.48 Gäbe es keine Eisenbahnen des Bundes mehr, liefe die Gewährleistungspflicht des Bundes leer. Da zwar aus einem Umkehrschluss zu Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG folgt, dass die Eisenbahnverkehrsunternehmen des Bundes vollständig materiell privatisiert werden dürfen49, dagegen der Bund nach der genannten Vorschrift die Mehrheit der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen behalten muss50, wird gleichzeitig garantiert, dass der Bund seiner Gewährleistungspflicht nach Art. 87 e Abs. 4 GG jedenfalls insoweit nachkommen muss. Dies ist nach allgemeiner Auffassung jedoch nicht der alleinige Sinngehalt der Norm.51 Vielmehr bedeutet das Mehrheitserfordernis des Bundes zugleich, dass der Vermögenswert der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu mehr als der Hälfte beim Bund verbleiben muss und der Bund zugleich einen substantiellen Einfluss auf die Willensbildung der Infrastrukturunternehmen auszuüben vermag. Dies ergibt 48 Krit. dazu Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 65 f. 49 Vgl. A. I. 1. a). 50 Nach F. Kirchhof (Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom 21.5.2007, S. 4, abgedruckt in der Anlage 1 des Wortprotokolls zur Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 23.5.2007, Protokoll Nr. 16/40, sowie auch ders., ebenda, S. 10, 40) dürfen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch im völligen Fremdbesitz stehen, soweit eigentumsähnliche Verfügungsbefugnisse des Bundes durch zusätzliche öffentlich-rechtliche Bindungen gesichert werden. Darüber hinaus soll die Möglichkeit des Bundes unberührt bleiben, auf Eisenbahnen des Bundes „ganz zu verzichten und Verkehrs- sowie Infrastrukturunternehmen abzustoßen“ mit der Folge, dass „die bisherige Staatsaufgabe völlig aufgegeben“ wird. Diese Auffassung widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG. Im Übrigen darf nach den allgemeinen Grundsätzen der Verfassungsinterpretation eine Verfassungsrechtsbestimmung nicht so ausgelegt werden, dass sie jeglichen Regelungsgehalt verliert und keinerlei Sinn mehr ergibt. 51 Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 117 ff.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2000, Art. 87 e Rn. 14; Hermes, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom 21.5.2007 (abgedruckt in der Anlage 1 des Wortprotokolls zur Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 23.5.2007, Protokoll Nr. 16/40), S. 1 f. 29 sich sowohl aus dem Wortlaut der Norm (1.) als auch aus der Entstehungsgeschichte (2.), dem systematischen Zusammenhang mit Art. 87 e Abs. 4 GG (3.) und dem Zweck der Regelung (4.). 1. Die Wortlautinterpretation des Art. 87 e Abs. 3 GG Unter Eigentum wird das Recht verstanden, einen von der Rechtsordnung geschützten Vermögensgegenstand innezuhaben und zu nutzen.52 Dementsprechend bestimmt etwa § 903 S. 1 BGB im Hinblick auf die Sachenrechte, dass der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Ergibt sich aus den Gesetzen nichts anderes, darf der Eigentümer somit auch unbeschränkt über die Nutzung des Eigentums entscheiden. Das Grundgesetz hat den eingangs genannten Eigentumsbegriff übernommen. So unterfallen dem Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG nur vermögenswerte Rechte.53 Geschützt wird die Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand54 und damit sowohl der Bestand der Eigentumsposition in der Hand des Eigentümers und die Nutzung der Position55 als auch deren Veräußerung bzw. die Verfügung über sie56. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass Art. 14 Abs. 1 GG als ein gegen den Staat gerichtetes Grundrecht nicht (schlechthin) das Privateigentum, sondern nur das Eigentum Privater schützt.57 Der Eigentumsbegriff ändert sich nicht, wenn statt eines Privaten ein Träger von Staatsgewalt Inhaber eines vermögenswerten Rechtes ist, sieht man davon ab, dass statt „Privat“-Nützigkeit die Nützlichkeit für die öffentliche Hand maßge- 52 Vgl. statt vieler Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (214); Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand März 2007, Art. 14 Rn. 8 (Recht des Habens und Gebrauchmachens an einem konkreten Gegenstand). 53 Vgl. Papier (Fn. 52), Art. 14 Rn. 160 mit weiteren Nachweisen. 54 BVerfGE 104, 1 (8). 55 BVerfGE 88, 366 (377); 98, 17 (35); 101, 54 (75). 56 BVerfGE 50, 290 (339); 52, 1 (30 f.); 91, 294 (308). 57 Vgl. BVerfGE 61, 82 (108 f.). 30 bend ist.58 Daher ist auch das Eigentum des Bundes an den in Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG genannten Wirtschaftsunternehmen gleichzusetzen mit der vermögensrechtlichen Verfügungsbefugnis respektive Herrschaftsbefugnis über die Unternehmen. Handelt es sich bei den Unternehmen um Kapitalgesellschaften, wird das Eigentum durch die Anteile an den Gesellschaften vermittelt. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum an einer Aktiengesellschaft im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltungen durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist.59 Der Eigentumsschutz „erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft, die das Aktieneigentum vermittelt. Aus der mitgliedschaftlichen Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche“.60 Somit korreliert auch im Falle einer Inhaberschaft von Anteilen an diesen Unternehmen die Eigentümerstellung mit den vermittelten vermögensrechtlichen Rechtspositionen und den mitgliedschaftlichen Leitungs- respektive Herrschaftsbefugnissen.61 Wenn der Bund nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG zwar Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen veräußern darf, aber die Mehrheit der Anteile und damit zumindest die Stellung eines Mehrheitseigentümers nicht aufgeben darf62, folgt daraus zwingend, dass der Bund kraft verfassungsrechtlicher Vorgabe insbesondere in der Lage sein muss, einen beherrschenden Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen auszuüben.63 Soweit das Verfassungsrecht nichts anderes bestimmt, sind verfassungsrechtli58 Nichts anderes würde gelten, wenn das Eigentum öffentlich-rechtlich statt privatrechtlich ausgestaltet worden wäre (vgl. dazu Kirchhof, Anhörung im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages [Fn. 17], S. 10). Diese Variante kann hier vernachlässigt werden, weil die Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt werden müssen, der Bund in seiner Eigenschaft als Anteilseigner der Unternehmen also nur privatrechtlicher Eigentümer sein kann. 59 Vgl. BVerfGE 14, 263 (276 f.); 25, 371 (407); 50, 290 (339); 100, 289 (301). 60 BVerfGE 100, 289 (301 f.). 61 Vgl. zur Notwendigkeit einer Korrelation statt vieler Masing (Fn. 19), S. 10 ff. 62 Vgl. Wieland (Fn. 51), Art. 87 e Rn. 13; Uerpmann-Wittzack, in: Handbuch des Staatsrechts IV, 3. Aufl. 2006, § 89 Rn. 44; Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146; Möllers (Fn. 18), S. 14. 63 Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146. 31 che Bindungen auch nicht abdingbar. Aus Art. 87 e Abs. 5 S. 2 GG ergibt sich zwar, dass eine Übertragung von Schienenwegen des Bundes an Dritte nicht ausgeschlossen ist. Abgesehen von diesem Fall, darf der Bund nicht auf die Ausübung seiner Herrschaftsbefugnisse verzichten oder diese mit befreiender Wirkung auf andere übertragen. Auch ist es ihm nicht gestattet, das Mehrheitseigentum nur auf den Vermögenswert zu beschränken und sich hinsichtlich der mit dem Eigentum verbundenen Herrschaftsbefugnisse – etwa durch Zulassung einer anderweitigen Stimmenrechtsmehrheit – auf eine Minderheitsposition zurückzuziehen.64 Vielmehr „muss der Bund die Herrschaft über die Infrastrukturunternehmen … behalten“65 und damit auch die Stimmenrechtsmehrheit in diesen Unternehmen. 2. Die Entstehungsgeschichte der Norm Die sich bereits aus dem Wortlaut ergebende Lesart des Art. 87 e Abs. 3 GG wird von der Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt. Der Bund wollte es ursprünglich bei der Regelung belassen, dass die „Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt“ werden.66 Die heutigen Bestimmungen des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG fehlten in dem Regierungsentwurf ebenso wie der Infrastruktursicherungsauftrag des Art. 87 e Abs. 4 GG. Die Bundesregierung beabsichtigte nur, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die angestrebte formelle und materielle Privatisierung der Deutschen Bundesbahn zu schaffen. Der Bund sollte nicht verpflichtet werden, dauerhaft Eigentümer einer Eisenbahn zu sein und diese auch betreiben zu müssen.67 Dies stieß indessen auf den Widerstand des Bundesrates. Der Bundesrat äußerte die Auffassung, dass der Bund „weiterhin die volle Verantwortung für die Schieneninfrastruktur der Eisenbahnen des Bundes tragen [muss]. Er bleibt in der Pflicht zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben im Schie64 Wie hier Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, ZHR 160 (1996), S. 521 (551); Burger, Zuständigkeit und Aufgaben des Bundes für den öffentlichen Personennahverkehr nach Art. 87 e GG, 1998, S. 35; Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146; Möllers (Fn. 18), S. 15. 65 Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 14; Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (585). 66 BT-Drs. 12/5015, S. 4. 67 Vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 12/5015, S. 7. 32 nenverkehr.“68 Deshalb schlug der Bundesrat vor, folgende Bestimmungen in Art. 87 e des Grundgesetzes aufzunehmen: „(4) Der Bund ist Eigentümer der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes. Er stellt sicher, daß den Verkehrsbedürfnissen und dem Wohl der Allgemeinheit beim Ausbau und bei der Vorhaltung dieses Schienennetzes sowie bei den Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz Rechnung getragen wird.“69 Zur Begründung wurde angegeben, aufgrund der Bedeutung des Schienennetzes für das bundesweite Infrastruktursystem müsse das Eigentum an den Schienenwegen generell beim Bund belassen werden. „Bei einer Übertragung des Eigentums auf ein privat-rechtlich organisiertes Wirtschaftsunternehmen würde nicht die erforderliche Sicherheit bestehen, dass dieses Schienennetz zumindest in seinen wesentlichen Bestandteilen erhalten und bedarfsgerecht ausgebaut wird, zumal die heutige Wettbewerbssituation zwischen den Verkehrsträgern keine Kostendeckung bei Vorhaltung und Betrieb eines solchen Netzes ermöglicht.“70 Der Bund sei dadurch nicht gehindert, ein privat-rechtlich organisiertes Wirtschaftsunternehmen mit Bau, Nutzung und Betrieb dieses Schienenweges zu beauftragen. Aus dem Infrastrukturauftrag folge jedoch, dass Vorhaltung und Ausbau des Schienennetzes als staatliche Aufgabe unter Beachtung der Verkehrsbedürfnisse und des Wohls der Allgemeinheit zu erfüllen sei.71 Die Bundesregierung anerkannte in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zwar die Verantwortung für die Infrastruktur des Bundes für Aus- und Neubau des Schienennetzes, lehnte aber das vom Bundesrat geforderte unmittelbare Bundeseigentum am Schienennetz und die bloße Beauftragung der Deutschen Bahn AG mit Bau, Unterhalt und Betrieb ab, weil dies ein wesentliches Element der Bahnstrukturreform beseitigen würde. Bei Verwirklichung des Änderungsvorschlages des Bundesrates könnten wesentliche Ziele der Bahnreform nicht erreicht werden, nämlich ein in allen Bereichen wirtschaftlich handelndes, auf Leistungs- und Produktivitätssteigerung 68 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5015, S. 9. 69 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5015, S. 11. 70 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5015, S. 11. 71 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5015, S. 11. 33 ausgerichtetes Unternehmen, das durch seinen Geschäftserfolg zugleich zu einer dauerhaften Entlastung der öffentlichen Haushalte beiträgt. Nur durch die Übertragung des Eigentums an den Schienenwegen auf die Deutsche Bahn AG werde ein unternehmerischer Handlungszwang erzeugt, die Kosten für die Unterhaltung und den Betrieb des Schienennetzes zu reduzieren und zu erwirtschaften.72 Im Ergebnis kam es zu einer Einigung von Bundesregierung und Bundestag einerseits und Bundesrat andererseits, wobei sich der Bundesrat im wesentlichen bei der Aufnahme des heutigen Art. 87 e Abs. 4 GG in das Grundgesetz durchsetzte, während die Vorschrift des heutigen Art. 87 e Abs. 3 GG als Ausgleich zur Forderung des Bundesrates bezeichnet werden kann, das Eigentum an den Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes ganz beim Bund zu belassen.73 Doch ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte eindeutig, dass Geschäftsgrundlage der Verständigung im Hinblick auf Art. 87 e Abs. 3 GG die Aufnahme einer materiellen Privatisierungsschranke in das Grundgesetz war, um sicher zu stellen, dass der Bund zwecks Wahrnehmung seiner Verantwortung für die Schieneninfrastruktur jedenfalls Mehrheitseigentümer der Infrastrukturunternehmen bleibt. 3. Die systematische Stellung des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG Des Weiteren bestätigt die systematische Zuordnung von Art. 87 e Abs. 3 S. 3 und Abs. 4 GG, dass der Regelung des Absatzes 3 Satz 3 selbständige und nicht nur instrumentelle Bedeutung allein zu dem Zweck zukommen soll, dem Bund die Möglichkeit zur Erfüllung seiner Gewährleistungsverpflichtung nach Art. 87 e Abs. 4 GG mittels externer Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu geben. Wäre es dem Grundgesetzgeber nur auf die Gewährleistungsverpflichtung und nicht auf die Eigentumslage an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen angekommen, hätte es nahegelegen, die Gewährleistungsverpflichtung allgemein auf ein funktionsfähiges Schienennetz zu bezie72 Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs. 12/5015, S. 16. 73 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 12/6280, S. 8. 34 hen. Eines Schienenwegevorbehalts hätte es dann nicht bedurft.74 Vergleichend kann darauf hingewiesen werden, dass auch die Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 f Abs. 1 GG nicht an die Eigentumslage anknüpft. Wenn Art. 87 e Abs. 4 GG demgegenüber von „Eisenbahnen des Bundes“ spricht, deutet dies ebenfalls darauf hin, dass dem Eigentum an den Eisenbahnunternehmen Relevanz zukommen soll. 4. Teleologische Auslegungsgesichtspunkte Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis, von den mit dem Eigentum des Bundes verbundenen Einflussrechten Gebrauch zu machen, keine Besonderheit der Regelung des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG darstellt. Jedes Handeln der öffentlichen Hand bedarf der Rechtfertigung durch einen öffentlichen Zweck.75 Auch die Beteiligung der öffentlichen Hand an einem privatrechtlich organisierten Unternehmen kann daher nur ein Mittel zur Erfüllung öffentlicher Zwecke sein. Hieraus ergibt sich zugleich, dass die öffentliche Hand im Rahmen ihrer Beteiligungsquote verpflichtet ist, das Handeln ihrer Unternehmen zu steuern und zu kontrollieren. Dies wird durch die Bindung des Staates an das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG) bestätigt76. Nach diesem Prinzip muss „alle“ Staatsgewalt vom Volke ausgehen. Entscheidet das Volk nicht selbst durch Wahlen oder Abstimmungen, muss das Handeln auf den Willen des Volkes zurückgeführt und mediatisiert über die Volksvertretung und Verwaltungsspitze verantwortet werden können. Da eine Verantwortung nur tragen kann, wer Leitungsmacht hat, gebietet es das Demokratieprinzip, der Verwaltungsspitze ein Letztentscheidungsrecht vorzubehalten.77 Die Notwendigkeit einer Steuerung und Kontrolle schließt eigenverantwortliche 74 Ebenso Hermes, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413 (Fn. 51), S. 2. 75 Vgl. Ehlers (Fn. 1), S. 124; ders. in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2006, § 1 IV 1. 76 Vgl. statt vieler Püttner, DVBl. 1975, 353 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltungen im demokratischen Staat, 1991, S. 258 f.; Spannowsky, DVBl. 1992, S. 1072 ff.; dens., ZGR 1996, S. 400 ff.; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsverhältnis zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 222 ff.; Ehlers, in: Wurzel/Schraml/Becker (Hrsg.), Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2005, B Rn. 43. 77 Näher zum Ganzen BVerfGE 93, 37 ff. 35 Spielräume der Unternehmensleitungen nicht aus. Doch darf die öffentliche Hand, jedenfalls wenn sie mehrheitlich an dem Unternehmen beteiligt ist, das Letztentscheidungsrecht in grundlegenden Angelegenheiten nicht preisgeben. Nichts anderes verlangt die Bestimmung des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG. 5. Fazit Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG den Bund verpflichtet, das Mehrheitseigentum und die damit verbundenen Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand zu geben. Diese Auffassung ist in der Literatur unbestritten.78 III. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung der eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse des Bundes Welche Ziele der Bund bei der Eigentumseinwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen verfolgen darf, wird unterschiedlich beurteilt.79 Zumeist wird die Ansicht vertreten, das Einflusspotential des Bundes dürfe auch und gerade zur Verwirklichung von Gemeinwohlbelangen (insbesondere den Verkehrsbedürfnissen i. S. v. Art. 87 e Abs. 4 GG) eingesetzt werden.80 Nach anderer Auffassung verpflichtet Art. 87 e Abs. 3 GG den Bund nicht nur zu einer privatrechtförmigen, sondern auch zu einer materiell privat-rechtlichen Leistungserbringung der Eisenbahnunternehmen. Wenn diese „als Wirtschaftsunternehmen“ zu führen seien (Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG), so reiche eine Führung „ähnlich wie“ nicht aus. Von Bedeutung sei auch der Vergleich mit der früheren einfachgesetzlichen Rechtslage. Nach § 28 Abs. 1 Bundesbahngesetz war die frühere Bundesbahn nur „wie ein Wirtschaftsunternehmen“ zu führen und hatte in diesem Rahmen ihre „gemeinwirtschaftliche Aufgabe“ zu erfüllen. Im Kontrast 78 Teilweise a. A. nur Kirchhof (vgl. Fn. 50). 79 Vgl. die Meinungsübersicht bei Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 90; Masing (Fn. 19), S. 11 ff. 80 Vgl. etwa Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 179; Burger (Fn. 64), S. 71 ff.; Wieland (Fn. 51), Art. 87 e Rn. 14. 36 dazu seien die Eisenbahnen des Bundes nunmehr „als Wirtschaftsunternehmen“ zu führen. Wirtschaftlichkeit erfasse Gemeinwirtschaftlichkeit gerade nicht. Deshalb müssten privatwirtschaftliche Ziele dem Handeln zugrunde gelegt werden. Zwar lasse sich dem Art. 87 e GG – wie der Vergleich mit Art. 87 f Abs. 2 GG zeige („andere private Anbieter“) – keine Grundentscheidung zugunsten des Ordnungsprinzips Wettbewerb entnehmen81. Die Deutsche Bahn AG müsse somit von Verfassungs wegen nicht privatisiert werden. Das ändere aber nichts daran, dass die von den Eisenbahnunternehmen des Bundes erbrachten Angebote als ein Wirtschaftsgut wie jedes andere verstanden würden, mit dessen Hilfe Gewinne erzielt werden sollen. Deshalb bekenne sich Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG zur Kommerzialisierung der Angebote der Eisenbahnen des Bundes und zwinge zu einer gewinnorientierten Führung. Dies gelte nicht nur für die Eisenbahnverkehrs-, sondern auch für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen.82 Nach der hier vertretenen Ansicht schließen sich eine gemeinwohlorientierte und eine kommerzielle, auf Rentabilität und Gewinnmitnahme ausgerichtete Unternehmenssteuerung auch in dem von Art. 87 e Abs. 3 GG vorgegebenen Rahmen nicht von vornherein aus.83 Der in Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG verwendete Begriff der „Wirtschaft“ ist nicht mit „Privatwirtschaft“ gleichzusetzen (abgesehen davon, dass der Staat niemals zu einem Privaten mutieren darf und auch private Unternehmen altruistische Zwecke verfolgen können). Sowohl das europäische Gemeinschaftsrecht als auch das nationale Recht rechnen zur wirtschaftlichen Betätigung das marktmäßige Anbieten von Gütern- oder Dienstleistungen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Leistung ihrer Art nach auch von ei- 81 Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 37, 56; Brosius/Gersdorf, DÖV 2002, S. 275 (281 ff.); Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 563 f.; krit. Möstl, in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, 2007, S. 833 (835 ff.). 82 Vgl. Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 47 ff., der aber mittlerweile seine Auffassung modifiziert hat (vgl. die Ausführungen zu C. II. 1.); ähnlich bereits Fromm, DVBl. 1994, S. 187 (191 f.); Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (581); Hommelhoff/SchmidtAßmann, ZGR 160 (1996), S. 521 (535); Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 16; Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 4. Aufl. 2007, Art. 87 e Rn. 42. 83 Vgl. auch Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 91 ff.; dens. (Fn. 81), S. 839 ff. 37 nem Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden könnte.84 Das trifft aber fast auf die gesamte Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand zu.85 Diese darf bei Zugrundelegung des einfachen Gesetzesrechts jedoch nicht rein erwerbswirtschaftlich wahrgenommen werden.86 Nach einer vielfach vertretenen Ansicht ist dem Staat darüber hinaus eine reine Erwerbswirtschaft von Verfassungs wegen verboten.87 Ob dieser Ansicht zu folgen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls wäre zu erwarten gewesen, dass der Grundgesetzgeber eine Festlegung auf eine reine Erwerbswirtschaft in deutlicherer Weise als mit der Verwendung des Begriffes „Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form“ zum Ausdruck gebracht hätte. Zudem darf nicht außer Betracht bleiben, dass alle Staatsgewalten – besonders die Verwaltung – zur Wirtschaftlichkeit verpflichtet sind. Dementsprechend hat der Bundesrechnungshof nach Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung zu überprüfen. Es ist noch niemals die Auffassung vertreten worden, dass sich die staatliche Verwaltung deshalb nur erwerbswirtschaftlich betätigen dürfe.88 Hinzu kommt, dass zwischen den Zielen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und den (hier maßgeblichen) Steuerungszielen des Bundes zu unterscheiden ist. Selbst rein private Unternehmen dürfen dazu verpflichtet werden, einen Gewährleistungsauftrag der öffentlichen Hand einzulösen (wie sich etwa für die Post- und Telekommunikationsunternehmen aus Art. 87 f Abs. 1 und 2 GG ergibt). „Jede Maßnahme der Einlösung des Gewährleistungsauftrags trägt in diesem Sinne unweigerlich ein Element der Modifikation reiner Privatwirtschaftlich84 Vgl. mit umfangreichen Nachweisen Ehlers, Empfiehlt es sich, das Recht der öffentlichen Unternehmen im Spannungsverhältnis von öffentlichem Auftrag und Wettbewerb national und gemeinschaftsrechtlich neu zu regeln?, Gutachten E zum 64. Deutschen Juristentag, 2002, E 26 ff. 85 Das europäische Gemeinschaftsrecht spricht statt von Daseinsvorsorge von Diensten „von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“. Vgl. Art. 16 EGV, ähnlich Art. 86 Abs. 2 EGV. 86 Vgl. statt vieler Ehlers (Fn. 84), E 70 ff. 87 Vgl. z. B. Henneke, NdsVBl. 1998, S. 273 (280 f.); Hösch, Die kommunale Wirtschaftstätigkeit, 2000, S. 82 f.; Selmer, in: Stober/Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, 2000, S. 75 (88); Loewer, VVDStRL 60 (2001), S. 416 (418 ff.). 88 Vgl. auch Kirchhof, Anhörung im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages (Fn. 50), S. 39 f. 38 keit in sich; reine Privatwirtschaftlichkeit wird um ein Element der Indienstnahme für öffentliche Zwecke ergänzt.“89 Eine solche Indienstnahme kommt im Falle des Bestehens eines Gewährleistungsauftrags (hier Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG) erst recht in Betracht, wenn die öffentliche Hand selbst Eigentümer des Unternehmens ist. Der Sinn staatlichen Eigentums kann nur darin bestehen, „dass man sich durch die staatliche Eigentümerstellung im Vergleich zu einem rein privaten Unternehmen einen sichtbaren Mehrwert in … Bezug auf eine gemeinwohlverträgliche Aufgabenerfüllung durch das Unternehmen erwartet.“90 Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 87 e Abs. 3 GG hat gezeigt, dass die Vorschrift auf einem Kompromiss von Bundesregierung und Bundestag einerseits und Bundesrat andererseits beruht, wobei die Bundesregierung und der Bundestag die Wirtschaftlichkeit, der Bundesrat die Gemeinwohlorientierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen betont haben.91 Daher kann nicht angenommen werden, dass der Bund trotz seiner Eigentümerstellung keinerlei Recht haben soll, seine unternehmerischen Einflussmöglichkeiten auch zur Durchsetzung von Gemeinwohlbelangen zu nutzen.92 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich die Eisenbahnen des Bundes nicht nur dem Verkehr, sondern nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG jedenfalls auch dem Bau, der Unterhaltung und dem Betreiben von Schienenwegen widmen müssen. Wie die Vergangenheit gezeigt hat und zwischen allen Beteiligten unstreitig ist, kann die Eisenbahninfrastruktur aber auf absehbare Zeit nicht gewinnbringend betrieben werden.93 Vielmehr sind sie auf Zuschüsse des Bundes angewiesen. Trotzdem ist es den Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes kraft eindeutiger verfassungsrechtlicher Festlegung untersagt, auf den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen wegen fehlender Gewinnerzielung zu verzichten. Dies alles zeigt, dass die Eisenbahninfrastrukturun89 Möstl (Fn. 81), S. 842. 90 Möstl (Fn. 81), S. 849. 91 Vgl. B. II. 2. 92 Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 13. 93 Hiervon geht auch der Bund für die Zukunft aus. Anders wäre es nicht verständlich, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen kraft Gesetzes eine Unterstützung vom Bund bis zu 2,5 Milliarden Euro jährlich erhalten sollen (§ 3 Abs. 2 BSEAG-E). 39 ternehmen nach der Vorstellung des Grundgesetzgebers zwar nach kaufmännischen Grundsätzen im Sinne einer unternehmerischen Entscheidungsrationalität94 effizient geführt werden sollen, eine gemeinwohlorientierte Einflussnahme des Bundes aber nicht ausgeschlossen ist. Wie die Gewichte zwischen der betriebswirtschaftlichen und gemeinwohlorientierten Unternehmensführung im Einzelnen zu verteilen sind, kann hier dahinstehen. IV. Die in Betracht kommenden Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form Da Art. 87 e Abs. 3 GG den Bund nicht verpflichtet, neue privat-rechtliche Unternehmensformen zu schaffen, kann er sich für die Organisation seiner Eisenbahnunternehmen – und damit auch der Eisenbahninfrastrukturunternehmen – nur der zur Verfügung stehenden Rechtsformen des Privatrechts bedienen. In Betracht kommen sämtliche Organisationsformen (einschließlich der Stiftung bürgerlichen Rechts). Tatsächlich dürften nur die Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung sowie der Aktiengesellschaft geeignet sein. Es stellt sich dann die Frage, welche Möglichkeiten der Bund als Gesellschafter hat, das Handeln dieser Gesellschaften zu beeinflussen. 1. Die Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung Da die Gesellschafter und nicht die Geschäftsführer von Rechts wegen das unternehmerische Initiativ- und Entscheidungszentrum einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bilden, bereitet die Steuerung einer dem Bund gehörenden und von ihm beherrschten Gesellschaft mit beschränkter Haftung grundsätzlich keine Schwierigkeiten. So kann sich der Bund im Gesellschaftsvertrag das Recht der Gesellschafter auf Bestellung der Geschäftsführer und auf Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführer einräumen lassen. Selbst wenn derartige Bestimmungen fehlen, obliegt die Bestellung der Geschäftsführer den Gesellschaftern. Auch ist die Gesellschafterversammlung nach herrschender Mei94 Vgl. Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 45. 40 nung95 zur Erteilung von Weisung berechtigt, während sie nach anderer Auffassung96 bei einem Schweigen des Gesellschaftsvertrages nur eine Richtlinienkompetenz in Anspruch nehmen kann. Diese Kompetenz ist aber weit auszulegen, so dass ein Mehrheitsgesellschafter in jedem Fall in der Lage ist, die Geschäftsführung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu bestimmen. Weitreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf die Geschäftsführung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bleiben auch dann bestehen, wenn die Gesellschaft einen obligatorischen (oder gar nur einen fakultativen) Aufsichtsrat besitzt. Notwendig ist die Bildung eines Aufsichtsrats, wenn die Gesellschaft über regelmäßig mehr als 500 Arbeitnehmer verfügt. Der Aufsichtsrat ist dann nach Maßgabe des Gesetzes über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen.97 Beschäftigt die Gesellschaft mit beschränkter Haftung regelmäßig mehr als 2000 Arbeitnehmer, greifen die Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes ein.98 Der Aufsichtsrat besteht in solchen Fällen aus der gleichen Zahl von Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer, wobei im Konfliktsfall das Zweitstimmrecht des nicht gegen den Willen der Anteilseigner wählbaren Aufsichtsratsvorsitzenden den Ausschlag gibt.99 Auch wenn ein Aufsichtsrat von Gesetzes wegen einzurichten ist, bleibt die Gesellschafterversammlung oberstes Organ der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ihr kann nicht das Recht genommen werden, Weisungen an den Geschäftsführer zu erteilen, soweit dieses Recht in der Satzung vorbehalten wurde. Zwar hat der Aufsichtsrat erweiterte Befugnisse. So wählt der dem Mitbestimmungsgesetz (nicht dem Drittelbeteiligungsgesetz100) unterfallende Aufsichtsrat kraft Gesetzes die Geschäftsführer und beruft 95 Vgl. Schneider, in: Scholz (Hrsg.), GmbH-Gesetz, Bd. I, 9. Aufl. 2000, § 37 Rn. 30 ff.; Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, Großkommentar zum GmbH-Gesetz, 2006, § 37 Rn. 14; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2005, S. 340 mit Fn. 5. 96 Vgl. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 18. Aufl. 2006, § 37 Rn. 17, 19. 97 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG. 98 Vgl. § 1 Abs. 1 MitbestG. 99 Vgl. die §§ 27 Abs. 2, 29 Abs. 2, 31 Abs. 4 MitBestG. 100 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG. 41 sie notfalls ab.101 Auch sind die Aufsichtsratsmitglieder nicht weisungsabhängig.102 Doch kann der Mehrheitsgesellschafter erreichen, dass nur die von ihm ausgewählten Vertreter der Anteilseigner in den Aufsichtsrat gewählt werden.103 Bei Mitwirkungsbefugnissen des Aufsichtsrates an der Geschäftsführung kommt das Verfahren des § 111 Abs. 4 AktG zum Zuge.104 Wird die Zustimmung des Aufsichtsrates verweigert, können die Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung anrufen. Diese vermag mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen das Veto des Aufsichtsrates zu überspielen. Da die Gesellschafter die Geschäftsführung mit einfacher Mehrheit anweisen können, das Zustimmungsverlangen zu stellen, sind sie auch auf diesem Wege in der Lage, sich jedenfalls bei Erreichen der genannten Mehrheit gegenüber dem Aufsichtsrat durchzusetzen. Selbst wenn es dem Sinn der Mitbestimmung zuwiderlaufen dürfte, Weisungen dermaßen zu intensivieren, dass die Geschäftsführer zu bloßen Marionetten der Gesellschafter degradiert werden, bleibt genügend Spielraum für die Gesellschafter, um sich in wichtigen Angelegenheiten durchzusetzen. 2. Die Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Aktiengesellschaft Während in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung grundsätzlich die Gesellschafter das Bestimmungsrecht haben, lässt sich für Aktiengesellschaften dies gerade nicht – jedenfalls nicht in gleicher Weise – feststellen. Das liegt vor allem daran, dass der Vorstand gemäß § 76 AktG eine Aktiengesellschaft in eigener Verantwortung (also unabhängig) zu leiten hat. a) Die Organisation einer Aktiengesellschaft 101 § 31 MitbestG i. V. m. § 84 AktG. 102 Die Rechtstellung der Aufsichtsratsmitglieder bestimmt sich in diesen Fällen nach dem Aktienrecht. 103 Näher dazu Grunewald (Fn. 95), S. 257; Hüffer, Aktiengesetz, 7. Aufl. 2006, § 101 Rn. 4. 104 Vgl. § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG. 42 Im Gegensatz zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung muss jede Aktiengesellschaft mindestens über drei Unternehmensorgane verfügen: nämlich die Hauptversammlung, den Aufsichtsrat und den Vorstand. Die Rechte der Hauptversammlung beziehen sich „nur“ auf Grundlagenzuständigkeiten.105 Gem. § 119 Abs. 1 AktG beschließt die Hauptversammlung in den im Gesetz und in der Satzung ausdrücklich bestimmten Fällen, namentlich über 1. die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrats, soweit sie nicht in den Aufsichtsrat zu entsenden oder als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu wählen sind;106 2. die Verwendung des Bilanzgewinns;107 3. die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats;108 4. die Bestellung des Abschlussprüfers; 5. Satzungsänderungen;109 6. Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung;110 7. die Bestellung von Prüfern zur Prüfung von Vorgängen bei der Gründung oder der Geschäftsführung;111 8. die Auflösung der Gesellschaft.112 Zur erwähnen ist weiterhin, dass die Hauptversammlung dem Vorstand das Vertrauen aus wichtigem Grund mit den sich aus § 84 Abs. 3 S. 1 AktG erge105 Vgl. Grunewald (Fn. 95), S. 271 f.; Küpler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006, S. 219 f. 106 Vgl. § 101 AktG. 107 Vgl. § 174 AktG. 108 Vgl. § 120 AktG. 109 Vgl. § 179 Abs. 2 AktG. 110 Vgl. die §§ 182, 222 AktG. 111 Vgl. § 142 AktG. 112 Vgl. § 262 AktG. 43 benden Konsequenzen entziehen (§ 84 Abs. 3 S. 2 AktG) und jeder Aktionär in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft verlangen (§ 131 AktG) sowie nach Maßgabe der §§ 117, 147 AktG einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat geltend machen kann. Dagegen darf die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt (§ 119 Abs. 2 AktG). Der Aufsichtsrat ist in erster Linie ein Kontrollorgan. Seine Aufgabe ist es, die Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG). Dafür stehen dem Aufsichtsrat die in § 111 Abs. 2 und 3 AktG genannten Rechte zu. Auch dem Aufsichtsrat dürfen nicht Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen werden (§ 111 Abs. 4 S. 1 AktG). Dennoch zeigt die Rechtswirklichkeit, dass ein Aufsichtsrat in ganz erheblichem Ausmaße Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen, die Überwachung also in eine gewisse Teilnahme an der Unternehmensführung umschlagen kann.113 Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Bestellung und Abberufung des Vorstands in den Händen des Aufsichtsrats liegen (§ 84 AktG). Des Weiteren kann die Satzung oder der Aufsichtsrat bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates vorgenommen werden dürfen (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG). b) Die Einflussnahmemöglichkeiten eines Alleinaktionärs Gehören alle Anteile an einer Aktiengesellschaft einem Aktionär (wie dies derzeit auf die dem Bund „gehörende“ Deutsche Bahn AG zutrifft), kann dieser einen bestimmenden Einfluss auf die Aktiengesellschaft ausüben. Zwar sind auch in diesem Falle sowohl die Vorstandsmitglieder als auch die Aufsichtsratsmitglieder114 unabhängig und allein dem Wohl der Gesellschaft115 und nicht unbedingt dem Wohl des Aktionärs verpflichtet. Doch stehen dem Alleinaktionär alle Rechte der Hauptversammlung zu. Er kann somit auch alle Aufsichtsratsmit113 Vgl. z. B. Semler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. 2004, § 111 Rn. 49, 61 – 63; ferner Hüffer (Fn. 103), § 111 Rn. 16. 114 § 116 i. V. m. § 93 Abs. 1 AktG. 115 Siehe Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar (Fn. 113), § 76 Rn. 53 ff.; Hüffer (Fn. 103), § 76 Rn. 12. 44 glieder der Aktionäre bestellen, sei es im Wege der Wahl in der Hauptversammlung116 oder im Wege der Entsendung eines Drittels der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre nach Maßgabe des § 101 Abs. 2 AktG. Selbst wenn der Aufsichtsrat der Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt, können sich die Vertrauenspersonen des Alleinaktionärs wegen des Zweitstimmrechts des nicht gegen den Willen der Anteilseigner wählbaren Aufsichtsratsvorsitzenden durchsetzen. Angesichts der weitreichenden Möglichkeiten von Hauptversammlung und Aufsichtsrat lassen sich so trotz der Unabhängigkeit des Vorstands der Aktiengesellschaft die Grundlinien der Gesellschaftsführung bestimmen. c) Die Einflussnahmemöglichkeiten eines Mehrheitsaktionärs Erheblich schwieriger erweist sich die Steuerung einer Aktiengesellschaft, wenn ein Anteilseigner nicht Allein-, sondern nur Mehrheitsaktionär ist. Zwar bedürfen Beschlüsse der Hauptversammlung grundsätzlich nur der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.117 Doch kann nicht nur die Satzung, sondern auch das Gesetz anderes bestimmen. So bedürfen Satzungsänderungen (in bestimmten Fällen)118, Kapitalbeschaffungen und Kapitalherabsetzungen (in bestimmten Fällen)119 und die Auflösung einer Aktiengesellschaft120 einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des Grundkapitals umfasst. Noch mehr Gewicht kommt der Zusammensetzung des Aufsichtsrats zu. Sind auch andere Anteilseigner in einem nicht nur geringen Umfang an einer Aktiengesellschaft beteiligt, entspricht es der gängigen Praxis, dass diese in dem Aufsichtsrat mit Personen ihres Vertrauens vertreten sind.121 So versteht es sich von selbst, dass derjenige, der über 20 %, 25 % oder gar 49 % des Kapitals verfügt, Wert darauf legen wird, im 116 § 101 Abs. 1 S. 1 AktG. 117 Vgl. § 133 Abs. 1 AktG. 118 Vgl. § 179 Abs. 2 AktG. 119 §§ 182 Abs. 1, 222 Abs. 1 AktG. 120 Vgl. § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG. 121 Siehe Hopt/Roth, in: Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Aktiengesetz, 4. Aufl. 2006, § 101 Rn. 62 (gerade bei Gesellschaften mit außenstehenden Aktionären); ferner BGH, WM 1962, S. 811, wonach es im Allgemeinen üblich, sachgerecht und wünschenswert sei, eine gewisse Minderheitenvertretung zuzulassen. 45 Aufsichtsrat „präsent“ zu sein.122 Unterfällt die Zusammensetzung des Aufsichtsrats dem Mitbestimmungsgesetz und bestehen Meinungsunterschiede zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre und den Arbeitnehmervertretern, müssen die Mitglieder der Aktionäre geschlossen abstimmen, um sich durchzusetzen. Eine solche Abstimmung ist nicht gesichert, wenn die „Bank“ der Aktionäre unterschiedlich zusammengesetzt ist. Selbst wenn der Aufsichtsrat nur zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern besteht, kann es zu „Koalitionen“ zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern aus den Reihen der Minderheitsaktionäre und der Arbeitnehmervertreter kommen. Rechtlich ist eine unterschiedliche Zusammensetzung der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre allerdings nicht zwingend vorgegeben. Da die Vertreter der Anteilseigner von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit gewählt werden123, kann der Mehrheitsaktionär mittels seiner Mehrheit in der Hauptversammlung die Anteilseignerbank vollständig besetzen.124 Besteht ein Recht, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, gilt nichts anderes, weil ein solches Recht gem. § 101 Abs. 2 S. 1 AktG nur durch Satzung und damit nicht gegen den Mehrheitsaktionär begründet werden kann. Einen rechtlich institutionalisierten Minderheitenschutz bei der Besetzung des Aufsichtsrats kennt das Aktienrecht somit nicht.125 Muss der Mehrheitsaktionär vor allem wegen der Zusammensetzung des Aufsichtsrats damit rechnen, dass der Aufsichtsrat nicht in seinem Sinne abstimmen wird, stellt sich die Frage, ob der Mehrheitsbesitz bei der Gesellschaftsführung anderweitig zur Geltung gebracht werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn das Konzernrecht zur Anwendung gelangt. Wird ein Beherrschungsvertrag zwischen einem herrschenden und einem abhängigen Unternehmen abgeschlossen, ist nach § 308 Abs. 1 S. 1 AktG das herrschende Unternehmen be122 Vgl. auch die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (Fn. 13), S. 9: „Sollte der Bund ca. 40 % der Anteile an der Bahn AG abgeben, so wäre es aus Kapitalmarktgesichtspunkten unvorstellbar, dass er danach noch sämtliche Aufsichtsratsmitglieder auf Anteilseignerseite stellt.“ 123 §§ 101 Abs. 1, 133 Abs. 1 AktG. 124 Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 23. 125 Vgl. Grunewald (Fn. 95), S. 257; Hüffer (Fn. 103), § 101 Rn. 4. 46 rechtigt, dem Vorstand der Gesellschaft hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Der Zweck der konzernrechtlichen Bestimmungen, Minderheiten und Gläubiger gegen fremdbestimmte wirtschaftliche Machtausübung zu schützen, kommt allerdings nur zum Tragen, wenn eine Interessenbindung außerhalb der Gesellschaft besteht, die stark genug ist, um die ernste Besorgnis zu begründen, der Aktionär könne um ihretwillen seinen Einfluss zum Nachteil der Gesellschaft geltend machen. Seit der VEBAGelsenberg-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs126 ist anerkannt, dass diese Voraussetzungen auf juristische Personen des öffentlichen Rechts zutreffen, so dass der Bund, wenn er die Mehrheit der Anteile an einer gemischt zusammengesetzten Aktiengesellschaft besitzt, stets als herrschendes Unternehmen im Sinne des Konzernrechts anzusehen ist. Dies würde auch auf eine Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG zutreffen, wenn die Mehrheit der Anteile beim Bund verbleibt. Dennoch kann das Konzernrecht in dieser Konstellation hier außer Betracht bleiben. Zum einen ist der Abschluss eines Beherrschungsvertrages zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG nicht beabsichtigt. Zum anderen wäre auch zweifelhaft, ob eine völlige Instrumentalisierung der Deutschen Bahn AG als abhängiges Unternehmen des Bundes über das Konzernrecht mit Sinn und Zweck der gem. Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG gebotenen organisatorischen Verselbständigung in Form eines Wirtschaftsunternehmens in privat-rechtlicher Form in Einklang zu bringen wäre. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht unterliegen allerdings privatrechtliche Unternehmen der öffentlichen Hand zwecks Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Bindungen einem das Privatrecht teilweise außer Kraft setzenden Sonderrecht.127 So sollen Weisungen der Gesellschafter an den Vorstand einer von der öffentlichen Hand getragenen Aktiengesellschaft zulässig sein, weil die öffentliche Hand nur so die verfassungsrechtlich gebotene Ingerenzpflicht durchzusetzen vermöge. In Übereinstimmung mit der ganz herr- 126 BGHZ 69, 334 ff.; vgl. auch BGHZ 125, 127 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 937 ff. 127 Vgl. Kraft, Das Verwaltungsgesellschaftsrecht, 1982, S. 254 ff.; Stober, NJW 1984, S. 449 (454 f.); Haverkate, VVDStRL 46 (1988), S. 217 (226 ff.); von Danwitz, AöR 120 (1995), S. 595 ff.; Ossenbühl, ZGR 1996, S. 504 (516 ff.). 47 schenden Meinung128 ist dieser Auffassung nicht zu folgen. Fehlt es an sondergesetzlichen Regelungen, muss die Verwaltung das Privatrecht „so nehmen, wie es ist“.129 Gleichwohl hat es der Bund im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen in der Hand, nähere gesetzliche Regelungen über die als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führenden Eisenbahnen des Bundes zu schaffen (Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG) und dadurch das Aktienrecht zu modifizieren und dem Bund in seiner Eigenschaft als Mehrheitsanteilseigner der Bundeseisenbahnen erweiterte Ingerenzbefugnisse zuzugestehen. 3. Das nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG zu wahrende Untermaß der Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes Nach den getroffenen Ausführungen steht es dem Bund frei, seine Eisenbahninfrastrukturunternehmen entweder in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder einer Aktiengesellschaft zu organisieren. Nimmt er die Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Anspruch, kann die Gesellschaft ohne weiteres so ausgestaltet werden, dass der Bund einen beherrschenden Einfluss auf sie auszuüben vermag. Bedient er sich der Form der Aktiengesellschaft, gilt gleiches, wenn der Bund sich die Gesellschaft durch nähere gesetzliche Regelung auf der Grundlage des Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG „gefügig“ macht. Ein Zwang, das Aktienrecht zu ändern, lässt sich dem Art. 87 e Abs. 3 GG aber nicht entnehmen. Zudem stand dem verfassungsändernden Grundgesetzgeber bei der Einführung des Art. 87 e GG die Aktiengesellschaft vor Augen. Dementsprechend ist die Deutsche Bahn im Zuge der mit der Grundgesetzänderung einhergehenden ersten Bahnreform als Aktiengesellschaft organisiert worden.130 Deshalb ist anzunehmen, dass sich Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG mit den vorgefundenen, für Aktionäre bestehen- 128 Vgl. etwa Schmidt, ZGR 1996, S. 345 (351); Spannowsky, ebd., S. 400 (421 ff.); Gersdorf (Fn. 76), S. 259 ff.; Ehlers (Fn. 84), E 147; Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 68. 129 Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 94. 130 Siehe § 1 des Gesetzes über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft, BGBl. 1993 I, S. 2378 (2386). 48 den Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Aktiengesellschaft begnügt.131 Berücksichtigt man, dass sich Aktiengesellschaften wegen der beim Vorstand angesiedelten, unentziehbaren Leitungsbefugnisse sowie der Unabhängigkeit der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder rechtlich gesehen nur schwer steuern lassen, muss aber zugleich angenommen werden, dass der Bund auf die sich für Aktionäre bietenden Einflussnahmerechte – soweit sie für die Steuerung der Gesellschaft bedeutsam sind – nicht verzichten darf. Schreibt das Grundgesetz vor, dass die Mehrheit der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 2 GG beim Bund „verbleibt“, bedeutet dies im Falle der Verwendung der Rechtsform einer Aktiengesellschaft somit, dass der Bund die sich einem Mehrheitsaktionär bietenden Ingerenzbefugnisse nicht aus der Hand geben darf. Da für die (ohnehin primär nur dem Vorstand obliegende) Steuerung einer Aktiengesellschaft dem Aufsichtsrat (und weniger der Hauptversammlung) eine Schlüsselrolle zukommt, ist daraus jedenfalls im Falle des Eingreifens der Regelung des Mitbestimmungsgesetzes der weitere Schluss zu ziehen, dass der Bund alle Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre selbst bestimmen muss (weil ansonsten nicht gesichert ist, dass die von ihm gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitglieder ihren Willen durchsetzen können).132 V. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Schachtelbeteiligungen und gestuften Ingerenzrechten Auch wenn Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG von dem „Eigentum des Bundes“ und Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG von den „Anteilen des Bundes an den Unternehmen“ spricht, schließt dies nach herrschender Meinung133 Schachtelbeteiligungen des Bundes nicht aus, wenn sie sich „auf eine Mehrheitsbeteiligung des Bundes zu- 131 Vgl. Masing (Fn. 19), S. 17. Siehe auch Scholz (Fn. 20), S. 29 f. 132 Wie hier Uerpmann-Wittzack, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom 14.5.2007, abgedruckt in Anlage 1 des Protokolls (Fn. 17), S. 2; Masing (Fn. 19), S. 24. Andere Auffassung Fehling, Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom 9.5.2007, abgedruckt in Anlage 1 des Protokolls (Fn. 17), S. 2. 133 Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (582); Vesting, in: AK-GG Bd. 2, 3. Aufl. 2001, Art. 87 e Rn. 46; Suckale (Fn. 3), Einführung C Rn. 45; Uerpmann (Fn. 47) Art. 87 e Rn. 14; Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 16; Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146, 177. 49 rückrechnen lassen“.134 Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass der Mehrheitsanteilseigner Bund nicht unmittelbar an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen beteiligt sein muss, eine Vermittlung über weitere gesellschaftsrechtliche Beteiligungen also ausreicht. Tatsächlich ist der Bund derzeit nur an der in seinem Alleineigentum stehenden Deutschen Bahn AG, nicht aber an der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH beteiligt. Bei den zuletzt genannten Gesellschaften handelt es sich aber um hundertprozentige Tochterunternehmen der Holding „Deutsche Bahn AG“. Rechtliche Bedenken gegen diese Konstruktion sind bisher nicht aufgekommen.135 Doch ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sich die Zulässigkeit gestufter Einflussnahmen nicht abstrakt-schematisch entscheiden lässt. Die Frage „entscheidet sich danach, ob nach Maßgabe der konkreten Ausgestaltung eine angemessene Einflussnahme des Bundes hinreichend effektiv sichergestellt ist, d. h. ob sie denen eines unmittelbaren Mehrheitsaktionärs bei Gesamtbetrachtung zumindest gleichkommt. Auch hier ist die Gewährleistung des Mehrheitseigentums folglich als materielle Gewährleistung von Einflussmöglichkeiten ernst zu nehmen und nicht auf eine bloße Formalgarantie zu reduzieren. Die Einflussmöglichkeiten dürfen nicht in Kaskaden von Beteiligungsfällen verdünnt werden und Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG unterlaufen. Insbesondere reicht es nicht aus, dass eine abstrakt-mathematische Rückrechnung auf jeder Stufe eine Anteilsmehrheit des Bundes ergibt.“136 Somit dürfen verschiedene gesellschaftsrechtliche Stufen die Beherrschung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch den Bund nur mediatisieren, nicht aber relativieren.137 VI. Ergebnis 1. Nach Art. 87 e Abs. 3 GG muss der Bund mindestens Mehrheitsanteilseigner der als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu füh- 134 Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (582). 135 Vgl. Masing (Fn. 19), S. 18. 136 Masing (Fn. 19), S. 19. 137 Möllers (Fn. 18), S. 15; vgl. auch Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146 (notwendig ist jedoch, dass die aus der mittelbaren Beteiligung resultierende Einflussmöglichkeit derjenigen einer unmittelbaren Mehrheitsbeteiligung gleichkommt), ebenda mit weiteren Nachweisen. 50 renden Eisenbahnen des Bundes bleiben, soweit es um den Bau, die Unterhaltung und Betreiben von Schienenwegen geht. 2. Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verpflichtet den Bund, das Mehrheitseigentum und die damit verbundenen Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand zu geben. 3. Der Bund ist verpflichtet, seine eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse betriebswirtschaftlich effizient und gemeinwohlorientiert auszuüben. 4. Aus dem in Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG mitenthaltenen Untermaßverbot ergibt sich, dass der Bund zumindest die Ingerenzbefugnisse eines Mehrheitsaktionärs behalten und nutzen muss. 5. Die Einfügung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes in einen Konzern ist nur zulässig, wenn die verfassungsrechtlich gebotenen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes gewährleistet werden. 51 C. Die Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG verpflichtet den Bund zu gewährleisten, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere ist gemäß Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG durch Bundesgesetz zu regeln. Im Folgenden wird zunächst auf den Sinngehalt der Gewährleistungsverpflichtung eingegangen (I.). Sodann ist zu klären, welche Wege zur Sicherstellung der Gewährleistungsverpflichtung in Betracht kommen (II.). I. Der Sinngehalt der Gewährleistungsverpflichtung des Bundes 1. Der Charakter der Gewährleistungsverpflichtung Die sich aus Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG ergebende Verpflichtung des Bundes wird als Gewährleistungsauftrag bezeichnet.138 Soweit die Infrastruktur betroffen ist, kann von einem Infrastrukturgewährleistungsauftrag gesprochen werden. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Staatszielbestimmung. Solche Bestimmungen zeichnen sich zum einen dadurch aus, dass sie den Staat zunächst objektiv-rechtlich verpflichten, ohne dass diese Inpflichtnahme mit einem subjektiven Recht auf Durchsetzung der Verpflichtung korrespondieren muss.139 Zum anderen macht es den Charakter von Staatszielbestimmungen aus, dass diese den Staat zwar zur Erreichung eines Ziels in Anspruch nehmen, ihm aber weitestgehend die Art und Weise der Zielerreichung überlassen.140 Dies zeigt auch der auf Ausgestaltung angelegte Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG, der dem Bundesgesetzgeber die Regelung des Näheren aufgibt. Soweit dem Wohl der Allgemeinheit beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes Rechnung getragen werden muss, ergibt sich aus 138 Siehe z. B. Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 180; Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 63. Vgl. ferner Scholz (Fn. 20), S. 48 f. 139 Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 182; Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 62. 140 Vgl. Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 182; 52 Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG aber ein Mindestniveau, das die Grundversorgung sichert und als verfassungsrechtlich gebotenes Untermaß nicht unterschritten werden darf.141 Zur Bestimmung des Mindestniveaus können und müssen aus dem erreichten Niveau der Infrastruktur Rückschlüsse gezogen werden. 2. Der Inhalt der Gewährleistungsverpflichtung Gegenstand des Gewährleistungsauftrags sind die Eisenbahnen des Bundes, gemäß der Definition des Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 a GG also die Eisenbahnen, welche ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen. Mit den Eisenbahnen des Bundes werden sowohl die Eisenbahnverkehrsunternehmen als auch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen in Bezug genommen. Während der Bund die Mehrheit seiner Anteile an den Verkehrsunternehmen oder alle Anteile von Verfassungs wegen veräußern dürfte, so dass diese Unternehmen die Eigenschaft von Eisenbahnen des Bundes verlieren, müssen die Infrastrukturunternehmen wegen des in Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG normierten Mehrheitseigentumserfordernisses stets Eisenbahnen des Bundes bleiben (B. II.). Der Bund darf sich somit seinem Gewährleistungsauftrag in Bezug auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht durch Veräußerung entziehen. Zu dem auszubauenden und zu erhaltenden Schienennetz gehören auch die notwendigen Anlagen des Netzes, wie insbesondere die Bahnhöfe.142 Der Infrastrukturauftrag gilt auch für das Nahverkehrsnetz. Die Ausnahmeklausel des Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG („soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen“) bezieht sich lediglich auf den Betrieb des Schienenverkehrs. Das Ziel des Gewährleistungsauftrags liegt in der Verwirklichung des Allgemeinwohls. Wie sich der als Regelbeispiel ausgestalteten Formulierung „insbesondere“ entnehmen lässt, können neben den ausdrücklich genannten Verkehrsbedürfnissen weitere Belange des Wohls der Allgemeinheit vom Bund zu berücksichtigen sein. Hierbei kann es sich etwa um Aspekte des Umweltschut- 141 Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 182; Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 16; Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 67 mit weiteren Nachweisen. 142 Vgl. bereits B. I. 53 zes oder um wirtschaftspolitische Erwägungen handeln.143 Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Gemeinwohlbelangen müssen im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich gebracht werden.144 Der Gewährleistungsauftrag gilt nicht nur für eine Übergangszeit, sondern ist auf Dauer angelegt.145 Die Annahme, es handele sich um eine Residual- oder Reservekompetenz146, verfehlt den verfassungsrechtlichen Gehalt des Gewährleistungsauftrags. Der Bund soll seine Einflussnahmemöglichkeiten aktualisieren können, um dem gebotenen Maß an Berücksichtigung insbesondere der Verkehrsbedürfnisse Rechnung zu tragen. Dies erfordert nicht eine permanente Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen, aber eine nachhaltige Einwirkung für den Fall, dass der Bund eine Vernachlässigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der Verkehrsbedürfnisse, erkennt. Wenn Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG eine Berücksichtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der Verkehrsbedürfnisse, „beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes“ fordert, folgt daraus negativ, dass ein kontinuierlicher und systematischer Abbau des Schienennetzes der Verfassung widerspräche. Ob dem Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG in positiver Hinsicht ein Optimierungsauftrag entnommen werden kann, mag dahinstehen. Wie sich aus einem Umkehrschluss zu Art. 87 e Abs. 5 S. 2 GG ergibt, sind einzelne Streckenstilllegungen jedenfalls nicht ausgeschlossen. Doch müssen diese in einem angemessenen Verhältnis zu den auf Erhaltung und Ausbau des Schienennetzes gerichteten Maßnahmen stehen.147 Da neben dem Erhalt ausdrücklich auch von Ausbau des Schienennetzes gesprochen wird, kann dem Grundgesetz der Wille zur Verbesserung sowie zur Vergrößerung des Schienennetzes entnommen werden.148 143 Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 16 a. 144 Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 67; Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 51. 145 Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 69; Wieland (Fn. 51), Art. 87 e Rn. 15. A. A. SchmidtAßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (582). 146 Vgl. Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, ZHR 160 (1996), S. 521 (527). 147 Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 185. 148 Vgl. Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 16 b. 54 II. Die in Betracht kommenden Wege zur Sicherstellung der Gewährleistungsverpflichtung Um seinem Infrastrukturgewährleistungsauftrag nachkommen zu können, muss der Bund über adäquate Ingerenzbefugnisse verfügen. Es stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um externe oder unternehmensinterne Einflussnahmerechte handeln muss respektive ob beide Arten der Einflussnahmerechte in Betracht kommen (1.). Ferner soll kurz darauf eingegangen werden, welcher Instrumente sich der Bund zur Einflussnahme bedienen darf (2.). 1. Externe und interne Einflussnahmerechte des Bundes Im Schrifttum ist umstritten, auf welchem Wege der Bund seiner Einwirkungspflicht zur Durchsetzung des Infrastrukturgewährleistungsauftrags nachzukommen hat.149 In Betracht kommt sowohl eine externe Einwirkung – etwa um die Sicherheit zu gewährleisten150, den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zu garantieren151 oder den Erhalt und den Ausbau der Bundesschienenwege mittels Zuschussgewährung und damit verbundenen Zweckvorgaben zu ermöglichen152 – als auch eine unternehmensinterne Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen kraft der Eigentümerstellung des Bundes. Von Gersdorf ist die Auffassung vertreten worden, dass der Bund seiner Verpflichtung aus Art. 87 e Abs. 4 GG nicht durch interne Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nachkommen dürfe, weil Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG die Wirtschaftlichkeit zum bestimmenden Unternehmenszweck erkläre und eine Instrumentalisierung der Eisenbahnen des Bundes (einschließlich der Eisenbahninfrastrukturunternehmen) für außerökonomische Zwecke daher unzu- 149 Vgl. die Meinungsübersicht bei Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 90. 150 Vgl. § 4 AEG. 151 Vgl. § 14 AEG. 152 Vgl. §§ 3 ff., 6 ff., 12 ff. BSEAG-E. Zu den behördlichen Zuständigkeiten siehe Hermes/Schweinsberg, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), § 5 Rn. 57 ff. 55 lässig sei.153 Doch hat Gersdorf diese Ansicht mittlerweile aufgegeben. So hat er im Rahmen der Anhörung vor dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages am 23. Mai 2007 ausgeführt, dass der Schienenwegevorbehalt der Verwirklichung des Art. 87 e Abs. 4 GG diene. Er sei funktional auf dieses Ziel bezogen. Zwar folge aus dem Schienenwegevorbehalt keine Verpflichtung zur gesellschaftsinternen Einwirkung auf die Infrastrukturunternehmen. Aber „selbstverständlich“ könne dieser Weg beschritten werden.154 Dass der früher vertretenen Auffassung von Gersdorf nicht zu folgen ist, ergibt sich bereits aus den zuvor getroffenen Ausführungen.155 Art. 87 e Abs. 3 GG legt die Eisenbahninfrastrukturunternehmen gerade nicht ausschließlich auf erwerbs-wirtschaftliche Ziele fest. Vielmehr können und dürfen immer auch Gemeinwohlziele verfolgt werden. Demgemäß ist in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden (nunmehr wohl allgemeinen) Meinung davon auszugehen, dass auch die über die Eigentümerstellung vermittelten internen Einwirkungsmöglichkeiten ein legitimes Mittel zur Einlösung der Gewährleistungsverantwortung des Art. 87 e Abs. 4 GG darstellen.156 Es stellt sich dann nur noch die Frage, ob der Bund auch auf eine unternehmensinterne Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwecks Durchsetzung des Gewährleistungsauftrags verzichten dürfte. Folgt man der Ansicht von Gersdorf, muss die Frage bejaht werden. Doch ist dieser Auffassung – wiederum im Einklang mit der herrschenden Meinung157 – nicht zu folgen. Art. 87 e Abs. 3 GG „steht neben, ja sogar vor“158 Art. 87 e Abs. 4 GG und 153 Vgl. Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Abs. 4 Rn. 73 ff. Dazu bereits B. III. 154 Vgl. die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Protokoll (Fn. 17), S. 14. Vgl. auch die schriftliche Stellungnahme von Gersdorf vom 14. 5. 2007, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll (Fn. 17), S. 3: „Art. 87 e Abs. 4 GG verpflichtet den Bund jedoch nicht dazu, … im Rahmen der Beteiligungsverwaltung (‚von innen’) die Infrastruktursicherungsgarantie zu verwirklichen. Er kann auch auf anderem Wege, durch Steuerung ‚von außen’, das Gewährleistungsziel zu erreichen suchen. Sub specie des Art. 87 e Abs. 4 GG ist allein maßgebend, dass der Bund seiner Infrastruktursicherungsverpflichtung nachkommt. Nicht das „Wie“, sondern allein das „Ob“ steht im Sinnzentrum des Gewährleistungsgarantie des Art. 87 e Abs. 4 GG“. 155 Vgl. B. III. 156 Siehe statt vieler Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 91. 157 Vgl. Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 89; Burger (Fn. 64), S. 71 ff. 158 Uerpmann-Wittzack, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 7. 56 kann durch diesen nicht ersetzt werden. Gerade weil der Bundesrat Bedenken gegen die Funktionsfähigkeit einer bloßen Reglementierung „von außen“ hatte und deshalb darauf Wert legte, dass das Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen beim Bund verbleibt, kam es zur Aufnahme des Schienenwegevorbehalts in das Grundgesetz.159 Der Eigentümer eines Unternehmens verfügt über andere Möglichkeiten als eine außenstehende Regulierungsinstanz.160 Auch als Eigentümer darf der Bund keine Interessen vertreten, die mit seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung, dem Wohl der Allgemeinheit beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes Rechnung zu tragen, nicht vereinbar sind. Somit dienen sowohl die internen als auch die externen Steuerungsmöglichkeiten des Bundes der Durchsetzung seiner Gewährleistungsverpflichtung. In der Summe müssen die Einwirkungsmöglichkeiten so beschaffen sein, dass die Gewährleistungsverpflichtung erfüllt wird.161 2. Die Instrumente der Einflussnahme des Bundes Der Gestaltungsspielraum des Bundes bei der Realisierung des als Staatszielbestimmung ausgeformten Gewährleistungsauftrags kommt auch bei der Wahl der Mittel zum Tragen. Der Bund kann sich zur Durchsetzung seines Gewährleistungsauftrags der Rechtsformen des öffentlichen und des privaten Rechts bedienen und sowohl einseitig verbindliche Regelungstechniken in Anspruch nehmen als auch kooperative Handlungsformen verwenden. Das Austarieren der verschiedenen Formen des Tätigwerdens liegt im Ermessen des Gesetzgebers. III. Ergebnis 159 Vgl. BT-Drs. 12/5015, S. 11; siehe auch Hermes, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 51), S. 2. 160 Vgl. auch die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (Fn. 13), S. 5, wonach bei einer Steuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen „von außen“ an Stelle einer Einwirkung „von innen“ der Bund die „Schienenwegepolitik … letztlich aus der Hand“ gibt. 161 Vgl. auch Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 2. 57 1. Art. 87 Abs. 4 S. 1 GG enthält einen auf Gewährleistung des Wohls der Allgemeinheit bezogenen Auftrag des Bundes in Gestalt einer Staats zielbestimmung. 2. Zur Sicherstellung des Gewährleistungsauftrags kann sich der Bund externer oder interner Einflussnahmerechte bedienen und sowohl die Rechtsformen des öffentlichen oder privaten Rechts als auch einseitig verbindliche oder kooperative Regelungstechniken in Anspruch nehmen. 3. Die Einwirkungsrechte des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG stehen neben denen aus Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG und vermögen letztere nicht zu ersetzen. 58 D. Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit dem Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 GG Um die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit dem Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 GG überprüfen zu können, soll zunächst näher auf die Eigentumskonstruktion des Entwurfs als solche eingegangen werden (I.). Darauf aufbauend ist zu untersuchen, ob die verfassungsrechtlich geschützten vermögenswerten Rechte des Bundes an den Eisenbahneninfrastrukturunternehmen (II.) und die verfassungsrechtlich geforderten Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahneninfrastrukturunternehmen (III.) gewahrt werden. Ferner ist der Frage nachzugehen, ob der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit dem Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG vereinbar ist (IV.). Abgeschlossen werden soll dieser Teil der Untersuchung mit einer Feststellung des Ergebnisses und einem Resümee (V.). I. Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes Wie ausgeführt162, sollen nach dem Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes mit Inkrafttreten dieses Gesetzes sämtliche Anteile der Deutschen Bahn AG an der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH auf die Bundesrepublik Deutschland übergehen. Auch bisher gehörten die genannten Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwar – mittelbar – dem Bund, weil es sich um hundertprozentige Tochterunternehmen der allein vom Bund getragenen Deutschen Bahn AG handelt. Doch soll die Rechtsstellung der Deutschen Bahn AG als Gesellschafterin der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nunmehr auf den Bund übertragen werden. Dies erweckt den Anschein, dass die Eigentumsposition des Bundes gestärkt werden soll. Tatsächlich spricht die Gesetzesbegründung des Eisenbahnenstrukturgesetzes davon, dass die Übertragung der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen 162 Vgl. A. I. 1. c) (2). 59 von der Deutschen Bahn AG auf den Bund eine wesentliche Stärkung der Position des Bundes bedeute.163 Von einer Stärkung der Rechte des Bundes kann indessen keine Rede sein. Der Bund wird gerade nicht in die Lage versetzt, von seinem unmittelbaren Anteilseigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen wie ein Gesellschafter Gebrauch machen zu können. Vielmehr schreibt § 2 Abs. 1 BESG-E vor, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen der Deutschen Bahn AG eine Vollmacht zur Ausübung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen erteilen muss. Dies wirft die Frage auf, was der Sinn einer solchen Rechtskonstruktion sein soll. Die Übertragung der Anteile der Deutschen Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf den Bund dient nach § 1 S. 2 BESG-E „der Sicherung der wirtschaftlichen Übernahme dieser Beteiligungen durch den Bund unter den Voraussetzungen der §§ 5 und 6 und dient damit der Erfüllung der Vorgaben des Bundesschienenwegegesetzes durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (Sicherungsübertragung)“. Die Bezeichnung „Sicherungsübertragung“ ist ganz und gar irreführend.164 Nach dem Entwurf des Eisenbahnstrukturgesetzes soll die „Sicherungsübertragung“ der „Erfüllung der Vorgaben des Bundesschienenwegegesetzes“ dienen. Um gesetzliche Vorgaben sicherzustellen, bedarf es jedoch keiner Übertragung von Gesellschaftsanteilen. Vielmehr müssen Gesellschaften und Gesellschafter ohnehin die bestehenden gesetzlichen Vorgaben beachten. Dies gilt zumal dann, wenn diese auf das Grundgesetz (Art. 87 e) zurückgehen, also verfassungsrechtlich fundiert sind.165 Hinzu kommt, dass der Bund im Zeitpunkt der Übertragung der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen bereits alleiniger – wenn auch nur mittelbarer – Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ist. Wenn es dem Gesetzgeber darauf ankommen sollte, dem Bund unmittelbares Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu verschaffen, damit noch effektiver auf die Unter163 Vgl. Gesetzesbegründung S. 53. Ebenso Scholz (Fn. 20), S. 23 (der Bund wird „gegenüber der bisherigen Rechtslage … deutlich gestärkt“). 164 Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 35. 165 Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 35. 60 nehmen zwecks Einhaltung der gesetzlichen Pflichten eingewirkt werden kann, wäre die schlichte Übertragung der Anteile auf den Bund der richtige Weg. Unklar bleibt auch, warum die „Sicherungsübertragung“ gerade der Erfüllung der Vorgaben des Bundesschienenwegegesetzes dienen soll. Das maßgebliche Instrumentarium des Bundesschienenwegegesetzes, das dem Bund eine aktive Einflussnahme auf das unternehmerische Handeln der Eisenbahneninfrastrukturunternehmen ermöglicht, ist der Abschluss von Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen über den Erhalt der Schienenwege (§ 4 BSEAG-E) und der Abschluss von Finanzierungsvereinbarungen über den Ausbau der Schienenwege (§ 20 BSEAG-E). Ist ein Unternehmen auf Zuschüsse des Bundes angewiesen, können solche (nicht gesellschaftsrechtlich vermittelten) Vereinbarungen aber mit allen Unternehmen ohne vorherige Sicherheitsübertragung abgeschlossen werden. Bei Zugrundelegung des normalen Sprachgebrauchs setzt eine Sicherungsübertragung einen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer voraus. Tatsächlich spricht die Begründung des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes von einem Sicherungsverhältnis zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG, das allerdings allein das Innenverhältnis betreffen soll.166 Träfe diese Beschreibung zu, müsste der Bund etwas von der Deutschen Bahn AG bekommen, was an sich der Deutschen Bahn AG zusteht. Am ehesten könnte an eine Sicherungsübereignung gedacht werden. Darunter versteht man eigennütziges Treuhandeigentum, das den Erwerber oder einen Dritten wegen einer Forderung gegen den Veräußerer oder einen Dritten sichert, indem es bei Nichterfüllung zu deren Befriedigung verwertet werden darf.167 Wie die §§ 246 Abs. 1 S. 2 HGB168 und 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 169 zeigen, werden Sicherungsübereignungen 166 Vgl. Gesetzesbegründung, S. 53. 167 Bassenge, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl. 2007, § 930 BGB Rn. 13. 168 Die Vorschrift lautet: „Vermögensgegenstände, die unter Eigentumsvorbehalt erworben oder an Dritte für eigene oder fremde Verbindlichkeiten verpfändet oder in anderer Weise als Sicherheit übertragen worden sind, sind in die Bilanz des Sicherungsgebers aufzunehmen.“ 169 Die Vorschrift lautet: „Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen. Bei Treuhandverhältnissen 61 oder gleichgerichtete Sicherungsübertragungen auch im Handelsrecht170 und im Abgabenrecht171 als zulässig angesehen. Ferner ist im Gesellschaftsrecht anerkannt, dass auch Gesellschaftsanteile im Rahmen einer Sicherheitsübertragung so übertragen werden dürfen, dass der Sicherungsnehmer die Beteiligung als Sicherheit hält. Dies gilt sowohl für Aktien als auch für Gesellschaftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.172 Kennzeichen einer Sicherungsübereignung oder gleichgerichteten Sicherungsübertragung ist es, dass die Rechtsinhaberschaft am Vermögensgegenstand zwar übertragen wird, der neue Rechtsinhaber aber im Innenverhältnis zum Übertragenen nur die Stellung eines Pfandgläubigers erhält. Wird die Verpflichtung des Sicherungsgebers gegenüber dem Sicherungsnehmer erfüllt, hat der Sicherungsgeber (sofern die Übertragung nicht ohnehin nur auflösend befristet oder bedingt erfolgte) aus der Sicherungsabrede einen durchsetzbaren Anspruch auf Rückübertragung des Sicherungsgutes. Kommt der Sicherungsgeber seinen Verpflichtungen hingegen nicht nach, darf der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut zu Lasten des Sicherungsgebers verwerten und sich aus dem Erlös befriedigen.173 Die in § 1 S. 2 BESG-E vorgesehene „Sicherungsübertragung“ lässt sich mit keinem der bisher im Privatrecht bekannten Fälle einer Sicherungsübereignung oder Sicherungsübertragung vergleichen.174 Vielmehr werden gänzlich andere sind die Wirtschaftsgüter dem Treugeber, beim Sicherungseigentum des Sicherungsgeber und beim Eigenbesitz dem Eigenbesitzer zuzurechnen.“ 170 Hüttemann, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, abgedruckt in der Anlage 1 des Wortprotokolls zur Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 23.5.2007, Protokoll Nr. 16/40, S. 1 f.; Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom 20.5.2007, abgedruckt in der Anlage 1 des Wortprotokolls zur Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 23.5.2007, Protokoll Nr. 16/40, S. 2. 171 Vgl. Brockmeyer, in: Klein(Hrsg.), Abgabenordnung, 9. Aufl., 2006, § 39 Rn. 10 ff. 172 Vgl. allgemein Quack, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6, 3. Aufl. 1997, Anh. §§ 929-936, Rn. 6; Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften, 2000, S. 42; Schäfer, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 38; zum Aktienrecht: Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2000, Rn. 16. 380 ff.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 75; zum GmbH-Recht: Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 30 Rn. 5. 173 Vgl. auch Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 2. 174 Vgl. auch Hüttemann, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 1; Kleindiek (Fn. 170), S. 2 f. Nach Möllers/Schäfer (Fn. 18) ist eine völlig eindeutige zielrechtliche Qualifikation der durch § 1 S. 2 BESG-E gestalteten Rechtsverhältnisse nicht möglich. Die Konstrukti- 62 Zwecke als mit einer üblichen Sicherungsübertragung verfolgt. Zwar ist der Umstand, dass nicht Ansprüche gegen die (allein als Sicherungsgeber in Betracht kommende) Deutsche Bahn AG, sondern Verbindlichkeiten eines Dritten – die Erfüllung der Vorgaben des Bundesschienenwegegesetzes durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (§ 1 S. 2 BESG-E) – gesichert werden sollen, mit der Vorstellung einer Sicherungsübertragung noch vereinbar. Doch werden keine Ansprüche gesichert, die vom Eigentum abgelöst eigene wirtschaftliche Interessen verkörpern, sondern gesetzliche Pflichten.175 Die gesetzlichen Pflichten haben keinen vorübergehenden, sondern dauerhaften Charakter, weil sie die verfassungsrechtlich vorgegebene Infrastrukturverantwortung des Bundes umsetzen. Dementsprechend ist die Rolle des Bundes nicht auf die eines „Pfandgläubigers“ beschränkt.176 Vielmehr werden die Anteile der Deutschen Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen vorbehaltslos übertragen und stehen nicht unter einer Befristung oder auflösende Bedingung.177 Ebenso fehlt es an einem dinglichen oder schuldrechtlichen Rückübertragungsanspruch der Deutschen Bahn AG bei Wegfall des Sicherungszwecks.178 Vielmehr bleiben die Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei Beendigung der „Sicherungsübertragung“ entweder unter Wegfall des Sicherungszwecks beim Bund (§ 6 BESG-E) oder der Bund darf völlig frei entscheiden, wie anderweitig verfahren werden soll (§ 5 BESG-E). Des Weiteren dürfen die Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei Wegfall des Sicherungszwecks nicht – wie bei Sicherungsübertragungen üblich – zu Lasten des Sicherungsgebers (also der Deutschen Bahn AG) verwertet werden, die Deutsche Bahn AG erhält im Gegenteil mit Beendigung der „Sicherungsübertragung“ immer einen Wertausgleich (§§ 6, 7 BESG-E). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Bund derzeit Alleininhaber des Deutsche Bahn AG-Konzerns ist. Es stellt sich daher die Frage, was er überhaupt erlangt, wenn er gleichzeitig verpflichtet wird, der Deutschen Bahn AG eine Vollmacht zur Ausübung der Stimmrechte in den on weise sowohl Elemente des Nießbrauchs als auch der Verwaltungstreuhand auf. Am besten ließe sie sich noch als atypische Verwaltungstreuhand einordnen. 175 Masing (Fn. 19), S. 35. 176 Vgl. Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 3. 177 Vgl. Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 3. 178 Vgl. Hüttemann, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 1. 63 Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu erteilen (§ 2 Abs. 1 BESG-E). Eine falsa demonstratio stellt es dar, wenn § 1 S. 2 BESG-E nicht nur von „Sicherungsübertragung“, sondern weitergehend davon spricht, dass die Übertragung der „wirtschaftlichen“ Übernahme der Beteiligungen an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch den Bund dient. Von einer Möglichkeit des Bundes, die ihm übertragenen Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen wirtschaftlich nutzen zu können, kann keine Rede sein, weil der Bund seine Gesellschafterrechte im Wege einer Stimmrechtsvollmachtserteilung an die Deutsche Bahn AG sogleich wieder abtreten muss. Der Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes verfolgt das Ziel, das juristische und wirtschaftliche Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu trennen. Dem Bund soll – von einigen Modifikationen abgesehen (§§ 2 Abs. 2, 3 BESG-E) – nur das juristische Eigentum zustehen, der Deutschen Bahn AG die wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten. Wie die Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich hervorhebt, sollen die Gesetze zur Vollendung der Eisenbahnstrukturreform die im Beschluss des Deutschen Bundestages vom 24. November 2006 genannten Eckpunkte umsetzen.179 Der Deutsche Bundestag hatte sich dafür ausgesprochen, dass bei einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG die steuerfinanzierte Eisenbahninfrastruktur im Eigentum des Bundes stehen muss, die Deutsche Bahn AG aber bis auf weiteres die integrierte Bewirtschaftung und Betriebsführung des Netzes wahrnehmen darf. Dementsprechend soll die Deutsche Bahn AG die Möglichkeit erhalten, „Schienenverkehr und Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit zu betreiben und zu bilanzieren“.180 Gleichlautend sah § 1 Abs. 2 des Gesetzentwurfs für ein Bundeseisenbahnenstrukturgesetz in der Fassung vom 8. März 2007 noch ausdrücklich vor: „Die Deutsche Bahn AG betreibt und bilanziert Schienenverkehr und Eisenbahninfrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit“. In der nunmehr von der Bundregierung beschlossenen Fassung des Bundesei179 Gesetzesbegründung, S. 41. 180 Vgl. Nr. 5 des Forderungskatalogs des Deutschen Bundestages, wiedergegeben unter A. I. 1. c) (1). 64 senbahnenstrukturgesetzes fehlt zwar diese Vorschrift. Doch ändert dies nichts an der gesetzgeberischen Konzeption einer Trennung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum. So soll die Ausübung der Gesellschafterrechte des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen vorbehaltlich der in § 6 BESG-E genannten Fälle zunächst für die Dauer von fünfzehn Jahren (§ 5 Abs. 1 BESG-E), zuzüglich drei Jahren Abwicklungszeit (§ 5 Abs. 2 BESG-E), insgesamt also für achtzehn Jahre auf die Deutsche Bahn übertragen werden (§ 2 Abs. 1 BESG-E), damit „auch nach der Sicherungsübertragung der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen wirtschaftlich weiterhin die DB AG die Gesellschafterrechte in allen laufenden Angelegenheiten der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ausübt und damit zur Bilanzierung berechtigt und verpflichtet bleibt“.181 Nach § 2 Abs. 3 BESG-E können zwischen der Deutschen Bahn AG und den Infrastrukturunternehmen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträge bestehen. Laut Gesetzesbegründung soll die gesetzliche Regelung gewährleisten, „dass sowohl bereits bestehende Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge fortbestehen als auch neue Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge abgeschlossen werden können. Dadurch wird sichergestellt, dass die Deutsche Bahn AG und Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch nach Übergang des juristischen Eigentums an den Anteilen auf den Bund einen Konzern bilden und die Aktiva und Passiva der Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Rahmen des Jahresabschlusses der DB AG bilanziert werden können“.182 Ferner tritt der Bund gemäß § 2 Abs. 4 BESG-E für den Fall der Beendigung von Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträgen zwischen der Deutschen Bahn AG und Eisenbahninfrastrukturunternehmen Auszahlungsansprüche aufgrund von Gewinnverwendungsbeschlüssen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen an die Deutsche Bahn AG ab. Dies wird damit begründet, dass der Bund aufgrund der „Sicherungsübertragung“ der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwar Inhaber der Anteile werde, die mit den Anteilen verbundenen wirtschaftlichen Chancen und Risiken aufgrund des Sicherungszwecks der An181 Gesetzesbegründung, S. 54. 182 Gesetzesbegründung, S. 57. 65 teilsübertragung aber unverändert der Deutschen Bahn AG zustünden. Daher habe die Deutsche Bahn AG als wirtschaftlich Berechtigte weiterhin die mit den Anteilen verbundenen Gewinnansprüche.183 Der für den Fall der Beendigung der „Sicherungsübertragung“ der Deutschen Bahn AG „[f]ür den Verlust der wirtschaftlichen Chancen und Risiken“184 zu gewährende Wertausgleich (§ 7 BESG-E) soll selbst im Falle der Beendigung der „Sicherungsübertragung“ wegen außerordentlicher Kündigung aus wichtigem Grund oder rechtskräftiger Feststellung einer wiederholten Pflichtverletzung der zur Deutschen Bahn AG gehörenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen gezahlt werden (§ 6 Abs. 2 S. 2 HS 2 BESG-E i. V. m. § 7 BESG-E). Soweit zugunsten des Bundes Zustimmungsvorbehalte normiert werden (§§ 2 Abs. 2, 3 BESG-E), sollen diese einer Bilanzierung der Eisenbahninfrastruktur bei der Deutschen Bahn nicht entgegenstehen.185 Dies wird wie folgt begründet: „Da ein Hauptzweck der Bilanz in der zutreffenden Darstellung der tatsächlichen Vermögenslage des Kaufmanns besteht, bestimmt sich die Vermögenszurechnung daneben auch nach wirtschaftlichen Kriterien. Wenn ausnahmsweise das rechtliche Eigentum an Sachen oder die rechtliche Inhaberschaft an Rechten oder Forderungen und die wirtschaftliche Verfügungsgewalt an diesen Vermögensgegenständen auseinanderfallen, kommt daher unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine von den zivilrechtlichen Eigentums- und Inhaberverhältnissen abweichende bilanzielle Zurechnung des betreffenden Vermögensgegenstandes in Betracht.“186 Ein bloß juristisches Eigentum des Bundes an den Eisenbahneninfrastrukturunternehmen ist offensichtlich mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar. Wie gezeigt wurde, ergibt sich aus der Vorschrift, dass dem Bund jedenfalls die sich aus der Mehrheit der Anteile an einem Unternehmen ergebenden Vermögensrechte und Einflussrechte nicht genommen werden dürfen.187 Tatsächlich beschränkt deshalb der Entwurf des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes den 183 Gesetzesbegründung, S. 57. 184 Gesetzesbegründung, S. 61. 185 Gesetzesbegründung, S. 54. 186 Gesetzesbegründung, S. 55. 187 Vgl. B. IV. 3. 66 Bund nicht nur auf die Stellung eines juristischen Eigentümers, sondern räumt ihm auch bestimmte Einflussrechte ein (namentlich Zustimmungsrechte nach Maßgabe der §§ 2 Abs. 2, 3 BESG-E) und das Recht, Mitglieder in den Aufsichtsrat der Eisenbahneninfrastrukturunternehmen zu entsenden.188 Ob dies den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, wird noch zu klären sein.189 Für die grundsätzliche Beurteilung der dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes zugrunde liegenden Eigentumskonstruktion genügt es, darauf hinzuweisen, dass Einflussrechte des Bundes notwendigerweise das – einem anderen übertragene – wirtschaftliche Eigentum entwerten. Ob es möglich ist, die verfassungsrechtliche Zielsetzung (Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben) mit der wirtschaftlichen Zielsetzung (Hingabe des wirtschaftlichen Eigentums) zum Einklang zu bringen, ist äußerst zweifelhaft. Vieles spricht für die Annahme, dass die Erfüllung des einen Ziels notwendigerweise die Verletzung des anderen zur Folge haben muss. Nicht von ungefähr haben mit einer Ausnahme (Prof. Gersdorf) alle von dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages angehörten Verfassungsrechtler davon gesprochen, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes eine „Quadratur des Kreises“ anstrebe.190 Eine Quadratur des Kreises kann bekanntlich nicht gelingen. Der Wirtschaftsrechtler Prof. Kleindiek hat dies aus wirtschaftsrechtlicher Sicht bestätigt. „Die Bilanzierungsfähigkeit der EIU-Anteile im Einzelabschluss der DB AG unter dem Gesichtspunkt ‚wirtschaftlichen Eigentums’ setzt voraus, dass sich der Bund auf eine formal-rechtliche Stellung als Anteilsinhaber beschränkt und von den mit der Rechtsinhaberschaft typischerweise verbundenen Einwirkungsmöglichkeiten dauerhaft zugunsten der (kapitalprivatisierten) DB AG ausge188 Vgl. § 4 BESG-E. 189 Vgl. die Ausführungen zu D. II. und III. 190 Vgl. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages, Protokoll (Fn. 17), S. 7 (Prof. Uerpmann-Wittzack), 16 (Prof. Fehling), 24 (Prof. Hermes), 42 (Prof. Uerpmann-Wittzack). Zu Prof. Kirchhof vgl. die Bezugnahmen auf den S. 16, 31. 67 schlossen wird. Der Entschließungsantrag … verlangt jedoch zugleich, dass ‚juristische Risiken für die eigentümerrechtliche Position des Bundes ausgeschlossen werden müssen’. Beides ist nicht in Einklang zu bringen. Schon gar nicht, wenn das Verfassungsrecht die Aufgabe eigentumsadäquater Einflussmöglichkeiten des Bundes auf die EIU gerade verbieten sollte. Die … Kompromissformel des ‚sowohl als auch’ wird offenbar von den Realitäten des Rechts eingeholt.“191 In jedem Falle würde der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs ein erhebliches verfassungsrechtliches Risiko eingehen. Reichen die dem Bund überlassenen Rechtspositionen nicht aus, wird Art. 87 e Abs. 3 S. 2 u. 3 GG verletzt. Genügen die Rechte des Bundes dagegen den Anforderungen dieser Vorschrift, könnte der von dem Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes hervorgerufene, dem Gesetzgeber zuzurechnende Eindruck, die Deutsche Bahn AG sei wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen, unter Umständen die grundrechtlich geschützten Interessen der privaten Aktionärserwerber verletzen und haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich das Gebot der Normenklarheit192 und Widerspruchsfreiheit193, das bei Missachtung jedenfalls zu einer rechtswidrigen Beeinträchtigung der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit führen kann.194 Dahingestellt bleiben kann hier, ob eine Bilanzierung der Eisenbahninfrastruktur-Anteile bei der Deutschen Bahn AG überhaupt zulässig ist.195 191 Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 7. 192 Vgl. allgemein dazu BVerfGE 99, 216 (243); 103, 21 (33); 108, 1 (20); 114, 1 (53). 193 Vgl. BVerfGE 25, 216 (227); 98, 83 (97); 98, 265 (301). 194 Art. 2 Abs. 1 GG ist nach der Rechtsprechung des BVerfG ein „Grundrecht des Bürgers, nur aufgrund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind“ (BVerfGE 29, 402, 408). 195 Krit. Bundesministerium der Finanzen (Fn. 16), S. 4, wonach es für die Zuordnung des wirtschaftlichen und bilanziellen Eigentums an den Eisenbahneninfrastrukturunternehmen bei der Deutschen Bahn AG wichtig sei, dass tatsächlich ein typischer Fall einer Sicherungsübertragung vorliege. Dies könne nicht per Gesetz bestimmt werden. Krit. Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 1 ff.; Schäfer in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 58 ff. A. A. (trotz erheblicher Einschränkungen) Hüttemann, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 16/40 (Fn. 17), S. 11. 68 II. Die vermögenswerten Rechte des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen 1. Die eigentumsrechtlichen Konsequenzen der Sicherungsübertragung Tritt das Bundeseisenbahnenstrukturgesetz in Kraft, ist der Bund – wie dargelegt – für die Dauer des Bestehens der „Sicherungsübertragung“ als alleiniger Anteilseigner zwar juristischer, nicht aber wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Dies gilt für die vermögensrechtliche Seite der „Sicherungsübertragung“ uneingeschränkt, da die Nutzung des den Anteilen an den Gesellschaften innewohnenden Vermögens für die genannte Zeit vollständig und ohne jede Begrenzung der Deutschen Bahn AG überlassen wird. Handelt es sich bei Eisenbahninfrastrukturunternehmen um in den BahnKonzern eingegliederte Gesellschaften, stehen auch ihre Gewinne der Deutsche Bahn AG, nicht dem Bund, zu.196 Zusätzlich soll der Bund „den vollen Wert der Eisenbahninfrastrukturunternehmen“197 erstatten, wenn er das wirtschaftliche Eigentum nach Beendigung der „Sicherungsübertragung“ mit dem juristischen zusammenführen möchte. Dies bedeutet, dass der Bund das wirtschaftliche Eigentum zunächst an die Deutsche Bahn AG abgibt, ohne von dieser eine Gegenleistung zu bekommen198, später aber wieder „zurückkaufen“ muss, wenn er es selbst oder anderweitig beanspruchen will. Eine Verpflichtung zum Wertausgleich besteht nach dem Gesetzentwurf selbst dann, wenn die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf die Deutsche Bahn AG wegen rechtskräftiger Feststellung einer wiederholten Pflichtverletzung der (von der Deut- 196 Dementsprechend bestimmt § 2 Abs. 3 BESG-E ausdrücklich, dass zwischen der Deutschen Bahn AG und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch Beherrschungs- und „Ergebnisabführungsverträge“ bestehen können. 197 § 7 Abs. 1 S. 2 BESG-E. 198 Die Ausübung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sowie die Inanspruchnahme der konzernrechtlichen Steuerungsmöglichkeiten in Bezug auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen stellt keine Gegenleistung der Deutschen Bahn AG, sondern einen Vorteil dar. 69 schen Bahn AG im Konzern gesteuerten) Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach § 10 BSEAG-E beendet wird.199 Eine wirtschaftliche Entleerung des Eigentums durch eine – langfristige – Weggabe seines Vermögenswertes widerspricht zweifelsfrei Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Weggabe hier an die Deutsche Bahn AG erfolgen soll und der Bund gemäß § 1 Abs. 1 DBPrivG auch nach einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG deren Mehrheitseigentümer bleiben wird. Damit partizipiert der Bund über die Deutsche Bahn AG auch an deren Vermögenswert. Zunächst erhofft sich der Bund wegen des integrierten Unternehmensverbundes von Deutscher Bahn AG und Eisenbahninfrastrukturunternehmen einen höheren Veräußerungserlös bei der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG. Sodann kommen eventuelle Gewinnausschüttungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen an die Deutsche Bahn AG mittelbar auch dem Bund als Mehrheitsaktionär der Bahn zugute. Schließlich fließt ein Teil des vom Bund an die Deutsche Bahn AG im Falle einer Beendigung der „Sicherungsübertragung“ zu zahlenden Wertausgleichs wegen des Mehrheitseigentums des Bundes an diesen zurück. Dennoch versteht es sich von selbst, dass es einen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob der Bund die Vermögenswerte seiner (ihm zur Gänze gehörenden) Eisenbahninfrastrukturunternehmen selbst realisieren kann oder ob er die Nutzung einer Gesellschaft überlässt, an welcher er nur neben Privaten beteiligt ist. Besonders deutlich wird dies, wenn es zu einem Wertausgleich kommen sollte. Wird die Deutsche Bahn AG zu 49 % privatisiert, würde ein Wertausgleich zur Folge haben, dass 49 % des Wertes der Eisenbahninfrastrukturunternehmen für immer den Privaten zufallen.200 2. Die Unzulässigkeit eines de facto-Ausschlusses der (Wieder-) Zusammenführung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich noch nicht, dass die dem Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes zugrunde liegende vermögensrecht199 Vgl. § 6 Abs. 2 S. 2 HS 2 BESG-E i. V. m. § 7. 200 Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 37. 70 liche Konstruktion wegen Verstoßes gegen Verfassungsrecht zum Scheitern verurteilt ist. Immerhin erlaubt Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG auch eine Privatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen selbst, solange die „Mehrheit der Anteile“ beim Bund verbleibt. Aber abgesehen davon, dass der Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes diesen Weg gerade nicht beschreitet, ergibt sich aus der Notwendigkeit eines Verbleibs beim Bund, dass der Bund den Zugriff auf den mit seinen Anteilsrechten verbundenen Vermögenswert an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand geben darf. Begnügt er sich mit Schachtelbeteiligungen, muss er in der Lage sein, diese zwecks unmittelbarer Nutzung des Vermögenswerts seiner Anteile wieder aufzulösen. Erachtet man eine Trennung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum überhaupt für zulässig, ist es daher erforderlich, dass der Bund beides wieder zusammenführen kann. Rein rechtlich gibt ihm der Entwurf des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes dazu die Möglichkeit.201 Doch reicht allein die rechtliche Verfügungsgewalt nicht aus. Vielmehr muss sie auch tatsächlich realisiert werden können. An der Realisierbarkeit bestehen erhebliche Zweifel. Zunächst soll die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Eisenbahninfrastrukturunternehmen für die Dauer von fünfzehn Jahren auf die Deutsche Bahn AG übertragen werden.202 Trifft der Gesetzgeber bis zum Ablauf von fünfzehn Jahren keine Entscheidung, verbleiben die Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen unter Wegfall des Sicherungszwecks (das heißt hier der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf die Deutsche Bahn AG) zwar beim 201 § 5 Abs. 1 Nr. 3 BESG-E gibt dem Bund auch die Möglichkeit, nach Beendigung der „Sicherungsübertragung“ die Anteile des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf die Deutsche Bahn AG übergehen zu lassen. Würde der Bund diese Option wählen, stünde er noch erheblich schlechter als nach Inkrafttreten des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes dar, weil er dann zusätzlich seine Zustimmungsrechte gemäß §§ 2 Abs. 3, 3 BESG-E verlieren würde. Wie sich zeigen wird ( D. II., III.), reichen bereits die im Entwurf des Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgesehenen Einflussnahmerechte des Bundes nicht aus. Daher darf der Bund von der in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BESG-E vorgesehenen Variante – jedenfalls ohne weitere gesetzliche Regelung – keinen Gebrauch machen. Vgl. auch die Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS – Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes, vom 11.7.2007, Nr. 3 (S. 4), die anmerkt, dass sich eine Übertragung der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf eine privatisierte Deutsche Bahn AG nicht mit den Eckpunkten der Bundestags-Entschließung vereinbaren lässt. 202 Vgl. § 5 Abs. 1 BESG-E. 71 Bund. Doch endet die „Sicherungsübertragung“ bei Untätigbleiben des Gesetzgebers erst drei Jahre später, das heißt achtzehn Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes.203 Der Zeitraum von fünfzehn respektive achtzehn Jahren ist außerordentlich lang. Hinzu kommt, dass es nach einer so langen Zeit sehr schwer fallen dürfte, die in die Deutsche Bahn AG integrierten Eisenbahninfrastrukturunternehmen aus der wirtschaftlichen Einheit herauszulösen.204 Eine frühere Beendigung der „Sicherungsübertragung“ ist nur in außergewöhnlichen Fällen möglich.205 Vor allem aber können juristisches und wirtschaftliches Eigentum stets nur (wieder-) zusammengeführt werden, wenn der Bund der Deutschen Bahn AG einen Wertausgleich gewährt. Ob es eines solchen Ausgleichs bedurfte, kann hier dahinstehen. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll der Wertausgleich den bestehenden Anforderungen des Verfassungs-, Unternehmens- und Gläubigerschutzrechts Rechnung tragen. Die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf den Bund stelle keine freiwillige Veräußerung, sondern einen hoheitlich angeordneten Eigentumsübergang dar. Deshalb seien bei der Bewertung verfassungsrechtlich gebotene Entschädigungsgrundsätze zu beachten, die auf eine Kompensation der wegfallenden Anteile an den Eisenbahninfrastrukturgesellschaften bei der Deutschen Bahn AG gerichtet seien. Der erforderliche kompensatorische Wertausgleich für die Infrastruktur ergebe, dass der Bund der Deutschen Bahn AG bei Ende der Sicherungsübertragung unter Berücksichtigung des vollen Werts ein Äquivalent für die übertragenden Anteile leisten müsse. Die Höhe des Wertausgleichs müsse eine vollständige Kompensation für die übertragenden Anteile darstellen.206 Dieser Argumentation ist zu widersprechen, weil der Bund juristischer Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ist, der Gesetzgeber die wirtschaftliche Überlassung an andere im Rahmen der sich aus Art. 87 e Abs. 3 GG ergebenden Vorgaben ausgestalten darf und private Aktionäre ihre Anteile der Deutschen Bahn AG nur in Kenntnis der Verfügungsbefugnisse der Deutschen Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen er203 Vgl. § 5 Abs. 2 BESG-E. 204 Vgl. auch Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 4. 205 Vgl. § 6 Abs. 1 BESG-E. 206 Begründung des Gesetzesentwurfs, S. 61 f., mit Bezugnahme auf die einen ganz anderen Fall betreffende Entscheidung des BVerfGE 100, 289 (305). 72 werben können.207 Die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf den Bund nach 15 respektive 18 Jahren stellt auch keine hoheitliche Anordnung dar. Vielmehr ist der Deutschen Bahn AG das wirtschaftliche Eigentum nur auf Zeit überlassen worden. Von Verfassungs wegen bedarf es daher nicht der Normierung eines Wertausgleichs. Ein besonderer Gläubigerschutz könnte, wenn er überhaupt erforderlich sein sollte, auch dadurch bewerkstelligt werden, dass der Bund im Falle des Erwerbs wirtschaftlichen Eigentums die noch offenstehenden Forderungen notfalls selbst begleicht (wenn die Eisenbahninfrastrukturunternehmen dazu nicht in der Lage sein sollten) oder eine Bürgschaft übernimmt. Erfolgt allerdings die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG unter dem Vorzeichen eines späteren Wertausgleichs bei Beendigung der Sicherungsübertragung, muss der Ausgleich später auch gewährt werden, zumal die privaten Aktionäre dann einen höheren Preis für den Erwerb der Aktien an der Deutschen Bahn AG gezahlt haben werden. Offenbleiben kann auch, ob sich aus Art. 114 Abs. 2 GG über die Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofs hinaus ein verfassungsrechtlicher Maßstab für jegliches staatliches Handeln herauslesen lässt208 und die Verpflichtung des Bundes zum Wertausgleich diesem Maßstab gerecht wird (wogegen einiges spricht). Jedenfalls hängt die Realisierbarkeit der Rückholoption des Bundes entscheidend von der Höhe des zu zahlenden Wertausgleichs ab. § 7 BESG-E enthält hierzu nähere Regelungen. Diese sind aber unbestimmt und lassen eine exakte Vorhersage über den Wert der Eisenbahninfrastrukturunternehmen in fünfzehn oder achtzehn Jahren ohnehin nicht zu. 207 Vgl. auch Uerpmann-Wittzack, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 16/40 (Fn. 17), S. 19 f.: „Könnte man einen Wertausgleich ausschließen? Nun, aus verfassungsrechtlicher Sicht habe ich dort bisher keine großen Bedenken. Die DB AG gehört bisher zu 100 Prozent dem Bund. Und unter diesen Umständen sehe ich verfassungsrechtlich nicht, wieso man nicht den Konzern umstrukturieren gegebenenfalls zerlegen können sollte, ohne dass es Wertausgleiche gibt. Sicherlich wird die Situation in dem Moment anders, obwohl man einmal Private beteiligt. Dann ist der Staat an seine Spielregeln gebunden. Dann schafft er in dem Moment, wo tatsächlich privatisiert wird, ggf. Eigentumspositionen im Sinne von Art. 14, die gegenüber den privaten Investoren gewahrt werden müssen. Aber noch, wo keine Privatisierung erfolgt ist, hat – zumindest verfassungsrechtlich – der Bund freie Hand in der Gestaltung.“ 208 Vgl. VerfGH RP AS 25, 387 (388, 403 f.); von Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, 1988, S. 67 ff.; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, 2001, S. 289, 343 ff.; HoffmannRiem, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 20 f. (für das das Wirtschaftlichkeitsprinzip einschließende Effizienzprinzip). Krit. Siekmann in: Sachs (Fn. 82), Art. 114 Rn. 14. 73 Die Begründung des Gesetzentwurfs zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes in der Fassung vom 8. März 2007 geht noch davon aus, dass nach Beendigung der „Sicherungsübertragung“ ein sehr geringer Betrag zu zahlen sein wird. Dies wird damit begründet, dass mit Beendigung der Übertragung auch eine Beendigung der Finanzierungsverpflichtungen des Bundes einhergehe. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen hätten dann auf solche Leistungen keinen Anspruch mehr, was bei der Ermittlung des Ertragswerts zu berücksichtigen sei. „Sind zum Zeitpunkt der Beendigung der Sicherungsübertragung die prognostizierten Erträge der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (ohne Bundeszuschüsse) niedriger als die prognostizierten Aufwendungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen, wäre der Ertragswert null. Doppelzahlungen des Bundes sind somit ausgeschlossen.“209 Diese Betrachtungsweise ist aber auf erhebliche Kritik gestoßen. So hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie darauf hingewiesen, dass der gegenwärtige Verkehrswert der EIUAnteile über acht Milliarden Euro betrage.210 Das Bundesministerium der Finanzen211 und das Institut der Wirtschaftsprüfer212 haben darauf aufmerksam gemacht, dass Zuschüsse, auf die im Rahmen der Infrastrukturverantwortung des Bundes auch zukünftig ein Anspruch der Eisenbahninfrastrukturunternehmen besteht, bei der Ermittlung des Verkehrswertes zu berücksichtigen seien. Allein dieser Betrag macht aber bei einer zugesagten Unterstützung des Bundes von bis zu 2,5 Milliarden Euro213 bis zu 37,5 Milliarden Euro für einen Zeitraum von fünfzehn Jahren aus. Der Finanzsenator des Landes Berlin ist zu folgender Einschätzung gekommen: „Das Primon-Gutachten von Januar 2006 (auf das sich die Bundesregierung im allgemeinen Teil der Begründung des Gesetzesentwurfs zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes bezieht) bemisst den Wert von 49 % der DB AG bei Privatisierung im integrierten Modell auf 5,0 bis 8,7 Mrd. €. Das jetzt gewählte Eigentumssicherungsmodell war von den Gutachtern nicht untersucht 209 Begründung des Gesetzentwurfs, S. 23. 210 Stellungnahme vom 4.5.2007, S. 4. 211 Stellungnahme vom 8.5.2007, S. 7. 212 Stellungnahme vom 26.6.2007, S. 4. 213 § 3 Abs. 2 BESAG-E. 74 worden, man geht aber sicher nicht fehl in der Annahme, dass das wirtschaftliche Eigentum mit Rückholoption von den Investoren nicht höher bewertet wird als das wirtschaftliche und rechtliche Volleigentum. Geht man dieser Überlegung folgend davon aus, dass der Verkauf von 49 % der DB AG im Eigentumssicherungsmodell ca. 8 Mrd. € erbringt und unterstellt man ferner, dass die Hälfte des Erlöses – wie vom Bundesminister der Finanzen angekündigt – zur Stärkung des Kapitals der DB AG verwandt wird, so liegt der fiskalische Effekt der Teilprivatisierung für den Bundeshaushalt bei rund 4 Mrd. €. Der bei Beendigung der Sicherungsübereignung fällige Wertausgleich bemisst sich, wie oben ausgeführt, nach dem bilanziellen Eigenkapital der Infrastrukturunternehmen. Dieses betrug ausweislich der Geschäftsberichte Ende 2006 rd. 8 Mrd. € (1,2 Mrd. € DB Station&Service AG, 5,8 Mrd. € DB Netz AG, rund 1 Mrd. € DB Energie GmbH). Bei Ausübung der Rückholoptionen flösse also dem Bundeshaushalt mit rd. 8 Mrd. € ein Betrag ab, der doppelt so hoch wäre, wie die ursprüngliche Privatisierungseinnahme! Da nach Ausübung der Rückholoption gleichwohl 49 % der DB AG (ohne Infrastruktur) in privater Hand bleiben, hätte damit der Bund bei Ausübung der Rückholoption im Ergebnis 49 % der DB AG für einen negativen Kaufpreis von 4 Mrd. € weggegeben. Die DB AG veranschlagt in ihrer aktuellen Planung stark wachsende Gewinne der Infrastrukturunternehmen. Wenn diese Planung zutrifft, dürfte das bilanzielle Eigenkapital der Infrastrukturunternehmen noch deutlich anwachsen, die Ausübung der Rückholoption für den Bund also voraussichtlich noch teurer werden als oben veranschlagt. Das Primon-Gutachten zeigt, dass sich der Privatisierungswert des integrierten Modells, des Eigentumsmodells und des getrennten Modells nur unwesentlich unterscheiden. Mit dem Eigentumssicherungsmodell „verschenkt“ der Bund quasi das Eigentum an der Infrastruktur mit der Option, es in 15 Jahren teuer zurückzuerwerben. Dabei bleibt sogar noch außer Betracht, dass 90 % des in der Infrastruktur gebundenen und quasi „mitverschenkten“ Anlagevermögens ohnehin mit Investitionszuschüssen des Bundes (über 30 Mrd. € allein seit 1994) gezahlt wurden und dass das Privatisierungsgesetz ein weiteres künftiges Leistungsversprechen von 37 Mrd. € enthält.“214 214 Schreiben an den „Chef des Bundeskanzleramts“ vom 18.7.2007, S. 2. 75 Die gegenwärtige Fassung des § 7 BESG-E unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von derjenigen vom 8. März 2007. Ob dies zu einer anderen Beurteilung führt, ist indessen jedoch sehr zweifelhaft. So führt etwa die Gesetzesbegründung zu § 7 BESG-E in der von der Bundesregierung beschlossenen Fassung aus, dass der bei der Beendigung der Sicherungsübereignung der Deutschen Bahn AG zu vergütende volle Wert der Eisenbahninfrastrukturunternehmen grundsätzlich dem Ertragswert der Beteiligungen entspreche. Zur Ermittlung des Ertragswerts für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen müssten aber insbesondere Annahmen über Höhe und Dauer der öffentlichen Zuschüsse getroffen werden. Diese seien nach den derzeitigen Verhältnissen für einen wirtschaftlich rentablen Betrieb der Infrastruktur unerlässlich.215 Werden aber zukünftige Zuschüsse mitberücksichtigt, müsste der Bund diese zunächst beim Wertausgleich bezahlen und später noch zusätzlich leisten. Letztlich braucht der Frage, wie der Wertausgleich zu berechnen ist, hier nicht näher nachgegangen zu werden. Jedenfalls hat die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich, Mücke, Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP „Wie viel müsste der Bund als Wertausgleich zahlen, wenn die Sicherungsübertragung zum jetzigen Zeitpunkt ausliefe?“ am 27. Juli 2007 geantwortet „Der Wertausgleich kann gegebenenfalls mehrere Milliarden Euro betragen“.216 Auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Hermann, Hofreiter, Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Bündnis 90/Die Grünen hat die Bundesregierung am 6. September 2007 konkretisierend hinzugefügt, dass sich der für den Fall der Beendigung der „Sicherungsübertragung“ an die Deutsche Bahn AG zu leistende Wertausgleich nach dem bilanziellen Eigenkapital der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bemesse und die Eisenbahninfrastrukturunternehmen derzeit über ein bilanzielles Eigenkapital in der Größenordnung von etwa 7,5 Milliarden Euro verfügen würden.217 215 Gesetzesbegründung, S. 62. 216 Vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 27.7.2007 zu den Fragen 8 und 9, S. 4. 217 Vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 6.9.2007 zu den Fragen 2, 3, 4 sowie zusammenfassend 5 und 10. 76 Nach alledem muss davon ausgegangen werden, dass der Bund für die Rückübertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf ihn aller Voraussicht nach Milliarden-Beträge aufwenden müsste. Auch dürfte allein die Ankündigung einer Beendigung der Sicherungsübereignung den Börsenkurs der Deutschen Bahn AG „einbrechen“ lassen und juristische Auseinandersetzungen (auch mit den privaten Aktionären der Deutschen Bahn AG) hervorrufen. Dies macht ein Gebrauchmachen von dem Rückholrecht des Bundes äußerst unwahrscheinlich. Anders ausgedrückt hat die dem Bund auferlegte Wertausgleichspflicht prohibitive Wirkung. Wird aber die Zusammenführung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum de facto so erschwert, dass dem Bund realistischerweise keine wirkliche Option mehr bleibt, kann kaum mehr davon gesprochen werden, dass der Bund – wie in Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG vorausgesetzt – den Vermögenswert seines Anteilseigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen wie ein normaler Mehrheitsanteilseigner an einem Unternehmen nutzen kann. III. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen Die mit einem gesellschaftsrechtlichen Anteilseigentum verbundenen mitgliedschaftlichen Einflussrechte können unmittelbar oder mittelbar über die Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung (1.), den Aufsichtsrat (2.) und den Vorstand oder die Geschäftsführung (3.) zur Geltung gebracht werden. Wird die Gesellschaft von einer anderen Gesellschaft beherrscht und ist der Anteilseigner mehrheitlich an dieser Gesellschaft beteiligt, kann auch versucht werden, über die beherrschende Gesellschaft Einfluss auszuüben (4.). Dementsprechend bedarf der Untersuchung, ob der Bund auf den genannten Wegen das Handeln seiner Eisenbahninfrastrukturunternehmen steuern und kontrollieren kann. 1. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Abstimmungen in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen 77 Obwohl alle Anteile an der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH auf den Bund übergehen sollen, wird dieser wegen der vorgesehenen Stimmrechtsübertragung auf die Deutsche Bahn AG für die Dauer des Bestehens der „Sicherungsübertragung“ (also bei normalem Verlauf für mindestens achtzehn Jahre, aller Wahrscheinlichkeit nach aber für länger) von den üblichen Gesellschafterrechten keinen Gebrauch machen können. Insbesondere verliert der Bund das Recht, an den Hauptversammlungen oder Gesellschafterversammlungen teilzunehmen und dort sein Stimmrecht auszuüben. Zwar soll der Verlust der Ausübung des Stimmrechts nicht kraft Gesetzes eintreten, sondern auf einer Vollmachtserteilung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen beruhen (§ 2 Abs. 1 BESG-E). Doch lässt die gesetzliche Regelung den Bundesministerien keinen Spielraum im Hinblick auf das „Ob“ und „Wie“ der Stimmrechtsübertragung auf die Deutsche Bahn AG. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Rechtskonstruktion überhaupt zulässig ist (a) und der Kompetenzverlust durch die Gewährung von Zustimmungsvorbehalten gemäß § 2 Abs. 2 BESG-E aufgewogen wird (b). a) Zur Zulässigkeit einer materiellen Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt Sämtliches Handeln des Staates ist Ausübung von Staatsgewalt. Juristische Personen des Privatrechts werden jedenfalls dann als Träger von Staatsgewalt tätig, wenn ihre Inhaber ausschließlich eine oder mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts staatlicher Provenienz sind.218 Das Handeln dieser Privatrechtssubjekte ist dann ebenfalls Ausübung von Staatsgewalt. Beteiligt sich der Staat zusammen mit Privaten an einer privatrechtlichen Organisation (z. B. einer Gesellschaft), ist das Einwirken auf die Gesellschaft staatliches Handeln und damit Ausübung von Staatsgewalt. Unerheblich ist, dass der Staat sich in diesem Falle nicht des öffentlichen Rechts, sondern des Privatrechts bedient. 218 Vgl. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Fn. 75), § 1 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen. 78 Da die Errichtung von Privatrechtssubjekten durch den Staat respektive die Beteiligung des Staates an Privatrechtssubjekten legitimen Zwecken dienen muss, ist es dem Staat nicht gestattet, auf die Ausübung der mit dem Anteilseigentum verbundenen Einwirkungsrechte zu verzichten. Vielmehr ist der Staat im Rahmen seiner Beteiligungsquote gehalten, das Agieren der Privatrechtssubjekte zu steuern und zu kontrollieren, weil er nur so seinen verfassungsrechtlichen Bindungen (insbesondere seiner demokratischen Verantwortung gegenüber dem Parlament und dem Volk219) gerecht zu werden vermag. Für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes ergibt sich die Notwendigkeit einer staatlichen Steuerung und Kontrolle – wie bereits ausgeführt220 – aus der Regelung des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG. Wenn die Bundesrepublik Deutschland als alleiniger Anteilseigner der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ihre Stimmrechte in diesen Unternehmen an die Deutsche Bahn AG überträgt und die Deutsche Bahn AG teilweise materiell privatisiert wird, kommt es damit zugleich zu einer Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt. Die Privatisierung der Ausübung von Staatsgewalt ist etwas völlig anderes als die Privatisierung von Staatsgewalt. Im letzteren Fall gibt der Staat eine Staatsaufgabe auf, übt keine Staatsgewalt mehr aus und überlässt die Erfüllung der vormals selbst wahrgenommenen Aufgabe den gesellschaftlichen Kräften. Eine so verstandene Privatisierung von Staatsgewalt ist jedenfalls im Bereich der Leistungsverwaltung und der Teilnahme der öffentlichen Hand am Wirtschaftsleben grundsätzlich unbedenklich. Dagegen bedeutet eine Privatisierung der Ausübung von Staatsgewalt, dass der Staat es Privaten an seiner statt überlässt, darüber zu entscheiden, ob und wie Staatsgewalt ausgeübt wird. Die Ausübung von Staatsgewalt ist grundsätzlich den Trägern von Staatsgewalt vorbehalten. Das schließt weder eine Beleihung von Privaten mit Staatsgewalt noch eine Heranziehung von Privaten als Helfer oder Beauftragte des Staates aus. Unter Beliehenen versteht man Privatpersonen, denen die Kompetenz zur selbständigen hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im 219 Vgl. B. II. 4. 220 B. II. 79 eigenen Namen übertragen worden ist.221 Ein Helfer des Staates wird unselbständig für den Staat tätig und übt Hilfstätigkeiten für ihn aus, ein Beauftragter handelt zwar selbständig, aber im Rahmen eines klar umrissenen Mandates im Namen des Staates. 222 Keine dieser Fallkonstellationen liegt hier vor. Eine Beleihung setzt voraus, dass der Private auf gesetzlicher Grundlage zu einem gemeinwohlgebundenen, der Fachaufsicht des Staates unterworfenen Träger mittelbarer Staatsverwaltung zwecks Ausübung öffentlich-rechtlicher Befugnisse bestellt wird. Dies alles lässt sich § 2 Abs. 1 BESG-E gerade nicht entnehmen. Jedenfalls unterliegt die Deutsche Bahn AG weder einer Fachaufsicht des Bundes, noch wird sie öffentlich-rechtlich tätig. Die Deutsche Bahn AG soll in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen auch nicht nur unselbständig Hilfstätigkeiten für den Bund ausüben. Am ehesten könnte noch an eine Beauftragung gedacht werden, weil § 2 Abs. 1 BESG-E ausdrücklich von einer Stimmrechtsvollmacht spricht. Indessen darf der Staat Privatpersonen Vertretungsmacht zwecks Abgabe von Willenserklärungen, die sich als Ausübung von Staatsgewalt darstellen, nur erteilen, wenn der Vertreter gebunden ist, das heißt, die Vollmacht sich auf vorherbestimmte Erklärungen bezieht oder der Vertreter den Weisungen des Staates unterliegt. In welcher Weise die Deutsche Bahn AG von ihrer Vollmacht in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen Gebrauch machen soll, wird durch den Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes jedoch in keiner Weise vorgezeichnet. Es ist gerade der Sinn der „Sicherungsübertragung“, der Deutschen Bahn AG freie Hand zu geben. Dementsprechend unterliegt die Deutsche Bahn AG auch keinen Weisungen des Bundes bei der Abgabe ihrer Stimmen in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Das Konzernrecht kommt im Verhältnis Deutsche Bahn AG – Eisenbahninfrastrukturunternehmen, nicht aber im Verhältnis Bund – Deutsche Bahn AG zur Anwendung. Keine entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand zu, dass die Mehrheit der Anteile an der Deutschen Bahn AG beim Bund 221 Vgl. auch die Definition von Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 23 Rn. 56. 222 Vgl. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Fn. 75), § 1 Rn. 17. 80 verbleiben soll, die Deutsche Bahn AG also gerade keine rein private Gesellschaft sein wird. Zum einen kann eine gemischt zusammengesetzte Gesellschaft nicht ohne weiteres dem Staat zugeordnet werden, selbst wenn sie vom Staat beherrscht wird.223 Zum anderen übt der Vorstand der Deutschen Bahn AG die Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen aus, weil er das alleinige Vertretungsrecht besitzt.224 Der Vorstand ist dem Wohle der Gesellschaft, keineswegs (nur) dem Wohl der Mehrheitsaktionäre verpflichtet und zudem unabhängig. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass dem Vorstand auch nach bisheriger Rechtslage das Bestimmungsrecht in Bezug auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen zukommt (abgesehen davon, dass von einem Sein nicht auf das verfassungsrechtliche Sollen geschlossen werden kann). Die derzeitige Rechtslage unterscheidet sich grundlegend von derjenigen, die sich nach Inkrafttreten des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes in der vorliegenden Fassung ergeben wird. Der Bund ist nach derzeitigem Recht nicht Anteilseigner der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und daher gar nicht in der Lage, dem Vorstand der Deutschen Bahn AG Stimmrechte zu übertragen. Zudem ist die Deutsche Bahn AG wegen des alleinigen Anteilseigentums des Bundes derzeit selbst ein Träger von Staatsgewalt. Schließlich hat ein Alleinaktionär ganz andere Möglichkeiten der gesellschaftsrechtlichen Steuerung als ein bloßer Mehrheitsaktionär in einer gemischt zusammengesetzten Gesellschaft.225 Somit ist die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zugunsten der Deutschen Bahn AG nach der hier vertretenen Auffassung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Entnimmt man dem Verfassungsrecht eine solche Rechtsfolge nicht, müssten dem Bund für den Verlust seiner Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahn223 Dem steht nicht entgegen, dass in Art. 2 S. 1 der Transparenzrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft (RL 80/723/EWG) unter einem öffentlichen Unternehmen jedes Unternehmen zu verstehen ist, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Vgl. Ehlers (Fn. 84), E 31 f., 39 f. 224 Vgl. § 78 Abs. 1 AktG. 225 Vgl. auch D. II. 4. c). 81 infrastrukturunternehmen zumindest gleichwertige eigentumsrechtliche Einflussrechte eingeräumt worden sein. b) Der Zustimmungsvorbehalt des § 2 Abs. 2 BESG-E Als funktionales Äquivalent für den Verlust der Stimmrechte des Bundes in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen kommen die dem Bund gemäß § 2 Abs. 2 BESG-E zugestandenen Ingerenzrechte in Betracht.226 Nach der genannten Vorschrift bedarf die Deutsche Bahn AG zur Ausübung der Stimmrechtsvollmacht in den Hauptversammlungen oder Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen in bestimmten Fällen der vorherigen Zustimmung des Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen. Im Einzelnen bezieht sich das Zustimmungserfordernis auf die Änderung der Satzung oder des Gesellschaftsvertrages (Nr. 1), die Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung (Nr. 2), den Abschluss, die Änderung und Beendigung von Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträgen (Nr. 3), die Auflösung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens (Nr. 4), die Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz (Nr. 5) und die Wahl und Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrats (Nr. 6). Im Vergleich zu dem am 8. März 2007 vorgelegten Gesetzentwurf eines Bundeseisenbahnstrukturgesetzes stärkt die nunmehr von der Bundesregierung beschlossene Fassung die Einflussrechte des Bundes. Zum einen wird das Zustimmungserfordernis anders als früher nicht mehr daran gekoppelt, dass das Sicherungsinteresse des Bundes nachhaltig gefährdet werden kann. Des Weiteren wird auch die Wahl und Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrates der Eisenbahninfrastrukturunternehmen dem Zustimmungsvorbehalt des Bundes unterworfen. Schließlich ist in dem Gesetzentwurf neu die Regelung aufgenommen worden, dass eine ohne Zustimmung erfolgte Ausübung der Stimmrechtsvollmacht zur Unwirksamkeit der Stimmabgabe führt (§ 2 Abs. 2 S. 2 BESG-E). 226 Zu § 3 BESG-E vgl. die Ausführungen zu D. III. 3. 82 Dennoch bleibt der Zustimmungsvorbehalt hinter einem eigenen Stimmrecht des Bundes in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zurück. Dies kann auch nicht anders sein, weil ansonsten die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zugunsten der Deutschen Bahn AG keinen Sinn ergäbe. So begründet ein Zustimmungserfordernis zwar ein Veto-, nicht aber ein Initiativrecht. Der Bund kann daher nur reagieren, nicht aber selbst die Geschäftspolitik der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bestimmen. Zu einer Beschlussfassung in den in § 2 Abs. 2 BESG-E aufgeführten Fällen kommt es daher nur, wenn der Bund und der Vorstand der Deutschen Bahn AG „an einem Strang“ ziehen. Hieraus ergibt sich faktisch ein Zwang zur Einigung respektive zum Kompromiss. Zudem erstreckt sich der Zustimmungsvorbehalt nicht auf alle Rechte der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung. Für die Gesellschafterversammlung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung versteht sich das von selbst, weil es die Gesellschafter insoweit in einem sehr weitgehenden Ausmaße in der Hand haben, selbst zu bestimmen, welche Rechte ihnen einzuräumen sind.227 Aber auch der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft stehen weitergehende Organbefugnisse zu. Beispielsweise hat die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft von Gesetzes wegen auch über die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 AktG)228, die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 AktG) und die Bestellung des Abschlussprüfers (§ 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG) zu beschließen. Weitere Rechte können einer Hauptversammlung durch Unternehmenssatzung zugestanden werden. Auch kann die Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG über Fragen der Geschäftsführung entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt. 2. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und auf die Abstimmungen im Aufsichtsrat 227 Vgl. § 45 Abs. 1 GmbHG. 228 Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass nach § 2 Abs. 3 BESG-E zwischen der Deutschen Bahn AG und Eisenbahninfrastrukturunternehmen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträge bestehen können. 83 Da die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner einer Gesellschaft von der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung gewählt werden und die Stimmrechte in diesen Gremien vom Vorstand der Deutschen Bahn AG ausgeübt werden sollen, wählt der Vorstand auch die Mitglieder des Aufsichtsrates der Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Allerdings ist das Bestimmungsrecht des Vorstandes der Deutschen Bahn AG in zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Zunächst soll die Bundesregierung nach § 4 BESG-E berechtigt sein, in den Aufsichtsrat der DB Netz AG drei Mitglieder (von 20 Aufsichtsratsmitgliedern, davon zehn Arbeitnehmervertretern), in den Aufsichtsrat der DB Station&Service AG zwei Mitglieder (von zwölf Aufsichtsratsmitgliedern, davon fünf Arbeitnehmervertretern) und in den Aufsichtsrat der DB Energie GmbH ein Mitglied (von sieben Aufsichtsratsmitgliedern, davon zwei Arbeitnehmervertretern) zu entsenden.229 Sodann bedarf die Deutsche Bahn AG – wie bereits ausgeführt – nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 BESG-E für die Wahl und Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrates der Eisenbahninfrastrukturunternehmen der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen. Das Entsenderecht sichert dem Bund das Bestellungsrecht für weniger als ein Drittel der von der Anteilseignerbank zu besetzenden Aufsichtsratssitze (DB Netz AG: 30 %; DB Station&Service AG: 28,5 %; DB Energie GmbH: 20 %) und weniger als ein Fünftel der zu besetzenden Aufsichtsratssitze insgesamt (DB AG: 15 %; DB Station&Service AG: 16,6 %; DB Energie GmbH: 14,2 %). 230 Der Zustimmungsvorbehalt erlaubt dem Bund zwar, die Wahl oder Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern zu blockieren, nicht aber eine Wahl oder Abberufung durchzusetzen. Gehen die Vorstellungen des Bundes und des Vorstandes der Deutschen Bahn AG auseinander (etwa weil der Vorstand der Deutschen Bahn AG den Wünschen seiner privaten Aktionäre Rechnung tragen möchte), wird 229 Zur derzeitigen – durch die Zahl der Mitarbeiter und die Mitbestimmungsregelungen (vgl. § 10 MitbestG) weitgehend vorgegebenen – Größe der Aufsichtsräte der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vgl. Möllers, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 22 f. 230 Die Beschränkung des Entsenderechts ist bei Zugrundelegung der Wertungen des Aktienrechts konsequent, weil nach § 101 Abs. 2 S. 4 AktG Entsenderechte höchstens für ein Drittel der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre eingeräumt werden können. 84 man sich wiederum auf Kompromisse einigen müssen.231 Dürfte der Bund die Stimmrechte in der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung selbst ausüben, könnte er alle Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner allein bestimmen. Dies würde – wie dargelegt232 – selbst dann gelten, wenn der Bund nur Mehrheitsgesellschafter (und nicht wie vorgesehen: alleiniger Gesellschafter) der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ist. Somit bleiben die gesetzlichen Regelungen hinter den Anforderungen des sich aus Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG ergebenden Untermaßverbotes233 zurück. Eine Möglichkeit, die Abstimmungen im Aufsichtsrat der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu beeinflussen, hat der Bund nicht. Doch ist dies nur die Konsequenz der unabhängigen Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder und von Verfassungs wegen hinzunehmen. 3. Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Besetzung des Vorstandes respektive der Geschäftsführung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und auf die Willensbildung im Vorstand respektive der Geschäftsführung Die Bestellung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft obliegt deren Aufsichtsrat234 (und somit nicht dem Bund). Dem Bund soll auch nicht das Recht eingeräumt werden, die Geschäftsführer der DB Energie GmbH zu bestimmen. Ferner hat der Bund im Falle eines Inkrafttretens des Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes grundsätzlich keine Möglichkeit, unmittelbar auf die Leitung respektive Geschäftsführung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen einzuwirken. Soweit die Eisenbahninfrastrukturunternehmen als Aktiengesellschaften organisiert sind, ergibt sich dies wiederum aus der Unabhängigkeit des Vorstandes. Der Abschluss von Beherrschungsverträgen zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG ist gerade nicht beab- 231 Vgl. bereits D. II. 1. b). 232 B. IV. 2. c). 233 B. IV. 234 Vgl. B. IV. 2. a). 85 sichtigt. In Hinblick auf die DB Energie GmbH könnte zwar gesellschaftsrechtlich anderes vereinbart werden. Doch widerspräche dies der auf der Trennung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum beruhenden „Sicherungsübertragung“. Nicht der Bund, sondern die Deutsche Bahn AG soll das Handeln der Eisenbahninfrastrukturunternehmen – unter anderem durch den Abschluss von Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträgen (§ 2 Abs. 3 BESG-E) – wirtschaftlich steuern. Jedoch werden die Leitungs- und Geschäftsführungsbefugnisse der Vorstände und Geschäftsführer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sowie die Herrschaftsbefugnisse der Deutschen Bahn AG insofern begrenzt, als nach § 3 BESG-E drei Maßnahmen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundministerium der Finanzen bedürfen: nämlich die Verfügung über wesentliche Vermögensgegenstände der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (Abs. 1 Nr. 1), eine Schuldenaufnahme, die zu einer wesentlichen Veränderung des Verhältnisses zwischen Eigen- und Fremdkapital bei einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen führt (Abs. 1 Nr. 2), und Maßnahmen, durch die sich die Anzahl der Arbeitnehmer eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens oder die Anzahl der einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen zugewiesenen Beamten wesentlich erhöht und die wesentliche negative Auswirkungen auf die Finanz- und Ertragslage der Eisenbahninfrastrukturunternehmen haben (Abs. 1 Nr. 3). Die Zustimmungserfordernisse sollen die Zustimmungsvorbehalte des § 2 Abs. 2 BESG-E ergänzen. Im Schrifttum sind Zweifel geäußert worden, ob sich die Bindung an die Zustimmung eines Dritten (hier des Bundes), der nicht Partner eines Beherrschungsvertrages ist, mit dem geltenden Recht, insbesondere mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht, vereinbaren lässt.235 Diesen Zweifeln kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Geht man davon aus, dass die Zustimmungspflichten des § 3 BESG-E in zulässiger Weise vorgesehen werden dürfen, ist zu berücksichtigen, dass es nur bei „wesentlichen“ Maßnahmen oder 235 Vgl. Schäfer, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 51 ff. 86 Veränderungen einer Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung (im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen) bedarf. In dem Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes vom 8. März 2007 wurde das Wesentlichkeitskriterium legal definiert. Wesentlich sollen danach nur Maßnahmen oder Veränderungen sein, wenn durch sie das Sicherungsinteresse des Bundes nachhaltig gefährdet werden kann (§ 3 Abs. 2 BESG-E a. F.). Diese Definition fehlt in der von der Bundesregierung beschlossenen Fassung des Gesetzes. Der Sache nach macht dies aber keinen Unterschied aus. So wird die Regelung des § 3 Abs. 1 BESG-E in der Begründung des Gesetzentwurfs damit gerechtfertigt, dass der Bund als Sicherungsnehmer ein Interesse daran hat, dass die ihm zur Sicherheit übertragenen Anteile erhalten bleiben und nicht zu seinen Lasten „grundlegend verändert oder entwertet werden“.236 Daher hätten Maßnahmen bei den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu unterbleiben, durch welche die Sicherungsfunktion der Anteile an den Unternehmen beeinträchtigt oder gefährdet werden könnte. Dies macht ebenfalls deutlich, dass es um seltene Ausnahmetatbestände geht237, nicht etwa um operative Entscheidungen (etwa über den Bau, die Unterhaltung und das Betreibens der Schienenwege selbst238). 4. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen über die Einflussnahme auf die Deutsche Bahn AG Schließlich sind die mittelbaren Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen über die Einwirkung des Bundes auf die Deutsche Bahn AG in Betracht zu ziehen. Bevor näher auf die in Betracht kommenden Ingerenzrechte eingegangen wird (b) ist vorab zu untersuchen, in welchem Ausmaße eine Steuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen überhaupt zulässig ist (a). Ferner ist darzulegen, warum sich eine materielle Teilprivatisierung von Eisenbahninfra236 Gesetzesbegründung, S. 58. 237 Vgl. auch Möllers, in: Möller/Schäfer (Fn. 18), S. 22. 238 So auch die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (Fn. 13), S. 4. 87 strukturunternehmen nicht mit einer materiellen Teilprivatisierung eines die Eisenbahninfrastrukturunternehmen beherrschenden Eisenbahnverkehrsunter- nehmens vergleichen lässt (c). a) Das zulässige Ausmaß einer Unternehmenssteuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch ein Eisenbahnverkehrsunternehmen Die Beantwortung der Frage, in welchem Ausmaß ein Eisenbahnverkehrsunternehmen (wie die Deutsche Bahn AG) ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen (wie die DB Netz AG) im vertikalen Verbund steuern darf, bestimmt sich nicht nach nationalen, sondern nach vorrangigem europäischen Gemeinschaftsrecht. Wie noch zu zeigen sein wird, haben die gemeinschaftsrechtlichen Weichenstellungen aber Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Beurteilung. Um im Falle des Bestehens natürlicher Netzmonopole den Gefahren für einen funktionsfähigen Wettbewerb begegnen zu können, bemüht sich das Europäische Gemeinschaftsrecht um eine Entflechtung von Netz und Betrieb. Die einschlägigen Regelungen für die Eisenbahnen finden sich in Art. 6 der Richtlinie 91/440/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/12/EG sowie in Art. 4 Abs. 2 und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG.239 Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 91/440/EWG treffen die Mitgliedstaaten „die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass getrennte Gewinnund Verlustrechnungen und Bilanzen für die Erbringung von Verkehrsleistungen durch Eisenbahnunternehmen einerseits und für den Betrieb der Infrastruktur andererseits erstellt und veröffentlicht werden.“ Dies nimmt den Mitgliedstaaten noch nicht die Entscheidung über die organisatorische und rechtliche Trennung des Eisenbahnnetzes, wie sich aus Absatz 2 der Vorschrift ergibt („Die Mitgliedstaaten können ferner vorsehen, dass diese beiden Tätigkeiten in organisatorisch voneinander getrennten Unternehmen innerhalb desselben Unternehmens ausgeübt werden oder dass eine getrennte Einrichtung den Betrieb der Infra239 Vgl. dazu bereits A. I. 2. 88 struktur übernimmt“). Doch schränkt Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG das Wahlrecht partiell ein, weil die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, „dass die Funktionen nach Anhang II, die für einen gerechten und nichtdiskriminierenden Zugang zur Infrastruktur ausschlaggebend sind, an Stellen oder Unternehmen übertragen werden, die selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen“. Anhang II nennt als wesentliche Funktion unter anderem die Entscheidungen über die Trassenzuweisung und über die Wegeentgelte.240 Spezieller241 trifft hierzu die sich auf die Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Entgelten beziehende Bestimmung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG die folgende Regelung: „Ist der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder in seinen Entscheidungen nicht von Eisenbahnunternehmen unabhängig, so werden die in diesem Kapitel dargelegten Aufgaben – außer der Erhebung von Entgelten – von einer entgelterhebenden Stelle wahrgenommen, die rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist.“242 Eine gleichgerichtete Normierung findet sich in Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG für die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten. Die Vorschrift lautet: „Ist der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder in seinen Entscheidungen nicht von Eisenbahnunternehmen unabhängig, so werden die in Absatz 1 genannten und in diesem Kapitel im weiteren dargelegten Aufgaben von einer entgelterhebenden Stelle wahrgenommen, die rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist.“ Der Bundesgesetzgeber hat die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts in § 9 a AEG umgesetzt. Wiederholt wird die Formulierung der Richtlinien, dass die öffentlichen Betreiber der Schienenwege „rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen“ von Eisenbahnverkehrsunternehmen unabhängig sein müs240 Näher zu den wesentlichen Funktionen nach Art. 6 Abs. 3 RL 91/440/EWG A. I. 2. 241 Vgl. Hermes, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), B Einführung Rn. 56. 242 Eisenbahnunternehmen im Sinne der Richtlinie sind gemäß der Legaldefinition des Art. 2 lit. k RL 2001/14/EG die nach geltendem Gemeinschaftsrecht zugelassenen öffentlichrechtlichen oder privaten Unternehmen, deren Haupttätigkeit im Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen zur Beförderung von Gütern und/oder Personen besteht. 89 sen. Dazu werden eine Reihe von Vorgaben gemacht, welche die Unabhängigkeit der Betreiber der Schienenwege gewährleisten sollen. Unter anderem dürfen dem Aufsichtsrat des Betreibers der Schienenwege keine Mitglieder der Aufsichtsräte von Eisenbahnverkehrsunternehmen angehören.243 Eine Konzernbildung zwischen den Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen wird aber gerade nicht verboten. Ob das Holding-Modell der Deutschen Bahn AG mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, war bisher schon umstritten.244 Informelle interne Informationsströme in einem Konzern entziehen sich weitgehend einer Kontrolle.245 Auch eine Kontrolle durch eine unabhängige Regulierungsinstanz (Bundesagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen) kann die Unabhängigkeit der primär zuständigen Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht ersetzen.246 Hält man die bisherige Rechtslage – entgegen der hier vertretenen Ansicht – für vereinbar mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht, heißt dies noch nicht, dass dies auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes gelten muss. Es macht nämlich einen Unterschied aus, ob die Deutsche Bahn AG, in der die Eisenbahninfrastrukturunternehmen als abhängige Unternehmen eingegliedert sind, ein Eigenunternehmen der Bundesrepublik Deutschland oder eine gemischt zusammengesetzte Gesellschaft ist. „Nach Teilprivatisierung der DB AG dürften im Konzern Gewinnmaximierungsinteressen ein noch höheres Gewicht gewinnen und damit auch die Anreize steigen, selbst auf dem Papier kunstvoll errichtete „Chinese Walls“ informell zu umgehen.“247 Positiv zu würdigen ist zwar, dass nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes eine Pflicht zur teilweisen informationellen Entflechtung von Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen in das Allgemeine Eisenbahnengesetz 243 Vgl. § 9 a Abs. 1 S. 2 Nr. 6 AEG. 244 Bejahend Ronellenfitsch, DVBl 2002, 657 ff.; verneinend Berschin, DVBl 2002, 1079 ff.; vgl. auch die unterschiedliche rechtliche Bewertung der Bundestagsfraktionen in BT-Drs. 15/4419, S. 10 f., 15 f.; weitere Angaben zum Streitstand bei Hermes, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), Einführung B Rn. 58. 245 Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 5. 246 Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 4. 247 Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 5. 90 aufgenommen werden soll (§ 9 a Abs. 1 S. 2 Nr. 7 AEG-E). Doch ist sehr zweifelhaft, ob dies ausreicht, um die vom Gemeinschaftsrecht geforderte organisatorische Unabhängigkeit von Eisenbahninfrastruktur- und Eisenbahnverkehrsunternehmen zu gewährleisten.248 In jedem Falle ergibt sich folgende Lage: Entweder sind die Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei Beibehaltung der Konzernstruktur der Deutschen Bahn AG nach einer Teilprivatisierung bei Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Trassenentgelten und bei der Zuweisung von Fahrwegkapazitäten nicht unabhängig von der Deutschen Bahn AG. Dann liegt ein Verstoß gegen das europäische Gemeinschaftsrecht vor, so dass es auf die verfassungsrechtliche Lage nicht mehr ankommt. Oder es ist eine Unabhängigkeit von dem Eisenbahnverkehrsunternehmen Deutsche Bahn AG bei der Trassenpreisfestsetzung und Trassenvergabe gegeben. Dann unterliegen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen insoweit keinerlei Einflussnahme, weil der wirtschaftliche Eigentümer Deutsche Bahn AG nicht Einfluss nehmen darf und der juristische Eigentümer Bund zwar nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht zur Einflussnahme berechtigt wäre, nach der „Sicherungsübertragung“ auf die Deutsche Bahn AG aber nicht Einfluss nehmen kann. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen wären somit insoweit frei schwebend. Dieser Zustand widerspricht der Verfassung, weil nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG die Möglichkeit einer Grobsteuerung gegeben sein muss. Im Übrigen sollte der Gesetzgeber auch bedenken, dass sich das europäische Gemeinschaftsrecht ändern kann. So erwägt die EG-Kommission für den Energiesektor, dem Europäischen Rat und Europäischen Parlament den Erlass von Sekundärrechtsbestimmungen zwecks vollständiger eigentumsrechtlicher Entflechtung von Netzbetreiber einerseits und Versorger und Erzeuger andererseits vorzuschlagen249 (was eine Auflösung der Konzernstrukturen zur Folge hätte). 248 Vgl. auch die Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 3 (S. 4), die kritisiert, dass die Weisungsunabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen anders als im Gesetzentwurf von Dezember 2006 nicht mehr in den Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes aufgenommen wurde. 249 Vgl. die Mitteilung der Kommission an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament, Eine Energiepolitik für Europa, 10.1.2007, KOM (2007) endg., Rn. 3. 1. 1. 91 b) Die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Deutsche Bahn AG Für die Einwirkung auf die Deutsche Bahn AG stehen dem Mehrheitsaktionär Bund nach einer Teilprivatisierung der Bahn nur die normalen aktienrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung.250 (1) Die Einflussnahmemöglichkeiten auf die Abstimmung in der Hauptversammlung Als Mehrheitsaktionär einer Gesellschaft kann der Bund die Beschlussfassung in der Hauptversammlung der Gesellschaft bestimmen und seinen Willen durchsetzen. Dies gilt allerdings nicht, wenn das Aktienrecht eine Dreiviertelmehrheit (des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals) vorsieht und der Bund weniger als drei Viertel des Kapitals hält. Für diesen Fall schreibt § 1 Abs. 2 DBPrivG-E vor, dass in der Satzung der Deutschen Bahn AG zu bestimmen ist, dass die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern, die von der Hauptversammlung gewählt worden sind, Beschlüsse über Satzungsänderungen mit Ausnahme der Änderung des Unternehmensgegenstandes sowie im Rahmen des aktienrechtlich Zulässigen Maßnahmen der Kapitalbeschaffung der einfachen Stimmenmehrheit und der einfachen Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedürfen. Da das Aktiengesetz Satzungsregelungen der vorgesehenen Art zulässt, der Gesetzgeber sogenannte Einzelfall- oder Maßnahmegesetze (die nur einen konkreten Fall zum Gegenstand haben) erlassen darf251 und Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG eine nähere Regelung durch Bundesgesetz ausdrücklich erlaubt, bestehen gegen die Gültigkeit des § 1 Abs. 2 DBPrivG-E keine Bedenken. (2) Die Einflussnahmemöglichkeiten auf die Besetzung des Aufsichtsrates und das Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat 250 Vgl. B. IV. 2. c). 251 Vgl. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Fn. 75), § 2 Rn. 35. 92 Große Bedeutung kommt der Besetzung des Aufsichtsrates der Deutschen Bahn AG zu. Wie ausgeführt252, kann ein Mehrheitsaktionär die Anteilseignerbank des Aufsichtsrates durch die Wahl von Vertrauenspersonen vollständig selbst bestimmen. In der Praxis ist dies aber gerade nicht die Regel, erst recht dann nicht, wenn das Stimmengewicht eines Minderheitsaktionärs oder mehrerer Minderheitsaktionäre dem Anteil des Mehrheitsaktionärs nahezu gleichkommt. Großinvestoren werden an einem Erwerb von Aktien nur Interesse haben, wenn sich dieser in einer Repräsentanz im Aufsichtsrat niederschlägt. Wird auch nur ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG von den privaten Aktionären der Bahn bestellt, verliert der Bund wegen des Eingreifens der Mitbestimmungsregelungen aber seine Mehrheit in diesem Gremium. Nach § 1 Abs. 3 DBPrivG-E sind Vereinbarungen, nach denen sich der Bund gegenüber Dritten dazu verpflichtet, bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Deutschen Bahn AG das Stimmrecht nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, unwirksam. Ferner ist ein satzungsmäßiges Recht, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, nur zulässig für Aktionäre, denen jederzeit eine Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund einer eigenen Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung der Deutschen Bahn AG möglich ist. Die genannten Regelungen machen Stimmbindungsverträge des Bundes zugunsten Dritter unzulässig und verhindern eine Entsendung von Mitgliedern in den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG gegen den Willen des Bundes. Sie garantieren aber nicht, dass der Bund von dem ihm zustehenden Recht zur alleinigen Bestellung der Anteilseignerbank Gebrauch macht. Tatsächlich strebt die Bundesregierung ein solches Gebrauchmachen nicht an. So hat sie auf die Kleine Anfrage „Wie ist es nach Auffassung der Bundesregierung möglich, der DB AG wirtschaftliches Eigentum an den EIU zu verschaffen und deren Bilanzierungsfähigkeit herzustellen, wenn der Bund – als nichtwirtschaftlicher Eigentümer – alle Mitglieder des Aufsichtsrates der DB AG bestimmt und bei mehreren wesentlichen Rechtsgeschäften einen Zustimmungsvorbehalt geltend machen kann?“ der Abgeordneten Hermann, Hofreiter, Hettlich, weiterer Abgeordneter 252 B. IV. 2. c). 93 und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen am 6. September 2007 geantwortet: „Der Bund kann auch nach der Teilprivatisierung nicht alle Mitglieder des Aufsichtsrates bestimmen. Die zehn Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden nach §§ 7 ff Mitbestimmungsgesetz von den Arbeitnehmern gewählt. Somit kann der Bund mit seiner die Hauptversammlung dominierenden Mehrheit nur die Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre bestimmen, soweit diese nicht ohnehin von ihm entsandt werden. Das bedeutet indes nicht, dass der Bund auch tatsächlich so verfährt. Dies widerspräche den üblichen Gepflogenheiten des Marktes, wonach die Anteileignerstruktur auch im Aufsichtsrat abgebildet werden sollte.“253 Nach der hier vertretenen Ansicht ist es verfassungsrechtlich geboten, dass der Bund die Anteilseignerbank der Deutschen Bahn AG allein bestellt, weil nur so hinreichend Einfluss auf die Steuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch die Deutsche Bahn AG genommen werden kann.254 Wenn § 1 Abs. 3 DBPrivG-E nur Stimmbindungsverträge des Bundes und bestimmte Entsendungsrechte Dritter ausschließt bzw. für ungültig erklärt, folgt daraus im Gegenschluss, dass die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder im Übrigen den Aktionären der Deutschen Bahn AG überlassen werden soll. Die dadurch zugleich ausgesprochene Freistellung des Bundes ist wegen der Rückwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar. Entnimmt man der gesetzlichen Regelung den hier angenommenen Rückschluss nicht, ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Zwar würde es dann für die Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn AG – von den in § 1 Abs. 2 und 3 DBPrivG-E normierten Fällen abgesehen – an einer gesetzlichen Regelung fehlen. Es ließe sich daher die Ansicht vertreten, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil der Bund von dem ihm als Mehrheitsaktionär zustehenden Recht zur Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn AG verfassungskonform Gebrauch machen kann und muss. Indessen verlangt Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG eine nähere Regelung durch Gesetz. Ist ein dem Maßstab des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG nicht ge253 Vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 6.9.2007 zu der Frage 38. 254 Vgl. B. IV. 3. 94 recht werdendes Verhalten des Bundes (Verzicht auf Bestellung sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre) nicht nur möglich, sondern bei Fehlen einer gesetzlichen Regelung überaus wahrscheinlich, muss der Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass dieser Fall nicht eintritt. Keinen Einfluss nehmen kann der Bund wiederum auf das Abstimmungsverhalten der Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn AG. Doch ist dies die vom Verfassungsrecht gebilligte normale Folge der Inanspruchnahme der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. (3) Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf den Vorstand der Deutschen Bahn AG Da einerseits der Vorstand einer Aktiengesellschaft unabhängig ist, andererseits der Abschluss eines Beherrschungsvertrages zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG nicht beabsichtigt ist und für den Fall der Steuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf die Deutsche Bahn AG widersprechen würde, bestehen keinerlei rechtliche Möglichkeiten des Bundes, die Entscheidung des Vorstandes der Deutschen Bahn AG zu beeinflussen. c) Die Nichtvergleichbarkeit einer materiellen Teilprivatisierung des die Eisenbahninfrastrukturunternehmen beherrschenden Unter- nehmens mit einer materiellen Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen Da Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG eine Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zulässt, solange die Mehrheit der Anteile dem Bund verbleibt, könnte die Auffassung vertreten werden, dass dann auch eine Teilprivatisierung der Holding-Gesellschaft Deutsche Bahn AG hingenommen werden muss. Jedoch lässt sich von der Zulässigkeit einer materiellen Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht auf die Zulässigkeit einer materiellen Teilprivatisierung eines die Eisenbahninfrastrukturun- 95 ternehmen beherrschenden Unternehmens schließen. In dreifacher Hinsicht unterscheidet sich der eine von dem anderen Fall grundlegend. Zunächst führt jede Einschaltung eines Mittlers notwendigerweise zu einem „Einflussknick“.255 Ein unmittelbarer Anteilseigner hat viel weitergehende Möglichkeiten als ein bloß mittelbarer. Dies gilt in verstärktem Maße, wenn ein unabhängiger Vorstand zwischengeschaltet wird, wie dies bei der Einfügung eines Unternehmens in einen aktienrechtlichen Konzern der Fall ist. Sodann mindert sich der Einfluss, wenn es durch den Zutritt des Mittlers zu einer Interessenverflechtung kommt. Werden Verkehrsnetz und Verkehrsbetrieb zusammengeführt, ist dies der Fall, wenn einerseits der Netzinhaber über ein natürliches Monopol verfügt, andererseits die Verwaltung des Netzes einem Verkehrsbetreiber übertragen wird, der im Wettbewerb mit anderen Verkehrsbetreibern steht. Ein alleiniger Netzinhaber muss ein Interesse daran haben, das Netz allen Wettbewerbern diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen. Das Interesse eines Wettbewerbers, der gleichzeitig das Netz verwaltet, ist aber nicht mit dem Interesse aller Wettbewerber identisch. Somit kann es zu einem Konfligieren der verschiedenen Interessen kommen. Gerade deshalb enthalten das europäische Gemeinschaftsrecht256 und das nationale Recht257 Regelungen, welche die Unabhängigkeit des öffentlichen Betreibers der Schienenwege garantieren sollen. Schließlich können sich die Interessenverflechtungen mit der Folge eines weiteren Einflussverlustes der Anteilseigner der Eisenbahninfrastrukturunternehmen verstärken, wenn private Kapitalgeber als Gesellschafter hinzutreten. Private Gesellschafter sind nicht dem Gemeinwohl verpflichtet, sondern streben nahezu immer (legitimerweise) eine hohe Rendite an. Es macht aber einen Unterschied aus, ob die Renditeerwartungen in einem Unternehmen mit der Zielsetzung „Bau, Unterhaltung und Betrieb von Schienenwegen“ oder in einem Eisenbahnverkehrsunternehmen verfolgt werden, das nur auch Eisenbahninfrastrukturunternehmen verwalten soll (vgl. auch bereits die Ausführungen zu A. II.). 255 Zum Begriff vgl. F. Wagener, Typen der verselbständigten Erfüllung öffentlicher Aufgaben, in: ders. (Hrsg.), Verselbständigung von Verwaltungsträgern, 1976, S. 40. 256 Vgl. Art. 4 Abs. 2, Art. 14 Abs. 2 RL 2001/14/EG. 257 Vgl. § 9 a AEG. 96 Blendet man die Lebenswirklichkeit nicht aus, werden private Anteilseigner des Verkehrsunternehmens „Deutsche Bahn AG“ in Wahrnehmung ihrer legitimen Interessen darauf drängen, „dass Investitionen weitest möglich in die von den DB-Gesellschaften selbst genutzten Netzteile gelenkt und die von Konkurrenten befahrenen Strecken tendenziell vernachlässigt werden“.258 Jede andere Verhaltenweise wäre unrealistisch. Zudem können sich die Synergieeffekte, mit denen die Notwendigkeit einer Verbindung von Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Deutscher Bahn AG begründet wurde, nur einstellen, wenn die Tätigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen dem Verkehrsunternehmen Deutsche Bahn AG auch wirklich zugute kommt. Wenn private Geldgeber wegen des wirtschaftlichen Eigentums der Deutschen Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen einen höheren Aktienkurs in Kauf genommen haben, werden sie – aus ihrer Sicht verständlich – Wert darauf legen, dass sich dies auszahlt. Dass ist aber nur der Fall, wenn sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf die profitablen, von der Deutschen Bahn AG betriebenen Strecken und Bahnhöfe konzentrieren. Seit der Bahnreform sind bis zum 31. Oktober 2001 bereits Strecken im Umfang von 4300 km stillgelegt worden (13 % des Netzes).259 Die Stilllegungen betrafen überwiegend den Schienenpersonennahverkehr.260 Im Schrifttum ist sogar davon gesprochen worden, dass für die Deutsche Bahn AG mit Milliardenaufwand eine hochmoderne und leistungsfähige Hochgeschwindigkeits-Infrastruktur geschaffen worden sei, während auf der anderen Seite „marode Nebenbahnen“ stehen, auf denen „auf Verschleiß“ gefahren werde.261 Es steht zu erwarten, dass diese Entwicklung im Falle einer Beteiligung privater Kapitalgeber vorangetrieben wird. Zwar bedarf die Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen nach § 11 AEG der Genehmigung der „zuständigen Aufsichtsbehörde“. Doch wird der Beitrag, den § 11 AEG zum Erhalt eines flächendeckenden Schienennetzes leisten kann, als sehr begrenzt eingeschätzt, insbesondere weil die Eisenbahninfrastrukturunternehmen 258 Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 3. 259 So Hermes/Schütz, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), § 11 Rn. 1; vgl. Berschin, DVBl. 2002, S. 1079 (1080 mit Fn. 10) zu einzelnen Beispielen. 260 Hermes/Schütz, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), § 11 Rn. 2. 261 Kühl, Übernahme von Schieneninfrastruktur der DB AG durch Dritte, 1999, S. 34 f. 97 nur zu zumutbaren Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen verpflichtet werden.262 Steigen die Renditeerwartungen, liegt des Weiteren eine stärkere Heraufsetzung der Preise für die Nutzung der Trassen und Stationen als in der Vergangenheit nahe. Dies gilt zumal dann, wenn die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel für die Erhaltung und den Ausbau der Schienenwege nicht ausreichen.263 Die von den Betreibern der Schienenwege für den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur erhobenen Entgelte müssen sich zwar an den Vorgaben des § 14 Abs. 4 und 5 AEG messen lassen und unterliegen behördlicher Kontrolle264 Doch beklagen die Länder, dass eine wirksame Preiskontrolle nicht gegeben ist. Sollte es zu höheren Gewinnen der (strukturell defizitären und auf Zuschüsse des Bundes angewiesenen) Eisenbahninfrastrukturunternehmen kommen265, müssten diese (wenn sie nicht in dem Unternehmen verbleiben sollen) wegen der Gewinnabführungspflicht266 an die Deutsche Bahn AG abgeführt werden. Sie könnten dann auch für den Verkehrsbereich genutzt werden, um die Deutsche Bahn AG im Wettbewerb zu stärken. Realisieren sich die Gefahren – wie zu erwarten ist –, hätte dies eine Beschränkung des Wettbewerbs zur Folge. Eine solche Beschränkung würde besonders die Länder hart treffen. Zum einen sind die Länder auf den Wettbewerbsdruck angewiesen, um ihre Kosten für den Personennahverkehr so niedrig wie möglich halten zu können. Zum anderen belasten hohe Netzentgelte überproportional den öffentlichen Personennahverkehr und damit die Länder, da diesen die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr obliegt.267 Nach Angaben der 262 Näher dazu Hermes/Schütz, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), § 11 Rn. 6 f. Vgl. auch A. II. 263 Dass dies der Fall ist, zeigen die Streckenstilllegungen in der Vergangenheit. 264 Vgl. §§ 14 e, f AEG. 265 Ausweislich des Zwischenberichts des DB Konzerns für das erste Halbjahr 2007 wurde auf dem Geschäftsfeld Netz eine deutliche Umsatzsteigerung (plus 147 Millionen Euro auf 294 Millionen Euro) erzielt. 266 Vgl. § 2 Abs. 3 BESG-E. 267 Vgl. § 1 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Fn. 31). 98 Länder werden 60 Prozent der Trassenentgelte und 90 Prozent der Stationsentgelte über die Bestellung von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr von den Ländern finanziert.268 Zwar erhalten die Länder für den öffentlichen Personennahverkehr Regionalisierungsmittel vom Bund.269 Doch ist gerade nicht gesichert, dass diese mit der Steigerung der Trassen- und Stationspreise Schritt halten. Gerade deshalb haben die Verkehrsminister der Länder einstimmig gefordert, dass eine Steigerung der Trassen- und Stationspreise zu Lasten des Nahverkehrs über die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel hinaus ausgeschlossen werden muss.270 Preissteigerungen können und werden häufig zur Folge haben, dass Verkehrsleistungen abbestellt werden müssen. Kommt es dementsprechend nicht zu einer hinreichenden Nachfrage, hat dies zur Folge, dass die Trassen und Stationen stillgelegt werden. Festzuhalten bleibt nach alledem, dass sich die mit einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG verbundene Minderung der Einflussnahmerechte des Bundes nicht damit rechtfertigen lässt, dass es auch bei einer Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu einer Minderung der Einflussnahmerechte des Bundes kommen würde. IV. Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG Das Grundgesetz enthält im Hinblick auf die Organisation der Eisenbahninfrastrukturunternehmen in zweifacher Hinsicht einen Gesetzesvorbehalt. Zum einen erfolgt die „Veräußerung“ von Anteilen des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 1 GG „aufgrund eines Gesetzes“. Zum anderen bestimmt Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG, dass das Nähere durch Bundesgesetz geregelt wird. Der zuletzt genannte Gesetzesvorbehalt hat 268 Vgl. zu den Angaben und Befürchtungen der Länder den Wirtschafts- und Verkehrsminister des Landes Hessen Rhiel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.2007, Nr. 174, S. 8. 269 Vgl. zu den (degressiven) Beträgen § 5 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Fn. 31). 270 Vgl. den Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 4. 99 eine doppelte Bedeutung. Zunächst bezieht er sich auf die Führung der Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen insgesamt (also auch auf die Umwandlung der Deutschen Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft). Sodann betrifft der Vorbehalt der näheren Regelung auch und gerade die Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Gemäß Art. 87 e Abs. 5 S. 1 GG bedürfen die Gesetze der Zustimmung des Bundesrates. Damit wird zugleich anerkannt, „dass jede Minderung der vollen Eigentümerstellung des Bundes die Interessen der Länder nachhaltig berühren kann“271 und die Zustimmungspflicht des Bundesrates auslöst. Ob der Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG hier zum Tragen kommt, könnte deshalb zweifelhaft sein, weil Anteile des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht veräußert werden sollen. Nach derzeit geltendem Recht ist die Deutsche Bahn AG Eigentümerin der DB Netz, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH, der Bund nur mittelbarer Eigentümer. Da gemäß § 1 BESG-E die Anteile der Deutschen Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf den Bund übergehen sollen, würde der Bund sogar die Stellung eines unmittelbaren Eigentümers erwerben. Doch hat der Bund nach dem Entwurf des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes gleichzeitig die Eigentümerrechte für einen langen Zeitraum (von im Regelfall mindestens achtzehn Jahren, aller Wahrscheinlichkeit nach aber für länger) dem teilprivatisierten wirtschaftlichen Eigentümer Deutsche Bahn AG zu überlassen. Damit würden – wie ausgeführt272 - mittelbar auch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen privatisiert. Berücksichtigt man, dass Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG als Ausgangspunkt die volle Eigentümerstellung des Bundes verfassungsrechtlich festschreibt, kann der Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 1 GG nur dahingehend verstanden werden, dass jede Minderung dieser Rechtsstellung von einer gesetzlichen Zulassung abhängen soll.273 Dementsprechend muss das Tatbestandsmerkmal „Veräußerung von Anteilen“ dem Zweck der Regelung entsprechend weit interpretiert werden. Hinzu kommt, dass alles Nähere 271 Vgl. Masing (Fn. 19), S. 39. 272 D. I. 273 Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 39. 100 einer Veränderung der Eigentumslage nach Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG ohnehin der Gesetzgeber bestimmen muss. Eine Übertragung der Ausübung der Gesellschafterrechte auf eine teilzuprivatisierende juristische Person ist daher einer Veräußerung der Gesellschafterrechte gleichzustellen. Somit greifen die Gesetzesvorbehalte des Art. 87 e Abs. 3 GG hier ein. Ob der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG genügt, ist umstritten. Nach Möllers ist dies der Fall, weil der Gesetzgeber nicht alle Einzelheiten zu regeln brauche.274 Demgegenüber vertritt Masing eine andere Auffassung. „Eine hinreichende gesetzliche Regelung für diese verdeckte Teilprivatisierung ist nicht ersichtlich. Insbesondere reicht das Deutsche-Bahn-Privatisierungsgesetz hierfür nicht: Dies ergibt sich schon daraus, dass es die tatsächliche Bedeutung einer künftigen Privatisierung der Deutschen Bahn AG für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen in keiner Weise offenlegt. Die politische Entscheidung, den wirtschaftlichen Wert auch der Infrastrukturunternehmen mitzuprivatisieren, ist nicht in bestimmter und rechtsklarer Form zum Ausdruck gebracht. Insoweit wird schon der Warnfunktion des Gesetzesvorbehalts des Art. 87 e III 3 GG nicht entsprochen. Vor allem aber regelt das Deutsche-Bahn-Privatisierungsgesetz auch in der Sache nicht, ob, wann und in welchem Umfang die Privatisierung ins Werk gesetzt werden soll. Es eröffnet lediglich die Erlaubnis zu einer Privatisierung, entscheidet aber noch nicht einmal verbindlich, dass überhaupt eine Privatisierung erfolgen muss. Schon gar nicht enthält das Gesetz Angaben über Zeitpunkt, Abfolge und Umfang der Privatisierung. Abgesehen von dem Mehrheitsvorbehalt, der nicht mehr als eine äußere Grenze ist, wird die gesamte Entscheidung über die Privatisierung in die Hände der Exekutive gelegt. Die Gesetzesbegründung macht deutlich, dass hierfür in flexibler Weise ‚das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung’ (Begründung zu Art. 1 § 2 DB PrivG, S. 12 der Begründung des Gesetzes zum EBNeuOG-E 2007) zuständig sein soll. Bezüglich der Eisenbahnverkehrsunternehmen, für deren Privatisierung keine spezifischer Gesetzesvorbehalt besteht, ist diese Regelung unbedenklich. Insoweit aber, als mit der Deutschen Bahn AG wirtschaftlich auch die Infrastrukturunternehmen mitprivatisiert werden, ist dieses unzulässig: In 274 Möllers, in Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 34. 101 bezug auf sie soll die Privatisierungsentscheidung gerade nicht flexibel in Ministerhand gelegt werden, sondern müssen die Grundentscheidungen auf das Gesetz selbst zurückgehen. Eine diskretionäre Entscheidung der Exekutive schließt Art. 87 e III 3 GG aus. Indem die Entscheidung über das „Ob“ und die Umstände der Privatisierung in die Hände der Exekutive gelegt werden, werden nicht nur die parlamentarische Minderheit, sondern insbesondere auch die Länder von diesen Entscheidungen ausgeschlossen. Während Art. 87 e Abs. 5 GG ihnen mit dem Zustimmungsrecht ein substantielles Mitsprache- und Vetorecht einräumt, wird ihnen in Folge des Zusammenwirkens von §§ 1, 2 DBPrivG-E und §§ 1 II, 2 ff. BESG-E jede Mitwirkung an der faktischen Privatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen abgeschnitten. Mit der ministeriellen Entscheidung über die Privatisierung der Deutschen Bahn AG wird ihnen der Sache nach auch die Privatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen untergeschoben.“275 Zur Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts im vorliegenden Fall ist zwischen dem „Ob“, dem „Wie“, dem „Wie viel“ und dem „Wann“ einer Privatisierung der Deutschen Bahn AG (und damit mittelbar auch der Eisenbahninfrastrukturunternehmen) zu unterscheiden. Wenn § 2 DBPrivG-E normiert, dass das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Umfang und Zeitabfolge der Privatisierung bestimmt, so ergibt sich daraus, dass die Deutsche Bundesbahn AG privatisiert werden soll. Deshalb liegt über das „Ob“ der Privatisierung eine ausreichende gesetzliche Regelung vor. Keine Regelung enthält der Entwurf des Gesetzes über die teilweise Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG über das „Wie“ der Privatisierung. Auch der Vorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG („Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt“) gebietet nicht, dass der Gesetzgeber alle Regelungen abschließend selbst trifft. Nur die wesentlichen Privatisierungsentscheidungen muss der Gesetzgeber selbst verantworten. Wie dargelegt,276 wird derzeit kontrovers darüber diskutiert, ob die Aktien der Deutschen Bahn AG über die Börse veräußert 275 Masing (Fn. 19), S. 40 f. 276 Vgl. A. I. 1 c) (2). 102 oder Privatinvestoren angeboten werden sollen. Entscheidet man sich für eine Veräußerung über die Börse, kommt eine Ausgabe normaler Aktien277, von vinkulierten Namensaktien278 und von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht279 in Betracht. Auch die beiden zuletzt genannten Varianten werden laut Presseberichten jedenfalls von Bundestagsabgeordneten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erwogen.280 Namensaktien zeichnen sich dadurch aus, dass das Unternehmen einem Eigentümerwechsel widersprechen kann.281 Ausschließlich profitorientierte institutionelle Großaktionäre könnten so abgewehrt werden. Das Aktienrecht lässt ferner eine Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht zu. Das Stimmrecht kann aber nur ausgeschlossen werden, wenn die Aktien mit einem nachzuzahlenden Dividendenvorzug ausgestattet sind.282 Es macht zwar durchaus einen erheblichen Unterschied aus, ob sich die Aktien der Deutschen Bahn AG im Streubesitz befinden oder ob neben dem Bund unter Umständen nur noch ein Privatinvestor (möglicherweise sogar zu 49,9 %) beteiligt ist. Doch erscheint eine vorherige gesetzliche Festlegung insoweit nicht zwingend erforderlich, auch weil dem Bund „ein flexibles Handeln unter Berücksichtigung der Marktgegebenheiten“ bei der Ausgabe der Aktien zugestanden werden muss.283 Dagegen macht es einen fundamentalen Unterschied aus, ob normale Aktien respektive vinkulierte Namensaktien oder Vorzugsaktien ohne Stimmrecht284 ausgegeben werden. Gehören zu den privaten Anteilseignern der Deutschen Bahn AG nur Aktionäre ohne Stimmrecht, stellt sich die Machtverteilung im Unternehmen völlig anders da als bei einer Beteiligung von Privaten, die Einfluss auf die Unternehmenssteuerung nehmen können.285 Diese grundlegende Weichenstellung muss der Gesetzgeber selbst treffen und darf die Entscheidung 277 Das heißt von Aktien i. S. d. § 12 Abs. 1 S. 1 AktG. 278 Vgl. § 10 Abs. 1 AktG. 279 Vgl. § 12 Abs. 1 S. 2 AktG. 280 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.8.2007, Nr. 194, S. 9. 281 Vgl. Fn. 23. 282 Vgl. § 139 Abs. 1 AktG. 283 Vgl. auch Gesetzesbegründung, S. 52. 284 Vgl. § 12 Abs. 1 S. 2, 139 ff. AktG. 285 Vgl. B. IV. 2. c). 103 nicht dem Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung überlassen. Im Hinblick auf das „Wie viel“ einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG bestimmt § 1 Abs. 1 DBPrivG-E nur, dass die Mehrheit der Anteile beim Bund verbleiben muss. Der Mehrheitsvorbehalt gibt nur eine äußerste, sich im Falle eines integrierten Verbundes von Verkehrsunternehmen und Infrastrukturunternehmen ohnehin aus Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 2 GG ergebende Grenze vor, die in jedem Falle eingehalten werden muss, präjudiziert aber im Übrigen in keiner Weise die Entscheidung des Bundesministeriums für Finanzen und des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Da die Privatisierungsquote für die Machtverteilung in der Deutschen Bahn AG grundsätzliche Bedeutung hat, darf die Entscheidung über den Umfang einer Beteiligung Privater – von einer Minimalbeteiligung bis zur Höhe von 49,9 Prozent – nicht allein der Exekutive anvertraut werden. Der Gesetzgeber muss vielmehr festlegen, bis zu welcher Beteiligungsquote die Privatisierung angestrebt werden soll. Auch dann erhalten die genannten Ministerien genügend Freiraum, um sich wirtschaftlich verhalten zu können. Wird etwa durch Gesetz vorgegeben, dass bis zu 25 % der Aktien veräußert werden sollen, zwingt dies nicht das Bundesministerium für Finanzen sofort tätig zu werden oder alle Aktien auf einmal anzubieten. Vielmehr darf abgewartet werden, bis sich ein angemessener Veräußerungserlös erzielen lässt. Als zulässig anzusehen ist auch eine gesetzliche Bestimmung, nach der bis zu 49,9 Prozent Dritte an der Deutschen Bahn AG beteiligt werden sollen. Der Unterschied zu der vorgesehenen Regelung des § 1 Abs. 1 DBPrivG-E besteht darin, dass dem Bundesministerium der Finanzen dann ein Handlungsauftrag erteilt wird, Aktien in diesem Umfang zu veräußern, wenn die Marktgegebenheiten dies hergeben. Nicht geregelt wird in dem Gesetz über die teilweise Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG des Weiteren das „Wann“ einer Privatisierung, also der Zeitpunkt einer Veräußerung der Anteile. Doch ergibt sich aus dem Gesetzentwurf mit hinreichender Deutlichkeit, dass baldmöglichst eine Privatisierung angestrebt werden soll (das heißt, wenn sich ein angemessener Aktienkurs errei- 104 chen lässt). Einer weitergehenden gesetzlichen Programmierung bedarf es nicht. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes in verschiedener Hinsicht den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 1 und S. 4 GG nicht gerecht wird. V. Ergebnis und Resümee 1. Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes verfolgt das Ziel, das juristische und wirtschaftliche Eigentum zu trennen. Der Versuch, die verfassungsrechtlichen und die wirtschaftlichen Zielsetzungen in Einklang zu bringen, kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Behält der Bund nicht die erforderlichen Einflussrechte, wird Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verletzt. Erhalten die privaten Anleger nicht das versprochene wirtschaftliche Eigentum, werden ihre grundrechtlich geschützten Interessen verletzt. 2. Die Dauer der Sicherungsübertragung und die Wertausgleichspflicht des Bundes im Falle einer Beendigung der Sicherungsübertragung haben prohibitive Wirkung und erlauben dem Bund entgegen Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht, den Vermögenswert seines Anteilseigentums durch Wiederzusammenführung von wirtschaftlichem und juristischem Eigentum in vollem Umfange nutzen zu können. 3. Die Übertragung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vom Bund auf die Deutsche Bahn AG respektive den Vorstand der Deutschen Bahn AG stellt nach Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG eine unzulässige materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt dar. 105 4. Bei der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind der Bund und der Vorstand der Deutschen Bahn AG auf eine Einigung angewiesen, so dass der Bund seinen Willen nicht einseitig durchsetzen kann. 5. Die dem Bund nach § 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes eingeräumten Zustimmungsvorbehalte beziehen sich nur auf Ausnahmetatbestände. Auch die Zustimmungsvorbehalte des § 2 Abs. 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes vermögen die Einflussrechte des Bundes nicht aufzuwiegen. 6. Das zulässige Ausmaß einer Unternehmenssteuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch die Deutsche Bahn AG wird hinsichtlich der Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Wegeentgelten sowie der Zuweisung von Fahrwegekapazitäten durch das europäische Gemeinschaftsrecht bestimmt. Wird die Unabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht gewährleistet, wird europäisches Gemeinschaftsrecht verletzt. Sollte eine Unabhängigkeit gegeben sein, kann bei der Trassenvergabe und Trassenpreisfestsetzung weder von dem wirtschaftlichen Eigentümer Deutsche Bahn AG noch von dem juristischen Eigentümer Bund Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen genommen werden. Dies ist mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar. 7. Die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Deutsche Bahn AG in ihrer Eigenschaft als wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen zurück, weil nicht sichergestellt ist, dass der Bund von seinem Recht zur alleinigen Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre Gebrauch macht, aller Wahrscheinlichkeit nach die privaten Aktionäre im Aufsichtsrat vertreten sein werden und die Vertrauenspersonen des Bundes im Aufsichtsrat wegen des Eingreifens der unternehmerischen Mitbestimmung ihre Mehrheit im Aufsichtsrat verlieren, wenn 106 auch nur ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG von den privaten Anteilseigner bestellt wird. 8. Die materielle Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG lässt sich nicht mit der vom Grundgesetz akzeptierten materiellen Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vergleichen. Bei einer materiellen Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die privaten Anteilseigner der Deutschen Bahn AG darauf dringen werden, die Infrastrukturinvestitionen in die von der Deutschen Bahn AG selber genutzten Netzteile zu lenken und die Trassen- und Stationspreise anzuheben. Dies hätte für den Schienenpersonennahverkehr und damit für die hierfür verantwortlichen Länder erhebliche nachteilige Wirkungen. 9. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes ist mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG insofern nicht vereinbar, als Regelungen über die Art und das anzustrebende Ausmaß einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG fehlen. 10. Insgesamt ist aus dem Befund der Schluss zu ziehen, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes den Maßstäben des Art. 87 e Abs. 2 S. 2 und 3 GG nicht genügt. 107 E. Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit der Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG Wie ausgeführt286, kann der Bund seiner sich aus Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG ergebenden Gewährleistungsverpflichtung im Hinblick auf den Ausbau und Erhalt des Schienennetzes durch unternehmensinterne oder externe Einflussnahmen auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nachkommen, wobei jedoch externe Steuerungsmöglichkeiten das Fehlen der verfassungsrechtlich gebotenen unternehmensinternen Ingerenzrechte nicht auszugleichen vermögen. Hinsichtlich der Beurteilung der unternehmensinternen Ingerenzrechte des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.287 Zu klären bleibt, ob die externen Ingerenzbefugnisse des Bundes für sich genommen ausreichen, um insoweit den Auftrag des Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG zu erfüllen, und ob die gesetzlichen Regelungen dem Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG gerecht werden. Nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes soll der Bund auf externem Wege im Wesentlichen nach Maßgabe des neuen Bundesschienenwegegesetzes (I.) sowie des geänderten Allgemeinen Eisenbahnengesetzes Einfluss nehmen (II.). Deshalb ist darauf zunächst einzugehen, bevor zum Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG (III.) Stellung genommen werden kann. Eine Feststellung des Ergebnisses schließt die Ausführung ab (IV.). I. Die Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach dem Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes Der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes differenziert zwischen der Erhaltung der Schienenwege (1.) und dem Ausbau der Schienenwege (2.). Ei286 C. II. 1. 287 Vgl. die Ausführungen zu D. 108 ner gesonderten Betrachtung bedarf die Bestimmung des § 21 BSEAG-E über den Nahverkehr (3.). 1. Die Einwirkungsbefugnisse zur Erhaltung der Schienenwege a) Die Regelung des Gesetzentwurfs Nach § 3 Abs. 1 BSEAG-E haben die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes ihre Schienenwege in einem nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 BSEAG-E festgelegten Zustand (betriebsbereiter Zustand288) zu erhalten. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 BSEAG-E schreibt die Festlegung der maßgeblichen Parameter des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege vor und nennt insbesondere den zulässigen theoretischen Fahrzeitverlust im gesamten Netz und „weitere technische Qualitätsparameter“ im Hinblick auf die zu erzielende Qualität der Schienenwege. Dafür übernimmt der Bund die Kosten der notwendigen Maßnahmen und gewährt den Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine Unterstützung von bis zu 2,5 Milliarden Euro jährlich (§ 3 Abs. 2 BSEAG-E). Zur Bestimmung des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege und der finanziellen Leistungen des Bundes und der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes zur Erlangung und Aufrechterhaltung des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege sollen das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und das Bundesministerium der Finanzen einerseits sowie gemeinsam die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes andererseits eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung abschließen (§ 4 Abs. 1 S. 1 BSEAG-E). Der Gesetzentwurf regelt zugleich, welche Bestimmungen die Vereinbarung jedenfalls enthalten muss (§ 4 Abs. 1 S. 2 BSEAG-E). Nach der Gesetzesbegründung soll die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung eine umfassende Eigenverant288 Kritisch hierzu die Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 1 (S. 3) (der erste Referentenentwurf sah noch die Formulierung ein „uneingeschränkt nutzbarer Zustand“ vor; ein „betriebsbereiter Zustand“ ein „erfordert qualitativ weniger und ist unzureichend. Abzustellen wäre auf den Soll-Zustand des Netzes, der regional gegliedert und streckengenau festgehalten werden muss. Maßstab für den Sollzustand des Netzes/der Strecken sollte grundsätzlich das Verzeichnis zulässiger Geschwindigkeiten zu einem bestimmten Stichtag sein, wobei die Möglichkeit einer Bereinigung um bereits eingearbeitete mangelbedingte Langsamfahrstellen zu prüfen ist. Nach Ausbaumaßnahmen ist der Sollzustand entsprechend zu aktualisieren.“) 109 wortlichkeit der die finanzielle Unterstützung erhaltenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen begründen. Damit soll zugleich von dem bisherigen, auf Einzelmaßnahmen bezogenen Einsatz der Bundesmittel und dessen Kontrolle abgerückt werden.289 Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich bei der Leistungsund Finanzierungsvereinbarung um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (§ 4 Abs. 1 S. 1 BSEAG-E). Kommt eine Einigung über die Vereinbarung nicht zustande, kann das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen die erforderlichen „Anordnungen“ treffen (§ 4 Abs. 3 S. 1 BSEAG-E), also sich der Handlungsform des Verwaltungsaktes bedienen.290 Dabei sind das Interesse des Bundes an der Erhaltung eines leistungsfähigen Schienenwegenetzes und die wirtschaftlichen Interessen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes hinreichend zu berücksichtigen (§ 4 Abs. 3 S. 2 BSEAG-E). Die Geltungsdauer der ersten abzuschließenden Vereinbarung soll fünfzehn Jahre betragen (§ 5 Abs. 1 BSEAG-E). Um die Eisenbahninfrastrukturunternehmen kontrollieren zu können, normiert der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes Infrastrukturzustands- und -entwicklungsberichtspflichten der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (§ 6 BSEAG-E) sowie Untersuchungsbefugnisse des Bundes (§ 7 BSEAG-E). Ferner werden dem Bund im Falle von Pflichtverletzungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen Rückforderungs- und Schadensersatzansprüche eingeräumt (§§ 8, 9, 11 BSEAG-E). b) Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Im Wesentlichen soll die Erhaltung der Schienenwege künftig durch den Abschluss einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sichergestellt werden. Ob die Höhe der vom Bund bereitgestellten Mittel (bis zu 2,5 Milliarden Euro) derzeit ausreicht, vermag der Unterzeichner nicht zu beurteilen. In fünfzehn Jahren kann sich die Lage jedenfalls völlig anders darstellen. Daher bedarf es 289 Gesetzesbegründung, S. 66. 290 Vgl. auch § 4 Abs. 5 BSEAG-E (Anfechtungsklage). 110 einer Dynamisierungsklausel, die an den Netzumfang zu koppeln ist291 (da sich der Finanzbedarf verringert, wenn Strecken und Stationen stillgelegt werden). Auf Kritik gestoßen ist die lange Laufzeit der ersten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung.292 Die Zeit von fünfzehn Jahren sei mit Blick auf die permanenten verfassungsrechtlichen Pflichten des Bundes, den Bestand des Schienenetzes wirksam zu überwachen, ein deutlich zu langer Zeitraum und bedürfe daher der „verfassungskonformen Beschränkung“.293 Zumindest müsse es Nachsteuerungsmöglichkeiten im Sinne von Anpassungsrechten294 oder Kündigungsrechte295 geben. Der Bund kann seinem Infrastrukturauftrag nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG nur nachkommen, wenn er in der Lage ist, auf geänderte Verhältnisse beim Bau der Schienenwege zu reagieren und Pflichtverletzungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen abzustellen. Nur dann kann auch der Abschluss einer Vereinbarung über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren hingenommen werden. Somit muss der Bund über adäquate Anpassungs- und Kündigungsrechte verfügen. Nach § 4 Abs. 2 S. 1 BSEAG-E ist die erste Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung nach einem Jahr Laufzeit von den Vertragsparteien binnen sechs Monaten zu überprüfen, um festzustellen, ob mit der abgeschlossenen Vereinbarung die Erlangung und die Aufrechterhaltung des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege erreicht werden kann. Wird ein Änderungsbedarf festgestellt, ist die Vereinbarung unverzüglich entsprechend anzupassen. Die Möglichkeit späterer Änderungen der Vereinbarung bleibt unberührt. Nach dem Ge- 291 Vgl. auch Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr.1; Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 1 (S. 3). 292 Vgl. Möllers, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 33 f.; Masing (Fn. 19), S. 46; Fehling, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages, Protokoll (Fn. 17), S. 15. 293 Möllers, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 33 f. 294 Fehling, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages, Protokoll (Fn. 17), S. 15. 295 Möllers, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 32 ff.; Masing (Fn. 19), S. 46. 111 setzentwurf müssen beide Vertragsparteien feststellen, dass ein Änderungsbedarf besteht. Dementsprechend spricht die Gesetzesbegründung auch nur von einvernehmlicher Anpassung.296 Dies reicht indessen nicht aus. Wenn ein Änderungsbedarf objektiv feststeht, weil mit der abgeschlossenen Vereinbarung die Erlangung und die Aufrechterhaltung des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege nicht erreicht werden kann, muss der Bund in der Lage sein, auch einseitig Anpassung verlangen und durchsetzen zu können. Anpassungsvorbehalte könnten zwar zum Inhalt der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gemacht werden. Doch bedürfte es dafür wieder eines einvernehmlichen Zusammenwirkens. § 4 Abs. 2 BSEAG-E dürfte auch eine abschließende Regelung enthalten, so dass ein Rückgriff auf die gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG nur subsidiär geltende Vorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG nicht in Betracht kommt. Im Übrigen kann nach § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG eine Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhalts ohnehin nur verlangen, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert haben, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist. Dies ist für die Wahrnehmung des Gewährleistungsauftrags des Bundes aber zu eng, weil ein Änderungsbedarf auch dann besteht, wenn sich zwar nicht die Verhältnisse ändern, sich aber herausstellt, dass sich auf dem vorgesehenen Wege ein betriebsbereiter Zustand der Schienenwege nicht erreichen lässt. Demgemäß genügt § 4 Abs. 2 BSEAG-E insoweit nicht den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG. Ein Kündigungsrecht normiert der Entwurf des Bundesschienenwegegesetzes nicht. Allerdings endet die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gemäß § 5 Abs. 2 BSEAG-E unabhängig von der vereinbarten Geltungsdauer mit Beendigung der „Sicherungsübertragung“. Gemäß § 6 BESG-E endet die „Sicherungsübertragung“ außer in den in § 5 BESG-E genannten Fällen „1. wenn der Bund die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund der nach § 4 des Bundesschienenwegegesetzes abzuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung erklärt, 296 Gesetzesbegründung, S. 71. 112 2. wenn die wiederholte Pflichtverletzung nach § 10 des Bundesschienenwegegesetzes rechtskräftig festgestellt ist.“ Nach der Gesetzesbegründung soll ein wichtiger Grund „insbesondere“ vorliegen, wenn eines der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zahlungsunfähig wird, überschuldet im Sinne von § 19 InsO ist, die Zahlungsunfähigkeit droht, schwerwiegende Verstöße der Deutschen Bahn AG oder eines Eisenbahninfrastrukturunternehmen gegen die Vorschriften des Bundeseisenbahnstrukturgesetzes zu verzeichnen sind oder sich wesentliche Änderungen der europarechtlichen Rahmenbedingungen ergeben. Ein wichtiger Grund dürfte ferner gegeben sein, wenn es gilt, schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.297 Auch wenn es nahe gelegen hätte, ein Kündigungsrecht in dem Gesetz zu verankern, das sich mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung befasst, ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 BESG-E mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Vorschrift ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund normiert und nicht nur voraussetzt.298 Eine wiederholte Pflichtverletzung nach § 10 BSEAG-E liegt vor, wenn die Eisenbahninfrastrukturunternehmen die in § 8 Abs. 4 BSEAG-E genannten Ziele wiederholt nicht erreichen und dies zu vertreten haben. Relevant sind nach § 8 Abs. 4 BSEAG-E Verfehlungen der vorgegebenen Ziele bei „1. theoretischem Fahrverlust, 2. Qualitätskennzahlen für die Netzqualität, 3. festgelegtem Mindestinstandhaltungsbeitrag der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes oder 4. zu erbringendem Mindestersatzinvestitionsumfang.“ Nach § 10 BSEAG-E kann der Bund dann Feststellungsklage erheben (über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet299). Mit Rechtskraft des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts endet die bestehende Leistungs- und Finanzie- 297 Vgl. § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG. 298 Vgl. demgegenüber aber Masing (Fn. 19), S. 46, der die Auffassung vertritt, dass für die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen keine Kündigungsrechte vorgesehen seien. 299 Vgl. Art. 9 des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes. 113 rungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen und damit zugleich die „Sicherungsübertragung“ zwischen dem Bund der Deutschen Bahn AG. Die Vorschriften der §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 BESG-E, 10 BSEAG-E i. V. m. § 8 Abs. 4 BSEAG-E sind undifferenziert geraten. Unklar bleibt zum Beispiel, ob die Verfehlung eines der in § 8 Abs. 4 BSEAG-E genannten Ziele ausreicht (oder mehrere oder gar alle Ziele verfehlt werden müssen), die wiederholte Pflichtverletzung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens genügt (um die mit allen Eisenbahninfrastrukturunternehmen abgeschlossene Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zum Wegfall zu bringen) und sich die Qualitätskennzahlen auf das Netz insgesamt beziehen müssen (oder ob zwischen Fern- und Nahverkehrsstrecken 300, Schienen und Bahnhöfen respektive regionalen Untergliederungen zu unterscheiden ist). Da der Gesetzgeber nach Art. 87 e Abs. 1 S. 2 GG nähere Regelungen zu treffen hat (D. III.), reichen die vorgesehenen gesetzlichen Bestimmungen nicht aus. Ferner wird die Verknüpfung einer vorzeitigen Beendigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit einer vorzeitigen Beendigung der „Sicherungsübertragung“ den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Der Verknüpfung liegt ein Alles-oder-NichtsPrinzip zugrunde, weil die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung nur vorzeitig beendet wird, wenn die Integration von Netz- und Verkehrsbetrieb insgesamt wegfällt. Der Ausschluss einer Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung301 führt entweder dazu, dass der Bund auf partielle Pflichtverstöße nicht angemessen reagieren kann oder er das die Deutsche Bahn AG schützende Übermaßverbot verletzt, weil er nur die völlige Trennung von Netzund Verkehrsbetrieben als Sanktion zulässt. Deshalb ist eine an präzise gesetzliche Voraussetzungen gebundene Teilkündigung zuzulassen. 300 Vgl. auch die Ausführungen zu E. I. 3. 301 Zur Notwendigkeit des Inbetrachtziehens einer Teilkündigung vgl. Beschluss der SonderVerkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 2; Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 3 (S. 4). 114 c) Weitere Regelungsdefizite Auch wenn nicht grundsätzlich zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber die in Betracht kommenden Maßnahmen zur Erlangung und Aufrechterhaltung des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege in weitem Ausmaße einer Vereinbarung überlassen will, ist nicht zweifelsfrei, ob es auch im Übrigen weitergehender gesetzlicher Regelungen bedarf. Zu denken ist etwa an die Festsetzung eines Eigenmittelanteils der Eisenbahninfrastrukturunternehmen302 oder präzisere Qualitätsparameter, als sie die §§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6 Abs. 2 Nr. 4 vorsehen303, auch für Stationen und Serviceeinrichtungen304. In jedem Falle erscheint es notwendig, eine gesetzliche Regelung darüber zu treffen, wem die Erlöse im Falle einer Veräußerung nicht betriebsnotwendiger Immobilien zustehen und wie die Erlöse gegebenenfalls verwertet werden sollen.305 Der Grundstückwert des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes dürfte im dreistelligen Milliardenbereich anzusiedeln sein. Daher muss der Gesetzgeber im Fall einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG festlegen, wem gegebenenfalls anfallende Veräußerungserlöse zustehen sollen. 2. Die Einwirkungsbefugnisse zum Ausbau der Schienenwege Die Regelungen des Entwurfs eines Bundesschienenwegegesetzes entsprechen im Wesentlichen denjenigen des derzeit geltenden Bundesschienenwegeausbaugesetzes. Gemäß § 12 Abs. 1 BSEAG-E sollen die Schienenwege der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes nach dem Bedarfsplan für die Bundesschienenwege ausgebaut werden. Der Bund finanziert die Maßnahmen zum Ausbau der Schienenwege im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel grundsätzlich allein (§ 19 S. 1 BSEAG-E). Etwas anderes gilt 302 Vgl. Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 8 ( S. 7). 303 Vgl. Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 9 (S. 8). 304 Vgl. Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 6. 305 Vgl. auch die Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 2 (S. 3). 115 nach § 19 S. 2 BSEAG-E, wenn der Ausbau der Schienenwege auf Antrag eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens des Bundes in den Bedarfsplan aufgenommen wurde und die Baumaßnahme im unternehmerischen Interesse des Eisenbahninfrastrukturunternehmens liegt. In diesem Falle kann in der nach § 20 BSEAG-E abzuschließenden Vereinbarung auch festgelegt werden, dass sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes an der Finanzierung beteiligen (§ 19 S. 2 BSEAG-E). Nähere Vorgaben für die Finanzierungsvereinbarungen und Baudurchführungen sind in § 20 BSEAG-E normiert worden. Ferner begründet § 22 BSEAG-E unter den dort genannten Voraussetzungen einen Rückzahlungsanspruch des Bundes. Nicht geregelt wurde dagegen, wie zu verfahren ist, wenn sich Eisenbahninfrastrukturunternehmen entweder weigern eine Finanzierungsvereinbarung abzuschließen oder wenn sie unzumutbare Bedingungen für den Abschluss einer solchen Vereinbarung stellen. Nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG muss der Bund auch den Ausbau des Schienennetzes gewährleisten. Daher genügt der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes insoweit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Der Gesetzgeber muss für den Fall, dass es nicht zu einer Einigung über die Finanzierungsvereinbarung zum Ausbau der Schienenwege kommt, entweder einen Kontrahierungszwang, die Möglichkeit eines Handelns der Bundesverwaltung durch Verwaltungsakt entsprechend § 4 Abs. 3 BSEAGE oder die Ausschreibung der Ausbaumaßnahmen306 vorschreiben. 3. Die vorgesehene Regelung für den Nahverkehr Von den Mitteln, die der Bund für die Erhaltung sowie den Ausbau der Schienenwege der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes zur Verfügung stellt, sind gemäß § 21 BSEAG-E zwanzig vom Hundert für Maßnahmen im Schienenwege der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes, die dem Schienenpersonennahverkehr dienen, zu verwenden. Gemäß Satz 2 der Bestimmung stimmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes diese 306 Vgl. Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 3 (S. 4). 116 Maßnahmen mit dem jeweiligen Land ab. Die gesetzlichen Regelungen sind zu unpräzise geraten. Da die Deutsche Bahn AG vor allem den Fernverkehr betreibt und somit eine Gefahr besteht, dass die in den Konzern der Deutschen Bahn AG eingegliederten Eisenbahninfrastrukturunternehmen den Nahverkehr vernachlässigen, müssen die gesetzlichen Bestimmungen sicherstellen, dass der Ausbau und der Erhalt der Nahverkehrsstrecken und der Nahverkehrsstationen angemessen berücksichtigt werden. In weitem Umfange werden die Eisenbahnstrecken aber sowohl für den Fern- als auch für den Nahverkehr benutzt. Wenn § 20 S. 1 BSEAG-E davon spricht, dass zwanzig vom Hundert der vom Bund für den Ausbau und den Erhalt der zur Verfügung gestellten Mittel für Maßnahmen zur Verfügung zu stellen sind, „die dem Schienenpersonennahverkehr dienen“, bleibt offen, wie viele Mittel den reinen Nahverkehrsprojekten zugute kommen sollen. Wie bereits ausgeführt wurde307, bezieht sich § 4 Abs. 1 S. 2 (ebenso wie die §§ 6 Abs. 2 und 8 Abs. 4) BSEAG-E nur auf die Strecken insgesamt, ohne Untergliederung zwischen Nah- und Fernverkehr. Damit bleibt von Gesetzes wegen ungeregelt, welche Qualitätsparameter und Bewirtschaftungspflichten gerade für den Nahverkehrsbereich gelten sollen. Ferner erscheint es erforderlich, eine regionale Untergliederung des Infrastrukturzustands- und -entwicklungsberichts insbesondere im Hinblick auf den Netzzustandsbericht (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 7, 8 BSEAG-E) vorzusehen.308 Zwar müssen die Mittel des Bundes nicht strikt nach starren Länderquoten vergeben werden.309 Da sich der Infrastrukturauftrag des Bundes aber auf das Gebiet aller Länder bezieht, ist auf eine ausgewogene regionale Verteilung zu achten. Dies setzt eine Beteiligung der Länder voraus.310 Ob dem die in § 21 S. 2 BSEAG-E vorgesehene Abstimmung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen mit dem jeweiligen Land gerecht wird, ist zweifelhaft, weil die Vorschriften mehr die technische Umsetzung im Blick hat. Auch der die Gegenstände des Bedarfsplans 307 Fn. 288. 308 Vgl. auch Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 2; Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 1 (S. 2). 309 Vgl. demgegenüber aber Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 2. 310 Vgl. auch Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 1. 117 regelnde, sowohl den Nah- als auch den Fernverkehr erwähnende § 14 BSEAG-E schreibt eine regionale Untergliederung nicht ausdrücklich vor. Ferner fehlt dem Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes eine Sanktionsregelung speziell für den Fall der Unterschreitung des insgesamt für den Nahverkehr einzusetzenden Anteils oder für den Fall eines von den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu verantwortenden Instandhaltungsrückstaus.311 Gerade insoweit bietet sich eine Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung an.312 Schließlich erwähnt Art. 87 e Abs. 5 S. 2 GG zwar den Fall der Übertragung von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes an Dritte. Der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes geht hierauf aber nicht weiter ein. Da einer Bewirtschaftung von Teilnetzen durch Dritte gerade im Regionalbereich erhebliche Bedeutung zukommt, ist eine gesetzliche Regelung erforderlich, ob und unter welchen Umständen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll.313 Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass die gesetzlichen Regelungen für den Nahverkehr nicht ausreichen. II. Die Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach dem novellierten Allgemeinen Eisenbahngesetz Wie sich aus § 1 Abs. 1 des geltenden Allgemeinen Eisenbahngesetzes ergibt, verfolgt dieses Gesetz eine vierfache Zielsetzung. Zunächst dient es der Gewährleistung eines sicheren Betriebs der Eisenbahn (1.), und eines attraktiven Verkehrsangebots auf der Schiene (2.) sowie der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs auf der Schiene bei dem Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen und dem Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen (3.). Ferner dient das Gesetz der Umsetzung oder Durchführung von Rechtsak311 Dies ist von der Verkehrsministerkonferenz (Beschluss der SonderVerkehrsministerkonferenz, Fn. 41, Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 2) und den obersten Verkehrsbehörden der Länder (Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörde der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS, Fn. 201, S. 1) zu Recht kritisiert worden. 312 Vgl. bereits E. I. 1. b). 313 Vgl. auch den Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 3. 118 ten der Europäischen Gemeinschaften im Bereich des Eisenbahnrechts (4.). Das Allgemeine Eisenbahngesetz betrifft somit nicht nur Eisenbahninfrastrukturunternehmen, sondern auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes enthält dreizehn Änderungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes.314 Diese betreffen zumeist Klarstellungen, geänderte Behördenzuständigkeiten und Detailfragen. Teilweise werden die Eisenbahninfrastrukturunternehmen an weitergehende Pflichten gebunden.315 In keinem Falle werden die Befugnisse der Bundesbehörden abgeschwächt, vielmehr in verschiedener Hinsicht verstärkt.316 Soweit in der Vergangenheit rechtliche Bedenken gegen die Regelungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes geäußert wurden, beziehen sich diese vor allem auf die – bereits thematisierte317 – Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsvorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts. Des Weiteren wird problematisiert, ob die Regelungen über Abgaben und Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen (§ 11 AEG) ausreichen. Dieser Fragestellung braucht darauf in diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen zu werden. Verstößt das geltende Allgemeine Eisenbahngesetz nicht gegen Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG, kann für die angestrebten, tendenziell auf eine Verschärfung hinauslaufenden Neuregelungen nichts anderes gelten. Sollte das Allgemeine Eisenbahngesetz partiell hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG zurückbleiben, ist dies bereits der geltenden Gesetzesfassung, nicht dem Entwurf einer Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes anzulasten. Offen bleibt nur die Frage, ob gerade wegen der geänderten Lage nach einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG weitere Vorschriften verfassungsrechtlich erforderlich sind. Soweit es um die Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsbestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts geht, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.318 Im Übrigen kommt eine Verbesserung des Regulierungsrahmens vor allem im Hinblick auf den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur und den zu zahlen- 314 Vgl. Art. 4 des Gesetzes. 315 Vgl. z. B. die §§ 9 a Abs. 1 Nr. 5, Nr. 7, 14 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 4 AEG-E. 316 Vgl. etwa §§ 14 b Abs. 1 a, 14 c Abs. 1 AEG-E. 317 Siehe D. III. 4. a). 318 Vgl. D. III. 4. a). 119 den Entgelten in Betracht. Die Verkehrsminister der Länder haben sich dafür ausgesprochen, die Wettbewerbsneutralität durch die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens der Bundesnetzagentur zu sichern. So seien eine Genehmigungspflicht ex ante für Trassen- und Stationspreise und weitere sofort einsetzbare Regulierungsinstrumente, wie zum Beispiel Bußgeldvorschriften, einzuführen und die Befugnisse der vorgesehenen Beschlusskammern zu erweitern.319 Ferner müsse eine Steigerung der Trassen- und Stationspreise zu Lasten des Nahverkehrs über die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel hinaus ausgeschlossen werden.320 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es sich anbietet, die im Recht anderer Netzwirtschaften gemachten Erfahrungen für den Eisenbahnsektor fruchtbar zu machen.321 Jedoch muss zwischen den verfassungsrechtlichen Anforderungen und dem rechtspolitisch Wünschenswerten unterschieden werden.322 Wie dargelegt323, enthält Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG nur eine Staatszielbestimmung, die dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum belässt. Zudem hängt das Ausmaß der erforderlichen externen Regulierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen von den unternehmensinternen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes ab. Wird den sich aus Art. 87 a Abs. 3 S. 2 u. 3 GG ergebenen Vorgaben Rechnung getragen, kann sich der Gesetzgeber bei der externen Regulierung stärker zurückhalten. Aus den genannten Gründen ist das „Ob“ und „Wie“ einer Weiterentwicklung des mit dem Allgemeinen Eisenbahngesetz und mit den auf seiner Rechtsgrundlage erlassenenen Rechtsverordnungen normierten Regulierungsrahmens jedenfalls in erster Linie dem gesetzgeberischen Ermessen anheimgestellt. 319 Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 9. Vgl. auch gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 6 (S. 6 f.). 320 Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 4. Vgl. auch gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 4 (S. 5). 321 Kritisch demgegenüber Gersdorf, Entgeltregulierung im Eisenbahnsektor, 2007, S. 9 f., der dies für eine „Versuchung“ hält, die allzu rasch auf einem Irrweg landen könnte. 322 Vgl. auch A. IV. 323 C. I. 120 III. Wahrung des Gesetzesvorbehalts des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG Die Gewährleistungsverantwortung des Bundes ist nach Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG mit einem Gesetzesvorbehalt versehen, wonach „das Nähere“ durch Bundesgesetz zu regeln ist. Der Bundesgesetzgeber hat – über die Sicherung eines Bundeseinflusses nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG hinaus – alle wesentlichen Fragen gesetzlich zu regeln, welche die Art und Weise der Wahrnehmung der Gewährleistungsverantwortung durch den Bund betreffen.324 Nach Auffassung von Hermes genügt der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes dem Gesetzesvorbehalt nicht, weil er wesentliche Fragen einer Konkretisierung durch die Exekutive überlässt.325 Dem ist nur mit Einschränkungen zuzustimmen. Das öffentliche Recht kommt ohne Gestaltungsspielräume zugunsten der Exekutive nicht aus. Auch die Bestimmung des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG verbietet nicht, der Exekutive solche Gestaltungsspielräume zu überlassen. In Übereinstimmung mit Hermes muss zwar angenommen werden, dass der Gesetzgeber die nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat. Die Schwierigkeit besteht aber darin, das Wesentlichkeitskriterium zu präzisieren.326 Nach der hier vertretenen Ansicht reicht jedenfalls die für den Nahverkehr vorgesehene Regelung des § 21 BSE AG-E nicht aus. Ferner bedarf die Veräußerung nicht betriebsnotwendiger Immobilien und die Verwendung der Veräußerungserlöse einer gesetzlichen Regelung. Unabhängig davon bestehen gegen die getroffenen gesetzlichen Regelungen in verschiedener Hinsicht aus inhaltlichen Gründen verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. auch E. IV.). IV. Ergebnis 324 Hermes, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 51), S. 3. 325 Hermes, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 51), S. 3; vgl. auch Kirchhof, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Protokoll (Fn. 17), S. 10 f. „Im Übrigen wäre mir auch nicht ganz klar, ob diese Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung dem institutionellen Gesetzesvorbehalt entspräche“. 326 Allgemein zu den Konkretisierungsschwierigkeiten der Wesentlichkeitstheorie – im grundrechtlichen Bereich – Ehlers (Fn. 75), § 2 Rn. 43 ff.; Maurer (Fn. 221), § 6 Rn. 11 ff. Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG betrifft zwar nicht den grundrechtlichen, sondern den staatsorganisatorischen Bereich, doch ist die Problemstellung vergleichbar. 121 Die im Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgesehenen externen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben – unabhängig von den nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG gebotenen Sicherungsmaßnahmen – jedenfalls in fünffacher Hinsicht hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Zum Ersten muss der Bund eine einseitige Anpassung verlangen können, wenn mit der abzuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ein betriebsbereiter Zustand der Schienenwege nicht erreicht werden kann. Zum Zweiten ist auch eine Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zuzulassen. Zum Dritten muss dem Bund die Möglichkeit gegeben werden, den Ausbau der Schienenwege dann durchsetzen zu können, wenn sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen weigern, eine Finanzierungsvereinbarung zu zumutbaren Bedingungen abzuschließen. Zum Vierten ist die Regelung über den Nahverkehr nicht ausreichend. Zum Fünften bedarf die Veräußerung von Immobilien einer gesetzlichen Regelung. 122 F. Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit Art. 87 e Abs. 3 und 4 GG im Falle einer Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien der Deutschen Bahn AG Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes schließt nicht aus, dass statt normaler Aktien oder (vinkulierter) Namensaktien nur Vorzugsaktien ohne Stimmrecht an Private ausgegeben werden. Sollte dieser Weg eingeschlagen werden, verändert dies die Rechtslage grundlegend. Da die Privaten in diesem Falle keinerlei Einflussrechte erwerben, vielmehr der Bund diese allein behält, ist insoweit dieselbe Lage wie nach gegenwärtigem Recht gegeben. Der Bund verfügt dann trotz Zwischenschaltung der Deutschen Bahn AG über einen Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen, der dem verfassungsrechtlichen Untermaßverbot genügt. Soweit es um die Vermögensrechte an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen geht, steht der Bund allerdings nicht besser da als bei einer normalen Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG. Ein Rückholrecht des Bundes, das es ihm erlauben würde, wieder unmittelbarer Inhaber der sich aus seinem Eigentum ergebenden Vermögensrechte zu werden, wird wegen der langen Dauer der „Sicherungsübertragung“ und der Verpflichtung zum Wertausgleich de facto so erschwert, dass der Bund sein juristisches Eigentum nicht mehr so wie ein normaler Eigentümer nutzen kann. Dies stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken. Zudem ist bereits ausgeführt worden, dass die Festlegung auf eine bloße Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht nicht der Exekutive überlassen werden darf, sondern dem Gesetzgeber vorbehalten ist.327 Schließlich bleiben auch im Falle der Ausgabe lediglich stimmrechtsloser Vorzugsaktien die im Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgesehenen externen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen partiell hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück (vgl. E.). 327 D. IV. 123 G. Resümee Resümierend ist festzustellen, dass das Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit den sich aus Art. 87 e Abs. 3 u. 4 GG ergebenden Vorgaben kollidiert. Die Feststellung bezieht sich nicht nur auf die Regelung verschiedener Details, sondern auch und vor allem auf die grundsätzliche Konzeption einer Integration von Netz- und Verkehrsbetrieb bei gleichzeitiger Trennung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum, die zu einer Art Quadratur des Kreises nötigt und eine materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt zur Folge hat. Die verfassungsrechtlichen Probleme werden in einem erheblichen Ausmaße entschärft, wenn die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ausschließlich mittels der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien erfolgt. Prof. Dr. Dirk Ehlers Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) Verfassungsrechtliche und ökonomische Bewertung Gutachten im Auftrag der Sonder-Verkehrsministerkonferenz der Länder Teil II: Ökonomische Bewertung 15. September 2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers KCW GmbH Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht Charlottenstr. 65 Universitätsstr. 14-16 10117 Berlin 48143 Münster Prof. Dr. Dirk Ehlers 1 Vorwort Die Länder haben am 2.8.2007 auf der Sonder-Verkehrsministerkonferenz einvernehmlich den Beschluss gefasst, den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) im Rahmen der geplanten Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG gutachterlich bewerten zu lassen. Hintergrund der Beauftragung ist die Befürchtung der Länder, dass der Gesetzentwurf in seiner vorliegenden Fassung den spezifischen Länderinteressen an einem bezahlbaren und qualitativ hochwertigen Schienenverkehr - insbesondere dem Schienenpersonennahverkehr - nicht hinreichend Rechnung trägt. Ausdruck dessen sind die einstimmigen Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz vom 22./23.11.2006 und 18./19.4.2007. Hierunter fällt auch die Feststellung, dass der Gesetzentwurf die Grundsätze der Entschließung des Bundestags vom 24.11.2006 – vornehmlich die Forderung des dauerhaft gesicherten Mehrheitseigentums des Bundes – nicht vollinhaltlich umsetzt. Vor diesem Hintergrund soll das Gutachten vertiefend prüfen, wie der Gesetzentwurf aus verfassungsrechtlicher Sicht zu bewerten ist, insbesondere auch unter Einbeziehung der nachträglichen Änderungen infolge der Ressortabstimmung der Bundesministerien, die noch nicht Gegenstand der Sachverständigenanhörung des Bundestages vom 23.5.2007 zur verfassungs- und bilanzrechtlichen Konformität des damaligen Entwurfsstandes des EBNeuOG sein konnten. im Sinne der Aufgabenverantwortung der Länder im Schienenpersonennahverkehr ökonomisch zu beurteilen ist. Hierzu formuliert der Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz vom 2.8.2007 unter III. einen Forderungskatalog, der aus zehn Punkten besteht. Untersucht werden soll, ob diese zehn Forderungen durch den Gesetzentwurf abgedeckt werden, wo Nachbesserungsbedarf besteht und wie dieser in Lösungsvorschläge überführt werden kann. Aufgrund der thematischen Eigenständigkeit der Prüfaufträge wurden beide Teile separat verfasst. Um den Gesetzentwurf ganzheitlich beurteilen zu können, bilden sie dennoch eine Klammer. Seite 2 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Inhalt 1 VORWORT .....................................................................................2 2 DAS WICHTIGSTE AUF ZWEI SEITEN ...........................................5 3 MANAGEMENT ZUSAMMENFASSUNG ...........................................7 3.1. Wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur ..................... 7 3.2. Folgenabschätzung für die Länder.................................................... 9 3.3. Abgleich der Länderforderungen mit dem Gesetzentwurf ..................12 3.4. Empfehlungen für die Position der Länder .......................................14 4 AUFBAU .......................................................................................18 5 KAPITALMARKTRENDITE IN DER SCHIENENINFRASTRUKTUR.......................................................20 6 FOLGENABSCHÄTZUNG FÜR DIE LÄNDER..................................24 6.1. Bedeutung des SPNV......................................................................24 6.2. Maßnahmenspektrum zur Gewinnsteigerung in der Schieneninfrastruktur.....................................................................................25 6.3. Preiserhöhungen für Vorleistungen (Trassen, Stationen)...................26 6.4. Reduzierung der Infrastruktur-„Menge“ ...........................................32 6.5. Verlagerung der Finanzierungslasten bei Investitionen .....................38 7 ABGLEICH DER LÄNDERFORDERUNGEN MIT DEM GESETZENTWURF .......................................................................41 7.1. Prüfmaßstab: Sicherung des Gemeinwohlauftrags ............................41 7.2. Wertausgleich ................................................................................42 7.3. Mitwirkungs- und Kontrollrechte bei Nahverkehrsinvestitionen ..........48 7.4. LuFV – Sanktionen und Teilkündigung.............................................51 Seite 3 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.5. Regionalisierung der Infrastruktur als Option ...................................79 7.6. Trassen- und Stationspreise deckeln ...............................................82 7.7. Weisungsunabhängigkeit der EIU....................................................84 7.8. Stationen.......................................................................................88 7.9. LuFV – Erprobung und Einbindung der Länder .................................90 7.10. Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht ..............................93 7.11. Regulierung ...................................................................................99 7.12. Gemeinwohlauftrag Fern- und Güterverkehr ..................................107 8 EMPFEHLUNGEN FÜR DIE POSITION DER LÄNDER .................111 8.1. Nachbesserungen im System ........................................................111 8.2. Nachbesserungen am System .......................................................113 Seite 4 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 2 Das Wichtigste auf zwei Seiten Der Gesetzentwurf der Bundesregierung führt zur faktischen Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Klarer Beleg ist der Wertausgleich – laut Bund derzeit 7,5 Mrd. €. Diesen müsste der Bund an die DB AG zahlen, wenn er das größtenteils von ihm selbst finanzierte Netz und die Stationen zurücknähme. Das rechtliche Eigentum des Bundes ist eine leere Hülle. Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass die Geschäftsfelder Netz und Personenbahnhöfe kapitalmarktadäquate Renditen erzielen müssen. Diese lassen sich der aktuellen Planung der DB AG bereits entnehmen. Das Ergebnis des Netzes soll von - 212 Mio. € 2006 auf + 568 Mio. € 2011 steigen. Damit wäre das bislang als strukturell defizitär geltende Netz neben der Logistiktochter Schenker der größte Gewinnbringer des Konzerns. Die Personenbahnhöfe sollen ihren Gewinn mehr als verdoppeln. Das Infrastrukturmonopol soll eine Rendite abwerfen, die aufgrund ihrer Berechenbarkeit attraktiv ist. Die Bundesregierung ist in diese Pläne eingeweiht und unterstützt sie aktiv. Dem Schienenpersonennahverkehr – d.h. den Ländern - wird die Rolle des Hauptzahlers zugedacht. Folgende Auswirkungen der Privatisierung auf die Länder lassen sich begründet herleiten: Themenfeld Folgen Preise für Vorleistungen (Trassen, Stationen, Energie) Sichere Mehrbelastung von 1 Mrd. € bis 2011 Kaufkraft der RegMittel wird kontinuierlich entwertet, erzwingt Streichung von 5 bis 10 % des SPNV-Angebotes Betriebslänge Netz 6.000 bis 10.000 Netzkm sind mittelfristig stilllegungsgefährdet, davon voraussichtlich 2.000 km beschleunigt (siehe LuFV) Stationen Stationen < 100 Ein-/Aussteiger pro Tag werden geschlossen Finanzierung Investitionen DB wird Eigenmittel auf Minimum reduzieren Investitionen in Regionalnetze/Bahnhöfe zunehmend durch Länder Die Vorkehrungen des EBNeuOG-E zum Schutz des Gemeinwohlauftrags – v.a. Verkehr „in der Fläche“ – halten dem Renditedruck des Kapitalmarktes nicht stand. Die größte Schwäche liegt in der Wirkungslosigkeit des Maßnahmen-„Dreiecks“ – Infrastrukturzustandsbericht, Leistungsund Finanzierungsvereinbarung, Wertausgleich - zur Sicherung der Infrastrukturqualität. Nachbesserungen im System sind möglich und zwingend erforderlich. Die Forderungen der Länder im VMK-Beschluss vom 2.8.2007 weisen in die richtige Richtung, sollten aber präzisiert werden. Lösungsvorschläge zu den einzelnen Forderungen sind der tabellarischen Übersicht auf der nächsten Seite zu entnehmen. Zentral für den Schutz der Länderinteressen ist die Änderung der Wertausgleichsregelung. Die öffentliche Hand darf das Netz nicht zweimal bezahlen. Nur nach der Privatisierung geschaffene Mehrwerte dürfen dem Investor vergütet werden. Die Länder müssen die Gewissheit haben, dass Nachjustierungen an der Privatisierung bis hin zur Kündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bei Schlechtleistungen des Netzbetreibers eine politisch umsetzbare Option bleiben. Bei 7,5 Mrd. € Wertausgleich ist dieser Weg verbaut. Aber: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sämtliche Nachbesserungen die Interessen der Länder am Ende nicht schützen können. Sie kurieren nur an den Symptomen, ohne das Grundproblem zu lösen: die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Vom Bund können die Länder kaum Unterstützung erwarten. Er wird unter dem Druck des Kapitalmarktes noch stärker die Eigentümerinteressen verfolgen (müssen), als er diesen Weg schon heute freiwillig geht. Treffend beschrieben sind die künftigen Kräfteverhältnisse mit der Aussage in der Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des Bundes als öffentlicher Anteilseigner: „…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“ Seite 5 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Bund und v.a. Länder mögen die Folgen dieses Rollenverständnisses gründlich überdenken. Nr. Forderung VMKBeschluss Lösungsvorschläge (Auswahl) - Wertausgleich bei Rücknahme Netz Nur nach der Privatisierung geschaffene Mehrwerte vergüten. Maßstab: Investitionen der DB AG aus Eigenmitteln 1 Mitwirkung Investitionen Nahverkehr Gesetzl. Trennung der Quoten: 5 bis 10 % in Neu- und Ausbau, 20% Bestandsnetz, dazu Mindestinstandhaltungsquote Investitionsmittel den RegMitteln zuschlagen 2 LuFV - Sanktionen, Teilkündigung LuFV-Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Länder Gesetz räumt Ländern Klagerechte ein 2,5 Mrd. € gelten für 34.000 km Netz, keine Stilllegungsprämie Länder erhalten Recht, in Regionalnetzen Ersatzvornahme bei Qualitätsmängeln anzuordnen Gesamte LuFV muss erheblich präzisiert und geschärft werden, insbes. Sanktionssystem 3 Regionalisierung Teilkündigung für Länder „handwerklich“ vorbereiten (Recht, Mittelausstattung, Herauslösen aus Sicherungsübereignung, Wertausgleich) 4 Begrenzung des Risikos von Preissteigerungen (Trassen, Stationen) Gesetzliche Begrenzung des Anstiegs der Vorleistungspreise (Trassen, Stationen) auf 1,5 % p.a. 5 Weisungsunabhängigkeit Wiederaufnahme in Gesetzentwurf (siehe 1. Entwurf), dazu Ausdehnung des Regelungsbereichs analog EU-RL 2001/12-14, Vorbild: Unbundlingvorschriften im Energiesektor 6 Stationen Erhebliche Ausweitung der Kriterien, angelehnt an „Bahnhofsentwicklungsprogramm“ der DB, aber mit harten Kennziffern 7 LuFV – Erprobung Ein Jahr Erprobung incl. Sanktionen vor Beschlussfassung Weist DB AG dem Regulierer höheren Anstieg nach, übernimmt der Bund die Differenz Zustimmungsgesetz kurz vor der Umsetzung der Privatisierung 8 Infrastrukturzustandsbericht Grundlegende Änderungen am Messkonzept Streckenbezogene Gliederung Aufnahme von Kennziffern zur Kapazität Länder erhalten Vorschlagsrecht für 5 Strecken zur Stichprobenmessung (EBA muss insges. 5.000 km p.a. prüfen) 9 Regulierung Aktive ex-ante-Regulierung aller Infrastrukturkosten auf Basis effizienter Leistungserbringung (nach SPNV differenziert) Personalstärke BNetzA-Eisenbahn auf Niveau von Energie, Telekom (auch Zahl der Beschlussabteilungen) 10 Gemeinwohlauftrag Fern- und Güterverkehr Güterverkehrsbedürfnisse über LuFV absichern (Kapazität, insbes. Abstell-, Überholgleise) Gemeinwirtschaftlicher Fernverkehr: Ausweitung der Bestellerrolle erscheint auch nach PrivG möglich, Systemfrage Ggf. gesetzliche Verpflichtung zu „Fernverkehrsplan“ mit Mindestbedienung Seite 6 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 3 Management Zusammenfassung 3.1. Wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG-E) basiert auf dem Eigentumssicherungsmodell (ESM). Kernidee des ESM ist es, zwischen rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) zu trennen. Während das rechtliche Eigentum auf den Bund im Wege der Sicherungstreuhand übertragen wird, behält die DB AG das wirtschaftliche Eigentum an den EIU. Diese untypische Aufspaltung soll den Kompromiss leisten, sowohl den Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes sicherzustellen, als auch der DB AG die Bilanzierung der Schieneninfrastruktur zu ermöglichen. Die wirtschaftliche Eigentümerstellung ist aus bilanzrechtlicher Sicht an strenge Bedingungen geknüpft. Im Prinzip muss der wirtschaftliche Eigentümer nahe dem Range eines Volleigentümers agieren können. Der Bund darf als rechtlicher Eigentümer – von einzelnen Rechtsgeschäften abgesehen - nur noch geringen Einfluss ausüben. Die Anwaltskanzlei Hölters & Elsing, die das BMVBS berät, formuliert die Anforderungen wie folgt: „Während der Laufzeit der Sicherungsabrede behält die DB AG als Sicherungsgeberin uneingeschränkten Zugriff auf die Chancen und Risiken der Anteile und kann aufgrund der erteilten Stimmrechtsvollmacht weiterhin die Stimmrechte in den Gesellschafterversammlungen ausüben. … Damit kann die DB AG den Bund letztlich vollständig von Substanz und Ertrag der Anteile ausschließen.“ Aus der vorstehenden Kompetenzverteilung ergeben sich zwei Erkenntnisse: Realitätsfremd ist die Vorstellung, der private Investor verzichte auf die Entsendung von Vertretern seines Vertrauens in den Aufsichtsrat. Genau dies wurde den Kritik übenden Ministerien während der Ressortabstimmung in Aussicht gestellt, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Als vermeintlicher Kronzeuge des Bundes dient der nachträglich eingefügte Abs. 3 in § 1 DBPrivG, wonach sich der Bund zu keiner bestimmten Stimmabgabe bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern verpflichten dürfe. Kürzlich hat die Bundesregierung jedoch zugegeben, dass dieser Schutzmechanismus löchrig ist. „Mitglieder von Privatinvestoren müssen von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat gewählt werden. Dies kann mit den Stimmen des Bundes geschehen.“ Seite 7 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Stellt man die im Gesetzentwurf vorgesehenen Zugriffsrechte des Bundes und der DB AG auf die Schieneninfrastruktur gegenüber, ist unübersehbar, dass diese wirtschaftlich privatisiert wird. Deutlichste Indikatoren sind die Abführung der Infrastrukturgewinne an den Konzern ohne Zweckbindung und insbesondere der Wertausgleich. Würde tatsächlich „kein Meter Schienennetz“ privatisiert, müsste der Bund keinen Wertausgleich – derzeit laut Bundesregierung rund 7,5 Mrd. € - bezahlen, um die überwiegend von ihm selbst finanzierte Schieneninfrastruktur zurückzuholen. Die zivilrechtliche Stellung des Bundes ist de facto kaum mehr als eine symbolische Hülle. Die ökonomische Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass sie in gleichem Maße dem Renditeanspruch des Kapitalmarktes unterliegt wie die Transportgesellschaften der DB AG. Investoren erwarten, dass alle Segmente eines Unternehmens ihre Kapitalkosten verdienen – auch das Schienennetz, das bisher als strukturell defizitär gilt. Die Vorboten dieses kapitalmarktinduzierten Paradigmenwechsels schlagen sich in der aktuellen Gewinnplanung der DB AG für die Geschäftsfelder Netz und Stationen deutlich nieder. Businessplan DB AG: Netzmonopol als sichere Gewinnquelle (vor DB Regio) Ist-Daten Betriebserg. n. Zinsen DB Netz (Ist/Plan) Plan-Daten Gewinn nach BE II Zinsen Mio. EURin Mio. € 568 600 400 300 2500 LuFV-Mittel 495 437 DB AG / BMVBS: Umstellung auf 100% Zuschuss zu Baukosten „zwingend“, weil Netz angeblich strukturell defizitär 369 Privatisierungsgesetz 500 : 200 100 0 -100 Kum. Verlust: 1,6 Mrd. € -200 -300 22% der Bundesmittel werden als Gewinn privatisiert 233 Kumul. Monopolgewinn: 2,1 Mrd. € Wer bezahlt Gewinn der Investoren? Primär Länder (SPNV) -400 -500 -600 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Anmerkung: Planung ging vermutlich von Verabschiedung des Gesetzes 2007 aus, inzwischen muss der orange Balken nach rechts verschoben werden 2007 2008 2009 2010 2011 Quellen: Geschäftsberichte DB AG, Mittelfristplanung 2006 DB AG lt. Capital Während das Netz von 2001 bis 2006 im Mittel gut 250 Mio. € Verlust pro Jahr erwirtschaftete, soll es bis 2011 neben der Logistiksparte Schenker zum größten Gewinnbringer des Konzerns ausgebaut werden. Geplant ist ein Ergebnissprung Seite 8 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers um 780 Mio. € von 212 Mio. € Verlust 2006 auf 568 Mio. € Gewinn 2011. Die geplante Umsatzrendite liegt im Bereich anderer Netzmonopolisten (z.B. Strom, Wasser), die wegen ihrer hohen Monopolgewinne in letzter Zeit unter öffentliche Kritik und in den Fokus der EU-Kommission geraten sind. Erzielt das Netz 568 Mio. € Gewinn, fließen 22 % des jährlichen Bundeszuschusses von 2,5 Mrd. € in den Konzerngewinn und finanzieren die Dividende privater Investoren mit. Auch bei den Personenbahnhöfen sollen die Gewinne mehr als verdoppelt werden. 3.2. Folgenabschätzung für die Länder Hinterlegt man die Gewinnplanung mit Maßnahmen, wird deutlich, dass auf die Länder erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zukommen. Haupttreiber der fiskalischen Zusatzlasten sind Trassen- und Stationspreiserhöhungen. Hiervon sind die Länder besonders betroffen, da der SPNV der Hauptnutzer der Infrastruktur ist und wegen seiner Zahlungsfähigkeit an erster Stelle abgeschöpft wird. Fest eingeplant sind bereits Trassenpreissteigerungen von (gerundet) 2 % p.a. bis 2011. Schreibt man die für 2008 angekündigte Erhöhung von durchschnittlich 2,4 % bis 2011 fort, beträgt die Mehrbelastung rund 1 Mrd. €. Liegt die Steigerung bei 3,5 % pro Jahr, steigen die Zusatzlasten noch stärker an. Da der SPNV rund 86 % alle Stationsentgelte entrichtet, werden auch die dort geplanten Preiserhöhungen vornehmlich auf die Länder überwälzt. In den Verkehrsverträgen der Aufgabenträger mit den SPNV-Verkehrsunternehmen sind die Infrastrukturnutzungsentgelte im Regelfall als durchlaufende Posten angelegt, so dass die Mehrkosten voll auf die Länder durchschlagen. Weil die Regionalisierungsmittel nicht im Gleichschritt mit den Preiserhöhungen steigen, sinkt die Kaufkraft eines Euros Bestellentgelt der Länder kontinuierlich. In welchem Ausmaß die Entwertung auf das Verkehrsangebot durchschlägt, hängt primär von der Bereitschaft der Länder ab, eigene Mittel einzusetzen. Ohne kompensatorische Maßnahmen zeichnet sich die Streichung von rund 5 bis 10 % des Gesamtangebotes im SPNV bis 2011 ab. Setzt sich die Öffnung der Schere zwischen der Dynamisierung der Regionalisierungsmittel und der Steigerung der Vorleistungspreise auch danach fort, sind weitere Teile des SPNV-Angebotes kürzungsgefährdet. Eine zweite Folge der Privatisierung ist der wachsende Druck auf die Betriebslänge des Netzes. Da das Schienennetz insgesamt strukturell defizitär ist, erhöht der Renditeanspruch des Kapitalmarktes den Druck auf die unprofitabelsten Teile des Netzes. Dies sind vor allem die Regionalnetze, die den Verkehr „in der Fläche“ gewährleisten. Der Wirkmechanismus entfaltet sich nicht direkt, aber dennoch konsequent. Als Hebel bietet sich die „strategische Priorisierung von Investitionsmitteln“ für Netz und Stationen an. Sie ist nicht nur schon vieSeite 9 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers lerorts beobachtbar, sondern in der Anfang des Jahres veröffentlichten Strategie ProNetz offen angelegt. So fällt das umsatzschwächste Drittel des Netzes (17.000 Gleiskilometer), das weniger als 10% zum Gesamtumsatz beiträgt, nicht in das Programm der präventiven Instandhaltung. Bei den Investitionen heißt es: „Gesamtes Netz hinsichtlich bereits geplanter Investitionsmaßnahmen prüfen. … [Unterpunkt:] Insbesondere Schwachlastregionen hinsichtlich des Mitteleinsatzes überprüfen.“ Hierzu passen aktuelle Hinweise von Aufgabenträgern, nach denen Regionalmanager von DB Netz beklagten, dass sie 2008 aufgrund von Umschichtungen der Mittel zugunsten des Fern- und Ballungsnetzes nur noch 50% ihrer alten Planansätze zur Verfügung hätten. Die Konzentration der Mittel setzt in den Randbereichen eine Abwärtsspirale in Gang. Sinkt die Attraktivität einer Verbindung, wandern die Fahrgäste zunehmend ab, was den Netzbetreiber in seiner Schwerpunktsetzung für die Verteilung der Investitionsmittel bestärkt. Sobald Angebotskürzungen durch steigende Infrastrukturentgelte oder äußere Anlässe (Einschnitte bei Regionalisierungsmitteln) erzwungen werden, rücken die Schwachlaststrecken an die Spitze der Streichliste. Das Ziel der „kalten Stilllegung“ wird unmerklich, aber effektiv über einen Umweg erreicht. Formale Entscheidungsrechte wie die Bestellhoheit der Länder oder die Stilllegungsautonomie des Bundes (§ 11 AEG) erweisen sich in der Praxis als schwache Instrumente - faktisch ist es der Netzbetreiber, der als Bauträger und Disponent der Investitionsmittel maßgeblich über die wirtschaftliche Daseinsberechtigung einer Strecke entscheidet. Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass die betriebswirtschaftlichen Handlungszwänge der Netzprivatisierung zu einer Verkleinerung des Netzes um rund 6.000 bis 10.000 Streckenkm führen – davon 2.000 km mit beschleunigtem Druck wegen der Konzeption der LuFV (vgl. 3.3). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die heutigen Regionalnetze (rund 11.500 km). In einem aktuellen Strategiepapier der DB AG ist dazu passend von „unprofitabler Infrastruktur“ die Rede, für die Handlungsalternativen gesucht werden müssten. Wieviel von diesem Segment „überlebt“, hängt vorrangig von der Bereitschaft und der Finanzkraft der Länder ab, für die Ersatzinvestitionen aufzukommen. Hinsichtlich der Stationen zeichnet sich als erster Schritt der DB AG ab, auf die Schließung der Stationen unter 100 Ein- und Aussteigern pro Tag hinzuwirken. Der dritte wesentliche Effekt der Privatisierung ist die beschleunigte Verlagerung der Finanzierungsverantwortung für Infrastrukturinvestitionen auf die öffentliche Hand. Der Bericht des Bundesrechnungshofs zur Finanzierung der Schienenwege vom März 2006 belegt, dass dieser Trend bereits seit 2001 sichtbar greift. Insgesamt wird der Bund der DB AG bis 2008 Vorteile im Wert von rund 9 Mrd. € verschafft haben. Seite 10 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Im Gegenzug ist die Eigenmittellinie der DB AG deutlich gesunken. Neben dem Bund werden die Länder mit dieser Restriktion beständig konfrontiert. Bis auf wenige Ausnahmen bewegt sich z.B. bei Bahnhofssanierungen oder kleineren Investitionen in Fahrkartenautomaten, Toiletten u.ä. nur dann etwas, wenn das Land alle Kosten einschließlich der Planung übernimmt. In der Branche hat sich der Begriff der „120%-Finanzierung“ etabliert. Diese unternehmerisch nachvollziehbare Haltung der DB AG wird sich nach der Zementierung des Netzmonopols durch die Privatisierung noch spürbar verstärken. Die Länder werden vor der Wahl stehen, ihre Investitionsabsicht aus Budgetgründen aufzugeben oder aber selbst einzuspringen. Im Ergebnis zeitigt die Teilprivatisierung der Infrastruktur einen wachstumsfeindlichen Effekt: Die Finanzierung des Systems Schiene wird staatslastiger als zuvor – entgegen den erhofften Vorteilen einer Privatisierung. Auch der Wettbewerb auf der Schiene droht nach der Privatisierung an Schwung zu verlieren. Aktienrechtlich ist der Vorstand der DB AG verpflichtet, alle Maßnahmen zum Wohl des Unternehmens zu ergreifen. Es wäre gegen die Lebenswirklichkeit, das vorhandene Diskriminierungspotenzial des integrierten Netzbetriebs brachliegen zu lassen. Die Länder könnten dann betroffen sein, wenn die Zahl der Bieter in den SPNV-Ausschreibungen auf wenige Unternehmen reduziert würde und der Druck in Richtung Wettbewerbspreise nachließe. Als Fazit der Folgenabschätzung ist festzuhalten, dass die Renditeerwartungen des Kapitalmarktes den gemeinwohlbasierten Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes nachhaltig in die Defensive drängen. Die Länder werden Leistungen der Daseinsvorsorge härter erstreiten – und vor allem deutlich teurer bezahlen müssen. Jede bestellte Leistung des Infrastrukturmonopolisten bezuschlagt der Kapitalmarkt mit einer höheren Gewinnerwartung als die heutige DB AG. Da das Spannungsverhältnis zwischen Rendite und Gemeinwohl systemisch ist, kann kein Gesetz diesen Gegensatz auflösen. Es kann nur versuchen, das öffentliche Interesse so gut wie möglich zu verteidigen. Hierzu müssen in den Gesetzentwurf wirksame Schutzvorkehrungen eingebaut werden. Seite 11 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 3.3. Abgleich der Länderforderungen mit dem Gesetzentwurf Der vorliegende Gesetzentwurf leistet die erforderliche Schutzfunktion nicht. Im Ergebnis sind die Interessen der Länder dem Einfluss des Kapitalmarktes weitgehend ausgeliefert; der ohnehin geringe verkehrspolitische Spielraum tendiert gegen null. Insbesondere das miteinander zu verzahnende Instrumenten-Dreieck zur Sicherung einer guten Infrastrukturqualität erweist sich als stumpf und sieht keine Einwirkungsmöglichkeiten der Länder vor: Der gegenwärtige Infrastrukturzustands- und –entwicklungsbericht (IZB) hat nur minimale Aussagekraft. Das Messkonzept protegiert den Netzbetreiber, indem es die Folgen betrieblicher Mängel durch Ausblenden der Fahrdynamik kleinrechnet, Langsamfahrstellen nur selektiv einbezieht und der DB AG die Definition der Soll-Geschwindigkeit zumindest teilweise überlässt. Sämtliche Kriterien werden als bundesweite Durchschnittswerte gemessen, womit de facto Qualitätsmängel in Bayern durch Planübererfüllung in Mecklenburg-Vorpommern ausgeglichen werden können. Den betroffenen Fahrgästen und Bestellern nützt dies nichts. Vergleicht man den IZB der DB AG mit dem Netzzustandsbericht des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, ergeben sich für Brandenburg erhebliche Abweichungen. Laut VBB-Geschäftsführer Franz wird der wahre Netzzustand verschleiert. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist – soweit im Entwurf bekannt – unausgereift und zur gerichtsfesten Steuerung des Netzbetreibers untauglich. Sie ist als Monolith so konzipiert, dass der Bund stets vor einer „Alles-oder-nichts“-Entscheidung steht: entweder den gesamten Vertrag im Werte von 2,5 Mrd. € kündigen oder alles beim alten belassen. Dadurch entsteht eine kaum überwindbare Hürde für Nachsteuerungen und die Verhängung angemessener Sanktionen. Eine vollständige Kündigung erscheint extrem unwahrscheinlich. Das Sanktionssystem ist bis heute nur in Ansätzen erkennbar, der Höchstbetrag der Rückforderung schöpft den wirtschaftlichen Vorteil des Netzbetreibers wahrscheinlich nicht ab. Anpassungen des Zuwendungsbetrags bei Netzverkleinerungen greifen erst unterhalb von 32.000 km. Damit werden 2.000 km Netz praktisch schon heute als Stilllegungsprämie dem Investor überantwortet. Die Wertausgleichsregelung ist so angelegt, dass die ultima ratio – die Kündigung der LuFV wegen gehäufter Schlechtleistung – nach politischen Maßstäben so gut wie ausgeschlossen ist. Bemessungsgrundlage des Wertausgleichs ist das bilanzielle Eigenkapital der EIU, das laut Bundesregierung derzeit 7,5 Mrd. € beträgt. Dass ein Finanzminister diese in der Seite 12 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Tendenz noch steigende Summe aufbietet, erscheint kaum vorstellbar. Aus diesem Grund ist auch die Umkehrung der Beschlussmechanik („wenn Bundestag keine Entscheidung fällt, geht Schieneninfrastruktur an Bund“) keine reale Hilfe, sondern nur symbolisch. Zusammengefasst: Es ist bereits unwahrscheinlich, dass der IZB überhaupt einen Mangel oberhalb der Schwellenwerte zur Sanktion ausweist. Wird dieser wider Erwarten festgestellt, sind wirksame Sanktionen auf der Basis der LuFV noch unwahrscheinlicher. Sie belasten das Unternehmensergebnis, rufen wahrscheinlich Interventionen des Investors hervor (s. 3.4) und müssen gerichtsfest verhängt werden. Praktisch ausgeschlossen ist die Kündigung, da die Höhe des Wertausgleichs jede politische Initiative zur Rückholung des Netzes abschreckt. Auch alle anderen Forderungen der Länder werden durch den Gesetzentwurf nicht abgedeckt. Durchschlagskräftige Mitwirkungsrechte bei der Investitionsentscheidung über Nahverkehrsstrecken werden auch künftig nicht eingeräumt. Die angekündigte Stärkung der Regulierung bleibt ein Hoffnungswert, bislang basiert sie auf einer Protokollerklärung der Ministerien. Struktur und Instrumente der Regulierung sind nicht hinreichend klar definiert. Die Protokolle der Diskussionen im Arbeitskreis Entgeltregulierung der Bundesnetzagentur zeigen, wie groß der Widerstand des Regulierungsobjektes ist. Seite 13 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 3.4. Empfehlungen für die Position der Länder Kann die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht vermieden werden, sollten die Länder ihre Zustimmung an die Bedingung koppeln, die absehbaren Negativfolgen durch geeignete gesetzliche Vorkehrungen so gering wie möglich zu halten. Finanzielle Mehrbelastungen müssen von vornherein unterbunden oder kompensiert werden. Darüber hinaus sollten die Länder darauf drängen, die Hürden für Weiterentwicklungen oder die Revision der Privatisierung auf ein politisch-realistisches Maß zu senken, um die tatsächliche Reversibilität zu gewährleisten. Die bereits heute vorgezeichnete fiskalische Zusatzbelastung der Länder von mindestens einer Mrd. € bis 2011 lässt sich – vordergründig - dadurch kompensieren, dass die Regionalisierungsmittel aufgestockt werden. So könnte die Dynamisierung bereits 2008 statt 2009 wiederaufleben, die Dynamisierungsrate könnte auf 2 % statt 1,5% erhöht werden. Alternativ vorstellbar ist es, die Dynamisierungsrate der Regionalisierungsmittel an die Entwicklung eines Index aus Trassen-, Stations- und Energiepreisen zu koppeln. Allerdings böten auch diese Mechanismen keine Sicherheit. Wie die Kürzung der Regionalisierungsmittel 2006 gezeigt hat, schützen geltende Gesetze nicht vor Einschnitten. Insofern wäre es aus Ländersicht fahrlässig, Preiserhöhungen nur deshalb unkritisch durchzureichen, weil sie zunächst den Anschein der Kostenneutralität haben. Zudem sollten Ineffizienzen des Netzbetreibers nicht belohnt werden. Um das Risiko der Kaufkraftentwertung aufgrund von Preiserhöhungen für Vorleistungen (insbes. Trassen, Stationen, Energie) institutionell zu begrenzen, sollten die Länder die maximale Erhöhung der Trassenpreise auf 1,5% p.a. per Gesetz begrenzen lassen. Darüber hinausgehende Steigerungen, die die DB AG dem Regulierer bei kosteneffizienter Leistungserbringung begründet nachweist, muss der Bund tragen (z.B. Erhöhung der LuFV-Mittel). Damit würde der Bund einen Anreiz erhalten, die Regulierung tatsächlich zu stärken. Das bis dato in seinen Konturen unscharfe Regulierungsdesign muss schnell, aber sorgfältig entwickelt werden. Notwendig ist eine Ex-ante-Regulierung mit Anreizkomponenten für alle Vorleistungspreise, differenziert nach Verkehrsarten („Produktkörbe“). Ebenso ist eine harte Qualitätsregulierung erforderlich. Die Regulierung muss so angelegt werden, dass die geplanten Überrenditen der DB AG auf ein Normalmaß reduziert werden. Am wirksamsten schützen sich die Länder mit Instrumenten, mit denen sie die Privatisierung im absehbaren Misserfolgsfall teilweise oder gesamthaft revidieren können. Zu den unabdingbaren Präventionsmaßnahmen zählt der Vorbehalt, nur dann dem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn Seite 14 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers der gegenwärtige Netzzustand objektiv und nach Strecken gegliedert mit Hilfe eines aussagekräftigen Messsystems erfasst wird, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, insbesondere das Sanktionssystem in allen Einzelheiten entwickelt und den Ländern zur Prüfung vorgelegt wird, die LuFV in handhabbare Portionen untergliedert ist, um die Hürde zur Sanktionierung und Kündigung zu senken. Nur so wird auch die Option zur Regionalisierung solcher Strecken und Teilnetze realistisch. die LuFV vor dem Beschluss mindestens ein Jahr unter Realbedingungen mit scharfgeschaltetem Sanktionssystem getestet worden ist. das Abschmelzen des Infrastrukturbeitrags der LuFV (2,5 Mrd. €) nicht erst bei einem Netzumfang von 32.000 km einsetzt, sondern auf dem Ausgangszustand bei jeder Änderung der Betriebslänge und Kapazität. die Umsetzung der Privatisierung an ein Zustimmungsgesetz des Bundesrates geknüpft wird. Nur so können die Länder die endverhandelte LuFV prüfen und die Erfahrungen aus dem Testlauf auswerten. Damit die Länder nach der Privatisierung das System Schiene weiterentwickeln und Fehlentwicklungen korrigieren können, müssen in der LuFV mehrere Voraussetzungen geschaffen werden: Fortdauernde Schlechtleistungen des Infrastrukturbetreibers müssen umgehend und konsequent geahndet werden. Sanktionsdrohungen schrecken nur dann ab, wenn sie ernst zu nehmen sind und den wirtschaftlichen Vorteil des Verstoßes vollständig abschöpfen. Strafen sollten zusätzlich verhängt werden. Die öffentliche Hand muss nach fruchtloser Nachbesserungsfrist die Ersatzvornahme anordnen können. Am Ende einer glaubwürdigen Sanktionskaskade steht die Option der Kündigung, entweder einer Strecke, eines Teilnetzes oder des gesamten Vertrags. Die Teilkündigung einzelner oder aller Regionalnetze (ggf. mit Regionalisierung der Infrastruktur) setzt voraus, dass die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in abgrenzbare Kapitel untergliedert wird und der gekündigte Teil aus der Sicherungsübereignung parallel herausgelöst werden kann. Sanktion und Teilkündigung bedingen einen eigenen Rechtsanspruch der Länder. Die Länder müssen selbständig Feststellungs- und Leistungsklagen anstrengen können. Dazu muss die LuFV mit Schutzwirkung Dritter – zugunsten der Länder – konzipiert werden, im Gesetz muss ein Klagerecht der Länder explizit verankert werden. Seite 15 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers An wichtigsten aus Ländersicht ist es aber, aktiv auf die Änderung der Wertausgleichsregelung zu drängen. Der Wertausgleich muss so konzipiert werden, dass die Rücknahme der Schieneninfrastruktur durch den Bund eine politisch umsetzbare Handlungsoption ist. Dies liegt im ureigenen Interesse der Länder, um ihre Aufgabenverantwortung weiterhin unter planbaren Bedingungen wahrnehmen zu können. Nur so haben sie die Perspektive, dass die absehbaren Folgen der Privatisierung im Bedarfsfall korrigiert werden können. Dieser Schutz ist um so notwendiger, als die Länder in die Vorbereitungen bis dato nicht eingebunden worden sind (s. Kritik der letzten VMK-Beschlüsse). Der Regelfall des Gesetzes („wenn keine Entscheidung des Bundestag ergeht, dann fällt Schieneninfrastruktur an Bund zurück“) muss auch als tatsächlich umsetzbarer Regelfall ausgestaltet und nicht durch finanzielle Hürden ausgeschlossen werden. Leitsatz für die Bemessung des Wertausgleichs muss sein, dass die über viele Jahre steuerfinanzierte Schieneninfrastruktur, in die auch weiterhin jährlich 2,5 Mrd. € der öffentlichen Hand fließen, kein zweites Mal bezahlt werden darf. Private Investoren sollten ausschließlich für die Mehrwerte entschädigt werden, die die DB AG nach der Privatisierung in der Schieneninfrastruktur schafft. Die Länder sollten daher vehement dafür eintreten, dass nur die künftigen Investitionen aus Eigenmitteln der DB AG dem Wertausgleich zugrunde gelegt werden. Weitere Forderungen der Länder sollten sein: Die Quote für Investitionen in Strecken, die dem SPNV dienen, sollten nach Neu- und Ausbau sowie Bestandsnetz differenziert werden. Die Neu- und Ausbau-Quote sollte bei 5 bis 10 % liegen. Der Anteil für das Bestandsnetz muss im Gesetz und in der LuFV verankert werden. Die Definition der Investitionen mit Nahverkehrsbezug muss präzisiert werden. Die Mittel sollten den Regionalisierungsmitteln zugeschlagen werden. Trotz aller Nachbesserungen im System sei angemerkt: Die Wahrscheinlichkeit ist erdrückend hoch, dass die Interessen der Länder am Ende nicht gewahrt werden können. Ursächlich hierfür ist das Grundproblem des Gesetzentwurfs: die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an der Schieneninfrastruktur, kombiniert mit der Interessenkollision des Bundes, sowohl Eigentümer der privatisierten DB AG als auch Setzer des verkehrspolitischen Rahmens zu sein. Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass jede bestellte Daseinsvorsorgeleistung durch den Gewinnaufschlag des Kapitalmarktes teurer wird. Steigen die Budgets der Länder nicht im Gleichschritt mit, werden Abstriche am Verkehrsangebot unausweichlich. Der Druck des Kapitalmarktes auf die Schieneninfrastruktur ist auf lange Sicht stärker als der Schutz der öffentlichen Hand, hier des Bundes. Sobald der Bund als Hüter verkehrspolitischer Belange – und damit ggf. als Anwalt der Länder - agieren möchte, handelt er seinen Interessen als Eigentümer Seite 16 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers der DB AG zuwider. Die Länder müssen realistisch damit rechnen, dass die Eigentümerposition obsiegt. Andernfalls stellen sich folgende Fragen: Warum sollte der Bund unter dem Druck des Kapitalmarktes energischer für die Länder Partei ergreifen, wenn er hierzu bereits als 100%iger Eigentümer der DB AG trotz voller Entscheidungsgewalt nicht bereit ist? Warum sollte der Bund eine schlagkräftige Regulierung aufbauen, wenn er weiß, dass der Konzernerfolg maßgeblich von der Gewinnplanung in der Infrastruktur abhängt (ein Drittel des Konzerngewinns)? Warum sollte der Bund im Bedarfsfall den Mut haben, die LuFV wegen Schlechtleistung zu kündigen, wenn er den Wertausgleich nach politischen Maßstäben prohibitiv hoch auf 7,5 Mrd. € oder höher ansetzt? Weshalb sollten die Länderforderungen nach der Privatisierung stärker das Gehör des Bundes finden, wenn er trotz mehrfacher Bitten die Beschlüsse der VMK bereits heute systematisch ignoriert und die Länder nicht einbindet? Einen unerfreulichen Ausblick auf die absehbaren Kräfteverhältnisse wirft die Aussage in der Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des öffentlichen Anteilseigners: „…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“ Die Länder können die vorgezeichnete Zuschauerrolle der öffentlichen Hand nur verhindern, wenn sie auf die Verbesserung am – nicht im – System drängen. Dies wäre auf der Grundlage der Entschließung des Bundestags vom 24.11.2006 durchaus möglich. Seite 17 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 4 Aufbau Um methodisch fundiert prüfen zu können, inwieweit der vorliegende Gesetzentwurf den Länderinteressen Rechnung trägt, erscheinen zunächst ein paar gedankliche Vorarbeiten hilfreich. Im ersten Schritt wird in Abschnitt 5 erläutert, welche grundlegenden Wirkmechanismen in der DB AG bei einer Beteiligung des Kapitalmarktes Einzug halten. Im Mittelpunkt steht die konsequente Renditeorientierung privater Investoren, d.h. die angemessene Verzinsung ihres Kapitaleinsatzes. Da der Gesetzentwurf vorsieht, das wirtschaftliche Eigentum an der Schieneninfrastruktur bei der DB AG zu belassen, steht fest, dass der Kapitalmarkt seine Renditeerwartungen in ähnlichem Maße auf das Netz und die Bahnhöfe übertragen wird wie auf die Transportgesellschaften. Die Spuren dieses Automatismus lassen sich bereits im Vorgriff auf die Privatisierung an der internen Gewinnplanung der DB AG für die InfrastrukturGeschäftsfelder ablesen, weshalb sie für das Netz und die Personenbahnhöfe kurz vorgestellt werden soll. Die Ergebnisziele bilden einen belastbaren Referenzmaßstab für die Stoßrichtung der künftigen Unternehmenspolitik, auf die sich die Länder einstellen müssen. Greifbar werden die Konsequenzen für die Länder allerdings erst dann, wenn die geplante Ergebnisentwicklung beim Netz und den Personenbahnhöfen in konkrete Maßnahmen übersetzt wird. Zwar sind diese nicht im Einzelnen bekannt, jedoch lässt sich zumindest grob eingrenzen, welche Instrumente mit welchen Gewinnbeiträgen in Frage kommen. Weitere Anhaltspunkte liefern einzelne Splitter aus der Planung der DB AG sowie die Fortschreibung jener Entwicklungen, die seit der Weichenstellung für den Börsengang 2003/2004 zu registrieren sind. Auf der Grundlage der kurzen Maßnahmenanalyse in Abschnitt 6 werden im weiteren Verlauf die Folgen für die Länder hergeleitet. Im Zentrum stehen die Auswirkungen der geplanten Erhöhungen von Trassen- und Stationspreisen, die der SPNV – und damit die Länder – zu zwei Dritteln wird schultern müssen. Nicht primär bis 2011, aber perspektivisch bedeutsam ist die absehbare Reduzierung des Netzumfangs, die vor allem den Verkehr in der Fläche berührt. Gezeigt wird, wie der Netzbetreiber aktiv auf die Netzverkleinerung hinwirken kann. Ferner beschrieben wird der seit längerem beobachtbare Trend, die Finanzierung von Investitionen auf die öffentliche Hand abzuwälzen. Auch dies wird die Länder tangieren. Zum Abschluss werden noch die indirekten Folgen der Privatisierung für die Länder gestreift, die sich um den Wettbewerb ranken. Nach der Herleitung der Privatisierungswirkungen, auf die sich die Länder einstellen müssen, widmet sich der Abschnitt 7 dem Kern des Untersuchungsauftrags: dem Schutz der Länderinteressen. Als Prüfmaßstab dient folgende Frage: Seite 18 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Sind die Vorkehrungen des Gesetzentwurfs in der Lage, die skizzierten Wirkungen einer kapitalmarktgetriebenen Renditeorientierung – insbesondere bei Netz und Stationen – zumindest so zu neutralisieren, dass der Staat seine Gemeinwohlaufgabe erfüllen kann? Stehen Renditestreben und Gemeinwohl in einer mittelfristig akzeptablen Balance? Zur Beantwortung der Frage werden die Gefahrenfelder und Forderungen der Länder des VMK-Beschlusses vom 2.8.2007 einzeln und ausführlich analysiert. Vorangestellt wird die Problematik des Wertausgleichs, dessen Höhe darüber entscheidet, ob die ultima ratio – die Kündigung der LuFV – eine politisch umsetzbare Option ist. Dieses Instrument verdient besondere Beachtung der Länder, da es bei richtiger Ausgestaltung die Chance bietet, die absehbaren Negativfolgen der Privatisierung zu akzeptablen Bedingungen zu korrigieren. Anschließend wird für jede der 10 Forderungen zunächst der Sachstand skizziert. Hierunter ist sowohl die Verortung des Forderungsgegenstandes im Gesetzentwurf zu verstehen (sofern dies der Fall ist) als auch eine Skizze vergangener und aktueller politischer Entwicklungen zu dem Thema. Im zweiten Schritt wird bewertet, inwieweit der Gesetzentwurf die Forderungen der Länder erfüllt oder warum er umgekehrt die Interessen der Länder nicht zu schützen vermag. Eine wesentliche Funktion der Erörterungen liegt auch darin, die Länder mit schlagkräftigen Argumenten für die Verhandlungen mit dem Bund auszustatten. Abschließend werden Lösungsvorschläge unterbreitet, die als Eckpfeiler für das weitere Gesetzgebungsverfahren fungieren. Im Abschnitt 8 werden Empfehlungen für die Position der Länder entwickelt, die sich in Nachbesserungen im und am System untergliedern. Gezeigt wird, dass systeminterne Änderungen des Gesetzentwurfs zu allen Forderungen möglich und dringend geboten sind. Deutlich wird aber auch, dass sie am Ende die Interessen der Länder nicht umfassend schützen können. Hierzu muss das Grundproblem angegangen werden: die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Seite 19 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 5 Kapitalmarktrendite in der Schieneninfrastruktur Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG-E) basiert auf dem Eigentumssicherungsmodell (ESM). Kernidee des ESM ist es, zwischen rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) zu trennen. Während das rechtliche Eigentum auf den Bund im Wege der Sicherungstreuhand übertragen wird, behält die DB AG das wirtschaftliche Eigentum an den EIU. Diese untypische Aufspaltung soll den Kompromiss leisten, sowohl den Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes sicherzustellen, als auch der DB AG die Bilanzierung der Schieneninfrastruktur zu ermöglichen. Die wirtschaftliche Eigentümerstellung ist aus bilanzrechtlicher Sicht an strenge Bedingungen geknüpft. Im Prinzip muss der wirtschaftliche Eigentümer nahe dem Range eines Volleigentümers agieren können. Der Bund darf als rechtlicher Eigentümer – von einzelnen Rechtsgeschäften abgesehen - nur noch geringen Einfluss ausüben. Die Anwaltskanzlei Hölters & Elsing, die das BMVBS berät, formuliert die Anforderungen wie folgt: „Während der Laufzeit der Sicherungsabrede behält die DB AG als Sicherungsgeberin uneingeschränkten Zugriff auf die Chancen und Risiken der Anteile und kann aufgrund der erteilten Stimmrechtsvollmacht weiterhin die Stimmrechte in den Gesellschafterversammlungen ausüben. … Damit kann die DB AG den Bund letztlich vollständig von Substanz und Ertrag der Anteile ausschließen.“ Aus der vorstehenden Kompetenzverteilung ergeben sich zwei Erkenntnisse: Realitätsfremd ist die Vorstellung, der private Investor verzichte auf die Entsendung von Vertretern seines Vertrauens in den Aufsichtsrat. Genau dies wurde den Kritik übenden Ministerien während der Ressortabstimmung in Aussicht gestellt, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Als vermeintlicher Kronzeuge des Bundes dient der nachträglich eingefügte Abs. 3 in § 1 DBPrivG, wonach sich der Bund zu keiner bestimmten Stimmabgabe bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern verpflichten dürfe. Kürzlich hat die Bundesregierung jedoch zugegeben, dass dieser Schutzmechanismus löchrig ist. „Mitglieder von Privatinvestoren müssen von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat gewählt werden. Dies kann mit den Stimmen des Bundes geschehen.“ Stellt man die im Gesetzentwurf vorgesehenen Zugriffsrechte des Bundes und der DB AG auf die Schieneninfrastruktur gegenüber, ist unübersehbar, dass diese wirtschaftlich privatisiert wird. Deutlichste Indikatoren Seite 20 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers sind die Abführung der Infrastrukturgewinne an den Konzern ohne Zweckbindung und insbesondere der Wertausgleich. Würde tatsächlich „kein Meter Schienennetz“ privatisiert, müsste der Bund keinen Wertausgleich – derzeit laut Bundesregierung rund 7,5 Mrd. € - bezahlen, um die überwiegend von ihm selbst finanzierte Schieneninfrastruktur zurückzuholen. Die zivilrechtliche Stellung des Bundes ist de facto kaum mehr als eine symbolische Hülle. Wird die DB AG einschließlich der wirtschaftlichen Herrschaft über die Infrastruktur für den Kapitalmarkt geöffnet, hat dies zwangsläufig zur Folge, dass die privaten Anteilseigner ihre ausschließlich betriebswirtschaftlich orientierten Ziele auf sämtliche Segmente des Mischkonzerns projizieren. Demnach müssen die Infrastruktur-Geschäftsfelder Netz, Personenbahnhöfe und Energie eine kapitalmarktübliche Rendite zum Konzerngewinn beisteuern, die im Vergleich zu den profitstarken Transportsparten nicht nennenswert abfallen darf. Auf diese Erwartungshaltung des Kapitalmarktes wies bereits das Gutachten von Morgan Stanley 2004 an mehreren Stellen ausdrücklich hin. Bestätigt wird diese Anspruchshaltung von Investoren durch die aktuelle Gewinnplanung der DB AG für den Zeitraum bis 2011. Sie sieht für das Netz wie folgt aus (Gewinn nach Zinsen): Abbildung 1: Gewinnplanung des Netzes bis 2011 Businessplan DB AG: Netzmonopol als sichere Gewinnquelle (vor DB Regio) Ist-Daten Betriebserg. n. Zinsen DB Netz (Ist/Plan) Plan-Daten Gewinn nach BE II Zinsen Mio. EURin Mio. € 568 600 400 300 2500 LuFV-Mittel 437 DB AG / BMVBS: Umstellung auf 100% Zuschuss zu Baukosten „zwingend“, weil Netz angeblich strukturell defizitär 369 Privatisierungsgesetz 500 : 495 200 100 0 -100 Kum. Verlust: 1,6 Mrd. € -200 -300 22% der Bundesmittel werden als Gewinn privatisiert 233 Kumul. Monopolgewinn: 2,1 Mrd. € Wer bezahlt Gewinn der Investoren? Primär Länder (SPNV) -400 -500 -600 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Anmerkung: Planung ging vermutlich von Verabschiedung des Gesetzes 2007 aus, inzwischen muss der orange Balken nach rechts verschoben werden 2008 2009 2010 2011 Quellen: Geschäftsberichte DB AG, Mittelfristplanung 2006 DB AG lt. Capital Seite 21 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Gut sichtbar ist der starke Kontrast zwischen den Netzergebnissen vor und nach dem erwarteten Privatisierungszeitpunkt. Von 2001 bis 2006 erwirtschaftete das Netz regelmäßig Betriebsverluste, die im Mittel bei gut 250 Mio. € lagen (kumuliert: 1,6 Mrd. €). Ab 2007 soll hingegen ein ruckartiger Schwenk in die Gewinnzone einsetzen.1 Am Ende des Planungszeitraums (2011) soll das bisher als strukturell defizitär geltende Netz neben der Logistiksparte Schenker sogar der größte Gewinnbringer des Konzerns werden. In absoluten Zahlen soll das Netz mit 568 Mio. € einen höheren Gewinn erzielen als das derzeit ergiebigste Segmente des Konzerns, das Geschäftsfeld Regio (Gewinn 2011: 500 Mio. €). In Relation zur geplanten öffentlichen Förderkulisse von 2,5 Mrd. € p.a. für Maßnahmen zur Erhaltung des Bestandsnetzes hieße dies, dass mehr als 22% des als Kofinanzierung angelegten Bundeszuschusses in den Konzerngewinn flössen. Abbildung 2: Gewinnplanung der Personenbahnhöfe bis 2011 Businessplan DB AG: Monopolrendite der Personenbahnhöfe Ge w inn na ch Zinse n Mio. EUR 150 135 140 130 Privatisierungsgesetz 120 120 110 100 90 80 70 60 56 55 50 40 30 110 94 74 e ite nd e R rw lm it a p Ka ng u t ar t ark Wer bezahlt Gewinnzunahme? Primär Länder (SPNV) 20 10 0 2005 2006 2007 2008 Anmerkung: Planung ging vermutlich von Verabschiedung des Gesetzes 2007 aus, inzwischen muss der orange Balken nach rechts verschoben werden 1 2009 2010 2011 Quellen: Geschäftsberichte DB AG, Interne Planung 2006 DB AG Der Vorstandsvorsitzende der DB AG bestätigte dies kürzlich bei der Präsentation des Zwischenberichts zum 1. Halbjahr 2007 am 23.8.2007. Seite 22 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Im Gleichschritt mit der Ergebnisentwicklung im Netz plant die DB AG aus den Personenbahnhöfen künftig ebenfalls deutlich höhere Gewinne zu ziehen. Bis 2011 soll sich der Gewinn mehr als verdoppeln, und zwar von 55 Mio. € (2006) auf 135 Mio. €. Ungeachtet der politischen und rechtlichen Bewertung sowie des Realitätsgehaltes verdeutlichen die Planzahlen, dass die DB AG die Renditeerwartungen des Kapitalmarktes standardmäßig antizipiert und betriebswirtschaftlich plausibel umsetzt. Offensichtlich zielt das Unternehmen darauf ab, aus dem langfristig abgesicherten Zugriff auf die Schieneninfrastruktur eine Monopolrendite abzuschöpfen, die rund ein Drittel des Konzerngewinns beisteuern soll. Für Investoren ist diese Perspektive attraktiv. Denn die DB AG kann das Ergebnis des Netzes, der Bahnhöfe und der Energiesparte effektiver und verlässlicher beeinflussen als den Erfolg auf den vergleichsweise volatilen Transportmärkten. Darüber hinaus eröffnet der Zugriff auf eine profitable Infrastruktur der DB AG die Chance, eine stabilisierende Untergrenze in ihr Konzern-Betriebsergebnis einzuziehen. Brechen Marktanteile auf den wettbewerblichen Transportmärkten weg oder sinken dort die Margen, hat sie dank der Netzintegration die Gewissheit, dennoch rund 50% der Wertschöpfung eines Transportes auf der Schiene im Konzern zu behalten. Indem die DB AG am Geschäft der Wettbewerber ihrer Transportgesellschaften mitverdient, wird ihr Verlustrisiko begrenzt. Seite 23 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 6 Folgenabschätzung für die Länder 6.1. Bedeutung des SPNV Die geplanten Ergebnissprünge der DB AG im Netz und bei den Personenbahnhöfen sind für die Länder ein ernst zu nehmendes Signal. Ohne die geplanten Maßnahmen zur Gewinnsteigerung und die daraus resultierende Lastenverteilung für die Länder im Detail zu kennen, können sie sich ausmalen, den Löwenanteil der Finanzierung tragen zu müssen. Diese Prognose leitet sich zwingend aus der dominanten Stellung des SPNV im Gefüge des gesamten Schienenverkehrs ab, wie die nachstehende Abbildung veranschaulicht: Abbildung 3: Trassenentgelte nach Segmenten 2006 DB AG SPNV NE-Bahnen Ges.-markt % €/Trkm 2.071 365 2.436 66 3,76 Fernverkehr 715 0 715 19 4,70 Güterverkehr 473 83 556 15 2,32 3.259 448 3.707 100 3,65 Summe Quelle: Geschäftsbericht DB AG 2006, eigene Berechnungen Zwei Drittel der Trassenentgelte wurden 2006 vom SPNV aufgebracht, weshalb damit zu rechnen ist, dass er mindestens in Höhe dieser Quote den kalkulierten Ergebnisbeitrag des Netzes durch Trassenpreiserhöhungen finanzieren soll. Setzt man die Durchschnittspreise der Trassennutzung je Segment (Nah-, Fern, Güterverkehr) in Relation zu den zurechenbaren Kosten, lässt sich erkennen, dass der SPNV – und damit die Länder - als besonders belastbar eingestuft werden. Bei den Personenbahnhöfen ist die Lastenverteilung noch asymmetrischer ausgeprägt. Dort stammen 86% aller Stationsentgelte vom SPNV (2006), so dass er den bis 2011 avisierten Gewinnanstieg des Segmentes um 80 Mio. € nahezu allein wird stemmen müssen (86% von 80 Mio. € = rund 70 Mio. €)). Nimmt man an, dass die Rationalisierungspotenziale lediglich die Inflation auffangen können, bedeuten 70 Mio. € Mehreinnahmen im Verhältnis zu 483 Mio. € Stationsentgelten 2006 eine Preiserhöhung von 14,5 % in fünf Jahren. Da die Prognosequalität von Planzahlen abnimmt, je weiter sie von der Gegenwart entfernt liegen, könnten die Länder die Hoffnung hegen, dass die Gewinnziele in der Realität durch gegensteuernde Maßnahmen verfehlt werden. PräSeite 24 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers destiniertes Instrument wäre eine durchschlagskräftige Regulierung der Bundesnetzagentur, indem sie die Rendite auf einem angemessenen Niveau deckelt. Aus der Sicht der Länder ist jedoch große Skepsis angebracht, auf den Bund als unterstützendes Regulativ zu vertrauen. Hauptgrund zur Vorsicht sind die Erfahrungen aus den letzten Jahren. Sie haben gezeigt, dass der Bund den – objektiv schwierigen – Spagat zwischen seiner Eigentümerrolle und der verkehrspolitischen Aufgabe „im Zweifel“ zugunsten der ersteren auslegt. Am schwersten wiegt die Überlegung, dass er als Gesellschafter der DB AG, Auftraggeber des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 und Initiator der interministeriellen Lenkungsgruppe zur Bahnprivatisierung die künftige Strategie des Unternehmens einschließlich der Gewinnplanungen für die EIU nicht nur kennt, sondern sie maßgeblich unterstützt. Stellvertretend sei die Aussage des Bundesverkehrsministers erwähnt, wonach die „Bahnreform“ notwendig sei, um die DB AG im europäischen Wettbewerb zu stärken. Auch die Eilbedürftigkeit der Einbringung des Gesetzes in den Bundestag wird ausschließlich mit zwei DB-bezogenen Argumenten begründet, nicht mit den Interessen der Branche Schienenverkehr. Und das deutlichste Signal für die Länder ist die Statistenrolle, die der Bund ihnen im Gesetzgebungsverfahren zuweist, obwohl der Bundesrat seine Zustimmung erteilen muss. Vor diesem Erfahrungshorizont müssen sich die Länder die Frage stellen, warum der Bund seine Prioritätensetzung ausgerechnet dann ändern sollte, wenn er nach der Privatisierung zusätzlich dem Erwartungsdruck des privaten Investors ausgesetzt ist. Zwischenfazit: Um ihre eigenen Interessen verlässlich zu schützen, müssen die Länder ihrer Folgenabschätzung die realistische Annahme voranstellen, dass die kapitalmarktgesteuerte DB AG ihre Gewinnplanung für die Schieneninfrastruktur mit großem Nachdruck durchzusetzen sucht. Wollte der Bund sich dagegen wenden – was er aktienrechtlich nicht darf -, würde der private Investor intervenieren. Insofern müssen die Belastungen und die anzustrebenden Gegenmaßnahmen mindestens einen „Bad Case“ unterstellen. 6.2. Maßnahmenspektrum zur Gewinnsteigerung in der Schieneninfrastruktur Wie die Analyse in Abschnitt 5 gezeigt hat, soll die Netzsparte bis 2011 – gemessen an 2006 - einen Gewinnsprung von 780 Mio. € erzielen. Eine derartige ambitionierte Größenordnung lässt sich nur über einen Maßnahmen-Mix erreichen. Erlösseitig ist die Auswahl an Ansatzpunkten übersichtlich: Seite 25 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Entweder erhöht der Netzbetreiber den Trassenabsatz Oder er steigert die Entgelthöhe, ggf. auch durch Differenzierung der Preise Die dritte Quelle sind Sondereffekte wie Immobilienerlöse, die nicht zum operativen Geschäft zählen. Auf der Kostenseite ist die Bandbreite der Maßnahmen größer, da sämtliche Produktionsfaktoren Einsparungspotenziale in sich bergen können. Kurzfristig ist aber auch hier wenig erreichbar, zumal die DB AG für 2007 eine Sanierungsoffensive angekündigt hat, die das Ergebnis eher belasten dürfte. Eine Besonderheit ist die Möglichkeit bei der mischfinanzierten Schieneninfrastruktur, Lasten auf Dritte – hier die Gebietskörperschaften – abwälzen zu können. Im Folgenden werden diejenigen Maßnahmen einschließlich der zu erwartenden Folgen diskutiert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten und einen signifikanten Ergebnisbeitrag zeitnah zu leisten versprechen. 6.3. Preiserhöhungen für Vorleistungen (Trassen, Stationen) Von allen zur Auswahl stehenden Maßnahmen sind signifikante Erhöhungen der Trassenpreise an erster Stelle zu analysieren, insbesondere weil sie bereits in die Planung der DB AG fest eingestellt sind. So geht aus dem Monitoringbericht von Morgan Stanley 2007 mit Verweis auf die Mittelfristplanung der DB AG 2006 hervor: „Fahrweg: Planerisch unterstellte jährliche Trassenpreiserhöhung ab 2008 um 2 % p.a. sowie zunehmender Wettbewerb auf der Schiene und daraus resultierende Nachfrageeffekte führen zu deutlich steigenden Umsätzen im Vergleich zur alten Planung.“ Wie die am 9.2.2007 verkündete Trassenpreisliste der kommenden Fahrplanperiode zeigt, reizt die DB AG ihre gerundete Planungsannahme mit 2,4 % voll aus.2 Dieser Wert bildet die Untergrenze für die Berechnung der Mehrbelastungen in Szenario 1. Er entspricht auch ungefähr dem langfristigen Mittel der jährlichen Trassenpreisanhebungen seit 2002. 2 Bei 3,7 Mrd. € Trassenerlösen 2006 ist ein Zehntel Prozentpunkt immerhin 3,7 Mio. € wert; 0,4 % mehr steigern die Einnahmen um 14,8 Mio. €. Seite 26 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Vergleicht man diese Steigerungsraten allerdings mit der korrespondierenden Entwicklung der Netz-Ergebnisse, ist zu konstatieren, dass diese bis 2006 beständig im negativen dreistelligen Millionenbereich lagen und keine dynamischen Fortschritte erkennen ließen. Erst im laufenden Geschäftsjahr soll das Netz-Ergebnis schlagartig in die Gewinnzone drehen. Ursächlich dürfte die seit 2001 stärkste Erhöhung der Trassenpreise sein. Abbildung 4: Trassenpreisentwicklung 2006/2007 (Grundpreis) Kategorie TP 2006 (€ / Trkm) TP 2007 (€ / Trkm) Veränd. (%) Fplus 8,30 7,90 - 4,8 F1 3,79 4,02 + 6,1 F2 2,50 2,78 + 11,2 F3 2,26 2,47 + 9,3 F4 2,17 2,36 + 8,8 F5 1,76 1,82 + 3,4 F6 2,06 2,13 + 3,4 Z1 2,14 2,21 + 3,3 Z2 2,21 2,29 + 3,6 S1 1,46 1,55 + 6,2 S2 2,09 2,09 0 S3 2,51 2,51 0 Mit Ausnahme der drei solitären Trassenpreis-Kategorien für die beiden Schnellfahrstrecken über 280 km/h und die beiden Gleichstrom-S-Bahnen in Berlin und Hamburg sind alle anderen Trassenpreise um mind. 3,3 % gestiegen, bei den drei Kategorien F2 bis F4 mit hohem SPNV-Anteil sogar zwischen 8,8 und 11,2 %. Da der gewichtete SPNV-relevante Durchschnitt der Trassenpreiserhöhung nicht bekannt ist, wird er für die Belastungsrechnungen mit 4 % konservativ angesetzt. Angesichts der Korrelation dieser Größenordnung mit der von der DB AG vorausgesagten hohen positiven Ergebniswirkung muss damit gerechnet werden, dass der Anstieg der Trassenpreise nach 2008 auch oberhalb von 2,4 % liegen könnte. Aus diesem Grund wird in Szenario 2 eine durchschnittliche jährliche Erhöhung von 3,5 % unterstellt, die die Obergrenze der Folgenabschätzung markiert. Sie erscheint auch insofern plausibel, als Inflationseffekte, gestiegene Aufwendungen durch die Sanierungsoffensive, zunehmend schwerer zu hebende Produktivitätserfolge und das schnelle Ausnutzen einer noch im Aufbau beSeite 27 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers findlichen Entgeltregulierung in der Tendenz für höhere Preissteigerungen als 2,4 % sprechen. Abbildung 5: Szenariorechnungen der finanziellen Mehrbelastung Planung DB AG laut Morgan Stanley: Jährliche Anhebung der durchschnittlichen Trassenpreise um 2% bis 2011 Szenario 2: + 3,5 % p.a. (ab 2008) +471 SPNV wird zumeist stärker belastet +373 Szenario 1: + 2,4% p.a. +349 entspricht Preiserhöhung 2007 +284 + +278 +220 +186 +158 +97 +97 2.436 Mio. € Trassenentgelte SPNV 2007 2008 2009 2010 2011 Zusatz-Belastung Länder: 1.108 Mio. € 2007 2008 2009 2010 2011 Zusatz-Belastung Länder: 1.405 Mio. € 2006 Wie die Trassenentgelt-„Treppe“ für Szenario 1 zeigt, müssen die Länder – gemessen am Ausgangsjahr 2006 - eine sichere kumulierte Mehrbelastung von nominell 1,1 Mrd. € bis 2011 in Kauf nehmen. Hiervon sind rund 100 Mio. € Mehrkosten szenariounabhängig bereits zum Fahrplanwechsel 2006/2007 durch die Steigerung der Trassenpreise um ca. 4 % eingetreten. Der Großteil von 1 Mrd. € steht jedoch noch aus. Im Durchschnitt der nächsten vier Jahre entsteht eine monetäre Zusatzlast von 250 Mio. € pro Jahr. In welchem Ausmaß die Länder real belastet werden bzw. welche konkreten Folgen die Zusatzkosten zeitigen, hängt von mehreren Faktoren ab, und zwar von der künftigen Dynamisierung der Regionalisierungsmittel, der Entwicklung der anderen Vorleistungspreise (primär Stationen und Energie) Seite 28 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers der Höhe der Kosteneinsparungen durch Wettbewerb, den Umschichtungsspielräumen innerhalb des Topfes der Regionalisierungsmittel, der Bereitschaft der Länder, eigene Mittel kompensatorisch einzusetzen. Aus den bis dato rund 140 wettbewerblichen Vergaben von Verkehrsverträgen lässt sich inzwischen empirisch gestützt ableiten, dass der SPNV-Markt noch Effizienzgewinne für die Länder von mindestens 600 Mio. € in sich birgt.3 Allerdings steht dieses Reservoir bis 2012 aufgrund der langfristigen Verkehrsverträge mit der DB AG nur zu einem kleineren Teil – schätzungsweise 20-25 % zur Verfügung. Spielräume zur Umschichtung von Regionalisierungsmitteln gelten nach der Kürzung 2006 als weitgehend ausgereizt. Die Bereitschaft der Länder, selbst einzutreten, erweist sich in der Regel als begrenzt und wurde durch die Kürzung der Mittel 2006 bereits erheblich strapaziert. Entscheidende Determinanten für das Ausmaß der Folgen sind demnach die Entwicklung der Vorleistungspreise (Trassen, Stationen, abgeschwächt: Energie) sowie das künftige Niveau der Regionalisierungsmittel. In der obigen Abbildung wird in Anlehnung an den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25.5.2007 – also einschließlich der 2006 zugesagten Kompensation von 500 Mio. € - unterstellt, dass die Dynamisierung von 1,5 % p.a. ab 2009 wieder einsetzt, allerdings auf dem zuvor abgesenkten Niveau. Geht man des Weiteren davon aus, dass die Entgelte aller anderen Vorleistungen mindestens in Höhe der Dynamisierungsrate von 1,5 % steigen (Energie dürfte in der Tendenz darüber liegen, Stationspreise allein wegen der Gewinnplanung ebenfalls), öffnet sich die Schere zwischen verfügbarem Budget und Vorleistungspreisen bei konstantem Verkehrsangebot im Zeitablauf erheblich. Plastisch lässt sich dies an einer indexierten Darstellung ablesen, die als Basiswert die Regionalisierungsmittelausstattung von 2006 heranzieht (7,053 Mrd. = 100). 3 Allein die Überrendite von 650 Mio. € des Geschäftsfeldes Regio plus S-Bahnen der DB AG indiziert diesen Wert, hinzu kommen Verrechnungspreise zugunsten des Fernverkehrs und vor allem Kostenniveaus, die im Wettbewerb nicht haltbar sind. Die zweite Herleitung setzt sich zusammen aus „ausstehendes Vergabevolumen mal Durchschnitts-Effizienzgewinn“. Seite 29 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Abbildung 6: Kaufkraftentwertung der Regionalisierungsmittel Index Trassenpreise Index Reg.-Mittel % 2,4 115 t Ver g run eu e Schere öffnet sich weiter! 110 105 100 1,5% D ierung ynamis 95 90 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Während die 2006 verfügte Kürzung der Regionalisierungsmittel dazu führt, dass die Delle der Nominalbeträge erst 2012 wieder das 2006er-Niveau von 7,053 Mrd. € erreicht, steigen die Kosten der Trassennutzung während dieses Zeitraums für die Länder beständig an. Im Ergebnis dieser Schere sinkt die Kaufkraft eines Euros Bestellentgelt für die Aufgabenträger kontinuierlich. Real kann der Effekt noch gravierender ausfallen, da die Länder ursprünglich davon ausgingen, dass die Regionalisierungsmittel von 2002 bis 2008 um 1,5 % p.a. verlässlich wüchsen. Wäre dieser Pfad eingehalten worden, könnten die Länder 2008 über 7,375 Mrd. € verfügen - tatsächlich werden es aber voraussichtlich nur 6,675 Mrd. € sein. Die Kluft von 700 Mio. € zwischen altem und neuem Planwert ist insofern beachtlich, als die Konditionen der langfristigen Verkehrsverträge unter deutlich optimistischeren Annahmen zur Mittelausstattung vereinbart worden waren. Bei realistischer Folgenabschätzung ist jedoch einzuräumen, dass das Delta zwischen dem ursprünglich angenommenen Wachstumspfad der Regionalisierungsmittel und dem Mittelansatz nach der Kürzung 2006 die Auswirkungen auf das Verkehrsangebot überzeichnen würde. Dieser Schluss drängt sich empirisch auf, nachdem die eingetretenen Kürzungen 2006 (Betrag von 2005 wurde entgegen der Planung eingefroren, Fehlbetrag = 106 Mio. €) und 2007 (Absenkung um 343 Mio. im Vergleich zu 2006, 556 Mio. € gegenüber altem Planpfad) trotz deutlich erhöhter Trassen- und Stationsentgelte zu keiner nennenswerten ReSeite 30 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers duzierung des bundesweiten SPNV-Angebotes von 630 Mio. Zugkm geführt haben.4 Offensichtlich waren noch Reserven im System bzw. sahen sich die Länder in der Pflicht, fehlende Mittel teilweise zu ersetzen. Im Gegenzug ist wiederum zu bedenken, dass der Spielraum der Länder für solche Ausgleichsmaßnahmen endlich ist und 2006 weitgehend aufgebraucht wurde. Darüber hinaus ändert die Vermeidung einer Angebotskürzung durch Ländermittel nichts an der finanziellen Mehrbelastung. Wählt man 2007 als Bezugsjahr eines gerade noch ausfinanzierten Verkehrsangebotes, öffnet sich die Schere bis 2011 zwar bedächtiger, aber letztlich genauso unausweichlich. Der schleichende Kaufkraftverlust schreitet etwas langsamer voran, ohne jedoch in seiner Grundsätzlichkeit aufgehalten zu werden, die zwingend in eine Reduzierung des Verkehrsangebotes mündet. Steigen die Trassenpreise wie im Szenario 2 jährlich um 3,5 %, klettert die Mehrbelastung der Länder auf 1,4 Mrd. €. Der Kaufkraftverlust wird noch beschleunigt, die Spirale der notwendigen Abbestellungen von SPNV-Verkehren ebenfalls. Da die DB AG analog zur Gewinnplanung im Schienennetz beabsichtigt, auch den Segment-Gewinn der Personenbahnhöfe deutlich zu steigern, erwächst hieraus eine weitere Belastung für den SPNV. Diese fällt mit durchschnittlich rund 50 Mio. € p.a. bis 2011 jedoch geringer aus. Auch das Geschäftsfeld Energie soll seinen Gewinn noch ausbauen, was jedoch an dieser Stelle ausgeblendet werden soll. Folgenabschätzung: Die an den Ansprüchen des Kapitalmarktes ausgerichteten Gewinnziele der Infrastruktur-Geschäftsfelder Netz, Personenbahnhöfe und Energie setzen voraus, dass die Trassen- und Stationspreise in den nächsten Jahren deutlich und regelmäßig steigen. Insgesamt müssen die Länder mit einer kumulierten Mehrbelastung bis 2011 zwischen 1 bis 1,3 Mrd. € rechnen. Tritt der untere Rand der Erwartung ein, sind dies im Jahresdurchschnitt 250 Mio. €. Da die Zusatzkosten weder bis 2009 noch danach durch die wieder einsetzende Dynamisierung aufgefangen werden, sinkt die Kaufkraft der Länder für Nahverkehrsleistungen kontinuierlich. 4 Laut Angaben der BAG-SPNV 2007 betrug der Reduzierungseffekt nur 0,3 %, er steht allerdings unter Vorbehalt, da die endgültigen Bestellmengen noch nicht bekannt sind. Seite 31 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Sofern die Länder diese Schwächung nicht durch eigene Mittel ausgleichen, sind Anpassungsreaktionen wie Taktausdünnungen und Streichungen von Verbindungen unvermeidbar. Rechnet man mit einem durchschnittlichen Bestellentgelt von 8 € pro Zugkilometer, wird sich das Verkehrsangebot mittelfristig um rund 30 Mio. Zugkilometer verringern (= 5 % des heutigen Angebotes). Bei höheren Belastungen steigt der Wert auf bis 7-10%. Gespräche mit Aufgabenträgern fördern zutage, dass sich viele bereits heute auf ein solches Szenario einstellen. Als maßgeblicher Auslöser der Sensibilisierung werden zumeist die Erfahrungen aus der Kürzung der Regionalisierungsmittel 2006 genannt. 6.4. Reduzierung der Infrastruktur-„Menge“ In der Bahnpolitik herrscht Konsens, dass das deutsche Schienennetz in seiner Gesamtheit strukturell defizitär ist. Ökonomisch präziser formuliert reichen die Beiträge der Fahrgäste und Verlader nicht aus, um die Vollkosten des kapitallastigen Systems Schiene zu decken. Anschaulich wird dieser Zusammenhang mit Hilfe einer Überschlagsrechnung. Die Vollkosten des Schienennetzes setzen sich aus den Kosten des Kapazitätsaufbaus einschließlich der Substanzerhaltung sowie den Kosten des laufenden Betriebs zusammen. Geht man davon aus, dass die Summe der Investitionen für Neu- und Ausbau sowie in das Bestandsnetz im langfristigen Mittel bei 3,5 bis 4 Mrd. € pro Jahr liegt, entspricht dieser Wert zugleich dem jährlichen Abschreibungsbedarf. Die Aufwendungen für Instandhaltung und den operativen Betrieb werden im Wesentlichen über Trassenerlöse gedeckt, die sich 2006 auf rund 3,9 Mrd. € beliefen. In der Addition ergeben sich Vollkosten von 7,5 bis 8 Mrd. €. Auf der Seite der Mittelherkunft finanziert die öffentliche Hand den Großteil der Investitionen in Form von verlorenen Baukostenzuschüssen. Hinzu kommen ein mittlerweile vernachlässigbarer Anteil zinsloser Darlehen sowie Eigenmittel der DB AG, deren tatsächliche Höhe umstritten ist. Von den Trassenerlösen finanziert der SPNV rund zwei Drittel, die wiederum zu knapp 70 % durch staatliche Bestellentgelte subventioniert werden. Somit trägt der Endkunde rund 30 % der Vollkosten. Spiegelbildlich liegt der Gemeinwohlanteil bei 70 %. Hierbei handelt es sich allerdings um einen bundesweiten Durchschnittswert. Strecken- oder teilnetzbezogen dürfte der Finanzierungsanteil der Nutzer zwischen unter 5 % bis in Einzelfällen über 100 % schwanken. Fällt – wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen - das wirtschaftliche Eigentum am Schienennetz in die Privatisierungsmasse, muss es seine Kapitalkosten verdienen, darunter auch die kapitalmarktadäquate Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals. Der resultierende Renditedruck hat zur Folge, dass Seite 32 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers jede kleinste Einheit des systemisch defizitären Netzes strecken- und komponentenscharf auf ihre spezifische Kosten-Erlös-Relation untersucht wird. Da praktisch alle Teile des Netzes nicht kostendeckend sind, geraten vor allem jene Strecken und Anlagen als erstes auf den Prüfstand, die am unteren Ende der Ergebnisskala die negativsten Erlös-Kosten-Koeffizienten aufweisen. Der „überlebensfähige“ Netzumfang hängt in diesem System von der Höhe der staatlichen Zuwendungen und des Gewinnaufschlags des Netzbetreibers ab. Insgesamt entsteht ein Sogeffekt, der auf das – unter Einberechnung aller Zuwendungen – betriebswirtschaftlich optimale Kernnetz zuläuft. Die Auswirkungen dieser Mechanik sind als Vorläufer der Privatisierung im Tagesgeschäft der DB AG seit 2003/2004 immer klarer zu beobachten. Neben der Reduzierung der Betriebslänge auf inzwischen 34.000 km findet ein konsequenter Rückbau jener Anlagen wie Überhol-, Abstell- und Ladegleise sowie Weichen statt, die in der kurzfristigen, ausschließlich an den Interessen des DB-Konzerns ausgerichteten Erfolgsrechnung als Kostenbelastung identifiziert werden. In der Folge wurde die dynamische Kapazität des Netzes an vielen Stellen so weit verknappt, dass kurze Wachstumsphasen auf der Schiene ausreichen, um Knoten und Magistralen zulaufen zu lassen, wodurch das Wachstum gebremst wird. An dieser Stelle zeigt sich exemplarisch das Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Kurzfristorientierung und dem volkswirtschaftlichen Gebot des langen Atems bei Infrastrukturinvestitionen. Perspektivisch aussagekräftig ist die Anfang dieses Jahres vorgestellte Strategie ProNetz der DB AG. Sie zeichnet ein richtungsweisendes Bild über die künftige Prioritätensetzung der Netzsparte im Konzern. Der Analyse wird die schlüssige Annahme vorangestellt, dass Wachstumspotenziale im größeren Maßstab nur im Güterverkehr erschließbar seien. Diese sollen dadurch besser ausgeschöpft werden, dass die Netzbewirtschaftung sich nicht länger an Geschwindigkeitsmerkmalen und Auslastungsmengen orientiert, sondern allein am kommerziellen Maßstab der Umsatzmaximierung. Die eisenbahnbetriebswissenschaftlichen Systeme müssen durch eisenbahnbetriebswirtschaftliche Elemente erweitert werden.5 Unterstrichen wird der konsequent betriebswirtschaftliche Fokus durch eine Clusterung des Netzes nach Umsatzstärke. 5 Vgl. DB AG 2007, ProNetz Seite 33 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Abbildung 7: Clusterung des Netzes nach Umsatzstärke Gleiskm % Umsatz % Kategorie 1 21.750 39,5 2.500 70,2 Kategorie 2 15.955 29,0 720 20,2 Kategorie 3 17.299 31,5 340 9,6 Total Hauptn. 55.004 100,0 3.560 100,0 Kategorie 4 7.950 210 Total Netz 62.954 3.770 Quelle: DB AG 2007, ProNetz Während die besten 40% des Netzumfangs 70% des Umsatzes einbringen, zeichnet das letzte Drittel (Kategorie 3) für weniger als 10% des Umsatzes verantwortlich. Selbst wenn die Kosten dieses schwächsten Segmentes unterdurchschnittlich ausfallen, liegt es betriebswirtschaftlich auf der Hand, knappe Ressourcen auf die Kategorien 1 und – abgeschwächt – 2 zu konzentrieren. Dies wird an zwei Stellen wie folgt präzisiert: Präventive Instandhaltungsaufwendungen nur für die Kategorie 1 Hinsichtlich der Investitionen heißt es im Wortlaut: „Gesamtes Netz hinsichtlich bereits geplanter Investitionsmaßnahmen prüfen. … [Unterpunkt:] Insbesondere Schwachlastregionen hinsichtlich des Mitteleinsatzes überprüfen.“ Angesichts der Deutlichkeit beider Aussagen drängt sich die Schlussfolgerung auf, die 17.000 Gleiskilometer der Kategorie 3 als langfristig entbehrliche Streichmasse anzusehen. In Streckenkilometer umgerechnet handelt es sich um 10.000 bis 14.000 km – in etwa der Umfang aller Regionalnetze mit 11.500 km. Als betriebswirtschaftlich optimales Netz kristallisiert sich eine Größenordnung von 20.000 bis 25.000 km heraus. Gegen den betriebswirtschaftlich induzierten Stilllegungsdruck in der Fläche werden folgende Einwände vorgebracht: Nicht die DB AG oder private Investoren entscheiden über Stilllegungen, sondern der Bund in Gestalt des Eisenbahn-Bundesamtes nach § 11 AEG. Die Länder bestellen den Nahverkehr; sie definieren letztlich den Bedarf an Verkehrsangeboten und damit implizit die Wertigkeit einer Strecke. Seite 34 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 90% der Kunden der DB AG bewegen sich im Nahverkehr. Der private Investor wäre verrückt, sich diesem Segment zu verschließen. Formal klingen die Argumente plausibel, in der Praxis sind sie jedoch falsch. Das Verfahren nach § 11 AEG setzt voraus, dass es überhaupt eingeleitet wird. Tatsächlich sind aber Fälle bekannt, in denen Strecken „kalt stillgelegt“ wurden, d.h. sie wurden aus „technischen Gründen gesperrt“. Dieses Vorgehen ist zwar rechtswidrig, es ist aber bis heute trotz Entscheidungen des Eisenbahn-Bundesamtes und auch der Gerichte noch in keinem Fall gelungen, dass die DB AG eine technisch stillgelegte Strecke wieder in Betrieb genommen hat. Bekanntestes Beispiel ist die Hunsrückstrecke. Kalten Stilllegungen konnten die Länder bislang allenfalls dadurch entgegenwirken, dass andere EIU diese Strecken übernommen haben, allerdings bei gleichzeitig erheblicher Bezuschussung. Beispiele hierfür sind das „Sonneberger Netz“ und die „Pfefferminzbahn“, beide in Thüringen. Hinzu kommt, dass die DB AG Teilstilllegungen häufig nicht zur Genehmigung anmeldet. Dies gilt vor allem für Maßnahmen zur Kapazitätsreduzierung, von denen behauptet wird, dass sie nicht ins Gewicht fielen. In einem aktuellen Fall hat das EBA die DB Netz AG nach über 6 Jahren illegaler Stilllegung verpflichtet, einen wichtigen Bahnhof an der völlig überlasteten Strecke Frankfurt–Heidelberg wieder in Betrieb zu nehmen. Geschehen ist aber – auch nach Bestätigung des Beschlusses durch das Verwaltungsgericht Darmstadt – bislang nichts. Die Entscheidungsspielräume für das EBA im Stilllegungsverfahren nach § 11 AEG sind gering. Die EIU des Bundes haben einen Rechtsanspruch auf Stilllegung. Die vorgeschriebene Prüfung der Abgabe an Dritte kann durch überhöhte Kaufpreis- und Pachtvorstellungen sowie gezielte vorherige Vernachlässigung der Infrastruktur weitgehend ausgebremst werden. Zudem ist die Abgabe isolierter Infrastrukturteile – z.B. eines einzelnen Bahnhofs oder eines zweiten Streckengleises - an Dritte illusorisch. Die Versagung der Genehmigung wegen weiter gegebener Zumutbarkeit kommt daher nur äußerst selten vor. Die Behauptung, geringe spezifische Erlöse stünden angeblich hohen Unterhaltsaufwendungen gegenüber, hat in den meisten Fällen zur Stilllegungsgenehmigung geführt. Dem EBA ist es praktisch nicht möglich, ohne Unternehmensdaten den Gegenbeweis anzutreten, etwa mit Verweis auf höhere Erlöse bei einer Netzbetrachtung oder auf überhöhte Betriebs- und Instandhaltungskosten als Folge der Netzvernachlässigung. Im Ergebnis wird über 95% der Stilllegungsanträge stattgegeben. Seite 35 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Die Bestellung von Nahverkehren durch die Länder ist kein Garant, Stilllegungen zu verhindern. So hat DB Netz für mehrere Strecken in Thüringen und Sachsen-Anhalt erklärt, trotz laufender Bestellung die Stilllegung zu beantragen. Das Unternehmen hat sich letztlich in allen Fällen durchgesetzt, zur Not unterstützt durch technische Stilllegungen. Sicherheit erlangen die Länder nur dann, wenn sie sich zu langlaufenden Bestellgarantien von 10 bis 15 oder 20 Jahren verpflichten. In vielen Fällen wird die Zusage mit der Bereitschaft der Länder verbunden, das Zugangebot auf mindestens einen Einstundentakt aufzustocken. Dies kann nicht als Hoheit über die Bestellung der Verkehre bezeichnet werden. Zusammengefasst gilt: Formal entscheiden die Länder frei über Menge und Qualität des SPNV-Angebotes – doch die Konditionen werden maßgeblich durch die DB AG als integrierter Infrastrukturbetreiber determiniert. Dieser bestimmt stets 40 - 50 % der Wertschöpfung einer Zugfahrt im SPNV, priorisiert die Mittel und entscheidet somit letztlich über die Daseinsberechtigung einer Strecke. Der Druck zur Optimierung der Betriebslänge des Netzes entlädt sich weder direkt, noch mündet er binnen Monatsfrist in Stilllegungen oder gar irreversible Entwidmungen einer Strecke. Dem wirken allein die eisenbahnrechtlichen Fristen und Prüfschritte entgegen. Vielmehr läuft der Optimierungsprozess geräuschlos im Hintergrund ab, und zwar über einen spiralförmigen Umweg, dessen Verlauf der Netzbetreiber maßgeblich beherrscht. Die Länder können hingegen nur auf das letzte Kostendrittel über den Wettbewerb Einfluss nehmen. Die realen Kräfteverhältnisse werden verzerrt beschrieben, wenn die Länder als autonome Entscheider hingestellt werden. Verstärkt wird die Problematik noch insoweit, als der DB-Konzern einen doppelten Anreiz haben kann, die Kräfte auf dem betriebswirtschaftlich optimalen Kernnetz zu bündeln. Neben netzseitigen Kosteneinsparungen hat auch das Geschäftsfeld Regio ein hohes Interesse, die Nahverkehrsmittel der Länder auf die erlösstarken Strecken und Teilnetze zu lenken. Dort ist die DB AG nach den gültigen Ausschreibungsfahrplänen am längsten vor Wettbewerb geschützt und kann berechtigterweise hoffen, Fahrzeugförderungen, die Vertriebshoheit und ihre Marktkenntnis als ausschlaggebende Bietvorteile in Wettbewerbsverfahren einbringen zu können. Insofern ist die Aussage zutreffend, dass kein privater Investor auf das 90%Segment seiner Kunden verzichten möchte – sie muss aber nicht im Widerspruch zu der parallelen Absicht stehen, diese auf einem betriebswirtschaftlich optimierten, reduzierten Netz zu bedienen. Seite 36 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Abbildung 8: Begrenzte Schutzfunktion des § 11 AEG Bahnhofsgebäude Bahnsteige Energieversorgungseinrichtungen Umschlaganlagen, Ladestraßen Formale Schutzwirkung § 11AEG Essentielle Elemente der Infrastruktur, finanziert durch LuFV Bahnhofsnebengleise, Abstellgleise etc. Streckengleise Unpraktikabel, nur bei „für die Betriebsabwicklung wichtigem Bahnhof“ Unzureichend: Nur bei „mehr als geringfügiger Kapazitätsverringerung“ Folgenabschätzung: Die Ausführungen zur ProNetz-Strategie der DB AG sind ein deutliches Signal, dass die umsatzschwächste Netzkategorie 3 mit 10.000 bis 14.000 Streckenkilometer als entbehrlich eingestuft wird. Geht man davon aus, dass das Fernund Ballungsnetz bis auf kleinere Ausnahmen als gesetzt gilt, bilden sämtliche Regionalnetze die prädestinierte Streichmasse. Allerdings ist es fiskalisch nicht erforderlich und politisch kaum vorstellbar, sämtliche Verbindungen auf dem Nebennetz abzubestellen. Daher ist es wahrscheinlich, dass langfristig 6.000 bis 10.000 Streckenkilometer stilllegungsbedroht sind. In der Gewinnplanung des Netzes bis 2011 können Stilllegungen noch keinen bedeutenden Ergebnisbeitrag leisten. Die Fristen und notwendigen Verfahren sprechen gegen eine solche Annahme. In der Perspektive einer über 15 Jahre gesicherten Betriebsführerschaft sind aktiv betriebene Maßnahmen zur Verkleinerung des Netzes hingegen in hohem Maße realistisch. Ob es dazu kommt, wird allein von der Bereitschaft und Finanzkraft der Länder abhängen, mit eigenen Mitteln gegenzusteuern. Seite 37 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Bei den Stationen wirken im Grundsatz die gleichen Mechanismen wie im Netz. Auch die Vorboten der konsequenten Ausrichtung der DB AG auf die Privatisierung sind seit längerem beobachtbar. So berichten viele Aufgabenträger von Bemühungen der DB Station & Service, die Länge der Bahnsteige an vielen Stationen zurückzubauen. Begründet wird dies mit Kosteneinsparungen, deren Logik sich nicht unmittelbar erschließt. Auch die in diesem Jahr bekanntgewordene Absicht, einen Großteil der Empfangsgebäude abzustoßen, fügt sich in das Bild der strengen Renditeorientierung. Folgenabschätzung: Im Gleichschritt mit der Konzentration der Netzmittel spricht viel dafür, dass auch die Zahl der Stationen betriebswirtschaftlich optimiert werden soll. Unterlagen der DB Station & Service deuten an, dass auf die Schließung der Stationen mit einer Tagesfrequenz von unter 100 Ein- und Aussteigern in näherer Zukunft mit Nachdruck hingewirkt werden dürfte. Diese werden als volkswirtschaftlich (!) unsinnig bezeichnet. Zwar bestimmen hierüber erneut formal die Länder als Besteller, an welchen Stationen Züge halten. Die DB AG hat jedoch genügend Instrumente in der Hand, den Prozess der Schließungen zu forcieren. 6.5. Verlagerung der Finanzierungslasten bei Investitionen Wie vorher kurz skizziert, werden die Investitionen in die Schieneninfrastruktur im Wesentlichen vom Steuerzahler getragen. Die DB AG steuert einen geringen Eigenanteil bei, dessen tatsächliche Höhe umstritten ist. Die DB AG nennt Größenordnungen von 10 bis 20 % der Investitionen - der Bundesrechnungshof bezifferte den Anteil auf unter unter 2 %. Unstrittig ist, dass die DB AG bei den Investitionen seit 2004 zunehmend Zurückhaltung übt. Die Eigenmittellinie wurde deutlich heruntergefahren, bei Neuund Ausbauvorhaben praktisch auf null. Sie werden nur dann in Angriff genommen, wenn der Staat 100% der Bau- und Planungskosten trägt. Selbst Projekte wie Emmerich-Oberhausen (Verlängerung Betuwe), Karlsruhe-Basel, Frankfurt-Fulda oder Frankfurt-Mannheim liegen – neben nahezu sämtlichen Knotenvorhaben - brach, obwohl sie neuralgische Engpassstellen im deutschen Netz sind oder absehbar werden. Nur wenn ihr die Schieneninfrastruktur zu 100% geschenkt wird, ist die DB AG bereit, fremdes (!) Geld zu verbauen. Exemplarisch für diese Haltung ist die Reaktion der DB AG auf die Meldung im Weser-Kurier vom 27.3.2007, dass die DB AG in ihrer internen Planung für die rechtzeitige Anbindung des Tiefwasserhafens JadeWeserPort kaum Mittel eingeSeite 38 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers stellt habe. Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung der DB AG [Unterstreichung durch Verf.]: „Mehdorn bekräftigte …, dass das Unternehmen zu seinen Zusagen stehe, den Jade-Weser-Port bei Wilhelmshaven zweigleisig und elektrifiziert … anzubinden. Bei gesicherter Finanzierung (!) und damit baldigem Beginn der Planungen werde dies bis 2010 erfolgen.“ Die Finanzierung sichern jedoch ausschließlich Dritte. Die DB AG tritt selbst nicht in Vorleistung. Wenn jedoch selbst die „Filets“ im deutschen Schienennetz keinen unternehmerischen Anreiz auslösen, 5 oder 10 % eigenes Geld einzusetzen (z.B. um Projekte zu forcieren), wirft dies einen Schatten auf die Prioritätensetzung im „Logistikkonzern mit Gleisanschluss“ – erst recht auf die künftige nach der Privatisierung. Die Länder erleben im etwas kleineren Maßstab das gleiche Phänomen. Ob bei Bahnhofssanierungen, Einbau von Fahrstühlen oder Eisenbahnkreuzungsvorhaben – regelmäßig spielt die DB AG dem Vernehmen nach auf Zeit, bis Länder und Kommunen entweder aufgeben oder resigniert den Anteil der DB AG mit schultern. Das BMVBS räumt den Missstand des Investitionsunwillens der DB AG – sogar im Gesetzentwurf – praktisch offen ein. So heißt es im Begründungsteil des 2, Entwurfs auf S. 43 zu § 19: „Da bislang vielfach bei Vorhaben des Bedarfsplans selbst ein sehr geringer Eigenanteil der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes eine Bereitschaft zur Realisierung der Vorhaben des Bedarfsplans verhindert hat, …“ Noch deutlicher drückt sich ein internes Papier des BMVBS vom Herbst 2005 aus: „Im Gegenteil fordert die DB AG als Preis dafür, dass sie die Bundesmittel investiv einsetzt, die Bereitstellung zusätzlicher Bundesmittel als „Geschenke“, um den ihr obliegenden Finanzierungsanteil bringen zu können.“ Angesichts geplanter Gewinne von mehreren Mio. € wäre nicht nachvollziehbar, warum die DB AG keinen höheren Eigenanteil schultern sollte. Seite 39 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Folgenabschätzung: Der Trend wird sich fortsetzen und noch zunehmen, dass die DB AG so viel möglich der Finanzierungslast bei Investitionen auf Dritte zu überwälzen sucht. Unternehmerisch ist dieses Verhalten völlig verständlich und richtig. Die Länder müssen sich darauf einstellen, künftig einen größeren Anteil an den Investitionen mit finanzieren zu müssen. Zugleich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Bund bei steigender Belastung die Länder verstärkt heranzieht. Erste Anzeichen sind dazu in jüngerer Zeit erkennbar. Im Ergebnis tritt ein wachstumsschädlicher Effekt ein: Das System wird staatslastiger denn je – entgegen den typischen Erwartungen an eine Privatisierung. Seite 40 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7 Abgleich der Länderforderungen mit dem Gesetzentwurf 7.1. Prüfmaßstab: Sicherung des Gemeinwohlauftrags Die Analyse in Abschnitt 4 hat aufgezeigt, dass die Folgen der durch die Privatisierung induzierten bedingungslosen Ausrichtung der DB AG auf kapitalmarktfähige Renditen in der Schieneninfrastruktur erheblich sind. Insbesondere das öffentliche Interesse an der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gewährleistungsauftrags droht an den Rand gedrängt werden. Ursächlich ist das systemisch angelegte, „natürliche“ Spannungsverhältnis zwischen Gewinnerzielung und dem defizitären Charakter jeder Gemeinwohlaufgabe. Beide Ziele stehen definitorisch im Widerspruch zueinander, weil die Daseinsvorsorge nach ökonomischem Verständnis auf der empirisch getesteten Erfahrung beruht, dass eine gesamtgesellschaftlich gewünschte Leistung – hier die Bereitstellung von Schieneninfrastruktur, insbesondere „in der Fläche“ - nicht von selbst über die typischen Marktmechanismen („Angebot und Nachfrage“) zustande kommt. Der Grund ist, dass diese Leistung aus betriebswirtschaftlicher Sicht wegen Kostenunterdeckung oder zu geringer Verzinsung des eingesetzten Kapitals nicht lukrativ ist. Ersatzhalber bedarf es daher der staatlichen Unterstützung, indem die Leistung bestellt und finanziert wird. Wäre dies nicht notwendig, erwiese sich die verfassungsrechtliche Verankerung des Infrastrukturgewährleistungsauftrags als entbehrlich. Der Staat müsste nicht 4 Mrd. € pro Jahr in die Schieneninfrastruktur investieren, und der Bund könnte auf die Bereitstellung von rund 7 Mrd. € Regionalisierungsmitteln verzichten. Aus der Sicht der Länder kommt es somit darauf an, das öffentliche Interesse und den Spielraum der Verkehrspolitik gegen das konträre, legitime Renditeinteresse des privaten Investors so weit wie möglich zu immunisieren. Instrumentell folgt daraus, wirksame Schutzvorkehrungen im Gesetzentwurf zu verankern. Die im Beschluss der Sonder-VMK vom 2.8.2007 enthaltenen Forderungen der Länder drücken deren Sorge aus, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung die Belange des Gemeinwohls nicht robust absichert. Inwieweit diese Bedenken berechtigt sind, wird im Weiteren detailliert geprüft. Vorangestellt werden soll jedoch die Analyse, warum die Länder unbedingt darauf drängen sollten, den Wertausgleich zur Rückholung der Schieneninfrastruktur zu reduzieren. Seite 41 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.2. Wertausgleich Der wichtigste Schutzhebel für die Länder ergibt sich unmittelbar aus dem „Präambel“-Text des VMK-Beschlusses in A.II. In ihm stellen die Länder fest, dass insbesondere der in der Entschließung des Bundestags vom 24.11.2006 enthaltene Grundsatz des dauerhaften Mehrheitseigentums des Bundes nicht gewahrt werde. Auch in der Gemeinsamen Stellungnahme der Länder vom 11.7.2007, die im Rahmen der Länderanhörung abgegeben wurde, finden sich Bezüge zum Wertausgleich. Er ist entscheidend für die Frage, unter welchen Bedingungen die Privatisierung weiterentwickelt, modellintern korrigiert oder vollständig revidiert werden kann, falls sich die Folgen für die Länder – wie bereits heute in hohem Maße absehbar – trotz Nachbesserungen am Gesetzentwurf als nicht hinnehmbar erweisen. Diese Rückfallebene ist für die Länder um so wichtiger, ais der Bund sie im Gesetzgebungsverfahren systematisch in die Statistenrolle drängt. Realistische Optionen zur Korrektur sollte sich die Politik schon deshalb vorbehalten, weil das Eigentumssicherungsmodell im globalen Maßstab ohne Vorläufer ist,6 alle Privatisierungen des wirtschaftlichen Eigentums an nationalen Schieneninfrastrukturen gescheitert sind (Neuseeland, Großbritannien, Estland), Fehlentwicklungen allein aus verfassungsrechtlichen Gründen schnell abgestellt werden müssen. Sachstand: Die faktische Rückholbarkeit des wirtschaftlichen Eigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen und damit der Schieneninfrastruktur hängt im Eigentumssicherungsmodell davon ab, ob 1) der reguläre Heimfall nach Ablauf der Sicherungsübereignung und 2) die vorzeitige Kündigung wegen Schlechtleistung realistische politische Handlungsoptionen sind. Entscheidend hierfür sind die konkreten Bedingungen des Gesetzentwurfs. Im Zentrum steht der Wertausgleich, den der Bund als Gegenwert für die Rücknahme der Schieneninfrastruktur an die DB AG zahlen soll – unabhängig von den Gründen, die zur Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den Bund führen. Nach dem Gesetzentwurf bemisst sich der Wertausgleich an der Höhe des bilanziellen Eigenkapitals (Reinvermögen) der EIU. Um eine Vorstellung ü- 6 Dies hat die Bundesregierung bereits zweimal bestätigt, vgl. KA Grüne, KA FDP Seite 42 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers ber die Größenordnung zu gewinnen, ist es hilfreich, die Ausgleichsformel auf der Basis von aktuellen Werten anzuwenden. Das Ergebnis lautet: Wäre die Privatisierung bereits umgesetzt, und wollte der Bund sie nun revidieren, müsste er einen Wertausgleich von 7,5 Mrd. € bezahlen (Bilanzstichtag 31.12.2006). Dieser Wert ergibt sich näherungsweise aus dem bilanziellen Eigenkapital jener beiden EIU, deren Geschäftsberichte einsehbar sind, zuzüglich des geschätzten Eigenkapitals der restlichen EIU. Abbildung 9: Berechnung des Wertausgleichs Bilanzielles EK 2006 (in Mio. €) DB Netz 5.753 DB Station & Service 1.208 DB Energie Rest Summe ca. 500 geringfügig ca. 7.500 Quelle: Geschäftsberichte DB AG 2006, eigene Schätzung Nach einigem Zögern hat die Bundesregierung den Wert von 7,5 Mrd. € nunmehr in einer aktuellen Antwort auf eine Kleine Anfrage bestätigt. Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass die zum 31.8.2007 zugesagte Übertragung der nicht betriebsnotwendigen Immobilien der DB-Holding an die EIU den Wert des Eigenkapitals in der Tendenz erhöht. Den gleichen Effekt könnte der Verkauf der Immobilientochter Aurelis an Hochtief für geschätzte 1,65 Mrd. € auslösen, die laut Angaben der DB AG vollständig der DB Station & Service AG zufließen sollen. Perspektivisch steigt der Wert noch weiter an, falls die EIU nach der Privatisierung zusätzliches Eigenkapital bilden. In größerem Stil ist dies aus dem regulären Geschäft heraus allerdings nicht zu erwarten. Bewertung: Die Länder sollten die Regelung zum Wertausgleich aus mehreren Gründen strikt ablehnen. Am schwersten wiegt die prohibitive Höhe des Wertausgleichs. Bei einer Dimension von mindestens 7,5 Mrd. € dürfte außer Frage stehen, dass eine Korrektur der Privatisierung im Netzbereich in der politischen Praxis so gut wie ausgeschlossen ist. Kein Finanzminister wird bereit sein, diese Seite 43 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Summe aufzubieten. Auch die nachträglich zugestandene Umkehrung der Beschlussmechanik bei regulärem Ablauf der Sicherungsübereignung – „Entscheidet der Bundestag nicht, fallen Netz und Stationen zurück an den Bund“ – ändert wenig an der abschreckenden Wirkung des Ausgleichsbetrags. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der Bundestag auf Druck der Bundesregierung die Abwehr finanzieller Lasten höher gewichten wird als die Option, die Kündigung auszusprechen, um eine bahnpolitische Fehlentwicklung zu korrigieren. Volkswirtschaftlich steht die Höhe des Wertausgleichs in keinem adäquaten Verhältnis zu den erwarteten Privatisierungserlösen. Der Vorstand der DB AG bezifferte den Wert des Unternehmens kürzlich auf rund 20 Mrd. €. Demnach brächte ein 49%-Anteil ungefähr 10 Mrd. € ein. Nimmt man an, dass die DB AG davon mindestens 3 Mrd. € erhielte, flössen 7 Mrd. € dem Bundeshaushalt zu. Käme es zum Wertausgleich, müsste der Bund jedoch mehr zahlen, als er zuvor für den Anteil an der DB AG haushaltswirksam eingestellt hat. Dies wäre nicht nur ein schlechtes, sondern ein absolutes Verlustgeschäft zu Lasten des Steuerzahlers. Abbildung 10: Finanzielle Schieflage des geplanten Wertausgleichs Endschaft mit Wertausgleich: Bund kauft Infrastruktur aus dem Konzern Bund 51% Güterverkehr, Logistik DB-Konzern Personenverkehr Infrastruktur Güterverkehr, Logistik 6-10 Mrd. € Personenverkehr DB-Konzern Auslaufen oder Kündigung Bund 51% Bund 100% 7,5 Mrd. € Infrastruktur Kapitalprivatisierung: Bund Verkauft 49 % des Konzerns Investor 49% Investor 49% Im Endschaftszustand hätte der Bund: von den 6-10 Mrd. Privatisierungserlös einen Teil ans Unternehmen fließen lassen (der Haushaltseffekt hätte damit vsl. nur 3-5 Mrd. € betragen), für den Rückkauf der Infrastruktur den Bundeshaushalt mit 7,5 Mrd. € belastet, um fast die Hälfte seiner Beteiligung am DB-Konzern an einen privaten Investor abzutreten nicht nur keinen Privatisierungserlöses verbucht sondern unterm Strich Milliarden ausgegeben. Deshalb ist es nicht vorstellbar, dass der Bund eine solche Endschaft je auslösen würde, faktisch wäre das Modell irreversibel. Seite 44 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Sollte die DB AG - wie zu Beginn des Jahres von der Commerzbank errechnet - nur 12 Mrd. € wert sein, würde sich das Missverhältnis noch verschärfen. Ein weiteres volkswirtschaftliches Argument gegen den Wertausgleich speist sich aus der Lastenverteilung bei der Finanzierung der Schieneninfrastrukturinvestitionen zwischen Bund und DB AG. Seit der Bahnreform zum 1.1.1994 hat der Bund – je nach Rechnung - 80 bis 90 % der Investitionen in das Schienennetz getragen, die DB AG rund 10 bis 20 %. Vom Anteil der DB AG ist ein beträchtlicher Teil unfreiwillig entstanden, und zwar aus dem Zwang heraus, Baukostenüberschreitungen bei den Projekten Nürnberg-Ingolstadt-München, Frankfurt-Köln, Berliner Knoten durch eigene Mittel aufzufangen. Sofern die DB AG solche ungewollten Belastungen künftig vermeidet, wird sich der Finanzierungsanteil von Bund, Ländern und Gemeinden an den Investitionen in Netz und Stationen noch erhöhen. Angesichts einer Beteiligungsquote der DB AG an den Kosten des Kapazitätsaufbaus der Schiene von unter 10 % erscheint es äußerst fragwürdig, warum der Bund dasjenige Netz zurückkaufen soll, das zu über 90 % von ihm selbst – d.h. vom Steuerzahler - finanziert wurde. Sieht man von der geringen Eigenbeteiligung der DB AG ab, „schenkt“ der Bund dem Unternehmen die wichtige Ressource „Infrastrukturkapazität“. Der ergebniswirksame Vorteil für die DB AG sind die eingesparten Aufwendungen für Abschreibungen und die Finanzierung (Zinsen). Dank dieser reduzierten Kostenlinie, die die Trassenpreise gegenüber einer Vollkostenrechnung halbiert, können die Transporttöchter der DB AG ihre geplanten Gewinne einfahren. Ökonomisch spricht daher einiges dafür, den symbolischen Finanzierungsanteil der DB AG als eine Art Selbstbeteiligung aufzufassen, dessen Verlustrisiko die DB AG in Kauf nehmen muss. Andernfalls tritt der Fall ein, dass der Bund die Schieneninfrastruktur ein zweites Mal bezahlt. Die Primärzahlung sind die Baukostenzuschüsse, die allein den Ertragswert der EIU begründen. Brächen die Zuwendungen weg, schlüge der Ertragswert der EIU sofort ins Negative um. Die DB AG müsste das Vermögen der EIU außerplanmäßig abschreiben, was uno actu auch denselben Wert der EIU als Finanzanlagevermögen in der Holding mindern würde. Das Eigenkapital der EIU und des Konzerns würde binnen kurzer Zeit aufgezehrt. Zahlt der Bund später einen Wertausgleich, finanziert er den allein auf seinem Engagement beruhenden Ertragswert der EIU ein zweites Mal. Anreizökonomisch ist die vorgesehene Regelung ebenfalls kontraproduktiv. Solange die Sicherungsübereignung nicht beendet wird, muss die DB AG – zumindest formal – etwaige Betriebsverluste der EIU zu Lasten des Seite 45 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Eigenkapitals übernehmen. Tritt jedoch der Extremfall einer Kündigung wegen Schlechtleistung ein, bekommt die DB AG das zu dem Zeitpunkt bilanzierte Eigenkapital der EIU vollständig vergütet. Dann werden auch solche „geschaffenen Vermögenswerte“ in die Entschädigungssumme einbezogen, die aus fehlerhafter Investitionsplanung resultieren und die der Bund vorher durch Festpreisverträge auf die DB AG abgewälzt hatte (z.B. Baukostenüberschreitungen NBS Köln-Frankfurt, NürnbergIngolstadt-München, Berliner Knoten). In einer isolierten Streckenrechnung wäre der Ertragswert negativ, so dass der korrespondierende Vermögenswert teilweise abgeschrieben werden müsste. In einer gesamthaften Netzrechnung lässt sich die Fehlinvestition jedoch kaschieren. Im Ergebnis zeigt sich eine Asymmetrie in der Finanzierungsverantwortung. Der Bund trägt alle Risiken, während die privatisierte DB AG von jeglichem Risiko befreit ist – entgegen den bilanzrechtlichen Prämissen für wirtschaftliches Eigentum. Schon bisher gelang es der DB AG, einen Großteil der zuvor von ihr geschulterten Finanzierungslast (insbes. im Bestandsnetz) auf den Bund abzuwälzen. Begründet wurde die inzwischen geringe Eigenbeteiligung mit dem Argument, betriebswirtschaftlich sei das Netz andernfalls nicht auskömmlich zu bewirtschaften. Die künftigen Gewinnhöhen widerlegen allerdings diese These, offensichtlich könnte der Bund eine höhere Eigenmittelquote abverlangen. Der Wertausgleich rundet die Sozialisierung der Kosten ab, indem die DB AG sogar im Worst Case – einer Kündigung – von allen Investitionsrisiken nachträglich befreit wird. Aus der Sicht eines scharf kalkulierenden Investors könnte es sich im Extremfall lohnen, die Kündigung planmäßig herbeizuführen. Vordergründig könnte die These verfangen, dass die Länder an der Regelung zum Wertausgleich kein Interesse zu haben brauchten, da nur der Bund als Vertragspartner der DB AG im Obligo stehe. Diese Auffassung wäre jedoch grob fahrlässig. Im Gegenteil müssen die Länder aus Selbstschutz intensiv darauf drängen, den Wertausgleich abzuschaffen oder ihn zumindest deutlich zu reduzieren. Würde die Schutzvorkehrung in der jetzigen Konstruktion tatsächlich greifen, müsste der Bund den Wertausgleich in Höhe von 7,5 Mrd. € im Rahmen eines nationalen Kraftaktes aufbieten. Dann wäre jedoch absehbar, dass der Finanzminister erhebliche Einsparungen im Einzelplan 12 (Verkehr) einforderte, insbesondere innerhalb des Konsolidierungskreises Schiene. Automatisch böte der größte Topf – die Regionalisierungsmittel – die größte Angriffsfläche für Umschichtungen. Die Erfahrung lehrt, dass Haushaltsrisiken bei der Eisenbahn, die zunächst beim Bund aufschlagen, immer auch Risiken der Länder sind. Seite 46 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Schreckt die Höhe des Wertausgleichs umgekehrt so stark ab, wie es die Gesetzmäßigkeiten der Politik vermuten lassen, bleibt das Instrument der Kündigung als ultima ratio stumpf. Die Länder gäben dann den letzten Rettungsanker von vornherein aus der Hand. Um dem entgegenzuwirken, muss der Wertausgleich daher auf eine realistische Größenordnung gesenkt werden. Lösungsvorschläge: Der Leitsatz für die Bemessung des Wertausgleichs muss lauten, dass die öffentliche Hand die Schieneninfrastruktur kein zweites Mal bezahlen darf. Statt dessen dürfen der DB AG und damit dem privaten Investor nur Mehrwerte vergütet werden, die nach der Privatisierung geschaffen werden. Alle anderen Werte wurde innerhalb des „Konsolidierungskreises Staat“ erzeugt und gehören dem Steuerzahler. Die Alternativen im Einzelnen: Der Wertausgleich bemisst sich an dem Netto-Vermögensmehrwert der Investitionen aus Eigenmitteln der DB AG, der nach der Privatisierung bis zum Zeitpunkt der Rückholung der Anteile an den EIU – bei normaler Abschreibung – geschaffen worden ist. Alternativ kann der Mehrwert des bilanziellen Eigenkapitals herangezogen werden, d.h. die Differenz aus dem Reinvermögen zum Stichtag der Rückholung minus Reinvermögen zum Zeitpunkt der Privatisierung. Weitere Alternative: Der Wertausgleich wird gestrichen. Dritte Alternative: Der Wertausgleich wird mit einem – niedrigen - Festbetrag gesetzlich fixiert. Beispiel: 2 Mrd. €. Seite 47 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.3. Mitwirkungs- und Kontrollrechte bei Nahverkehrsinvestitionen Die erste Forderung des VMK-Beschlusses vom 2.8.2007 lautet: „Es muss ein echtes Mitsprache- und Kontrollrecht der Länder bei der Verwendung der für Investitionen im Nahverkehrsbereich vorgesehenen Bundesmittel (mindestens 20% der Gesamtsumme für den Neu- und Ausbau) vorgesehen werden. Die Höhe der der DB AG zur Verfügung gestellten Mittel ist grundsätzlich an den von ihr betriebenen Netzumfang zu koppeln.“ Sachstand: Nach § 8 des geltenden Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSchwAG) ist der Bund verpflichtet, 20 % der zur Verfügung stehenden Investitionsmittel in den Bau, Ausbau und die Erhaltung der Schienenwege zu lenken, die dem SPNV dienen. Diese Quotenregelung verschiebt der Gesetzentwurf nach hinten in die Schlussbestimmungen, § 21 Abs. 1 BSEAG. Im Gleichklang zur Ausweitung der Mittelverwendung im Bestandsnetz erlaubt der Gesetzentwurf, die Mittel für Schienenwege im SPNV in Zukunft nicht nur investiv, sondern für „Maßnahmen“ einzusetzen, worunter auch die konsumtive Aufgabe der Instandhaltung fällt. Derzeit setzt sich die 20%-Quote aus zwei Teilen zusammen. Rund 5% der Mittel werden vorab über eine gesonderte Sammelfinanzierungsvereinbarung (SV) für Neu- und Ausbauinvestitionen in SPNV-Strecken reserviert. Die Ende 2007 auslaufende SV wurde 2003 mit 920 Mio. € dotiert und soll ab 2008 neu aufgelegt werden.7 Über die Auswahl der Projekte setzen sich die Länder mit der DB AG ins Benehmen. Die verbleibenden 15 Prozentpunkte rechnen Bund und DB AG auf Investitionen für Mischverkehrsstrecken im Bestandsnetz an, die der SPNV mitnutzt. Im Unterschied dazu fordern die Länder im VMK-Beschluss, die 20%-Quote ausschließlich für Neu- und Ausbau anzusetzen. Die Kopplung der Investitionsmittel an den Netzumfang fügt sich thematisch passender in die beiden Forderungen zur LuFV ein, weshalb sie in Kapitel 7.4 diskutiert wird. Bewertung: Die gegenwärtige Handhabung der Nahverkehrs-Investitionsquote sieht sich mehreren Einwänden ausgesetzt. Die Länder monieren, dass die 15%ige Anrechnung der BSchwAG-Mittel auf Mischverkehrsstrecken statistische Schönfärberei sei, die dem SPNV 7 Vgl. Bundesschienenwegeausbaubericht 2007 Seite 48 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers nicht in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang zugute komme. Der Fehler liegt in der unklaren Abgrenzung, was mit „...die dem SPNV dienen“ gemeint ist. Das BMVBS legt diese Bestimmung als „auch dienen“ aus, während die Länder eine überwiegende oder exklusive Nutzung als Kriterium favorisieren. Hinsichtlich der vorab abgezweigten Neu- und Ausbaumittel melden die meisten Länder das Problem, dass ein beträchtlicher Teil dieser Mittel nicht verausgabt werden könne. Ins Zentrum der Kritik rückt der Netzbetreiber, der die meisten Projekte systematisch hinauszögere und keine Neigung zur Kofinanzierung der nicht förderfähigen Bestandteile erkennen lasse. Erst wenn Dritte einsprängen und die Finanzierung vollständig übernähmen, bewege sich etwas. Auch die bisherige Praxis, Investitionen in Regionalnetze nur als zinslose Darlehen auszureichen, verschlechtert die Umsetzungschancen. Tatsächlich trägt die Zusammenfassung von Neu-/Ausbau- mit Ersatzinvestitionen in einer Quote ebenso zur Intransparenz bei wie die fehlende Verpflichtung des Bundes, die Einhaltung der 20%-Quote zugunsten des SPNV zu belegen. Sinnvoll ist es daher, die Quoten eindeutig aufzuteilen. Parallel sollten im Haushalt separate Titel für Bestandsnetz- und Neu-/Ausbauinvestitionen gebildet werden, da die BSchwAG-Mittel für das Bestandsnetz künftig mit 2,5 Mrd. € ohnehin fixiert sind. Die 20% im VMK-Beschluss zugunsten Neu- und Ausbau im Nahverkehr sind dann so zu verstehen, dass sie sich nicht mehr – wie nach dem bisherigen Wortlaut des § 8 Abs. 2 - auf alle BSchwAG-Mittel beziehen, sondern nur auf die Summe der insgesamt verfügbaren Neu- und Ausbaumittel. Diese ergibt sich wiederum als Differenz aus der jährlich neu festzulegenden Bundeshaushaltslinie (z.B. im Mittel 3,5 Mrd. €) abzüglich des Infrastrukturbeitrags gemäß der LuFV (zu Beginn 2,5 Mrd. €, ggf. abschmelzend). Die Quote für die Bestandsnetzinvestitionen, die dem SPNV dienen, muss gesetzlich und in der LuFV verankert werden. Naheliegend ist eine Größenordnung von rund 20 % der gesamten Bestandsnetzmittel (2,5 Mrd. €). Darüber hinaus ist aufgrund der Abgrenzungsprobleme zwischen Ersatzinvestitionen und Instandhaltung zu erwägen, auch eine Mindestinstandhaltungsquote zugunsten der Regionalnetze gesetzlich zu fixieren. Eine echte Mitwirkung der Länder an der Projektauswahl ist nur dann gewährleistet, wenn sie selbst die Mittel vergeben dürfen, und zwar auch an andere EIU als die DB AG. Andernfalls kann die DB AG als konkurrenzloser Bauträger beliebig entscheiden, ob sie ein Projekt in ihren Investitionsplan mit aufnimmt oder nicht. Seite 49 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Lösungsvorschläge: Die Quoten für Investitionen, die dem SPNV dienen, werden künftig klar aufgeteilt und in separaten Titelgruppen im Einzelplan 12 (Verkehr) geführt: º [xxx] Mio. € pro Jahr (= 5-10 % der gesamten BSchwAG-Mittel, entspricht ca. 20 % der gesamten Neu- und Ausbaumittel) werden für Neu- und Ausbauinvestitionen in die Schienenwege des SPNV geblockt. º Von den Bestandsnetzmitteln (2,5 Mrd. €) werden 20 % für Schienenwege des SPNV abgezweigt. Diese Quote wird ebenfalls in der LuFV verankert. º Wegen der fließenden Grenzen zwischen Ersatzinvestitionen und Instandhaltungsaufwand wird auch eine Mindestinstandhaltungsquote zugunsten jener Schienenwege fixiert, die dem SPNV dienen. 8 Die Legaldefinition [„die dem SPNV dienen“] wird präzisiert. Hierunter ist zu verstehen, dass der SPNV die Schieneninfrastruktur „weit überwiegend“ nutzt. Dies ist der Fall, wenn mindestens 90% der im Jahresdurchschnitt vergebenen Trassen einer Strecke vom SPNV in Anspruch genommen werden.8 Zusätzlich sollte erwogen werden: Die oben quotierten zweckgebundenen Mittel werden den Regionalisierungsmitteln zugeschlagen. Hierzu wird ein eigenständiger Absatz im RegG eingeführt. Die Länder sind verpflichtet, dem Bund die investive Verwendung dieser Mittel für den SPNV nachzuweisen. Problematisch erscheint hingegen eine Definition unter Verweis auf § 2 Abs. 8 AEG („Netze des Regionalverkehrs“), da die dortige Regelung auf die verkehrliche Nichtnutzung durch Züge des Schienenpersonenfernverkehrs abstellt. So könnte die DB AG als De-factoMonopolist im Fernverkehr durch ihre Angebotsstruktur die Netzfinanzierung beeinflussen. Das Gleiche gilt für nichtbundeseigener Betreiber im Schienenpersonenfernverkehr, die auf zwischenzeitlich fernverkehrsfreien Korridoren (wie in der Praxis schon geschehen) ihrerseits Fernverkehre anbieten.. So wäre weder für die Länder noch für die EIU des Bundes eine hinreichende Planungssicherheit gegeben. Seite 50 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.4. LuFV – Sanktionen und Teilkündigung An zweiter Stelle formuliert die VMK folgende Forderung: „Einführung von Sanktionsmöglichkeiten bei Unterschreitung der Qualitätsvorgaben hinsichtlich der Schieneninfrastruktur in einem regionalen Netz/einem Land. Hierzu ist eine regionale Gliederung des Netzzustandsberichts vorzusehen, der den Ländern jährlich zur Verfügung gestellt werden muss. Die auf die Länder entfallenden Mittel sind in Länderquoten aufzuteilen. Für den Fall einer Unterschreitung des insgesamt überwiegend für den Nahverkehr einzusetzenden Anteils oder für den Fall eines von den Infrastrukturunternehmen zu verantwortenden Instandhaltungsrückstaus müssen Sanktionen vorgesehen werden, bis hin zu einer Teilkündigung der LuFV.“ Sachstand: Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) bildet das Schlüsselinstrument, um den verfassungsrechtlichen Infrastrukturgewährleistungsauftrag zu präzisieren und dessen Erfüllung auf eine vertragliche Basis zu stellen. Vertragspartner sind der Bund als Gewährleistungsträger und rechtlicher Eigentümer der EIU des Bundes bzw. deren Schieneninfrastruktur, die EIU der DB AG, die die Schieneninfrastruktur erhalten und betreiben, in Verbindung mit der DB Holding als „Konzernmutter“. Der Bund verpflichtet sich, für Maßnahmen zur Erhaltung der Schieneninfrastruktur pro Jahr einen bestimmten Infrastrukturbeitrag als Zuwendung bereitzustellen. Im Gegenzug sagt der Zuwendungsempfänger – die DB AG – zu, die Infrastruktur in einer bestimmten, vertraglich spezifizierten Qualität betriebsbereit zu halten. Leistungsgegenstand ist allein die Bestandsschieneninfrastruktur (Netz, Stationen, Anlagen zur Energieversorgung), während Neu- und Ausbau in separaten Finanzierungsvereinbarungen geregelt werden. Eine Schnittmenge zwischen beiden ist insofern unausweichlich, als Neu- und Ausbauvorhaben nach ihrer Inbetriebnahme das Bestandsnetz erweitern und auch Ausbauvorhaben fallweise Ersatzinvestitionen entbehrlich machen (z.B. bei Ausbau statt Grunderneuerung).9 9 Beispiele hierzu sind aktuell die Ausbaustrecken Ingolstadt – München, Mannheim – Saarbrücken, Hof – Chemnitz – Dresden, Reichenbach – Leipzig, (Magdeburg -) Hoyerswerda – Horka (- Polen); Berlin – Dresden, Berlin – Rostock, Berlin – Stettin/Stralsund, Berlin – Frankfurt(Oder). Auch der Neubau weiterer Gleise wie z.B. Augsburg – Olching (- München), Offenburg – Basel, Oberhausen – Emmerich (- Niederlande) als Ausbaustrecke führt i.d.R. zum kompletten Ersatz der Bestandsstrecke auf Kosten des Bundes. Seite 51 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Die LuFV ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, dessen Eckpunkte durch Bundesgesetz (BSEAG) vorgegeben werden. Nach dem aktuellen Gesetzentwurf sind die Länder weder direkte Vertragspartner des Infrastrukturbetreibers, noch ist eine Schutzwirkung des Vertrages zu ihren Gunsten vorgesehen. Somit haben die Länder nach dem jetzigen Konstrukt keinen rechtlichen Hebel, ihre aus der Verantwortung für den SPNV ableitbaren Ansprüche im Wege einer Leistungsund/oder Feststellungsklage einzufordern. Ändert sich an dieser Zuschauerrolle nichts, haben die Länder lediglich mittelbare Einwirkungsmöglichkeiten, und zwar ausschließlich bis zur Verabschiedung des Privatisierungsgesetzes. Ihre Zustimmung im Bundesrat könnten sie an die Bedingung knüpfen, dass der Gesetzgeber die Qualitätsziele und das Sanktionssystem möglichst detailliert gesetzlich festschreibt. Allerdings kann und darf das Gesetz die LuFV selbst nicht ersetzen. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung sind die Regelungen zur LuFV unter Artikel 3 im „Gesetz über die Erhaltung und den Ausbau der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes“ – Bundesschienenwegegesetz (BSEAG) verankert. Sie erstrecken sich im Abschnitt 2 – Erhaltung der Schienenwege – primär auf die Teile 2 („Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung“) und 4 („Pflichtverletzungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes“). Einen direkten Bezug gibt es zu Teil 3 („Kontrolle der Erhaltung der Schienenwege“), der im Forderungskatalog der VMK jedoch größtenteils durch Nr. 8 (vgl. hier Abschnitt 7.10) abgedeckt wird. Ferner relevant ist § 21 BSEAG, weil die dortige Quote für Investitionen in Schienenwege, die dem SPNV dienen, auch für das Bestandsnetz gilt. Vertragsentwürfe zur LuFV sind bislang auf offiziellem Weg nicht verfügbar. Seit Anfang September kursieren allerdings die ersten beiden Exemplare, und zwar einer des Bundes (erstellt durch die Anwaltskanzlei Hölters & Elsing) und ein alternativer Entwurf der DB AG. Stand beider Papiere ist der 15.8.2007. Ein Vergleich bringt zum Vorschein, dass die Vorstellungen der Vertragsparteien in zahlreichen wichtigen Einzelfragen noch erheblich differieren. Seite 52 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Abbildung 11: Wichtigste Dissenspunkte zwischen Bund und DB AG über die LuFV Themenfeld LuFV-Entwurf BReg LuFV-Entwurf DB AG Reduzierung Netzumfang Unter 32.000 km sinken Mittel um 0,32% je 100 km Betriebslänge Kein Automatismus, Verhandlungen Abschmelzen Zuschuss Jedes Jahr um 3% (75 Mio. €) Keine Nachverhandlungen Zuschuss Keine Höhere Gewalt, Hyperinflation, Sturm, Unwetter, Sabotage, Verteuerung Betrieb durch Gericht/Verw./Gesetz, Verschärfung Regulierung Einwerbung Fördermittel Pflicht des Netzbetreibers Keine Pflicht, keine Anrechnung Prüfung Mittelverwend. Wirtschaftsprüfer Wirtschaftsprüfer der DB-EIU Kontrolle/Messfahrten Stichproben durch EBA Keine EBA-Messfahrten Vollstreckung EBA Nach Verwaltungsvollstreckungsgesetz Keine Regelung, eingeschr. Auskunft Sanktionen Breiter Katalog (10 Kriterien) Nur 4 Kriterien Kündigung Ab 2. Pflichtverletzung möglich Nur bei 3 Mal in 5 Jahren, keine a.o. Kdg Die gravierendsten Auffassungsunterschiede liegen in der vom Bund angestrebten Degressionsautomatik des Infrastrukturbeitrags, in der Kopplung der Höhe der LuFV-Mittel an den Netzumfang, den Ausnahmetatbeständen für Nachverhandlungen (besonders beachtenswert ist die Position der kostenerhöhenden oder erlösschmälernden Wirkungen von Gerichts-, Gesetzes- und Verwaltungsentscheidungen einschließlich von Regulierungen der Bundesnetzagentur), im Sanktionskatalog und den Voraussetzungen einer Kündigung. Darüber hinaus gibt es weitere zahlreiche Dissenspunkte, die von Gewicht sein können, jedoch aufgrund ihres Detailcharakters tabellarische Übersichten sprengen würden. Exemplarisch zu nennen sind die Aktivierungstatbestände für Ersatzinvestitionen, die Vorgaben für das Infrastrukturkataster, die Anwendung des Vergaberechts u.v.a.m. Beide Entwürfe enthalten keinerlei Ansätze eines Bezugs zu Regionalnetzen, Strecken oder zu Kompetenzen der Länder und bieten keine Möglichkeit einer Teilkündigung. Beiden Entwürfen ist gemein, dass sie der DB AG und ihren EIU die Bundesmittel pauschal überlassen und eine Rückforderung bei nicht zweckentsprechender Verwendung nur per Klage des Bundes möglich ist. Ein Rückforderungsbescheid wie im Subventionsrecht ansonsten üblich ist nicht möglich. Auch erfolgt keine Seite 53 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Sicherung der Teilzahlungen des Bundes für eine zweckentsprechende Verwendung, wie dies normalerweise im Subventionsrecht Usance ist (z.B. Stellung von Bankbürgschaften, Eintragung von Grunddienstbarkeiten etc.). Ferner soll die LuFV nur bei einer Klage des Bundes außerordentlich kündbar sein. Nicht vorgesehen ist hingegen das allgemeine Kündigungsrecht wegen Verhinderung oder Beseitigung von schweren Nachteilen für das Gemeinwohl (§ 60 Abs. 1 Satz 2 VwVfG), das sich aus dem bislang überall geltenden allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht ableitet.. Bewertung: Die Einführung einer LuFV als vertragliches Instrument der outputorientierten Qualitätssteuerung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Dieser Schritt ist seit langem überfällig, zumindest aber seit 1994, als die DB AG formal privatisiert wurde. Wirtschaftsunternehmen, die in hohem Maße subventioniert wird, bedürfen harter Kontrollinstrumente des Zuwendungsgebers. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, staatliche Mittel in Milliardenhöhe nicht nur auszureichen, sondern eine Gegenleistung auf vertraglicher Grundlage einzufordern, die sanktionsbewehrt ist. Insofern ist die LuFV „kein Kind der Privatisierung“ - sie wäre genauso notwendig, wenn die DB AG zu 100% in der Hand des Staates bliebe. Unzutreffend ist die vom BMVBS geweckte Assoziation, dass die Politik/das Parlament nun erstmalig den Infrastrukturbetreiber „an die Kandare nehmen“ könne, diese Verbesserung der Privatisierung zu verdanken sei und dass sie die Preisgabe der 100%igen Eigentümerstellung bei der DB AG nicht nur ersetze, sondern überkompensiere.10 Dass die LuFV im Rahmen der Teilprivatisierung zu einer besseren Infrastrukturqualität führt und dem Parlament wie der Bundesregierung effektivere Steuerungsinstrumente an die Hand gibt, darf bezweifelt werden - erst recht nach Sichtung der ersten Entwürfe. Entscheidend ist aber, dass Vergleiche mit Erfahrungen vor der Privatisierung irrelevant sind. Die DB AG von morgen, die von einem privaten Investor gelenkt wird, wird eine grundlegend andere sein als die heutige im ausschließlich öffentlichen Regime. Unter dem Druck der Kapitalmarktrendite wird der institutionell abgesicherte Infrastrukturmonopolist noch kompromissloser verhandeln, seine Bedingungen diktieren und Optimierungspotenziale zu Lasten des wichtigsten Zuwendungsgebers ausschöpfen. Insofern muss sich ein Instrument wie die LuFV daran messen lassen, ob es den künftigen legitimen Praktiken der professionell agierenden Gegenseite standhält. 10 So auch das Argument von Hommelhoff in einem Gutachten und von Gersdorf in der Sachverständigenanhörung des Bundestages am 23.5.2007, wonach die externe Steuerung genauso effektiv sei wie die interne über die Eigentümerstellung. Seite 54 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Aber selbst wenn die LuFV alle konzeptionellen Voraussetzungen erfüllen würde, müssen die Länder damit rechnen, dass der Bund als Vertragspartner der DB AG seine Rechte bestenfalls halbherzig einfordert und im Ergebnis wenig erreicht. Der Grund liegt in der Interessenkollision zur Eigentümerrolle. Jede gerichtsfest verhängte Sanktion schadet dem Ergebnis des bundeseigenen Unternehmens, schmälert Rendite und Dividende und wird heftige Interventionen des privaten Anteilseigners hervorrufen. Treffend ist in diesem Zusammenhang die Aussage in der geheimgehaltenen Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004, welche Erwartungen der Kapitalmarkt an den öffentlichen Anteilseigner hege: „…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“ Auf den Kern reduziert lautet die Botschaft, dass der Bund nur dann seinen Infrastrukturgewährleistungsauftrag wahrnehmen dürfe, wenn er das Unternehmensergebnis nicht beeinträchtige. Dies ist systemisch unmöglich – die LuFV soll schließlich das Korrektiv gegen den Renditedruck sein, um den Gemeinwohlauftrag zu schützen. Angenommen es käme zu punktuell harten Sanktionen, ist in einem komplexen System der Mischfinanzierungen wie im Schienenverkehr die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die DB AG den Fehlbetrag mittelbar nachverhandelt, was die Anreizwirkung aufheben würde und zu Lasten des übrigen schienenbezogenen Haushaltsbudgets ginge. Noch unrealistischer ist die Annahme, der Bund wäre im Bedarfsfall einer fortdauernden Schlechtleistung des Netzbetreibers willens oder in der Lage, die Kündigung als ultima ratio anzuwenden – selbst wenn es keinen hinderlichen Wertausgleich gäbe. Dieser Schritt ist so gravierend, dass er praktisch keine Chance auf Umsetzung hat. Würde die DB AG – wie von ihr angestrebt – börslich notiert, bräche allein bei der Ankündigung des Bundes, den Rechtsweg zu beschreiten, der Kurs ein. Der private Gesellschafter würde die Bundesregierung ermahnen, „Vernunft walten zu lassen“ und Klagen in Aussicht stellen. Es ist daher zu erwarten, dass der unbefriedigende Infrastrukturzustand allenthalten kritisiert wird, die Beteiligten Besserung geloben, aber letztlich nichts passieren wird. Setzt man sich über die grundlegende Skepsis zur Wirksamkeit der LuFV bei einem am Kapitalmarkt notierten bundeseigenen Unternehmen hinweg, gibt der aktuelle Entwurf der Bundesregierung ebenfalls wenig Anlass zu Optimismus. In der nachstehenden Synopse (Abbildung 12) wird der Entwurf der Anwaltskanzlei Hölters & Elsing in seinen Grundzügen dargestellt, bewertet und dem Vorschlag der DB AG gegenübergestellt. Da die Quellen erst vor wenigen Tagen erSeite 55 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers schlossen werden konnten, wichtige Informationen in den nicht einsehbaren Anlagen enthalten sind und die Thematik selbst überaus kompliziert ist, fällt die Bewertung notgedrungen kursorisch aus. Seite 56 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Abbildung 12: Synopse und Kurzbewertung der beiden informell bekannt gewordenen LuFV-Entwürfe Entwurf der Kanzlei Hölters & Elsing für den Bund vom 16.08.2007 § Präambel § 1.3 Gegenstand/ Regelung Kommentar zum Entwurf BMVBS Gegenstand/Leistungspflichten Zustand Infrastruktur Aufgabendefinition der Präambel (2) „Erhaltung ihrer Schienenwege in einem uneingeschränkt nutzbaren Zustand“ zu unkonkret und daher nicht vollziehbar, Präambel steht im Widerspruch zur Anforderung in § 13.2 „Betriebsbereiten Zustand nach Maßgabe der Qualitätskennzahlen“, die die Uneingeschränktheit massiv relativiert. Gegenstand Definition der vertragsgegenständlichen „Schienenwege“ über den Planfeststellungsbegriff („Betriebsanlagen der Eisenbahn“) Faktisch beinhaltet dies i.e.S. Streckengleise, Bahnhofsanlagen Personenverkehr und die Energieversorgung, nicht jedoch vollumfänglich kapazitätsrelevante Neben- und Abstellgleise, Zugbildungsanlagen / Rangierbahnhöfe etc. LuFV-Entwurf der DB AG vom 15.08.2007 Vergleich zur entsprechenden Regelung im Entwurf der DB AG Ebenfalls unkonkret: in der Präambel (3) nur „näher bestimmten betriebsbereiter Zustand“. In § 4.3 explizite Gegenüberstellung „betriebsbereiter Zustand“ ggü. „wesentlicher technischer Fortentwicklung“ (v.a. EGHarmonisierung, Sicherheit). Vergleichbar (§ 1.3). Überprüfung der Sachanlagenklassen alle 5 Jahre Kommentar zum Entwurf der DB AG. Damit keine Erhaltung der Infrastruktur nach dem Stand der Technik, sondern allenfalls historische Konservierung Sinn und Zweck der Überprüfung unklar Prof. Dr. Dirk Ehlers § 1.4 Abgrenzung zu Neu- und Ausbaumaßnahmen - Kapazität der Infrastruktur §4 Mindestinstandhaltungsbeitrag § 8.1 § 7.3 Nachzuweisende Ersatzinvestitionen Keine Berücksichtigung real fließenden Grenzen zwischen Bestandsmaßnahmen und Neuund Ausbaumaßnahmen. Damit weiterhin Fehlanreize, sanierungsbedürftige Strecken v.a. als Neu-/Ausbaustrecke zu deklarieren („Grunderneuerung“) Berücksichtigung der Kapazität fehlt: Keine Differenzierung nach Leistungsfähigkeit (Züge je Strecke, Achslasten, Anhängelasten) oder Hilfskriterien wie Zweigleisigkeit, Überholgleise, Kreuzungsbahnhöfe, Überleitstellen, Blockteilung etc. Umfang und Rechnungslegung unklar. Quotierung der Instandhaltungsmittel: 88 % DB Netz, 10 % DB Station & Service, 2 % DB Energie (in Abweichung zur Regelung in § 2.1 aber keine Verschiebung von Anteilen möglich) Zudem ist insgesamt fraglich, wie durch Festlegung eines Inputbetrags (Geld) ein bestimmter Output (Qualität, Kapazität, Werterhalt) gesichert werden kann Vorgabe des förderfähigen Katalogs (Anlage 8.1) sicherlich sinnvoll, aber grundsätzliches Problem der Inputorientierung (s.o.) Nachverhandlungsgebot nach § 7.3 bringt hier wenig Entschärfung, da Zielrichtung „Optimierung“ von jeder Seite anders ausgelegt werden muss (Ziel DB AG: keine Bilanzierung, Ziel Bund: langfristiger Infrastrukturerhalt) Vergleichbar (§ 1.2) Vergleichbar, aber keine Verwendungsquoten nach einzelnen Infrastrukturunternehmen (§ 9) Maßstab für Ersatzinvestition ist nur Aktivierungsfähigkeit nach IRFS, zudem sollen auch nicht aktivierungsfähige Ausgaben wie Rückbau, Vegetationsrückschnitt, Entsorgung sowie „Zusammenhangsmaßnahmen“ als Ersatzinvestition gelten (§ 10.2), Zudem sollen Kosten Dritter (§ 10.3) und allgemeine Zuschläge bzw. Gene- Seite 58 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Beträge damit letztlich nicht überprüfbar. Prof. Dr. Dirk Ehlers § 5.2 Umfang/Reduzierung 2.000km Netz sanktionslos stilllegbar. Lineare Kürzung des LuFV-Betrages entsprechend der Reduktion der Betriebslänge. Betriebslänge (gemessen in Strecken-km) aber problematische Bezugsgröße: keine Berücksichtigung der Gleiszahl der Strecken (damit Rückbau von Zwei- auf Eingleisigkeit ohne Sanktion möglich), Ausrüstung (z.B. Elektrifizierung, Sicherungstechnik etc.) Damit Stilllegungsanreiz für überproportional teure Strecken, denn Infrastrukturbeitrag sinkt nur linear. Problem der Definitionsmacht des Netzbetreibers: Betriebslänge kann erzeugt werden z.B. durch formelle Umwandlung einer mehrgleisigen Strecke in zwei betriebliche Einzelstrecken aufgespaltet werden. Keine Kürzung des Instandhaltungsbeitrages nach § 4 bei volumenbedingter Reduzierung des Infrastrukturbeitrages, damit anteilig steigender Instandhaltungsbeitrag angelegt. (Unsystematisch, da ja offensichtlich enorme Rationalisierungsfortschritte unterstellt werden, die eine 3 % Kürzung des Infrastrukturbeitrages rechtfertigen sollen). Seite 59 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 ralunternehmerverträge (§ 10.4) als Ersatzinvestition gelten. Ebenfalls keine Kürzung des Infrastrukturbeitrages bis 32.000 km Streckenlänge, allerdings darunter keine automatische Anpassung, sondern nur Aufnahme von Verhandlungen zur Anpassung vorgesehen (§ 18.2) Prof. Dr. Dirk Ehlers § 7.5 Einhaltung internationaler/ europäischer Verpflichtungen § 7.4 Mittelverwendung für SPNV § 5.1 Zuschuss, Verausgabung Rückführung Zuschuss Regelung sicherlich sinnvoll. Umsetzung aber unklar, zumal Anlage 6.1 unbekannt. Damit bleibt offen, wie die heutigen Korrekturhebel der DB AG, politisch gewollte Maßnahmen zugunsten unternehmerisch höher bewerteter Maßnahmen zurückzustellen, künftig begrenzt werden sollen. Mindestens 20% der Ersatzinvestitionen und des Instandhaltungsaufwands sind für Maßnahmen zu verwenden, die dem SPNV dienen Kaum wirksame Vorgabe, die die Unzulänglichkeiten des heutigen § 8 (2) BSchwAG – jede Investition dient irgendwo auch dem SPNV – auch auf die Verwendungsbestimmungen für die Bestandsnetzmittel überträgt. Auch das „Abstimmungsgebot“ mit den Ländern entspricht heutiger BSchwAG-Praxis, aus der regelmäßig bekannt ist, dass die DB AG am längeren Hebel sitzt und die Länder wenig Einfluss und keine Sanktionen auf die Projektpriorisierungen und Umsetzungen haben Fehlt vollständig Dto, in § 2.3 %-Wert noch offen Keine Dynamisierung, kein Inflationsausgleich Rückführung um 3% p.a. Hoher Druck auf hocheffizientes, hochausgelastetes Kernnetz. Damit steigt der Druck auf die EIU im Zeitverlauf deutlich, wegfallende LuFV-Mittel über Steigerung der Trassenpreiserlöse auszugleichen. Dies ist die den Infrastrukturbetreiber stets einfacher als Effizienzseigerung. Ebenfalls keine Dynamisierung/Inflationsausgleich. Keine Rückführung Zuschuss (§ 2.1). Seite 60 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Auch konstante Mittel sind lt. DB AG faktische Kürzung, da keine InflationsDynamisierung. Damit auch in der Lesart der DB AG erheblicher Druck Prof. Dr. Dirk Ehlers § 2.1 Verteilung des Infrastrukturbeitrags auf einzelne EIU Cash-Pooling In der Folge sind SPNV-Abbestellungen im Regionalnetz vorprogrammiert. In der Folge signifikante Reduktion Streckenlänge zu erwarten. Quotiert geregelt: 88 % DB Netz, 10 % DB Station & Service, 2 % DB Energie. Umschichtung von bis zu 10% des Gesamtvolumens der unternehmerischen Freiheit der DB AG überlassen. l Freies Ermessen DB AG (§ 2.2) Keine Regelung Einschränkung des Cash-Poolings (§ 3.4) Seite 61 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 auf Steigerung Infrastrukturentgelte und Qualitätsverschlechterungen Mit steigenden Freiheitsgraden ist Leistungserfüllungskontrolle für alle Bereiche nötig, da sonst gezielt Mittel in kontrollierte Bereiche gelenkt und weniger stark kontrollierte Bereiche (z.B. Stationen) vernachlässigt werden könnten. Prof. Dr. Dirk Ehlers Nachforderungen für DB AG Fehlt §6 Akquirierung von EUMitteln Pflicht zur Akquirierung EU-Zuschüsse, entsprechende Schadensersatzpflicht § 10 Vergabe Aufträge Vergaben nach 3. Abschnitt VOL/A bzw. VOB/A Ausnahme für ÖPP entspricht nicht gesetzlichen Grundlagen. DB EIUs sind ausnahmslos öffentliche Sektorenauftraggeber. Seite 62 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Zahlreiche Rechtfertigungen angelegt für Nachforderungen: „höhere Gewalt“ (§ 4.1 und 4.2). Z.B. höhere Inflationen, jeder Sturm, Hochwasser, Unwetter, Sabotage mit „erheblichen Schäden“ Weiterhin Nachforderungen wegen jeder gesetzgeberischen/verwaltungsmäßigen / gerichtlichen Verteuerung Betrieb oder Schmälerung Erlöse. Auch technische Fortentwicklung EGweit (und damit jede EGInitiative) berechtigt zu Nachforderungen Dezidiert keine Pflicht (§ 2.4.2) („Förderung ohne wirtschaftliche Nachteil“). Zudem auch keine Anrechnung. Damit Deckelung weitgehend wirkungslos. Besonders gravierend ist das Verhindern jeder effektiven Regulierung Trassenpreise („Erlösschmälerung“) Nur Anwendung 4. Abschnitt VOL/A bzw. VOB/A (privater Sektorenauftraggeber) (§ 6.2) H+E Entwurf sieht Pflicht vor und führt damit zu einem gesicherten erhöhten Mittelvolumen, im DBEntwurf dagegen letztlich Substitution von Eigenmitteln möglich § 2.4.3) DB-Vorschlag entspricht nicht heutiger Rechtspraxis Prof. Dr. Dirk Ehlers § 9.2 Eigenerstellung DB Konzern - Messung, Prüfung § 12, 14.1 Infrastrukturkataster Beschränkung der Eigenerstellung (zulässig nur bei „Kostengünstigkeit“) vom Ansatz sinnvoll, aber mangels Ausführungsbestimmungen wenig justiziabel. Keine Regelung, nur „vergaberechtlich zulässige Beauftragung von Konzernunternehmen“ (§ 3.4) Eigenerstellung vergaberechtlich unbeschränkt möglich, daher DB-Vorschlag wirkungslos Ansatz sinnvoll, Umfang noch unklar: „gesamte Schienenwege, wesentliche Merkmale, detailliert aufgeführt, charekteristische Merkmale u.s.w.“ Sinnvoll wäre eine enge Abstimmung mit der Anlagenbeschreibung nach SNB, die vorab 15 Monate vor Fahrplanwechsel erfolgen müsste und detailliert die vorzuhaltenden und für Nutzung zu offerierenden Anlagen und Betriebsverfahren darlegen müsste Viele sinnvolle Ansätze, jedoch zahlreiche Unklarheiten. Mangels Anlage 14.3 nicht weiter bewertbar. Insgesamt aber Gefahr, dass Bericht zu sehr Input/Anlagen-orientiert und Messung und Bewertung echter Outputkriterien vernachlässigt. Vergleichbar (§ 12), einzelne Elemente genannt Darstellung von Weichen, Anschlussgleisen etc. nur als summarische Stücklisten (§ 12.1.3 und 12.1.4) Merkmale nach DB erlauben keinerlei Rückschluss auf Leistungsfähigkeit Strecke. Offen bleibt, wer „SollGeschwindigkeit“ als Bemessungsgrundlage festlegt. Prüfung durch von Bund beauftragten Wirtschaftsprüfer (WP) sicherlich sinnvoll. Jedoch keine Absicherung bei fehlendem Prüfungswillen BMVBS/BMF. Daher wäre Anbindung des WP sowohl an BRH, als auch Haushaltsausschuss/Prüfungsausschuss Bundestag sinnvoll. § 14 § 11.4 Netzzustandsbericht Prüfung Verausgabung Seite 63 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Weitgehend gleich: § 11. Einschränkung „Instandhaltungsbericht nur nach Clustern“ Es fehlen: Prüfung Wirtschaftsprüfer sowie jährlicher Schienentwicklungsbericht Bund muss den Abschlussprüfer der DB-EIU als Prüfer beauftragen. Prof. Dr. Dirk Ehlers § 13.3 § 13.3 Qualitätszahl Fahrzeitverlust Qualitätskennzahl Schienenwege Anpassung Zielwerte Messzahl ungeeignet, da basierend auf unzulänglicher DB-Methodik aus IZB (unendliches Beschleunigungs- und Bremsvermögen, nur lückenhafte Einbeziehung der Langsamfahrstellen, keine Betrachtung der Auswirkungen auf Transportketten etc., vgl. Kapitel 7.10) Inhalt völlig unklar. Möglicherweise Bewertung nach Alter. Wenn ja, auch diese Zahl allein ungeeignet, da Stilllegung von Nebengleisen und Ausbau von (alten, wenig genutzten) Weichen zwingend zu drastisch sinkendem Durchschnittsalter führen muss Keine Regelung Vergleichbar (§ 7.2.) Zudem keine Betrachtung Strecken mit Stilllegungsanträgen (§ 7.2.3) Zudem keine Wirkung im Jahr 2008 (§ 19.2) Nicht näher definierte Einzelparameter wie Gleisgeometrie, Fahrdraht etc. Zudem keine Wirkung in 2008 (§ 19.2) Überprüfung zum Jahr 2014 (§ 8.2) § 14 Messung § 16.1 Datenlieferung Datenerhebung durch DB AG selbst, Zusätzliche (punktuelle) Messung auch durch Bund Lieferung „zweckentsprechend aufbereitet“ kann missverstanden werden. Besser wäre Pflicht zur Aufbereitung in Datenbanken, d.h. Primärdaten und entsprechende Auswertungsmöglichkeiten Seite 64 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Zusätzliche Messung durch Bund fehlt ganz Fehlt. Sanktionsverfahren bleibt damit ungeprüft. Entscheidender Baustein der Testphase entfällt. Sanktionsverfahren bleibt damit ungeprüft. Entscheidender Baustein der Testphase entfällt. Sinn der Überprüfung unklar, vermutlich Ansatzpunkte zur Rechtfertigung sinkender Niveaus aufgrund „unvorhersehbarer Umstände“. Entwertung Anreizwirkung. DB kontrolliert sich weitgehend selbst. Prof. Dr. Dirk Ehlers - Transparenz § 19.1 Kontrolle durch EBA § 19.2 Stellung Hilfsmittel § 19.3 Vollstreckung Auskunft/Prüfung 11 Hinweise auf Transparenz gegenüber Bundestag, Bundesrechnungshof, Ländern, Regulierungsbehörden und allgemeine Informationsfreiheit fehlen.11 Zusatz „Stichprobenkontrolle“ missverständlich. EBA muss auch umfassende Kontrollen ausführen können Kostenregelung fehlt. Zudem sollte genaue geregelt werden, welche Messfahrzeuge EIUs vorzuhalten haben und zu stellen haben. Vollstreckung nach Verwaltungsvollstreckungsgesetz Vergleichbare Regelungslücken. Keine Kontrollen durch EBA vorgesehen DB kontrolliert sich weitgehend selbst. Messfahrten überhaupt nicht als Prüfinstrument vorgesehen (§ 14.1) Keine Regelung, zudem Einschränkung des Auskunftsrechts nach „Aufwand und Angemessenheit“: § 14.3 DB kontrolliert sich weitgehend selbst. Damit weitgehende Vereitelung der Kontrollen möglich Dies lässt auf Sorge vor Streit um Geschäftsgeheimnisse schließen (vgl. Toll-Collect Vertrag). Vergleichbare Geschäftsgeheimnisse sind in diesem Fall allerdings nicht berührt, da der Begünstigte (DB AG) nicht im Wettbewerb ermittelt wurde, sondern von einem staatlichen Monopol (auf Bundeseisenbahninfrastruktur) profitiert. Seite 65 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers - § 21.1 Sanktionen Umfang der sanktionierten Pflichten Nachbesserung Soweit ersichtlich alle In Fällen von Verstößen gegen Vergabevorschriften, Auskunftserteilung, offensichtliche Mängel auf einzelnen Streckenabschnitten, Verschweigen Fördermittel erst Sanktion nach Verstreichen Nachfrist. Damit „Katz und Maus-Spiel“ vorprogrammiert, da DB AG bei Entdecken immer noch Beseitigung verbleibt und damit Abschreckungswirkung von Verstößen (die hier erst einmal entdeckt werden müssen) entfallen. Geltendmachung durch Leistungsklage widerspricht jedem Grundverständnis staatlicher Subventionspraxis.12 Ein gesetzliches Sonderregime wäre vermutlich ein Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit im Haushaltsvollzug, da die Verausgabung öffentlicher Mittel, bei denen die Gegenleistung noch nicht erbracht ist oder noch nicht nachgewiesen ist, nur gegen Sicherheit erfolgen darf (mindestens jederzeitige Rückforderbarkeit) § 20.2 § 21.5 Geltendmachung Rückforderungen 12 Nur Mindestbeträge Instandhaltung/Ersatzinvestition, sowie Qualitätswerte: § 15.2 sowie Berichtspflichten: § 16.1 Grundsätzlich Nachbesserung bei Verfehlung von Qualitätswerten möglich, wenn bei vereinbarter Verbesserung der Infrastruktur Qualitätswerte „rechnerisch“ erreicht würden. (§ 15.3) Breite Spielräume für nachträgliche Mangelbeseitigung ohne Pönalisierung. Vergleichbare Regelung (§ 15.4, 16.2) Rückforderungen werden immer durch Verwaltungsakt geltend gemacht und unterliegen einem besonderen Regime, welches auf die zweckentsprechende Verwendung der bewilligten Mittel gerichtet ist (§§ 49, 49a VwVfG). Seite 66 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers § 20.6 Rückzahlung/Kumulierung § 20.7 Höhe von Rückforderungen § 21.4 Rückforderung Verletzung Berichtspflicht - Erfüllungsansprüche Länder - Sofortige Unterwerfung unter Vollsteckung § 22, § 26.2 Kündigung Keine Kumulation der Rückzahlungen. Damit erhebliche Anreize, bei Verstößen gleich gegen alle Vorgaben zu verstoßen. Wirksamkeit noch unklar, da Katalog nach Anlage 20.7 nicht vorliegt Zudem wohl Widerspruch zu § 21.4 Max. 2%. Damit hoher Anreiz zur grundsätzlichen Nichterfüllung Vergleichbare Regelung (§ 15.2) Vergleichbare Regelung (§ 16.1) Vertrag hat keine Rechte zu Gunsten Dritter, z.B. Bundesländer, Trassennutzer, damit liegt die Erfüllung und deren Überwachung allein im Belieben des BMVBS/BMF Als Pendant zur Vollziehung von Verwaltungsakten durch die üblichen behördlichen Mittel müsste ein Vertrag, der Verwaltungsakte ersetzt, als Ersatzinstrument die sofortige Unterwerfung unter die Vollstreckung vorsehen (§ 61 VwVfG). Tatsächlich aber ist Vollstreckung nicht vorgesehen. Kündigung allein nur bei zweimaliger Verfehlung der in § 20.6 genannten Ziele (Verweis unklar, gemeint wohl 20.5.1 bis 20.5.4) ist nicht kompatibel mit § 60 VwVfG („Kündigung, um schwere Nachteile für Gemeinwohl abzuwenden“). Hierzu gehört v.a. die fehlende Rechtmäßigkeit, aber auch das Nichtbewähren. Institut der Vertragsbeendigung durch Feststellungsklage verträgt sich nicht mit den Grundprinzipien des Rechts über öffentlichrechtliche Verträge. Verweis in § 26.2 auf Kündigung aus wichtigem Grund reicht hierzu nicht. Vergleichbare Regelungslücke. Vergleichbare Regelungslücke. Nur bei dreimaliger Verletzung innerhalb von 5 Jahren (§ 17.1) Außerordentliche Kündigung völlig ausgeschlossen (§ 17.2) Seite 67 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Regelung rechtlich unzulässig, da v.a. außerordentliches Kündigungsrecht ein fundamentales Rechtsprinzip von Dauerschuldverhältnissen ist Prof. Dr. Dirk Ehlers §§ 22, 23 Infrastrukturzustand zu Vertragsende § 25 Sonstiges Bisherige Finanzierungsvereinbarungen - Beihilfenrecht – keine Regelung §§ 17, 18 Verfügungsverbot, Stimmrecht in der Hauptversammlung Regelung fehlt. Damit hohe Anreize in einem Crash-Szenario (Kündigung) auf möglichst schlechte Infrastruktur zuzusteuern. Zulässigkeit unbrauchbarer Eskalationsregeln (Exit-Klauseln) zweifelhaft. Schadensersatzpflicht läuft weitgehend ins Leere, da „betriebsbereiter Zustand nach § 13“ nicht weiter definiert ist. Keinerlei Schadensersatzpflicht zu Vertragsende z.T. Weitergeltung und Abzug von den 2,5 Mrd. EUR, Umfang allerdings unklar. Überprüfungsrechte und Rückforderungspflichten bisheriger (beendeter) Vereinbarungen werden ersatzlos beschnitten und damit wohl Rückforderungen des Bundes an die DB AG (bislang über 15 Jahre rund 2 Mrd. Euro) vereitelt. EG-Recht fordert Rückabwicklung unrechtmäßiger Beihilfen. Vertrag macht Rückabwicklung faktisch unmöglich Diese Sicherungsinstrumente sind nicht sinnvoller Weise Bestandteil der LuFV. Die LuFV sollte gerade so aufgebaut sein, als würde sie auch ohne Mehrheitseigentum des Bundes, d.h. gegenüber einem echten Privatunternehmen, funktionieren. Keine Weitergeltung mit Ausnahme der Vereinbarung vom 9.5.2005 (§ 1.6). Vergleichbare Regelungslücke. Fehlen im DB-Entwurf Seite 68 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Rückforderungsprobleme gleich. Inhalt Vereinbarung vom 9.5.2005 unbekannt. Prof. Dr. Dirk Ehlers Fasst man die in der Übersichtstabelle enthaltenen Kurzkommentare zu den einzelnen Regelungsinhalten zusammen, wird deutlich, dass der LuFV-Entwurf des Bundes weit hinter der notwendigen Regelungstiefe und Feinjustierung der Sanktionen zurückbleibt. Die Diskrepanz zwischen Ist und Soll ist so groß, dass es wenig Sinn hat, alle kritischen Aspekte im Detail zu diskutieren, zumal es sich offensichtlich um einen ersten Entwurf handelt. Auch aus Zeitgründen wäre dies im Rahmen dieses Gutachterauftrages nicht darstellbar. Beispielhaft sollen einige zentrale Schwächen des LuFV-Entwurfs erläutert werden: „Stilllegungsprämie“ für 2.000 km Netz Die Reduzierung der Infrastrukturbeiträge des Bundes – 2,5 Mrd. € für alle EIU, davon 2,2 Mrd. € für das Netz - soll in Abhängigkeit vom Netzumfang erst unterhalb einer Schwelle von 32.000 km einsetzen. Die bevorstehende Unterschreitung dieser Grenze muss die DB AG dem Bund vorab ankündigen. Angesichts der gegenwärtigen Netzgröße von knapp über 34.000 km folgt daraus für die DB AG, 2.000 Streckenkilometer stilllegen und die betriebswirtschaftlichen Rationalisierungseffekte einstreichen zu können, ohne dass der Infrastrukturbeitrag des Bundes dadurch sinkt. Dies ist in zweifacher Hinsicht für die Länder nicht tragbar: An erster Stelle ist zu kritisieren, dass der Bund den ohnehin vorhandenen betriebswirtschaftlichen Anreiz der DB AG verstärkt, 2.000 km unprofitables Schienennetz (in der Fläche) abzustoßen. Ein solcher Mechanismus kommt praktisch einer Prämie gleich, das Netz zu verkleinern. Darüber hinaus sollte nicht der Eindruck – insbesondere auch vor den Ländern – erweckt werden, 2,5 Mrd. € seien für den aktuellen Netzumfang gerade auskömmlich, wenn die Rechnung auf einer versteckten Agenda basiert. Entweder ist der zuwendungsunschädliche Abbau von 2.000 km Netz notwendig, damit Kostendeckung im Zeitablauf erreicht werden kann – dann müsste dies als politisch abgesegnete Netzschrumpfung auch kommuniziert werden oder aber der Umfang der LuFV-Mittel etwas oberhalb der bisher geplanten 2,5 Mrd. € festgesetzt werden. Bleiben Bund und DB AG bei der Behauptung, die 2,5 Mrd. € reichten für das Bestandsnetz aus, bedeutet die geplante Nichtabsenkung bei einer Netzschrumpfung bis 2.000 Streckenkm ein „Begrüßungsgeschenk“ von rechnerisch 147 Mio. € pro Jahr13 für den Investor. 13 Rechnerisch entsprechen 2.000 km dem Anteil von 1/17 der heute ca. vorhandenen 34.000 km. Gemäß der im LuFV-Entwurf des Bundes enthaltenen linearen Kürzungsformel (0,32% je 100 km Reduktion Streckenbetriebslänge ab Unterschreitung von 32.000 km) entsprächen Prof. Dr. Dirk Ehlers Keine Vorgaben für die Kapazität des Netzes Analog zur Konzeption des IZB der DB AG 2006 als Informations- und Kontrollinstrument (siehe Kapitel 7.10) beschränkt sich der LuFV-Entwurf darauf, die Qualität der Infrastrukturvorhaltung an Kriterien festzumachen, die den Zustand des Netzes und der Stationen bei gegebener Kapazität abbilden. Korrespondierend ist die Höhe des Infrastrukturbeitrags ausschließlich an die Betriebslänge des Netzes (nach Streckenlänge) gekoppelt. Beide Funktionalitäten drücken ein statisches Verständnis von Netzqualität und -bewirtschaftung aus. Ausgeblendet wird der dynamische Charakter der Kapazität, der für die strategische Netzentwicklung maßgeblich ist. Verzichtet der Bund hier auf Vorgaben, richtet der Netzbetreiber die Kapazitätsbewirtschaftung allein an seinem betriebswirtschaftlichen Zielsystem aus. Im Hinblick auf Kapazität und Flexibilität des Netzes wichtige Anlagenbestandteile wie Überholgleise, Überleitstellen, Weichenverbindungen für parallele Fahrstraßen, Abstellgleise etc. sind durch die LuFV nicht geschützt, da ihr Rückbau keine Reduktion der Streckenlänge bewirkt. Das Rechtsinstrument des § 11 AEG bietet hier ebenfalls keinen wirksamen Schutz (vgl. 2000 km von einer Basis von 34.000 km und 2,5 Mrd. € einer nicht realisierten Kürzung von 147,01 Mio. € pro Jahr. Seite 70 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Abbildung 8). Die Einsparpotenziale aus einer nur auf den heutigen Regelfall bemessenen Kapazität und eines entsprechenden minimalistischen Anlagenumfanges wird sich ein Netzbetreiber unter Renditedruck noch deutlicher zu erschließen suchen, als es bereits die bisherige DB AG getan hat. Ist der Netzbetreiber zudem – wie in der DB AG – noch Teil eines Konzernverbunds, hat er kein Interesse, die Pläne anderer Verkehrsunternehmen in die Kapazitätsentwicklung einzubeziehen. Umso wichtiger ist das Korrektiv der Verkehrspolitik, eine an den Bedürfnissen der Branche ausgerichtete Mindestkapazität des Netzes durch Vorgaben (Abstell-, Lade-, Überholgleise, Elektrifizierungen, Zweigleisigkeiten, Achslasten, Blockabstände usw.) wettbewerbsneutral zu sichern. Dieses Mitspracherecht der Politik ist der logische Gegenwert für die hohe finanzielle Unterstützung des Systems Schiene durch die öffentliche Hand. Fehlende Regionalisierung der Netzanforderungen Der fehlende regionsspezifische Zuschnitt der Anforderungen ans Netz führt zwingend dazu, dass die Anforderungen (z.B. Netzlänge, Anlagenalter) v.a. dort erfüllt werden, wo ihre Erfüllung wenig Kosten verursacht und hohe Einnahmen durch Nutzungen generiert werden können. Dies führt u.E. zwingend dazu, dass topografisch schwierige Strecken und Strecken mit geringer Nutzungsdichte sowie verstreut liegende Zugangsanlagen besonders gefährdet sind. Ein Abbau dort kann z.B. mit hoch lukrativen Investitionen – z.B. neuen Streckengleisen in den Nord- und Ostseehäfen oder neuer Streckenanschluss eines Großverladers – kompensiert werden. Auch ist es dem Netzbetreiber möglich, Länder gegeneinander auszuspielen und die regionale Infrastrukturqualität z.B. zum Sanktionsinstrument gegenüber Ländern auszuspielen, die mit zusätzlicher Mittelbereitstellung oder bezüglich der Vergabe von SPNV-Verträgen an die DB AG zurückhaltender sind als andere. Es liegt damit nah, dass die unternehmerischen Entscheidungen eines nur über Durchschnittswerte eines Bundesnetzes kontrollierten Netzbetreibers, den Interessen der Länder an einer regional ausgewogenen SPNV-Infrastruktur zuwider laufen. Sanktionshöhen schöpfen wirtschaftlichen Vorteil nicht sicher ab In § 20 des LuFV-Entwurfs ist das Sanktionssystem des Bundes bei Verstößen der DB AG gegen die Qualitätsziele verankert. Geregelt wird, bei welchen Arten von Verstößen („Sanktionskatalog“) der Bund seinen Infrastrukturbeitrag grundsätzlich zurückfordern kann und woran sich die Seite 71 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Höhe der Rückzahlung bemisst. Vorgesehen ist eine Staffelung der Sanktionshöhe in Abhängigkeit vom Grad der Abweichung je Kennzahl. Der Prozentwert der Rückforderung soll mit dem Prozentwert der Zielverfehlung identisch sein. Die Idee der Staffelung ist grundsätzlich sinnvoll, da sie richtige Verhaltensanreize setzt und für beide Seiten Fairness ausstrahlt. Allerdings ist die Gleichschaltung der Prozentwerte von Sanktionshöhe und Zielverfehlung kein geeignetes Maß, um den wirtschaftlichen Vorteil des pflichtverletzenden Netzbetreibers zielgenau abzuschöpfen. Je nach Wahl der Kennzahl selbst und des Zielwertes verbergen sich hinter einem Prozent Unterschreitung völlig unterschiedliche Ergebniswirkungen, während dieser Prozentpunkt nach der Logik der LuFV-Sanktionierung stets 25 Mio. € - ein Prozent Rückforderung - wert ist. Für einzelne Kriterien kann dies einen Anreiz zur Zielverfehlung bedeuten, da die Sanktion im Vergleich zum Einsparpotenzial irrelevant ist, bei anderen Kriterien kann eine unverhältnismäßige Überpönalisierung eintreten. Ebenfalls zu kritisieren ist die fehlende Kumulation der Sanktionen bei Verstößen gegen mehrere Verstöße. Damit wird der Anreiz erzeugt, einem Verstoß weitere folgen zu lassen und eine Verstoß“kultur“ zu entwickeln. Abschmelzen der Infrastruktur- und Mindestinstandhaltungsbeiträge um 3 % p.a. beschleunigt Netzrückbau Nach § 5 des LuFV-Entwurfs sollen der Infrastrukturbeitrag des Bundes und der Mindestinstandhaltungsbeitrag der DB AG ab einem noch zu bestimmenden Jahr jährlich um 3 % sinken („ordentliche Reduzierung“). Damit würde die Zuwendung des Bundes für die Ersatzinvestitionen um 75 Mio. € pro Jahr gekürzt. Für den Mindestinstandhaltungsbeitrag lässt sich der absolute Betrag der angestrebten regelmäßigen Absenkung vorerst nicht errechnen, da die Ausgangsbasis weder im Gesetzentwurf noch im Entwurf der LuFV festgehalten ist. Erneut ist zunächst das Bemühen anzuerkennen, Effizienzanreize in die vertragliche Steuerung einzubauen. Die prozentuale Reduzierung ähnelt dem X-Faktor in der Regulierung natürlicher Monopole, der den Produktivitätsfortschritt des Netzbetreibers antizipieren und als Mindestziel vorgeben soll. Allerdings stellt sich die Frage, auf welchem methodischen Fundament die Höhe des Kürzungsbetrags steht. Setzten die 3 % im ersten Jahr ein, würde sich der Infrastrukturbeitrag des Bundes von 2,5 Mrd. € während der 15jährigen Sicherungsübereignung nahezu halbieren. Dies erscheint im Hinblick auf den möglichen Produktivitätsfortschritt kaum realistisch. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass im Unterschied zu den üblichen Regulierungsformeln die LuFV keinen Inflationsausgleich Seite 72 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers vorsieht, also bereits den Anreiz setzt, Preissteigerungen durch Produktivitätsverbesserungen zu kompensieren. Noch kritischer ist die analoge Absenkung des Mindestinstandhaltungsbeitrags zu sehen. Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht zur Instandhaltung der Schienenwege 2007 darauf hingewiesen, dass die jährlichen Instandhaltungsaufwendungen der DB AG seit 2001 deutlich unter dem Betrag von 1,636 Mrd. € liegen, den 2001 eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und DB AG als nachhaltig errechnet hatte. In der Summe ist zwischen 2001 und 2005 ein Instandhaltungsstau von 1,5 Mrd. € (kumuliert) entstanden, dessen Auswirkungen zeitlich versetzt sichtbar werden dürften. Vor diesem Hintergrund erscheint es kontraproduktiv, gegenläufige Signale auszusenden, insbesondere nachdem die Instandhaltungsaufwendungen laut DB AG in den letzten beiden Jahren wieder moderat angestiegen sind. Auch betriebswirtschaftlich sind in der Instandhaltung keine Effizienzspielräume erkennbar, die eine jährliche Kürzungsautomatik von 3 % nahelegten. Die größten Optimierungspotenziale lassen sich zum Zeitpunkt der Planung erschließen, wenn über die Dimension der Netz- oder Streckenkapazität und planerische/technische Parameter wie die Konzeption der Leit- und Sicherungstechnik noch frei entschieden werden kann. Zu diesem Zeitpunkt geben Analysen der Lebenszykluskosten (Wechselspiel aus Investition und späteren Betriebskosten, klassisches Beispiel: Feste Fahrbahn) Aufschluss darüber, inwieweit die Instandhaltungsaufwendungen deutlich gesenkt werden können. Hinterher – bei gegebenem Anlagenumfang – ist der Instandhaltungsaufwand nur noch geringfügig beeinflussbar. Insgesamt ist zu befürchten, dass die ordentliche Reduzierung des Infrastruktur- und des Mindestinstandhaltungsbeitrags den Anreiz verstärken, das Netz zurückzubauen und den Anlagenumfang zu reduzieren. Da eine für den Infrastrukturbetreiber rationalisierungsbedingte Kostenreduktion im Bereich der Instandhaltung von 3 % pro Jahr außerhalb des realistisch Möglichen liegt, wird er abschmelzende LuFV-Mittel kompensieren müssen über eine entsprechende Erhöhung der Erlöse aus der Infrastrukturnutzung. Folge wären insbesondere massiv steigende Trassenpreise, denn in den ohnehin seitens der DB AG geplanten Steigerungen von rund 2 % pro Jahr ist eine „ordentliche Reduktion“ der LuFV-Mittel um 3 % nicht berücksichtigt. Diese Kompensation muss folglich über noch darüber liegende Steigerungsraten eintreten. Die Regulierung wird den Ländern, die von Trassenpreiserhöhungen regelmäßig am stärksten betroffen sind, gegen diesen Effekt keinen ausreichenden Schutz bieten, denn bei konstanten oder nur geringfügig gesunSeite 73 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers kenen Kosten aber deutlich sinkenden Instandhaltungszuschüssen ist die Umlegung der wegbrechenden Einnahmenanteile auf die Nutzungsentgelte begründbar und plausibel. Seite 74 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Abbildung 13: Komplementarität Einnahmen aus Entgelten & LuFV Absenkung LuFV-Mittel durch: • Verzicht auf Inflationsausgleich • „ordentliche Reduzierung“ • Mängelbedingte Kürzungen Anstieg Trassenpreise Ausgangsverhältnis Verfehlen Anreizwirkung Korrespondierender Anstieg der Nutzungsentgelte als Ausweichreaktion der DB AG Umverteilung: Bund spart zu Lasten der EVU und der Länder! Kann das EIU die vom Bund einbehaltenen LuFV-Mittel über die Infrastrukturnutzer kompensieren, verfehlt die LuFV ihre steuernde Wi rkung Verzahnung von Regulierung und LuFV essentiell, um Verpuffen der Anreizwirkung zu verhindern Der aus dem Prinzip der „ordentlichen Reduzierung“ erwachsende Druck stellt mit der Zeit wachsend mehr und mehr Infrastrukturbestandteile in Frage, deren Kosten-Erlös-Verhältnis negativ ist bzw. legt die Schwelle für ein ausreichendes Kosten-Erlös-Verhältnis schrittweise höher, sofern keine vollständige Kompensation über höhere Trassenerlöse möglich ist. Letzteres dürfte insbesondere für weite Teile des Regionalnetzes gelten, für die die Besteller bei derart stark steigenden Kosten die Weiterbestellung von SPNV-Angeboten nicht mehr verantworten oder finanzieren können. Vorschub geleistet wird über den Reduzierungsautomatismus so einer Kernnetz-Strategie, die ebenjener entspricht, die auch ein ausschließlich renditeorientierter Netzbetreiber verfolgen wird: Das optimale Netz, was sich auch mit einem entsprechend gesenkten LuFV-Beitrag wirtschaftlich betreiben lassen könnte, besteht zu Ende gedacht praktisch vollständig aus stark belasteten Abfuhrstrecken mit entsprechend hohen Erlösen aus der Infrastrukturvermarktung. Dieser letztlich doppelte Anreiz für eine betriebswirtschaftliche Netzoptimierung leistet somit alles andere als eine Schutzfunktion für die Infrastruktur. Seite 75 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Vernachlässigung des Anlagenalters Eine wesentliche Aufgabe einer LuFV muss die Gewährleistung des Substanzerhalts der Infrastruktur sein. Diese lässt sich vereinfacht über den Parameter Anlagenalter gut erfassen, der auch von der DB AG im IZB erhoben wird.14 Erhöhungen des Anlagenalters bieten ein gutes Indiz für Instandhaltungsrückstände. Wichtig ist eine hinreichende Differenzierung nach Gewerken (z.B. Brücken, Tunnel jeweils gewichtet nach Gleis- und Bauwerkslänge), nach Nutzungsintensität und eine streckenscharfe Zuordnung, um regionale Auswertungen zu ermöglichen. Denn bislang kann in der Logik des IZB das Anlagenalter durch Ausbuchen nicht oder selten genutzter Elemente (z.B. Weichen und Anschlussgleise) erheblich gesenkt werden und damit eine Anlagenalterserhöhung von intensiv genutzten Streckengleisen und –weichen kaschiert werden. Das Fehlen jedweder Vorgaben zur Erfassung, Bewertung und Pönalisierung im bisher bekannt gewordenen Entwurf für die LuFV ist eine gravierende Schwachstelle. Der Substanzerhalt ist aus Ländersicht von besonderer Relevanz im Falle der Übernahme von Netzteilen in eigene Regie. Eine (im Entwurf der LuFV nicht näher spezifizierte) Schienenwegmesszahl, der theoretische Fahrzeitverlust (zur Untauglichkeit dieser Zahl siehe die Ausführungen zum IZB in Kapitel 7.10) und Mindestinstandhaltungsbeiträge beugen einem schleichenden Substanzverlust nicht hinreichend vor, da z.B. die schlichte Summe an Instandhaltungsaufwendungen nichts über deren Effizienz im Hinblick auf die damit bewirkten substanzerhaltenden Maßnahmen aussagt. Diese Kurzanalyse des LuFV-Entwurfs war mit der Frage überschrieben, inwieweit er geeignet ist, den Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes zu schützen. Da die Länder nach dem bisherigen Konstrukt keine eigenständigen Mitwirkungs- und Kontrollrechte erhalten sollen, sind sie darauf angewiesen, dass der Bund ihre Interessen „anwaltlich“ gegen den Netzbetreiber vertritt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Bund selbst wirksame Rechte und Instrumente der Vertragssteuerung an die Hand bekommt. Hierauf können die Länder 14 Zu berücksichtigen sind allerdings mögliche verzerrende Effekte wie z.B. bei schrumpfendem Anlagenumfang (Werden viele Altanlagen ersatzlos ausgebucht, verjüngt sich das Durchschnittsalter auch ohne hinreichende Ersatzinvestitionen, ein Investitionsstau ließe sich bei Nichtberücksichtigung dieses Effekts kaschieren.) oder bei Inbetriebnahme von Neu- und Ausbaustrecken (Dann gehen die über andere Quellen finanzierten Anlagen schlagartig verbessernd in die Statistik ein.). Seite 76 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers nur so lange einwirken, wie sie ihre Zustimmung zum Gesetz noch nicht erteilt haben. Wie zuvor skizziert, sollten die Länder der Gefahr realistisch ins Auge sehen, dass der Bund Vertragsverletzungen des Infrastrukturbetreibers nicht oder nur symbolisch ahndet. Ursächlich sind das vorrangige Eigeninteresse und der Druck des Investors, den Beteiligungswert der DB AG nicht zu schmälern. Aus diesem Grund ist den Ländern dringend zu empfehlen, autonom wahrnehmbare Sanktions- und Kündigungsrechte – zumindest für die Regionalnetze – einzufordern. Juristisch ist dies gestaltbar. Hierzu müssen die Länder entweder selbst Vertragsbeteiligte der LuFV bzw. der für sie relevanten Kapitel über die Regionalnetze werden, oder der Vertrag wird mit einer Schutzwirkung Dritter, hier der Länder versehen. Dabei wird ihnen ein Vertragsgestaltungsrecht explizit eingeräumt, das auch Regelungen über Ersatzvornahmen enthalten kann. Gerade letzteres Instrument wäre besonders hilfreich, um Qualitätsmängel in Regionalnetzen zeitnah beseitigen lassen zu können. Damit die Rechte der Länder auch wirksam wahrgenommen werden können, ist es erforderlich, die Möglichkeit der (Verwaltungs-)Vollstreckung gegen die DB AG – auch durch die Länder – in der LuFV zu schaffen. Lösungsvorschläge: Die Forderungen der Länder sollten untergliedert werden in solche, die die Steuerungsqualität der LuFV des Bundes verbessern, sowie in Maßnahmen zur Schaffung originärer Länderrechte. Lösungsvorschläge der ersten Kategorie sind: Die in der LuFV angelegte „Stilllegungsprämie“ wird ersatzlos gestrichen. Der Infrastrukturbeitrag von 2,5 Mrd. € erstreckt sich auf den gegenwärtigen Netzumfang von 34.000 km in der heutigen Netzqualität. Reicht die Summe nicht, ist sie nach oben anzupassen. Die Sanktionshöhe je sanktionierten Tatbestand bemisst sich nach dem Anderthalbfachen des wirtschaftlichen Vorteils, den sich der Infrastrukturbetreiber durch die Pflichtverletzung zu verschaffen sucht. Bund und Länder erarbeiten in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe den Sanktionskatalog und die Sanktionsstaffeln. Das Sanktionssystem der LuFV sieht vor, den wirtschaftlichen Vorteil des Infrastrukturbetreibers aus einem bestimmten Verstoß umgehend abzuschöpfen. Hierzu gibt der Bund einen typisierenden Sanktionskatalog in Höhe des vermuteten wirtschaftlichen Vorteils je Verstoß vor. Der entsprechende Betrag wird umgehend gesperrt und auf ein Sonderkonto hinterlegt. Er wird entsperrt, sobald der Infrastrukturbetreiber den Mangel beseitigt hat, zudem wird für den Zeitraum der fehlenden Beseitigung Seite 77 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers ein Einbehalt wegen nicht vertragsgemäßer Gegenleistung vorgenommen. Dem Infrastrukturbetreiber steht es frei, auf dem Rechtsweg eine Änderung des Einbehalts zu erwirken. Dieser hat jedoch keine aufschiebende Wirkung. Auf eine ordentliche Reduzierung des Infrastrukturbeitrags und des Mindestinstandhaltungsbeitrags wird verzichtet. Effizienzanreize werden über die Regulierung gesetzt. Die Qualitätsparameter der LuFV werden deutlich erweitert. Vor allem Kapazitätsvorgaben werden den statischen Zustandskriterien hinzugefügt. Zugleich fließen sie in die Bemessung des Infrastrukturbeitrags ein. Einbehaltene LuFV-Mittel bleiben dem System Schiene erhalten und fallen nicht in den Bundeshaushalt. Sie werden hälftig zum einen für eine Aufstockung der Mittel für Neu- und Ausbau und zum anderen zur Erhöhung der Regionalisierungsmittel verwendet. Um den Ländern wirksame eigenständige Rechte zu verschaffen, wird vorgeschlagen: Die LuFV wird in mehrere Kapitel aufgeteilt, und zwar differenziert nach Fern- und Ballungsnetz sowie Regionalnetzen. Letztere werden einzeln aufgeführt. Korrespondierend werden die Qualitätsvorgaben und der Sanktionskatalog auf die Abschnitte der LuFV heruntergebrochen. Zusätzlich ist es vorstellbar, auch die Infrastrukturbeiträge und Mindestinstandhaltungsbeiträge teilnetz- und streckenscharf aufzuteilen. Wird allerdings das differenzierte Qualitätsmonitoring tatsächlich umgesetzt, erscheint dieser Schritt verzichtbar. Bund und DB AG schließen die LuFV als Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten der Länder ab. Die Länder erhalten eigenständige Sanktionsund Kündigungsrechte, mit denen sie Leistungs- und Feststellungsklagen anstrengen können. Die Einräumung dieser Rechte wird im Gesetz verankert. Weiterhin wird den Ländern vertraglich konzediert, Vollstreckung und Ersatzvornahmen anordnen zu können, wenn der Infrastrukturbetreiber seinen Pflichten einschließlich Aufforderung zur Nachbesserung nicht nachkommt. Seite 78 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.5. Regionalisierung der Infrastruktur als Option An dritter Stelle fordert der VMK-Beschluss im Wortlaut: „Die Bewirtschaftung von Teilnetzen im Regionalbereich unter Fortbestand des Bundeseigentums und der Bundesfinanzierung muss aufgrund vertraglicher Vereinbarung an Dritte übertragen werden können. Dazu gehört auch eine Mittelausstattung für die Strecken, auf denen die DB AG die Bedienung eingestellt hat oder dies will und die anschließend aus volkswirtschaftlichen oder sonstigen Gründen auf Vermittlung der Länder von Dritten betrieben werden. Im Falle eines von den Infrastrukturunternehmen zu verantwortenden Qualitätsabfalls in einem Netz muss eine optionale Übernahme der Bewirtschaftung durch einen von einem Land beauftragten Dritten vorgesehen werden.“ Sachstand: Die obengenannte Regionalisierungsoption knüpft an die seit längerem diskutierte Idee an, die Bewirtschaftung der regionalen Schieneninfrastruktur in die Aufgabenverantwortung der Länder zu übertragen. Als Anlass dienen unterschiedliche Erwägungen: Viele Länder sind mit der gebotenen Infrastrukturqualität im Regionalnetz über Jahre unzufrieden und haben die Hoffnung, dass regionale Infrastrukturbetreiber ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis abliefern könnten. Genährt wird diese Auffassung durch Erfahrungen mit nichtbundeseigenen EIU, aber auch durch einzelne Studien, die ihnen Kostenvorteile bei vergleichbaren Leistungen bescheinigen. Des Weiteren fühlen sich diese Länder durch die positiven Erfahrungen mit der „Regionalisierung I“ bestärkt, d.h. der Übernahme der Bestellverantwortung für das Verkehrsangebot im SPNV. Die „Regionalisierung II“ auch der Infrastruktur wäre demnach die logische Weiterentwicklung dieses Erfolgsmodells. Eine kleinere Zahl von Ländern steht der Regionalisierung der Infrastruktur – zumindest bisher – skeptisch bis ablehnend gegenüber. Befürchtet werden finanzielle Mehrbelastungen der Länder, falls die anteiligen Mittel des Bundes für die Netzteile nicht mit transferiert würden oder diese langfristig nicht ausreichten. Der Bund lehnt die Diskussion über die Regionalisierung von Regionalnetzen traditionell ab. Ausnahme war ein kurzes Zeitfenster 2001, als die Task Force „Zukunft Schiene“ in ihrem Schlussbericht empfahl, mit regionalen Infrastrukturmodellen zu experimentieren. Danach sollte eine Arbeitsgruppe mit den Ländern eingerichtet werden, die dem Vernehmen nach bis heute nie getagt hat. Der Gesetzentwurf sieht die Option der Regionalisierung nicht vor. Seite 79 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Bewertung: Aus der Sicht der Länder stellt sich die Regionalisierungsfrage zweimal. Vorgelagert ist zu prüfen, ob die gegenwärtige politische Konstellation günstig sein könnte, die Umsetzung der Regionalisierung vor der Privatisierung einzufordern. Vorteil einer solchen Lösung ist, dass nicht erst Mängel in Regionalnetzen auftreten müssen, die die Übertragungsoption auslösen können. Da die Länder bislang zu diesem Thema keine einheitliche Position vertreten, erscheint dies unwahrscheinlich, insbesondere wenn der von außen herangetragene Zeitdruck der Entscheidung weiterhin aufrechterhalten werden sollte. Realistischer ist die Initiative, die Option auf Regionalisierung der Schieneninfrastruktur als Rückfallebene vorzusehen, um die Folgen der Privatisierung - insbesondere Schlechtleistungen des Infrastrukturbetreibers – aktiv lindern zu können. Damit die Option im Bedarfsfall gezogen werden kann, müssen verschiedene Vorkehrungen getroffen werden: Den Regionalnetzen müssen in der LuFV eigene Kapitel gewidmet werden, und zwar für jedes Regionalnetz einzeln. Qualitätsanforderungen und Sanktionssystem müssen ebenfalls individuell abgestimmt werden. Infrastruktur- und Mindestinstandhaltungsbeitrag müssen für jedes Regionalnetz definiert werden. Bei funktionierendem Qualitätsmonitoring wäre diese Festlegung der Inputgrößen nicht unbedingt erforderlich. Für die Herauslösung des Regionalnetzes ist dieser Schritt – zumindest für den Infrastrukturbeitrag – jedoch unumgänglich. Die spezifische Mittelausstattung muss auf das Land übertragen werden, während im Gegenzug sich der Infrastrukturbeitrag für die DB AG um denselben Betrag reduziert. Damit die Teilkündigung Realität werden kann, müssen die Länder sie autonom aussprechen können. Hierzu muss ihnen ein Rechtsanspruch eingeräumt werden. Zu den o.g. Voraussetzungen wird im Übrigen auf die Unterabschnitte 7.4 und 7.10 verwiesen. Seite 80 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Lösungsvorschlag: In Ergänzung zu den Lösungsvorschlägen in Kapitel 7.2 setzt die Option auf Teilkündigung von Regionalnetzen ggf. voraus, „Abschmelz“Regelungen zur Sicherungsübereignung und zum Wertausgleich zu treffen. Seite 81 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.6. Trassen- und Stationspreise deckeln An vierter Stelle des VMK-Beschlusses fordern die Länder: „Eine Steigerung der Trassen- und Stationspreise zu Lasten des Nahverkehrs über die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel hinaus muss ausgeschlossen werden.“ Sachstand: Eine solche spezifische Schutzvorkehrung zugunsten des SPNV sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Bewertung: In einem funktionierenden System Schiene hat die Regulierung die Aufgabe, auf allen Wertschöpfungsstufen unangemessene Renditen bzw. daraus resultierende Preiserhöhungen des Infrastrukturbetreibers zu unterbinden oder auf ein Normalmaß zurückzuführen. Dabei ist eine Kopplung der Veränderung der Vorleistungspreise (Trassen, Stationen, Energie) an die Entwicklung der Regionalisierungsmittel per se nicht zwingend. Andernfalls würde man einen Bestandsschutz für das gegebene SPNV-Angebot – derzeit knapp 630 Mio. Zugkm - unterstellen, das nicht reduziert werden dürfe. Tatsächlich kann es aber ökonomisch plausible Gründe geben, dass die Preise von Vorleistungen oberhalb der allgemeinen Inflationsrate zunehmen. Da eine funktionierende Regulierung – insbesondere mit Blick auf die Entgeltfestsetzung – jedoch nicht vor 2011-2015 in Sicht ist, sind aus politischer Sicht andere Maßstäbe anzulegen. Diese Vorkehrung ist umso dringlicher, als die in Kapitel 5 (Abbildung 1) skizzierte Gewinnplanung der DB AG bei Netz und Personenbahnhöfen den Handlungsbedarf verschärft. Darüber hinaus bleibt es den Ländern unbenommen, den Dynamisierungspfad der Regionalisierungsmittel zum Gegenstand ihrer Verhandlungen mit dem Bund zu erheben. Allerdings ist davor ausdrücklich zu warnen, kurzfristige (monetäre) Verhandlungserfolge bei den Regionalisierungsmitteln höher zu gewichten als institutionell verlässliche Schutzvorkehrungen. Die Erfahrung aus 2006 hat gezeigt, dass Regionalisierungsmittel auch vor der nächsten Revision gekürzt werden können. Angesichts der noch ausstehenden dauerhaften Konsolidierung der öffentlichen Haushalte steht dieses Szenario bei der nächsten natürlichen konjunkturellen Delle wieder im Raum. Dann erwiese es sich als Bumerang, nur auf die Karte „Geld“ zur Linderung der Privatisierungsfolgen gesetzt zu haben. Seite 82 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Lösungsvorschlag: Um zumindest die Folgen der bereits bis 2011 geplanten Kaufkraftentwertung zu verhindern und das Vakuum der Entgeltregulierung bis dahin auszufüllen, sollten die Länder fordern: Die Erhöhung der Trassenpreise für den SPNV wird auf 1,5 % p.a. gesetzlich begrenzt. Darüber hinausgehende Steigerungen, die der Infrastrukturbetreiber dem Regulierer bei kosteneffizienter Leistungserbringung begründet nachweist, muss der Bund tragen (z.B. Erhöhung der LuFV-Mittel). Damit würde der Bund einen Anreiz erhalten, die Regulierung tatsächlich zu stärken. Alternativ: Für die Trassen- und Stationspreise wird ein Index entwickelt. Dessen Änderung in Relation zum definierten Basisjahr ist die Grundlage für eine gesonderte Dynamisierung desjenigen Anteils der Regionalisierungsmittel, der auf den Bezug der Vorleistungen entfällt. Seite 83 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.7. Weisungsunabhängigkeit der EIU Das fünfte Postulat der VMK lautet: „Die Infrastrukturunternehmen müssen gegenüber der Holding weisungsunabhängig im Hinblick auf die konkreten Investitionsentscheidungen sein.“ Sachstand: Das Problem der Weisungsabhängigkeit von EIU ergibt sich ausschließlich im integrierten Konzern wie der DB AG, in dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge gelten. Nach der EU-Richtlinie 2001/14/EG müssen Netzbetreiber rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen unabhängig sein. Als Regelungsbereiche werden die Festlegung der Infrastrukturentgelte und die Trassenvergabe genannt. Ein investiver Bezug lässt sich allenfalls mittelbar herstellen, indem der Netzbetreiber bei Engpässen – ungeachtet dessen, wer diesen verursacht - die Überlastung des Fahrwegs erklären und eine Kapazitätsanalyse durchführen muss. Ein Investitionsgebot zur Beseitigung des Engpasses lässt sich jedoch in der Praxis nicht ableiten. Der jetzige Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht keine Änderung der Unbundling-Vorschriften im AEG vor. Lediglich in § 9a Abs. 1 wird eine neue Nr. 7 angefügt, die sicherstellen soll, dass mit dem Infrastrukturunternehmen verbundene Verkehrsunternehmen keine zeitlichen oder inhaltlichen Informationsvorsprünge hinsichtlich der Zuweisung von Zugtrassen oder Entscheidungen über Wegeentgelte erhalten. Bemerkenswert daran ist, dass der erste Entwurf der Bundesregierung vom 15.12.2006 noch zum Ziel hatte, spezielle Unbundling-Vorschriften für die DB AG einzuführen (§§ 5, 6 des Gesetzes über Struktur der Eisenbahn des Bundes [BESG]). Demnach sollte es der DB AG als Holding untersagt sein, ihren EIU Weisungen über die Verwendung der Infrastrukturmittel des Bundes zu erteilen oder in sonstiger Weise auf deren Verwendung einwirken. Auch sollte die Personalunion zwischen Vorständen der DB-Holding und den EIU-Töchtern verboten werden. Zur Überwachung dieser Vorschriften sollte das EBA die allgemeinen Ermittlungsbefugnisse bekommen, die es auch sonst im Rahmen der Eisenbahnaufsicht hat. Als Reaktion auf diese Absicht schrieb der Vorstandsvorsitzende der DB AG am 24.1.2007 einen Brief an das BMVBS, in dem diese Regelungen wie folgt kommentiert werden: Das europäische Recht verlange keine Unabhängigkeit der Infrastruktursparte bei Investitionssparten. Der deutsche Entwurf gehe also (unnötigerweise) über das EG-rechtlich Geforderte hinaus. Seite 84 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Die DB AG könne nicht mehr die „Einheit für Betrieb und Bilanz“ tragen, wenn sie keinen Einfluss auf die Verwendung der Bundesmittel bei ihren Infrastrukturgesellschaften habe. Die DB AG würde gegenüber dem Bund für den Einsatz der Bundesmittel haften, ohne auf ihre Infrastrukturgesellschaften noch Einfluss nehmen zu können. Das Verbot, „auf sonstige Weise“ durch die DB AG auf die Verwendung der Bundesmittel einzuwirken, schaffe unabsehbare Eingriffsbefugnisse des EBA. Die Befugnis des EBA, Zuwiderhandlungen abzustellen, und die entsprechenden allgemeinen Ermittlungsbefugnisse seien eine Generalvollmacht für das EBA. Es könne wie ein Staatsanwalt agieren. Zudem berge die Vorschrift ein erhebliches Bürokratiepotenzial. Im Ergebnis ließ das BMVBS von seinem Vorhaben ab. In anderen Netzsektoren wie dem Energiebereich sind Unbundling-Vorschriften inzwischen etabliert. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) gibt hierzu in der Neufassung vom 7.7.2005 in den §§ 6-10 umfassende Regelungen vor. Zu nennen sind: Die Netzgesellschaften müssen bei Entscheidungen über Betrieb, Wartung und Ausbau des Netzes tatsächlich unabhängig agieren. Es dürfen nur allgemeine Verschuldungsobergrenzen festgelegt oder allgemeine Finanzpläne einem Genehmigungsvorbehalt unterstellt werden (§ 8 Abs. 4 EnWG), Geschäfte größeren Umfangs mit verbundenen Unternehmen müssen im Geschäftsbericht gesondert ausgewiesen werden, Erforderlich ist eine Spartenrechnung nach einzelnen Netzdienstleistungen mit gesondertem Testat, die von der Regulierungsbehörde überprüft werden kann, Eine weitgehende personelle Entflechtung ist geboten, Die berufliche Handlungsunabhängigkeit der Mitarbeiter der Netzgesellschaft muss gewährleistet werden, Die Mitarbeiter müssen zur Sicherstellung der Gleichbehandlung geschult werden. Ein weiterer Schub zur Verschärfung der Unbundling-Vorschriften resultiert aus dem Bericht der EG-Kommission vom 3.5.2006 KOM(2006) 189 über die Durchführung des ersten Eisenbahnpakets. Im Annex V stellt die Kommission Auslegungsregeln zu den bisherigen Unbundling-Vorschriften des EG-Rechts auf. Seite 85 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Hiernach ist eine Unabhängigkeit der Trassenvergabe und der Festlegung von Infrastrukturentgelten nur gegeben, wenn die Unabhängigkeitsregeln durch eine neutrale Instanz überwacht werden. der Infrastrukturbetrieb bezüglich aller essenziellen Funktionen weisungsunabhängig ist. keine Doppelmitgliedschaften von Vorständen vorliegen. die zeitnahe Berufung von Vorständen und leitenden Mitarbeitern der Infrastrukturgesellschaften in die Holding ausgeschlossen wird. die Vorstände der EIU unabhängig von der Holding ernannt und abberufen werden, z.B. unter der Kontrolle des Regulierers. die EIU bei der Ausübung ihrer essenziellen Funktionen auf eigene Ressourcen mit eigenen Informationssystemen zurückgreifen müssen, die vom sonstigen Konzern getrennt sind. In dem Vortrag eines Mitarbeiters der EU-Kommission am 13.9.2007 auf einer Tagung der BAG-SPNV wurden erhebliche Zweifel laut, inwieweit in Deutschland die Unbundling-Vorschriften bereits erfüllt würden. Ausdrücklich wurden als kritische Aspekte die Doppelmitgliedschaft in Vorständen und deren nicht unabhängige Berufung/Entlassung genannt. Bewertung: Die Notwendigkeit von Unbundling-Vorschriften beim integrierten Netzbetreiber dürfte unstreitig sein. Dass dieser sich gegen jegliche Eingriffe wehrt, ist verständlich, sollte aber kein Maßstab sein. Synergien von Investitionsentscheidungen „aus Konzernsicht“ drücken stets ein erhebliches Diskriminierungspotenzial aus, das in den meisten Fällen tatsächlich Wettbewerber diskriminiert – andernfalls wäre es keine Konzernsicht, sondern eine unabhängige Entscheidung des Netzbetreibers, die auf den Nutzen für die Branche ausgerichtet ist. Die Länder sind im Vergleich zu den Wettbewerbern der DB-Transportsparten nicht direkt von der Frage der Weisungsunabhängigkeit betroffen, mittelbar jedoch schon. Dies gilt vor allem für die Koppelgeschäfte zwischen Verkehrsangeboten und der Vergabe von Infrastrukturmitteln. Insofern sollten sie die Forderung weiter aufrechterhalten. Seite 86 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Lösungsvorschlag: Die gestrichene Formulierung des 1. Entwurfs zur Weisungsunabhängigkeit des Netzbetreibers bei der Vergabe von Infrastrukturmitteln und dem Verbot der Personalunion mit der Holding wird wieder in die jetzige Fassung aufgenommen. Die Unbundling-Vorschriften des Energierechts werden auf das Eisenbahnrecht übertragen. Seite 87 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.8. Stationen Die sechste Forderung der Länder lautet: „Qualitätsvorgaben und Mittelausstattung sind auch für Stationen und Serviceeinrichtungen verbindlich zu regeln. Dabei ist ein Mechanismus zur Sicherung der erforderlichen fahrgastbezogenen Nutzungen bei einer Veräußerung vorzusehen.“ Sachstand: Der Gesetzentwurf stellt in den Bestimmungen des BSEAG zur LuFV und zum IZB keinen unmittelbaren Bezug zu Stationen und Serviceeinrichtungen her. Zwar wird unter § 2 Abs. 3 (Begriffsbestimmungen) darauf verwiesen, dass die Schienenwege auch die betriebsnotwendigen Anlagen umfassen, deren Bau oder Änderung einer Planfeststellung nach § 18 AEG bedürfen. In den nachfolgenden Ausführungen zur LuFV und den Pflichtinhalten wird jedoch nicht auf die Stationen abgestellt. Ausnahme ist § 6 Abs. 2 Nr. 1, wonach der IZB ein Kataster der Schienenwege mit allen wesentlichen Merkmalen der Betriebsanlagen enthalten muss. Folgerichtig geht auch der IZB der DB AG 2006 auf den Zustand der Stationen nur an einer Stelle kurz ein. Alleiniges Qualitätskriterium ist das Alter der Bahnsteige, das 2006 um 1,2 Jahre im Vergleich zum Vorjahr zunahm. Serviceeinrichtungen sind nicht Gegenstand des Berichts. In dem LuFV-Entwurf des Bundes taucht erstmalig die Information auf, wie sich der Infrastrukturbeitrag des Bundes von 2,5 Mrd. € p.a. auf das Netz, die Stationen und die Anlagen der Energieversorgung verteilt. Demnach sollen die Stationen 250 Mio. € p.a. erhalten. Allerdings ist dieser Betrag insofern nicht gesichert, als die drei EIU über genau die gleiche Summe von 250 Mio. € (10% der Gesamtsumme der LuFV) einen eigenen Aufteilungsmodus vereinbaren können. Zu den Qualitätsanforderungen ist dem Entwurf in § 13 lediglich zu entnehmen, dass bestimmte Vorgaben eingezogen werden sollen, nicht jedoch welche Kennzahlen und welche Zielwerte. Bewertung: Obschon die Stationen den Zugang für den Fahrgast zum Personenverkehr auf der Schiene eröffnen, führen sie in der Diskussion um die Qualitätssicherung ein Schattendasein. Der IZB 2006 geht im Berichtsteil lediglich an zwei Stellen auf die Stationen ein. Auch die Wahl eines einzigen Qualitätskriteriums erweckt den Eindruck, dass der Bund an dieser Infrastrukturkomponente eher desinteressiert ist. Hinzu kommt, dass das Alter der Bahnsteige nichts über die Funktionalität und Servicequalität der Stationen aus der Sicht des Nutzers aussagt. Analog zur Einteilung der Indikatoren beim Netz liefern Daten zum Anlagenalter nur HinSeite 88 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers weise zur Substanzbewirtschaftung, jedoch nicht zur Verfügbarkeit und Qualität für den Nutzer. Die geringe Zahl an Qualitätskriterien ist insofern erstaunlich, als die DB AG in den Ländern Broschüren mit dem Titel „Bahnhofsentwicklungsprogramm“ bereithält, die wesentlich mehr Informationen bieten als der IZB. Für jede Station werden Merkmale wie Erscheinungsbild, Kundeninformation, Aufenthaltsqualität u.a. mit Hilfe der drei Ampel-Farben beschrieben. Die geforderte Sicherungsfunktion für die verkehrliche Funktion der Stationen bei Veräußerungen dürfte eine Reaktion auf die Ankündigung der DB AG sein, einen Großteil ihrer Empfangsgebäude abstoßen zu wollen. Grundsätzlich erscheint es möglich, die verkehrliche Funktion der Stationen separat abzusichern. Ob dies notwendig ist, lässt sich nicht sicher sagen. Lösungsvorschlag: Den Stationen muss im IZB ein deutlich höheres Gewicht beigemessen werden. Hierzu sind folgende Maßnahmen erforderlich: Im Gesetz wird für die LuFV und den IZB festgelegt, dass die Qualität der Stationen an mindestens 3 „harten“ Merkmalen festzumachen ist. In der LuFV werden die Qualitätskriterien näher ausgeführt. Beispielgebend ist das Bahnhofsentwicklungsprogramm der DB AG, das 8 Merkmale aufführt. Seite 89 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.9. LuFV – Erprobung und Einbindung der Länder Ein zweiter Komplex zur LuFV, der die Ausführungen in Kapitel 7.3 zu den Modalitäten der Sanktionierung und Teilkündigung komplettiert, findet sich in Forderung Nr. 7 des VMK-Beschlusses: „Der konkrete Inhalt einer ersten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung muss vor der abschließenden Befassungsfassung des Bundesrates bekannt und ausreichend lange und erfolgsorientiert erprobt werden. Die Länder sind in die Verhandlung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sowie in die laufende Überprüfung, Sanktionierung und ggf. Veränderung einzubeziehen.“ Sachstand: Aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung geht hervor, dass die LuFV als schuldrechtlicher Vertrag nicht vor der Beschlussfassung von Bundestag und Bundesrat in allen Einzelheiten vorliegen muss, sondern bis zu 6 Monate nach den parlamentarischen Entscheidungen ausgehandelt werden kann. Vermutlich soll potenziellen Investoren die Gelegenheit eingeräumt werden, ihre Vorstellungen in die Vertragsverhandlungen einzubringen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage schwächt die Bundesregierung die zeitlichen Anforderungen noch weiter ab. Dort heißt es, dass der Entwurf 6 Monate danach vorliegen sollte. Dem Wortlaut zufolge könnte die LuFV auch später als nach 6 Monaten abgeschlossen werden. Die Mindestfrist einer erfolgsorientierten Erprobung der LuFV ist gesetzlich nicht geregelt. Das BMVBS ließ im Sommer verlautbaren, es wolle die LuFV ein halbes Jahr „virtuell“ testen. Kürzlich war aus dem Ministerium zu vernehmen, die Eignung des Instrumentes solle rückwirkend geprüft werden. Die Länder sind bisher in die Konzeption der LuFV – wie in den gesamten Privatisierungsprozess – in keiner Weise eingebunden worden. Auch nach dem Vollzug der Privatisierung sieht der Gesetzentwurf nicht vor, die Länder an der Sanktionierung und Weiterentwicklung der LuFV zu beteiligen. Zwei Beschlüsse der VMK vom 22./23.11.2006 und 18/19.4.2007, in denen die Nichteinbindung gerügt und die künftige enge Mitwirkung am Verfahren eingefordert wurde, vermochten an der Zuschauerrolle der Länder nichts zu ändern. Einziges Zugeständnis des Bundes war die Gründung einer Arbeitsgruppe der VMK, die jedoch bislang nur wenige Male tagte. Nachdem die Länder sich in der Auftaktsitzung darauf verständigt hatten, das Arbeitsprogramm über die LuFV hinaus auf sämtliche klärungsbedürftige Fragen zur Privatisierung auszudehnen, wurde im Detail nur noch wenig erörtert. Zur LuFV selbst stellte der Bund einen dürren Chartsatz vor, der nichts Neues enthielt. Inzwischen gibt es etwas informativere Unterlagen. Seite 90 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Bewertung: Die im Gesetzentwurf angelegte Möglichkeit, den Vertrag zur LuFV bis zu 6 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, ggf. sogar noch später abzuschließen, ist aus der Sicht der Länder untragbar. In der jetzigen Konstellation liefe diese Regelung aufgrund des überaus spärlichen Informationsniveaus für die Länder darauf hinaus, „die Katze im Sack zu kaufen“. Am schwersten wiegt die Unkenntnis des Sanktionssystems bei Schlechtleistungen des Netzbetreibers, das für die Länder das wichtigste Prüfkriterium ist, ob ihre Interessen zumindest im Ansatz gewahrt werden könnten. Auch verhandlungstaktisch ist die nachgeschaltete 6-Monats-Frist nicht nachvollziehbar. Der Bund begibt sich in die Hände des Investors, wenn er die wesentlichen Regelungsinhalte der Leistungsbeziehung zwischen ihm und der DB AG nicht vor den Beschlüssen der Legislative im Gesetz und/oder im Vertrag festzurrt. Dann entsteht nach der Verkündung im Gesetzblatt ein politischer Einigungsdruck, der die Position des Bundes schwächt und ihn zu Kompromissen nötigt. Keineswegs überzeugend ist der Einwand, Verträge seien keine Einbahnstraße, und der Investor müsse die Chance haben, seine Interessen geltend zu machen. Dies würde in letzter Konsequenz bedeuten, den verfassungsrechtlich gebotenen Gemeinwohlauftrag im Notfall zur Verhandlungsmasse zu erklären, was sich von selbst verbietet. Der Bund muss seine Vorgaben zur Qualität und Verfügbarkeit der Schieneninfrastruktur einseitig festlegen – und dann abwarten, ob ein Investor unter diesen Bedingungen einsteigt. Von gewissen Nuancierungen abgesehen müssen die Konditionen zur Infrastrukturgewährleistung unverrückbar sein. Aus dem gleichen Vorsichtsprinzip erwächst die Notwendigkeit, die LuFV mindestens ein Jahr lang vor den parlamentarischen Beschlüssen – nicht erst vor der Umsetzung – unter scharf geschalteten Bedingungen zu testen. Dies schließt die Verhängung von Sanktionen ein, sofern sie wegen Vertragsverletzungen angezeigt sind. Ohne Zeitreihe, d.h. den Vergleich zweier Jahre, ist es unmöglich, die Wirkungen eines solchen komplexen Vertrages auf das Verhalten des Infrastrukturbetreibers zu analysieren, insbesondere auch der Ausweichreaktionen. Eine längere Probephase erscheint zudem erforderlich, weil Leistungsund Finanzierungsvereinbarungen in der Schieneninfrastruktur mit einem vom Kapitalmarkt gesteuerten Vertragspartner beispiellos sind. Sinnlos sind unterjährige Testläufe, die noch dazu in die Vergangenheit gerichtet sind. Hierbei handelt es sich offenkundig um Alibi-Maßnahmen, die keiner ernsthaften Steuerungsabsicht folgen. Logischerweise können noch nicht eingeführte Instrumente ihre Tauglichkeit nur in der Zukunft beweisen, nicht in der Rückschau. Dass der Bund die Länder vom gesamten Privatisierungsverfahren fernhält, ist aus zwei Gründen nicht akzeptabel. Zum einen zeugt es von politischer ResSeite 91 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers pektlosigkeit, wenn der Bundesrat der Privatisierung zustimmen soll, ohne an der Entscheidungsfindung und den inhaltlichen Diskussionen beteiligt zu werden. Zweitens ist es materiell nicht angemessen, da die Länder den verfassungsrechtlichen xxx ausführen und die Konsequenzen eines Misserfolgs der Privatisierung als erste zu spüren bekommen. Lösungsvorschlag: Die Länder sollten auf ihrer Forderung ohne Einschränkung beharren und ihr eine wichtige Absicherung hinzufügen: Im Vorgriff auf den absehbaren Renditedruck einer Privatisierung auf die Schieneninfrastruktur muss die LuFV mindestens ein Jahr lang vor dem Beschluss unter realen Bedingungen – also einschließlich eines scharfgeschalteten Sanktionssystems - erprobt werden. Angesichts der Irreversibilität der Entscheidung muss Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Die Länder knüpfen ihre Zustimmung zum EBNeuOG unter anderem an die Bedingung, vor die Umsetzung der Privatisierung ein Zustimmungsgesetz des Bundesrates zu schalten. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, die endverhandelte LuFV sowie die Ergebnisse des Probelaufs auszuwerten. Ebenso müssen Sie über das Wie und das Wieviel der Privatisierung abstimmen können. Seite 92 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.10. Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht An achter Stelle formulieren die Länder folgende Prämisse ihrer Zustimmung: „Bevor eine Zustimmung zum Gesetz erteilt werden kann, muss den Ländern schließlich ein objektiver, aussagekräftiger und regional gegliederter Netzzustandsbericht vorgelegt werden.“ Sachstand: Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird der Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht (IZB) in § 6 BSEAG erwähnt, dort werden die Pflichtinhalte vorgegeben. Der im Juni veröffentlichte, 54 Seiten umfassende IZB der DB AG über den Infrastrukturzustand 2006 ist der zweite Bericht dieser Art. Neben der Darstellung des Zustandes von Netz und Stationen enthält er zwei Instandhaltungsberichte der DB Netz AG und der DB Station & Service AG, die dem ersten Bericht noch separat beigefügt worden waren. Der IZB setzt sich aus einem Kataster, einem Berichtsteil und einem Qualitätskennzahlensystem zusammen. Das Kataster inventarisiert zum Stichtag 30.11. den Bestand der Infrastruktur anhand wesentlicher Merkmale. Der Berichtsteil weist auf Veränderungen der Qualität zum Vorjahr hin. Methodischer Nukleus ist das Kennzahlensystem zur Messung des Infrastrukturzustandes und der Bewertung der Qualität. Es setzt sich wiederum aus drei Parametern zusammen: dem theoretischen Fahrzeitverlust, den Störungen und dem Durchschnittsalter der Anlagen. Der theoretische Fahrzeitverlust misst den Zeitaufschlag, den ein Normzug auf einer mängelbehafteten Strecke länger benötigt als auf einer mängelfreien Strecke. Unterstellt wird ein unendliches Brems- und Beschleunigungsverhalten. Unter der Kennziffer „Störungen“ werden die Störbestehenszeit und die Anzahl der Störungen erfasst. Das Durchschnittsalter der Anlagen untergliedert sich in Gleise, Weichen und Kreuzungen sowie Brücken. Als Qualitätsmaß für die Stationen wird das Alter der Bahnsteige herangezogen. Materiell hat sich laut Angabe der DB AG der Infrastrukturzustand in Bezug auf den theoretischen Fahrzeitverlust im Vergleich zu 2005 leicht gebessert. Absolut ist er auf das Gesamtnetz bezogen von 1.140 Min. im Jahr 2005 auf 1.085 Min. im Jahr 2006 gesunken, relativ um ein Zehntel Prozentpunkt von 2,5 % auf 2,4 %. Die Anzahl der Störungen hat sich dagegen erhöht. Während sich 2005 rund Seite 93 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 176.000 Störungen mittlerer und hoher Priorität ereigneten (482 pro Tag), waren es 2006 circa 184.000 (505 pro Tag). Die mittlere Störbestehenszeit sank infolge optimierter Prozesse von 121 Min. auf 111 Min. Das durchschnittliche Anlagenalter nahm durchgängig zu. Das Alter der Gleise wuchs um 0,2 auf 19,8 Jahre, der Weichungen und Kreuzungen um 0,4 auf 16,9 Jahre und der Brücken um 0,6 auf 53,1 Jahre. Die Bahnsteige alterten binnen eines Jahres um 1,2 Jahre auf durchschnittlich 47,6 Jahre. Auch das Durchschnittsalter der Anlagen auf Strecken mit einer Soll-Geschwindigkeit von mind. 160 km/h stieg flächendeckend an. Bewertung: Der IZB der DB AG hat in seiner gegenwärtigen Konzeption und Aufbereitung nur geringe Aussagekraft. Als Informations- und Frühwarnsystem für die Qualitätssteuerung der Infrastruktur durch den Bund taugt er nicht. Hierfür zeichnen mehrere Ursachen verantwortlich. Der theoretische Fahrzeitverlust wird unter realitätsfremden Bedingungen gemessen. Fahrdynamische Eigenschaften bei der Berechnung des mängelbedingten Fahrzeitverlustes werden ausgeblendet. Dadurch wird die tatsächliche Fahrzeiteinbuße erheblich zugunsten des Netzbetreibers geschönt. Von diesem Effekt profitiert er desto stärker, je kürzer die Langsamfahrstelle ist (Anteil der Brems- und Beschleunigungszeit steigt), je spezifischer sie gelegen ist („Anfahrt vor dem Berg“), je stärker der mängelbedingte Geschwindigkeitseinbruch ist (z.B. von 160 km/h auf 30 km/h) und je schwerer der Zug ist (1.500 Tonnen Güterzug). Deutlich wird die Verzerrung anhand von Zahlenbeispielen. So beträgt der Fahrzeitverlust bei einer exemplarischen Langsamfahrstelle von 30 m Länge (z.B. defekte Weiche), die an einer Strecke mit einer Sollgeschwindigkeit von 160 km/h im Hauptgleis zu einem Einbruch auf 30 km/h führt, nach der BMVBS-Methode nur 3 Sekunden. Unter Einberechnung der Gesetze der Physik beläuft sich die Verspätung für einen exemplarischen Regionalverkehrszug jedoch auf 56 Sekunden, währen ein exemplarischer Güterzug sogar 79 Sekunden Fahrzeit gegenüber dem Sollzustand verliert. Seite 94 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Abbildung 14: Normzug - undifferenziert und weit an der Realität vorbei. Beispielhafte Konsequenzen eines Mangels an einer 160-km/hMischverkehrstecke, im Vergleich Normzug, Güterzug und Regionalverkehrszug. km/h 160 120 Exemplarischer SPNV-Zug: BR ET 423, Vmax mit LZB 160 km/h Mangelbedingter Verlust: 56 Sek. Normzug mit unendlichem Brems- und Beschleunigungsvermögen. Mangelbedingter Verlust: 3 Sek. 80 40 Exemplarischer Güterzug: 1.500t, 418 m, Vmax 80 km/h. Mangelbedingter Verlust: 79 Sek. Exemplarische Langsamfahrstelle Länge 30 m, Vmax 30 km/h 0 4 6 8 10 12 km z.T. Prinzipdarstellung Oder: Eine Langsamfahrstelle über 1000 Meter mit einer Geschwindigkeitsreduzierung von 160 km/h auf 40 km/h wirkt sich nach der Messmethode des Gesetzentwurfs genauso aus wie 10 Langsamfahrstellen mit dem gleichen Profil à 100 m, obwohl im ersten Fall 2 Brems- und Beschleunigungsvorgänge anfallen, beim 2. Fall jedoch 20. Die Basis für die Ermittlung des Sollzustandes als Vergleichsmaßstab für den theoretischen Fahrzeitverlust ist der „mängelfreie Zustand“. Dessen Definition obliegt jedoch der DB AG selbst, die Grundlagen wie das Verzeichnis zulässiger Geschwindigkeiten (VzG) bislang als Betriebsgeheimnis klassifiziert und nur sehr restriktiv und auszugsweise an Dritte weitergibt. Eine unabhängige Überprüfung der Bewertungsbasis ist damit nur schwer möglich. Ebenso methodisch inakzeptabel ist es, nur diejenigen Mängel einzubeziehen, die mehr als 6 Monate Bestand haben. Eine Langsamfahrstelle, die „nur“ 5 Monate und 28 Tage existiert, ist für den Fahrgast in dieser Seite 95 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Zeit eine genauso ärgerliche Qualitätsreduzierung wie die 6 Monate und 2 Tage währende Langsamfahrstelle. Im Übrigen droht diese Regelung den Fehlanreiz zu setzen, die Beseitigung der La-Stellen an der 6Monats-Frist auszurichten, anstatt sie nach der Dringlichkeit abzuarbeiten. Teilweise geheilt werden könnte dieser Mangel über das Performance Regime, in dem der Netzbetreiber den Trassennutzern direkte Kompensationen für Infrastrukturmängel zahlt. Die bisherigen Schilderungen von Verkehrsunternehmensseite lassen aber den Schluss zu, dass dieses System bei weitem noch nicht ausgereift ist. Insofern besteht zumindest absehbar die Gefahr einer Regelungslücke. Das Spektrum der zugrunde gelegten Kennziffern reicht nicht aus, um die Infrastrukturqualität als facettenreiches Bündel von Eigenschaften hinreichend abzubilden. Insbesondere fehlen Indikatoren, die Rückschlüsse auf die Qualität der Kapazitätsplanung und –bewirtschaftung zulassen. Die dynamische Kapazität einer Strecke ist mehr, als ein Normzug statisch auszudrücken vermag. Insofern muss das Normzugkonzept durch Netzparameter ergänzt werden, die den Kapazitätscharakter näherungsweise abbilden. Hierzu zählt vor allem eine detaillierte Auflistung der Nebengleise, differenziert nach Überhol- und Abstellgleisen, der Blockabstände, Überleitstellen etc. Dabei kommt es nicht nur auf die Zahl an, sondern die strategische Verteilung im Raum nach dem Vorbild einer vorausschauenden Kapazitätsplanung. Der IZB „kratzt“ lediglich an der Oberfläche der Infrastrukturqualität, da seine Gliederungstiefe erheblich zu wünschen übrig lässt. Im Berichtsteil werden ausschließlich bundesweit aggregierte Werte präsentiert, die über die Situation in einer Region oder auf einer bestimmten Strecke nichts aussagen. Für Fahrgäste und Besteller einer Verbindung mit unbefriedigender Netzqualität in Oberfranken oder im Ballungsraum Nordrhein-Westfalen ist die Versicherung wenig tröstlich, dass im gesamtdeutschen Maßstab die Qualität in der Norm liege, weil der Mangel in Bayern durch hervorragende Qualität in Mecklenburg-Vorpommern kompensiert werde. Durchschnittswerte sind statistische Größen, die für den Einzelfall ohne Belang sind. Aber nur die einzelne Steckenqualität kann Gradmesser dafür sein, ob der Netzbetreiber die zugesagte Gegenleistung für den anteiligen Zuschuss des Bundes für diese Strecke erbringt oder aus Länder- bzw. Bestellersicht eine Adäquate Gegenleistung für die in Rechnung gestellten Trassenentgelte liefert. Die präsentierten Werte stehen in deutlichem Widerspruch zu anderen Messungen und insbesondere zu den zahlreichen kritischen Rückmeldungen von Aufgabenträgern, Lokführern und anderen Insidern. Sehr inSeite 96 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers struktiv ist der Netzzustandsbericht des Verkehrsverbundes BerlinBrandenburg (VBB), der in einer Totalerhebung den Zustand der Infrastruktur 2006 in Brandenburg erfasst und zahlreiche plastische Beispiele liefert, die Zweifel an der Aussagekraft des DB-IZB wecken. Dem VBB zufolge sei klar erkennbar, dass die DB AG den tatsächlichen Netzzustand verschleiere. Obwohl der IZB laut seinem Titel den Anspruch hat, den Zustand und die Entwicklung der Infrastruktur zu beschreiben und zu evaluieren, wird zu den Perspektiven praktisch nichts Substanzielles gesagt. Notwendig wäre eine umfängliche Darlegung der Strategie zur Netzentwicklung, etwa zur Beseitigung chronischer oder absehbarer Engpässe im Netz. Die Stationen spielen im IZB nur eine Statistenrolle, obwohl sie als Zugangsstellen des Personenverkehrs eine wichtige Systemfunktion innehaben. Zur Detailkritik siehe 5.7. Ein Anreizsystem für eine qualitativ hochwertige Infrastruktur sollte dem Prinzip der Vorsorge verpflichtet sein, und konsequent vorsorgende Instandhaltung würde bedeuten, dass abgesehen von externen unvorhergesehenen Einflüssen wie z.B. Naturgewalten eigentlich gar keine mängelbedingten Einschränkungen entstehen. Für eine solche Instandhaltungsstrategie liefert die bislang angelegte Herangehensweise des IZB indes keine Anreize. Lösungsvorschlag: Da der IZB die entscheidende Informationsgrundlage für die vertragliche Steuerung der Infrastrukturqualität durch den Bund liefert, muss seine Aussagekraft signifikant erhöht werden. Das Frühwarnsystem muss bereits dann verlässlich Alarm schlagen, wenn erste Anzeichen fortdauernder Pflichtverletzungen des Netzbetreibers erkennbar werden. Zugleich müssen die Verstöße gerichtsfest dokumentiert werden. Kennzahlen und Erhebungsmethoden müssen im Detail gesetzlich verankert werden. Der systematische Ort im Gesetzentwurf ist § 6 BSEAG. Diese Bausteine sind Teil der Schutzvorkehrungen zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Gewährleistungsauftrags - sie sind daher nicht mit dem Investor verhandelbar, sondern müssen Bundestag und Bundesrat vor der Beschlussfassung über das BSEAG bekannt sein. Konkret müssen die Länder folgende Änderungen einfordern: Seite 97 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Der aktuelle Zustand von Netz und Stationen wird vor der Beschlussfassung von Bundestag und Bundesrat objektiv anhand moderner Methoden festgestellt und kontrolliert. Das Eisenbahn-Bundesamt führt Stichproben durch, die mindestens 15% des Netzumfangs (ca. 5.000 km) – differenziert nach den Kategorien Fern- und Ballungsnetz und Regionalnetze abdecken und nach einem Zufallsprinzip ausgewählt werden. Jedes Land hat das Recht, bis zu fünf Kursbuchstrecken der Prüfung vorzugeben und durch einen Vertreter seiner Wahl die Messfahrten des EBA zu begleiten. Sämtliche Kennzahlen werden differenziert ausgewiesen nach a) Kategorien (Fern- und Ballungsnetz, Regionalnetze und Zugbildungsanlagen) und b) nach den konkreten DB-Streckennummern, ggf. bei langen Strecken mit unterschiedlichen verkehrlich genutzten Teilstrecken auch untergliedert in Abschnitte. Das Normzugkonzept muss auf der Grundlage Plausibler Belastungssituationen weiterentwickelt werden. Denkbar wäre die Aufstellung von typischen Nutzungsmischungen je nach Streckenkategorien des Trassenpreissystems, die die jeweiligen Mischungsverhältnisse aus Güter- Fern und Nahverkehr abbildet. Für diese repräsentativere Gruppe wird dann der Normzugverlust entsprechend gewichtet ermittelt. Sämtliche Infrastrukturmängel werden tabellarisch und kartographisch dokumentiert. Anzugeben sind die Länge der Langsamfahrstelle, der mängelbedingte Geschwindigkeitseinbruch, Grund für den Mangel, etc. Als Referenz für die Definition eines Mangels („Soll-Zustand“) wird der jeweils beste Zustand aus den Verzeichnissen der zulässigen Geschwindigkeiten seit 1994 herangezogen. Sollte das aktuelle VzG andere Sollzustände den nach dem vorstehenden Verfahren ermittelten, wird ein fünfjähriger Anpassungspfad gesetzlich und in der LuFV festgeschrieben, um den vorgesehenen Urzustand (wieder-)herzustellen. Die notwendigen Zusatzmittel werden aus dem Privatisierungserlös im Wege einer Verpflichtungsermächtigung bereitgestellt. Zur Messung der Kapazitätsbewirtschaftung muss der IZB Auskunft über Anzahl und Lage der relevanten Anlagenarten (Überholgleise, Überleitstellen, Abstellgleise etc.) erteilen. Im Entwicklungsteil muss der Netzbetreiber darlegen, wie seit Jahren bestehende oder künftige Engpässe im Netz – insbesondere in den stark belasteten Knoten – absehbar entschärft werden können. Seite 98 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.11. Regulierung Die neunte Forderung umfasst die Regulierung der Preise wichtiger Vorleistungen: „Die Wettbewerbsneutralität ist u.a. durch die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens der Bundesnetzagentur zu sichern. Die Genehmigungspflicht (ex-ante) für Trassen- und Stationspreise und weiterer sofort einsetzbarer Regulierungsinstrumente, wie z.B. Bußgeldvorschriften, sind einzuführen und die Erweiterung der Befugnisse der vorgesehenen Beschlusskammern ist vorzusehen.“ Sachstand: Der Gesetzentwurf sieht die Einrichtung von Beschlusskammern bei der Bundesnetzagentur auch für den Bereich der Eisenbahnen vor (§§ 5 f. Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz - BEVG). Damit werden Forderungen aufgegriffen, die schon anlässlich des Dritten Gesetzes zur Änderung des AEG von den Bundesländern und Branchenvertretern formuliert wurden. Analog den kartell- und energierechtlichen Regelungen sind hierbei Regelungen zur Beiladung von Personen oder Personenvereinigungen vorgesehen, deren Interessen durch die Entscheidungen der Beschlusskammern berührt werden. Damit wird im Gleichklang mit den allgemeinen Regeln eine gewisse Branchentransparenz der Verfahren der Bundesnetzagentur auch im Eisenbahnbereich erreicht. Andere Vorschriften zur Verbesserung der Regulierung sind bislang nicht vorgesehen. Stattdessen ist sowohl im AEG (neuer § 5b) als auch im BEVG (neuer § 5 Abs. 5) vorgesehen, dass die auskunftspflichtigen Eisenbahnunternehmen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse kennzeichnen können. Die Aufsichtsbehörden haben die Eisenbahnunternehmen zu hören, wenn sie die Kennzeichnung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen für unrechtmäßig erachten. Damit gehen diese Vorschriften über den Rechtsbestand des allgemeinen Verwaltungsrechts (§ 30 VwVfG) und des Kartellrechts (GWB) hinaus, entsprechen aber den Regelungen anderer regulierter Netzsektoren, z.B. denen im Energierecht (§ 71 EnWG). In einer Protokollnotiz zur Ressortabstimmung der Bundesministerien vom 28.6.2007 wurde festgehalten, dass in das Gesetzvorhaben noch eine Anreizregulierung im Wege einer Formulierungshilfe für das AEG eingebracht werden soll. Die konkrete Ausgestaltung soll einer Rechtsverordnung überlassen werden. Hierbei sollen die Ergebnisse des AK Entgeltregulierung bei der Bundesnetzagentur einfließen. Folgt man den im AK Entgeltregulierung diskutierten Vorschlägen der Bundesnetzagentur, sollen ab der Regulierungsperiode 2011 die Infrastrukturpreise (fraglich: auch für Nebenanlagen?) nach einer Anreizregulierung fortgeschrieben werden. Der Anreiz besteht in einem Price- oder Revenue-Cap (Preis- bzw. Seite 99 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Einnahmenobergrenze), der die Kürzung der inflationsbedingt fortgeschriebenen Infrastrukturpreise bzw. –einnahmen vorsieht, differenziert nach einem allgemeinen Index für Produktivitätszuwachs und einem speziellen, betreiberabhängigen Index für vorzunehmende Verbesserungen. Hieraus resultiert ein von der Bundesnetzagentur für eine bestimmte Regulierungsperiode vorgegebener Preis- bzw. Erlöspfad. Im betreiberspezifischen Index sollen auch unternehmensindividuelle Einflüsse wie Beschäftigungssicherungen, Gesamttarifverträge u.ä. Berücksichtigung finden. Insgesamt soll die Anreizregulierung sicherstellen, dass die Anreize sich auf die beeinflussbaren Kosten kaprizieren. Erwogen wird, für einzelne „Warenkörbe“ segmentspezifische Trassenpreise zu bilden, also für den SPNV, SPFV oder auch SGV. Die Preisvorgaben würden dann unterschiedlich für diese einzelnen Körbe gelten. Unklar bleibt im jetzigen Stadium, wie mit Qualitätsveränderungen umgegangen werden soll, z.B. bei höherem Gegenwert des Produkts „Trasse“ (Pünktlichkeits- oder Transportzeitgarantien), aber auch bei niedrigerem Gegenwert (explizite Zulassung von Verspätungen und Umleitungen im Rahmen des Trassenprodukts, die keine Minderung oder sonstige Entschädigung nach sich ziehen). Die Bundesnetzagentur geht bei den zu regulierenden Preisen vor allem davon aus, dass es sich bei der Infrastrukturnutzung um standardisierte und gleichförmige Produkte handelt, wie z.B. die Benutzung von Energie- oder Telekommunikationsnetzen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass das Netznutzungsprodukt hochstandardisiert ist und eine qualitative Differenzierung zwischen einzelnen Nutzern schon technologisch nicht möglich ist. Allerdings hat die Bundesnetzagentur erkannt, dass Revenue-Caps (gesamte Erlösobergrenze) die Menge (z.B. verkaufte Trassen) reduzieren und politische Ziele wie „Mehrverkehr auf die Schiene“ und „Erleichterung des Marktzugangs für neue, innovative Anbieter“ konterkarieren würden. Aus diesem Grund scheint die Bundesnetzagentur aktuellen Äußerungen zufolge einen Price-Cap zu bevorzugen. Gemeint ist eine Preisobergrenze für einzelne Produkte, die in Warenkörben zusammengefasst sind (z.B. alle SPNV-Trassen). Ausgangspunkt der Überlegungen der Bundesnetzagentur ist die Interpretation des Art. 6 Abs. 1 und 2 EG-Richtlinie 2001/14/EG als Vollkosten minus Effizienzsteigerungsanreiz. Danach könnten die von den Infrastrukturbetreibern angegebenen Vollkosten als Ausgangspunkt gewählt werden, wenn durch aktive Regulierung ein Anreiz zur Effizienzsteigerung gesetzt würde. Die Forderung nach einer Price- bzw. Revenue-Cap-Regulierung durch die Bundesnetzagentur ist unmittelbare Folge des Gutachtens von Kühling/Hermeier/ Seite 100 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Heimeshoff („Entgeltregulierung nach AEG und EiBV“), das im Frühjahr 2007 veröffentlicht wurde. Zentrales Ergebnis des Gutachtens war einerseits, dass das EG-Recht in Bezug auf ausreichende Anreize zur Senkung der Gesamtkosten (Art. 6 Abs. 2 RL 2001/14/EG) nicht hinreichend umgesetzt wurde. Andererseits verdeutlicht das Gutachten aber auch, dass das Recht der Regulierung von Preisen und Qualitäten bei den EIU inkonsistent ist und sich äußerst komplex darstellt. Zumindest ist das Regulierungsrecht nicht mit dem aktiven Regulierungsregime vergleichbar, das die Bundesnetzagentur aus den anderen Netzsektoren gewohnt ist. Die Feststellung, dass die Vorgaben des Gesetzgebers zur Regulierung v.a. der Höhe von Infrastrukturpreisen unzureichend seien, wurde von der Mehrzahl der Teilnehmer des AK Entgeltregulierung geteilt. Die Bundesnetzagentur kritisiert, dass die bisherige Preisregulierung nach nationalem Recht nur eine Kostenzuschlagsregulierung ermögliche. Damit können allenfalls unverhältnismäßig hohe Gewinne verhindert werden. Eine Überprüfung der kosteneffizienten Leistungserbringung sei damit jedoch nicht möglich. Daher möchte die Bundesnetzagentur die aktuelle Diskussion dazu nutzen, einen klaren Regulierungsmaßstab für Entgelthöhe und –struktur zu erhalten und diesen mit einfachen Mitteln umzusetzen. Gerade im Gegensatz zu einer aufwendigen Nachprüfung von Kosten und Kostenzuordnungen unter dem Aspekt von Diskriminierungen und Missbräuchen bevorzugt die BNetzA ein Modell, bei dem sie sich auf die Ermittlung und Setzung hinreichender globaler Anreize beschränken kann. Bewertung: Die erst seit kurzem angelaufene Diskussion um das Thema Preis- und Qualitätsregulierung des natürlichen Monopols Eisenbahninfrastruktur und der integrierten DB AG zeigt zweierlei: Die bestehende Regulierung muss erheblich ausgeweitet und verbessert werden. Zugleich sind die praktischen Regulierungserfahrungen im Schienensektor in Deutschland noch gering. Vor diesem Hintergrund wäre es – insbesondere mit Blick auf die Gewinnplanung der DB AG - fahrlässig, wenn sich die Länder allein auf die Zusage verließen, dass sich die Regulierung verbessere und damit der Preisanstieg der Infrastrukturpreise wirksam begrenzen lasse. Denn: Die bisherigen Instrumente haben keine besondere Wirkung gezeitigt. Die EIU verhalten sich wie jedes Regulierungsobjekt: Man ist wenig kooperativ und stellt grundsätzlich die Notwendigkeit der Regulierung in Frage. Argumente sind die angebliche strukturelle Kostenunterdeckung im Netz, die der eigenen Planung widerspricht, sowie der intermodale Seite 101 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Wettbewerb im Transport, der die Netzkosten hinreichend begrenzen würde. Höhere Preise seien gar nicht durchsetzbar. Obwohl die Wirkungslosigkeit der bisherigen Regulierung seit längerem sichtbar ist, verzichtet der Gesetzentwurf auf Verbesserungen. Er delegiert dies auf die Ebene einer späteren Verordnung, deren Inhalte nicht im Ansatz absehbar sind. Hinsichtlich der künftigen Regulierung der Trassen- und Stationspreise haben die Länder somit keinerlei Anhaltspunkte. Schließlich offenbart die bisherige Regulierungsdiskussion, dass auch die Experten auf der Suche nach dem richtigen Weg sind, der im Schienensektor überaus komplex ist. Monopolkommission und Bundesnetzagentur scheinen eine reine Preisregulierung zu befürworten. Damit könnte zwar der Preisanstieg möglicherweise vergleichsweise leicht begrenzt oder sogar Preissenkungen durchgesetzt werden. Doch läuft dieses Modell Gefahr, dass die EIU – wie dann üblich - die Qualität herabsetzen. Aus der Sicht der Gutachter erscheint es daher unabdingbar, Möglichkeiten und Grenzen der Regulierung im Schienenverkehr ohne Zeitdruck zu diskutieren. Hierzu muss ein Konsens zwischen Bund und Ländern hergestellt werden. Andernfalls droht die Entwicklung von Regulierungsinstrumenten, die in der Praxis untauglich sind und die Länder gegen den Renditedruck des Kapitalmarktes nicht schützen. Was kann Regulierung im Schienensektor leisten? In anderen regulierten Sektoren wie Telekommunikation, Energie usw. besteht die Aufgabe der Regulierungsbehörde (in Deutschland die Bundesnetzagentur, BNetzA) darin, faire Preise und Qualitätsstandards für den Zugang zur Infrastruktur festzulegen, zu überwachen und zugleich Anreize zur Kostensenkung und Produktivitätserhöhung zu setzen („Anreizregulierung“). Faire Preise bedeuten, dass der Infrastrukturbetreiber seine Kosten einschließlich einer angemessenen Rendite decken kann, jedoch keine Monopolrenditen erwirtschaften oder Preise mit wettbewerblich diskriminierenden Folgen setzen kann. Diskrimierungsfreie Preise sind dabei solche Preise, die die verschiedenen Nutzer angemessen zur Deckung der Infrastrukturkosten heranziehen und vor allem verhindern, dass es zu ungerechtfertigten Ungleichheiten zwischen konzerninternen und -externen Nutzern kommt. Die Qualitätsstandards legen fest, welches „Gut“ die Zugangsberechtigten letztlich vom Infrastrukturbetreiber bekommen, und wirken sich zugleich auf dessen Kosten aus. Würde man auf Qualitätsstandards verzichten, so hätte der preislich regulierte Monopolanbieter Anreize, bei gleichbleibenden Preisen die QualiSeite 102 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers tät zu verschlechtern. Umgekehrt muss es auch Anreize geben, Qualitätsverbesserungen durch höhere Einnahmen zu finanzieren. Anreize zur Kostensenkung und Produktivitätserhöhung setzt der Regulierer zunächst dadurch, dass er die vom Infrastrukturbetreiber angesetzten Kosten nicht einfach akzeptiert und in die Preise einkalkuliert (dies wäre eine naive Kostenzuschlagsregulierung), sondern zuvor einer kritischen Überprüfung unterzieht. Vor allem sollte der Regulierer die Preisobergrenzen für mehrere Jahre fixieren (Regulierungsperiode), damit der Infrastrukturbetreiber für diese Zeit einen eigenen Ertrag aus seiner Produktivitätserhöhung ziehen kann. Auch beim nächsten „Regulatory Review“, bei dem die Preisobergrenzen für die nächste Regulierungsperiode festgesetzt werden, sollten nachgewiesene Produktivitätsfortschritte aus der letzten Periode nicht vollständig abgeschöpft werden. Im Eisenbahnsektor sollten dieselben Prinzipien gelten. Neben der Leistungsund Finanzierungsvereinbarung (LuFV) sind die Trassen-, Stations-, Nebenanlagen- und Energieentgelte die wesentlichen Einnahmequellen der Infrastrukturunternehmen. Zugleich können sie ein zentraler Hebel zur Ausübung von Monopolmacht und zur Diskriminierung von Wettbewerbern sein. Sie müssen deshalb reguliert werden – keineswegs reicht es, auf die Deckelung der LuFVZahlungen zu verweisen. Vielmehr muss der Regulierer die Kosten der Infrastrukturbetreiber kritisch analysieren, zu denen auch die Instandhaltungs- und Ersatzinvestitionskosten gehören, denn der Infrastrukturbetreiber ist zur Erhaltung der Infrastruktur verpflichtet. Von diesen Kosten sind alle staatlichen Zahlungen (insbesondere aus der LuFV) abzuziehen, hinzuzuaddieren sind die Abschreibungen und eine angemessene Rendite auf eigenfinanzierte Investitionen. Dann ergibt sich der Betrag, der durch die Entgelte gedeckt werden muss. Der Regulierer muss die Preisobergrenzen so setzen, dass dies gerade möglich wird. Preisregulierung und Kosten Besonders die Länder sind auf eine Begrenzung der Trassenpreise angewiesen, da es im SPNV kaum intermodalen Wettbewerb um die Bestellerentgelte der Länder gibt (die Regionalisierungsmittel des Bundes sollen insbesondere für den SPNV ausgegeben werden, was auch getan wird). Unregulierte Infrastrukturunternehmen hätten jeden Anreiz, diese Monopolstellung für sich auszunutzen. Eine gute Regulierung ist deshalb für die Länder und Verlader wie z:B. die Automobilindustrie von größter Bedeutung. Unzureichend ist eine Regulierung der Zugangspreise, die sich an den ausgewiesenen Vollkosten der Infrastruktur (abzüglich der staatlichen Zahlungen) orientiert, wie es die jetzige Rechtslage vorsieht. Vielmehr müssen die ausgewiesenen Kosten kritisch analysiert werden. Der integrierte Konzern hätte sonst alle Anreize, Gemeinkosten auf Konzernebene in die Infrastruktursparten hinein Seite 103 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers zu verschieben oder konzerninterne Zuliefererbetriebe mit zu hohen Preisen abzurechnen und in der Infrastruktur als anzurechnende Kosten auszuweisen. Des Weiteren könnte er einen vorhandenen Personalüberhang in die Infrastruktursparten verschieben, um über die überhöhten Personalkosten eine Erhöhung der Trassenpreise zu begründen. Viele andere Hebel sind denkbar. Wie in anderen Sektoren auch, sollte daher die BNetzA die Kompetenz erhalten, diejenigen Kosten zu ermitteln, die den Trassenpreisen zugrunde gelegt werden dürfen. Mit Hilfe von Kostenvergleichsverfahren und Kostenmodellen kann sie wichtige „Kosten-Verschiebebahnhöfe“ entdecken und eindämmen. Sie kann weitere Effizienzpotenziale aufdecken, die man den „X-Faktoren“ zugrunde legen kann, um die die Preisobergrenzen gesenkt werden sollen. Dies macht dem Infrastrukturbetreiber klar, dass dauerhafte Ineffizienzen nicht durch dauerhaft hohe Zugangspreise belohnt werden. Es gibt einige Vergleichsunternehmen im In- und Ausland, an denen sich die BNetzA bei der Kostenanalyse orientieren kann. Da es aber insgesamt an Vergleichsunternehmen ähnlicher Größe mangelt, sollte die BNetzA auch – wie der britische Eisenbahnregulierer – das Recht haben, von ihr ausgewählte Bereiche der Infrastrukturbetreiber durch unabhängige und von ihr selbst gewählte Akteure analysieren zu lassen. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen können dann Basis der Festsetzung von Preisobergrenzen sein. Dabei darf die Preisobergrenze nicht einfach nur das Ergebnis von zulässigen Einnahmen (Revenue Cap) oder bestimmter spezifischer Preise (Price Cap) sein, sondern sie muss umfassend die der jeweiligen Leistung zurechenbaren Kosten abbilden, und zwar nur die, die auch bei effizienter Leistungserstellung anfielen. Damit wird gewährleistet, dass die Kosten den verschiedenen Nutzern diskriminierungsfrei angelastet werden. Insbesondere kann so wirksam möglichen Quersubventionierungen z.B. zwischen dem SPNV und dem Hochgeschwindigkeitsverkehr vorgebeugt werden. Nicht plausibel ist das Argument der Monopolkommission (Sondergutachten 48 Wettbewerbs- und Regulierungsversuche im Eisenbahnverkehr, 2007 Rn. 200 f.), dass ein Kostenmaßstab effizienter Leistungserbringung im Bereich der Schieneninfrastruktur gar nicht ermittelt werden kann. Sowohl die zahlreichen politischen Anforderungen an die Infrastruktur als auch die Subventionsbedürftigkeit sprechen nicht gegen - bei Erfüllung dieser Prämissen – die effiziente Leistungserbringung. Gerade die wesentlich effizienteren NE-Bahnen beweisen dies.15 Auch das vom Grundsatz her unbestrittene Instrumentarium der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung trägt dazu bei, den politischen Anforderungen an die Infrastruktur (Verfügbarkeits- und Leistungsfähigkeitsnut- 15 Siehe hierzu die Untersuchung der BAG-SPNV zu den Verkehrsstationen vom 8.7.2004 http://spnv.de/website/cms/upload/fakten/PK04-07-08e.pdf Seite 104 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers zen) und deren Finanzierung als integrale Bestandteile einer Effizienzbetrachtung der Infrastruktur zu begreifen. Qualitätsregulierung Eine Preisregulierung muss stets mit einer Regulierung der Qualität einhergehen. Klagen über Kapazitätseinschränkungen oder Qualitätsminderungen gerade im Regionalverkehr zeigen, dass der monopolistische Anbieter sonst Anreize hätte, bei gegebenen Zugangspreisen seine Kosten zu senken, indem er die Kapazität oder Qualität der Infrastruktur zu Lasten der Kunden verringert. Auch in anderen regulierten Branchen im In- und Ausland zeigt sich, dass eine Anreizregulierung damit einhergehen muss, für die entsprechende Regulierungsperiode auch Mindestvorgaben im Hinblick auf die Qualität zu setzen. Der Entwurf des Privatisierungsgesetzes sieht vor, dass das Eisenbahnbundesamt (EBA) die Qualität der Infrastruktur in Hinblick auf die Qualitätskriterien der LuFV überwachen soll. Sollte man deshalb auf die Expertise der BNetzA im Bereich der Qualitätsstandards verzichten? Die für die LuFV derzeit vorgesehenen Qualitätskriterien sind völlig unzureichend, um die Qualität der Infrastruktur zu sichern (Siehe Kapitel 7.4 und 7.10). Doch selbst eine optimale LuFV schafft keine hinreichende Qualitätsregulierung im Kontext zu den von der BNetzA zu regulierenden Preisen. Denn eine optimale LuFV würde nur die Qualität für die jährlichen 2,5 Mrd. € Bundeszuschüsse regeln. Das heißt sie würde die Gegenleistung der Infrastrukturunternehmen des DB-Konzerns für die Bundeszuschüsse in Form von für die Öffentlichkeit vorgehaltener Infrastruktur (Umfang, Leistungsfähigkeit) bestimmen. Es mag hierbei zutreffen, dass die Interessen an einer effizienten Netzbereitstellung durch die DB AG aufgrund der bei gegebenem fixen Bundeszuschuss angeblich notwendigen Erhöhung der Eigenmittel der DB AG von bislang 0,5 auf 2023 bis zu 1,7 Mrd. EUR p.a. wachsen. Dies betrifft aber letztlich nur die LuFV selbst, da es hierbei um die Frage geht, ob sie von der DB AG Mögliches oder Unmögliches verlangt. Dass die Eigenmittel auch im Hinblick auf die einzelnen Trassen und ihre Preise effizient eingesetzt werden, ist hiermit noch nicht gesagt. Die LuFV bestimmt daher nicht die konkrete Gegenleistung für die einzelnen bezogenen Infrastrukturleistungen, die nochmals von jedem Nutzer zu bezahlen sind. Vielmehr ist hier eine individuelle Preis–Qualitätsrelation zu finden. Dies kann durchaus deutlich über den allgemeinen Anforderungen der LuFV liegen. So kann z.B. in der LuFV geregelt sein, dass zwischen Hamburg und München mindestens 100 Güterzugtrassen pro Tag anzubieten sind und daneben noch ausreichend Platz für den SPNV und SPFV mit vorgegebenen Zugzahlen und Fahrzeiten sein muss. Dagegen würde der Trassenpreise für eine Güterzugtrasse z.B. die Zusage einer bestimmten Fahrzeit gelten, die auch im Falle verschiedener üblicher Störungen noch eingehalten wird. Dabei kann eine Zusage „maSeite 105 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers ximal 10 Stunden Fahrzeit“ einen ganz anderen Trassenpreis im Hinblick auf die Trassenqualität rechtfertigen als ein Trassenprodukt „Fahrzeit 16 Stunden“. Deutlich wird, dass LuFV und Infrastrukturpreise unterschiedliche Leistungen abgelten und daher die Erfüllung dieser Leistungen jeweils individuell betrachtet werden muss. Wollte man dagegen die Qualitätsregulierung der individuellen Infrastrukturleistungen auch noch in die LuFV hineinziehen, so würde diese völlig überfrachtet. Vor allem würde sie den Eisenbahninfrastrukturunternehmen jedwede Freiheit nehmen, ihre Infrastrukturprodukte den jeweiligen Marktbedingungen anzupassen. Vielmehr müssten die die einzelnen Qualitäten aller denkbaren Infrastrukturprodukte vom Staat im Rahmen der LuFV vorgegeben werden und ihre Erfüllung im Rahmen des LuFV-Vollzugs überprüft werden. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass eine derartige Vorstellung nicht wünschenswert ist. Es wird deutlich, dass sowohl der LuFV-Vollzug – nach derzeitigem Stand beim EBA, als auch der Vollzug einer Qualitätsregulierung durch die BNetzA - intensiv auf die Qualitätsanforderungen an die EIU einwirken. Eine derartige tiefgreifender Separierung der Kompetenzen für Kostenprüfungen einerseits und Qualitätsprüfungen andererseits ist auf Dauer nicht ratsam. Die BNetzA muss für Kostenprüfungen tief in das Infrastrukturunternehmen hineinschauen, sie muss dabei die Qualitätsanforderungen genau kennen, da diese sehr kostenrelevant sind. Bei dieser Gelegenheit wird die BNetzA zum Experten für Qualität – diese Expertise sollte sie auch für die Prüfung der Qualität einsetzen. Lösungsvorschlag: Bund und Länder bilden eine Arbeitsgruppe, die Vorschläge für ein Regulierungsdesign entwickeln, das auf eine aktive Ex-ante-Regulierung aller Infrastrukturkosten bei effizienter Leistungserbringung hinwirkt. Die Wechselwirkungen zwischen der Regulierung und der LuFV - insbesondere bei der Qualität - werden gesondert und eingehend analysiert. Die Personalstärke der Abteilung Eisenbahn der Bundesnetzagentur wird deutlich ausgeweitet und auf das Niveau der anderen Netzsektoren gebracht. Dies gilt auch für die Zahl der Beschlussabteilungen. Seite 106 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 7.12. Gemeinwohlauftrag Fern- und Güterverkehr Den Abschluss des Forderungskatalogs der Länder bildet die zehnte Forderung: „Der Bund hat auf der Grundlage von Artikel 87e Abs. 4 des Grundgesetzes nicht nur eine Allgemeinwohlverantwortung für seine Eisenbahninfrastruktur, sondern auch für die Fern- und Güterverkehrsangebote seiner Eisenbahn auf seinem Schienennetz. Das Nähere ist bereits nach der derzeitigen Rechtslage durch Bundesgesetz zu regeln. Die Verkehrsministerkonferenz fordert den Bund auf, hierfür im Rahmen der Bahnprivatisierung einen Entwurf vorzulegen.“ Sachstand: Der Bund hat seit der Bahnreform kein Bundesgesetz zur Sicherstellung des Allgemeinwohls im Fern- oder Güteverkehr vorgelegt. Er vertritt regelmäßig die Position, über das BSchwAG seinen Verpflichtungen nach Artikel 87e Abs. 4 GG auch im Hinblick auf den Schienenpersonenfern- und Schienengüterverkehr nachzukommen, da über das BSchwAG eine Infrastruktur finanziert und geschaffen werde, die diesem als Grundlage diene.16 In der Praxis hat dies weder den Rückzug des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) aus zahlreichen Regionen abseits der Hauptkorridore verhindert (MORAP, schrittweise Abschaffung der Zuggattung „InterRegio“, Ausdünnungen im ICNetz, Reduktion touristischer Einzelleistungen und Linienverlängerungen, Verlust einiger grenzüberschreitender Fernzugverbindungen, deutliche Einschnitte im Nachtzugverkehr etc.) noch die Aufrechterhaltung von eigenwirtschaftlich nicht leistbaren Güterverkehren sichergestellt (Stichworte MORA-C, Rückzug aus der Fläche, massive Reduzierung der Güterverkehrsstellen bis hin zur Abkopplung ganzer Regionen von Angeboten im Schienengüterverkehr). Die beteiligten Verkehrsunternehmen innerhalb des DB-Konzerns, DB Fernverkehr AG und Railion Deutschland AG haben ihre Angebotspolitik schrittweise im Sinne einer Verbesserung der Profitabilität umgestellt. Das Quersubventionieren defizitärer Verkehre durch ertragreiche zählt dabei nicht zu den unternehmerischen Aufgaben. Folglich wurden defizitäre Leistungen schrittweise aber konsequent eingestellt und die Ressourcen auf profitable Leistungen konzentriert. Im Ergebnis haben beide langjährig defizitären Gesellschaften inzwischen den Sprung in die Gewinnzone geschafft – zu Lasten des Angebots an de jure eigenwirtschaftlichen Verkehren. 16 Dass sich dies nicht automatisch in einem guten Angebot niederschlägt, bezeugt die Hochleistungsinfrastruktur, die zur Anbindung Wiesbadens an die Neubaustrecke Köln – Rhein/Main geschaffen wurde. Über die 13,2 km lange zweigleisige Spange Wiesbaden – Breckenheim verkehren nach mehreren Ausdünnungen im aktuellen Fahrplan gerade noch vier Zugpaare. Seite 107 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Als Reaktion auf das Streichprogramm MORA-P gab es einen ersten Anlauf für ein Fernverkehrssicherstellungsgesetz im Jahr 2001 mit einem Gesetzesvorschlag Bayerns und Baden-Württembergs, der aber ohne Umsetzung blieb. Aktuell wird seitens einiger Länder eine neue Initiative ähnlicher Stoßrichtung erwogen. Initiativen von Länderseite haben sich bislang stets auf den Schienenpersonenfernverkehr beschränkt. Für konkrete Aktivitäten im Bereich des Güterverkehrs liegen hingegen keine aktuellen Anzeichen vor. Mögliche Interessen der Länder in diesem Bereich wären noch zu präzisieren. Bewertung: Im Personenfernverkehr wurden in großem Umfang eigenwirtschaftliche Verkehre durch gemeinwirtschaftliche, von den Ländern bestellte Verkehrsleistungen substituiert. Die Ergebnisverbesserung der DB Fernverkehr AG ist insofern zu Lasten der Länder und Aufgabenträger eingetreten, in der Folge der Bestellung von SPNV-Ersatzleistungen sind zudem etliche Mehrverkehre bei DB Regio beauftragt worden, was zusätzlich zu deren Ergebnisverbesserung beigetragen hat. Der freie Marktzutritt im deutschen Schienenverkehr hat bislang nicht dazu geführt, dass andere Verkehrsunternehmen die so entstandenen Lücken im Angebot ausreichend geschlossen hätten. Dies ist nur in marginalem Umfang eingetreten. Es ist davon auszugehen, dass eine unter dem Renditedruck des Kapitalmarktes agierende DB AG, noch stärker als bisher Leistungen auf den Prüfstand stellen wird. Dabei werden nicht nur defizitäre Leistungen zu Streichkandidaten, auch kostendeckende oder gewinnbringende Verkehre stehen zur Disposition, wenn sie durch geringe Ertragskraft die Spartenrendite zu schmälern drohen. Die Befürchtungen der Länder erscheinen insofern begründet: Eine Fortsetzung der bisherigen Entwicklung könnte dazu führen, dass eine flächendeckende Versorgung mit Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr nicht mehr gewährleistet sein wird. Ein Eingreifen des Bundes zur Sicherstellung seines Gewährleistungsauftrags im Schienenpersonenfernverkehr könnte dann als erforderlich erachtet werden. Erfahrungen aus 13 Jahren Bahnreform haben gezeigt, dass die statische Unterteilung in Nahverkehr (= gemeinwirtschaftlich) und Fernverkehr (= eigenwirtschaftlich) den Realitäten des Marktes nur bedingt gereicht wird. Faktisch ist die Grenze zwischen Nah- und Fernverkehr sowie Eigen- und Gemeinwirtschaftlichkeit fließend. Bei Ausschreibungen im SPNV sind inzwischen Preise von nur 0,75 Seite 108 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers € pro Zugkm bezuschlagt worden, und die „besten“ Verkehre sind für den Wettbewerb noch gar nicht geöffnet worden. Eigenwirtschaftlicher SPNV erscheint also genauso möglich, wie gemeinwirtschaftlicher, von Ländern beim DB Fernverkehr bestellter SPFV z.B. seit einigen Jahren auf der Mitte-DeutschlandVerbindung an der Tagesordnung ist. Der derzeitige Marktrahmen ermöglicht den Verkehrsunternehmen das „Rosinenpicken“, in dem statt eines unterm Strich kostendeckenden Gesamtangebotes nur die besonders profitablen Leistungen weiterhin eigenwirtschaftlich erbracht werden, währen die Verluste der unprofitablen Leistungen auf die Länder als Besteller abgewälzt oder eingestellt werden. Eine Stoßrichtung könnte sein, konsequent die Markteintrittsbarrieren für Dritte im SPFV zu senken, um so die eigenwirtschaftliche Erbringung von Verkehrsleistungen zur Schließung von Angebotslücken zu erleichtern. Zudem wäre zu prüfen, inwieweit in einem „SPFV-Plan“ eine Bündelung verkehrlich zusammenhängender Leistungen möglich ist, die dann in Gänze durch ein Verkehrsunternehmen zu erbringen wären. So ließen sich auch linien- oder korridorweise Vergaben von Fernverkehrsleistungen ohne oder mit geringem Zuschussbedarf beauftragen. Ein solches Vorgehen würde die Umsetzung des im Nahverkehr bewährten Bestellerprinzips auch auf den Fernverkehr bedeuten. Vertieft und nicht innerhalb dieses Gutachtens zu prüfende Aspekte sind u.a. die Vereinbarkeit mit zusätzlichen Open-Access-Verkehren, Kriterien für Bedienungsumfang und anzubindende Räume. Regelungen für grenzüberschreitende Verkehre, die tarifliche Integration, die verkehrliche Verknüpfung die organisatorische Rollenteilung zwischen Bund und Ländern etc. Unzeitgemäß erscheint, dass der Art. 87 e Abs. 4 GG konkret nur auf Verkehrsangebote der Eisenbahnen des Bundes abzielt. Für ein den heutigen Marktrealitäten entsprechendes Gesetz sollte über diese Einschränkung hinaus die Bestellung im Wettbewerb bei einem beliebigen Verkehrsunternehmen maßgeblich sein, auch im Hinblick auf eine effiziente Mittelverwendung des Bundes. Im Güterverkehr ergäbe sich über Verbesserungen in den Vorgaben zum Anlagenumfang in der LuFV (vgl. 7.3) die Möglichkeit, die Abwärtsspirale bei der Entwicklung des Umfanges an vom Güterverkehr nutzbaren Anlagen (Lade-, Abstellgleise, etc.) zu beenden. So könnte eine Vorsorgepolitik betrieben werden, die auch ohne Dauerbestellung von Anlagen durch ein bestimmtes EVU die betriebsbereite Vorhaltung derartiger Einrichtungen sicherstellt. Das Prinzip des Bundes „Erfüllung des Gemeinwohlauftrages durch Infrastrukturbereitstellung“ bliebe gewahrt, es wäre aber vom Neu- und Ausbau auf die Bestandsvorhaltung der für den Güterverkehr so entscheidenden und inzwischen häufig fehlenden „letzten Gleismeter“ auszudehnen. Seite 109 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Lösungsvorschlag: Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Marktzugang im Open Access. Z.B. über Sicherstellung des Ressourcenzugriffs auf bei der DB AG entbehrliche Altfahrzeuge für Dritte statt gezielter Verschrottung. Eine Lösung zur Sicherstellung verkehrlich erforderlicher gemeinwirtschaftlicher Fernverkehrsleistungen kann über die Schaffung einer Bestellerrolle auch für diese Ebene erfolgen. Dies erscheit grundsätzlich auch in Verbindung mit dem Privatisierungsgesetz möglich. Hierfür sind einige Systemfragen zu klären. Dies kann ggf. münden in der gesetzlichen Verpflichtung zur Aufstellung eines „Fernverkehrsplans“ mit der Vorgabe von Mindestbedienungsstandards. Die Güterverkehrsbedürfnisse sollten über die LuFV abgesichert werden, indem die Vorhaltung von Kapazität und Nebenanlagen (insbes. Abstell-, Überhol-, Ladegleise) in erforderlichem Umfang vorgegeben wird. Über das Anlagenkataster kann ein Mindestumfang definiert werden, in dessen Festlegung insbesondere nicht konzerneigene Verkehrsunternehmen des Güterverkehrs und der Netzbeirat einzubeziehen wären. Seite 110 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers 8 Empfehlungen für die Position der Länder 8.1. Nachbesserungen im System Kann die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht vermieden werden, sollten die Länder ihre Zustimmung an die Bedingung koppeln, die absehbaren Negativfolgen durch geeignete gesetzliche Vorkehrungen so gering wie möglich zu halten. Finanzielle Mehrbelastungen müssen von vornherein unterbunden oder kompensiert werden. Darüber hinaus sollten die Länder darauf drängen, die Hürden für Weiterentwicklungen oder die Revision der Privatisierung auf ein politisch-realistisches Maß zu senken, um die tatsächliche Reversibilität zu gewährleisten. Die bereits heute vorgezeichnete fiskalische Zusatzbelastung der Länder von mindestens einer Mrd. € bis 2011 lässt sich – vordergründig - dadurch kompensieren, dass die Regionalisierungsmittel aufgestockt werden. So könnte die Dynamisierung bereits 2008 statt 2009 wiederaufleben, die Dynamisierungsrate könnte auf 2 % statt 1,5% erhöht werden. Alternativ vorstellbar ist es, die Dynamisierungsrate der Regionalisierungsmittel an die Entwicklung eines Index aus Trassen-, Stations- und Energiepreisen zu koppeln. Allerdings böten auch diese Mechanismen keine Sicherheit. Wie die Kürzung der Regionalisierungsmittel 2006 gezeigt hat, schützen geltende Gesetze nicht vor Einschnitten. Insofern wäre es aus Ländersicht fahrlässig, Preiserhöhungen nur deshalb unkritisch durchzureichen, weil sie zunächst den Anschein der Kostenneutralität haben. Zudem sollten Ineffizienzen des Netzbetreibers nicht belohnt werden. Um das Risiko der Kaufkraftentwertung aufgrund von Preiserhöhungen für Vorleistungen (insbes. Trassen, Stationen, Energie) institutionell zu begrenzen, sollten die Länder die maximale Erhöhung der Trassenpreise auf 1,5% p.a. per Gesetz festschreiben lassen. Darüber hinausgehende Steigerungen, die die DB AG dem Regulierer bei kosteneffizienter Leistungserbringung begründet nachweist, muss der Bund tragen (z.B. Erhöhung der LuFV-Mittel). Damit würde der Bund einen Anreiz erhalten, die Regulierung tatsächlich zu stärken. Das bis dato in seinen Konturen unscharfe Regulierungsdesign muss schnell, aber sorgfältig entwickelt werden. Notwendig ist eine Ex-ante-Regulierung mit Anreizkomponenten für alle Vorleistungspreise, differenziert nach Verkehrsarten („Produktkörbe“). Ebenso ist eine harte Qualitätsregulierung erforderlich. Die Regulierung muss so angelegt werden, dass die geplanten Überrenditen der DB AG auf ein Normalmaß reduziert werden. Seite 111 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers Am wirksamsten schützen sich die Länder mit Instrumenten, mit denen sie die Privatisierung im absehbaren Misserfolgsfall teilweise oder gesamthaft revidieren können. Zu den unabdingbaren Präventionsmaßnahmen zählt der Vorbehalt, nur dann dem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn der gegenwärtige Netzzustand objektiv und nach Strecken gegliedert mit Hilfe eines aussagekräftigen Messsystems erfasst wird, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, insbesondere das Sanktionssystem in allen Einzelheiten entwickelt und den Ländern zur Prüfung vorgelegt wird, die LuFV in handhabbare Portionen untergliedert ist, um die Hürde zur Sanktionierung und Kündigung zu senken. Nur so wird auch die Option zur Regionalisierung solcher Strecken und Teilnetze realistisch. die LuFV vor dem Beschluss mindestens ein Jahr unter Realbedingungen mit scharfgeschaltetem Sanktionssystem getestet worden ist. das Abschmelzen des Infrastrukturbeitrags der LuFV (2,5 Mrd. €) nicht erst bei einem Netzumfang von 32.000 km einsetzt, sondern auf dem Ausgangszustand bei jeder Änderung der Betriebslänge und Kapazität. die Umsetzung der Privatisierung an ein Zustimmungsgesetz des Bundesrates geknüpft wird. Nur so können die Länder die endverhandelte LuFV prüfen und die Erfahrungen aus dem Testlauf auswerten. Damit die Länder nach der Privatisierung das System Schiene weiterentwickeln und Fehlentwicklungen korrigieren können, müssen in der LuFV mehrere Voraussetzungen geschaffen werden: Fortdauernde Schlechtleistungen des Infrastrukturbetreibers müssen umgehend und konsequent geahndet werden. Sanktionsdrohungen schrecken nur dann ab, wenn sie ernst zu nehmen sind und den wirtschaftlichen Vorteil des Verstoßes vollständig abschöpfen. Strafen sollten zusätzlich verhängt werden. Die öffentliche Hand muss nach fruchtloser Nachbesserungsfrist die Ersatzvornahme anordnen können. Am Ende einer glaubwürdigen Sanktionskaskade steht die Option der Kündigung, entweder einer Strecke, eines Teilnetzes oder des gesamten Vertrags. Die Teilkündigung einzelner oder aller Regionalnetze (ggf. mit Regionalisierung der Infrastruktur) setzt voraus, dass die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in abgrenzbare Kapitel untergliedert wird und der gekündigte Teil aus der Sicherungsübereignung parallel herausgelöst werden kann. Sanktion und Teilkündigung bedingen einen eigenen Rechtsanspruch der Länder. Die Länder müssen selbständig Feststellungs- und Leistungsklagen anstrengen können. Dazu muss die LuFV mit SchutzwirSeite 112 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers kung Dritter – zugunsten der Länder – konzipiert werden, im Gesetz muss ein Klagerecht der Länder explizit verankert werden. An wichtigsten aus Ländersicht ist es aber, aktiv auf die Änderung der Wertausgleichsregelung zu drängen. Der Wertausgleich muss so konzipiert werden, dass die Rücknahme der Schieneninfrastruktur durch den Bund eine politisch umsetzbare Handlungsoption ist. Dies liegt im ureigenen Interesse der Länder, um ihre Aufgabenverantwortung weiterhin unter planbaren Bedingungen wahrnehmen zu können. Nur so haben sie die Perspektive, dass die absehbaren Folgen der Privatisierung im Bedarfsfall korrigiert werden können. Dieser Schutz ist um so notwendiger, als die Länder in die Vorbereitungen bis dato nicht eingebunden worden sind (s. Kritik der letzten VMK-Beschlüsse). Der Regelfall des Gesetzes („wenn keine Entscheidung des Bundestag ergeht, dann fällt Schieneninfrastruktur an Bund zurück“) muss auch als tatsächlich umsetzbarer Regelfall ausgestaltet und nicht durch finanzielle Hürden ausgeschlossen werden. Leitsatz für die Bemessung des Wertausgleichs muss sein, dass die über viele Jahre steuerfinanzierte Schieneninfrastruktur, in die auch weiterhin jährlich 2,5 Mrd. € der öffentlichen Hand fließen, kein zweites Mal bezahlt werden darf. Private Investoren sollten ausschließlich für die Mehrwerte entschädigt werden, die die DB AG nach der Privatisierung in der Schieneninfrastruktur schafft. Die Länder sollten daher vehement dafür eintreten, dass nur die künftigen Investitionen aus Eigenmitteln der DB AG dem Wertausgleich zugrunde gelegt werden. Weitere Forderungen der Länder sollten sein: Die Quote für Investitionen in Strecken, die dem SPNV dienen, sollten nach Neu- und Ausbau sowie Bestandsnetz differenziert werden. Die Neu- und Ausbau-Quote sollte bei 5 bis 10 % liegen. Der Anteil für das Bestandsnetz muss im Gesetz und in der LuFV verankert werden. Die Definition der Investitionen mit Nahverkehrsbezug muss präzisiert werden. Die Mittel sollten den Regionalisierungsmitteln zugeschlagen werden. 8.2. Nachbesserungen am System Trotz aller Nachbesserungen im System sei angemerkt: Die Wahrscheinlichkeit ist erdrückend hoch, dass die Interessen der Länder am Ende nicht gewahrt werden können. Ursächlich hierfür ist das Grundproblem des Gesetzentwurfs: die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an der Schieneninfrastruktur, kombiniert mit der Interessenkollision des Bundes, sowohl Eigentümer der privatisierten DB AG als auch Setzer des verkehrspolitischen Rahmens zu sein. Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass jede bestellte Daseinsvorsorgeleistung durch den Gewinnaufschlag des Kapitalmarktes teurer wird. Steigen die Budgets der Länder nicht im GleichSeite 113 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007 Prof. Dr. Dirk Ehlers schritt mit, werden Abstriche am Verkehrsangebot unausweichlich. Der Druck des Kapitalmarktes auf die Schieneninfrastruktur ist auf lange Sicht stärker als der Schutz der öffentlichen Hand, hier des Bundes. Sobald der Bund als Hüter verkehrspolitischer Belange – und damit ggf. als Anwalt der Länder - agieren möchte, handelt er seinen Interessen als Eigentümer der DB AG zuwider. Die Länder müssen realistisch damit rechnen, dass die Eigentümerposition obsiegt. Andernfalls stellen sich folgende Fragen: Warum sollte der Bund unter dem Druck des Kapitalmarktes energischer für die Länder Partei ergreifen, wenn er hierzu bereits als 100%iger Eigentümer der DB AG trotz voller Entscheidungsgewalt nicht bereit ist? Warum sollte der Bund eine schlagkräftige Regulierung aufbauen, wenn er weiß, dass der Konzernerfolg maßgeblich von der Gewinnplanung in der Infrastruktur abhängt (ein Drittel des Konzerngewinns)? Warum sollte der Bund im Bedarfsfall den Mut haben, die LuFV wegen Schlechtleistung zu kündigen, wenn er den Wertausgleich nach politischen Maßstäben prohibitiv hoch auf 7,5 Mrd. € oder höher ansetzt? Weshalb sollten die Länderforderungen nach der Privatisierung stärker das Gehör des Bundes finden, wenn er trotz mehrfacher Bitten die Beschlüsse der VMK bereits heute systematisch ignoriert und die Länder nicht einbindet? Einen unerfreulichen Ausblick auf die absehbaren Kräfteverhältnisse wirft die Aussage in der Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des öffentlichen Anteilseigners: „…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“ Die Länder können die vorgezeichnete Zuschauerrolle der öffentlichen Hand nur verhindern, wenn sie auf die Verbesserung am – nicht im – System drängen. Dies wäre auf der Grundlage der Entschließung des Bundestags vom 24.11.2006 durchaus möglich. Seite 114 Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007