Gutachten zum Entwurf des Gesetzes zur Neuorganisation

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Prof. Dr. Dirk Ehlers
Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG)
Verfassungsrechtliche und
ökonomische Bewertung
Gutachten im Auftrag der
Sonder-Verkehrsministerkonferenz der Länder
Kurzfassung
15. September 2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
KCW GmbH
Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht
Charlottenstr. 65
Universitätsstr. 14-16
10117 Berlin
48143 Münster
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Vorwort
Die Länder haben am 2.8.2007 auf der Sonder-Verkehrsministerkonferenz einvernehmlich den Beschluss gefasst, den von der Bundesregierung vorgelegten
Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) im Rahmen der geplanten Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG
gutachterlich bewerten zu lassen.
Hintergrund der Beauftragung ist die Befürchtung der Länder, dass der Gesetzentwurf in seiner vorliegenden Fassung den spezifischen Länderinteressen an
einem bezahlbaren und qualitativ hochwertigen Schienenverkehr - insbesondere
dem Schienenpersonennahverkehr - nicht hinreichend Rechnung trägt. Ausdruck dessen sind die einstimmigen Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz
vom 22./23.11.2006 und 18./19.4.2007. Hierunter fällt auch die Feststellung,
dass der Gesetzentwurf die Grundsätze der Entschließung des Bundestags vom
24.11.2006 – vornehmlich die Forderung des dauerhaft gesicherten Mehrheitseigentums des Bundes – nicht vollinhaltlich umsetzt.
Vor diesem Hintergrund soll das Gutachten vertiefend prüfen, wie der Gesetzentwurf
 aus verfassungsrechtlicher Sicht zu bewerten ist, insbesondere auch unter
Einbeziehung der nachträglichen Änderungen infolge der Ressortabstimmung der Bundesministerien, die noch nicht Gegenstand der Sachverständigenanhörung des Bundestages vom 23.5.2007 zur verfassungs- und bilanzrechtlichen Konformität des damaligen Entwurfsstandes des EBNeuOG
sein konnten.
 im Sinne der Aufgabenverantwortung der Länder im Schienenpersonennahverkehr ökonomisch zu beurteilen ist. Hierzu formuliert der Beschluss
der Sonder-Verkehrsministerkonferenz vom 2.8.2007 unter III. einen Forderungskatalog, der aus zehn Punkten besteht. Untersucht werden soll, ob
diese zehn Forderungen durch den Gesetzentwurf abgedeckt werden, wo
Nachbesserungsbedarf besteht und wie dieser in Lösungsvorschläge überführt werden kann.
Aufgrund der thematischen Eigenständigkeit der Prüfaufträge wurden beide Teile separat verfasst. Um den Gesetzentwurf ganzheitlich beurteilen zu können,
bilden sie dennoch eine Klammer.
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Teil I: Verfassungsrechtliche Bewertung
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Zusammenfassung der Ergebnisse
1.
Nach Art. 87 e Abs. 3 GG muss der Bund mindestens Mehrheitsanteilseigner der als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führenden Eisenbahnen des Bundes bleiben, soweit es um den Bau, die Unterhaltung und Betreiben von Schienenwegen geht.
2.
Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verpflichtet den Bund, das Mehrheitseigentum und die damit verbundenen Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand zu geben.
3.
Der Bund ist verpflichtet, seine eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse betriebswirtschaftlich effizient und gemeinwohlorientiert auszuüben.
4.
Aus dem in Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG mit enthaltenen Untermaßverbot ergibt sich, dass der Bund zumindest die Ingerenzbefugnisse eines Mehrheitsaktionärs behalten und nutzen muss.
5.
Die Einfügung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes in einen Konzern ist nur zulässig, wenn die verfassungsrechtlich gebotenen
Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes gewährleistet werden.
6.
Art. 87 Abs. 4 S. 1 GG enthält einen auf Gewährleistung des Wohls der
Allgemeinheit bezogenen Auftrag des Bundes in Gestalt einer Staatszielbestimmung.
7.
Zur Sicherstellung des Gewährleistungsauftrags kann sich der Bund externer oder interner Einflussnahmerechte bedienen und sowohl die
Rechtsformen des öffentlichen oder privaten Rechts als auch einseitig
verbindliche oder kooperative Regelungstechniken in Anspruch nehmen.
8.
Die Einwirkungsrechte des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG stehen
neben denen aus Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG und vermögen letztere
nicht zu ersetzen.
9.
Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes verfolgt das Ziel, das juristische und
wirtschaftliche Eigentum voneinander zu trennen. Der Versuch, die verfassungsrechtlichen und die wirtschaftlichen Zielsetzungen in Einklang zu
bringen, kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Behält der Bund
nicht die erforderlichen Einflussrechte, wird Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3
GG verletzt. Erhalten die privaten Anleger nicht das versprochene wirtschaftliche Eigentum, werden ihre grundrechtlich geschützten Interessen
verletzt.
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10.
Die Dauer der Sicherungsübertragung und die Wertausgleichspflicht des
Bundes im Falle einer Beendigung der Sicherungsübertragung haben
prohibitve Wirkungen und erlauben dem Bund entgegen Art. 87 e Abs. 3
S. 2 und 3 GG nicht, den Vermögenswert seines Anteilseigentums durch
Wiederzusammenführung von wirtschaftlichem und juristischem Eigentum in vollem Umfange nutzen zu können.
11.
Die Übertragung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vom
Bund auf die Deutsche Bahn AG respektive den Vorstand der Deutschen
Bahn AG stellt nach Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG eine verfassungsrechtlich unzulässige materielle Teilprivatisierung der Ausübung
von Staatsgewalt dar.
12.
Bei der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind der Bund und der Vorstand der Deutschen Bahn AG
auf eine Einigung angewiesen, so dass der Bund seinen Willen nicht –
wie verfassungsrechtlich gefordert – einseitig durchsetzen kann.
13.
Die dem Bund nach § 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes eingeräumten Zustimmungsvorbehalte beziehen sich nur auf
Ausnahmetatbestände. Auch die Zustimmungsvorbehalte des § 2 Abs. 3
des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes vermögen die
Einflussrechte des Bundes nicht aufzuwiegen.
14.
Das zulässige Ausmaß einer Unternehmenssteuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch die Deutsche Bahn AG wird hinsichtlich der
Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Wegeentgelten sowie der
Zuweisung von Fahrwegekapazitäten durch das europäische Gemeinschaftsrecht bestimmt. Wird die Unabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht gewährleistet, wird europäisches Gemeinschaftsrecht verletzt. Ist eine Unabhängigkeit gegeben, kann bei der Trassenvergabe und Trassenpreissetzung weder von dem wirtschaftlichen Eigentümer Deutsche Bahn AG noch von dem juristischen Eigentümer Bund
Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen genommen werden.
Dies ist mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar.
15.
Die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Deutsche Bahn AG in ihrer
Eigenschaft als wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen zurück, weil nicht sichergestellt ist, dass der Bund von seinem Recht zur alleinigen Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre Gebrauch macht, aller Wahrscheinlichkeit nach die privaten Aktionäre im Aufsichtsrat vertreten sein werden und die Vertrauenspersonen
des Bundes im Aufsichtsrat wegen des Eingreifens der unternehmerischen Mitbestimmung ihre Mehrheit im Aufsichtsrat verlieren, wenn auch
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nur ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG von den privaten
Anteilseignern bestellt wird.
16.
Die materielle Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG lässt sich nicht
mit der vom Grundgesetz akzeptierten materiellen Teilprivatisierung der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen vergleichen. Bei einer materiellen
Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG besteht die Wahrscheinlichkeit,
dass die privaten Anteilseigner der Deutschen Bahn AG darauf dringen
werden, die Infrastrukturinvestitionen in die von der Deutschen Bahn AG
selber genutzten Netzteile zu lenken und die Trassen- und Stationspreise
anzuheben. Dies hätte für den Schienenpersonennahverkehr und damit
für die hierfür verantwortlichen Länder erhebliche nachteilige Wirkungen.
17.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Eisenbahnen des Bundes ist mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG insofern
nicht vereinbar, als Regelungen über die Art und das anzustrebende
Ausmaß einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG fehlen.
18.
Die im Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des
Bundes vorgesehenen externen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes
auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben – unabhängig von
den nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG gebotenen Sicherungsmaßnahmen –
jedenfalls in fünffacher Hinsicht hinter den Anforderungen des Art. 87 e
Abs. 4 GG zurück. Zum Ersten muss der Bund eine einseitige Anpassung
verlangen können, wenn mit der abzuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ein betriebsbereiter Zustand der Schienenwege
nicht erreicht werden kann. Zum Zweiten ist auch eine Teilkündigung der
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zuzulassen. Zum Dritten muss
dem Bund die Möglichkeit gegeben werden, den Ausbau der Schienenwege dann durchsetzen zu können, wenn sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen weigern, eine Finanzierungsvereinbarung zu zumutbaren
Bedingungen abzuschließen. Zum Vierten ist die Regelung über den Nahverkehr nicht ausreichend. Zum Fünften bedarf die Veräußerung von
Immobilien einer gesetzlichen Regelung.
19.
Erfolgt die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ausschließlich im
Wege der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien, verfügt der Bund
ebenso wie nach bisherigem Recht über verfassungsrechtlich ausreichende Ingerenzrechte. Verfassungsrechtlich bedenklich bleibt die Erschwerung einer Wiederzusammenführung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum. Ferner bleibt der Entwurf eines Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes auch in diesem Falle partiell hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Schließlich
muss der Gesetzgeber die Entscheidung treffen, welche Art von Aktien
der Deutschen Bahn AG veräußert werden sollen.
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20.
Resümierend ist festzustellen, dass das Gesetz zur Neuorganisation der
Eisenbahnen des Bundes mit den sich aus Art. 87 e Abs. 3 u. 4 GG ergebenden Vorgaben kollidiert. Die Feststellung bezieht sich nicht nur auf
die Regelung verschiedener Details, sondern auch und vor allem auf die
grundsätzliche Konzeption einer Integration von Netz- und Verkehrsbetrieb bei gleichzeitiger Trennung von juristischem und wirtschaftlichem
Eigentum, die zu einer Art Quadratur des Kreises nötigt und eine materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt zur Folge hat. Die
verfassungsrechtlichen Probleme werden in einem erheblichen Ausmaße
entschärft, wenn die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ausschließlich mittels der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien erfolgt.
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Teil II: Ökonomische Bewertung
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1
Das Wichtigste auf zwei Seiten
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung führt zur faktischen Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Klarer Beleg ist der Wertausgleich – laut Bund derzeit 7,5 Mrd. €. Diesen müsste der
Bund an die DB AG zahlen, wenn er das größtenteils von ihm selbst finanzierte Netz und die
Stationen zurücknähme. Das rechtliche Eigentum des Bundes ist eine leere Hülle.
Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass die
Geschäftsfelder Netz und Personenbahnhöfe kapitalmarktadäquate Renditen erzielen müssen.
Diese lassen sich der aktuellen Planung der DB AG bereits entnehmen. Das Ergebnis des Netzes
soll von - 212 Mio. € 2006 auf + 568 Mio. € 2011 steigen. Damit wäre das bislang als strukturell
defizitär geltende Netz neben der Logistiktochter Schenker der größte Gewinnbringer des Konzerns. Die Personenbahnhöfe sollen ihren Gewinn mehr als verdoppeln.
Das Infrastrukturmonopol soll eine Rendite abwerfen, die aufgrund ihrer Berechenbarkeit attraktiv ist. Die Bundesregierung ist in diese Pläne eingeweiht und unterstützt sie aktiv. Dem
Schienenpersonennahverkehr – d.h. den Ländern - wird die Rolle des Hauptzahlers zugedacht.
Folgende Auswirkungen der Privatisierung auf die Länder lassen sich begründet herleiten:
Them enfeld
Folgen
Preis e fü r Vorleis tungen
(Tras sen, Stationen, E nergie)
 Sichere Mehrbelas tung von 1 Mrd. € bis 2011
 Kaufkraft der RegMittel wird kontinuierlich entw ertet, erzw ingt
Streichung von 5 bis 10 % des SPNV-Angebotes
Betriebslänge Netz
 6.000 bis 10.000 Netzkm sind mittelfristig s tilllegungsgefährdet,
davon voraussichtlich 2.000 km bes chleunigt (siehe LuFV)
Stationen
 Stationen < 100 Ein-/Aussteiger pro Tag w erden ges chlossen
Finanzierung Investitionen
 DB w ird Eigen mittel au f Minimum reduzieren
 In vestitionen in R egionalnetze/Bahnhöfe zunehmend durch Länder
Die Vorkehrungen des EBNeuOG-E zum Schutz des Gemeinwohlauftrags – v.a. Verkehr „in der
Fläche“ – halten dem Renditedruck des Kapitalmarktes nicht stand. Die größte Schwäche liegt in
der Wirkungslosigkeit des Maßnahmen-„Dreiecks“ – Infrastrukturzustandsbericht, Leistungsund Finanzierungsvereinbarung, Wertausgleich - zur Sicherung der Infrastrukturqualität.
Nachbesserungen im System sind möglich und zwingend erforderlich. Die Forderungen der Länder im VMK-Beschluss vom 2.8.2007 weisen in die richtige Richtung, sollten aber präzisiert werden. Lösungsvorschläge zu den einzelnen Forderungen sind der tabellarischen Übersicht auf der
nächsten Seite zu entnehmen. Zentral für den Schutz der Länderinteressen ist die Änderung der
Wertausgleichsregelung. Die öffentliche Hand darf das Netz nicht zweimal bezahlen. Nur nach
der Privatisierung geschaffene Mehrwerte dürfen dem Investor vergütet werden. Die Länder
müssen die Gewissheit haben, dass Nachjustierungen an der Privatisierung bis hin zur Kündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bei Schlechtleistungen des Netzbetreibers
eine politisch umsetzbare Option bleiben. Bei 7,5 Mrd. € Wertausgleich ist dieser Weg verbaut.
Aber: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sämtliche Nachbesserungen die Interessen der Länder am Ende nicht schützen können. Sie kurieren nur an den Symptomen, ohne das Grundproblem zu lösen: die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Vom Bund können die
Länder kaum Unterstützung erwarten. Er wird unter dem Druck des Kapitalmarktes noch stärker
die Eigentümerinteressen verfolgen (müssen), als er diesen Weg schon heute freiwillig geht.
Treffend beschrieben sind die künftigen Kräfteverhältnisse mit der Aussage in der Langfassung
des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des Bundes
als öffentlicher Anteilseigner:
„…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine
Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“
Bund und v.a. Länder mögen die Folgen dieses Rollenverständnisses gründlich überdenken.
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Nr.
Forderung VMKBeschluss
Lösungsvorschläge (Auswahl)
-
Wertausgleich bei
Rücknahme Netz
 Nur nach der Privatisierung geschaffene Mehrwerte vergüten.
Maßstab: Investitionen der DB AG aus Eigenmitteln
1
Mitwirkung Investitionen Nahverkehr
 Gesetzliche Trennung der Quoten: 5 bis 10 % in Neu- und Ausbau, 20% Bestandsnetz, dazu Mindestinstandhaltungsquote
 Investitionsmittel den Regionalisierungsmitteln zuschlagen
2
LuFV - Sanktionen,
Teilkündigung




3
Regionalisierung
 Teilkündigung für Länder „handwerklich“ vorbereiten (Recht,
Mittelausstattung, Herauslösen aus Sicherungsübereignung,
Wertausgleich)
4
Begrenzung des Risikos von Preissteigerungen (Trassen,
Stationen)
 Gesetzliche Begrenzung des Anstiegs der Vorleistungspreise
(Trassen, Stationen) auf 1,5 % p.a.
 Weist DB AG dem Regulierer Rechtfertigung für höheren Anstieg nach, übernimmt der Bund die Differenz
5
Weisungsunabhängigkeit
 Wiederaufnahme in Gesetzentwurf (siehe 1. Entwurf), dazu
Ausdehnung des Regelungsbereichs analog EU-RL 2001/12-14,
Vorbild: Unbundlingvorschriften im Energiesektor
6
Stationen
 Erhebliche Ausweitung der Kriterien, angelehnt an „Bahnhofsentwicklungsprogramm“ der DB, aber mit harten Kennziffern
7
LuFV – Erprobung
 Ein Jahr Erprobung inkl. Sanktionen vor Beschlussfassung
 Zustimmungsgesetz kurz vor der Umsetzung der Privatisierung
8
Infrastrukturzustandsbericht




9
Regulierung
 Aktive Ex-ante-Regulierung aller Infrastrukturkosten auf Basis
effizienter Leistungserbringung (für SPNV separat differenziert)
LuFV-Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Länder
Gesetz räumt Ländern Klagerechte ein
2,5 Mrd. € gelten für heutiges Netz, keine Stilllegungsprämie
Länder erhalten Recht, in Regionalnetzen Ersatzvornahme bei
Qualitätsmängeln anzuordnen
 Gesamte LuFV muss erheblich präzisiert und geschärft werden,
insbes. Sanktionssystem
Grundlegende Änderungen am Messkonzept
Streckenbezogene Gliederung
Aufnahme von Kennziffern zur Kapazität
Länder erhalten Vorschlagsrecht für 5 Strecken zur Stichprobenmessung (EBA muss insgesamt 5.000 km p.a. prüfen)
 Personalstärke BNetzA-Eisenbahn auf Niveau von Energie, Telekom (auch Zahl der Beschlussabteilungen)
10
Gemeinwohlauftrag
Fern- und Güterverkehr
 Güterverkehrsbedürfnisse über LuFV absichern (Kapazität, insbes. Abstell-, Überhol-, Ladegleise)
 Gemeinwirtschaftlicher Fernverkehr: Ausweitung der Bestellerrolle erscheint auch nach PrivG möglich, Systemfrage
 Ggf. gesetzliche Verpflichtung zu „Fernverkehrsplan“ mit Mindestbedienung
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Management Zusammenfassung
2.1. Wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuorganisation der Eisenbahnen
des Bundes (EBNeuOG-E) basiert auf dem Eigentumssicherungsmodell (ESM).
Kernidee des ESM ist es, zwischen rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum
an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) zu trennen. Während das
rechtliche Eigentum auf den Bund im Wege der Sicherungstreuhand übertragen
wird, behält die DB AG das wirtschaftliche Eigentum an den EIU. Diese untypische Aufspaltung soll den Kompromiss leisten, sowohl den Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes sicherzustellen, als auch der DB AG die Bilanzierung der Schieneninfrastruktur zu ermöglichen.
Die wirtschaftliche Eigentümerstellung ist aus bilanzrechtlicher Sicht an strenge
Bedingungen geknüpft. Im Prinzip muss der wirtschaftliche Eigentümer nahe
dem Range eines Volleigentümers agieren können. Der Bund darf als rechtlicher
Eigentümer – von einzelnen Rechtsgeschäften abgesehen - nur noch geringen
Einfluss ausüben. Die Anwaltskanzlei Hölters & Elsing, die das BMVBS berät,
formuliert die Anforderungen wie folgt:
„Während der Laufzeit der Sicherungsabrede behält die DB AG als Sicherungsgeberin uneingeschränkten Zugriff auf die Chancen und Risiken der
Anteile und kann aufgrund der erteilten Stimmrechtsvollmacht weiterhin
die Stimmrechte in den Gesellschafterversammlungen ausüben. … Damit
kann die DB AG den Bund letztlich vollständig von Substanz und Ertrag
der Anteile ausschließen.“
Aus der vorstehenden Kompetenzverteilung ergeben sich zwei Erkenntnisse:
 Realitätsfremd ist die Vorstellung, der private Investor verzichte auf die
Entsendung von Vertretern seines Vertrauens in den Aufsichtsrat. Genau
dies wurde den Kritik übenden Ministerien während der Ressortabstimmung in Aussicht gestellt, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Als vermeintlicher Kronzeuge des Bundes dient der nachträglich eingefügte Abs. 3 in § 1 DBPrivG, wonach sich der Bund zu keiner
bestimmten Stimmabgabe bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern verpflichten dürfe. Kürzlich hat die Bundesregierung jedoch zugegeben,
dass dieser Schutzmechanismus löchrig ist.
„Mitglieder von Privatinvestoren müssen von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat gewählt werden. Dies kann mit den Stimmen des Bundes geschehen.“
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 Stellt man die im Gesetzentwurf vorgesehenen Zugriffsrechte des Bundes
und der DB AG auf die Schieneninfrastruktur gegenüber, ist unübersehbar, dass diese wirtschaftlich privatisiert wird. Deutlichste Indikatoren
sind die Abführung der Infrastrukturgewinne an den Konzern ohne
Zweckbindung und insbesondere der Wertausgleich. Würde tatsächlich
„kein Meter Schienennetz“ privatisiert, müsste der Bund keinen Wertausgleich – derzeit laut Bundesregierung rund 7,5 Mrd. € - bezahlen, um die
überwiegend von ihm selbst finanzierte Schieneninfrastruktur zurückzuholen. Die zivilrechtliche Stellung des Bundes ist de facto kaum mehr als
eine symbolische Hülle.
Die ökonomische Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur
Folge, dass sie in gleichem Maße dem Renditeanspruch des Kapitalmarktes unterliegt wie die Transportgesellschaften der DB AG. Investoren erwarten, dass
alle Segmente eines Unternehmens ihre Kapitalkosten verdienen – auch das
Schienennetz, das bisher als strukturell defizitär gilt. Die Vorboten dieses kapitalmarktinduzierten Paradigmenwechsels schlagen sich in der aktuellen Gewinnplanung der DB AG für die Geschäftsfelder Netz und Stationen deutlich
nieder.
Businessplan DB AG: Netzmonopol als sichere Gewinnquelle (vor DB Regio)
Ist-Daten
Betriebserg. n. Zinsen DB Netz (Ist/Plan) Plan-Daten
Gewinn
nach
BE
II
Zinsen
Mio.
EURin Mio. €
568
600
400
300
2500 LuFV-Mittel
495
DB AG / BMVBS:
Umstellung auf 100% Zuschuss zu
Baukosten „zwingend“, weil Netz
angeblich strukturell defizitär
437
369
Privatisierungsgesetz
500
:
200
100
0
-100
Kum. Verlust:
1,6 Mrd. €
-200
-300
22% der
Bundesmittel
werden als
Gewinn
privatisiert
233
Kumul. Monopolgewinn: 2,1 Mrd. €
Wer bezahlt Gewinn
der Investoren?
Primär Länder (SPNV)
-400
-500
-600
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Anmerkung: Planung ging vermutlich von Verabschiedung des Gesetzes
2007 aus, inzwischen muss der orange Balken nach rechts verschoben
werden
2008
2009
2010
2011
Quellen: Geschäftsberichte DB AG,
Mittelfristplanung 2006 DB AG lt. Capital
Während das Netz von 2001 bis 2006 im Mittel gut 250 Mio. € Verlust pro Jahr
erwirtschaftete, soll es bis 2011 neben der Logistiksparte Schenker zum größten
Gewinnbringer des Konzerns ausgebaut werden. Geplant ist ein Ergebnissprung
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um 780 Mio. € von 212 Mio. € Verlust 2006 auf 568 Mio. € Gewinn 2011. Die
geplante Umsatzrendite liegt im Bereich anderer Netzmonopolisten (z.B. Strom,
Wasser), die wegen ihrer hohen Monopolgewinne in letzter Zeit unter öffentliche Kritik und in den Fokus der EU-Kommission geraten sind. Erzielt das Netz
568 Mio. € Gewinn, fließen 22 % des jährlichen Bundeszuschusses von 2,5 Mrd.
€ in den Konzerngewinn und finanzieren die Dividende privater Investoren mit.
Auch bei den Personenbahnhöfen sollen die Gewinne mehr als verdoppelt werden.
2.2. Folgenabschätzung für die Länder
Hinterlegt man die Gewinnplanung mit Maßnahmen, wird deutlich, dass auf die
Länder erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zukommen. Haupttreiber der fiskalischen Zusatzlasten sind Trassen- und Stationspreiserhöhungen. Hiervon sind
die Länder besonders betroffen, da der SPNV der Hauptnutzer der Infrastruktur
ist und wegen seiner Zahlungsfähigkeit an erster Stelle abgeschöpft wird. Fest
eingeplant sind bereits Trassenpreissteigerungen von (gerundet) 2 % p.a. bis
2011. Schreibt man die für 2008 angekündigte Erhöhung von durchschnittlich
2,4 % bis 2011 fort, beträgt die Mehrbelastung rund 1 Mrd. €. Liegt die Steigerung bei 3,5 % pro Jahr, steigen die Zusatzlasten noch stärker an. Da der SPNV
rund 86 % alle Stationsentgelte entrichtet, werden auch die dort geplanten
Preiserhöhungen vornehmlich auf die Länder überwälzt. In den Verkehrsverträgen der Aufgabenträger mit den SPNV-Verkehrsunternehmen sind die Infrastrukturnutzungsentgelte im Regelfall als durchlaufende Posten angelegt, so
dass die Mehrkosten voll auf die Länder durchschlagen.
Weil die Regionalisierungsmittel nicht im Gleichschritt mit den Preiserhöhungen
steigen, sinkt die Kaufkraft eines Euros Bestellentgelt der Länder kontinuierlich.
In welchem Ausmaß die Entwertung auf das Verkehrsangebot durchschlägt,
hängt primär von der Bereitschaft der Länder ab, eigene Mittel einzusetzen.
Ohne kompensatorische Maßnahmen zeichnet sich die Streichung von rund 5
bis 10 % des Gesamtangebotes im SPNV bis 2011 ab. Setzt sich die Öffnung
der Schere zwischen der Dynamisierung der Regionalisierungsmittel und der
Steigerung der Vorleistungspreise auch danach fort, sind weitere Teile des
SPNV-Angebotes kürzungsgefährdet.
Eine zweite Folge der Privatisierung ist der wachsende Druck auf die Betriebslänge des Netzes. Da das Schienennetz insgesamt strukturell defizitär ist, erhöht der Renditeanspruch des Kapitalmarktes den Druck auf die unprofitabelsten Teile des Netzes. Dies sind vor allem die Regionalnetze, die den Verkehr „in
der Fläche“ gewährleisten. Der Wirkmechanismus entfaltet sich nicht direkt, aber dennoch konsequent. Als Hebel bietet sich die „strategische Priorisierung
von Investitionsmitteln“ für Netz und Stationen an. Sie ist nicht nur schon vieSeite 13
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lerorts beobachtbar, sondern in der Anfang des Jahres veröffentlichten Strategie ProNetz offen angelegt. So fällt das umsatzschwächste Drittel des Netzes
(17.000 Gleiskilometer), das weniger als 10% zum Gesamtumsatz beiträgt,
nicht in das Programm der präventiven Instandhaltung. Bei den Investitionen
heißt es:
„Gesamtes Netz hinsichtlich bereits geplanter Investitionsmaßnahmen
prüfen. … [Unterpunkt:] Insbesondere Schwachlastregionen hinsichtlich
des Mitteleinsatzes überprüfen.“
Hierzu passen aktuelle Hinweise von Aufgabenträgern, nach denen Regionalmanager von DB Netz beklagten, dass sie 2008 aufgrund von Umschichtungen
der Mittel zugunsten des Fern- und Ballungsnetzes nur noch 50% ihrer alten
Planansätze zur Verfügung hätten.
Die Konzentration der Mittel setzt in den Randbereichen eine Abwärtsspirale in
Gang. Sinkt die Attraktivität einer Verbindung, wandern die Fahrgäste zunehmend ab, was den Netzbetreiber in seiner Schwerpunktsetzung für die Verteilung der Investitionsmittel bestärkt. Sobald Angebotskürzungen durch steigende
Infrastrukturentgelte oder äußere Anlässe (Einschnitte bei Regionalisierungsmitteln) erzwungen werden, rücken die Schwachlaststrecken an die Spitze der
Streichliste. Das Ziel der „kalten Stilllegung“ wird unmerklich, aber effektiv über
einen Umweg erreicht. Formale Entscheidungsrechte wie die Bestellhoheit der
Länder oder die Stilllegungsautonomie des Bundes (§ 11 AEG) erweisen sich in
der Praxis als schwache Instrumente - faktisch ist es der Netzbetreiber, der als
Bauträger und Disponent der Investitionsmittel maßgeblich über die wirtschaftliche Daseinsberechtigung einer Strecke entscheidet.
Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass die betriebswirtschaftlichen Handlungszwänge der Netzprivatisierung zu einer Verkleinerung des Netzes um rund
6.000 bis 10.000 Streckenkm führen – davon 2.000 km mit beschleunigtem
Druck wegen der Konzeption der LuFV (vgl. 2.3). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die heutigen Regionalnetze (rund 11.500 km). In einem aktuellen
Strategiepapier der DB AG ist dazu passend von „unprofitabler Infrastruktur“ die
Rede, für die Handlungsalternativen gesucht werden müssten. Wieviel von diesem Segment „überlebt“, hängt vorrangig von der Bereitschaft und der Finanzkraft der Länder ab, für die Ersatzinvestitionen aufzukommen. Hinsichtlich der
Stationen zeichnet sich als erster Schritt der DB AG ab, auf die Schließung der
Stationen unter 100 Ein- und Aussteigern pro Tag hinzuwirken.
Der dritte wesentliche Effekt der Privatisierung ist die beschleunigte Verlagerung der Finanzierungsverantwortung für Infrastrukturinvestitionen auf die öffentliche Hand. Der Bericht des Bundesrechnungshofs zur Finanzierung der
Schienenwege vom März 2006 belegt, dass dieser Trend bereits seit 2001 sichtbar greift. Insgesamt wird der Bund der DB AG bis 2008 Vorteile im Wert von
rund 9 Mrd. € verschafft haben.
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Im Gegenzug ist die Eigenmittellinie der DB AG deutlich gesunken. Neben dem
Bund werden die Länder mit dieser Restriktion beständig konfrontiert. Bis auf
wenige Ausnahmen bewegt sich z.B. bei Bahnhofssanierungen oder kleineren
Investitionen in Fahrkartenautomaten, Toiletten u.ä. nur dann etwas, wenn das
Land alle Kosten einschließlich der Planung übernimmt. In der Branche hat sich
der Begriff der „120%-Finanzierung“ etabliert. Diese unternehmerisch nachvollziehbare Haltung der DB AG wird sich nach der Zementierung des Netzmonopols durch die Privatisierung noch spürbar verstärken. Die Länder werden vor
der Wahl stehen, ihre Investitionsabsicht aus Budgetgründen aufzugeben oder
aber selbst einzuspringen.
Im Ergebnis zeitigt die Teilprivatisierung der Infrastruktur einen wachstumsfeindlichen Effekt: Die Finanzierung des Systems Schiene wird staatslastiger als
zuvor – entgegen den erhofften Vorteilen einer Privatisierung.
Auch der Wettbewerb auf der Schiene droht nach der Privatisierung an
Schwung zu verlieren. Aktienrechtlich ist der Vorstand der DB AG verpflichtet,
alle Maßnahmen zum Wohl des Unternehmens zu ergreifen. Es wäre gegen die
Lebenswirklichkeit, das vorhandene Diskriminierungspotenzial des integrierten
Netzbetriebs brachliegen zu lassen. Die Länder könnten dann betroffen sein,
wenn die Zahl der Bieter in den SPNV-Ausschreibungen auf wenige Unternehmen reduziert würde und der Druck in Richtung Wettbewerbspreise nachließe.
Als Fazit der Folgenabschätzung ist festzuhalten, dass die Renditeerwartungen
des Kapitalmarktes den gemeinwohlbasierten Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes nachhaltig in die Defensive drängen. Die Länder werden Leistungen der Daseinsvorsorge härter erstreiten – und vor allem deutlich teurer
bezahlen müssen. Jede bestellte Leistung des Infrastrukturmonopolisten bezuschlagt der Kapitalmarkt mit einer höheren Gewinnerwartung als die heutige
DB AG. Da das Spannungsverhältnis zwischen Rendite und Gemeinwohl systemisch ist, kann kein Gesetz diesen Gegensatz auflösen. Es kann nur versuchen,
das öffentliche Interesse so gut wie möglich zu verteidigen. Hierzu müssen in
den Gesetzentwurf wirksame Schutzvorkehrungen eingebaut werden.
2.3. Abgleich der Länderforderungen mit dem Gesetzentwurf
Der vorliegende Gesetzentwurf leistet die erforderliche Schutzfunktion nicht. Im
Ergebnis sind die Interessen der Länder dem Einfluss des Kapitalmarktes weitgehend ausgeliefert; der ohnehin geringe verkehrspolitische Spielraum tendiert
gegen null.
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Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Insbesondere das miteinander zu verzahnende Instrumenten-Dreieck zur Sicherung einer guten Infrastrukturqualität erweist sich als stumpf und sieht keine
Einwirkungsmöglichkeiten der Länder vor:
 Der gegenwärtige Infrastrukturzustands- und –entwicklungsbericht (IZB)
hat nur minimale Aussagekraft. Das Messkonzept protegiert den Netzbetreiber, indem es die Folgen betrieblicher Mängel durch Ausblenden
der Fahrdynamik kleinrechnet, Langsamfahrstellen nur selektiv einbezieht und der DB AG die Definition der Soll-Geschwindigkeit zumindest
teilweise überlässt. Sämtliche Kriterien werden als bundesweite Durchschnittswerte gemessen, womit de facto Qualitätsmängel in Bayern
durch Planübererfüllung in Mecklenburg-Vorpommern ausgeglichen werden können. Den betroffenen Fahrgästen und Bestellern nützt dies
nichts. Vergleicht man den IZB der DB AG mit dem Netzzustandsbericht
des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, ergeben sich für Brandenburg erhebliche Abweichungen. Laut VBB-Geschäftsführer Franz wird der
wahre Netzzustand verschleiert.
 Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist – soweit im Entwurf
bekannt – unausgereift und zur gerichtsfesten Steuerung des Netzbetreibers untauglich. Sie ist als Monolith so konzipiert, dass der Bund stets
vor einer „Alles-oder-nichts“-Entscheidung steht: entweder den gesamten Vertrag im Werte von 2,5 Mrd. € kündigen oder alles beim alten belassen. Dadurch entsteht eine kaum überwindbare Hürde für Nachsteuerungen und die Verhängung angemessener Sanktionen. Eine vollständige
Kündigung erscheint extrem unwahrscheinlich. Das Sanktionssystem ist
bis heute nur in Ansätzen erkennbar, der Höchstbetrag der Rückforderung schöpft den wirtschaftlichen Vorteil des Netzbetreibers wahrscheinlich nicht ab. Anpassungen des Zuwendungsbetrags bei Netzverkleinerungen greifen erst unterhalb von 32.000 km. Damit werden 2.000 km
Netz praktisch schon heute als Stilllegungsprämie dem Investor überantwortet.
 Die Wertausgleichsregelung ist so angelegt, dass die ultima ratio – die
Kündigung der LuFV wegen gehäufter Schlechtleistung – nach politischen
Maßstäben so gut wie ausgeschlossen ist. Bemessungsgrundlage des
Wertausgleichs ist das bilanzielle Eigenkapital der EIU, das laut Bundesregierung derzeit 7,5 Mrd. € beträgt. Dass ein Finanzminister diese in der
Tendenz noch steigende Summe aufbietet, erscheint kaum vorstellbar.
Aus diesem Grund ist auch die Umkehrung der Beschlussmechanik
(„wenn Bundestag keine Entscheidung fällt, geht Schieneninfrastruktur
an Bund“) keine reale Hilfe, sondern nur symbolisch.
Zusammengefasst: Es ist bereits unwahrscheinlich, dass der IZB überhaupt einen Mangel oberhalb der Schwellenwerte zur Sanktion ausweist. Wird dieser
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Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
wider Erwarten festgestellt, sind wirksame Sanktionen auf der Basis der LuFV
noch unwahrscheinlicher. Sie belasten das Unternehmensergebnis, rufen wahrscheinlich Interventionen des Investors hervor (s. 2.4) und müssen gerichtsfest
verhängt werden. Praktisch ausgeschlossen ist die Kündigung, da die Höhe des
Wertausgleichs jede politische Initiative zur Rückholung des Netzes abschreckt.
Auch alle anderen Forderungen der Länder werden durch den Gesetzentwurf
nicht abgedeckt. Durchschlagskräftige Mitwirkungsrechte bei der Investitionsentscheidung über Nahverkehrsstrecken werden auch künftig nicht eingeräumt.
Die angekündigte Stärkung der Regulierung bleibt ein Hoffnungswert, bislang
basiert sie auf einer Protokollerklärung der Ministerien. Struktur und Instrumente der Regulierung sind nicht hinreichend klar definiert. Die Protokolle der Diskussionen im Arbeitskreis Entgeltregulierung der Bundesnetzagentur zeigen, wie
groß der Widerstand des Regulierungsobjektes ist.
2.4. Empfehlungen für die Position der Länder
Kann die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht vermieden werden, sollten die Länder ihre Zustimmung an die Bedingung koppeln, die absehbaren Negativfolgen durch geeignete gesetzliche Vorkehrungen so gering wie möglich zu halten. Finanzielle Mehrbelastungen müssen von vornherein unterbunden oder kompensiert werden.
Darüber hinaus sollten die Länder darauf drängen, die Hürden für Weiterentwicklungen oder die Revision der Privatisierung auf ein politisch-realistisches
Maß zu senken, um die tatsächliche Reversibilität zu gewährleisten.
Die bereits heute vorgezeichnete fiskalische Zusatzbelastung der Länder von
mindestens einer Mrd. € bis 2011 lässt sich – vordergründig - dadurch kompensieren, dass die Regionalisierungsmittel aufgestockt werden. So könnte die Dynamisierung bereits 2008 statt 2009 wiederaufleben, die Dynamisierungsrate
könnte auf 2 % statt 1,5% erhöht werden. Alternativ vorstellbar ist es, die Dynamisierungsrate der Regionalisierungsmittel an die Entwicklung eines Index
aus Trassen-, Stations- und Energiepreisen zu koppeln.
Allerdings böten auch diese Mechanismen keine Sicherheit. Wie die Kürzung der
Regionalisierungsmittel 2006 gezeigt hat, schützen geltende Gesetze nicht vor
Einschnitten. Insofern wäre es aus Ländersicht fahrlässig, Preiserhöhungen nur
deshalb unkritisch durchzureichen, weil sie zunächst den Anschein der Kostenneutralität haben. Zudem sollten Ineffizienzen des Netzbetreibers nicht belohnt
werden.
Um das Risiko der Kaufkraftentwertung aufgrund von Preiserhöhungen für Vorleistungen (insbes. Trassen, Stationen, Energie) institutionell zu begrenzen, sollSeite 17
Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007
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ten die Länder die maximale Erhöhung der Trassenpreise auf 1,5% p.a. per Gesetz begrenzen lassen. Darüber hinausgehende Steigerungen, die die DB AG
dem Regulierer bei kosteneffizienter Leistungserbringung begründet nachweist,
muss der Bund tragen (z.B. Erhöhung der LuFV-Mittel). Damit würde der Bund
einen Anreiz erhalten, die Regulierung tatsächlich zu stärken.
Das bis dato in seinen Konturen unscharfe Regulierungsdesign muss schnell,
aber sorgfältig entwickelt werden. Notwendig ist eine Ex-ante-Regulierung mit
Anreizkomponenten für alle Vorleistungspreise, differenziert nach Verkehrsarten
(„Produktkörbe“). Ebenso ist eine harte Qualitätsregulierung erforderlich. Die
Regulierung muss so angelegt werden, dass die geplanten Überrenditen der DB
AG auf ein Normalmaß reduziert werden.
Am wirksamsten schützen sich die Länder mit Instrumenten, mit denen sie die
Privatisierung im absehbaren Misserfolgsfall teilweise oder gesamthaft revidieren können. Zu den unabdingbaren Präventionsmaßnahmen zählt der Vorbehalt, nur dann dem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn
 der gegenwärtige Netzzustand objektiv und nach Strecken gegliedert mit
Hilfe eines aussagekräftigen Messsystems erfasst wird,
 die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, insbesondere das Sanktionssystem in allen Einzelheiten entwickelt und den Ländern zur Prüfung
vorgelegt wird,
 die LuFV in handhabbare Portionen untergliedert ist, um die Hürde zur
Sanktionierung und Kündigung zu senken. Nur so wird auch die Option
zur Regionalisierung solcher Strecken und Teilnetze realistisch.
 die LuFV vor dem Beschluss mindestens ein Jahr unter Realbedingungen
mit scharfgeschaltetem Sanktionssystem getestet worden ist.
 das Abschmelzen des Infrastrukturbeitrags der LuFV (2,5 Mrd. €) nicht
erst bei einem Netzumfang von 32.000 km einsetzt, sondern auf dem
Ausgangszustand bei jeder Änderung der Betriebslänge und Kapazität.
 die Umsetzung der Privatisierung an ein Zustimmungsgesetz des Bundesrates geknüpft wird. Nur so können die Länder die endverhandelte LuFV
prüfen und die Erfahrungen aus dem Testlauf auswerten.
Damit die Länder nach der Privatisierung das System Schiene weiterentwickeln
und Fehlentwicklungen korrigieren können, müssen in der LuFV mehrere Voraussetzungen geschaffen werden:
 Fortdauernde Schlechtleistungen des Infrastrukturbetreibers müssen
umgehend und konsequent geahndet werden. Sanktionsdrohungen
schrecken nur dann ab, wenn sie ernst zu nehmen sind und den wirtschaftlichen Vorteil des Verstoßes vollständig abschöpfen. Strafen sollSeite 18
Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007
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ten zusätzlich verhängt werden. Die öffentliche Hand muss nach fruchtloser Nachbesserungsfrist die Ersatzvornahme anordnen können.
 Am Ende einer glaubwürdigen Sanktionskaskade steht die Option der
Kündigung, entweder einer Strecke, eines Teilnetzes oder des gesamten
Vertrags. Die Teilkündigung einzelner oder aller Regionalnetze (ggf. mit
Regionalisierung der Infrastruktur) setzt voraus, dass die Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung in abgrenzbare Kapitel untergliedert wird
und der gekündigte Teil aus der Sicherungsübereignung parallel herausgelöst werden kann.
 Sanktion und Teilkündigung bedingen einen eigenen Rechtsanspruch
der Länder. Die Länder müssen selbständig Feststellungs- und Leistungsklagen anstrengen können. Dazu muss die LuFV mit Schutzwirkung Dritter – zugunsten der Länder – konzipiert werden, im Gesetz
muss ein Klagerecht der Länder explizit verankert werden.
An wichtigsten aus Ländersicht ist es aber, aktiv auf die Änderung der Wertausgleichsregelung zu drängen. Der Wertausgleich muss so konzipiert werden,
dass die Rücknahme der Schieneninfrastruktur durch den Bund eine politisch
umsetzbare Handlungsoption ist. Dies liegt im ureigenen Interesse der Länder,
um ihre Aufgabenverantwortung weiterhin unter planbaren Bedingungen wahrnehmen zu können. Nur so haben sie die Perspektive, dass die absehbaren Folgen der Privatisierung im Bedarfsfall korrigiert werden können. Dieser Schutz ist
um so notwendiger, als die Länder in die Vorbereitungen bis dato nicht eingebunden worden sind (s. Kritik der letzten VMK-Beschlüsse). Der Regelfall des
Gesetzes („wenn keine Entscheidung des Bundestag ergeht, dann fällt Schieneninfrastruktur an Bund zurück“) muss auch als tatsächlich umsetzbarer Regelfall ausgestaltet und nicht durch finanzielle Hürden ausgeschlossen werden.
Leitsatz für die Bemessung des Wertausgleichs muss sein, dass die über viele
Jahre steuerfinanzierte Schieneninfrastruktur, in die auch weiterhin jährlich 2,5
Mrd. € der öffentlichen Hand fließen, kein zweites Mal bezahlt werden darf. Private Investoren sollten ausschließlich für die Mehrwerte entschädigt werden,
die die DB AG nach der Privatisierung in der Schieneninfrastruktur schafft. Die
Länder sollten daher vehement dafür eintreten, dass nur die künftigen Investitionen aus Eigenmitteln der DB AG dem Wertausgleich zugrunde gelegt werden.
Weitere Forderungen der Länder sollten sein: Die Quote für Investitionen in
Strecken, die dem SPNV dienen, sollten nach Neu- und Ausbau sowie Bestandsnetz differenziert werden. Die Neu- und Ausbau-Quote sollte bei 5 bis 10 % liegen. Der Anteil für das Bestandsnetz muss im Gesetz und in der LuFV verankert
werden. Die Definition der Investitionen mit Nahverkehrsbezug muss präzisiert
werden. Die Mittel sollten den Regionalisierungsmitteln zugeschlagen werden.
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Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Trotz aller Nachbesserungen im System sei angemerkt: Die Wahrscheinlichkeit
ist erdrückend hoch, dass die Interessen der Länder am Ende nicht gewahrt
werden können. Ursächlich hierfür ist das Grundproblem des Gesetzentwurfs:
die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an der Schieneninfrastruktur,
kombiniert mit der Interessenkollision des Bundes, sowohl Eigentümer der privatisierten DB AG als auch Setzer des verkehrspolitischen Rahmens zu sein.
Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur
Folge, dass jede bestellte Daseinsvorsorgeleistung durch den Gewinnaufschlag
des Kapitalmarktes teurer wird. Steigen die Budgets der Länder nicht im Gleichschritt mit, werden Abstriche am Verkehrsangebot unausweichlich. Der Druck
des Kapitalmarktes auf die Schieneninfrastruktur ist auf lange Sicht stärker als
der Schutz der öffentlichen Hand, hier des Bundes.
Sobald der Bund als Hüter verkehrspolitischer Belange – und damit ggf. als Anwalt der Länder - agieren möchte, handelt er seinen Interessen als Eigentümer
der DB AG zuwider. Die Länder müssen realistisch damit rechnen, dass die Eigentümerposition obsiegt. Andernfalls stellen sich folgende Fragen:
 Warum sollte der Bund unter dem Druck des Kapitalmarktes energischer
für die Länder Partei ergreifen, wenn er hierzu bereits als 100%iger Eigentümer der DB AG trotz voller Entscheidungsgewalt nicht bereit ist?
 Warum sollte der Bund eine schlagkräftige Regulierung aufbauen, wenn
er weiß, dass der Konzernerfolg maßgeblich von der Gewinnplanung in
der Infrastruktur abhängt (ein Drittel des Konzerngewinns)?
 Warum sollte der Bund im Bedarfsfall den Mut haben, die LuFV wegen
Schlechtleistung zu kündigen, wenn er den Wertausgleich nach politischen Maßstäben prohibitiv hoch auf 7,5 Mrd. € oder höher ansetzt?
 Weshalb sollten die Länderforderungen nach der Privatisierung stärker
das Gehör des Bundes finden, wenn er trotz mehrfacher Bitten die Beschlüsse der VMK bereits heute systematisch ignoriert und die Länder
nicht einbindet?
Einen unerfreulichen Ausblick auf die absehbaren Kräfteverhältnisse wirft die
Aussage in der Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des öffentlichen Anteilseigners:
„…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen,
wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer
Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“
Die Länder können die vorgezeichnete Zuschauerrolle der öffentlichen Hand nur
verhindern, wenn sie auf die Verbesserung am – nicht im – System drängen.
Dies wäre auf der Grundlage der Entschließung des Bundestags vom
24.11.2006 durchaus möglich.
Seite 20
Gutachten Sonder-VMK (Kurzfassung) vom 15.9.2007
Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG)
Verfassungsrechtliche und
ökonomische Bewertung
Gutachten im Auftrag der
Sonder-Verkehrsministerkonferenz der Länder
Teil I: Verfassungsrechtliche Bewertung
15. September 2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
KCW GmbH
Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht
Charlottenstr. 65
Universitätsstr. 14-16
10117 Berlin
48143 Münster
2
Zusammenfassung der Ergebnisse
1.
Nach Art. 87 e Abs. 3 GG muss der Bund mindestens Mehrheitsanteilseigner der als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führenden Eisenbahnen des Bundes bleiben, soweit es um den Bau, die Unterhaltung und Betreiben von Schienenwegen geht.
2.
Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verpflichtet den Bund, das Mehrheitseigentum und die damit verbundenen
Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand zu geben.
3.
Der Bund ist verpflichtet, seine eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse betriebswirtschaftlich effizient und gemeinwohlorientiert auszuüben.
4.
Aus dem in Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG mitenthaltenen Untermaßverbot ergibt sich, dass der Bund zumindest die Ingerenzbefugnisse eines
Mehrheitsaktionärs behalten und nutzen muss.
5.
Die Einfügung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes in einen Konzern ist nur zulässig, wenn die verfassungsrechtlich gebotenen
Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes gewährleistet werden.
6.
Art. 87 Abs. 4 S. 1 GG enthält einen auf Gewährleistung des Wohls der
Allgemeinheit bezogenen Auftrag des Bundes in Gestalt einer Staatszielbestimmung.
7.
Zur Sicherstellung des Gewährleistungsauftrags kann sich der Bund externer oder interner Einflussnahmerechte bedienen und sowohl die
Rechtsformen des öffentlichen oder privaten Rechts als auch einseitig
verbindliche oder kooperative Regelungstechniken in Anspruch nehmen.
3
8.
Die Einwirkungsrechte des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG stehen
neben denen aus Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG und vermögen letztere
nicht zu ersetzen.
9.
Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes verfolgt das Ziel, das juristische und
wirtschaftliche Eigentum voneinander zu trennen. Der Versuch, die verfassungsrechtlichen und die wirtschaftlichen Zielsetzungen in Einklang
zu bringen, kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Behält der Bund
nicht die erforderlichen Einflussrechte, wird Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3
GG verletzt. Erhalten die privaten Anleger nicht das versprochene wirtschaftliche Eigentum, werden ihre grundrechtlich geschützten Interessen
verletzt.
10.
Die Dauer der Sicherungsübertragung und die Wertausgleichspflicht des
Bundes im Falle einer Beendigung der Sicherungsübertragung haben
prohibitve Wirkungen und erlauben dem Bund entgegen Art. 87 e Abs. 3
S. 2 und 3 GG nicht, den Vermögenswert seines Anteilseigentums durch
Wiederzusammenführung von wirtschaftlichem und juristischem Eigentum in vollem Umfange nutzen zu können.
11.
Die Übertragung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vom
Bund auf die Deutsche Bahn AG respektive den Vorstand der Deutschen
Bahn AG stellt nach Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG eine verfassungsrechtlich unzulässige materielle Teilprivatisierung der Ausübung
von Staatsgewalt dar.
12.
Bei der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind der Bund und der Vorstand der Deutschen Bahn
AG auf eine Einigung angewiesen, so dass der Bund seinen Willen nicht
– wie verfassungsrechtlich gefordert – einseitig durchsetzen kann.
4
13.
Die dem Bund nach § 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes eingeräumten Zustimmungsvorbehalte beziehen sich nur auf
Ausnahmetatbestände. Auch die Zustimmungsvorbehalte des § 2 Abs. 3
des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes vermögen die
Einflussrechte des Bundes nicht aufzuwiegen.
14.
Das zulässige Ausmaß einer Unternehmenssteuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch die Deutsche Bahn AG wird hinsichtlich der
Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Wegeentgelten sowie der
Zuweisung von Fahrwegekapazitäten durch das europäische Gemeinschaftsrecht bestimmt. Wird die Unabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht gewährleistet, wird europäisches Gemeinschaftsrecht verletzt. Ist eine Unabhängigkeit gegeben, kann bei der Trassenvergabe und Trassenpreissetzung weder von dem wirtschaftlichen Eigentümer Deutsche Bahn AG noch von dem juristischen Eigentümer
Bund Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen genommen
werden. Dies ist mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar.
15.
Die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Deutsche Bahn AG in ihrer Eigenschaft als wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen zurück, weil nicht sichergestellt ist, dass der Bund von seinem Recht
zur alleinigen Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der
Aktionäre Gebrauch macht, aller Wahrscheinlichkeit nach die privaten
Aktionäre im Aufsichtsrat vertreten sein werden und die Vertrauenspersonen des Bundes im Aufsichtsrat wegen des Eingreifens der unternehmerischen Mitbestimmung ihre Mehrheit im Aufsichtsrat verlieren, wenn
auch nur ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG von den privaten Anteilseignern bestellt wird.
16.
Die materielle Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG lässt sich nicht
mit der vom Grundgesetz akzeptierten materiellen Teilprivatisierung der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen vergleichen. Bei einer materiellen
Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG besteht die Wahrscheinlich-
5
keit, dass die privaten Anteilseigner der Deutschen Bahn AG darauf dringen werden, die Infrastrukturinvestitionen in die von der Deutschen Bahn
AG selber genutzten Netzteile zu lenken und die Trassen- und Stationspreise anzuheben. Dies hätte für den Schienenpersonennahverkehr und
damit für die hierfür verantwortlichen Länder erhebliche nachteilige Wirkungen.
17.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Eisenbahnen des Bundes ist mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG insofern
nicht vereinbar, als Regelungen über die Art und das anzustrebende
Ausmaß einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG fehlen.
18.
Die im Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen
des Bundes vorgesehenen externen Einflussnahmemöglichkeiten des
Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben – unabhängig von den nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG gebotenen Sicherungsmaßnahmen – jedenfalls in fünffacher Hinsicht hinter den Anforderungen des
Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Zum Ersten muss der Bund eine einseitige
Anpassung
verlangen
können,
wenn
mit
der
abzuschließenden
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ein betriebsbereiter Zustand
der Schienenwege nicht erreicht werden kann. Zum Zweiten ist auch eine Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zuzulassen. Zum Dritten muss dem Bund die Möglichkeit gegeben werden,
den Ausbau der Schienenwege dann durchsetzen zu können, wenn sich
die Eisenbahninfrastrukturunternehmen weigern, eine Finanzierungsvereinbarung zu zumutbaren Bedingungen abzuschließen. Zum Vierten ist
die Regelung über den Nahverkehr nicht ausreichend. Zum Fünften bedarf die Veräußerung von Immobilien einer gesetzlichen Regelung.
19.
Erfolgt die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ausschließlich im
Wege der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien, verfügt der Bund
ebenso wie nach bisherigem Recht über verfassungsrechtlich ausreichende Ingerenzrechte. Verfassungsrechtlich bedenklich bleibt die Erschwerung einer Wiederzusammenführung von juristischem und wirt-
6
schaftlichem Eigentum. Ferner bleibt der Entwurf eines Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes auch in diesem Falle partiell hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Schließlich muss der Gesetzgeber die Entscheidung treffen, welche Art von Aktien der Deutschen Bahn AG veräußert werden sollen.
20.
Resümierend ist festzustellen, dass das Gesetz zur Neuorganisation der
Eisenbahnen des Bundes mit den sich aus Art. 87 e Abs. 3 u. 4 GG ergebenden Vorgaben kollidiert. Die Feststellung bezieht sich nicht nur auf
die Regelung verschiedener Details, sondern auch und vor allem auf die
grundsätzliche Konzeption einer Integration von Netz- und Verkehrsbetrieb bei gleichzeitiger Trennung von juristischem und wirtschaftlichem
Eigentum, die zu einer Art Quadratur des Kreises nötigt und eine materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt zur Folge hat.
Die verfassungsrechtlichen Probleme werden in einem erheblichen Ausmaße entschärft, wenn die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG
ausschließlich mittels der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien erfolgt.
7
Gliederung
Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................. 2
A.
Der Gegenstand der Untersuchung .....................................................10
I.
Die Problemstellung ............................................................................10
1.
Die Entwicklung der Bahnreform in Deutschland...............................10
2.
Die Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts .....................19
II.
Das Interesse der Länder an den im Eigentum des Bundes stehenden
Infrastrukturunternehmen der Bahn......................................................20
III.
Der Gutachtenauftrag ..........................................................................23
IV.
Die Vorgehensweise............................................................................24
B.
Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 GG .........................26
I.
Die maßgeblichen Tatbestandsmerkmale der Norm .............................26
II.
Der Sinngehalt des Erfordernisses eines Mehrheitsanteilseigentums des
Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen ............................28
1.
Die Wortlautinterpretation des Art. 87 e Abs. 3 GG ...........................29
2.
Die Entstehungsgeschichte der Norm...............................................31
3.
Die systematische Stellung des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG..................33
4.
Teleologische Auslegungsgesichtspunkte.........................................34
5.
Fazit ................................................................................................35
III.
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung der
eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse des Bundes ....................35
IV. Die in Betracht kommenden Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf
Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form...............................39
1.
Die Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Gesellschaft mit
beschränkter
Haftung ...........................................................................................39
2.
Die Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Aktiengesellschaft ............41
3.
Das nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG zu wahrende Untermaß der
Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes.........................................47
V.
Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Schachtelbeteiligungen und
gestuften Ingerenzrechten ...................................................................48
VI.
Ergebnis .............................................................................................49
C.
Die Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG................51
I.
Der Sinngehalt der Gewährleistungsverpflichtung des Bundes .............51
8
1.
Der Charakter der Gewährleistungsverpflichtung..............................51
2.
Der Inhalt der Gewährleistungsverpflichtung.....................................52
II.
Die in Betracht kommenden Wege zur Sicherstellung der
Gewährleistungsverpflichtung ..............................................................54
1.
Externe und interne Einflussnahmerechte des Bundes .....................54
2.
Die Instrumente der Einflussnahme des Bundes...............................56
III.
D.
Ergebnis .............................................................................................56
Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes mit dem Schienenwegevorbehalt des
Art. 87 e Abs. 3 GG ...............................................................................58
I.
Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes ....................................58
II.
Die vermögenswerten Rechte des Bundes an den
Eisenbahninfrastrukturunternehmen ....................................................68
1.
Die eigentumsrechtlichen Konsequenzen der Sicherungsübertragung
68
2.
Die Unzulässigkeit eines de facto-Ausschlusses der (Wieder-)
Zusammenführung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum..69
III.
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die
Eisenbahninfrastrukturunternehmen ....................................................76
1.
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Abstimmungen in
den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen.................................................76
2.
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Bestellung der
Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und
auf die Abstimmungen im Aufsichtsrat..............................................82
3.
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Besetzung des
Vorstandes respektive der Geschäftsführung der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen und auf die Willensbildung im
Vorstand respektive der Geschäftsführung .......................................84
4.
Die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die
Eisenbahninfrastrukturunternehmen über die Einflussnahme auf die
Deutsche Bahn AG ..........................................................................86
9
IV.
Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der
Eisenbahnen des Bundes mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e
Abs. 3 GG...........................................................................................98
V.
E.
Ergebnis und Resümee .....................................................................104
Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes mit der Gewährleistungsverpflichtung
des Art. 87 e Abs. 4 GG ......................................................................107
I.
Die Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die
Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach dem Entwurf eines
Bundesschienenwegegesetzes..........................................................107
II.
1.
Die Einwirkungsbefugnisse zur Erhaltung der Schienenwege..........108
2.
Die Einwirkungsbefugnisse zum Ausbau der Schienenwege...........114
3.
Die vorgesehene Regelung für den Nahverkehr..............................115
Die Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die
Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach dem novellierten Allgemeinen
Eisenbahngesetz...............................................................................117
III.
Wahrung des Gesetzesvorbehalts des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG.........120
IV.
Ergebnis ...........................................................................................120
F.
Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes mit Art. 87 e Abs. 3 und 4 GG im Falle
einer Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien der Deutschen
Bahn AG..............................................................................................122
G. Resümee .............................................................................................123
10
A.
Der Gegenstand der Untersuchung
I.
Die Problemstellung
Am 24. Juli 2007 hat die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland den
hier zu begutachtenden Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes gebilligt und beschlossen, den Entwurf in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Damit soll die Bahnreform in Deutschland weitergeführt werden. Um dieses Vorhaben richtig einordnen zu können, soll zunächst ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Bahnreform in Deutschland (1.)
und die Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts (2.) geworfen werden.
1.
Die Entwicklung der Bahnreform in Deutschland
a)
Die Änderung des Grundgesetzes
Das von den Eisenbahnen des Bundes dominierte Eisenbahnwesen ist in
Deutschland im Jahre 1993 grundlegend neu geregelt worden. Bis dahin sah
Art. 87 Abs. 1 S. 1 GG a.F. vor, dass die Bundeseisenbahnen (das heißt die
Deutsche Bundesbahn und seit dem 3. Oktober 1990 auch die Deutsche
Reichsbahn als Sondervermögen des Bundes) in bundeseigener Verwaltung
mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt werden. Dies schloss sowohl eine
formelle1 als auch (erst recht) eine materielle Privatisierung der Deutschen
Bundesbahn aus. Nachdem sich die wirtschaftliche Lage der Deutschen Bundesbahn immer mehr verschlechterte und eine von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Kommission prognostizierte, dass sich unter Beibehaltung
des Status quo die Verluste der Deutschen Bundesbahn in den nächsten zehn
Jahren auf rund 266 Milliarden DM belaufen würden,2 beschloss die Bundesregierung am 15. Juli 1992 eine grundlegende Reform der Deutschen Bundes1
Vgl. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 117 f.; Lerche, in: Maunz/Dürig,
GG, Stand November 2006, Art. 86 Rn. 60 ff., Art. 87 a. F. Rn. 111 ff., Art. 87 f. Rn. 18
f.; Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (578 f.).
2
Bericht der Regierungskommission Bundesbahn, Dezember 1991, S. 11.
11
bahn.3 Die Reform erforderte eine Änderung des Grundgesetzes, die schließlich
nach zähem Ringen zwischen Bundesregierung und Bundestag einerseits sowie Bundesrat andererseits zustande kam.4 Die zentrale Norm für die öffentlichen und privaten Eisenbahnen ist heute der am 23. Dezember 1993 in Kraft
getretene Art. 87 e GG.5 Die Vorschrift wird von Regelungen über die einschlägigen Gesetzgebungskompetenzen (Art. 73 Nr. 6 a, Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG),
die Finanzierung des Personennahverkehrs (Art. 106 a GG) und die Umwandlung der Bundeseisenbahnen (Art. 143 a GG) flankiert. Die Bestimmung des
Art. 87 e GG bezieht sich nur auf die Eisenbahnen des Bundes. Während es für
die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes bei der bundeseigenen Verwaltung bleibt (Art. 87 e Abs. 1 S. 1 GG), werden die Eisenbahnen des Bundes als „Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form“ geführt
(Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG). Dieser Verfassungsauftrag ist durch die Umwandlung der Deutschen Bundesbahn in die Deutsche Bahn AG mit Wirkung zum 1.
Januar 1994 vollzogen worden.6 Derzeit gehören alle Anteile der Deutschen
Bahn AG noch der Bundesrepublik Deutschland (Bund). Wie sich aus einem
Umkehrschluss zu Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG ergibt, dürfen die Eisenbahnverkehrsunternehmen des Bundes zwar privatisiert werden, doch gelten für die
Unternehmen, deren Tätigkeit den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von
Schienenwegen umfasst (d. h. für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen), Besonderheiten. Diese stehen im Eigentum des Bundes (Art. 87 e Abs. 3 S. 2
GG). Eine Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Infrastrukturunternehmen aufgrund eines Gesetzes ist zwar nicht verboten. Nach Art. 87 e Abs. 3
S. 3 HS 2 GG verbleibt die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen aber
beim Bund. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt (Art. 87 e Abs. 3 S.
4 GG).
3
Vgl. im einzelnen dazu Loschelder, Strukturreform der Bundeseisenbahn durch Privatisierung?, 1993, S. 1 ff.; Suckale, in: Hermes/Sellner (Hrsg.) Beck’scher AEG Kommentar, 2006, Einführung C Rn. 8 ff.
4
Vgl. dazu den Bericht der Abgeordneten Scholz und Stiegler, in BT-Drs. 12/6280, S. 7-9.
5
Vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 20.12.1992 (BGBl. I, S. 2089).
6
Vgl. § 1 des Gesetzes über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft, BGBl.
1993 I, S. 2378 (2386).
12
Zusätzlich schreibt Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG vor, dass der Bund gewährleistet,
dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen,
beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht
den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Auch insoweit ist das Nähere durch Bundesgesetz zu regeln (Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG).
b)
Die zweite Stufe der Bahnreform
Gemäß § 2 Abs. 1 Deutsche Bahn Gründungsgesetz (DBGrG)7 waren aus der
Deutschen Bahn AG frühestens in drei Jahren, spätestens in fünf Jahren nach
ihrer Eintragung in das Handelsregister die gem. § 25 DBGrG gebildeten Bereiche (Personennahverkehr, Personenfernverkehr, Güterverkehr und Fahrweg)
auf dadurch neu gegründete Aktiengesellschaften auszugliedern. Dieser Schritt
wurde im Jahre 1999 realisiert.8 Bei der Deutschen Bahn AG handelt es sich
somit um eine Holding-Gesellschaft. Die Bahninfrastruktur wurde im Wesentlichen der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH
übertragen.9 Die DB Netz AG und DB Station&Service AG erhielten das rechtliche Eigentum an allen Flächen (Grund, Boden und Aufbauten), auf denen sich
Trassen bzw. Anlagen der Personenbahnhöfe mit Vorplätzen, Zugängen und
Bahnsteigen befinden. Alle Anteile der DB Netz AG, der DB Station&Service
AG und der DB Energie GmbH (im Folgenden als Eisenbahninfrastrukturunternehmen bezeichnet) befinden sich in den Händen der Deutschen Bahn AG.
c)
Die Beschlussfassung der Bundesregierung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes
(1)
Die Entstehungsgeschichte des Gesetzentwurfs
7
BGBl. 1993 I, S. 2386.
8
Zu den Einzelheiten vgl. Suckale (Fn. 3), Einführung C Rn. 30 ff.
9
Zusätzlich hat die Deutsche Bahn AG eine DB ProjektBau GmbH errichtet.
13
Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Bahnreform mit einer materiellen (Teil-) Privatisierung der Deutschen Bahn AG abgeschlossen werden
soll. Streitig ist aber von Anfang an gewesen, ob es zulässig ist respektive ob
es sich empfiehlt, in diesem Falle die Eisenbahninfrastrukturunternehmen im
Konzern der Deutschen Bundesbahn AG zu belassen. Vielfach ist die Auffassung vertreten worden, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen dann aus
dem Konzern der Deutschen Bahn AG ausgegliedert werden müssen oder sollten.10 Ferner ist umstritten, über welche Einflussrechte auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Bund verfügen muss, wenn die Eingliederung dieser
Unternehmen in den Konzern der teilprivatisierten Deutschen Bahn AG bestehen bleibt.
Nach sorgfältiger Analyse der Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG
mit und ohne Netz haben die Fraktionen der Großen Koalition im Deutschen
Bundestag einen Antrag zu den Eckpunkten einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG gestellt, dem der Deutsche Bundestag am 24. November 2006
zugestimmt hat.11 Der Deutsche Bundestag hat sich dafür ausgesprochen, dass
bei einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG die steuerfinanzierte Eisenbahninfrastruktur im Eigentum des Bundes stehen müsse. „Die DB AG soll
bis auf weiteres die integrierte Bewirtschaftung und Betriebsführung des Netzes
wahrnehmen. In Kombination mit der bereits bestehenden Regulierungsbehörde, deren Aufgabenbereiche gegebenenfalls noch ausgeweitet werden müssen,
wird der diskriminierungsfreie Wettbewerb gewährleistet.“ Demgemäß hat der
Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, ein Privatisierungsgesetz zu erarbeiten, das folgende Zielsetzungen erfüllen soll:
„1.
An der DB AG werden noch in dieser Legislaturperiode private Investoren beteiligt.
2.
Die nach einer Teilprivatisierung der DB AG weiter bestehende
Infrastrukturverantwortung des Bundes aus Art. 87 e Abs. 4 des
10
Vgl. statt vieler Booz Allen Hamilton, Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG
„mit und ohne Netz“, 2006, Gutachten erstattet im Auftrag des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie des Bundesministeriums der Finanzen (sogen.
Primon-Gutachten).
11
BT-Drs. 16/3493.
14
Grundgesetzes muss umfassend gesichert werden. Hierzu sind in
umfassenden vertraglichen Regelungen Qualitätsziele für die Infrastruktur vorzugeben und bei Vertragsverletzung mit Sanktionen
zu versehen.
3.
Private Investoren werden nicht an den Infrastrukturunternehmen,
die die Eisenbahninfrastruktur halten, beteiligt. Die Infrastrukturgesellschaften werden vor der Kapitalprivatisierung ins Eigentum des
Bundes überführt. Juristische Risiken für die eigentümerrechtliche
Position des Bundes müssen ausgeschlossen werden.
4.
Die DB AG betreibt für einen vertraglich zu vereinbarenden Zeitraum diese Infrastruktur unter der Bedingung, dass sie die vertraglich bzw. gesetzlich neu geregelten Aufgaben zur Pflege des Netzes strikt einhält. Der Bund verpflichtet sich, rechtzeitig vor Auslaufen des Vertrages über eine Verlängerung zu entscheiden.
5.
Die DB AG erhält die Möglichkeit, Schienenverkehr und Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit zu betreiben und zu bilanzieren.
6.
Zusätzliche Schulden und Risiken für den Bundeshaushalt werden
ausgeschlossen.
7.
Es wird sichergestellt, dass der konzerninterne Arbeitsmarkt der
DB AG und das Beschäftigungsbündnis fortgeführt werden können.
8.
Die EU-Kompatibilität hinsichtlich Wettbewerbs-, Vergabe- und
Beihilferecht wird sichergestellt.
9.
Durch die Endschaftsregelung ist die Reversibilität der Entscheidung sicherzustellen. Das gilt insbesondere für etwaige Entschädigungsleistungen an die DB AG. Verfahren und Kriterien für die
Wertermittlung sind verbindlich zu regeln.
10.
Zur Sicherung des diskriminierungsfreien Netzzugangs und eines
fairen Wettbewerbs auf der Schiene werden die Regulierungsinstrumente der Bundesnetzagentur entsprechend den vorliegenden
Erfahrungen fortentwickelt.“
Darüber hinaus sind folgende Gesichtspunkte zu beachten:
1.
Das Privatisierungsgesetz wird durch eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zur Erfüllung des grundgesetzlichen
Infrastrukturauftrages ergänzt.
2.
Der von der DB AG erstellte Infrastrukturzustands- und entwicklungsbericht ist unter Beteiligung externer Sachverständiger zu evaluieren. Er dient als Grundlage für die LuFV.
15
3.
In der LuFV wird festgelegt, dass der Bund einen jährlichen Infrastrukturbeitrag für das Bestandsnetz in Höhe von bis zu 2,5 Mrd.
Euro zu erbringen hat. Dafür hat die DB AG eine vertraglich definierte Infrastrukturqualität zu gewährleisten. Die Kontrolle der Einhaltung der Standards erfolgt durch den Bund.
4.
Für die Neubaumaßnahmen sind ein verlässliches und transparentes Monitoring sowie verbindliche Durchsetzungsmechanismen
einzurichten.
5.
Vor der Teilprivatisierung der DB AG ist die Kapitalmarktreife für
den Deutschen Bundestag durch die Bundesregierung darzulegen.“
Nachdem das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Städteplanung am 11.
Januar 2007 einen Vorentwurf für ein solches Privatisierungsgesetz erstellt hat,
wurde am 8. März 2007 ein (geänderter) Gesetzentwurf zur Neuordnung der
Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) vorgelegt. Der Entwurf, der darauf abzielt, dem Bund zwar unmittelbar juristisches Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu verschaffen, der teilprivatisierten Deutschen Bahn AG
aber den Betrieb und die Bilanzierung von Schienenverkehr „und Eisenbahninfrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit“ zu ermöglichen12, ist auf erhebliche
Kritik gestoßen. Diese bezog sich nicht nur auf die gesellschafts- und bilanzrechtlichen Ausgestaltungsregelungen, sondern auch auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der gewählten Konstruktion als solcher.
So hat das Bundesministerium der Justiz Zweifel daran angemeldet, ob die Bevollmächtigung der Deutschen Bahn AG zur Ausübung der Stimmrechte in den
Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG gerecht wird.13 Auch das
Bundesministerium des Innern hat bezweifelt, dass die mit der Zwischenschaltung der Deutschen Bahn AG verbundene Begrenzung der Eigentümerbefugnisse des Bundes durch die bloße Mehrheitseignerschaft an der Deutschen
Bahn AG soweit aufgewogen werden könne, dass noch ein hinreichendes Maß
an Einflussmöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunterneh12
Vgl. § 1 Abs. 2 BESG-E vom 8.3.2007.
13
Stellungnahme vom 3.5.2007, AZ III B 6 – 7410/20 – 35 110/2007, S. 3 ff.
16
men verbleibe.14 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat
mitgeteilt, dass es die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs im
Hinblick auf Art. 87 e GG teile.15 Nach Ansicht des Bundesministeriums der Finanzen lasse der Gesetzesentwurf das zentrale Spannungsverhältnis zwischen
den Anforderungen von Art. 87 e Abs. 3 GG und den nationalen/internationalen
Bilanzregeln für das vorgesehene wirtschaftliche Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei der Deutschen Bahn AG fortbestehen. Vorgeschlagen wird, die Verfassungsmäßigkeit vor Einleitung eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens innerhalb der Bundesregierung zu klären.16
Außerdem hat im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages am 23. Mai 2007 eine Anhörung von Sachverständigen
zum Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich, Jan Mücke, Patrick Döring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP stattgefunden.17 Sechs der geladenen sieben Sachverständigen (Prof. Fehling, Prof. Hermes, Prof. Hüttemann,
Prof. Kirchhof, Prof. Kleindieck, Prof. Uerpmann-Wittzack) haben die Auffassung vertreten, dass der Gesetzentwurf den rechtlichen Anforderungen nicht
gerecht wird. Die Professoren Fehling, Hermes, Kirchhof und UerpmannWittzack haben die Verfassungskonformität des Gesetzentwurfs für nicht gegeben erachtet. Nur Prof. Gersdorf ist der Meinung gewesen, dass ein Verstoß
gegen Verfassungsrecht nicht vorliegt. Schließlich sind – soweit ersichtlich –
drei Rechtsgutachten zur verfassungsrechtlichen Überprüfung des Gesetzentwurfs vom 8. März 2007 in Auftrag gegeben worden. Dezidierte verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf haben die Professoren Möllers18
14
Vgl. die Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern vom 30.3.2007, AZ G I 2 –
134 332/15, S. 3.
15
Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vom 4.5.2007,
AZ 852 080/9, S. 4.
16
Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen vom 8.5.2007, AZ 2007/0184564,
S. 2.
17
Ausschussdrucksache, Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung, 40. Sitzung, (redigiertes) Wortprotokoll, Protokoll Nr. 16/40.
18
Vgl. Möllers/Schäfer, Verfassungs- und bilanzrechtliche Prüfung des Gesetzentwurfs
„Kapitalprivatisierung Deutsche Bahn AG“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag des Bundesverbandes der
Deutschen Industrie e.V.-BDI, S. 5 ff.
17
und Masing19 geäußert, während Prof. Scholz20 (in einem im Auftrag der Deutschen Bahn AG erstatteten) Rechtsgutachten zu dem Schluss kommt, dass der
vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterbreitete
Gesetzesvorschlag „in jeder Hinsicht“ verfassungsgemäß ist.
Am 29. Juni 2007 hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung einen geänderten Entwurf zum Erlass eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgelegt, den die Bundesregierung weitestgehend unverändert am 24. Juli 2007 beschlossen hat. Allein dieser Gesetzentwurf liegt der Begutachtung zugrunde. Auf die Vorentwürfe wird nur eingegangen, soweit dies zur Beurteilung der Rechtslage erforderlich ist.
(2)
Die maßgeblichen Regelungen des Gesetzentwurfs
Der von der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf lässt die maßgeblichen Weichenstellungen des Entwurfs vom 8. März 2007 unberührt, enthält aber gleichwohl eine ganze Reihe von Veränderungen (insbesondere Erweiterung der Zustimmungsvorbehalte des Bundes und weitere Vorgaben für die
Satzungsgestaltung der Deutschen Bahn AG21). Das Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes soll als Artikelgesetz verabschiedet werden.
Nach Art. 1 soll ein Gesetz über die teilweise Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn Aktiengesellschaft (DBPrivG), nach Art. 2 ein Gesetz über die
Struktur der Eisenbahnen des Bundes (Bundeseisenbahnenstrukturgesetz BESG) und nach Art. 3 ein Gesetz über die Erhaltung und den Ausbau der
Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes (Bundesschienenwegegesetz 19
Vgl. Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs des Bundesministeriums
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für ein Gesetz zur Neuordnung der Eisenbahnen des
Bundes, erstattet im Auftrag von Pro Mobilität – Initiative für Verkehrsinfrastruktur
(E.V.), S. 4 ff.
20
Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung
der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) – Zur Privatisierung der Deutschen Bahn AG –
, erstattet im Auftrag der DB AG, S. 4 ff.
21
Vgl. die Auflistung wichtiger Änderungen des Gesetzentwurfs in dem Schreiben der
Bundesjustizministerin vom 19.6.2007 an den Bundesminister für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung. Die Bundesjustizministerin zieht aus den Gesetzesänderungen den
Schluss, dass mit den Änderungen, die zwischenzeitlich vorgenommen worden sind, „der
Gesetzentwurf verfassungsrechtlich einwandfrei ist“.
18
BSEAG) erlassen werden. Darüber hinaus sollen verschiedene bestehende
Gesetze geändert22 respektive aufgehoben werden.
Nach § 1 Abs. 1 DBPrivG-E können sich Dritte neben der Bundesrepublik
Deutschland an der Deutschen Bahn AG beteiligen, wobei die Mehrheit der Anteile beim Bund verbleiben muss. Das Bundesministerium der Finanzen bestimmt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung Umfang und Zeitfolge der Privatisierung (§ 2 DBPrivG-E). Umfang und Zeitfolge stehen bisher nicht fest. Dasselbe gilt für die Art der Privatisierung. Im Gespräch ist die Ausgabe normaler Aktien, vinkulierter Namensaktien (das heißt von Aktien, die abweichend von dem allgemeinen Grundsatz
freier Verfügbarkeit nur mit Zustimmung der Aktiengesellschaft übertragen werden können23) sowie die Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Offen
ist ferner, ob die Aktien über die Börse oder nur an bestimmte Investoren veräußert werden sollen.24
Der Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes enthält die maßgeblichen Vorschriften für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Einerseits gehen
mit dem Inkrafttreten des Gesetzes sämtliche Anteile der Deutschen Bahn AG
an der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH auf
den Bund über (§ 1 BESG-E), andererseits erteilt das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen der Deutschen Bahn AG eine Vollmacht zur Ausübung der
Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (§ 2 Abs. 1 BESG-E). Die Übertragung
der Stimmrechte auf die Deutsche Bahn AG soll, von Ausnahmefällen (§ 6
BESG-E) abgesehen, fünfzehn und drei, insgesamt also achtzehn Jahre dauern
(§ 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 BESG-E) und verlängert werden können. Kommt es
zu einer Beendigung der Übertragung auf die Deutsche Bahn AG, steht dieser
ein Wertausgleich zu (§§ 6 Abs. 2 S. 2 HS 2, 7 BESG-E). Zugunsten des Bun22
U.a. das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG), vgl. Art. 4 des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes.
23
§ 68 Abs. 2 S. 1 AktG.
24
Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.9.2007, Nr. 207, S. 16.
19
des werden verschiedene Zustimmungsvorbehalte vorgesehen (§§ 2 Abs. 2, 3
BESG-E).
Der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes normiert eine Verpflichtung
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Erhaltung der Schienenwege, wobei der Bund zu einer Unterstützung von bis zu 2,5 Milliarden Euro jährlich verpflichtet wird (§ 3 Abs. 2 BSEAG-E). Des Näheren sollen das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und das Bundesministerium der Finanzen einerseits sowie Eisenbahninfrastrukturunternehmen andererseits in der
Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung abschließen (§ 4 BSEAG-E). Für den Ausbau der Schienenwege
ist der Abschluss einer Finanzierungsvereinbarung vorgesehen (§ 20 BSEAGE).
2.
Die Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts
Neben dem nationalen Recht enthält auch das europäische Gemeinschaftsrecht Vorgaben für die Ausgestaltung des Eisenbahnwesens. So hat die europäische Gemeinschaft eine Vielzahl von Sekundärrechtsakten (Verordnungen
und Richtlinien) erlassen, welche die Eisenbahnunternehmen betreffen.25 Für
die Klärung der hier zu beurteilenden Rechtsfragen kommt die größte Bedeutung der Richtlinie 91/440/EWG26 sowie der Richtlinie 2001/14/EG über die Zulassung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten
für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur27 zu. Die Richtlinie 91/440/EWG ist
durch die Richtlinie 2001/12/EG 28 geändert worden. Nach Art. 6 Abs. 3 der
Richtlinie 91/440/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/12/EG treffen die
Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die
Funktionen nach Anhang II, die für einen gerechten und nichtdiskriminierenden
Zugang zur Infrastruktur ausschlaggebend sind, an Stellen und Unternehmen
25
Vgl. Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 5. Aufl. 2005, Art. 87 e Rn.
6 ff.; Hermes, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), Einführung B Rn. 25 ff.
26
ABl. L 237 v. 24.8.1991, S. 25.
27
ABl. L 75 v. 15.3.2001, S. 29.
28
ABl. L 75, S. 1.
20
übertragen werden, die selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen.
Ungeachtet der Organisationsstruktur ist der Nachweise zu erbringen, dass dieses Ziel erreicht worden ist. Zu den wesentlichen Funktionen nach Art. 6 Abs. 3
rechnet der Anhang II die Vorarbeiten und Entscheidungen über die Zulassung
von Eisenbahnunternehmen, einschließlich der Gewährung einzelner Genehmigungen, die Entscheidungen über die Trassenzuweisung einschließlich sowohl der Bestimmung als auch der Beurteilung der Verfügbarkeit und der Zuweisung von einzelnen Zugtrassen, die Entscheidungen über die Wegeentgelte
und die Überwachung der Einhaltung von Verpflichtungen zur Bereitstellung
bestimmter Dienstleistungen für die Allgemeinheit. Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG werden für den Fall, dass der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder in seinen Entscheidungen nicht von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist, die im Kapitel II der Richtlinie dargelegten Aufgaben
(Wegeentgelte) – außer der Erhebung von Entgelten – von einer entgelterhebenden Stelle wahrgenommen, die rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist. Ebenso bestimmt Art.
14 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG für die Zuweisung von Fahrwegkapazität,
dass die Aufgaben von einer entgelterhebenden Stelle wahrgenommen werden,
die rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist, falls der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder in seinen Entscheidungen nicht von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist.
II.
Das Interesse der Länder an den im Eigentum des Bundes stehenden Infrastrukturunternehmen der Bahn
Die Länder haben ein fundamentales Interesse daran, wie der Bund seiner Verpflichtung zum Bau, zur Unterhaltung und zum Betrieb von Schienenwegen
nachkommt. Trotz der Zunahme des Kraftfahrzeug-, Luft- und Schifffahrtsverkehrs kommt dem Eisenbahnverkehr nach wie vor eine überragende Bedeutung
für die verkehrsmäßige Erschließung in Deutschland zu. Das gilt sowohl für den
Personen- als auch für den Güterverkehr. So wurden im Jahr 2005 im Perso-
21
nennahverkehr rund 2,012 Milliarden Personen befördert.29 Im selben Zeitraum
wurden im Personenfernverkehr etwa 119 Millionen Personen befördert. Der
Schienenpersonennahverkehr weist in den letzten zehn Jahren eine deutlich
steigende Tendenz auf. Wurden im Jahr 1995 noch 1,470 Milliarden Personen
befördert, waren dies 2000 schon 1,855 Milliarden und 2004 1,955 Milliarden.
Im Schienenpersonenfernverkehr wurden 1995 rund 149 Millionen Personen
befördert, im Jahr 2000 waren es noch 145 Millionen und 2004 noch 115 Millionen. Im Jahr 2005 wurden mehr als 317 Millionen Tonnen Güter über die
Schienenwege transportiert. 30
Die Länder müssen aus zweierlei Gründen dafür Sorge tragen, dass auf ihrem
Gebiet quantitativ und qualitativ angemessene Verkehrsdienstleistungen erbracht werden. Zum einen sind Bevölkerung und Wirtschaft darauf angewiesen.
Dementsprechend bezeichnen die Gesetze die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen als eine Aufgabe
der Daseinsvorsorge.31 Auch ist beispielsweise eine erfolgreiche Standortpolitik
ohne einen gut funktionierenden Eisenbahnverkehr nicht vorstellbar. Zum anderen sind den Ländern auf der Grundlage des Art. 87 e Abs. 1 S. 2 GG durch das
Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs32 selbst
Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung als eigene Angelegenheit übertragen worden, nämlich die Verantwortung für den öffentlichen Personennahverkehr33. Auch das Grundgesetz anerkennt das besondere Interesse der Länder
an dem Eisenbahnwesen, wie sich daran ersehen lässt, dass die Bundesgeset-
29
Hierzu und zu den weiteren Zahlen zum Personenverkehr vgl. Statistisches Bundesamt,
Statistisches Jahrbuch 2006, S. 412.
30
Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, S. 418, Tabelle 16.2.
31
Vgl. z. B. § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs, BGBl. 1993 I, S. 2395, zuletzt geändert am 29.6.2006, BGBl. I, S. 1402 (für den
öffentlichen Personennahverkehr).
32
Vgl. BGBl. 1993 I, S. 2378 (2395).
33
Die jeweiligen Aufgabenträger werden durch Landesrecht bestimmt, vgl. § 6 ÖPNVG
BW; Art. 8 BayÖPNVG; § 3 Abs. 1 ÖPNVG Berl; § 3 ÖPNVG Bbg; § 6 Abs. 1 BremÖPNVG; § 5 HessÖPNVG; § 3 ÖPNVG MV; § 4 Abs. 1 NdsNVG; § 3 ÖPNVG NRW;
§ 5 NVG Rh-Pf; § 5 ÖPNVG Saarl; § 3 ÖPNVG Sachs; § 4 ÖPNVG LSA; § 2 ÖPNVG
SH; § 3 ThürÖPNVG; vgl. ferner Hermes/Suckale, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), Einführung E Rn. 52, mit weiteren Nachweisen.
22
ze zur Ausgestaltung gem. Art. 87 e Abs. 5 S. 1 GG der Zustimmung des Bundesrates bedürfen.
Da der Eisenbahnverkehr netzgebunden ist, hängt seine weitere Entwicklung
maßgeblich von dem Erhalt, dem Ausbau und dem Betrieb des (Schienen-)
Netzes ab. Hierüber entscheiden in erster Linie die Eisenbahninfrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG respektive (mittelbar) die Deutsche Bahn
AG selbst, weil die genannten, der Deutschen Bahn gehörenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen über ein weitgehendes Netzmonopol verfügen. Zwar
sind die Eisenbahninfrastrukturunternehmen gem. § 14 Abs. 1 S. 1 AEG 34 verpflichtet, gegen Entgelt35 die diskriminierungsfreie Benutzung der von ihnen betriebenen Eisenbahninfrastruktur und die diskriminierungsfreie Erbringung der
von ihnen angebotenen Leistungen zu gewähren. Die Einhaltung dieser Vorgabe wird durch die Bundesagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post
und Eisenbahnen kontrolliert.36 Auch stellt der Bund den Ländern für den öffentlichen Personennahverkehr erhebliche Mittel zur Verfügung.37 Doch ändert dies
nichts daran, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen die operativen Infrastrukturentscheidungen und damit insbesondere auch die Entscheidungen zu
treffen haben, welche Schienenwege und Stationen erhalten, gebaut oder ausgebaut werden sollen. Ferner bestimmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch über die für die Nutzung der Wege und Stationen zu zahlenden Entgelte. Der Bund finanziert zwar weitgehend die Erhaltung und den Ausbau der
Schienenwege und soll nach dem Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes
hierüber mit den Eisenbahninfrastrukturunternehmen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen respektive Finanzierungsvereinbarungen abschließen. An
der Gestaltung dieser Vereinbarung sind die Länder aber nur nach Maßgabe
des § 21 BSEAG-E beteiligt.
34
Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27.12.1993 (BGBl. I, S. 2378, [2396]), zuletzt geändert am 16.7.2007 (BGBl. I, S. 1383).
35
Vgl. § 14 Abs. 4 AEG i. V. m. der Verordnung über den diskriminierungsfreien Zugang
zur Eisenbahninfrastruktur und über die Grundsätze zur Erhebung von Entgelt für die Benutzung der Eisenbahninfrastruktur (EIBV).
36
Vgl. §§ 14 b, 14 d AEG i. V. m. § 4 Abs. 1 BEVVG.
37
Vgl. §§ 5 ff. des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs.
23
Es macht einen wesentlichen Unterschied aus, ob der Bund Alleineigentümer
oder nur Miteigentümer des Deutsche Bahn-Konzerns ist (vgl. auch D. III. 4. c)).
Ein Alleineigentümer kann grundsätzlich die Unternehmenspolitik eines Unternehmens bestimmen. Die Länder fürchten, dass dies aber nicht mehr der Fall
sein wird, wenn der Deutsche Bahn-Konzern teilweise privatisiert wird. Die Realität zeige, dass in gemischt zusammengesetzten Unternehmen nahezu ausnahmslos die privaten Anteilseigner dominieren. Würden die Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwar dem Bund übertragen, die Unternehmen aber in einer wirtschaftlichen Einheit mit der Deutschen Bahn AG geführt,
zeichne sich ab, dass die privaten Anteilseigner der Deutschen Bahn AG alles
unternehmen würden, um unwirtschaftliche Strecken ganz oder schleichend
stillzulegen. Bei rein betriebswirtschaftlichen, kapitalmarktorientierten Maßstäben stünde damit ein Großteil der Strecken auf dem Prüfstand. Der Umstand,
dass die Entscheidung über die Abgabe und Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen nach Maßgabe des § 11 AEG der zuständigen Aufsichtsbehörde obliegt, werde sich nicht als Hindernis erweisen.38 So habe die Erfahrung gezeigt, dass mit Hilfe „kalter Stilllegungen“ – das heißt dem systematischen Vernachlässigen einer Infrastruktur – eine Entscheidungslage erzeugt
werden könne, der die Aufsichtsbehörde Rechnung tragen müsse. Ferner sei
mit einer Einstellung von Zugangsstellen zu rechnen. Schon heute signalisiere
die Deutsche Bahn AG den Aufgabenträgern des Personennahverkehrs, dass
Stationen unter 100 Ein- oder Aussteigern pro Tag mittelfristig nicht am Netz
bleiben würden. Schließlich spreche alles dafür, dass die privaten Investoren
danach streben würden, aus dem Infrastrukturmonopol eine hohe Rendite zu
ziehen. Deshalb fürchten die Länder eine signifikante Steigerung der Trassenund Stationspreise (näher dazu D. III. 4. c)).
III.
Der Gutachtenauftrag
Die Länder haben erhebliche politische, aber auch rechtliche Bedenken gegen
den Entwurf des Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes
geäußert und diese in einstimmigen Beschlüssen der Verkehrsministerkonfe38
Näher dazu D. III. 4. c) mit Fn. 262.
24
renz vom 22./23. November 2006 39, 18./19. April 200740 sowie am 2. August
200741 artikuliert. Da die Länder bezweifeln, dass der Entwurf des Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes den Vorgaben des Art. 87 e GG
und dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 24. November 2006 gerecht wird sowie die Interessen der Länder wahrt, haben sie den Unterzeichner
sowie das Kompetenz-Center Wettbewerb (KCW) GmbH gebeten, ein Gutachten zu erstatten. Der Unterzeichner nimmt nur zur verfassungsrechtlichen Lage
Stellung.
IV.
Die Vorgehensweise
Im Folgenden wird zunächst auf den Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs.
3 GG (B.) und die Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG (C.)
eingegangen. Sodann wird die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit dem Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG (D.) und der Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG (E.) überprüft. Ausgegangen wird hierbei von einer Ausgabe normaler Stimmrechtsaktien an der Deutschen Bahn AG. Durch
eine Ausgabe von (vinkulierten) Namensaktien würde sich die Rechtslage nicht
grundlegend ändern. Eine andere Beurteilung könnte aber angezeigt sein,
wenn Vorzugsaktien ohne Stimmrechte ausgegeben werden. Daher soll darauf
gesondert eingegangen werden (F.). Ein Resümee schließt die Untersuchung
ab (G.). Es versteht sich von selbst, dass das Gutachten in wissenschaftlicher
Unabhängigkeit erstattet wird. Eingegangen wird nur auf die Rechtsfragen, nicht
auf die verfassungspolitische oder allgemeinpolitische Beurteilung der angestrebten Privatisierung der Deutschen Bahn AG. Wie ausgeführt, wird in diesem
Teil des Gutachtens nur auf die Rechtsfragen, nicht auf die verfassungspolitische oder allgemeinpolitische Beurteilung der angestrebten Privatisierung der
Deutschen Bahn AG eingegangen.
39
Verkehrsministerkonferenz, K 1 – 1, Bd. 98.
40
Verkehrsministerkonferenz, K 1 – 1, Bd. 102.
41
Sonder-Verkehrsministerkonferenz vom 2.8.2007, Beschluss zu Punkt 1 der Tagesordnung.
25
26
B.
Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 GG
Nach Herausstellung der maßgeblichen Tatbestandsmerkmale des Art. 87 e
Abs. 3 GG (I.) kommt es für die hier zu beurteilenden Rechtsfragen darauf an,
den Sinngehalt des Erfordernisses eines Mehrheitsanteilseigentums des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu ermitteln (II.), die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung der eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse des Bundes zu bestimmen (III.), die in Betracht kommenden
Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form herauszuarbeiten (IV.) sowie die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Schachtelbeteiligungen und gestuften Ingerenzrechten zu klären
(V.).
I.
Die maßgeblichen Tatbestandsmerkmale der Norm
Aus Art. 87 e Abs. 3 GG ergibt sich für die Eisenbahninfrastruktur zum einen,
dass die als Wirtschaftsunternehmen in „privat-rechtlicher“ Form zu führenden
Eisenbahnen des Bundes im Eigentum des Bundes stehen müssen, soweit die
Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das
Betreiben von Schienenwegen umfasst (Satz 2), zum anderen, dass die Anteile
an dem Unternehmen zwar auf der Grundlage eines Gesetzes und nach Maßgabe gesetzlicher Regelungen veräußert werden dürfen, die Mehrheit der Anteile aber beim Bund verbleiben muss (Satz 3). Hieraus folgt zunächst, dass der
Betrieb der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes formell privatisiert,
also einer in privat-rechtlicher Form organisierten Unternehmenseinheit übertragen werden muss. Zum Betrieb gehören jedenfalls der Bau, die Unterhaltung
„und“ das Betreiben von Schienenwegen. Mit Bau ist der Neubau und Ausbau
des Netzes und seiner wesentlichen schienenspezifischen Bestandteile (Signaltechnik, Zugleitung, Grundstücke, Bahnhöfe42), mit Unterhaltung sind die zur
Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit des Netzes erforderlichen Maßnahmen, mit dem Betreiben von Schienenwegen nicht der Verkehr auf dem Netz,
42
Zum Eisenbahnnetz gehören auch die für den Betrieb der Schienenwege notwendigen
Anlagen, vgl. auch § 2 Abs. 3 c AEG sowie § 2 Abs. 3 BSEAG-E i. V. m. § 18 AEG.
27
sondern die Führung der Betriebsleit- und Sicherheitssysteme sowie die Vorhaltung der und Verfügung über die Fahrwegkapazität gemeint.43 Trotz der missverständlichen Verknüpfung der verschiedenen Tätigkeitsarten mit dem Wort
„und“ ist es nicht erforderlich, dass die genannten Unternehmensgegenstände
von ein und demselben Unternehmen ausgeführt werden.44
Nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG müssen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen
„im Eigentum“ des Bundes stehen. Was die Notwendigkeit, die Führung der Eisenbahnen auf privat-rechtliche Wirtschaftsunternehmen zu übertragen, für die
Eigentumslage besagt, geht nicht ausdrücklich aus der Normierung des Art. 87
e Abs. 3 GG hervor. Einerseits kommt in Betracht, das Eigentum an den Schienenwegen selbst (das heißt an Grund und Boden) unmittelbar dem Bund zuzuordnen, und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nur die Bewirtschaftung
der Schienenwege zu überlassen. Andererseits schließt das Grundgesetz aber
auch nicht aus, dass den Eisenbahninfrastrukturunternehmen das Eigentum an
den Schienenwegen übertragen wird (wie dies tatsächlich gegenwärtig der Fall
ist45). Im zuletzt genannten Fall reduziert sich die Eigentümerstellung des Bundes auf die Stellung eines Anteilseigners an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Der Besitz von „Anteilen“ an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
bedeutet, dass dem Bund qualitativ eigentumsrechtliche Verfügungsbefugnisse
in der quantitativ vorgesehenen Höhe an den Unternehmen zustehen müssen.46
Wenn Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 2 GG verlangt, dass die Mehrheit der Anteile
beim Bund verbleibt, hat dies – wie auch das Zusammenspiel mit Art. 73 Nr. 6 a
GG zeigt – zur Konsequenz, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (unmittelbar oder mittelbar47) mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen müssen.
43
Vgl. auch Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand März 2007, Art. 87 e Rn. 176.
44
Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 176.
45
Siehe oben A. I. 1. b). Zur Zulässigkeit eines Schachteleigentums vgl. auch die Ausführungen zu B. IV.
46
Vgl. Möllers (Fn. 18), S. 14.
47
Vgl. Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146, 177; Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 57; Uerpmann, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. 3, 4./5. Aufl. 2003, Art. 87 e Rn. 14;
Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (582).
28
II.
Der Sinngehalt des Erfordernisses eines Mehrheitsanteilseigentums
des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
Der Zweck des Mehrheitserfordernisses des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 HS 2 GG
könnte es sein, nur das Vorhandensein eines Substrats für die in Art. 87 e Abs.
4 GG normierte Gewährleistungsverpflichtung des Bundes sicherzustellen. Die
Gewährleistungsverpflichtung des Bundes bezieht sich nämlich gem. Art. 87 e
Abs. 4 GG nur auf Eisenbahnen des Bundes.48 Gäbe es keine Eisenbahnen
des Bundes mehr, liefe die Gewährleistungspflicht des Bundes leer. Da zwar
aus einem Umkehrschluss zu Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG folgt, dass die Eisenbahnverkehrsunternehmen des Bundes vollständig materiell privatisiert
werden dürfen49, dagegen der Bund nach der genannten Vorschrift die Mehrheit
der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen behalten muss50, wird
gleichzeitig garantiert, dass der Bund seiner Gewährleistungspflicht nach Art.
87 e Abs. 4 GG jedenfalls insoweit nachkommen muss. Dies ist nach allgemeiner Auffassung jedoch nicht der alleinige Sinngehalt der Norm.51 Vielmehr bedeutet das Mehrheitserfordernis des Bundes zugleich, dass der Vermögenswert
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu mehr als der Hälfte beim Bund
verbleiben muss und der Bund zugleich einen substantiellen Einfluss auf die
Willensbildung der Infrastrukturunternehmen auszuüben vermag. Dies ergibt
48
Krit. dazu Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 65 f.
49
Vgl. A. I. 1. a).
50
Nach F. Kirchhof (Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom
21.5.2007, S. 4, abgedruckt in der Anlage 1 des Wortprotokolls zur Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 23.5.2007, Protokoll Nr. 16/40, sowie auch ders., ebenda, S. 10, 40) dürfen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch im
völligen Fremdbesitz stehen, soweit eigentumsähnliche Verfügungsbefugnisse des Bundes durch zusätzliche öffentlich-rechtliche Bindungen gesichert werden. Darüber hinaus
soll die Möglichkeit des Bundes unberührt bleiben, auf Eisenbahnen des Bundes „ganz zu
verzichten und Verkehrs- sowie Infrastrukturunternehmen abzustoßen“ mit der Folge,
dass „die bisherige Staatsaufgabe völlig aufgegeben“ wird. Diese Auffassung widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG. Im Übrigen darf
nach den allgemeinen Grundsätzen der Verfassungsinterpretation eine Verfassungsrechtsbestimmung nicht so ausgelegt werden, dass sie jeglichen Regelungsgehalt verliert
und keinerlei Sinn mehr ergibt.
51
Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 117 ff.; Wieland, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 2000, Art.
87 e Rn. 14; Hermes, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom
21.5.2007 (abgedruckt in der Anlage 1 des Wortprotokolls zur Sitzung des Ausschusses
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 23.5.2007, Protokoll Nr. 16/40), S. 1 f.
29
sich sowohl aus dem Wortlaut der Norm (1.) als auch aus der Entstehungsgeschichte (2.), dem systematischen Zusammenhang mit Art. 87 e Abs. 4 GG (3.)
und dem Zweck der Regelung (4.).
1.
Die Wortlautinterpretation des Art. 87 e Abs. 3 GG
Unter Eigentum wird das Recht verstanden, einen von der Rechtsordnung geschützten Vermögensgegenstand innezuhaben und zu nutzen.52 Dementsprechend bestimmt etwa § 903 S. 1 BGB im Hinblick auf die Sachenrechte, dass
der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder
Einwirkung ausschließen kann. Ergibt sich aus den Gesetzen nichts anderes,
darf der Eigentümer somit auch unbeschränkt über die Nutzung des Eigentums
entscheiden. Das Grundgesetz hat den eingangs genannten Eigentumsbegriff
übernommen. So unterfallen dem Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1
GG nur vermögenswerte Rechte.53 Geschützt wird die Privatnützigkeit und die
grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand54 und damit sowohl der Bestand der Eigentumsposition in der Hand
des Eigentümers und die Nutzung der Position55 als auch deren Veräußerung
bzw. die Verfügung über sie56. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass
Art. 14 Abs. 1 GG als ein gegen den Staat gerichtetes Grundrecht nicht
(schlechthin) das Privateigentum, sondern nur das Eigentum Privater schützt.57
Der Eigentumsbegriff ändert sich nicht, wenn statt eines Privaten ein Träger von
Staatsgewalt Inhaber eines vermögenswerten Rechtes ist, sieht man davon ab,
dass statt „Privat“-Nützigkeit die Nützlichkeit für die öffentliche Hand maßge-
52
Vgl. statt vieler Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (214); Papier, in: Maunz/Dürig,
Grundgesetz, Stand März 2007, Art. 14 Rn. 8 (Recht des Habens und Gebrauchmachens
an einem konkreten Gegenstand).
53
Vgl. Papier (Fn. 52), Art. 14 Rn. 160 mit weiteren Nachweisen.
54
BVerfGE 104, 1 (8).
55
BVerfGE 88, 366 (377); 98, 17 (35); 101, 54 (75).
56
BVerfGE 50, 290 (339); 52, 1 (30 f.); 91, 294 (308).
57
Vgl. BVerfGE 61, 82 (108 f.).
30
bend ist.58 Daher ist auch das Eigentum des Bundes an den in Art. 87 e Abs. 3
S. 1 GG genannten Wirtschaftsunternehmen gleichzusetzen mit der vermögensrechtlichen Verfügungsbefugnis respektive Herrschaftsbefugnis über die
Unternehmen. Handelt es sich bei den Unternehmen um Kapitalgesellschaften,
wird das Eigentum durch die Anteile an den Gesellschaften vermittelt. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung
darauf hingewiesen, dass das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum an einer
Aktiengesellschaft im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltungen
durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist.59 Der Eigentumsschutz „erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft, die das Aktieneigentum vermittelt. Aus der mitgliedschaftlichen Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der
Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche
Ansprüche“.60 Somit korreliert auch im Falle einer Inhaberschaft von Anteilen an
diesen Unternehmen die Eigentümerstellung mit den vermittelten vermögensrechtlichen Rechtspositionen und den mitgliedschaftlichen Leitungs- respektive
Herrschaftsbefugnissen.61 Wenn der Bund nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG zwar
Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen veräußern darf, aber die
Mehrheit der Anteile und damit zumindest die Stellung eines Mehrheitseigentümers nicht aufgeben darf62, folgt daraus zwingend, dass der Bund kraft verfassungsrechtlicher Vorgabe insbesondere in der Lage sein muss, einen beherrschenden Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen auszuüben.63
Soweit das Verfassungsrecht nichts anderes bestimmt, sind verfassungsrechtli58
Nichts anderes würde gelten, wenn das Eigentum öffentlich-rechtlich statt privatrechtlich
ausgestaltet worden wäre (vgl. dazu Kirchhof, Anhörung im Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages [Fn. 17], S. 10). Diese Variante kann
hier vernachlässigt werden, weil die Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen
in privat-rechtlicher Form geführt werden müssen, der Bund in seiner Eigenschaft als Anteilseigner der Unternehmen also nur privatrechtlicher Eigentümer sein kann.
59
Vgl. BVerfGE 14, 263 (276 f.); 25, 371 (407); 50, 290 (339); 100, 289 (301).
60
BVerfGE 100, 289 (301 f.).
61
Vgl. zur Notwendigkeit einer Korrelation statt vieler Masing (Fn. 19), S. 10 ff.
62
Vgl. Wieland (Fn. 51), Art. 87 e Rn. 13; Uerpmann-Wittzack, in: Handbuch des Staatsrechts IV, 3. Aufl. 2006, § 89 Rn. 44; Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146; Möllers (Fn. 18),
S. 14.
63
Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146.
31
che Bindungen auch nicht abdingbar. Aus Art. 87 e Abs. 5 S. 2 GG ergibt sich
zwar, dass eine Übertragung von Schienenwegen des Bundes an Dritte nicht
ausgeschlossen ist. Abgesehen von diesem Fall, darf der Bund nicht auf die
Ausübung seiner Herrschaftsbefugnisse verzichten oder diese mit befreiender
Wirkung auf andere übertragen. Auch ist es ihm nicht gestattet, das Mehrheitseigentum nur auf den Vermögenswert zu beschränken und sich hinsichtlich der
mit dem Eigentum verbundenen Herrschaftsbefugnisse – etwa durch Zulassung
einer anderweitigen Stimmenrechtsmehrheit – auf eine Minderheitsposition zurückzuziehen.64 Vielmehr „muss der Bund die Herrschaft über die Infrastrukturunternehmen … behalten“65 und damit auch die Stimmenrechtsmehrheit in diesen Unternehmen.
2.
Die Entstehungsgeschichte der Norm
Die sich bereits aus dem Wortlaut ergebende Lesart des Art. 87 e Abs. 3 GG
wird von der Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt. Der Bund wollte es ursprünglich bei der Regelung belassen, dass die „Eisenbahnen des Bundes als
Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt“ werden.66 Die heutigen Bestimmungen des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG fehlten in dem Regierungsentwurf ebenso wie der Infrastruktursicherungsauftrag des Art. 87 e Abs.
4 GG. Die Bundesregierung beabsichtigte nur, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die angestrebte formelle und materielle Privatisierung der
Deutschen Bundesbahn zu schaffen. Der Bund sollte nicht verpflichtet werden,
dauerhaft Eigentümer einer Eisenbahn zu sein und diese auch betreiben zu
müssen.67 Dies stieß indessen auf den Widerstand des Bundesrates. Der Bundesrat äußerte die Auffassung, dass der Bund „weiterhin die volle Verantwortung für die Schieneninfrastruktur der Eisenbahnen des Bundes tragen [muss].
Er bleibt in der Pflicht zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben im Schie64
Wie hier Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, ZHR 160 (1996), S. 521 (551); Burger, Zuständigkeit und Aufgaben des Bundes für den öffentlichen Personennahverkehr nach Art. 87 e
GG, 1998, S. 35; Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146; Möllers (Fn. 18), S. 15.
65
Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 14; Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (585).
66
BT-Drs. 12/5015, S. 4.
67
Vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 12/5015, S. 7.
32
nenverkehr.“68 Deshalb schlug der Bundesrat vor, folgende Bestimmungen in
Art. 87 e des Grundgesetzes aufzunehmen:
„(4) Der Bund ist Eigentümer der Schienenwege der Eisenbahnen
des Bundes. Er stellt sicher, daß den Verkehrsbedürfnissen und
dem Wohl der Allgemeinheit beim Ausbau und bei der Vorhaltung
dieses Schienennetzes sowie bei den Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz Rechnung getragen wird.“69
Zur Begründung wurde angegeben, aufgrund der Bedeutung des Schienennetzes für das bundesweite Infrastruktursystem müsse das Eigentum an den
Schienenwegen generell beim Bund belassen werden. „Bei einer Übertragung
des Eigentums auf ein privat-rechtlich organisiertes Wirtschaftsunternehmen
würde nicht die erforderliche Sicherheit bestehen, dass dieses Schienennetz
zumindest in seinen wesentlichen Bestandteilen erhalten und bedarfsgerecht
ausgebaut wird, zumal die heutige Wettbewerbssituation zwischen den Verkehrsträgern keine Kostendeckung bei Vorhaltung und Betrieb eines solchen
Netzes ermöglicht.“70 Der Bund sei dadurch nicht gehindert, ein privat-rechtlich
organisiertes Wirtschaftsunternehmen mit Bau, Nutzung und Betrieb dieses
Schienenweges zu beauftragen. Aus dem Infrastrukturauftrag folge jedoch,
dass Vorhaltung und Ausbau des Schienennetzes als staatliche Aufgabe unter
Beachtung der Verkehrsbedürfnisse und des Wohls der Allgemeinheit zu erfüllen sei.71 Die Bundesregierung anerkannte in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zwar die Verantwortung für die Infrastruktur des
Bundes für Aus- und Neubau des Schienennetzes, lehnte aber das vom Bundesrat geforderte unmittelbare Bundeseigentum am Schienennetz und die bloße Beauftragung der Deutschen Bahn AG mit Bau, Unterhalt und Betrieb ab,
weil dies ein wesentliches Element der Bahnstrukturreform beseitigen würde.
Bei Verwirklichung des Änderungsvorschlages des Bundesrates könnten wesentliche Ziele der Bahnreform nicht erreicht werden, nämlich ein in allen Bereichen wirtschaftlich handelndes, auf Leistungs- und Produktivitätssteigerung
68
Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5015, S. 9.
69
Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5015, S. 11.
70
Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5015, S. 11.
71
Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 12/5015, S. 11.
33
ausgerichtetes Unternehmen, das durch seinen Geschäftserfolg zugleich zu einer dauerhaften Entlastung der öffentlichen Haushalte beiträgt. Nur durch die
Übertragung des Eigentums an den Schienenwegen auf die Deutsche Bahn AG
werde ein unternehmerischer Handlungszwang erzeugt, die Kosten für die Unterhaltung und den Betrieb des Schienennetzes zu reduzieren und zu erwirtschaften.72
Im Ergebnis kam es zu einer Einigung von Bundesregierung und Bundestag einerseits und Bundesrat andererseits, wobei sich der Bundesrat im wesentlichen
bei der Aufnahme des heutigen Art. 87 e Abs. 4 GG in das Grundgesetz durchsetzte, während die Vorschrift des heutigen Art. 87 e Abs. 3 GG als Ausgleich
zur Forderung des Bundesrates bezeichnet werden kann, das Eigentum an den
Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes ganz beim Bund zu belassen.73
Doch ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte eindeutig, dass Geschäftsgrundlage der Verständigung im Hinblick auf Art. 87 e Abs. 3 GG die Aufnahme
einer materiellen Privatisierungsschranke in das Grundgesetz war, um sicher zu
stellen, dass der Bund zwecks Wahrnehmung seiner Verantwortung für die
Schieneninfrastruktur jedenfalls Mehrheitseigentümer der Infrastrukturunternehmen bleibt.
3.
Die systematische Stellung des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG
Des Weiteren bestätigt die systematische Zuordnung von Art. 87 e Abs. 3 S. 3
und Abs. 4 GG, dass der Regelung des Absatzes 3 Satz 3 selbständige und
nicht nur instrumentelle Bedeutung allein zu dem Zweck zukommen soll, dem
Bund die Möglichkeit zur Erfüllung seiner Gewährleistungsverpflichtung nach
Art. 87 e Abs. 4 GG mittels externer Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu geben. Wäre es dem Grundgesetzgeber nur auf die Gewährleistungsverpflichtung und nicht auf die Eigentumslage an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen angekommen, hätte es nahegelegen, die Gewährleistungsverpflichtung allgemein auf ein funktionsfähiges Schienennetz zu bezie72
Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs.
12/5015, S. 16.
73
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 12/6280, S. 8.
34
hen. Eines Schienenwegevorbehalts hätte es dann nicht bedurft.74 Vergleichend
kann darauf hingewiesen werden, dass auch die Gewährleistungsverpflichtung
des Art. 87 f Abs. 1 GG nicht an die Eigentumslage anknüpft. Wenn Art. 87 e
Abs. 4 GG demgegenüber von „Eisenbahnen des Bundes“ spricht, deutet dies
ebenfalls darauf hin, dass dem Eigentum an den Eisenbahnunternehmen Relevanz zukommen soll.
4.
Teleologische Auslegungsgesichtspunkte
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis, von den mit dem Eigentum des Bundes verbundenen Einflussrechten Gebrauch zu machen, keine
Besonderheit der Regelung des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG darstellt. Jedes
Handeln der öffentlichen Hand bedarf der Rechtfertigung durch einen öffentlichen Zweck.75 Auch die Beteiligung der öffentlichen Hand an einem privatrechtlich organisierten Unternehmen kann daher nur ein Mittel zur Erfüllung öffentlicher Zwecke sein. Hieraus ergibt sich zugleich, dass die öffentliche Hand
im Rahmen ihrer Beteiligungsquote verpflichtet ist, das Handeln ihrer Unternehmen zu steuern und zu kontrollieren. Dies wird durch die Bindung des Staates an das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG) bestätigt76.
Nach diesem Prinzip muss „alle“ Staatsgewalt vom Volke ausgehen. Entscheidet das Volk nicht selbst durch Wahlen oder Abstimmungen, muss das Handeln
auf den Willen des Volkes zurückgeführt und mediatisiert über die Volksvertretung und Verwaltungsspitze verantwortet werden können. Da eine Verantwortung nur tragen kann, wer Leitungsmacht hat, gebietet es das Demokratieprinzip, der Verwaltungsspitze ein Letztentscheidungsrecht vorzubehalten.77 Die
Notwendigkeit einer Steuerung und Kontrolle schließt eigenverantwortliche
74
Ebenso Hermes, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413 (Fn. 51), S. 2.
75
Vgl. Ehlers (Fn. 1), S. 124; ders. in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2006, § 1 IV 1.
76
Vgl. statt vieler Püttner, DVBl. 1975, 353 ff.; Dreier, Hierarchische Verwaltungen im
demokratischen Staat, 1991, S. 258 f.; Spannowsky, DVBl. 1992, S. 1072 ff.; dens., ZGR
1996, S. 400 ff.; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsverhältnis zwischen
Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000, S. 222 ff.; Ehlers, in: Wurzel/Schraml/Becker (Hrsg.), Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2005, B Rn.
43.
77
Näher zum Ganzen BVerfGE 93, 37 ff.
35
Spielräume der Unternehmensleitungen nicht aus. Doch darf die öffentliche
Hand, jedenfalls wenn sie mehrheitlich an dem Unternehmen beteiligt ist, das
Letztentscheidungsrecht in grundlegenden Angelegenheiten nicht preisgeben.
Nichts anderes verlangt die Bestimmung des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG.
5.
Fazit
Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass der Schienenwegevorbehalt des Art.
87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG den Bund verpflichtet, das Mehrheitseigentum und
die damit verbundenen Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse an den
Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand zu geben. Diese Auffassung ist in der Literatur unbestritten.78
III.
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung der eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse des Bundes
Welche Ziele der Bund bei der Eigentumseinwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen verfolgen darf, wird unterschiedlich beurteilt.79 Zumeist
wird die Ansicht vertreten, das Einflusspotential des Bundes dürfe auch und gerade zur Verwirklichung von Gemeinwohlbelangen (insbesondere den Verkehrsbedürfnissen i. S. v. Art. 87 e Abs. 4 GG) eingesetzt werden.80 Nach anderer Auffassung verpflichtet Art. 87 e Abs. 3 GG den Bund nicht nur zu einer privatrechtförmigen, sondern auch zu einer materiell privat-rechtlichen Leistungserbringung der Eisenbahnunternehmen. Wenn diese „als Wirtschaftsunternehmen“ zu führen seien (Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG), so reiche eine Führung „ähnlich wie“ nicht aus. Von Bedeutung sei auch der Vergleich mit der früheren einfachgesetzlichen Rechtslage. Nach § 28 Abs. 1 Bundesbahngesetz war die frühere Bundesbahn nur „wie ein Wirtschaftsunternehmen“ zu führen und hatte in
diesem Rahmen ihre „gemeinwirtschaftliche Aufgabe“ zu erfüllen. Im Kontrast
78
Teilweise a. A. nur Kirchhof (vgl. Fn. 50).
79
Vgl. die Meinungsübersicht bei Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 90; Masing (Fn. 19), S. 11
ff.
80
Vgl. etwa Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 179; Burger (Fn. 64),
S. 71 ff.; Wieland (Fn. 51), Art. 87 e Rn. 14.
36
dazu seien die Eisenbahnen des Bundes nunmehr „als Wirtschaftsunternehmen“ zu führen. Wirtschaftlichkeit erfasse Gemeinwirtschaftlichkeit gerade
nicht. Deshalb müssten privatwirtschaftliche Ziele dem Handeln zugrunde gelegt werden. Zwar lasse sich dem Art. 87 e GG – wie der Vergleich mit Art. 87 f
Abs. 2 GG zeige („andere private Anbieter“) – keine Grundentscheidung zugunsten des Ordnungsprinzips Wettbewerb entnehmen81. Die Deutsche Bahn
AG müsse somit von Verfassungs wegen nicht privatisiert werden. Das ändere
aber nichts daran, dass die von den Eisenbahnunternehmen des Bundes erbrachten Angebote als ein Wirtschaftsgut wie jedes andere verstanden würden,
mit dessen Hilfe Gewinne erzielt werden sollen. Deshalb bekenne sich Art. 87 e
Abs. 3 S. 1 GG zur Kommerzialisierung der Angebote der Eisenbahnen des
Bundes und zwinge zu einer gewinnorientierten Führung. Dies gelte nicht nur
für die Eisenbahnverkehrs-, sondern auch für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen.82
Nach der hier vertretenen Ansicht schließen sich eine gemeinwohlorientierte
und eine kommerzielle, auf Rentabilität und Gewinnmitnahme ausgerichtete Unternehmenssteuerung auch in dem von Art. 87 e Abs. 3 GG vorgegebenen
Rahmen nicht von vornherein aus.83 Der in Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG verwendete
Begriff der „Wirtschaft“ ist nicht mit „Privatwirtschaft“ gleichzusetzen (abgesehen davon, dass der Staat niemals zu einem Privaten mutieren darf und auch
private Unternehmen altruistische Zwecke verfolgen können). Sowohl das europäische Gemeinschaftsrecht als auch das nationale Recht rechnen zur wirtschaftlichen Betätigung das marktmäßige Anbieten von Gütern- oder Dienstleistungen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Leistung ihrer Art nach auch von ei-
81
Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 37, 56; Brosius/Gersdorf, DÖV 2002, S. 275 (281 ff.);
Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, S. 563 f.; krit.
Möstl, in: Pitschas/Uhle (Hrsg.), Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag, 2007,
S. 833 (835 ff.).
82
Vgl. Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 47 ff., der aber mittlerweile seine Auffassung modifiziert hat (vgl. die Ausführungen zu C. II. 1.); ähnlich bereits Fromm, DVBl. 1994, S.
187 (191 f.); Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (581); Hommelhoff/SchmidtAßmann, ZGR 160 (1996), S. 521 (535); Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 16;
Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 4. Aufl. 2007, Art. 87 e Rn. 42.
83
Vgl. auch Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 91 ff.; dens. (Fn. 81), S. 839 ff.
37
nem Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden könnte.84
Das trifft aber fast auf die gesamte Daseinsvorsorge der öffentlichen Hand zu.85
Diese darf bei Zugrundelegung des einfachen Gesetzesrechts jedoch nicht rein
erwerbswirtschaftlich wahrgenommen werden.86 Nach einer vielfach vertretenen
Ansicht ist dem Staat darüber hinaus eine reine Erwerbswirtschaft von Verfassungs wegen verboten.87 Ob dieser Ansicht zu folgen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls wäre zu erwarten gewesen, dass der Grundgesetzgeber eine Festlegung auf eine reine Erwerbswirtschaft in deutlicherer Weise als mit der Verwendung des Begriffes „Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form“ zum Ausdruck gebracht hätte. Zudem darf nicht außer Betracht bleiben, dass alle Staatsgewalten – besonders die Verwaltung – zur Wirtschaftlichkeit verpflichtet sind. Dementsprechend hat der Bundesrechnungshof
nach Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der
Haushalts- und Wirtschaftsführung zu überprüfen. Es ist noch niemals die Auffassung vertreten worden, dass sich die staatliche Verwaltung deshalb nur erwerbswirtschaftlich betätigen dürfe.88
Hinzu kommt, dass zwischen den Zielen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und den (hier maßgeblichen) Steuerungszielen des Bundes zu unterscheiden ist. Selbst rein private Unternehmen dürfen dazu verpflichtet werden, einen
Gewährleistungsauftrag der öffentlichen Hand einzulösen (wie sich etwa für die
Post- und Telekommunikationsunternehmen aus Art. 87 f Abs. 1 und 2 GG ergibt). „Jede Maßnahme der Einlösung des Gewährleistungsauftrags trägt in diesem Sinne unweigerlich ein Element der Modifikation reiner Privatwirtschaftlich84
Vgl. mit umfangreichen Nachweisen Ehlers, Empfiehlt es sich, das Recht der öffentlichen
Unternehmen im Spannungsverhältnis von öffentlichem Auftrag und Wettbewerb national und gemeinschaftsrechtlich neu zu regeln?, Gutachten E zum 64. Deutschen Juristentag, 2002, E 26 ff.
85
Das europäische Gemeinschaftsrecht spricht statt von Daseinsvorsorge von Diensten „von
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“. Vgl. Art. 16 EGV, ähnlich Art. 86 Abs. 2 EGV.
86
Vgl. statt vieler Ehlers (Fn. 84), E 70 ff.
87
Vgl. z. B. Henneke, NdsVBl. 1998, S. 273 (280 f.); Hösch, Die kommunale Wirtschaftstätigkeit, 2000, S. 82 f.; Selmer, in: Stober/Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der
öffentlichen Hand, 2000, S. 75 (88); Loewer, VVDStRL 60 (2001), S. 416 (418 ff.).
88
Vgl. auch Kirchhof, Anhörung im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des
Deutschen Bundestages (Fn. 50), S. 39 f.
38
keit in sich; reine Privatwirtschaftlichkeit wird um ein Element der Indienstnahme für öffentliche Zwecke ergänzt.“89 Eine solche Indienstnahme kommt im Falle des Bestehens eines Gewährleistungsauftrags (hier Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG)
erst recht in Betracht, wenn die öffentliche Hand selbst Eigentümer des Unternehmens ist. Der Sinn staatlichen Eigentums kann nur darin bestehen, „dass
man sich durch die staatliche Eigentümerstellung im Vergleich zu einem rein
privaten Unternehmen einen sichtbaren Mehrwert in … Bezug auf eine gemeinwohlverträgliche Aufgabenerfüllung durch das Unternehmen erwartet.“90
Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 87 e Abs. 3 GG hat gezeigt, dass die
Vorschrift auf einem Kompromiss von Bundesregierung und Bundestag einerseits und Bundesrat andererseits beruht, wobei die Bundesregierung und der
Bundestag die Wirtschaftlichkeit, der Bundesrat die Gemeinwohlorientierung
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen betont haben.91 Daher kann nicht angenommen werden, dass der Bund trotz seiner Eigentümerstellung keinerlei
Recht haben soll, seine unternehmerischen Einflussmöglichkeiten auch zur
Durchsetzung von Gemeinwohlbelangen zu nutzen.92
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich die Eisenbahnen des Bundes nicht
nur dem Verkehr, sondern nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG jedenfalls auch dem
Bau, der Unterhaltung und dem Betreiben von Schienenwegen widmen müssen. Wie die Vergangenheit gezeigt hat und zwischen allen Beteiligten unstreitig ist, kann die Eisenbahninfrastruktur aber auf absehbare Zeit nicht gewinnbringend betrieben werden.93 Vielmehr sind sie auf Zuschüsse des Bundes angewiesen. Trotzdem ist es den Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes
kraft eindeutiger verfassungsrechtlicher Festlegung untersagt, auf den Bau, die
Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen wegen fehlender Gewinnerzielung zu verzichten. Dies alles zeigt, dass die Eisenbahninfrastrukturun89
Möstl (Fn. 81), S. 842.
90
Möstl (Fn. 81), S. 849.
91
Vgl. B. II. 2.
92
Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 13.
93
Hiervon geht auch der Bund für die Zukunft aus. Anders wäre es nicht verständlich, dass
die Eisenbahninfrastrukturunternehmen kraft Gesetzes eine Unterstützung vom Bund bis
zu 2,5 Milliarden Euro jährlich erhalten sollen (§ 3 Abs. 2 BSEAG-E).
39
ternehmen nach der Vorstellung des Grundgesetzgebers zwar nach kaufmännischen Grundsätzen im Sinne einer unternehmerischen Entscheidungsrationalität94 effizient geführt werden sollen, eine gemeinwohlorientierte Einflussnahme
des Bundes aber nicht ausgeschlossen ist. Wie die Gewichte zwischen der betriebswirtschaftlichen und gemeinwohlorientierten Unternehmensführung im
Einzelnen zu verteilen sind, kann hier dahinstehen.
IV. Die in Betracht kommenden Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf
Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form
Da Art. 87 e Abs. 3 GG den Bund nicht verpflichtet, neue privat-rechtliche Unternehmensformen zu schaffen, kann er sich für die Organisation seiner Eisenbahnunternehmen – und damit auch der Eisenbahninfrastrukturunternehmen –
nur der zur Verfügung stehenden Rechtsformen des Privatrechts bedienen. In
Betracht kommen sämtliche Organisationsformen (einschließlich der Stiftung
bürgerlichen Rechts). Tatsächlich dürften nur die Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung sowie der Aktiengesellschaft geeignet sein. Es stellt sich
dann die Frage, welche Möglichkeiten der Bund als Gesellschafter hat, das
Handeln dieser Gesellschaften zu beeinflussen.
1.
Die Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Da die Gesellschafter und nicht die Geschäftsführer von Rechts wegen das unternehmerische Initiativ- und Entscheidungszentrum einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bilden, bereitet die Steuerung einer dem Bund gehörenden
und von ihm beherrschten Gesellschaft mit beschränkter Haftung grundsätzlich
keine Schwierigkeiten. So kann sich der Bund im Gesellschaftsvertrag das
Recht der Gesellschafter auf Bestellung der Geschäftsführer und auf Erteilung
von Weisungen an die Geschäftsführer einräumen lassen. Selbst wenn derartige Bestimmungen fehlen, obliegt die Bestellung der Geschäftsführer den Gesellschaftern. Auch ist die Gesellschafterversammlung nach herrschender Mei94
Vgl. Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 45.
40
nung95 zur Erteilung von Weisung berechtigt, während sie nach anderer Auffassung96 bei einem Schweigen des Gesellschaftsvertrages nur eine Richtlinienkompetenz in Anspruch nehmen kann. Diese Kompetenz ist aber weit auszulegen, so dass ein Mehrheitsgesellschafter in jedem Fall in der Lage ist, die Geschäftsführung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu bestimmen.
Weitreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf die Geschäftsführung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bleiben auch dann bestehen, wenn die Gesellschaft einen obligatorischen (oder gar nur einen fakultativen) Aufsichtsrat
besitzt. Notwendig ist die Bildung eines Aufsichtsrats, wenn die Gesellschaft
über regelmäßig mehr als 500 Arbeitnehmer verfügt. Der Aufsichtsrat ist dann
nach Maßgabe des Gesetzes über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im
Aufsichtsrat zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen.97 Beschäftigt die Gesellschaft mit beschränkter Haftung regelmäßig mehr als 2000
Arbeitnehmer, greifen die Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes ein.98 Der
Aufsichtsrat besteht in solchen Fällen aus der gleichen Zahl von Vertretern der
Anteilseigner und der Arbeitnehmer, wobei im Konfliktsfall das Zweitstimmrecht
des nicht gegen den Willen der Anteilseigner wählbaren Aufsichtsratsvorsitzenden den Ausschlag gibt.99 Auch wenn ein Aufsichtsrat von Gesetzes wegen
einzurichten ist, bleibt die Gesellschafterversammlung oberstes Organ der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ihr kann nicht das Recht genommen werden, Weisungen an den Geschäftsführer zu erteilen, soweit dieses Recht in der
Satzung vorbehalten wurde. Zwar hat der Aufsichtsrat erweiterte Befugnisse.
So wählt der dem Mitbestimmungsgesetz (nicht dem Drittelbeteiligungsgesetz100) unterfallende Aufsichtsrat kraft Gesetzes die Geschäftsführer und beruft
95
Vgl. Schneider, in: Scholz (Hrsg.), GmbH-Gesetz, Bd. I, 9. Aufl. 2000, § 37 Rn. 30 ff.;
Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, Großkommentar zum GmbH-Gesetz, 2006, § 37
Rn. 14; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2005, S. 340 mit Fn. 5.
96
Vgl. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 18. Aufl.
2006, § 37 Rn. 17, 19.
97
Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG.
98
Vgl. § 1 Abs. 1 MitbestG.
99
Vgl. die §§ 27 Abs. 2, 29 Abs. 2, 31 Abs. 4 MitBestG.
100
Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG.
41
sie notfalls ab.101 Auch sind die Aufsichtsratsmitglieder nicht weisungsabhängig.102 Doch kann der Mehrheitsgesellschafter erreichen, dass nur die von ihm
ausgewählten Vertreter der Anteilseigner in den Aufsichtsrat gewählt werden.103
Bei Mitwirkungsbefugnissen des Aufsichtsrates an der Geschäftsführung kommt
das Verfahren des § 111 Abs. 4 AktG zum Zuge.104 Wird die Zustimmung des
Aufsichtsrates verweigert, können die Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung anrufen. Diese vermag mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen das Veto des Aufsichtsrates zu überspielen. Da die Gesellschafter die Geschäftsführung mit einfacher Mehrheit anweisen können, das
Zustimmungsverlangen zu stellen, sind sie auch auf diesem Wege in der Lage,
sich jedenfalls bei Erreichen der genannten Mehrheit gegenüber dem Aufsichtsrat durchzusetzen. Selbst wenn es dem Sinn der Mitbestimmung zuwiderlaufen
dürfte, Weisungen dermaßen zu intensivieren, dass die Geschäftsführer zu bloßen Marionetten der Gesellschafter degradiert werden, bleibt genügend Spielraum für die Gesellschafter, um sich in wichtigen Angelegenheiten durchzusetzen.
2.
Die Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Aktiengesellschaft
Während in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung grundsätzlich die Gesellschafter das Bestimmungsrecht haben, lässt sich für Aktiengesellschaften
dies gerade nicht – jedenfalls nicht in gleicher Weise – feststellen. Das liegt vor
allem daran, dass der Vorstand gemäß § 76 AktG eine Aktiengesellschaft in eigener Verantwortung (also unabhängig) zu leiten hat.
a)
Die Organisation einer Aktiengesellschaft
101
§ 31 MitbestG i. V. m. § 84 AktG.
102
Die Rechtstellung der Aufsichtsratsmitglieder bestimmt sich in diesen Fällen nach dem
Aktienrecht.
103
Näher dazu Grunewald (Fn. 95), S. 257; Hüffer, Aktiengesetz, 7. Aufl. 2006, § 101 Rn. 4.
104
Vgl. § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG.
42
Im Gegensatz zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung muss jede Aktiengesellschaft mindestens über drei Unternehmensorgane verfügen: nämlich
die Hauptversammlung, den Aufsichtsrat und den Vorstand.
Die Rechte der Hauptversammlung beziehen sich „nur“ auf Grundlagenzuständigkeiten.105 Gem. § 119 Abs. 1 AktG beschließt die Hauptversammlung in den
im Gesetz und in der Satzung ausdrücklich bestimmten Fällen, namentlich über
1.
die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrats, soweit sie nicht in
den Aufsichtsrat zu entsenden oder als Aufsichtsratsmitglieder der
Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem
Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer
grenzüberschreitenden Verschmelzung zu wählen sind;106
2.
die Verwendung des Bilanzgewinns;107
3.
die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats;108
4.
die Bestellung des Abschlussprüfers;
5.
Satzungsänderungen;109
6.
Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung;110
7.
die Bestellung von Prüfern zur Prüfung von Vorgängen bei der
Gründung oder der Geschäftsführung;111
8.
die Auflösung der Gesellschaft.112
Zur erwähnen ist weiterhin, dass die Hauptversammlung dem Vorstand das
Vertrauen aus wichtigem Grund mit den sich aus § 84 Abs. 3 S. 1 AktG erge105
Vgl. Grunewald (Fn. 95), S. 271 f.; Küpler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006,
S. 219 f.
106
Vgl. § 101 AktG.
107
Vgl. § 174 AktG.
108
Vgl. § 120 AktG.
109
Vgl. § 179 Abs. 2 AktG.
110
Vgl. die §§ 182, 222 AktG.
111
Vgl. § 142 AktG.
112
Vgl. § 262 AktG.
43
benden Konsequenzen entziehen (§ 84 Abs. 3 S. 2 AktG) und jeder Aktionär in
der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft verlangen (§ 131 AktG) sowie
nach Maßgabe der §§ 117, 147 AktG einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat geltend machen kann. Dagegen darf
die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur entscheiden,
wenn der Vorstand es verlangt (§ 119 Abs. 2 AktG).
Der Aufsichtsrat ist in erster Linie ein Kontrollorgan. Seine Aufgabe ist es, die
Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG). Dafür stehen dem Aufsichtsrat die in § 111 Abs. 2 und 3 AktG genannten Rechte zu. Auch dem Aufsichtsrat dürfen nicht Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen werden (§
111 Abs. 4 S. 1 AktG). Dennoch zeigt die Rechtswirklichkeit, dass ein Aufsichtsrat in ganz erheblichem Ausmaße Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen, die Überwachung also in eine gewisse Teilnahme an der Unternehmensführung umschlagen kann.113 Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass
Bestellung und Abberufung des Vorstands in den Händen des Aufsichtsrats liegen (§ 84 AktG). Des Weiteren kann die Satzung oder der Aufsichtsrat bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates vorgenommen werden dürfen (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG).
b)
Die Einflussnahmemöglichkeiten eines Alleinaktionärs
Gehören alle Anteile an einer Aktiengesellschaft einem Aktionär (wie dies derzeit auf die dem Bund „gehörende“ Deutsche Bahn AG zutrifft), kann dieser einen bestimmenden Einfluss auf die Aktiengesellschaft ausüben. Zwar sind auch
in diesem Falle sowohl die Vorstandsmitglieder als auch die Aufsichtsratsmitglieder114 unabhängig und allein dem Wohl der Gesellschaft115 und nicht unbedingt dem Wohl des Aktionärs verpflichtet. Doch stehen dem Alleinaktionär alle
Rechte der Hauptversammlung zu. Er kann somit auch alle Aufsichtsratsmit113
Vgl. z. B. Semler, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. 2004, § 111 Rn.
49, 61 – 63; ferner Hüffer (Fn. 103), § 111 Rn. 16.
114
§ 116 i. V. m. § 93 Abs. 1 AktG.
115
Siehe Hefermehl/Spindler, in: Münchener Kommentar (Fn. 113), § 76 Rn. 53 ff.; Hüffer
(Fn. 103), § 76 Rn. 12.
44
glieder der Aktionäre bestellen, sei es im Wege der Wahl in der Hauptversammlung116 oder im Wege der Entsendung eines Drittels der Aufsichtsratsmitglieder
der Aktionäre nach Maßgabe des § 101 Abs. 2 AktG. Selbst wenn der Aufsichtsrat der Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt, können sich die Vertrauenspersonen des Alleinaktionärs wegen des Zweitstimmrechts des nicht gegen den Willen der Anteilseigner wählbaren Aufsichtsratsvorsitzenden durchsetzen. Angesichts der weitreichenden Möglichkeiten von
Hauptversammlung und Aufsichtsrat lassen sich so trotz der Unabhängigkeit
des Vorstands der Aktiengesellschaft die Grundlinien der Gesellschaftsführung
bestimmen.
c)
Die Einflussnahmemöglichkeiten eines Mehrheitsaktionärs
Erheblich schwieriger erweist sich die Steuerung einer Aktiengesellschaft, wenn
ein Anteilseigner nicht Allein-, sondern nur Mehrheitsaktionär ist. Zwar bedürfen
Beschlüsse der Hauptversammlung grundsätzlich nur der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.117 Doch kann nicht nur die Satzung, sondern auch das Gesetz anderes bestimmen. So bedürfen Satzungsänderungen (in bestimmten
Fällen)118, Kapitalbeschaffungen und Kapitalherabsetzungen (in bestimmten
Fällen)119 und die Auflösung einer Aktiengesellschaft120 einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des Grundkapitals umfasst. Noch mehr Gewicht kommt der
Zusammensetzung des Aufsichtsrats zu. Sind auch andere Anteilseigner in einem nicht nur geringen Umfang an einer Aktiengesellschaft beteiligt, entspricht
es der gängigen Praxis, dass diese in dem Aufsichtsrat mit Personen ihres Vertrauens vertreten sind.121 So versteht es sich von selbst, dass derjenige, der
über 20 %, 25 % oder gar 49 % des Kapitals verfügt, Wert darauf legen wird, im
116
§ 101 Abs. 1 S. 1 AktG.
117
Vgl. § 133 Abs. 1 AktG.
118
Vgl. § 179 Abs. 2 AktG.
119
§§ 182 Abs. 1, 222 Abs. 1 AktG.
120
Vgl. § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG.
121
Siehe Hopt/Roth, in: Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Aktiengesetz, 4. Aufl. 2006, § 101 Rn. 62
(gerade bei Gesellschaften mit außenstehenden Aktionären); ferner BGH, WM 1962, S.
811, wonach es im Allgemeinen üblich, sachgerecht und wünschenswert sei, eine gewisse
Minderheitenvertretung zuzulassen.
45
Aufsichtsrat „präsent“ zu sein.122 Unterfällt die Zusammensetzung des Aufsichtsrats dem Mitbestimmungsgesetz und bestehen Meinungsunterschiede
zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre und den Arbeitnehmervertretern, müssen die Mitglieder der Aktionäre geschlossen abstimmen, um sich
durchzusetzen. Eine solche Abstimmung ist nicht gesichert, wenn die „Bank“
der Aktionäre unterschiedlich zusammengesetzt ist. Selbst wenn der Aufsichtsrat nur zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern besteht, kann es zu „Koalitionen“ zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern aus den Reihen der Minderheitsaktionäre und der Arbeitnehmervertreter kommen.
Rechtlich ist eine unterschiedliche Zusammensetzung der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre allerdings nicht zwingend vorgegeben. Da die Vertreter der
Anteilseigner von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit gewählt werden123, kann der Mehrheitsaktionär mittels seiner Mehrheit in der Hauptversammlung die Anteilseignerbank vollständig besetzen.124 Besteht ein Recht,
Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, gilt nichts anderes, weil ein solches
Recht gem. § 101 Abs. 2 S. 1 AktG nur durch Satzung und damit nicht gegen
den Mehrheitsaktionär begründet werden kann. Einen rechtlich institutionalisierten Minderheitenschutz bei der Besetzung des Aufsichtsrats kennt das Aktienrecht somit nicht.125
Muss der Mehrheitsaktionär vor allem wegen der Zusammensetzung des Aufsichtsrats damit rechnen, dass der Aufsichtsrat nicht in seinem Sinne abstimmen wird, stellt sich die Frage, ob der Mehrheitsbesitz bei der Gesellschaftsführung anderweitig zur Geltung gebracht werden kann. Dies ist dann der Fall,
wenn das Konzernrecht zur Anwendung gelangt. Wird ein Beherrschungsvertrag zwischen einem herrschenden und einem abhängigen Unternehmen abgeschlossen, ist nach § 308 Abs. 1 S. 1 AktG das herrschende Unternehmen be122
Vgl. auch die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (Fn. 13), S. 9: „Sollte
der Bund ca. 40 % der Anteile an der Bahn AG abgeben, so wäre es aus Kapitalmarktgesichtspunkten unvorstellbar, dass er danach noch sämtliche Aufsichtsratsmitglieder auf
Anteilseignerseite stellt.“
123
§§ 101 Abs. 1, 133 Abs. 1 AktG.
124
Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 23.
125
Vgl. Grunewald (Fn. 95), S. 257; Hüffer (Fn. 103), § 101 Rn. 4.
46
rechtigt, dem Vorstand der Gesellschaft hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Der Zweck der konzernrechtlichen Bestimmungen, Minderheiten und Gläubiger gegen fremdbestimmte wirtschaftliche Machtausübung zu schützen, kommt allerdings nur zum Tragen, wenn eine Interessenbindung außerhalb der Gesellschaft besteht, die stark genug ist, um die
ernste Besorgnis zu begründen, der Aktionär könne um ihretwillen seinen Einfluss zum Nachteil der Gesellschaft geltend machen. Seit der VEBAGelsenberg-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs126 ist anerkannt, dass
diese Voraussetzungen auf juristische Personen des öffentlichen Rechts zutreffen, so dass der Bund, wenn er die Mehrheit der Anteile an einer gemischt zusammengesetzten Aktiengesellschaft besitzt, stets als herrschendes Unternehmen im Sinne des Konzernrechts anzusehen ist. Dies würde auch auf eine
Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG zutreffen, wenn die Mehrheit der Anteile beim Bund verbleibt. Dennoch kann das Konzernrecht in dieser Konstellation hier außer Betracht bleiben. Zum einen ist der Abschluss eines Beherrschungsvertrages zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG nicht beabsichtigt. Zum anderen wäre auch zweifelhaft, ob eine völlige Instrumentalisierung der Deutschen Bahn AG als abhängiges Unternehmen des Bundes über
das Konzernrecht mit Sinn und Zweck der gem. Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG gebotenen organisatorischen Verselbständigung in Form eines Wirtschaftsunternehmens in privat-rechtlicher Form in Einklang zu bringen wäre.
Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht unterliegen allerdings privatrechtliche Unternehmen der öffentlichen Hand zwecks Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Bindungen einem das Privatrecht teilweise außer Kraft setzenden Sonderrecht.127 So sollen Weisungen der Gesellschafter an den Vorstand
einer von der öffentlichen Hand getragenen Aktiengesellschaft zulässig sein,
weil die öffentliche Hand nur so die verfassungsrechtlich gebotene Ingerenzpflicht durchzusetzen vermöge. In Übereinstimmung mit der ganz herr-
126
BGHZ 69, 334 ff.; vgl. auch BGHZ 125, 127 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl.
2002, S. 937 ff.
127
Vgl. Kraft, Das Verwaltungsgesellschaftsrecht, 1982, S. 254 ff.; Stober, NJW 1984, S.
449 (454 f.); Haverkate, VVDStRL 46 (1988), S. 217 (226 ff.); von Danwitz, AöR 120
(1995), S. 595 ff.; Ossenbühl, ZGR 1996, S. 504 (516 ff.).
47
schenden Meinung128 ist dieser Auffassung nicht zu folgen. Fehlt es an sondergesetzlichen Regelungen, muss die Verwaltung das Privatrecht „so nehmen,
wie es ist“.129 Gleichwohl hat es der Bund im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen in der Hand, nähere gesetzliche Regelungen über die als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu führenden Eisenbahnen des
Bundes zu schaffen (Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG) und dadurch das Aktienrecht zu
modifizieren und dem Bund in seiner Eigenschaft als Mehrheitsanteilseigner der
Bundeseisenbahnen erweiterte Ingerenzbefugnisse zuzugestehen.
3.
Das nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG zu wahrende Untermaß der
Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes
Nach den getroffenen Ausführungen steht es dem Bund frei, seine Eisenbahninfrastrukturunternehmen entweder in der Rechtsform einer Gesellschaft mit
beschränkter Haftung oder einer Aktiengesellschaft zu organisieren. Nimmt er
die Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Anspruch, kann die Gesellschaft ohne weiteres so ausgestaltet werden, dass der Bund einen beherrschenden Einfluss auf sie auszuüben vermag.
Bedient er sich der Form der Aktiengesellschaft, gilt gleiches, wenn der Bund
sich die Gesellschaft durch nähere gesetzliche Regelung auf der Grundlage des
Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG „gefügig“ macht. Ein Zwang, das Aktienrecht zu ändern, lässt sich dem Art. 87 e Abs. 3 GG aber nicht entnehmen. Zudem stand
dem verfassungsändernden Grundgesetzgeber bei der Einführung des Art. 87 e
GG die Aktiengesellschaft vor Augen. Dementsprechend ist die Deutsche Bahn
im Zuge der mit der Grundgesetzänderung einhergehenden ersten Bahnreform
als Aktiengesellschaft organisiert worden.130 Deshalb ist anzunehmen, dass
sich Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG mit den vorgefundenen, für Aktionäre bestehen-
128
Vgl. etwa Schmidt, ZGR 1996, S. 345 (351); Spannowsky, ebd., S. 400 (421 ff.); Gersdorf (Fn. 76), S. 259 ff.; Ehlers (Fn. 84), E 147; Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 68.
129
Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 94.
130
Siehe § 1 des Gesetzes über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft,
BGBl. 1993 I, S. 2378 (2386).
48
den Einflussnahmemöglichkeiten auf eine Aktiengesellschaft begnügt.131 Berücksichtigt man, dass sich Aktiengesellschaften wegen der beim Vorstand angesiedelten, unentziehbaren Leitungsbefugnisse sowie der Unabhängigkeit der
Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder rechtlich gesehen nur schwer steuern
lassen, muss aber zugleich angenommen werden, dass der Bund auf die sich
für Aktionäre bietenden Einflussnahmerechte – soweit sie für die Steuerung der
Gesellschaft bedeutsam sind – nicht verzichten darf. Schreibt das Grundgesetz
vor, dass die Mehrheit der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 2 GG beim Bund „verbleibt“, bedeutet dies im Falle der Verwendung der Rechtsform einer Aktiengesellschaft somit, dass der
Bund die sich einem Mehrheitsaktionär bietenden Ingerenzbefugnisse nicht aus
der Hand geben darf. Da für die (ohnehin primär nur dem Vorstand obliegende)
Steuerung einer Aktiengesellschaft dem Aufsichtsrat (und weniger der Hauptversammlung) eine Schlüsselrolle zukommt, ist daraus jedenfalls im Falle des
Eingreifens der Regelung des Mitbestimmungsgesetzes der weitere Schluss zu
ziehen, dass der Bund alle Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre selbst bestimmen muss (weil ansonsten nicht gesichert ist, dass die von ihm gewählten oder
entsandten Aufsichtsratsmitglieder ihren Willen durchsetzen können).132
V.
Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Schachtelbeteiligungen
und gestuften Ingerenzrechten
Auch wenn Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG von dem „Eigentum des Bundes“ und Art.
87 e Abs. 3 S. 3 GG von den „Anteilen des Bundes an den Unternehmen“
spricht, schließt dies nach herrschender Meinung133 Schachtelbeteiligungen des
Bundes nicht aus, wenn sie sich „auf eine Mehrheitsbeteiligung des Bundes zu-
131
Vgl. Masing (Fn. 19), S. 17. Siehe auch Scholz (Fn. 20), S. 29 f.
132
Wie hier Uerpmann-Wittzack, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413,
vom 14.5.2007, abgedruckt in Anlage 1 des Protokolls (Fn. 17), S. 2; Masing (Fn. 19), S.
24. Andere Auffassung Fehling, Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom
9.5.2007, abgedruckt in Anlage 1 des Protokolls (Fn. 17), S. 2.
133
Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (582); Vesting, in: AK-GG Bd. 2, 3. Aufl.
2001, Art. 87 e Rn. 46; Suckale (Fn. 3), Einführung C Rn. 45; Uerpmann (Fn. 47) Art. 87
e Rn. 14; Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 16; Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146, 177.
49
rückrechnen lassen“.134 Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass der Mehrheitsanteilseigner Bund nicht unmittelbar an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen beteiligt sein muss, eine Vermittlung über weitere gesellschaftsrechtliche Beteiligungen also ausreicht. Tatsächlich ist der Bund derzeit nur an der in
seinem Alleineigentum stehenden Deutschen Bahn AG, nicht aber an der DB
Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie GmbH beteiligt. Bei
den zuletzt genannten Gesellschaften handelt es sich aber um hundertprozentige Tochterunternehmen der Holding „Deutsche Bahn AG“. Rechtliche Bedenken gegen diese Konstruktion sind bisher nicht aufgekommen.135 Doch ist zu
Recht darauf hingewiesen worden, dass sich die Zulässigkeit gestufter Einflussnahmen nicht abstrakt-schematisch entscheiden lässt. Die Frage „entscheidet sich danach, ob nach Maßgabe der konkreten Ausgestaltung eine angemessene Einflussnahme des Bundes hinreichend effektiv sichergestellt ist, d.
h. ob sie denen eines unmittelbaren Mehrheitsaktionärs bei Gesamtbetrachtung
zumindest gleichkommt. Auch hier ist die Gewährleistung des Mehrheitseigentums folglich als materielle Gewährleistung von Einflussmöglichkeiten ernst zu
nehmen und nicht auf eine bloße Formalgarantie zu reduzieren. Die Einflussmöglichkeiten dürfen nicht in Kaskaden von Beteiligungsfällen verdünnt werden
und Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG unterlaufen. Insbesondere reicht es nicht aus,
dass eine abstrakt-mathematische Rückrechnung auf jeder Stufe eine Anteilsmehrheit des Bundes ergibt.“136 Somit dürfen verschiedene gesellschaftsrechtliche Stufen die Beherrschung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch
den Bund nur mediatisieren, nicht aber relativieren.137
VI.
Ergebnis
1.
Nach Art. 87 e Abs. 3 GG muss der Bund mindestens Mehrheitsanteilseigner der als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form zu füh-
134
Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (582).
135
Vgl. Masing (Fn. 19), S. 18.
136
Masing (Fn. 19), S. 19.
137
Möllers (Fn. 18), S. 15; vgl. auch Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 146 (notwendig ist jedoch,
dass die aus der mittelbaren Beteiligung resultierende Einflussmöglichkeit derjenigen einer unmittelbaren Mehrheitsbeteiligung gleichkommt), ebenda mit weiteren Nachweisen.
50
renden Eisenbahnen des Bundes bleiben, soweit es um den Bau, die Unterhaltung und Betreiben von Schienenwegen geht.
2.
Der Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verpflichtet den Bund, das Mehrheitseigentum und die damit verbundenen
Vermögensrechte und Herrschaftsbefugnisse an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand zu geben.
3.
Der Bund ist verpflichtet, seine eigentumsrechtlichen Herrschaftsbefugnisse betriebswirtschaftlich effizient und gemeinwohlorientiert auszuüben.
4.
Aus dem in Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG mitenthaltenen Untermaßverbot ergibt sich, dass der Bund zumindest die Ingerenzbefugnisse eines
Mehrheitsaktionärs behalten und nutzen muss.
5.
Die Einfügung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes in einen Konzern ist nur zulässig, wenn die verfassungsrechtlich gebotenen
Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes gewährleistet werden.
51
C.
Die Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87 e Abs. 4 GG
Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG verpflichtet den Bund zu gewährleisten, dass dem
Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau
und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren
Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere ist
gemäß Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG durch Bundesgesetz zu regeln. Im Folgenden
wird zunächst auf den Sinngehalt der Gewährleistungsverpflichtung eingegangen (I.). Sodann ist zu klären, welche Wege zur Sicherstellung der Gewährleistungsverpflichtung in Betracht kommen (II.).
I.
Der Sinngehalt der Gewährleistungsverpflichtung des Bundes
1.
Der Charakter der Gewährleistungsverpflichtung
Die sich aus Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG ergebende Verpflichtung des Bundes wird
als Gewährleistungsauftrag bezeichnet.138 Soweit die Infrastruktur betroffen ist,
kann von einem Infrastrukturgewährleistungsauftrag gesprochen werden. Bei
der Vorschrift handelt es sich um eine Staatszielbestimmung. Solche Bestimmungen zeichnen sich zum einen dadurch aus, dass sie den Staat zunächst objektiv-rechtlich verpflichten, ohne dass diese Inpflichtnahme mit einem subjektiven Recht auf Durchsetzung der Verpflichtung korrespondieren muss.139 Zum
anderen macht es den Charakter von Staatszielbestimmungen aus, dass diese
den Staat zwar zur Erreichung eines Ziels in Anspruch nehmen, ihm aber weitestgehend die Art und Weise der Zielerreichung überlassen.140 Dies zeigt auch
der auf Ausgestaltung angelegte Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 4 S. 2
GG, der dem Bundesgesetzgeber die Regelung des Näheren aufgibt. Soweit
dem Wohl der Allgemeinheit beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der
Eisenbahnen des Bundes Rechnung getragen werden muss, ergibt sich aus
138
Siehe z. B. Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 180; Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 63. Vgl.
ferner Scholz (Fn. 20), S. 48 f.
139
Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 182; Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 62.
140
Vgl. Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 182;
52
Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG aber ein Mindestniveau, das die Grundversorgung sichert und als verfassungsrechtlich gebotenes Untermaß nicht unterschritten
werden darf.141 Zur Bestimmung des Mindestniveaus können und müssen aus
dem erreichten Niveau der Infrastruktur Rückschlüsse gezogen werden.
2.
Der Inhalt der Gewährleistungsverpflichtung
Gegenstand des Gewährleistungsauftrags sind die Eisenbahnen des Bundes,
gemäß der Definition des Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 a GG also die Eisenbahnen, welche ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen. Mit den Eisenbahnen des Bundes werden sowohl die Eisenbahnverkehrsunternehmen als
auch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen in Bezug genommen. Während
der Bund die Mehrheit seiner Anteile an den Verkehrsunternehmen oder alle
Anteile von Verfassungs wegen veräußern dürfte, so dass diese Unternehmen
die Eigenschaft von Eisenbahnen des Bundes verlieren, müssen die Infrastrukturunternehmen wegen des in Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG normierten Mehrheitseigentumserfordernisses stets Eisenbahnen des Bundes bleiben (B. II.). Der
Bund darf sich somit seinem Gewährleistungsauftrag in Bezug auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht durch Veräußerung entziehen. Zu dem
auszubauenden und zu erhaltenden Schienennetz gehören auch die notwendigen Anlagen des Netzes, wie insbesondere die Bahnhöfe.142 Der Infrastrukturauftrag gilt auch für das Nahverkehrsnetz. Die Ausnahmeklausel des Art. 87 e
Abs. 4 S. 1 GG („soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen“) bezieht sich lediglich auf den Betrieb des Schienenverkehrs.
Das Ziel des Gewährleistungsauftrags liegt in der Verwirklichung des Allgemeinwohls. Wie sich der als Regelbeispiel ausgestalteten Formulierung „insbesondere“ entnehmen lässt, können neben den ausdrücklich genannten Verkehrsbedürfnissen weitere Belange des Wohls der Allgemeinheit vom Bund zu
berücksichtigen sein. Hierbei kann es sich etwa um Aspekte des Umweltschut-
141
Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 182; Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 16; Gersdorf (Fn.
25), Art. 87 e Rn. 67 mit weiteren Nachweisen.
142
Vgl. bereits B. I.
53
zes oder um wirtschaftspolitische Erwägungen handeln.143 Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Gemeinwohlbelangen müssen im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich gebracht werden.144
Der Gewährleistungsauftrag gilt nicht nur für eine Übergangszeit, sondern ist
auf Dauer angelegt.145 Die Annahme, es handele sich um eine Residual- oder
Reservekompetenz146, verfehlt den verfassungsrechtlichen Gehalt des Gewährleistungsauftrags. Der Bund soll seine Einflussnahmemöglichkeiten aktualisieren können, um dem gebotenen Maß an Berücksichtigung insbesondere der
Verkehrsbedürfnisse Rechnung zu tragen. Dies erfordert nicht eine permanente
Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen, aber eine nachhaltige
Einwirkung für den Fall, dass der Bund eine Vernachlässigung des Wohls der
Allgemeinheit, insbesondere der Verkehrsbedürfnisse, erkennt.
Wenn Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG eine Berücksichtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der Verkehrsbedürfnisse, „beim Ausbau und Erhalt des
Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes“ fordert, folgt daraus negativ,
dass ein kontinuierlicher und systematischer Abbau des Schienennetzes der
Verfassung widerspräche. Ob dem Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG in positiver Hinsicht
ein Optimierungsauftrag entnommen werden kann, mag dahinstehen. Wie sich
aus einem Umkehrschluss zu Art. 87 e Abs. 5 S. 2 GG ergibt, sind einzelne
Streckenstilllegungen jedenfalls nicht ausgeschlossen. Doch müssen diese in
einem angemessenen Verhältnis zu den auf Erhaltung und Ausbau des Schienennetzes gerichteten Maßnahmen stehen.147 Da neben dem Erhalt ausdrücklich auch von Ausbau des Schienennetzes gesprochen wird, kann dem Grundgesetz der Wille zur Verbesserung sowie zur Vergrößerung des Schienennetzes entnommen werden.148
143
Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 16 a.
144
Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 67; Windthorst (Fn. 82), Art. 87 e Rn. 51.
145
Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Rn. 69; Wieland (Fn. 51), Art. 87 e Rn. 15. A. A. SchmidtAßmann/Röhl, DÖV 1994, S. 577 (582).
146
Vgl. Hommelhoff/Schmidt-Aßmann, ZHR 160 (1996), S. 521 (527).
147
Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 185.
148
Vgl. Uerpmann (Fn. 47), Art. 87 e Rn. 16 b.
54
II.
Die in Betracht kommenden Wege zur Sicherstellung der Gewährleistungsverpflichtung
Um seinem Infrastrukturgewährleistungsauftrag nachkommen zu können, muss
der Bund über adäquate Ingerenzbefugnisse verfügen. Es stellt sich die Frage,
ob es sich hierbei um externe oder unternehmensinterne Einflussnahmerechte
handeln muss respektive ob beide Arten der Einflussnahmerechte in Betracht
kommen (1.). Ferner soll kurz darauf eingegangen werden, welcher Instrumente
sich der Bund zur Einflussnahme bedienen darf (2.).
1.
Externe und interne Einflussnahmerechte des Bundes
Im Schrifttum ist umstritten, auf welchem Wege der Bund seiner Einwirkungspflicht zur Durchsetzung des Infrastrukturgewährleistungsauftrags nachzukommen hat.149 In Betracht kommt sowohl eine externe Einwirkung – etwa um die
Sicherheit zu gewährleisten150, den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zu garantieren151 oder den Erhalt und den Ausbau der Bundesschienenwege mittels
Zuschussgewährung und damit verbundenen Zweckvorgaben zu ermöglichen152 – als auch eine unternehmensinterne Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen kraft der Eigentümerstellung des Bundes.
Von Gersdorf ist die Auffassung vertreten worden, dass der Bund seiner Verpflichtung aus Art. 87 e Abs. 4 GG nicht durch interne Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nachkommen dürfe, weil Art. 87 e Abs. 3 S. 1
GG die Wirtschaftlichkeit zum bestimmenden Unternehmenszweck erkläre und
eine Instrumentalisierung der Eisenbahnen des Bundes (einschließlich der Eisenbahninfrastrukturunternehmen) für außerökonomische Zwecke daher unzu-
149
Vgl. die Meinungsübersicht bei Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 90.
150
Vgl. § 4 AEG.
151
Vgl. § 14 AEG.
152
Vgl. §§ 3 ff., 6 ff., 12 ff. BSEAG-E. Zu den behördlichen Zuständigkeiten siehe Hermes/Schweinsberg, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), § 5 Rn. 57 ff.
55
lässig sei.153 Doch hat Gersdorf diese Ansicht mittlerweile aufgegeben. So hat
er im Rahmen der Anhörung vor dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages am 23. Mai 2007 ausgeführt, dass der
Schienenwegevorbehalt der Verwirklichung des Art. 87 e Abs. 4 GG diene. Er
sei funktional auf dieses Ziel bezogen. Zwar folge aus dem Schienenwegevorbehalt keine Verpflichtung zur gesellschaftsinternen Einwirkung auf die Infrastrukturunternehmen. Aber „selbstverständlich“ könne dieser Weg beschritten
werden.154 Dass der früher vertretenen Auffassung von Gersdorf nicht zu folgen
ist, ergibt sich bereits aus den zuvor getroffenen Ausführungen.155 Art. 87 e
Abs. 3 GG legt die Eisenbahninfrastrukturunternehmen gerade nicht ausschließlich auf erwerbs-wirtschaftliche Ziele fest. Vielmehr können und dürfen
immer auch Gemeinwohlziele verfolgt werden. Demgemäß ist in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden (nunmehr wohl allgemeinen) Meinung davon
auszugehen, dass auch die über die Eigentümerstellung vermittelten internen
Einwirkungsmöglichkeiten ein legitimes Mittel zur Einlösung der Gewährleistungsverantwortung des Art. 87 e Abs. 4 GG darstellen.156
Es stellt sich dann nur noch die Frage, ob der Bund auch auf eine unternehmensinterne Einwirkung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwecks
Durchsetzung des Gewährleistungsauftrags verzichten dürfte. Folgt man der
Ansicht von Gersdorf, muss die Frage bejaht werden. Doch ist dieser Auffassung – wiederum im Einklang mit der herrschenden Meinung157 – nicht zu folgen. Art. 87 e Abs. 3 GG „steht neben, ja sogar vor“158 Art. 87 e Abs. 4 GG und
153
Vgl. Gersdorf (Fn. 25), Art. 87 e Abs. 4 Rn. 73 ff. Dazu bereits B. III.
154
Vgl. die öffentliche Anhörung im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
Protokoll (Fn. 17), S. 14. Vgl. auch die schriftliche Stellungnahme von Gersdorf vom 14.
5. 2007, abgedruckt in Anlage 1 zum Protokoll (Fn. 17), S. 3: „Art. 87 e Abs. 4 GG verpflichtet den Bund jedoch nicht dazu, … im Rahmen der Beteiligungsverwaltung (‚von
innen’) die Infrastruktursicherungsgarantie zu verwirklichen. Er kann auch auf anderem
Wege, durch Steuerung ‚von außen’, das Gewährleistungsziel zu erreichen suchen. Sub
specie des Art. 87 e Abs. 4 GG ist allein maßgebend, dass der Bund seiner Infrastruktursicherungsverpflichtung nachkommt. Nicht das „Wie“, sondern allein das „Ob“ steht im
Sinnzentrum des Gewährleistungsgarantie des Art. 87 e Abs. 4 GG“.
155
Vgl. B. III.
156
Siehe statt vieler Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 91.
157
Vgl. Möstl (Fn. 43), Art. 87 e Rn. 89; Burger (Fn. 64), S. 71 ff.
158
Uerpmann-Wittzack, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 7.
56
kann durch diesen nicht ersetzt werden. Gerade weil der Bundesrat Bedenken
gegen die Funktionsfähigkeit einer bloßen Reglementierung „von außen“ hatte
und deshalb darauf Wert legte, dass das Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen beim Bund verbleibt, kam es zur Aufnahme des Schienenwegevorbehalts in das Grundgesetz.159 Der Eigentümer eines Unternehmens verfügt über andere Möglichkeiten als eine außenstehende Regulierungsinstanz.160
Auch als Eigentümer darf der Bund keine Interessen vertreten, die mit seiner
verfassungsrechtlichen Verpflichtung, dem Wohl der Allgemeinheit beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes Rechnung zu tragen, nicht vereinbar sind.
Somit dienen sowohl die internen als auch die externen Steuerungsmöglichkeiten des Bundes der Durchsetzung seiner Gewährleistungsverpflichtung. In der
Summe müssen die Einwirkungsmöglichkeiten so beschaffen sein, dass die
Gewährleistungsverpflichtung erfüllt wird.161
2.
Die Instrumente der Einflussnahme des Bundes
Der Gestaltungsspielraum des Bundes bei der Realisierung des als Staatszielbestimmung ausgeformten Gewährleistungsauftrags kommt auch bei der Wahl
der Mittel zum Tragen. Der Bund kann sich zur Durchsetzung seines Gewährleistungsauftrags der Rechtsformen des öffentlichen und des privaten Rechts
bedienen und sowohl einseitig verbindliche Regelungstechniken in Anspruch
nehmen als auch kooperative Handlungsformen verwenden. Das Austarieren
der verschiedenen Formen des Tätigwerdens liegt im Ermessen des Gesetzgebers.
III.
Ergebnis
159
Vgl. BT-Drs. 12/5015, S. 11; siehe auch Hermes, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 51), S.
2.
160
Vgl. auch die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (Fn. 13), S. 5, wonach
bei einer Steuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen „von außen“ an Stelle einer
Einwirkung „von innen“ der Bund die „Schienenwegepolitik … letztlich aus der Hand“
gibt.
161
Vgl. auch Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 2.
57
1.
Art. 87 Abs. 4 S. 1 GG enthält einen auf Gewährleistung des Wohls der
Allgemeinheit bezogenen Auftrag des Bundes in Gestalt einer Staats
zielbestimmung.
2.
Zur Sicherstellung des Gewährleistungsauftrags kann sich der Bund externer oder interner Einflussnahmerechte bedienen und sowohl die
Rechtsformen des öffentlichen oder privaten Rechts als auch einseitig
verbindliche oder kooperative Regelungstechniken in Anspruch nehmen.
3.
Die Einwirkungsrechte des Bundes nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG stehen
neben denen aus Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG und vermögen letztere
nicht zu ersetzen.
58
D.
Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes mit dem Schienenwegevorbehalt des
Art. 87 e Abs. 3 GG
Um die Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit dem Schienenwegevorbehalt des Art. 87 e
Abs. 3 GG überprüfen zu können, soll zunächst näher auf die Eigentumskonstruktion des Entwurfs als solche eingegangen werden (I.). Darauf aufbauend
ist zu untersuchen, ob die verfassungsrechtlich geschützten vermögenswerten
Rechte des Bundes an den Eisenbahneninfrastrukturunternehmen (II.) und die
verfassungsrechtlich geforderten Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf
die Eisenbahneninfrastrukturunternehmen (III.) gewahrt werden. Ferner ist der
Frage nachzugehen, ob der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der
Eisenbahnen des Bundes mit dem Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 4
GG vereinbar ist (IV.). Abgeschlossen werden soll dieser Teil der Untersuchung
mit einer Feststellung des Ergebnisses und einem Resümee (V.).
I.
Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes
Wie ausgeführt162, sollen nach dem Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes mit Inkrafttreten dieses Gesetzes sämtliche Anteile der Deutschen
Bahn AG an der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der DB Energie
GmbH auf die Bundesrepublik Deutschland übergehen. Auch bisher gehörten
die genannten Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwar – mittelbar – dem
Bund, weil es sich um hundertprozentige Tochterunternehmen der allein vom
Bund getragenen Deutschen Bahn AG handelt. Doch soll die Rechtsstellung
der Deutschen Bahn AG als Gesellschafterin der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nunmehr auf den Bund übertragen werden. Dies erweckt den Anschein, dass die Eigentumsposition des Bundes gestärkt werden soll. Tatsächlich spricht die Gesetzesbegründung des Eisenbahnenstrukturgesetzes davon,
dass die Übertragung der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
162
Vgl. A. I. 1. c) (2).
59
von der Deutschen Bahn AG auf den Bund eine wesentliche Stärkung der Position des Bundes bedeute.163 Von einer Stärkung der Rechte des Bundes kann
indessen keine Rede sein. Der Bund wird gerade nicht in die Lage versetzt, von
seinem unmittelbaren Anteilseigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen wie ein Gesellschafter Gebrauch machen zu können. Vielmehr schreibt § 2
Abs. 1 BESG-E vor, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen der
Deutschen Bahn AG eine Vollmacht zur Ausübung der Stimmrechte in den
Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen erteilen muss. Dies wirft die Frage auf, was der Sinn einer
solchen Rechtskonstruktion sein soll.
Die Übertragung der Anteile der Deutschen Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf den Bund dient nach § 1 S. 2 BESG-E „der Sicherung
der wirtschaftlichen Übernahme dieser Beteiligungen durch den Bund unter den
Voraussetzungen der §§ 5 und 6 und dient damit der Erfüllung der Vorgaben
des Bundesschienenwegegesetzes durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (Sicherungsübertragung)“. Die Bezeichnung „Sicherungsübertragung“ ist
ganz und gar irreführend.164 Nach dem Entwurf des Eisenbahnstrukturgesetzes
soll die „Sicherungsübertragung“ der „Erfüllung der Vorgaben des Bundesschienenwegegesetzes“ dienen. Um gesetzliche Vorgaben sicherzustellen, bedarf es jedoch keiner Übertragung von Gesellschaftsanteilen. Vielmehr müssen
Gesellschaften und Gesellschafter ohnehin die bestehenden gesetzlichen Vorgaben beachten. Dies gilt zumal dann, wenn diese auf das Grundgesetz (Art.
87 e) zurückgehen, also verfassungsrechtlich fundiert sind.165 Hinzu kommt,
dass der Bund im Zeitpunkt der Übertragung der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen bereits alleiniger – wenn auch nur mittelbarer – Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ist. Wenn es dem Gesetzgeber
darauf ankommen sollte, dem Bund unmittelbares Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu verschaffen, damit noch effektiver auf die Unter163
Vgl. Gesetzesbegründung S. 53. Ebenso Scholz (Fn. 20), S. 23 (der Bund wird „gegenüber der bisherigen Rechtslage … deutlich gestärkt“).
164
Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 35.
165
Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 35.
60
nehmen zwecks Einhaltung der gesetzlichen Pflichten eingewirkt werden kann,
wäre die schlichte Übertragung der Anteile auf den Bund der richtige Weg. Unklar bleibt auch, warum die „Sicherungsübertragung“ gerade der Erfüllung der
Vorgaben des Bundesschienenwegegesetzes dienen soll. Das maßgebliche Instrumentarium des Bundesschienenwegegesetzes, das dem Bund eine aktive
Einflussnahme auf das unternehmerische Handeln der Eisenbahneninfrastrukturunternehmen ermöglicht, ist der Abschluss von Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen über den Erhalt der Schienenwege (§ 4 BSEAG-E) und
der Abschluss von Finanzierungsvereinbarungen über den Ausbau der Schienenwege (§ 20 BSEAG-E). Ist ein Unternehmen auf Zuschüsse des Bundes
angewiesen, können solche (nicht gesellschaftsrechtlich vermittelten) Vereinbarungen aber mit allen Unternehmen ohne vorherige Sicherheitsübertragung abgeschlossen werden.
Bei Zugrundelegung des normalen Sprachgebrauchs setzt eine Sicherungsübertragung einen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer voraus. Tatsächlich spricht die Begründung des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes von einem Sicherungsverhältnis zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG,
das allerdings allein das Innenverhältnis betreffen soll.166 Träfe diese Beschreibung zu, müsste der Bund etwas von der Deutschen Bahn AG bekommen, was
an sich der Deutschen Bahn AG zusteht. Am ehesten könnte an eine Sicherungsübereignung gedacht werden. Darunter versteht man eigennütziges Treuhandeigentum, das den Erwerber oder einen Dritten wegen einer Forderung
gegen den Veräußerer oder einen Dritten sichert, indem es bei Nichterfüllung
zu deren Befriedigung verwertet werden darf.167 Wie die §§ 246 Abs. 1 S. 2
HGB168 und 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 169 zeigen, werden Sicherungsübereignungen
166
Vgl. Gesetzesbegründung, S. 53.
167
Bassenge, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl. 2007, § 930 BGB Rn. 13.
168
Die Vorschrift lautet: „Vermögensgegenstände, die unter Eigentumsvorbehalt erworben
oder an Dritte für eigene oder fremde Verbindlichkeiten verpfändet oder in anderer Weise
als Sicherheit übertragen worden sind, sind in die Bilanz des Sicherungsgebers aufzunehmen.“
169
Die Vorschrift lautet: „Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen. Bei Treuhandverhältnissen
61
oder gleichgerichtete Sicherungsübertragungen auch im Handelsrecht170 und im
Abgabenrecht171 als zulässig angesehen. Ferner ist im Gesellschaftsrecht anerkannt, dass auch Gesellschaftsanteile im Rahmen einer Sicherheitsübertragung
so übertragen werden dürfen, dass der Sicherungsnehmer die Beteiligung als
Sicherheit hält. Dies gilt sowohl für Aktien als auch für Gesellschaftsanteile an
einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.172 Kennzeichen einer Sicherungsübereignung oder gleichgerichteten Sicherungsübertragung ist es, dass die
Rechtsinhaberschaft am Vermögensgegenstand zwar übertragen wird, der
neue Rechtsinhaber aber im Innenverhältnis zum Übertragenen nur die Stellung
eines Pfandgläubigers erhält. Wird die Verpflichtung des Sicherungsgebers gegenüber dem Sicherungsnehmer erfüllt, hat der Sicherungsgeber (sofern die
Übertragung nicht ohnehin nur auflösend befristet oder bedingt erfolgte) aus der
Sicherungsabrede einen durchsetzbaren Anspruch auf Rückübertragung des
Sicherungsgutes. Kommt der Sicherungsgeber seinen Verpflichtungen hingegen nicht nach, darf der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut zu Lasten des
Sicherungsgebers verwerten und sich aus dem Erlös befriedigen.173
Die in § 1 S. 2 BESG-E vorgesehene „Sicherungsübertragung“ lässt sich mit
keinem der bisher im Privatrecht bekannten Fälle einer Sicherungsübereignung
oder Sicherungsübertragung vergleichen.174 Vielmehr werden gänzlich andere
sind die Wirtschaftsgüter dem Treugeber, beim Sicherungseigentum des Sicherungsgeber
und beim Eigenbesitz dem Eigenbesitzer zuzurechnen.“
170
Hüttemann, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, abgedruckt in der
Anlage 1 des Wortprotokolls zur Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 23.5.2007, Protokoll Nr. 16/40, S. 1 f.; Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme zum Antrag BT-Drs. 16/4413, vom 20.5.2007, abgedruckt in der Anlage 1 des
Wortprotokolls zur Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am
23.5.2007, Protokoll Nr. 16/40, S. 2.
171
Vgl. Brockmeyer, in: Klein(Hrsg.), Abgabenordnung, 9. Aufl., 2006, § 39 Rn. 10 ff.
172
Vgl. allgemein Quack, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6, 3. Aufl. 1997, Anh.
§§ 929-936, Rn. 6; Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften, 2000,
S. 42; Schäfer, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 38; zum Aktienrecht: Kümpel, Bank- und
Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2000, Rn. 16. 380 ff.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 12 Rn. 75; zum GmbH-Recht: Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 30 Rn. 5.
173
Vgl. auch Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 2.
174
Vgl. auch Hüttemann, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 1; Kleindiek (Fn. 170), S.
2 f. Nach Möllers/Schäfer (Fn. 18) ist eine völlig eindeutige zielrechtliche Qualifikation
der durch § 1 S. 2 BESG-E gestalteten Rechtsverhältnisse nicht möglich. Die Konstrukti-
62
Zwecke als mit einer üblichen Sicherungsübertragung verfolgt. Zwar ist der
Umstand, dass nicht Ansprüche gegen die (allein als Sicherungsgeber in Betracht kommende) Deutsche Bahn AG, sondern Verbindlichkeiten eines Dritten
– die Erfüllung der Vorgaben des Bundesschienenwegegesetzes durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (§ 1 S. 2 BESG-E) – gesichert werden sollen,
mit der Vorstellung einer Sicherungsübertragung noch vereinbar. Doch werden
keine Ansprüche gesichert, die vom Eigentum abgelöst eigene wirtschaftliche
Interessen verkörpern, sondern gesetzliche Pflichten.175 Die gesetzlichen Pflichten haben keinen vorübergehenden, sondern dauerhaften Charakter, weil sie
die verfassungsrechtlich vorgegebene Infrastrukturverantwortung des Bundes
umsetzen. Dementsprechend ist die Rolle des Bundes nicht auf die eines
„Pfandgläubigers“ beschränkt.176 Vielmehr werden die Anteile der Deutschen
Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen vorbehaltslos übertragen
und stehen nicht unter einer Befristung oder auflösende Bedingung.177 Ebenso
fehlt es an einem dinglichen oder schuldrechtlichen Rückübertragungsanspruch
der Deutschen Bahn AG bei Wegfall des Sicherungszwecks.178 Vielmehr bleiben die Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei Beendigung der
„Sicherungsübertragung“ entweder unter Wegfall des Sicherungszwecks beim
Bund (§ 6 BESG-E) oder der Bund darf völlig frei entscheiden, wie anderweitig
verfahren werden soll (§ 5 BESG-E). Des Weiteren dürfen die Anteile an den
Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei Wegfall des Sicherungszwecks nicht –
wie bei Sicherungsübertragungen üblich – zu Lasten des Sicherungsgebers (also der Deutschen Bahn AG) verwertet werden, die Deutsche Bahn AG erhält im
Gegenteil mit Beendigung der „Sicherungsübertragung“ immer einen Wertausgleich (§§ 6, 7 BESG-E). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Bund derzeit Alleininhaber des Deutsche Bahn AG-Konzerns ist. Es stellt sich daher die
Frage, was er überhaupt erlangt, wenn er gleichzeitig verpflichtet wird, der
Deutschen Bahn AG eine Vollmacht zur Ausübung der Stimmrechte in den
on weise sowohl Elemente des Nießbrauchs als auch der Verwaltungstreuhand auf. Am
besten ließe sie sich noch als atypische Verwaltungstreuhand einordnen.
175
Masing (Fn. 19), S. 35.
176
Vgl. Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 3.
177
Vgl. Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 3.
178
Vgl. Hüttemann, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 1.
63
Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu erteilen (§ 2 Abs. 1 BESG-E).
Eine falsa demonstratio stellt es dar, wenn § 1 S. 2 BESG-E nicht nur von „Sicherungsübertragung“, sondern weitergehend davon spricht, dass die Übertragung der „wirtschaftlichen“ Übernahme der Beteiligungen an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch den Bund dient. Von einer Möglichkeit des Bundes, die ihm übertragenen Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
wirtschaftlich nutzen zu können, kann keine Rede sein, weil der Bund seine
Gesellschafterrechte im Wege einer Stimmrechtsvollmachtserteilung an die
Deutsche Bahn AG sogleich wieder abtreten muss.
Der Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes verfolgt das Ziel, das
juristische und wirtschaftliche Eigentum an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu trennen. Dem Bund soll – von einigen Modifikationen abgesehen
(§§ 2 Abs. 2, 3 BESG-E) – nur das juristische Eigentum zustehen, der Deutschen Bahn AG die wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten. Wie die Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich hervorhebt, sollen die Gesetze zur
Vollendung der Eisenbahnstrukturreform die im Beschluss des Deutschen Bundestages vom 24. November 2006 genannten Eckpunkte umsetzen.179 Der
Deutsche Bundestag hatte sich dafür ausgesprochen, dass bei einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG die steuerfinanzierte Eisenbahninfrastruktur im Eigentum des Bundes stehen muss, die Deutsche Bahn AG aber bis auf
weiteres die integrierte Bewirtschaftung und Betriebsführung des Netzes wahrnehmen darf. Dementsprechend soll die Deutsche Bahn AG die Möglichkeit erhalten, „Schienenverkehr und Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit zu
betreiben und zu bilanzieren“.180 Gleichlautend sah § 1 Abs. 2 des Gesetzentwurfs für ein Bundeseisenbahnenstrukturgesetz in der Fassung vom 8. März
2007 noch ausdrücklich vor: „Die Deutsche Bahn AG betreibt und bilanziert
Schienenverkehr und Eisenbahninfrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit“.
In der nunmehr von der Bundregierung beschlossenen Fassung des Bundesei179
Gesetzesbegründung, S. 41.
180
Vgl. Nr. 5 des Forderungskatalogs des Deutschen Bundestages, wiedergegeben unter A. I.
1. c) (1).
64
senbahnenstrukturgesetzes fehlt zwar diese Vorschrift. Doch ändert dies nichts
an der gesetzgeberischen Konzeption einer Trennung von juristischem und
wirtschaftlichem Eigentum.
So soll die Ausübung der Gesellschafterrechte des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen vorbehaltlich der in § 6 BESG-E genannten Fälle zunächst für die Dauer von fünfzehn Jahren (§ 5 Abs. 1 BESG-E), zuzüglich drei
Jahren Abwicklungszeit (§ 5 Abs. 2 BESG-E), insgesamt also für achtzehn Jahre auf die Deutsche Bahn übertragen werden (§ 2 Abs. 1 BESG-E), damit „auch
nach der Sicherungsübertragung der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen wirtschaftlich weiterhin die DB AG die Gesellschafterrechte in allen
laufenden Angelegenheiten der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ausübt und
damit zur Bilanzierung berechtigt und verpflichtet bleibt“.181 Nach § 2 Abs. 3
BESG-E können zwischen der Deutschen Bahn AG und den Infrastrukturunternehmen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträge bestehen. Laut Gesetzesbegründung soll die gesetzliche Regelung gewährleisten, „dass sowohl
bereits bestehende Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge fortbestehen als auch neue Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge abgeschlossen werden können. Dadurch wird sichergestellt, dass die Deutsche
Bahn AG und Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch nach Übergang des juristischen Eigentums an den Anteilen auf den Bund einen Konzern bilden und
die Aktiva und Passiva der Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Rahmen des
Jahresabschlusses der DB AG bilanziert werden können“.182 Ferner tritt der
Bund gemäß § 2 Abs. 4 BESG-E für den Fall der Beendigung von Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträgen zwischen der Deutschen Bahn AG
und Eisenbahninfrastrukturunternehmen Auszahlungsansprüche aufgrund von
Gewinnverwendungsbeschlüssen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen an
die Deutsche Bahn AG ab. Dies wird damit begründet, dass der Bund aufgrund
der „Sicherungsübertragung“ der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zwar Inhaber der Anteile werde, die mit den Anteilen verbundenen
wirtschaftlichen Chancen und Risiken aufgrund des Sicherungszwecks der An181
Gesetzesbegründung, S. 54.
182
Gesetzesbegründung, S. 57.
65
teilsübertragung aber unverändert der Deutschen Bahn AG zustünden. Daher
habe die Deutsche Bahn AG als wirtschaftlich Berechtigte weiterhin die mit den
Anteilen verbundenen Gewinnansprüche.183 Der für den Fall der Beendigung
der „Sicherungsübertragung“ der Deutschen Bahn AG „[f]ür den Verlust der
wirtschaftlichen Chancen und Risiken“184 zu gewährende Wertausgleich (§ 7
BESG-E) soll selbst im Falle der Beendigung der „Sicherungsübertragung“ wegen außerordentlicher Kündigung aus wichtigem Grund oder rechtskräftiger
Feststellung einer wiederholten Pflichtverletzung der zur Deutschen Bahn AG
gehörenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen gezahlt werden (§ 6 Abs. 2 S.
2 HS 2 BESG-E i. V. m. § 7 BESG-E). Soweit zugunsten des Bundes Zustimmungsvorbehalte normiert werden (§§ 2 Abs. 2, 3 BESG-E), sollen diese einer
Bilanzierung der Eisenbahninfrastruktur bei der Deutschen Bahn nicht entgegenstehen.185 Dies wird wie folgt begründet:
„Da ein Hauptzweck der Bilanz in der zutreffenden Darstellung der
tatsächlichen Vermögenslage des Kaufmanns besteht, bestimmt
sich die Vermögenszurechnung daneben auch nach wirtschaftlichen Kriterien. Wenn ausnahmsweise das rechtliche Eigentum an
Sachen oder die rechtliche Inhaberschaft an Rechten oder Forderungen und die wirtschaftliche Verfügungsgewalt an diesen Vermögensgegenständen auseinanderfallen, kommt daher unter dem
Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine von
den zivilrechtlichen Eigentums- und Inhaberverhältnissen abweichende bilanzielle Zurechnung des betreffenden Vermögensgegenstandes in Betracht.“186
Ein bloß juristisches Eigentum des Bundes an den Eisenbahneninfrastrukturunternehmen ist offensichtlich mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar.
Wie gezeigt wurde, ergibt sich aus der Vorschrift, dass dem Bund jedenfalls die
sich aus der Mehrheit der Anteile an einem Unternehmen ergebenden Vermögensrechte und Einflussrechte nicht genommen werden dürfen.187 Tatsächlich
beschränkt deshalb der Entwurf des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes den
183
Gesetzesbegründung, S. 57.
184
Gesetzesbegründung, S. 61.
185
Gesetzesbegründung, S. 54.
186
Gesetzesbegründung, S. 55.
187
Vgl. B. IV. 3.
66
Bund nicht nur auf die Stellung eines juristischen Eigentümers, sondern räumt
ihm auch bestimmte Einflussrechte ein (namentlich Zustimmungsrechte nach
Maßgabe der §§ 2 Abs. 2, 3 BESG-E) und das Recht, Mitglieder in den Aufsichtsrat der Eisenbahneninfrastrukturunternehmen zu entsenden.188 Ob dies
den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, wird noch zu klären sein.189
Für die grundsätzliche Beurteilung der dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes zugrunde liegenden Eigentumskonstruktion genügt es, darauf hinzuweisen, dass Einflussrechte des Bundes notwendigerweise das – einem anderen übertragene – wirtschaftliche Eigentum
entwerten.
Ob es möglich ist, die verfassungsrechtliche Zielsetzung (Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben) mit der wirtschaftlichen Zielsetzung (Hingabe des
wirtschaftlichen Eigentums) zum Einklang zu bringen, ist äußerst zweifelhaft.
Vieles spricht für die Annahme, dass die Erfüllung des einen Ziels notwendigerweise die Verletzung des anderen zur Folge haben muss. Nicht von ungefähr haben mit einer Ausnahme (Prof. Gersdorf) alle von dem Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages angehörten
Verfassungsrechtler davon gesprochen, dass der Entwurf eines Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes eine „Quadratur des Kreises“
anstrebe.190 Eine Quadratur des Kreises kann bekanntlich nicht gelingen. Der
Wirtschaftsrechtler Prof. Kleindiek hat dies aus wirtschaftsrechtlicher Sicht bestätigt.
„Die Bilanzierungsfähigkeit der EIU-Anteile im Einzelabschluss der
DB AG unter dem Gesichtspunkt ‚wirtschaftlichen Eigentums’ setzt
voraus, dass sich der Bund auf eine formal-rechtliche Stellung als
Anteilsinhaber beschränkt und von den mit der Rechtsinhaberschaft typischerweise verbundenen Einwirkungsmöglichkeiten
dauerhaft zugunsten der (kapitalprivatisierten) DB AG ausge188
Vgl. § 4 BESG-E.
189
Vgl. die Ausführungen zu D. II. und III.
190
Vgl. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages, Protokoll (Fn. 17), S. 7 (Prof. Uerpmann-Wittzack), 16 (Prof. Fehling), 24 (Prof. Hermes),
42 (Prof. Uerpmann-Wittzack). Zu Prof. Kirchhof vgl. die Bezugnahmen auf den S. 16,
31.
67
schlossen wird. Der Entschließungsantrag … verlangt jedoch
zugleich, dass ‚juristische Risiken für die eigentümerrechtliche Position des Bundes ausgeschlossen werden müssen’. Beides ist
nicht in Einklang zu bringen. Schon gar nicht, wenn das Verfassungsrecht die Aufgabe eigentumsadäquater Einflussmöglichkeiten des Bundes auf die EIU gerade verbieten sollte. Die … Kompromissformel des ‚sowohl als auch’ wird offenbar von den Realitäten des Rechts eingeholt.“191
In jedem Falle würde der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs ein erhebliches verfassungsrechtliches Risiko eingehen.
Reichen die dem Bund überlassenen Rechtspositionen nicht aus, wird Art. 87 e
Abs. 3 S. 2 u. 3 GG verletzt. Genügen die Rechte des Bundes dagegen den Anforderungen dieser Vorschrift, könnte der von dem Gesetz zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes hervorgerufene, dem Gesetzgeber zuzurechnende Eindruck, die Deutsche Bahn AG sei wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen, unter Umständen die grundrechtlich geschützten Interessen der privaten Aktionärserwerber verletzen und haftungsrechtliche
Konsequenzen nach sich ziehen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich das
Gebot der Normenklarheit192 und Widerspruchsfreiheit193, das bei Missachtung
jedenfalls zu einer rechtswidrigen Beeinträchtigung der durch Art. 2 Abs. 1 GG
geschützten Handlungsfreiheit führen kann.194 Dahingestellt bleiben kann hier,
ob eine Bilanzierung der Eisenbahninfrastruktur-Anteile bei der Deutschen
Bahn AG überhaupt zulässig ist.195
191
Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 7.
192
Vgl. allgemein dazu BVerfGE 99, 216 (243); 103, 21 (33); 108, 1 (20); 114, 1 (53).
193
Vgl. BVerfGE 25, 216 (227); 98, 83 (97); 98, 265 (301).
194
Art. 2 Abs. 1 GG ist nach der Rechtsprechung des BVerfG ein „Grundrecht des Bürgers,
nur aufgrund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, die formell und
materiell der Verfassung gemäß sind“ (BVerfGE 29, 402, 408).
195
Krit. Bundesministerium der Finanzen (Fn. 16), S. 4, wonach es für die Zuordnung des
wirtschaftlichen und bilanziellen Eigentums an den Eisenbahneninfrastrukturunternehmen bei der Deutschen Bahn AG wichtig sei, dass tatsächlich ein typischer Fall einer Sicherungsübertragung vorliege. Dies könne nicht per Gesetz bestimmt werden. Krit.
Kleindiek, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 170), S. 1 ff.; Schäfer in: Möllers/Schäfer (Fn.
18), S. 58 ff. A. A. (trotz erheblicher Einschränkungen) Hüttemann, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 16/40 (Fn.
17), S. 11.
68
II.
Die vermögenswerten Rechte des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
1.
Die eigentumsrechtlichen Konsequenzen der Sicherungsübertragung
Tritt das Bundeseisenbahnenstrukturgesetz in Kraft, ist der Bund – wie dargelegt – für die Dauer des Bestehens der „Sicherungsübertragung“ als alleiniger
Anteilseigner zwar juristischer, nicht aber wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Dies gilt für die vermögensrechtliche Seite
der „Sicherungsübertragung“ uneingeschränkt, da die Nutzung des den Anteilen
an den Gesellschaften innewohnenden Vermögens für die genannte Zeit vollständig und ohne jede Begrenzung der Deutschen Bahn AG überlassen wird.
Handelt es sich bei Eisenbahninfrastrukturunternehmen um in den BahnKonzern eingegliederte Gesellschaften, stehen auch ihre Gewinne der Deutsche Bahn AG, nicht dem Bund, zu.196 Zusätzlich soll der Bund „den vollen Wert
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen“197 erstatten, wenn er das wirtschaftliche Eigentum nach Beendigung der „Sicherungsübertragung“ mit dem juristischen zusammenführen möchte. Dies bedeutet, dass der Bund das wirtschaftliche Eigentum zunächst an die Deutsche Bahn AG abgibt, ohne von dieser eine
Gegenleistung zu bekommen198, später aber wieder „zurückkaufen“ muss,
wenn er es selbst oder anderweitig beanspruchen will. Eine Verpflichtung zum
Wertausgleich besteht nach dem Gesetzentwurf selbst dann, wenn die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf die Deutsche Bahn AG wegen rechtskräftiger Feststellung einer wiederholten Pflichtverletzung der (von der Deut-
196
Dementsprechend bestimmt § 2 Abs. 3 BESG-E ausdrücklich, dass zwischen der Deutschen Bahn AG und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch Beherrschungs- und
„Ergebnisabführungsverträge“ bestehen können.
197
§ 7 Abs. 1 S. 2 BESG-E.
198
Die Ausübung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sowie die Inanspruchnahme der
konzernrechtlichen Steuerungsmöglichkeiten in Bezug auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen stellt keine Gegenleistung der Deutschen Bahn AG, sondern einen Vorteil dar.
69
schen Bahn AG im Konzern gesteuerten) Eisenbahninfrastrukturunternehmen
nach § 10 BSEAG-E beendet wird.199
Eine wirtschaftliche Entleerung des Eigentums durch eine – langfristige – Weggabe seines Vermögenswertes widerspricht zweifelsfrei Art. 87 e Abs. 3 S. 2
und 3 GG. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Weggabe hier an die Deutsche Bahn AG erfolgen soll und der Bund gemäß § 1 Abs. 1 DBPrivG auch
nach einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG deren Mehrheitseigentümer bleiben wird. Damit partizipiert der Bund über die Deutsche Bahn AG auch
an deren Vermögenswert. Zunächst erhofft sich der Bund wegen des integrierten Unternehmensverbundes von Deutscher Bahn AG und Eisenbahninfrastrukturunternehmen einen höheren Veräußerungserlös bei der Teilprivatisierung der
Deutschen Bahn AG. Sodann kommen eventuelle Gewinnausschüttungen der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen an die Deutsche Bahn AG mittelbar auch
dem Bund als Mehrheitsaktionär der Bahn zugute. Schließlich fließt ein Teil des
vom Bund an die Deutsche Bahn AG im Falle einer Beendigung der „Sicherungsübertragung“ zu zahlenden Wertausgleichs wegen des Mehrheitseigentums des Bundes an diesen zurück. Dennoch versteht es sich von selbst, dass
es einen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob der Bund die Vermögenswerte seiner (ihm zur Gänze gehörenden) Eisenbahninfrastrukturunternehmen
selbst realisieren kann oder ob er die Nutzung einer Gesellschaft überlässt, an
welcher er nur neben Privaten beteiligt ist. Besonders deutlich wird dies, wenn
es zu einem Wertausgleich kommen sollte. Wird die Deutsche Bahn AG zu 49
% privatisiert, würde ein Wertausgleich zur Folge haben, dass 49 % des Wertes
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen für immer den Privaten zufallen.200
2.
Die Unzulässigkeit eines de facto-Ausschlusses der (Wieder-) Zusammenführung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum
Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich noch nicht, dass die dem Entwurf
eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes zugrunde liegende vermögensrecht199
Vgl. § 6 Abs. 2 S. 2 HS 2 BESG-E i. V. m. § 7.
200
Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 37.
70
liche Konstruktion wegen Verstoßes gegen Verfassungsrecht zum Scheitern
verurteilt ist. Immerhin erlaubt Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG auch eine Privatisierung
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen selbst, solange die „Mehrheit der Anteile“ beim Bund verbleibt. Aber abgesehen davon, dass der Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes diesen Weg gerade nicht beschreitet, ergibt
sich aus der Notwendigkeit eines Verbleibs beim Bund, dass der Bund den
Zugriff auf den mit seinen Anteilsrechten verbundenen Vermögenswert an den
Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht aus der Hand geben darf. Begnügt er
sich mit Schachtelbeteiligungen, muss er in der Lage sein, diese zwecks unmittelbarer Nutzung des Vermögenswerts seiner Anteile wieder aufzulösen. Erachtet man eine Trennung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum überhaupt für zulässig, ist es daher erforderlich, dass der Bund beides wieder zusammenführen kann. Rein rechtlich gibt ihm der Entwurf des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes dazu die Möglichkeit.201 Doch reicht allein die rechtliche
Verfügungsgewalt nicht aus. Vielmehr muss sie auch tatsächlich realisiert werden können. An der Realisierbarkeit bestehen erhebliche Zweifel.
Zunächst soll die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Eisenbahninfrastrukturunternehmen für die Dauer von fünfzehn Jahren auf die Deutsche Bahn
AG übertragen werden.202 Trifft der Gesetzgeber bis zum Ablauf von fünfzehn
Jahren keine Entscheidung, verbleiben die Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen unter Wegfall des Sicherungszwecks (das heißt hier der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf die Deutsche Bahn AG) zwar beim
201
§ 5 Abs. 1 Nr. 3 BESG-E gibt dem Bund auch die Möglichkeit, nach Beendigung der „Sicherungsübertragung“ die Anteile des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
auf die Deutsche Bahn AG übergehen zu lassen. Würde der Bund diese Option wählen,
stünde er noch erheblich schlechter als nach Inkrafttreten des Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes dar, weil er dann zusätzlich seine Zustimmungsrechte gemäß §§ 2 Abs. 3, 3 BESG-E verlieren würde. Wie sich zeigen wird ( D.
II., III.), reichen bereits die im Entwurf des Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgesehenen Einflussnahmerechte des Bundes nicht aus. Daher darf der
Bund von der in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BESG-E vorgesehenen Variante – jedenfalls ohne weitere gesetzliche Regelung – keinen Gebrauch machen. Vgl. auch die Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des
BMVBS – Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes, vom 11.7.2007, Nr.
3 (S. 4), die anmerkt, dass sich eine Übertragung der Anteile an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf eine privatisierte Deutsche Bahn AG nicht mit den Eckpunkten der
Bundestags-Entschließung vereinbaren lässt.
202
Vgl. § 5 Abs. 1 BESG-E.
71
Bund. Doch endet die „Sicherungsübertragung“ bei Untätigbleiben des Gesetzgebers erst drei Jahre später, das heißt achtzehn Jahre nach Inkrafttreten des
Gesetzes.203 Der Zeitraum von fünfzehn respektive achtzehn Jahren ist außerordentlich lang. Hinzu kommt, dass es nach einer so langen Zeit sehr schwer
fallen dürfte, die in die Deutsche Bahn AG integrierten Eisenbahninfrastrukturunternehmen aus der wirtschaftlichen Einheit herauszulösen.204 Eine frühere
Beendigung der „Sicherungsübertragung“ ist nur in außergewöhnlichen Fällen
möglich.205
Vor allem aber können juristisches und wirtschaftliches Eigentum stets nur
(wieder-) zusammengeführt werden, wenn der Bund der Deutschen Bahn AG
einen Wertausgleich gewährt. Ob es eines solchen Ausgleichs bedurfte, kann
hier dahinstehen.
Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll der Wertausgleich den bestehenden Anforderungen des Verfassungs-, Unternehmens- und Gläubigerschutzrechts Rechnung tragen. Die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf den Bund stelle keine
freiwillige Veräußerung, sondern einen hoheitlich angeordneten
Eigentumsübergang dar. Deshalb seien bei der Bewertung verfassungsrechtlich gebotene Entschädigungsgrundsätze zu beachten,
die auf eine Kompensation der wegfallenden Anteile an den Eisenbahninfrastrukturgesellschaften bei der Deutschen Bahn AG
gerichtet seien. Der erforderliche kompensatorische Wertausgleich
für die Infrastruktur ergebe, dass der Bund der Deutschen Bahn
AG bei Ende der Sicherungsübertragung unter Berücksichtigung
des vollen Werts ein Äquivalent für die übertragenden Anteile leisten müsse. Die Höhe des Wertausgleichs müsse eine vollständige
Kompensation für die übertragenden Anteile darstellen.206
Dieser Argumentation ist zu widersprechen, weil der Bund juristischer Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ist, der
Gesetzgeber die wirtschaftliche Überlassung an andere im Rahmen der sich aus Art. 87 e Abs. 3 GG ergebenden Vorgaben ausgestalten darf und private Aktionäre ihre Anteile der Deutschen
Bahn AG nur in Kenntnis der Verfügungsbefugnisse der Deutschen Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen er203
Vgl. § 5 Abs. 2 BESG-E.
204
Vgl. auch Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 4.
205
Vgl. § 6 Abs. 1 BESG-E.
206
Begründung des Gesetzesentwurfs, S. 61 f., mit Bezugnahme auf die einen ganz anderen
Fall betreffende Entscheidung des BVerfGE 100, 289 (305).
72
werben können.207 Die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf den Bund nach 15 respektive 18 Jahren stellt auch keine
hoheitliche Anordnung dar. Vielmehr ist der Deutschen Bahn AG
das wirtschaftliche Eigentum nur auf Zeit überlassen worden. Von
Verfassungs wegen bedarf es daher nicht der Normierung eines
Wertausgleichs. Ein besonderer Gläubigerschutz könnte, wenn er
überhaupt erforderlich sein sollte, auch dadurch bewerkstelligt
werden, dass der Bund im Falle des Erwerbs wirtschaftlichen Eigentums die noch offenstehenden Forderungen notfalls selbst begleicht (wenn die Eisenbahninfrastrukturunternehmen dazu nicht
in der Lage sein sollten) oder eine Bürgschaft übernimmt. Erfolgt
allerdings die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG unter
dem Vorzeichen eines späteren Wertausgleichs bei Beendigung
der Sicherungsübertragung, muss der Ausgleich später auch gewährt werden, zumal die privaten Aktionäre dann einen höheren
Preis für den Erwerb der Aktien an der Deutschen Bahn AG gezahlt haben werden.
Offenbleiben kann auch, ob sich aus Art. 114 Abs. 2 GG über die Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofs hinaus ein verfassungsrechtlicher Maßstab für
jegliches staatliches Handeln herauslesen lässt208 und die Verpflichtung des
Bundes zum Wertausgleich diesem Maßstab gerecht wird (wogegen einiges
spricht). Jedenfalls hängt die Realisierbarkeit der Rückholoption des Bundes
entscheidend von der Höhe des zu zahlenden Wertausgleichs ab. § 7 BESG-E
enthält hierzu nähere Regelungen. Diese sind aber unbestimmt und lassen eine
exakte Vorhersage über den Wert der Eisenbahninfrastrukturunternehmen in
fünfzehn oder achtzehn Jahren ohnehin nicht zu.
207
Vgl. auch Uerpmann-Wittzack, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des
Deutschen Bundestages, Protokoll Nr. 16/40 (Fn. 17), S. 19 f.: „Könnte man einen Wertausgleich ausschließen? Nun, aus verfassungsrechtlicher Sicht habe ich dort bisher keine
großen Bedenken. Die DB AG gehört bisher zu 100 Prozent dem Bund. Und unter diesen
Umständen sehe ich verfassungsrechtlich nicht, wieso man nicht den Konzern umstrukturieren gegebenenfalls zerlegen können sollte, ohne dass es Wertausgleiche gibt. Sicherlich wird die Situation in dem Moment anders, obwohl man einmal Private beteiligt.
Dann ist der Staat an seine Spielregeln gebunden. Dann schafft er in dem Moment, wo
tatsächlich privatisiert wird, ggf. Eigentumspositionen im Sinne von Art. 14, die gegenüber den privaten Investoren gewahrt werden müssen. Aber noch, wo keine Privatisierung
erfolgt ist, hat – zumindest verfassungsrechtlich – der Bund freie Hand in der Gestaltung.“
208
Vgl. VerfGH RP AS 25, 387 (388, 403 f.); von Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, 1988, S. 67 ff.; Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, 2001, S. 289, 343 ff.; HoffmannRiem, in: ders./Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 20 f. (für das das Wirtschaftlichkeitsprinzip einschließende Effizienzprinzip). Krit. Siekmann in: Sachs (Fn. 82), Art. 114 Rn. 14.
73
Die Begründung des Gesetzentwurfs zur Neuordnung der Eisenbahnen des
Bundes in der Fassung vom 8. März 2007 geht noch davon aus, dass nach Beendigung der „Sicherungsübertragung“ ein sehr geringer Betrag zu zahlen sein
wird. Dies wird damit begründet, dass mit Beendigung der Übertragung auch
eine Beendigung der Finanzierungsverpflichtungen des Bundes einhergehe.
Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen hätten dann auf solche Leistungen keinen Anspruch mehr, was bei der Ermittlung des Ertragswerts zu berücksichtigen sei. „Sind zum Zeitpunkt der Beendigung der Sicherungsübertragung die
prognostizierten Erträge der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (ohne Bundeszuschüsse) niedriger als die prognostizierten Aufwendungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen, wäre der Ertragswert null. Doppelzahlungen des
Bundes sind somit ausgeschlossen.“209 Diese Betrachtungsweise ist aber auf
erhebliche Kritik gestoßen. So hat das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie darauf hingewiesen, dass der gegenwärtige Verkehrswert der EIUAnteile über acht Milliarden Euro betrage.210 Das Bundesministerium der Finanzen211 und das Institut der Wirtschaftsprüfer212 haben darauf aufmerksam gemacht, dass Zuschüsse, auf die im Rahmen der Infrastrukturverantwortung des
Bundes auch zukünftig ein Anspruch der Eisenbahninfrastrukturunternehmen
besteht, bei der Ermittlung des Verkehrswertes zu berücksichtigen seien. Allein
dieser Betrag macht aber bei einer zugesagten Unterstützung des Bundes von
bis zu 2,5 Milliarden Euro213 bis zu 37,5 Milliarden Euro für einen Zeitraum von
fünfzehn Jahren aus. Der Finanzsenator des Landes Berlin ist zu folgender Einschätzung gekommen:
„Das Primon-Gutachten von Januar 2006 (auf das sich die Bundesregierung im allgemeinen Teil der Begründung des Gesetzesentwurfs zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes bezieht)
bemisst den Wert von 49 % der DB AG bei Privatisierung im integrierten Modell auf 5,0 bis 8,7 Mrd. €. Das jetzt gewählte Eigentumssicherungsmodell war von den Gutachtern nicht untersucht
209
Begründung des Gesetzentwurfs, S. 23.
210
Stellungnahme vom 4.5.2007, S. 4.
211
Stellungnahme vom 8.5.2007, S. 7.
212
Stellungnahme vom 26.6.2007, S. 4.
213
§ 3 Abs. 2 BESAG-E.
74
worden, man geht aber sicher nicht fehl in der Annahme, dass das
wirtschaftliche Eigentum mit Rückholoption von den Investoren
nicht höher bewertet wird als das wirtschaftliche und rechtliche
Volleigentum.
Geht man dieser Überlegung folgend davon aus, dass der Verkauf
von 49 % der DB AG im Eigentumssicherungsmodell ca. 8 Mrd. €
erbringt und unterstellt man ferner, dass die Hälfte des Erlöses –
wie vom Bundesminister der Finanzen angekündigt – zur Stärkung
des Kapitals der DB AG verwandt wird, so liegt der fiskalische Effekt der Teilprivatisierung für den Bundeshaushalt bei rund 4 Mrd.
€.
Der bei Beendigung der Sicherungsübereignung fällige Wertausgleich bemisst sich, wie oben ausgeführt, nach dem bilanziellen
Eigenkapital der Infrastrukturunternehmen. Dieses betrug ausweislich der Geschäftsberichte Ende 2006 rd. 8 Mrd. € (1,2 Mrd. €
DB Station&Service AG, 5,8 Mrd. € DB Netz AG, rund 1 Mrd. € DB
Energie GmbH).
Bei Ausübung der Rückholoptionen flösse also dem Bundeshaushalt mit rd. 8 Mrd. € ein Betrag ab, der doppelt so hoch wäre, wie
die ursprüngliche Privatisierungseinnahme! Da nach Ausübung
der Rückholoption gleichwohl 49 % der DB AG (ohne Infrastruktur)
in privater Hand bleiben, hätte damit der Bund bei Ausübung der
Rückholoption im Ergebnis 49 % der DB AG für einen negativen
Kaufpreis von 4 Mrd. € weggegeben.
Die DB AG veranschlagt in ihrer aktuellen Planung stark wachsende Gewinne der Infrastrukturunternehmen. Wenn diese Planung zutrifft, dürfte das bilanzielle Eigenkapital der Infrastrukturunternehmen noch deutlich anwachsen, die Ausübung der Rückholoption für den Bund also voraussichtlich noch teurer werden als
oben veranschlagt.
Das Primon-Gutachten zeigt, dass sich der Privatisierungswert
des integrierten Modells, des Eigentumsmodells und des getrennten Modells nur unwesentlich unterscheiden. Mit dem Eigentumssicherungsmodell „verschenkt“ der Bund quasi das Eigentum an
der Infrastruktur mit der Option, es in 15 Jahren teuer zurückzuerwerben. Dabei bleibt sogar noch außer Betracht, dass 90 % des in
der Infrastruktur gebundenen und quasi „mitverschenkten“ Anlagevermögens ohnehin mit Investitionszuschüssen des Bundes (über 30 Mrd. € allein seit 1994) gezahlt wurden und dass das Privatisierungsgesetz ein weiteres künftiges Leistungsversprechen von
37 Mrd. € enthält.“214
214
Schreiben an den „Chef des Bundeskanzleramts“ vom 18.7.2007, S. 2.
75
Die gegenwärtige Fassung des § 7 BESG-E unterscheidet sich in mehrfacher
Hinsicht von derjenigen vom 8. März 2007. Ob dies zu einer anderen Beurteilung führt, ist indessen jedoch sehr zweifelhaft. So führt etwa die Gesetzesbegründung zu § 7 BESG-E in der von der Bundesregierung beschlossenen Fassung aus, dass der bei der Beendigung der Sicherungsübereignung der Deutschen Bahn AG zu vergütende volle Wert der Eisenbahninfrastrukturunternehmen grundsätzlich dem Ertragswert der Beteiligungen entspreche. Zur Ermittlung des Ertragswerts für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen müssten aber
insbesondere Annahmen über Höhe und Dauer der öffentlichen Zuschüsse getroffen werden. Diese seien nach den derzeitigen Verhältnissen für einen wirtschaftlich rentablen Betrieb der Infrastruktur unerlässlich.215 Werden aber zukünftige Zuschüsse mitberücksichtigt, müsste der Bund diese zunächst beim
Wertausgleich bezahlen und später noch zusätzlich leisten.
Letztlich braucht der Frage, wie der Wertausgleich zu berechnen ist, hier nicht
näher nachgegangen zu werden. Jedenfalls hat die Bundesregierung auf eine
Kleine Anfrage der Abgeordneten Friedrich, Mücke, Döring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP „Wie viel müsste der Bund als Wertausgleich
zahlen, wenn die Sicherungsübertragung zum jetzigen Zeitpunkt ausliefe?“ am
27. Juli 2007 geantwortet „Der Wertausgleich kann gegebenenfalls mehrere Milliarden Euro betragen“.216 Auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Hermann,
Hofreiter, Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Bündnis 90/Die
Grünen hat die Bundesregierung am 6. September 2007 konkretisierend hinzugefügt, dass sich der für den Fall der Beendigung der „Sicherungsübertragung“
an die Deutsche Bahn AG zu leistende Wertausgleich nach dem bilanziellen Eigenkapital der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bemesse und die Eisenbahninfrastrukturunternehmen derzeit über ein bilanzielles Eigenkapital in der
Größenordnung von etwa 7,5 Milliarden Euro verfügen würden.217
215
Gesetzesbegründung, S. 62.
216
Vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 27.7.2007 zu den Fragen 8 und 9, S. 4.
217
Vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 6.9.2007 zu den Fragen 2, 3, 4 sowie zusammenfassend 5 und 10.
76
Nach alledem muss davon ausgegangen werden, dass der Bund für die Rückübertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf ihn aller Voraussicht nach Milliarden-Beträge aufwenden müsste. Auch dürfte allein die Ankündigung einer
Beendigung der Sicherungsübereignung den Börsenkurs der Deutschen Bahn
AG „einbrechen“ lassen und juristische Auseinandersetzungen (auch mit den
privaten Aktionären der Deutschen Bahn AG) hervorrufen. Dies macht ein
Gebrauchmachen von dem Rückholrecht des Bundes äußerst unwahrscheinlich. Anders ausgedrückt hat die dem Bund auferlegte Wertausgleichspflicht
prohibitive Wirkung. Wird aber die Zusammenführung von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum de facto so erschwert, dass dem Bund realistischerweise keine wirkliche Option mehr bleibt, kann kaum mehr davon gesprochen werden, dass der Bund – wie in Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG vorausgesetzt – den Vermögenswert seines Anteilseigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen wie ein normaler Mehrheitsanteilseigner an einem Unternehmen nutzen
kann.
III.
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen
Die mit einem gesellschaftsrechtlichen Anteilseigentum verbundenen mitgliedschaftlichen Einflussrechte können unmittelbar oder mittelbar über die Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung (1.), den Aufsichtsrat (2.) und
den Vorstand oder die Geschäftsführung (3.) zur Geltung gebracht werden.
Wird die Gesellschaft von einer anderen Gesellschaft beherrscht und ist der Anteilseigner mehrheitlich an dieser Gesellschaft beteiligt, kann auch versucht
werden, über die beherrschende Gesellschaft Einfluss auszuüben (4.). Dementsprechend bedarf der Untersuchung, ob der Bund auf den genannten Wegen das Handeln seiner Eisenbahninfrastrukturunternehmen steuern und kontrollieren kann.
1.
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Abstimmungen in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen
77
Obwohl alle Anteile an der DB Netz AG, der DB Station&Service AG und der
DB Energie GmbH auf den Bund übergehen sollen, wird dieser wegen der vorgesehenen Stimmrechtsübertragung auf die Deutsche Bahn AG für die Dauer
des Bestehens der „Sicherungsübertragung“ (also bei normalem Verlauf für
mindestens achtzehn Jahre, aller Wahrscheinlichkeit nach aber für länger) von
den üblichen Gesellschafterrechten keinen Gebrauch machen können. Insbesondere verliert der Bund das Recht, an den Hauptversammlungen oder Gesellschafterversammlungen teilzunehmen und dort sein Stimmrecht auszuüben.
Zwar soll der Verlust der Ausübung des Stimmrechts nicht kraft Gesetzes eintreten, sondern auf einer Vollmachtserteilung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium
der Finanzen beruhen (§ 2 Abs. 1 BESG-E). Doch lässt die gesetzliche Regelung den Bundesministerien keinen Spielraum im Hinblick auf das „Ob“ und
„Wie“ der Stimmrechtsübertragung auf die Deutsche Bahn AG. Es stellt sich die
Frage, ob eine solche Rechtskonstruktion überhaupt zulässig ist (a) und der
Kompetenzverlust durch die Gewährung von Zustimmungsvorbehalten gemäß
§ 2 Abs. 2 BESG-E aufgewogen wird (b).
a)
Zur Zulässigkeit einer materiellen Teilprivatisierung der Ausübung
von Staatsgewalt
Sämtliches Handeln des Staates ist Ausübung von Staatsgewalt. Juristische
Personen des Privatrechts werden jedenfalls dann als Träger von Staatsgewalt
tätig, wenn ihre Inhaber ausschließlich eine oder mehrere juristische Personen
des öffentlichen Rechts staatlicher Provenienz sind.218 Das Handeln dieser Privatrechtssubjekte ist dann ebenfalls Ausübung von Staatsgewalt. Beteiligt sich
der Staat zusammen mit Privaten an einer privatrechtlichen Organisation (z. B.
einer Gesellschaft), ist das Einwirken auf die Gesellschaft staatliches Handeln
und damit Ausübung von Staatsgewalt. Unerheblich ist, dass der Staat sich in
diesem Falle nicht des öffentlichen Rechts, sondern des Privatrechts bedient.
218
Vgl. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Fn. 75), § 1 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen.
78
Da die Errichtung von Privatrechtssubjekten durch den Staat respektive die Beteiligung des Staates an Privatrechtssubjekten legitimen Zwecken dienen muss,
ist es dem Staat nicht gestattet, auf die Ausübung der mit dem Anteilseigentum
verbundenen Einwirkungsrechte zu verzichten. Vielmehr ist der Staat im Rahmen seiner Beteiligungsquote gehalten, das Agieren der Privatrechtssubjekte
zu steuern und zu kontrollieren, weil er nur so seinen verfassungsrechtlichen
Bindungen (insbesondere seiner demokratischen Verantwortung gegenüber
dem Parlament und dem Volk219) gerecht zu werden vermag. Für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes ergibt sich die Notwendigkeit einer
staatlichen Steuerung und Kontrolle – wie bereits ausgeführt220 – aus der Regelung des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG. Wenn die Bundesrepublik Deutschland
als alleiniger Anteilseigner der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ihre Stimmrechte in diesen Unternehmen an die Deutsche Bahn AG überträgt und die
Deutsche Bahn AG teilweise materiell privatisiert wird, kommt es damit zugleich
zu einer Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt.
Die Privatisierung der Ausübung von Staatsgewalt ist etwas völlig anderes als
die Privatisierung von Staatsgewalt. Im letzteren Fall gibt der Staat eine
Staatsaufgabe auf, übt keine Staatsgewalt mehr aus und überlässt die Erfüllung
der vormals selbst wahrgenommenen Aufgabe den gesellschaftlichen Kräften.
Eine so verstandene Privatisierung von Staatsgewalt ist jedenfalls im Bereich
der Leistungsverwaltung und der Teilnahme der öffentlichen Hand am Wirtschaftsleben grundsätzlich unbedenklich. Dagegen bedeutet eine Privatisierung
der Ausübung von Staatsgewalt, dass der Staat es Privaten an seiner statt überlässt, darüber zu entscheiden, ob und wie Staatsgewalt ausgeübt wird.
Die Ausübung von Staatsgewalt ist grundsätzlich den Trägern von Staatsgewalt
vorbehalten. Das schließt weder eine Beleihung von Privaten mit Staatsgewalt
noch eine Heranziehung von Privaten als Helfer oder Beauftragte des Staates
aus. Unter Beliehenen versteht man Privatpersonen, denen die Kompetenz zur
selbständigen hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im
219
Vgl. B. II. 4.
220
B. II.
79
eigenen Namen übertragen worden ist.221 Ein Helfer des Staates wird unselbständig für den Staat tätig und übt Hilfstätigkeiten für ihn aus, ein Beauftragter
handelt zwar selbständig, aber im Rahmen eines klar umrissenen Mandates im
Namen des Staates. 222 Keine dieser Fallkonstellationen liegt hier vor. Eine Beleihung setzt voraus, dass der Private auf gesetzlicher Grundlage zu einem
gemeinwohlgebundenen, der Fachaufsicht des Staates unterworfenen Träger
mittelbarer Staatsverwaltung zwecks Ausübung öffentlich-rechtlicher Befugnisse bestellt wird. Dies alles lässt sich § 2 Abs. 1 BESG-E gerade nicht entnehmen. Jedenfalls unterliegt die Deutsche Bahn AG weder einer Fachaufsicht des
Bundes, noch wird sie öffentlich-rechtlich tätig. Die Deutsche Bahn AG soll in
den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen auch nicht nur
unselbständig Hilfstätigkeiten für den Bund ausüben. Am ehesten könnte noch
an eine Beauftragung gedacht werden, weil § 2 Abs. 1 BESG-E ausdrücklich
von einer Stimmrechtsvollmacht spricht. Indessen darf der Staat Privatpersonen
Vertretungsmacht zwecks Abgabe von Willenserklärungen, die sich als Ausübung von Staatsgewalt darstellen, nur erteilen, wenn der Vertreter gebunden
ist, das heißt, die Vollmacht sich auf vorherbestimmte Erklärungen bezieht oder
der Vertreter den Weisungen des Staates unterliegt. In welcher Weise die
Deutsche Bahn AG von ihrer Vollmacht in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen Gebrauch
machen soll, wird durch den Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes jedoch in keiner Weise vorgezeichnet. Es ist gerade der Sinn der „Sicherungsübertragung“, der Deutschen Bahn AG freie Hand zu geben. Dementsprechend unterliegt die Deutsche Bahn AG auch keinen Weisungen des Bundes
bei der Abgabe ihrer Stimmen in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Das Konzernrecht
kommt im Verhältnis Deutsche Bahn AG – Eisenbahninfrastrukturunternehmen,
nicht aber im Verhältnis Bund – Deutsche Bahn AG zur Anwendung.
Keine entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand zu, dass die Mehrheit der Anteile an der Deutschen Bahn AG beim Bund
221
Vgl. auch die Definition von Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, §
23 Rn. 56.
222
Vgl. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Fn. 75), § 1 Rn. 17.
80
verbleiben soll, die Deutsche Bahn AG also gerade keine rein private Gesellschaft sein wird. Zum einen kann eine gemischt zusammengesetzte Gesellschaft nicht ohne weiteres dem Staat zugeordnet werden, selbst wenn sie vom
Staat beherrscht wird.223 Zum anderen übt der Vorstand der Deutschen Bahn
AG die Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen aus, weil er das alleinige Vertretungsrecht besitzt.224 Der Vorstand ist dem Wohle der Gesellschaft, keineswegs
(nur) dem Wohl der Mehrheitsaktionäre verpflichtet und zudem unabhängig.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass dem Vorstand auch nach bisheriger
Rechtslage das Bestimmungsrecht in Bezug auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen zukommt (abgesehen davon, dass von einem Sein nicht auf das
verfassungsrechtliche Sollen geschlossen werden kann). Die derzeitige Rechtslage unterscheidet sich grundlegend von derjenigen, die sich nach Inkrafttreten
des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes in der vorliegenden Fassung ergeben
wird. Der Bund ist nach derzeitigem Recht nicht Anteilseigner der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und daher gar nicht in der Lage, dem Vorstand der
Deutschen Bahn AG Stimmrechte zu übertragen. Zudem ist die Deutsche Bahn
AG wegen des alleinigen Anteilseigentums des Bundes derzeit selbst ein Träger von Staatsgewalt. Schließlich hat ein Alleinaktionär ganz andere Möglichkeiten der gesellschaftsrechtlichen Steuerung als ein bloßer Mehrheitsaktionär
in einer gemischt zusammengesetzten Gesellschaft.225
Somit ist die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zugunsten der Deutschen
Bahn AG nach der hier vertretenen Auffassung mit den verfassungsrechtlichen
Vorgaben nicht vereinbar. Entnimmt man dem Verfassungsrecht eine solche
Rechtsfolge nicht, müssten dem Bund für den Verlust seiner Stimmrechte in
den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahn223
Dem steht nicht entgegen, dass in Art. 2 S. 1 der Transparenzrichtlinie der Europäischen
Gemeinschaft (RL 80/723/EWG) unter einem öffentlichen Unternehmen jedes Unternehmen zu verstehen ist, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller
Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens
regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Vgl. Ehlers (Fn. 84), E 31 f., 39 f.
224
Vgl. § 78 Abs. 1 AktG.
225
Vgl. auch D. II. 4. c).
81
infrastrukturunternehmen zumindest gleichwertige eigentumsrechtliche Einflussrechte eingeräumt worden sein.
b)
Der Zustimmungsvorbehalt des § 2 Abs. 2 BESG-E
Als funktionales Äquivalent für den Verlust der Stimmrechte des Bundes in den
Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen kommen die dem Bund gemäß § 2 Abs. 2 BESG-E zugestandenen Ingerenzrechte in Betracht.226 Nach der genannten Vorschrift bedarf
die Deutsche Bahn AG zur Ausübung der Stimmrechtsvollmacht in den Hauptversammlungen oder Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen in bestimmten Fällen der vorherigen Zustimmung des Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit
dem Bundesministerium der Finanzen. Im Einzelnen bezieht sich das Zustimmungserfordernis auf die Änderung der Satzung oder des Gesellschaftsvertrages (Nr. 1), die Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und Kapitalherabsetzung
(Nr. 2), den Abschluss, die Änderung und Beendigung von Beherrschungs- und
Ergebnisabführungsverträgen (Nr. 3), die Auflösung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens (Nr. 4), die Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz (Nr.
5) und die Wahl und Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrats (Nr. 6). Im
Vergleich zu dem am 8. März 2007 vorgelegten Gesetzentwurf eines Bundeseisenbahnstrukturgesetzes stärkt die nunmehr von der Bundesregierung beschlossene Fassung die Einflussrechte des Bundes. Zum einen wird das Zustimmungserfordernis anders als früher nicht mehr daran gekoppelt, dass das
Sicherungsinteresse des Bundes nachhaltig gefährdet werden kann. Des Weiteren wird auch die Wahl und Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrates
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen dem Zustimmungsvorbehalt des Bundes unterworfen. Schließlich ist in dem Gesetzentwurf neu die Regelung aufgenommen worden, dass eine ohne Zustimmung erfolgte Ausübung der Stimmrechtsvollmacht zur Unwirksamkeit der Stimmabgabe führt (§ 2 Abs. 2 S. 2
BESG-E).
226
Zu § 3 BESG-E vgl. die Ausführungen zu D. III. 3.
82
Dennoch bleibt der Zustimmungsvorbehalt hinter einem eigenen Stimmrecht
des Bundes in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zurück. Dies kann auch nicht anders
sein, weil ansonsten die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zugunsten der
Deutschen Bahn AG keinen Sinn ergäbe. So begründet ein Zustimmungserfordernis zwar ein Veto-, nicht aber ein Initiativrecht. Der Bund kann daher nur reagieren, nicht aber selbst die Geschäftspolitik der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bestimmen. Zu einer Beschlussfassung in den in § 2 Abs. 2 BESG-E
aufgeführten Fällen kommt es daher nur, wenn der Bund und der Vorstand der
Deutschen Bahn AG „an einem Strang“ ziehen. Hieraus ergibt sich faktisch ein
Zwang zur Einigung respektive zum Kompromiss. Zudem erstreckt sich der Zustimmungsvorbehalt nicht auf alle Rechte der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung. Für die Gesellschafterversammlung einer Gesellschaft
mit beschränkter Haftung versteht sich das von selbst, weil es die Gesellschafter insoweit in einem sehr weitgehenden Ausmaße in der Hand haben, selbst zu
bestimmen, welche Rechte ihnen einzuräumen sind.227 Aber auch der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft stehen weitergehende Organbefugnisse
zu. Beispielsweise hat die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft von Gesetzes wegen auch über die Verwendung des Bilanzgewinns (§ 119 Abs. 1 Nr.
2 AktG)228, die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats (§ 119 Abs. 1
Nr. 3 AktG) und die Bestellung des Abschlussprüfers (§ 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG)
zu beschließen. Weitere Rechte können einer Hauptversammlung durch Unternehmenssatzung zugestanden werden. Auch kann die Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG über Fragen der Geschäftsführung entscheiden, wenn
der Vorstand es verlangt.
2.
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Bestellung der
Aufsichtsratsmitglieder
der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen
und auf die Abstimmungen im Aufsichtsrat
227
Vgl. § 45 Abs. 1 GmbHG.
228
Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass nach § 2 Abs. 3 BESG-E zwischen der
Deutschen Bahn AG und Eisenbahninfrastrukturunternehmen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträge bestehen können.
83
Da die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner einer Gesellschaft von der
Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung gewählt werden und die
Stimmrechte in diesen Gremien vom Vorstand der Deutschen Bahn AG ausgeübt werden sollen, wählt der Vorstand auch die Mitglieder des Aufsichtsrates
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Allerdings ist das Bestimmungsrecht
des Vorstandes der Deutschen Bahn AG in zweifacher Hinsicht eingeschränkt.
Zunächst soll die Bundesregierung nach § 4 BESG-E berechtigt sein, in den
Aufsichtsrat der DB Netz AG drei Mitglieder (von 20 Aufsichtsratsmitgliedern,
davon zehn Arbeitnehmervertretern), in den Aufsichtsrat der DB Station&Service AG zwei Mitglieder (von zwölf Aufsichtsratsmitgliedern, davon fünf
Arbeitnehmervertretern) und in den Aufsichtsrat der DB Energie GmbH ein Mitglied (von sieben Aufsichtsratsmitgliedern, davon zwei Arbeitnehmervertretern)
zu entsenden.229 Sodann bedarf die Deutsche Bahn AG – wie bereits ausgeführt – nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 BESG-E für die Wahl und Abberufung von
Mitgliedern des Aufsichtsrates der Eisenbahninfrastrukturunternehmen der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen.
Das Entsenderecht sichert dem Bund das Bestellungsrecht für weniger als ein
Drittel der von der Anteilseignerbank zu besetzenden Aufsichtsratssitze (DB
Netz AG: 30 %; DB Station&Service AG: 28,5 %; DB Energie GmbH: 20 %) und
weniger als ein Fünftel der zu besetzenden Aufsichtsratssitze insgesamt (DB
AG: 15 %; DB Station&Service AG: 16,6 %; DB Energie GmbH: 14,2 %). 230 Der
Zustimmungsvorbehalt erlaubt dem Bund zwar, die Wahl oder Abberufung von
Aufsichtsratsmitgliedern zu blockieren, nicht aber eine Wahl oder Abberufung
durchzusetzen. Gehen die Vorstellungen des Bundes und des Vorstandes der
Deutschen Bahn AG auseinander (etwa weil der Vorstand der Deutschen Bahn
AG den Wünschen seiner privaten Aktionäre Rechnung tragen möchte), wird
229
Zur derzeitigen – durch die Zahl der Mitarbeiter und die Mitbestimmungsregelungen (vgl.
§ 10 MitbestG) weitgehend vorgegebenen – Größe der Aufsichtsräte der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vgl. Möllers, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 22 f.
230
Die Beschränkung des Entsenderechts ist bei Zugrundelegung der Wertungen des Aktienrechts konsequent, weil nach § 101 Abs. 2 S. 4 AktG Entsenderechte höchstens für ein
Drittel der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre eingeräumt werden können.
84
man sich wiederum auf Kompromisse einigen müssen.231 Dürfte der Bund die
Stimmrechte in der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung selbst
ausüben, könnte er alle Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner allein bestimmen. Dies würde – wie dargelegt232 – selbst dann gelten, wenn der Bund nur
Mehrheitsgesellschafter (und nicht wie vorgesehen: alleiniger Gesellschafter)
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ist. Somit bleiben die gesetzlichen Regelungen hinter den Anforderungen des sich aus Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG ergebenden Untermaßverbotes233 zurück.
Eine Möglichkeit, die Abstimmungen im Aufsichtsrat der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu beeinflussen, hat der Bund nicht. Doch ist dies nur die Konsequenz der unabhängigen Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder und von
Verfassungs wegen hinzunehmen.
3.
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Besetzung des
Vorstandes respektive der Geschäftsführung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen und auf die Willensbildung im Vorstand respektive der Geschäftsführung
Die Bestellung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft obliegt deren
Aufsichtsrat234 (und somit nicht dem Bund). Dem Bund soll auch nicht das
Recht eingeräumt werden, die Geschäftsführer der DB Energie GmbH zu
bestimmen. Ferner hat der Bund im Falle eines Inkrafttretens des Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes grundsätzlich keine Möglichkeit,
unmittelbar auf die Leitung respektive Geschäftsführung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen einzuwirken. Soweit die Eisenbahninfrastrukturunternehmen als Aktiengesellschaften organisiert sind, ergibt sich dies wiederum aus
der Unabhängigkeit des Vorstandes. Der Abschluss von Beherrschungsverträgen zwischen dem Bund und der Deutschen Bahn AG ist gerade nicht beab-
231
Vgl. bereits D. II. 1. b).
232
B. IV. 2. c).
233
B. IV.
234
Vgl. B. IV. 2. a).
85
sichtigt. In Hinblick auf die DB Energie GmbH könnte zwar gesellschaftsrechtlich anderes vereinbart werden. Doch widerspräche dies der auf der Trennung
von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum beruhenden „Sicherungsübertragung“. Nicht der Bund, sondern die Deutsche Bahn AG soll das Handeln der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen – unter anderem durch den Abschluss von
Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträgen (§ 2 Abs. 3 BESG-E) – wirtschaftlich steuern.
Jedoch werden die Leitungs- und Geschäftsführungsbefugnisse der Vorstände
und Geschäftsführer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sowie die Herrschaftsbefugnisse der Deutschen Bahn AG insofern begrenzt, als nach § 3
BESG-E drei Maßnahmen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit dem Bundministerium der Finanzen bedürfen: nämlich die Verfügung über wesentliche Vermögensgegenstände der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (Abs. 1 Nr. 1), eine Schuldenaufnahme, die zu einer
wesentlichen Veränderung des Verhältnisses zwischen Eigen- und Fremdkapital bei einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen führt (Abs. 1 Nr. 2), und Maßnahmen, durch die sich die Anzahl der Arbeitnehmer eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens oder die Anzahl der einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen zugewiesenen Beamten wesentlich erhöht und die wesentliche negative
Auswirkungen auf die Finanz- und Ertragslage der Eisenbahninfrastrukturunternehmen haben (Abs. 1 Nr. 3). Die Zustimmungserfordernisse sollen die Zustimmungsvorbehalte des § 2 Abs. 2 BESG-E ergänzen.
Im Schrifttum sind Zweifel geäußert worden, ob sich die Bindung an die Zustimmung eines Dritten (hier des Bundes), der nicht Partner eines Beherrschungsvertrages ist, mit dem geltenden Recht, insbesondere mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht, vereinbaren lässt.235 Diesen Zweifeln kann hier
nicht weiter nachgegangen werden. Geht man davon aus, dass die Zustimmungspflichten des § 3 BESG-E in zulässiger Weise vorgesehen werden dürfen, ist zu berücksichtigen, dass es nur bei „wesentlichen“ Maßnahmen oder
235
Vgl. Schäfer, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 51 ff.
86
Veränderungen einer Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung (im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen) bedarf. In dem Entwurf eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes
vom 8. März 2007 wurde das Wesentlichkeitskriterium legal definiert. Wesentlich sollen danach nur Maßnahmen oder Veränderungen sein, wenn durch sie
das Sicherungsinteresse des Bundes nachhaltig gefährdet werden kann (§ 3
Abs. 2 BESG-E a. F.). Diese Definition fehlt in der von der Bundesregierung beschlossenen Fassung des Gesetzes. Der Sache nach macht dies aber keinen
Unterschied aus. So wird die Regelung des § 3 Abs. 1 BESG-E in der Begründung des Gesetzentwurfs damit gerechtfertigt, dass der Bund als Sicherungsnehmer ein Interesse daran hat, dass die ihm zur Sicherheit übertragenen Anteile erhalten bleiben und nicht zu seinen Lasten „grundlegend verändert oder
entwertet werden“.236 Daher hätten Maßnahmen bei den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu unterbleiben, durch welche die Sicherungsfunktion der Anteile an den Unternehmen beeinträchtigt oder gefährdet werden könnte. Dies
macht ebenfalls deutlich, dass es um seltene Ausnahmetatbestände geht237,
nicht etwa um operative Entscheidungen (etwa über den Bau, die Unterhaltung
und das Betreibens der Schienenwege selbst238).
4.
Die Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen über die Einflussnahme auf die Deutsche
Bahn AG
Schließlich sind die mittelbaren Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf
die Eisenbahninfrastrukturunternehmen über die Einwirkung des Bundes auf die
Deutsche Bahn AG in Betracht zu ziehen. Bevor näher auf die in Betracht
kommenden Ingerenzrechte eingegangen wird (b) ist vorab zu untersuchen, in
welchem Ausmaße eine Steuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen
durch Eisenbahnverkehrsunternehmen überhaupt zulässig ist (a). Ferner ist
darzulegen, warum sich eine materielle Teilprivatisierung von Eisenbahninfra236
Gesetzesbegründung, S. 58.
237
Vgl. auch Möllers, in: Möller/Schäfer (Fn. 18), S. 22.
238
So auch die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz (Fn. 13), S. 4.
87
strukturunternehmen nicht mit einer materiellen Teilprivatisierung eines die Eisenbahninfrastrukturunternehmen
beherrschenden
Eisenbahnverkehrsunter-
nehmens vergleichen lässt (c).
a)
Das zulässige Ausmaß einer Unternehmenssteuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch ein Eisenbahnverkehrsunternehmen
Die Beantwortung der Frage, in welchem Ausmaß ein Eisenbahnverkehrsunternehmen (wie die Deutsche Bahn AG) ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen
(wie die DB Netz AG) im vertikalen Verbund steuern darf, bestimmt sich nicht
nach nationalen, sondern nach vorrangigem europäischen Gemeinschaftsrecht.
Wie noch zu zeigen sein wird, haben die gemeinschaftsrechtlichen Weichenstellungen aber Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Beurteilung.
Um im Falle des Bestehens natürlicher Netzmonopole den Gefahren für einen
funktionsfähigen Wettbewerb begegnen zu können, bemüht sich das Europäische Gemeinschaftsrecht um eine Entflechtung von Netz und Betrieb. Die einschlägigen Regelungen für die Eisenbahnen finden sich in Art. 6 der Richtlinie
91/440/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/12/EG sowie in Art. 4 Abs. 2
und 14 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG.239
Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 91/440/EWG treffen die Mitgliedstaaten
„die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass getrennte Gewinnund Verlustrechnungen und Bilanzen für die Erbringung von Verkehrsleistungen
durch Eisenbahnunternehmen einerseits und für den Betrieb der Infrastruktur
andererseits erstellt und veröffentlicht werden.“ Dies nimmt den Mitgliedstaaten
noch nicht die Entscheidung über die organisatorische und rechtliche Trennung
des Eisenbahnnetzes, wie sich aus Absatz 2 der Vorschrift ergibt („Die Mitgliedstaaten können ferner vorsehen, dass diese beiden Tätigkeiten in organisatorisch voneinander getrennten Unternehmen innerhalb desselben Unternehmens
ausgeübt werden oder dass eine getrennte Einrichtung den Betrieb der Infra239
Vgl. dazu bereits A. I. 2.
88
struktur übernimmt“). Doch schränkt Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG
das Wahlrecht partiell ein, weil die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, „dass
die Funktionen nach Anhang II, die für einen gerechten und nichtdiskriminierenden Zugang zur Infrastruktur ausschlaggebend sind, an Stellen oder Unternehmen übertragen werden, die selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen“. Anhang II nennt als wesentliche Funktion unter anderem die Entscheidungen über die Trassenzuweisung und über die Wegeentgelte.240 Spezieller241
trifft hierzu die sich auf die Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Entgelten beziehende Bestimmung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG die
folgende Regelung:
„Ist der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder in
seinen Entscheidungen nicht von Eisenbahnunternehmen unabhängig, so werden die in diesem Kapitel dargelegten Aufgaben –
außer der Erhebung von Entgelten – von einer entgelterhebenden
Stelle wahrgenommen, die rechtlich, organisatorisch und in ihren
Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig ist.“242
Eine gleichgerichtete Normierung findet sich in Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie
2001/14/EG für die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten. Die Vorschrift lautet:
„Ist der Betreiber der Infrastruktur rechtlich, organisatorisch oder
in seinen Entscheidungen nicht von Eisenbahnunternehmen unabhängig, so werden die in Absatz 1 genannten und in diesem
Kapitel im weiteren dargelegten Aufgaben von einer entgelterhebenden Stelle wahrgenommen, die rechtlich, organisatorisch und
in ihren Entscheidungen von Eisenbahnunternehmen unabhängig
ist.“
Der Bundesgesetzgeber hat die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts in § 9 a
AEG umgesetzt. Wiederholt wird die Formulierung der Richtlinien, dass die öffentlichen Betreiber der Schienenwege „rechtlich, organisatorisch und in ihren
Entscheidungen“ von Eisenbahnverkehrsunternehmen unabhängig sein müs240
Näher zu den wesentlichen Funktionen nach Art. 6 Abs. 3 RL 91/440/EWG A. I. 2.
241
Vgl. Hermes, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), B Einführung Rn. 56.
242
Eisenbahnunternehmen im Sinne der Richtlinie sind gemäß der Legaldefinition des Art. 2
lit. k RL 2001/14/EG die nach geltendem Gemeinschaftsrecht zugelassenen öffentlichrechtlichen oder privaten Unternehmen, deren Haupttätigkeit im Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen zur Beförderung von Gütern und/oder Personen besteht.
89
sen. Dazu werden eine Reihe von Vorgaben gemacht, welche die Unabhängigkeit der Betreiber der Schienenwege gewährleisten sollen. Unter anderem dürfen dem Aufsichtsrat des Betreibers der Schienenwege keine Mitglieder der
Aufsichtsräte von Eisenbahnverkehrsunternehmen angehören.243 Eine Konzernbildung zwischen den Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen wird aber gerade nicht verboten. Ob das Holding-Modell
der Deutschen Bahn AG mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar
ist, war bisher schon umstritten.244 Informelle interne Informationsströme in einem Konzern entziehen sich weitgehend einer Kontrolle.245 Auch eine Kontrolle
durch eine unabhängige Regulierungsinstanz (Bundesagentur für Elektrizität,
Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen) kann die Unabhängigkeit der
primär zuständigen Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht ersetzen.246
Hält man die bisherige Rechtslage – entgegen der hier vertretenen Ansicht – für
vereinbar mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht, heißt dies noch nicht,
dass dies auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes gelten muss. Es macht nämlich einen Unterschied aus, ob
die Deutsche Bahn AG, in der die Eisenbahninfrastrukturunternehmen als abhängige Unternehmen eingegliedert sind, ein Eigenunternehmen der Bundesrepublik Deutschland oder eine gemischt zusammengesetzte Gesellschaft ist.
„Nach Teilprivatisierung der DB AG dürften im Konzern Gewinnmaximierungsinteressen ein noch höheres Gewicht gewinnen und damit auch die Anreize steigen, selbst auf dem Papier kunstvoll errichtete „Chinese Walls“ informell zu
umgehen.“247 Positiv zu würdigen ist zwar, dass nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes eine Pflicht zur teilweisen informationellen Entflechtung von Eisenbahninfrastrukturunternehmen
und Eisenbahnverkehrsunternehmen in das Allgemeine Eisenbahnengesetz
243
Vgl. § 9 a Abs. 1 S. 2 Nr. 6 AEG.
244
Bejahend Ronellenfitsch, DVBl 2002, 657 ff.; verneinend Berschin, DVBl 2002, 1079 ff.;
vgl. auch die unterschiedliche rechtliche Bewertung der Bundestagsfraktionen in BT-Drs.
15/4419, S. 10 f., 15 f.; weitere Angaben zum Streitstand bei Hermes, in: Hermes/Sellner
(Fn. 3), Einführung B Rn. 58.
245
Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 5.
246
Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 4.
247
Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 5.
90
aufgenommen werden soll (§ 9 a Abs. 1 S. 2 Nr. 7 AEG-E). Doch ist sehr zweifelhaft, ob dies ausreicht, um die vom Gemeinschaftsrecht geforderte organisatorische Unabhängigkeit von Eisenbahninfrastruktur- und Eisenbahnverkehrsunternehmen zu gewährleisten.248 In jedem Falle ergibt sich folgende Lage:
Entweder sind die Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei Beibehaltung der
Konzernstruktur der Deutschen Bahn AG nach einer Teilprivatisierung bei Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Trassenentgelten und bei der Zuweisung von Fahrwegkapazitäten nicht unabhängig von der Deutschen Bahn AG.
Dann liegt ein Verstoß gegen das europäische Gemeinschaftsrecht vor, so dass
es auf die verfassungsrechtliche Lage nicht mehr ankommt. Oder es ist eine
Unabhängigkeit von dem Eisenbahnverkehrsunternehmen Deutsche Bahn AG
bei der Trassenpreisfestsetzung und Trassenvergabe gegeben. Dann unterliegen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen insoweit keinerlei Einflussnahme,
weil der wirtschaftliche Eigentümer Deutsche Bahn AG nicht Einfluss nehmen
darf und der juristische Eigentümer Bund zwar nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht zur Einflussnahme berechtigt wäre, nach der „Sicherungsübertragung“ auf die Deutsche Bahn AG aber nicht Einfluss nehmen kann. Die
Eisenbahninfrastrukturunternehmen wären somit insoweit frei schwebend. Dieser Zustand widerspricht der Verfassung, weil nach Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3
GG die Möglichkeit einer Grobsteuerung gegeben sein muss.
Im Übrigen sollte der Gesetzgeber auch bedenken, dass sich das europäische
Gemeinschaftsrecht ändern kann. So erwägt die EG-Kommission für den Energiesektor, dem Europäischen Rat und Europäischen Parlament den Erlass von
Sekundärrechtsbestimmungen zwecks vollständiger eigentumsrechtlicher Entflechtung von Netzbetreiber einerseits und Versorger und Erzeuger andererseits vorzuschlagen249 (was eine Auflösung der Konzernstrukturen zur Folge
hätte).
248
Vgl. auch die Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder
zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 3 (S. 4), die kritisiert, dass die Weisungsunabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen anders als im Gesetzentwurf von Dezember 2006 nicht mehr in den Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes aufgenommen wurde.
249
Vgl. die Mitteilung der Kommission an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament, Eine Energiepolitik für Europa, 10.1.2007, KOM (2007) endg., Rn. 3. 1. 1.
91
b)
Die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Deutsche Bahn AG
Für die Einwirkung auf die Deutsche Bahn AG stehen dem Mehrheitsaktionär
Bund nach einer Teilprivatisierung der Bahn nur die normalen aktienrechtlichen
Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung.250
(1)
Die Einflussnahmemöglichkeiten auf die Abstimmung in der Hauptversammlung
Als Mehrheitsaktionär einer Gesellschaft kann der Bund die Beschlussfassung
in der Hauptversammlung der Gesellschaft bestimmen und seinen Willen
durchsetzen. Dies gilt allerdings nicht, wenn das Aktienrecht eine Dreiviertelmehrheit (des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals) vorsieht
und der Bund weniger als drei Viertel des Kapitals hält. Für diesen Fall schreibt
§ 1 Abs. 2 DBPrivG-E vor, dass in der Satzung der Deutschen Bahn AG zu
bestimmen ist, dass die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern, die von der
Hauptversammlung gewählt worden sind, Beschlüsse über Satzungsänderungen mit Ausnahme der Änderung des Unternehmensgegenstandes sowie im
Rahmen des aktienrechtlich Zulässigen Maßnahmen der Kapitalbeschaffung
der einfachen Stimmenmehrheit und der einfachen Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedürfen. Da das Aktiengesetz Satzungsregelungen der vorgesehenen Art zulässt, der Gesetzgeber sogenannte
Einzelfall- oder Maßnahmegesetze (die nur einen konkreten Fall zum Gegenstand haben) erlassen darf251 und Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG eine nähere Regelung durch Bundesgesetz ausdrücklich erlaubt, bestehen gegen die Gültigkeit
des § 1 Abs. 2 DBPrivG-E keine Bedenken.
(2)
Die Einflussnahmemöglichkeiten auf die Besetzung des Aufsichtsrates und das Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat
250
Vgl. B. IV. 2. c).
251
Vgl. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers (Fn. 75), § 2 Rn. 35.
92
Große Bedeutung kommt der Besetzung des Aufsichtsrates der Deutschen
Bahn AG zu. Wie ausgeführt252, kann ein Mehrheitsaktionär die Anteilseignerbank des Aufsichtsrates durch die Wahl von Vertrauenspersonen vollständig
selbst bestimmen. In der Praxis ist dies aber gerade nicht die Regel, erst recht
dann nicht, wenn das Stimmengewicht eines Minderheitsaktionärs oder mehrerer Minderheitsaktionäre dem Anteil des Mehrheitsaktionärs nahezu gleichkommt. Großinvestoren werden an einem Erwerb von Aktien nur Interesse haben, wenn sich dieser in einer Repräsentanz im Aufsichtsrat niederschlägt. Wird
auch nur ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG von den privaten
Aktionären der Bahn bestellt, verliert der Bund wegen des Eingreifens der Mitbestimmungsregelungen aber seine Mehrheit in diesem Gremium.
Nach § 1 Abs. 3 DBPrivG-E sind Vereinbarungen, nach denen sich der Bund
gegenüber Dritten dazu verpflichtet, bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern
der Deutschen Bahn AG das Stimmrecht nicht oder in einem bestimmten Sinne
auszuüben, unwirksam. Ferner ist ein satzungsmäßiges Recht, Mitglieder in
den Aufsichtsrat zu entsenden, nur zulässig für Aktionäre, denen jederzeit eine
Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern aufgrund einer eigenen Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung der Deutschen Bahn AG möglich ist. Die
genannten Regelungen machen Stimmbindungsverträge des Bundes zugunsten Dritter unzulässig und verhindern eine Entsendung von Mitgliedern in den
Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG gegen den Willen des Bundes. Sie garantieren aber nicht, dass der Bund von dem ihm zustehenden Recht zur alleinigen
Bestellung der Anteilseignerbank Gebrauch macht. Tatsächlich strebt die Bundesregierung ein solches Gebrauchmachen nicht an. So hat sie auf die Kleine
Anfrage „Wie ist es nach Auffassung der Bundesregierung möglich, der DB AG
wirtschaftliches Eigentum an den EIU zu verschaffen und deren Bilanzierungsfähigkeit herzustellen, wenn der Bund – als nichtwirtschaftlicher Eigentümer –
alle Mitglieder des Aufsichtsrates der DB AG bestimmt und bei mehreren wesentlichen Rechtsgeschäften einen Zustimmungsvorbehalt geltend machen
kann?“ der Abgeordneten Hermann, Hofreiter, Hettlich, weiterer Abgeordneter
252
B. IV. 2. c).
93
und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen am 6. September 2007 geantwortet:
„Der Bund kann auch nach der Teilprivatisierung nicht alle Mitglieder des Aufsichtsrates bestimmen. Die zehn Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer werden nach §§ 7 ff Mitbestimmungsgesetz
von den Arbeitnehmern gewählt. Somit kann der Bund mit seiner
die Hauptversammlung dominierenden Mehrheit nur die Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre bestimmen, soweit diese nicht ohnehin von ihm entsandt werden. Das bedeutet indes nicht, dass der
Bund auch tatsächlich so verfährt. Dies widerspräche den üblichen
Gepflogenheiten des Marktes, wonach die Anteileignerstruktur
auch im Aufsichtsrat abgebildet werden sollte.“253
Nach der hier vertretenen Ansicht ist es verfassungsrechtlich geboten, dass der
Bund die Anteilseignerbank der Deutschen Bahn AG allein bestellt, weil nur so
hinreichend Einfluss auf die Steuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen
durch die Deutsche Bahn AG genommen werden kann.254 Wenn § 1 Abs. 3
DBPrivG-E nur Stimmbindungsverträge des Bundes und bestimmte Entsendungsrechte Dritter ausschließt bzw. für ungültig erklärt, folgt daraus im Gegenschluss, dass die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder im Übrigen den Aktionären der Deutschen Bahn AG überlassen werden soll. Die dadurch zugleich
ausgesprochene Freistellung des Bundes ist wegen der Rückwirkung auf die
Eisenbahninfrastrukturunternehmen mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht
vereinbar. Entnimmt man der gesetzlichen Regelung den hier angenommenen
Rückschluss nicht, ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Zwar würde es dann
für die Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen
Bahn AG – von den in § 1 Abs. 2 und 3 DBPrivG-E normierten Fällen abgesehen – an einer gesetzlichen Regelung fehlen. Es ließe sich daher die Ansicht
vertreten, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil der Bund von dem
ihm als Mehrheitsaktionär zustehenden Recht zur Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn AG verfassungskonform Gebrauch machen
kann und muss. Indessen verlangt Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG eine nähere Regelung durch Gesetz. Ist ein dem Maßstab des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG nicht ge253
Vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 6.9.2007 zu der Frage 38.
254
Vgl. B. IV. 3.
94
recht werdendes Verhalten des Bundes (Verzicht auf Bestellung sämtlicher
Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre) nicht nur möglich, sondern bei Fehlen einer gesetzlichen Regelung überaus wahrscheinlich, muss der Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass dieser Fall nicht eintritt.
Keinen Einfluss nehmen kann der Bund wiederum auf das Abstimmungsverhalten der Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn AG. Doch ist dies die vom
Verfassungsrecht gebilligte normale Folge der Inanspruchnahme der Rechtsform einer Aktiengesellschaft.
(3)
Die Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf den Vorstand der
Deutschen Bahn AG
Da einerseits der Vorstand einer Aktiengesellschaft unabhängig ist, andererseits der Abschluss eines Beherrschungsvertrages zwischen dem Bund und der
Deutschen Bahn AG nicht beabsichtigt ist und für den Fall der Steuerung der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen auch der Übertragung des wirtschaftlichen
Eigentums auf die Deutsche Bahn AG widersprechen würde, bestehen keinerlei
rechtliche Möglichkeiten des Bundes, die Entscheidung des Vorstandes der
Deutschen Bahn AG zu beeinflussen.
c)
Die Nichtvergleichbarkeit einer materiellen Teilprivatisierung des
die Eisenbahninfrastrukturunternehmen
beherrschenden
Unter-
nehmens mit einer materiellen Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen
Da Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG eine Veräußerung von Anteilen des Bundes an den
Eisenbahninfrastrukturunternehmen zulässt, solange die Mehrheit der Anteile
dem Bund verbleibt, könnte die Auffassung vertreten werden, dass dann auch
eine Teilprivatisierung der Holding-Gesellschaft Deutsche Bahn AG hingenommen werden muss. Jedoch lässt sich von der Zulässigkeit einer materiellen
Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht auf die Zulässigkeit einer materiellen Teilprivatisierung eines die Eisenbahninfrastrukturun-
95
ternehmen beherrschenden Unternehmens schließen. In dreifacher Hinsicht unterscheidet sich der eine von dem anderen Fall grundlegend.
Zunächst führt jede Einschaltung eines Mittlers notwendigerweise zu einem
„Einflussknick“.255 Ein unmittelbarer Anteilseigner hat viel weitergehende Möglichkeiten als ein bloß mittelbarer. Dies gilt in verstärktem Maße, wenn ein unabhängiger Vorstand zwischengeschaltet wird, wie dies bei der Einfügung eines
Unternehmens in einen aktienrechtlichen Konzern der Fall ist. Sodann mindert
sich der Einfluss, wenn es durch den Zutritt des Mittlers zu einer Interessenverflechtung kommt. Werden Verkehrsnetz und Verkehrsbetrieb zusammengeführt,
ist dies der Fall, wenn einerseits der Netzinhaber über ein natürliches Monopol
verfügt, andererseits die Verwaltung des Netzes einem Verkehrsbetreiber übertragen wird, der im Wettbewerb mit anderen Verkehrsbetreibern steht. Ein alleiniger Netzinhaber muss ein Interesse daran haben, das Netz allen Wettbewerbern diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen. Das Interesse eines Wettbewerbers, der gleichzeitig das Netz verwaltet, ist aber nicht mit dem Interesse
aller Wettbewerber identisch. Somit kann es zu einem Konfligieren der verschiedenen Interessen kommen. Gerade deshalb enthalten das europäische
Gemeinschaftsrecht256 und das nationale Recht257 Regelungen, welche die Unabhängigkeit des öffentlichen Betreibers der Schienenwege garantieren sollen.
Schließlich können sich die Interessenverflechtungen mit der Folge eines weiteren Einflussverlustes der Anteilseigner der Eisenbahninfrastrukturunternehmen
verstärken, wenn private Kapitalgeber als Gesellschafter hinzutreten. Private
Gesellschafter sind nicht dem Gemeinwohl verpflichtet, sondern streben nahezu
immer (legitimerweise) eine hohe Rendite an. Es macht aber einen Unterschied
aus, ob die Renditeerwartungen in einem Unternehmen mit der Zielsetzung
„Bau, Unterhaltung und Betrieb von Schienenwegen“ oder in einem Eisenbahnverkehrsunternehmen verfolgt werden, das nur auch Eisenbahninfrastrukturunternehmen verwalten soll (vgl. auch bereits die Ausführungen zu A. II.).
255
Zum Begriff vgl. F. Wagener, Typen der verselbständigten Erfüllung öffentlicher Aufgaben, in: ders. (Hrsg.), Verselbständigung von Verwaltungsträgern, 1976, S. 40.
256
Vgl. Art. 4 Abs. 2, Art. 14 Abs. 2 RL 2001/14/EG.
257
Vgl. § 9 a AEG.
96
Blendet man die Lebenswirklichkeit nicht aus, werden private Anteilseigner des
Verkehrsunternehmens „Deutsche Bahn AG“ in Wahrnehmung ihrer legitimen
Interessen darauf drängen, „dass Investitionen weitest möglich in die von den
DB-Gesellschaften selbst genutzten Netzteile gelenkt und die von Konkurrenten
befahrenen Strecken tendenziell vernachlässigt werden“.258 Jede andere Verhaltenweise wäre unrealistisch. Zudem können sich die Synergieeffekte, mit
denen die Notwendigkeit einer Verbindung von Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Deutscher Bahn AG begründet wurde, nur einstellen, wenn die Tätigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen dem Verkehrsunternehmen
Deutsche Bahn AG auch wirklich zugute kommt. Wenn private Geldgeber wegen des wirtschaftlichen Eigentums der Deutschen Bahn AG an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen einen höheren Aktienkurs in Kauf genommen
haben, werden sie – aus ihrer Sicht verständlich – Wert darauf legen, dass sich
dies auszahlt. Dass ist aber nur der Fall, wenn sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf die profitablen, von der Deutschen Bahn AG betriebenen
Strecken und Bahnhöfe konzentrieren. Seit der Bahnreform sind bis zum 31.
Oktober 2001 bereits Strecken im Umfang von 4300 km stillgelegt worden (13
% des Netzes).259 Die Stilllegungen betrafen überwiegend den Schienenpersonennahverkehr.260 Im Schrifttum ist sogar davon gesprochen worden, dass für
die Deutsche Bahn AG mit Milliardenaufwand eine hochmoderne und leistungsfähige Hochgeschwindigkeits-Infrastruktur geschaffen worden sei, während auf
der anderen Seite „marode Nebenbahnen“ stehen, auf denen „auf Verschleiß“
gefahren werde.261 Es steht zu erwarten, dass diese Entwicklung im Falle einer
Beteiligung privater Kapitalgeber vorangetrieben wird. Zwar bedarf die Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen nach § 11 AEG der Genehmigung der „zuständigen Aufsichtsbehörde“. Doch wird der Beitrag, den § 11 AEG
zum Erhalt eines flächendeckenden Schienennetzes leisten kann, als sehr begrenzt eingeschätzt, insbesondere weil die Eisenbahninfrastrukturunternehmen
258
Fehling, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 132), S. 3.
259
So Hermes/Schütz, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), § 11 Rn. 1; vgl. Berschin, DVBl. 2002, S.
1079 (1080 mit Fn. 10) zu einzelnen Beispielen.
260
Hermes/Schütz, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), § 11 Rn. 2.
261
Kühl, Übernahme von Schieneninfrastruktur der DB AG durch Dritte, 1999, S. 34 f.
97
nur zu zumutbaren Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen verpflichtet
werden.262
Steigen die Renditeerwartungen, liegt des Weiteren eine stärkere Heraufsetzung der Preise für die Nutzung der Trassen und Stationen als in der Vergangenheit nahe. Dies gilt zumal dann, wenn die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel für die Erhaltung und den Ausbau der Schienenwege nicht ausreichen.263 Die von den Betreibern der Schienenwege für den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur erhobenen Entgelte müssen sich zwar an den Vorgaben des §
14 Abs. 4 und 5 AEG messen lassen und unterliegen behördlicher Kontrolle264
Doch beklagen die Länder, dass eine wirksame Preiskontrolle nicht gegeben
ist. Sollte es zu höheren Gewinnen der (strukturell defizitären und auf Zuschüsse des Bundes angewiesenen) Eisenbahninfrastrukturunternehmen kommen265,
müssten diese (wenn sie nicht in dem Unternehmen verbleiben sollen) wegen
der Gewinnabführungspflicht266 an die Deutsche Bahn AG abgeführt werden.
Sie könnten dann auch für den Verkehrsbereich genutzt werden, um die Deutsche Bahn AG im Wettbewerb zu stärken.
Realisieren sich die Gefahren – wie zu erwarten ist –, hätte dies eine Beschränkung des Wettbewerbs zur Folge. Eine solche Beschränkung würde besonders
die Länder hart treffen. Zum einen sind die Länder auf den Wettbewerbsdruck
angewiesen, um ihre Kosten für den Personennahverkehr so niedrig wie möglich halten zu können. Zum anderen belasten hohe Netzentgelte überproportional den öffentlichen Personennahverkehr und damit die Länder, da diesen die
Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr obliegt.267 Nach Angaben der
262
Näher dazu Hermes/Schütz, in: Hermes/Sellner (Fn. 3), § 11 Rn. 6 f. Vgl. auch A. II.
263
Dass dies der Fall ist, zeigen die Streckenstilllegungen in der Vergangenheit.
264
Vgl. §§ 14 e, f AEG.
265
Ausweislich des Zwischenberichts des DB Konzerns für das erste Halbjahr 2007 wurde
auf dem Geschäftsfeld Netz eine deutliche Umsatzsteigerung (plus 147 Millionen Euro
auf 294 Millionen Euro) erzielt.
266
Vgl. § 2 Abs. 3 BESG-E.
267
Vgl. § 1 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Fn.
31).
98
Länder werden 60 Prozent der Trassenentgelte und 90 Prozent der Stationsentgelte über die Bestellung von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr
von den Ländern finanziert.268 Zwar erhalten die Länder für den öffentlichen
Personennahverkehr Regionalisierungsmittel vom Bund.269 Doch ist gerade
nicht gesichert, dass diese mit der Steigerung der Trassen- und Stationspreise
Schritt halten. Gerade deshalb haben die Verkehrsminister der Länder einstimmig gefordert, dass eine Steigerung der Trassen- und Stationspreise zu Lasten
des Nahverkehrs über die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel hinaus
ausgeschlossen werden muss.270 Preissteigerungen können und werden häufig
zur Folge haben, dass Verkehrsleistungen abbestellt werden müssen. Kommt
es dementsprechend nicht zu einer hinreichenden Nachfrage, hat dies zur Folge, dass die Trassen und Stationen stillgelegt werden. Festzuhalten bleibt nach
alledem, dass sich die mit einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG verbundene Minderung der Einflussnahmerechte des Bundes nicht damit rechtfertigen lässt, dass es auch bei einer Teilprivatisierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu einer Minderung der Einflussnahmerechte des Bundes
kommen würde.
IV.
Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes mit den Gesetzesvorbehalten des Art.
87 e Abs. 3 GG
Das Grundgesetz enthält im Hinblick auf die Organisation der Eisenbahninfrastrukturunternehmen in zweifacher Hinsicht einen Gesetzesvorbehalt. Zum einen erfolgt die „Veräußerung“ von Anteilen des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 1 GG „aufgrund eines Gesetzes“. Zum anderen bestimmt Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG, dass das Nähere
durch Bundesgesetz geregelt wird. Der zuletzt genannte Gesetzesvorbehalt hat
268
Vgl. zu den Angaben und Befürchtungen der Länder den Wirtschafts- und Verkehrsminister des Landes Hessen Rhiel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.7.2007, Nr. 174, S.
8.
269
Vgl. zu den (degressiven) Beträgen § 5 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Fn. 31).
270
Vgl. den Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt
1, III. Nr. 4.
99
eine doppelte Bedeutung. Zunächst bezieht er sich auf die Führung der Eisenbahnen des Bundes als Wirtschaftsunternehmen insgesamt (also auch auf die
Umwandlung der Deutschen Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft). Sodann
betrifft der Vorbehalt der näheren Regelung auch und gerade die Veräußerung
von Anteilen des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Gemäß
Art. 87 e Abs. 5 S. 1 GG bedürfen die Gesetze der Zustimmung des Bundesrates. Damit wird zugleich anerkannt, „dass jede Minderung der vollen Eigentümerstellung des Bundes die Interessen der Länder nachhaltig berühren kann“271
und die Zustimmungspflicht des Bundesrates auslöst.
Ob der Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG hier zum Tragen
kommt, könnte deshalb zweifelhaft sein, weil Anteile des Bundes an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht veräußert werden sollen. Nach derzeit geltendem Recht ist die Deutsche Bahn AG Eigentümerin der DB Netz, der DB
Station&Service AG und der DB Energie GmbH, der Bund nur mittelbarer Eigentümer. Da gemäß § 1 BESG-E die Anteile der Deutschen Bahn AG an den
Eisenbahninfrastrukturunternehmen auf den Bund übergehen sollen, würde der
Bund sogar die Stellung eines unmittelbaren Eigentümers erwerben. Doch hat
der Bund nach dem Entwurf des Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes gleichzeitig die Eigentümerrechte für einen langen Zeitraum (von im Regelfall mindestens achtzehn Jahren, aller Wahrscheinlichkeit nach aber für länger) dem teilprivatisierten wirtschaftlichen Eigentümer Deutsche Bahn AG zu überlassen.
Damit würden – wie ausgeführt272 - mittelbar auch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen privatisiert. Berücksichtigt man, dass Art. 87 e Abs. 3 S. 2 GG als
Ausgangspunkt die volle Eigentümerstellung des Bundes verfassungsrechtlich
festschreibt, kann der Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 1 GG nur
dahingehend verstanden werden, dass jede Minderung dieser Rechtsstellung
von einer gesetzlichen Zulassung abhängen soll.273 Dementsprechend muss
das Tatbestandsmerkmal „Veräußerung von Anteilen“ dem Zweck der Regelung entsprechend weit interpretiert werden. Hinzu kommt, dass alles Nähere
271
Vgl. Masing (Fn. 19), S. 39.
272
D. I.
273
Vgl. auch Masing (Fn. 19), S. 39.
100
einer Veränderung der Eigentumslage nach Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG ohnehin
der Gesetzgeber bestimmen muss. Eine Übertragung der Ausübung der Gesellschafterrechte auf eine teilzuprivatisierende juristische Person ist daher einer Veräußerung der Gesellschafterrechte gleichzustellen. Somit greifen die
Gesetzesvorbehalte des Art. 87 e Abs. 3 GG hier ein.
Ob der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes
den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG genügt, ist umstritten. Nach
Möllers ist dies der Fall, weil der Gesetzgeber nicht alle Einzelheiten zu regeln
brauche.274 Demgegenüber vertritt Masing eine andere Auffassung.
„Eine hinreichende gesetzliche Regelung für diese verdeckte Teilprivatisierung ist nicht ersichtlich. Insbesondere reicht das Deutsche-Bahn-Privatisierungsgesetz hierfür nicht: Dies ergibt sich
schon daraus, dass es die tatsächliche Bedeutung einer künftigen
Privatisierung der Deutschen Bahn AG für die Eisenbahninfrastrukturunternehmen in keiner Weise offenlegt. Die politische Entscheidung, den wirtschaftlichen Wert auch der Infrastrukturunternehmen mitzuprivatisieren, ist nicht in bestimmter und rechtsklarer
Form zum Ausdruck gebracht. Insoweit wird schon der Warnfunktion des Gesetzesvorbehalts des Art. 87 e III 3 GG nicht entsprochen.
Vor allem aber regelt das Deutsche-Bahn-Privatisierungsgesetz
auch in der Sache nicht, ob, wann und in welchem Umfang die
Privatisierung ins Werk gesetzt werden soll. Es eröffnet lediglich
die Erlaubnis zu einer Privatisierung, entscheidet aber noch nicht
einmal verbindlich, dass überhaupt eine Privatisierung erfolgen
muss. Schon gar nicht enthält das Gesetz Angaben über Zeitpunkt, Abfolge und Umfang der Privatisierung. Abgesehen von
dem Mehrheitsvorbehalt, der nicht mehr als eine äußere Grenze
ist, wird die gesamte Entscheidung über die Privatisierung in die
Hände der Exekutive gelegt. Die Gesetzesbegründung macht
deutlich, dass hierfür in flexibler Weise ‚das Bundesministerium
der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung’ (Begründung zu Art. 1 § 2 DB
PrivG, S. 12 der Begründung des Gesetzes zum EBNeuOG-E
2007) zuständig sein soll. Bezüglich der Eisenbahnverkehrsunternehmen, für deren Privatisierung keine spezifischer Gesetzesvorbehalt besteht, ist diese Regelung unbedenklich. Insoweit aber,
als mit der Deutschen Bahn AG wirtschaftlich auch die Infrastrukturunternehmen mitprivatisiert werden, ist dieses unzulässig: In
274
Möllers, in Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 34.
101
bezug auf sie soll die Privatisierungsentscheidung gerade nicht
flexibel in Ministerhand gelegt werden, sondern müssen die
Grundentscheidungen auf das Gesetz selbst zurückgehen. Eine
diskretionäre Entscheidung der Exekutive schließt Art. 87 e III 3
GG aus.
Indem die Entscheidung über das „Ob“ und die Umstände der Privatisierung in die Hände der Exekutive gelegt werden, werden
nicht nur die parlamentarische Minderheit, sondern insbesondere
auch die Länder von diesen Entscheidungen ausgeschlossen.
Während Art. 87 e Abs. 5 GG ihnen mit dem Zustimmungsrecht
ein substantielles Mitsprache- und Vetorecht einräumt, wird ihnen
in Folge des Zusammenwirkens von §§ 1, 2 DBPrivG-E und §§ 1
II, 2 ff. BESG-E jede Mitwirkung an der faktischen Privatisierung
der Eisenbahninfrastrukturunternehmen abgeschnitten. Mit der
ministeriellen Entscheidung über die Privatisierung der Deutschen
Bahn AG wird ihnen der Sache nach auch die Privatisierung der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen untergeschoben.“275
Zur Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts im vorliegenden Fall ist zwischen
dem „Ob“, dem „Wie“, dem „Wie viel“ und dem „Wann“ einer Privatisierung der
Deutschen Bahn AG (und damit mittelbar auch der Eisenbahninfrastrukturunternehmen) zu unterscheiden.
Wenn § 2 DBPrivG-E normiert, dass das Bundesministerium der Finanzen im
Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Umfang und Zeitabfolge der Privatisierung bestimmt, so ergibt sich daraus,
dass die Deutsche Bundesbahn AG privatisiert werden soll. Deshalb liegt über
das „Ob“ der Privatisierung eine ausreichende gesetzliche Regelung vor.
Keine Regelung enthält der Entwurf des Gesetzes über die teilweise Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG über das „Wie“ der Privatisierung. Auch der
Vorbehalt des Art. 87 e Abs. 3 S. 4 GG („Das Nähere wird durch Bundesgesetz
geregelt“) gebietet nicht, dass der Gesetzgeber alle Regelungen abschließend
selbst trifft. Nur die wesentlichen Privatisierungsentscheidungen muss der Gesetzgeber selbst verantworten. Wie dargelegt,276 wird derzeit kontrovers darüber diskutiert, ob die Aktien der Deutschen Bahn AG über die Börse veräußert
275
Masing (Fn. 19), S. 40 f.
276
Vgl. A. I. 1 c) (2).
102
oder Privatinvestoren angeboten werden sollen. Entscheidet man sich für eine
Veräußerung über die Börse, kommt eine Ausgabe normaler Aktien277, von vinkulierten Namensaktien278 und von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht279 in Betracht. Auch die beiden zuletzt genannten Varianten werden laut Presseberichten jedenfalls von Bundestagsabgeordneten der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands erwogen.280 Namensaktien zeichnen sich dadurch aus, dass das
Unternehmen einem Eigentümerwechsel widersprechen kann.281 Ausschließlich
profitorientierte institutionelle Großaktionäre könnten so abgewehrt werden. Das
Aktienrecht lässt ferner eine Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht zu.
Das Stimmrecht kann aber nur ausgeschlossen werden, wenn die Aktien mit einem nachzuzahlenden Dividendenvorzug ausgestattet sind.282 Es macht zwar
durchaus einen erheblichen Unterschied aus, ob sich die Aktien der Deutschen
Bahn AG im Streubesitz befinden oder ob neben dem Bund unter Umständen
nur noch ein Privatinvestor (möglicherweise sogar zu 49,9 %) beteiligt ist. Doch
erscheint eine vorherige gesetzliche Festlegung insoweit nicht zwingend erforderlich, auch weil dem Bund „ein flexibles Handeln unter Berücksichtigung der
Marktgegebenheiten“ bei der Ausgabe der Aktien zugestanden werden muss.283
Dagegen macht es einen fundamentalen Unterschied aus, ob normale Aktien
respektive vinkulierte Namensaktien oder Vorzugsaktien ohne Stimmrecht284
ausgegeben werden. Gehören zu den privaten Anteilseignern der Deutschen
Bahn AG nur Aktionäre ohne Stimmrecht, stellt sich die Machtverteilung im Unternehmen völlig anders da als bei einer Beteiligung von Privaten, die Einfluss
auf die Unternehmenssteuerung nehmen können.285 Diese grundlegende Weichenstellung muss der Gesetzgeber selbst treffen und darf die Entscheidung
277
Das heißt von Aktien i. S. d. § 12 Abs. 1 S. 1 AktG.
278
Vgl. § 10 Abs. 1 AktG.
279
Vgl. § 12 Abs. 1 S. 2 AktG.
280
Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.8.2007, Nr. 194, S. 9.
281
Vgl. Fn. 23.
282
Vgl. § 139 Abs. 1 AktG.
283
Vgl. auch Gesetzesbegründung, S. 52.
284
Vgl. § 12 Abs. 1 S. 2, 139 ff. AktG.
285
Vgl. B. IV. 2. c).
103
nicht dem Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung überlassen.
Im Hinblick auf das „Wie viel“ einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn
AG bestimmt § 1 Abs. 1 DBPrivG-E nur, dass die Mehrheit der Anteile beim
Bund verbleiben muss. Der Mehrheitsvorbehalt gibt nur eine äußerste, sich im
Falle eines integrierten Verbundes von Verkehrsunternehmen und Infrastrukturunternehmen ohnehin aus Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 2 GG ergebende Grenze
vor, die in jedem Falle eingehalten werden muss, präjudiziert aber im Übrigen in
keiner Weise die Entscheidung des Bundesministeriums für Finanzen und des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Da die Privatisierungsquote für die Machtverteilung in der Deutschen Bahn AG grundsätzliche
Bedeutung hat, darf die Entscheidung über den Umfang einer Beteiligung Privater – von einer Minimalbeteiligung bis zur Höhe von 49,9 Prozent – nicht allein
der Exekutive anvertraut werden. Der Gesetzgeber muss vielmehr festlegen,
bis zu welcher Beteiligungsquote die Privatisierung angestrebt werden soll.
Auch dann erhalten die genannten Ministerien genügend Freiraum, um sich
wirtschaftlich verhalten zu können. Wird etwa durch Gesetz vorgegeben, dass
bis zu 25 % der Aktien veräußert werden sollen, zwingt dies nicht das Bundesministerium für Finanzen sofort tätig zu werden oder alle Aktien auf einmal anzubieten. Vielmehr darf abgewartet werden, bis sich ein angemessener Veräußerungserlös erzielen lässt. Als zulässig anzusehen ist auch eine gesetzliche
Bestimmung, nach der bis zu 49,9 Prozent Dritte an der Deutschen Bahn AG
beteiligt werden sollen. Der Unterschied zu der vorgesehenen Regelung des §
1 Abs. 1 DBPrivG-E besteht darin, dass dem Bundesministerium der Finanzen
dann ein Handlungsauftrag erteilt wird, Aktien in diesem Umfang zu veräußern,
wenn die Marktgegebenheiten dies hergeben.
Nicht geregelt wird in dem Gesetz über die teilweise Kapitalprivatisierung der
Deutschen Bahn AG des Weiteren das „Wann“ einer Privatisierung, also der
Zeitpunkt einer Veräußerung der Anteile. Doch ergibt sich aus dem Gesetzentwurf mit hinreichender Deutlichkeit, dass baldmöglichst eine Privatisierung angestrebt werden soll (das heißt, wenn sich ein angemessener Aktienkurs errei-
104
chen lässt). Einer weitergehenden gesetzlichen Programmierung bedarf es
nicht.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der Entwurf eines Gesetzes zur
Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes in verschiedener Hinsicht den
Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 S. 3 HS 1 und S. 4 GG nicht gerecht
wird.
V.
Ergebnis und Resümee
1.
Die Eigentumskonstruktion des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes verfolgt das Ziel, das juristische und
wirtschaftliche Eigentum zu trennen. Der Versuch, die verfassungsrechtlichen und die wirtschaftlichen Zielsetzungen in Einklang zu bringen,
kommt einer Quadratur des Kreises gleich. Behält der Bund nicht die erforderlichen Einflussrechte, wird Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG verletzt.
Erhalten die privaten Anleger nicht das versprochene wirtschaftliche Eigentum, werden ihre grundrechtlich geschützten Interessen verletzt.
2.
Die Dauer der Sicherungsübertragung und die Wertausgleichspflicht des
Bundes im Falle einer Beendigung der Sicherungsübertragung haben
prohibitive Wirkung und erlauben dem Bund entgegen Art. 87 e Abs. 3 S.
2 und 3 GG nicht, den Vermögenswert seines Anteilseigentums durch
Wiederzusammenführung von wirtschaftlichem und juristischem Eigentum in vollem Umfange nutzen zu können.
3.
Die Übertragung der Stimmrechte in den Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen vom
Bund auf die Deutsche Bahn AG respektive den Vorstand der Deutschen
Bahn AG stellt nach Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG eine unzulässige materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt
dar.
105
4.
Bei der Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind der Bund und der Vorstand der Deutschen Bahn
AG auf eine Einigung angewiesen, so dass der Bund seinen Willen nicht
einseitig durchsetzen kann.
5.
Die dem Bund nach § 3 des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes eingeräumten Zustimmungsvorbehalte beziehen sich nur auf
Ausnahmetatbestände. Auch die Zustimmungsvorbehalte des § 2 Abs. 3
des Entwurfs eines Bundeseisenbahnenstrukturgesetzes vermögen die
Einflussrechte des Bundes nicht aufzuwiegen.
6.
Das zulässige Ausmaß einer Unternehmenssteuerung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch die Deutsche Bahn AG wird hinsichtlich der
Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Wegeentgelten sowie der
Zuweisung von Fahrwegekapazitäten durch das europäische Gemeinschaftsrecht bestimmt. Wird die Unabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht gewährleistet, wird europäisches Gemeinschaftsrecht verletzt. Sollte eine Unabhängigkeit gegeben sein, kann bei der
Trassenvergabe und Trassenpreisfestsetzung weder von dem wirtschaftlichen Eigentümer Deutsche Bahn AG noch von dem juristischen Eigentümer Bund Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen genommen werden. Dies ist mit Art. 87 e Abs. 3 S. 2 und 3 GG nicht vereinbar.
7.
Die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes auf die Deutsche Bahn AG in ihrer Eigenschaft als wirtschaftlicher Eigentümer der Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen zurück, weil nicht sichergestellt ist, dass der Bund von seinem Recht
zur alleinigen Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der
Aktionäre Gebrauch macht, aller Wahrscheinlichkeit nach die privaten
Aktionäre im Aufsichtsrat vertreten sein werden und die Vertrauenspersonen des Bundes im Aufsichtsrat wegen des Eingreifens der unternehmerischen Mitbestimmung ihre Mehrheit im Aufsichtsrat verlieren, wenn
106
auch nur ein Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn AG von den privaten Anteilseigner bestellt wird.
8.
Die materielle Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG lässt sich nicht
mit der vom Grundgesetz akzeptierten materiellen Teilprivatisierung der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen vergleichen. Bei einer materiellen
Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die privaten Anteilseigner der Deutschen Bahn AG darauf dringen werden, die Infrastrukturinvestitionen in die von der Deutschen Bahn
AG selber genutzten Netzteile zu lenken und die Trassen- und Stationspreise anzuheben. Dies hätte für den Schienenpersonennahverkehr und
damit für die hierfür verantwortlichen Länder erhebliche nachteilige Wirkungen.
9.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des
Bundes ist mit den Gesetzesvorbehalten des Art. 87 e Abs. 3 GG insofern nicht vereinbar, als Regelungen über die Art und das anzustrebende
Ausmaß einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG fehlen.
10.
Insgesamt ist aus dem Befund der Schluss zu ziehen, dass der Entwurf
eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes den
Maßstäben des Art. 87 e Abs. 2 S. 2 und 3 GG nicht genügt.
107
E.
Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes mit der Gewährleistungsverpflichtung
des Art. 87 e Abs. 4 GG
Wie ausgeführt286, kann der Bund seiner sich aus Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG ergebenden Gewährleistungsverpflichtung im Hinblick auf den Ausbau und Erhalt
des Schienennetzes durch unternehmensinterne oder externe Einflussnahmen
auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nachkommen, wobei jedoch externe Steuerungsmöglichkeiten das Fehlen der verfassungsrechtlich gebotenen
unternehmensinternen Ingerenzrechte nicht auszugleichen vermögen. Hinsichtlich der Beurteilung der unternehmensinternen Ingerenzrechte des Bundes auf
die Eisenbahninfrastrukturunternehmen kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.287 Zu klären bleibt, ob die externen Ingerenzbefugnisse
des Bundes für sich genommen ausreichen, um insoweit den Auftrag des Art.
87 e Abs. 4 S. 1 GG zu erfüllen, und ob die gesetzlichen Regelungen dem Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG gerecht werden. Nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes soll der
Bund auf externem Wege im Wesentlichen nach Maßgabe des neuen Bundesschienenwegegesetzes (I.) sowie des geänderten Allgemeinen Eisenbahnengesetzes Einfluss nehmen (II.). Deshalb ist darauf zunächst einzugehen, bevor
zum Gesetzesvorbehalt des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG (III.) Stellung genommen
werden kann. Eine Feststellung des Ergebnisses schließt die Ausführung ab
(IV.).
I.
Die Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach dem Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes
Der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes differenziert zwischen der
Erhaltung der Schienenwege (1.) und dem Ausbau der Schienenwege (2.). Ei286
C. II. 1.
287
Vgl. die Ausführungen zu D.
108
ner gesonderten Betrachtung bedarf die Bestimmung des § 21 BSEAG-E über
den Nahverkehr (3.).
1.
Die Einwirkungsbefugnisse zur Erhaltung der Schienenwege
a)
Die Regelung des Gesetzentwurfs
Nach § 3 Abs. 1 BSEAG-E haben die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des
Bundes ihre Schienenwege in einem nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 BSEAG-E festgelegten Zustand (betriebsbereiter Zustand288) zu erhalten. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 5
BSEAG-E schreibt die Festlegung der maßgeblichen Parameter des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege vor und nennt insbesondere den zulässigen theoretischen Fahrzeitverlust im gesamten Netz und „weitere technische
Qualitätsparameter“ im Hinblick auf die zu erzielende Qualität der Schienenwege. Dafür übernimmt der Bund die Kosten der notwendigen Maßnahmen und
gewährt den Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine Unterstützung von bis zu
2,5 Milliarden Euro jährlich (§ 3 Abs. 2 BSEAG-E). Zur Bestimmung des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege und der finanziellen Leistungen
des Bundes und der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes zur Erlangung und Aufrechterhaltung des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege sollen das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und
das Bundesministerium der Finanzen einerseits sowie gemeinsam die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes andererseits eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung abschließen (§ 4 Abs. 1 S. 1 BSEAG-E). Der Gesetzentwurf regelt zugleich, welche Bestimmungen die Vereinbarung jedenfalls enthalten muss (§ 4 Abs. 1 S. 2 BSEAG-E). Nach der Gesetzesbegründung soll
die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung eine umfassende Eigenverant288
Kritisch hierzu die Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 1 (S. 3) (der erste Referentenentwurf sah noch die Formulierung ein „uneingeschränkt nutzbarer Zustand“ vor; ein „betriebsbereiter Zustand“ ein „erfordert qualitativ weniger und ist unzureichend. Abzustellen wäre auf den Soll-Zustand des Netzes, der regional gegliedert und streckengenau festgehalten werden muss. Maßstab für den Sollzustand des Netzes/der Strecken sollte
grundsätzlich das Verzeichnis zulässiger Geschwindigkeiten zu einem bestimmten Stichtag sein, wobei die Möglichkeit einer Bereinigung um bereits eingearbeitete mangelbedingte Langsamfahrstellen zu prüfen ist. Nach Ausbaumaßnahmen ist der Sollzustand
entsprechend zu aktualisieren.“)
109
wortlichkeit der die finanzielle Unterstützung erhaltenden Eisenbahninfrastrukturunternehmen begründen. Damit soll zugleich von dem bisherigen, auf Einzelmaßnahmen bezogenen Einsatz der Bundesmittel und dessen Kontrolle abgerückt werden.289 Ihrer Rechtsnatur nach handelt es sich bei der Leistungsund Finanzierungsvereinbarung um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag (§ 4
Abs. 1 S. 1 BSEAG-E). Kommt eine Einigung über die Vereinbarung nicht zustande, kann das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im
Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen die erforderlichen
„Anordnungen“ treffen (§ 4 Abs. 3 S. 1 BSEAG-E), also sich der Handlungsform
des Verwaltungsaktes bedienen.290 Dabei sind das Interesse des Bundes an
der Erhaltung eines leistungsfähigen Schienenwegenetzes und die wirtschaftlichen Interessen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes hinreichend zu berücksichtigen (§ 4 Abs. 3 S. 2 BSEAG-E). Die Geltungsdauer der
ersten abzuschließenden Vereinbarung soll fünfzehn Jahre betragen (§ 5 Abs.
1 BSEAG-E). Um die Eisenbahninfrastrukturunternehmen kontrollieren zu können, normiert der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes Infrastrukturzustands- und -entwicklungsberichtspflichten der Eisenbahninfrastrukturunternehmen (§ 6 BSEAG-E) sowie Untersuchungsbefugnisse des Bundes (§ 7
BSEAG-E). Ferner werden dem Bund im Falle von Pflichtverletzungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen Rückforderungs- und Schadensersatzansprüche eingeräumt (§§ 8, 9, 11 BSEAG-E).
b)
Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
Im Wesentlichen soll die Erhaltung der Schienenwege künftig durch den Abschluss einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sichergestellt werden.
Ob die Höhe der vom Bund bereitgestellten Mittel (bis zu 2,5 Milliarden Euro)
derzeit ausreicht, vermag der Unterzeichner nicht zu beurteilen. In fünfzehn
Jahren kann sich die Lage jedenfalls völlig anders darstellen. Daher bedarf es
289
Gesetzesbegründung, S. 66.
290
Vgl. auch § 4 Abs. 5 BSEAG-E (Anfechtungsklage).
110
einer Dynamisierungsklausel, die an den Netzumfang zu koppeln ist291 (da sich
der Finanzbedarf verringert, wenn Strecken und Stationen stillgelegt werden).
Auf Kritik gestoßen ist die lange Laufzeit der ersten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung.292 Die Zeit von fünfzehn Jahren sei mit Blick auf die permanenten verfassungsrechtlichen Pflichten des Bundes, den Bestand des Schienenetzes wirksam zu überwachen, ein deutlich zu langer Zeitraum und bedürfe
daher der „verfassungskonformen Beschränkung“.293 Zumindest müsse es
Nachsteuerungsmöglichkeiten im Sinne von Anpassungsrechten294 oder Kündigungsrechte295 geben.
Der Bund kann seinem Infrastrukturauftrag nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG nur
nachkommen, wenn er in der Lage ist, auf geänderte Verhältnisse beim Bau der
Schienenwege zu reagieren und Pflichtverletzungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen abzustellen. Nur dann kann auch der Abschluss einer Vereinbarung über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren hingenommen werden. Somit
muss der Bund über adäquate Anpassungs- und Kündigungsrechte verfügen.
Nach § 4 Abs. 2 S. 1 BSEAG-E ist die erste Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung nach einem Jahr Laufzeit von den Vertragsparteien binnen sechs
Monaten zu überprüfen, um festzustellen, ob mit der abgeschlossenen Vereinbarung die Erlangung und die Aufrechterhaltung des betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege erreicht werden kann. Wird ein Änderungsbedarf festgestellt, ist die Vereinbarung unverzüglich entsprechend anzupassen. Die Möglichkeit späterer Änderungen der Vereinbarung bleibt unberührt. Nach dem Ge-
291
Vgl. auch Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr.1; Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 1 (S. 3).
292
Vgl. Möllers, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 33 f.; Masing (Fn. 19), S. 46; Fehling, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages, Protokoll
(Fn. 17), S. 15.
293
Möllers, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 33 f.
294
Fehling, Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages,
Protokoll (Fn. 17), S. 15.
295
Möllers, in: Möllers/Schäfer (Fn. 18), S. 32 ff.; Masing (Fn. 19), S. 46.
111
setzentwurf müssen beide Vertragsparteien feststellen, dass ein Änderungsbedarf besteht. Dementsprechend spricht die Gesetzesbegründung auch nur von
einvernehmlicher Anpassung.296 Dies reicht indessen nicht aus. Wenn ein Änderungsbedarf objektiv feststeht, weil mit der abgeschlossenen Vereinbarung
die Erlangung und die Aufrechterhaltung des betriebsbereiten Zustandes der
Schienenwege nicht erreicht werden kann, muss der Bund in der Lage sein,
auch einseitig Anpassung verlangen und durchsetzen zu können. Anpassungsvorbehalte könnten zwar zum Inhalt der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gemacht werden. Doch bedürfte es dafür wieder eines einvernehmlichen
Zusammenwirkens. § 4 Abs. 2 BSEAG-E dürfte auch eine abschließende Regelung enthalten, so dass ein Rückgriff auf die gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG nur subsidiär geltende Vorschrift des § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG nicht in Betracht kommt.
Im Übrigen kann nach § 60 Abs. 1 S. 1 VwVfG eine Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhalts ohnehin nur verlangen, wenn sich die Verhältnisse,
die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert haben, dass einer Vertragspartei
das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten
ist. Dies ist für die Wahrnehmung des Gewährleistungsauftrags des Bundes
aber zu eng, weil ein Änderungsbedarf auch dann besteht, wenn sich zwar nicht
die Verhältnisse ändern, sich aber herausstellt, dass sich auf dem vorgesehenen Wege ein betriebsbereiter Zustand der Schienenwege nicht erreichen lässt.
Demgemäß genügt § 4 Abs. 2 BSEAG-E insoweit nicht den Anforderungen des
Art. 87 e Abs. 4 GG.
Ein Kündigungsrecht normiert der Entwurf des Bundesschienenwegegesetzes
nicht. Allerdings endet die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gemäß §
5 Abs. 2 BSEAG-E unabhängig von der vereinbarten Geltungsdauer mit Beendigung der „Sicherungsübertragung“. Gemäß § 6 BESG-E endet die „Sicherungsübertragung“ außer in den in § 5 BESG-E genannten Fällen
„1. wenn der Bund die außerordentliche Kündigung aus wichtigem
Grund der nach § 4 des Bundesschienenwegegesetzes abzuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung erklärt,
296
Gesetzesbegründung, S. 71.
112
2. wenn die wiederholte Pflichtverletzung nach § 10 des Bundesschienenwegegesetzes rechtskräftig festgestellt ist.“
Nach der Gesetzesbegründung soll ein wichtiger Grund „insbesondere“ vorliegen, wenn eines der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zahlungsunfähig wird,
überschuldet im Sinne von § 19 InsO ist, die Zahlungsunfähigkeit droht,
schwerwiegende Verstöße der Deutschen Bahn AG oder eines Eisenbahninfrastrukturunternehmen gegen die Vorschriften des Bundeseisenbahnstrukturgesetzes zu verzeichnen sind oder sich wesentliche Änderungen der europarechtlichen Rahmenbedingungen ergeben. Ein wichtiger Grund dürfte ferner gegeben sein, wenn es gilt, schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder
zu beseitigen.297 Auch wenn es nahe gelegen hätte, ein Kündigungsrecht in
dem Gesetz zu verankern, das sich mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung befasst, ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 BESG-E mit hinreichender
Deutlichkeit, dass die Vorschrift ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund
normiert und nicht nur voraussetzt.298
Eine wiederholte Pflichtverletzung nach § 10 BSEAG-E liegt vor, wenn die Eisenbahninfrastrukturunternehmen die in § 8 Abs. 4 BSEAG-E genannten Ziele
wiederholt nicht erreichen und dies zu vertreten haben. Relevant sind nach § 8
Abs. 4 BSEAG-E Verfehlungen der vorgegebenen Ziele bei
„1. theoretischem Fahrverlust,
2. Qualitätskennzahlen für die Netzqualität,
3. festgelegtem Mindestinstandhaltungsbeitrag der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes oder
4. zu erbringendem Mindestersatzinvestitionsumfang.“
Nach § 10 BSEAG-E kann der Bund dann Feststellungsklage erheben (über die
das Bundesverwaltungsgericht entscheidet299). Mit Rechtskraft des Urteils des
Bundesverwaltungsgerichts endet die bestehende Leistungs- und Finanzie-
297
Vgl. § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG.
298
Vgl. demgegenüber aber Masing (Fn. 19), S. 46, der die Auffassung vertritt, dass für die
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen keine Kündigungsrechte vorgesehen seien.
299
Vgl. Art. 9 des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes.
113
rungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen und damit zugleich die „Sicherungsübertragung“ zwischen dem Bund
der Deutschen Bahn AG.
Die Vorschriften der §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 BESG-E, 10 BSEAG-E i. V. m. § 8
Abs. 4 BSEAG-E sind undifferenziert geraten. Unklar bleibt zum Beispiel, ob die
Verfehlung eines der in § 8 Abs. 4 BSEAG-E genannten Ziele ausreicht (oder
mehrere oder gar alle Ziele verfehlt werden müssen), die wiederholte Pflichtverletzung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens genügt (um die mit allen Eisenbahninfrastrukturunternehmen abgeschlossene Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zum Wegfall zu bringen) und sich die Qualitätskennzahlen
auf das Netz insgesamt beziehen müssen (oder ob zwischen Fern- und Nahverkehrsstrecken 300, Schienen und Bahnhöfen respektive regionalen Untergliederungen zu unterscheiden ist). Da der Gesetzgeber nach Art. 87 e Abs. 1 S. 2
GG nähere Regelungen zu treffen hat (D. III.), reichen die vorgesehenen gesetzlichen Bestimmungen nicht aus. Ferner wird die Verknüpfung einer vorzeitigen Beendigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit einer vorzeitigen Beendigung der „Sicherungsübertragung“ den verfassungsrechtlichen
Anforderungen nicht gerecht. Der Verknüpfung liegt ein Alles-oder-NichtsPrinzip zugrunde, weil die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung nur vorzeitig beendet wird, wenn die Integration von Netz- und Verkehrsbetrieb insgesamt wegfällt. Der Ausschluss einer Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung301 führt entweder dazu, dass der Bund auf partielle Pflichtverstöße nicht angemessen reagieren kann oder er das die Deutsche Bahn AG
schützende Übermaßverbot verletzt, weil er nur die völlige Trennung von Netzund Verkehrsbetrieben als Sanktion zulässt. Deshalb ist eine an präzise gesetzliche Voraussetzungen gebundene Teilkündigung zuzulassen.
300
Vgl. auch die Ausführungen zu E. I. 3.
301
Zur Notwendigkeit des Inbetrachtziehens einer Teilkündigung vgl. Beschluss der SonderVerkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 2; Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des
BMVBS (Fn. 201), Nr. 3 (S. 4).
114
c)
Weitere Regelungsdefizite
Auch wenn nicht grundsätzlich zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber die in
Betracht kommenden Maßnahmen zur Erlangung und Aufrechterhaltung des
betriebsbereiten Zustandes der Schienenwege in weitem Ausmaße einer Vereinbarung überlassen will, ist nicht zweifelsfrei, ob es auch im Übrigen weitergehender gesetzlicher Regelungen bedarf. Zu denken ist etwa an die Festsetzung eines Eigenmittelanteils der Eisenbahninfrastrukturunternehmen302 oder
präzisere Qualitätsparameter, als sie die §§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6 Abs. 2 Nr.
4 vorsehen303, auch für Stationen und Serviceeinrichtungen304. In jedem Falle
erscheint es notwendig, eine gesetzliche Regelung darüber zu treffen, wem die
Erlöse im Falle einer Veräußerung nicht betriebsnotwendiger Immobilien zustehen und wie die Erlöse gegebenenfalls verwertet werden sollen.305 Der Grundstückwert des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes dürfte im dreistelligen Milliardenbereich anzusiedeln sein. Daher muss der Gesetzgeber im Fall
einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG festlegen, wem gegebenenfalls
anfallende Veräußerungserlöse zustehen sollen.
2.
Die Einwirkungsbefugnisse zum Ausbau der Schienenwege
Die Regelungen des Entwurfs eines Bundesschienenwegegesetzes entsprechen im Wesentlichen denjenigen des derzeit geltenden Bundesschienenwegeausbaugesetzes. Gemäß § 12 Abs. 1 BSEAG-E sollen die Schienenwege der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes nach dem Bedarfsplan für die
Bundesschienenwege ausgebaut werden. Der Bund finanziert die Maßnahmen
zum Ausbau der Schienenwege im Rahmen der zur Verfügung stehenden
Haushaltsmittel grundsätzlich allein (§ 19 S. 1 BSEAG-E). Etwas anderes gilt
302
Vgl. Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 8 ( S. 7).
303
Vgl. Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 9 (S. 8).
304
Vgl. Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1,
III. Nr. 6.
305
Vgl. auch die Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder
zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 2 (S. 3).
115
nach § 19 S. 2 BSEAG-E, wenn der Ausbau der Schienenwege auf Antrag eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens des Bundes in den Bedarfsplan aufgenommen wurde und die Baumaßnahme im unternehmerischen Interesse des
Eisenbahninfrastrukturunternehmens liegt. In diesem Falle kann in der nach §
20 BSEAG-E abzuschließenden Vereinbarung auch festgelegt werden, dass
sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes an der Finanzierung
beteiligen (§ 19 S. 2 BSEAG-E). Nähere Vorgaben für die Finanzierungsvereinbarungen und Baudurchführungen sind in § 20 BSEAG-E normiert worden.
Ferner begründet § 22 BSEAG-E unter den dort genannten Voraussetzungen
einen Rückzahlungsanspruch des Bundes.
Nicht geregelt wurde dagegen, wie zu verfahren ist, wenn sich Eisenbahninfrastrukturunternehmen entweder weigern eine Finanzierungsvereinbarung abzuschließen oder wenn sie unzumutbare Bedingungen für den Abschluss einer
solchen Vereinbarung stellen. Nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG muss der Bund
auch den Ausbau des Schienennetzes gewährleisten. Daher genügt der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes insoweit den verfassungsrechtlichen
Anforderungen nicht. Der Gesetzgeber muss für den Fall, dass es nicht zu einer
Einigung über die Finanzierungsvereinbarung zum Ausbau der Schienenwege
kommt, entweder einen Kontrahierungszwang, die Möglichkeit eines Handelns
der Bundesverwaltung durch Verwaltungsakt entsprechend § 4 Abs. 3 BSEAGE oder die Ausschreibung der Ausbaumaßnahmen306 vorschreiben.
3.
Die vorgesehene Regelung für den Nahverkehr
Von den Mitteln, die der Bund für die Erhaltung sowie den Ausbau der Schienenwege der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes zur Verfügung
stellt, sind gemäß § 21 BSEAG-E zwanzig vom Hundert für Maßnahmen im
Schienenwege der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes, die dem
Schienenpersonennahverkehr dienen, zu verwenden. Gemäß Satz 2 der Bestimmung stimmen die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes diese
306
Vgl. Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 3 (S. 4).
116
Maßnahmen mit dem jeweiligen Land ab. Die gesetzlichen Regelungen sind zu
unpräzise geraten. Da die Deutsche Bahn AG vor allem den Fernverkehr betreibt und somit eine Gefahr besteht, dass die in den Konzern der Deutschen
Bahn AG eingegliederten Eisenbahninfrastrukturunternehmen den Nahverkehr
vernachlässigen, müssen die gesetzlichen Bestimmungen sicherstellen, dass
der Ausbau und der Erhalt der Nahverkehrsstrecken und der Nahverkehrsstationen angemessen berücksichtigt werden. In weitem Umfange werden die Eisenbahnstrecken aber sowohl für den Fern- als auch für den Nahverkehr benutzt. Wenn § 20 S. 1 BSEAG-E davon spricht, dass zwanzig vom Hundert der
vom Bund für den Ausbau und den Erhalt der zur Verfügung gestellten Mittel für
Maßnahmen zur Verfügung zu stellen sind, „die dem Schienenpersonennahverkehr dienen“, bleibt offen, wie viele Mittel den reinen Nahverkehrsprojekten zugute kommen sollen. Wie bereits ausgeführt wurde307, bezieht sich § 4 Abs. 1
S. 2 (ebenso wie die §§ 6 Abs. 2 und 8 Abs. 4) BSEAG-E nur auf die Strecken
insgesamt, ohne Untergliederung zwischen Nah- und Fernverkehr. Damit bleibt
von Gesetzes wegen ungeregelt, welche Qualitätsparameter und Bewirtschaftungspflichten gerade für den Nahverkehrsbereich gelten sollen. Ferner erscheint es erforderlich, eine regionale Untergliederung des Infrastrukturzustands- und -entwicklungsberichts insbesondere im Hinblick auf den Netzzustandsbericht (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 7, 8 BSEAG-E) vorzusehen.308 Zwar müssen
die Mittel des Bundes nicht strikt nach starren Länderquoten vergeben werden.309 Da sich der Infrastrukturauftrag des Bundes aber auf das Gebiet aller
Länder bezieht, ist auf eine ausgewogene regionale Verteilung zu achten. Dies
setzt eine Beteiligung der Länder voraus.310 Ob dem die in § 21 S. 2 BSEAG-E
vorgesehene Abstimmung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen mit dem jeweiligen Land gerecht wird, ist zweifelhaft, weil die Vorschriften mehr die technische Umsetzung im Blick hat. Auch der die Gegenstände des Bedarfsplans
307
Fn. 288.
308
Vgl. auch Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 2; Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 1 (S. 2).
309
Vgl. demgegenüber aber Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 2.
310
Vgl. auch Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 1.
117
regelnde, sowohl den Nah- als auch den Fernverkehr erwähnende § 14
BSEAG-E schreibt eine regionale Untergliederung nicht ausdrücklich vor. Ferner fehlt dem Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes eine Sanktionsregelung speziell für den Fall der Unterschreitung des insgesamt für den Nahverkehr
einzusetzenden Anteils oder für den Fall eines von den Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu verantwortenden Instandhaltungsrückstaus.311 Gerade insoweit bietet sich eine Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung an.312 Schließlich erwähnt Art. 87 e Abs. 5 S. 2 GG zwar den Fall der Übertragung von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes an Dritte. Der
Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes geht hierauf aber nicht weiter ein.
Da einer Bewirtschaftung von Teilnetzen durch Dritte gerade im Regionalbereich erhebliche Bedeutung zukommt, ist eine gesetzliche Regelung erforderlich, ob und unter welchen Umständen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll.313 Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass die gesetzlichen Regelungen für den Nahverkehr nicht ausreichen.
II.
Die Einwirkungsbefugnisse des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach dem novellierten Allgemeinen Eisenbahngesetz
Wie sich aus § 1 Abs. 1 des geltenden Allgemeinen Eisenbahngesetzes ergibt,
verfolgt dieses Gesetz eine vierfache Zielsetzung. Zunächst dient es der Gewährleistung eines sicheren Betriebs der Eisenbahn (1.), und eines attraktiven
Verkehrsangebots auf der Schiene (2.) sowie der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs auf der Schiene bei dem Erbringen von
Eisenbahnverkehrsleistungen und dem Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen
(3.). Ferner dient das Gesetz der Umsetzung oder Durchführung von Rechtsak311
Dies
ist
von
der
Verkehrsministerkonferenz
(Beschluss
der
SonderVerkehrsministerkonferenz, Fn. 41, Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 2) und den obersten
Verkehrsbehörden der Länder (Gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörde der Länder zum Referentenentwurf des BMVBS, Fn. 201, S. 1) zu Recht kritisiert
worden.
312
Vgl. bereits E. I. 1. b).
313
Vgl. auch den Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III. Nr. 3.
118
ten der Europäischen Gemeinschaften im Bereich des Eisenbahnrechts (4.).
Das Allgemeine Eisenbahngesetz betrifft somit nicht nur Eisenbahninfrastrukturunternehmen, sondern auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes enthält
dreizehn Änderungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes.314 Diese betreffen
zumeist Klarstellungen, geänderte Behördenzuständigkeiten und Detailfragen.
Teilweise werden die Eisenbahninfrastrukturunternehmen an weitergehende
Pflichten gebunden.315 In keinem Falle werden die Befugnisse der Bundesbehörden abgeschwächt, vielmehr in verschiedener Hinsicht verstärkt.316 Soweit in
der Vergangenheit rechtliche Bedenken gegen die Regelungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes geäußert wurden, beziehen sich diese vor allem auf
die – bereits thematisierte317 – Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsvorschriften
des europäischen Gemeinschaftsrechts. Des Weiteren wird problematisiert, ob
die Regelungen über Abgaben und Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen (§ 11 AEG) ausreichen. Dieser Fragestellung braucht darauf in diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen zu werden. Verstößt das geltende Allgemeine Eisenbahngesetz nicht gegen Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG, kann
für die angestrebten, tendenziell auf eine Verschärfung hinauslaufenden Neuregelungen nichts anderes gelten. Sollte das Allgemeine Eisenbahngesetz partiell hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG zurückbleiben, ist
dies bereits der geltenden Gesetzesfassung, nicht dem Entwurf einer Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes anzulasten. Offen bleibt nur die Frage,
ob gerade wegen der geänderten Lage nach einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG weitere Vorschriften verfassungsrechtlich erforderlich sind. Soweit es um die Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsbestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts geht, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.318 Im Übrigen kommt eine Verbesserung des Regulierungsrahmens vor allem im Hinblick auf den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur und den zu zahlen-
314
Vgl. Art. 4 des Gesetzes.
315
Vgl. z. B. die §§ 9 a Abs. 1 Nr. 5, Nr. 7, 14 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 S. 4 AEG-E.
316
Vgl. etwa §§ 14 b Abs. 1 a, 14 c Abs. 1 AEG-E.
317
Siehe D. III. 4. a).
318
Vgl. D. III. 4. a).
119
den Entgelten in Betracht. Die Verkehrsminister der Länder haben sich dafür
ausgesprochen, die Wettbewerbsneutralität durch die Weiterentwicklung des
Rechtsrahmens der Bundesnetzagentur zu sichern. So seien eine Genehmigungspflicht ex ante für Trassen- und Stationspreise und weitere sofort einsetzbare Regulierungsinstrumente, wie zum Beispiel Bußgeldvorschriften, einzuführen und die Befugnisse der vorgesehenen Beschlusskammern zu erweitern.319
Ferner müsse eine Steigerung der Trassen- und Stationspreise zu Lasten des
Nahverkehrs über die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel hinaus ausgeschlossen werden.320 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es sich anbietet, die im Recht anderer Netzwirtschaften gemachten Erfahrungen für den Eisenbahnsektor fruchtbar zu machen.321
Jedoch muss zwischen den verfassungsrechtlichen Anforderungen und dem
rechtspolitisch Wünschenswerten unterschieden werden.322 Wie dargelegt323,
enthält Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG nur eine Staatszielbestimmung, die dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum belässt. Zudem hängt das Ausmaß der erforderlichen externen Regulierung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen von den unternehmensinternen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes ab. Wird den sich aus Art. 87 a Abs. 3 S. 2 u. 3 GG ergebenen Vorgaben
Rechnung getragen, kann sich der Gesetzgeber bei der externen Regulierung
stärker zurückhalten. Aus den genannten Gründen ist das „Ob“ und „Wie“ einer
Weiterentwicklung des mit dem Allgemeinen Eisenbahngesetz und mit den auf
seiner Rechtsgrundlage erlassenenen Rechtsverordnungen normierten Regulierungsrahmens jedenfalls in erster Linie dem gesetzgeberischen Ermessen
anheimgestellt.
319
Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III.
Nr. 9. Vgl. auch gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder
zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 6 (S. 6 f.).
320
Beschluss der Sonder-Verkehrsministerkonferenz (Fn. 41), Tagesordnungspunkt 1, III.
Nr. 4. Vgl. auch gemeinsame Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörden der Länder
zum Referentenentwurf des BMVBS (Fn. 201), Nr. 4 (S. 5).
321
Kritisch demgegenüber Gersdorf, Entgeltregulierung im Eisenbahnsektor, 2007, S. 9 f.,
der dies für eine „Versuchung“ hält, die allzu rasch auf einem Irrweg landen könnte.
322
Vgl. auch A. IV.
323
C. I.
120
III.
Wahrung des Gesetzesvorbehalts des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG
Die Gewährleistungsverantwortung des Bundes ist nach Art. 87 e Abs. 4 S. 2
GG mit einem Gesetzesvorbehalt versehen, wonach „das Nähere“ durch Bundesgesetz zu regeln ist. Der Bundesgesetzgeber hat – über die Sicherung eines
Bundeseinflusses nach Art. 87 e Abs. 3 S. 3 GG hinaus – alle wesentlichen
Fragen gesetzlich zu regeln, welche die Art und Weise der Wahrnehmung der
Gewährleistungsverantwortung durch den Bund betreffen.324 Nach Auffassung
von Hermes genügt der Entwurf eines Bundesschienenwegegesetzes dem Gesetzesvorbehalt nicht, weil er wesentliche Fragen einer Konkretisierung durch
die Exekutive überlässt.325 Dem ist nur mit Einschränkungen zuzustimmen. Das
öffentliche Recht kommt ohne Gestaltungsspielräume zugunsten der Exekutive
nicht aus. Auch die Bestimmung des Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG verbietet nicht,
der Exekutive solche Gestaltungsspielräume zu überlassen. In Übereinstimmung mit Hermes muss zwar angenommen werden, dass der Gesetzgeber die
nach Art. 87 e Abs. 4 S. 1 GG wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen
hat. Die Schwierigkeit besteht aber darin, das Wesentlichkeitskriterium zu präzisieren.326 Nach der hier vertretenen Ansicht reicht jedenfalls die für den Nahverkehr vorgesehene Regelung des § 21 BSE AG-E nicht aus. Ferner bedarf
die Veräußerung nicht betriebsnotwendiger Immobilien und die Verwendung der
Veräußerungserlöse einer gesetzlichen Regelung. Unabhängig davon bestehen
gegen die getroffenen gesetzlichen Regelungen in verschiedener Hinsicht aus
inhaltlichen Gründen verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. auch E. IV.).
IV.
Ergebnis
324
Hermes, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 51), S. 3.
325
Hermes, Schriftliche Stellungnahme (Fn. 51), S. 3; vgl. auch Kirchhof, Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Protokoll (Fn. 17), S. 10 f. „Im Übrigen wäre mir
auch nicht ganz klar, ob diese Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung dem institutionellen Gesetzesvorbehalt entspräche“.
326
Allgemein zu den Konkretisierungsschwierigkeiten der Wesentlichkeitstheorie – im
grundrechtlichen Bereich – Ehlers (Fn. 75), § 2 Rn. 43 ff.; Maurer (Fn. 221), § 6 Rn. 11
ff. Art. 87 e Abs. 4 S. 2 GG betrifft zwar nicht den grundrechtlichen, sondern den staatsorganisatorischen Bereich, doch ist die Problemstellung vergleichbar.
121
Die im Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgesehenen externen Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die
Eisenbahninfrastrukturunternehmen bleiben – unabhängig von den nach Art. 87
e Abs. 3 S. 3 GG gebotenen Sicherungsmaßnahmen – jedenfalls in fünffacher
Hinsicht hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück. Zum Ersten
muss der Bund eine einseitige Anpassung verlangen können, wenn mit der abzuschließenden Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ein betriebsbereiter
Zustand der Schienenwege nicht erreicht werden kann. Zum Zweiten ist auch
eine Teilkündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zuzulassen.
Zum Dritten muss dem Bund die Möglichkeit gegeben werden, den Ausbau der
Schienenwege dann durchsetzen zu können, wenn sich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen weigern, eine Finanzierungsvereinbarung zu zumutbaren
Bedingungen abzuschließen. Zum Vierten ist die Regelung über den Nahverkehr nicht ausreichend. Zum Fünften bedarf die Veräußerung von Immobilien
einer gesetzlichen Regelung.
122
F.
Die Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes mit Art. 87 e Abs. 3 und 4 GG im Falle
einer Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien der Deutschen
Bahn AG
Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes
schließt nicht aus, dass statt normaler Aktien oder (vinkulierter) Namensaktien
nur Vorzugsaktien ohne Stimmrecht an Private ausgegeben werden. Sollte dieser Weg eingeschlagen werden, verändert dies die Rechtslage grundlegend.
Da die Privaten in diesem Falle keinerlei Einflussrechte erwerben, vielmehr der
Bund diese allein behält, ist insoweit dieselbe Lage wie nach gegenwärtigem
Recht gegeben. Der Bund verfügt dann trotz Zwischenschaltung der Deutschen
Bahn AG über einen Einfluss auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen, der
dem verfassungsrechtlichen Untermaßverbot genügt. Soweit es um die Vermögensrechte an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen geht, steht der Bund allerdings nicht besser da als bei einer normalen Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG. Ein Rückholrecht des Bundes, das es ihm erlauben würde,
wieder unmittelbarer Inhaber der sich aus seinem Eigentum ergebenden Vermögensrechte zu werden, wird wegen der langen Dauer der „Sicherungsübertragung“ und der Verpflichtung zum Wertausgleich de facto so erschwert, dass
der Bund sein juristisches Eigentum nicht mehr so wie ein normaler Eigentümer
nutzen kann. Dies stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken. Zudem ist bereits
ausgeführt worden, dass die Festlegung auf eine bloße Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht nicht der Exekutive überlassen werden darf, sondern
dem Gesetzgeber vorbehalten ist.327 Schließlich bleiben auch im Falle der Ausgabe lediglich stimmrechtsloser Vorzugsaktien die im Entwurf eines Gesetzes
zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes vorgesehenen externen
Einflussnahmemöglichkeiten des Bundes auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen partiell hinter den Anforderungen des Art. 87 e Abs. 4 GG zurück (vgl.
E.).
327
D. IV.
123
G.
Resümee
Resümierend ist festzustellen, dass das Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes mit den sich aus Art. 87 e Abs. 3 u. 4 GG ergebenden Vorgaben kollidiert. Die Feststellung bezieht sich nicht nur auf die Regelung verschiedener Details, sondern auch und vor allem auf die grundsätzliche Konzeption einer Integration von Netz- und Verkehrsbetrieb bei gleichzeitiger Trennung
von juristischem und wirtschaftlichem Eigentum, die zu einer Art Quadratur des
Kreises nötigt und eine materielle Teilprivatisierung der Ausübung von Staatsgewalt zur Folge hat. Die verfassungsrechtlichen Probleme werden in einem
erheblichen Ausmaße entschärft, wenn die Teilprivatisierung der Deutschen
Bahn AG ausschließlich mittels der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien
erfolgt.
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation
der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG)
Verfassungsrechtliche und
ökonomische Bewertung
Gutachten im Auftrag der
Sonder-Verkehrsministerkonferenz der Länder
Teil II: Ökonomische Bewertung
15. September 2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
KCW GmbH
Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht
Charlottenstr. 65
Universitätsstr. 14-16
10117 Berlin
48143 Münster
Prof. Dr. Dirk Ehlers
1
Vorwort
Die Länder haben am 2.8.2007 auf der Sonder-Verkehrsministerkonferenz einvernehmlich den Beschluss gefasst, den von der Bundesregierung vorgelegten
Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes (EBNeuOG) im Rahmen der geplanten Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG
gutachterlich bewerten zu lassen.
Hintergrund der Beauftragung ist die Befürchtung der Länder, dass der Gesetzentwurf in seiner vorliegenden Fassung den spezifischen Länderinteressen an
einem bezahlbaren und qualitativ hochwertigen Schienenverkehr - insbesondere
dem Schienenpersonennahverkehr - nicht hinreichend Rechnung trägt. Ausdruck dessen sind die einstimmigen Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz
vom 22./23.11.2006 und 18./19.4.2007. Hierunter fällt auch die Feststellung,
dass der Gesetzentwurf die Grundsätze der Entschließung des Bundestags vom
24.11.2006 – vornehmlich die Forderung des dauerhaft gesicherten Mehrheitseigentums des Bundes – nicht vollinhaltlich umsetzt.
Vor diesem Hintergrund soll das Gutachten vertiefend prüfen, wie der Gesetzentwurf
 aus verfassungsrechtlicher Sicht zu bewerten ist, insbesondere auch unter
Einbeziehung der nachträglichen Änderungen infolge der Ressortabstimmung der Bundesministerien, die noch nicht Gegenstand der Sachverständigenanhörung des Bundestages vom 23.5.2007 zur verfassungs- und bilanzrechtlichen Konformität des damaligen Entwurfsstandes des EBNeuOG
sein konnten.
 im Sinne der Aufgabenverantwortung der Länder im Schienenpersonennahverkehr ökonomisch zu beurteilen ist. Hierzu formuliert der Beschluss
der Sonder-Verkehrsministerkonferenz vom 2.8.2007 unter III. einen Forderungskatalog, der aus zehn Punkten besteht. Untersucht werden soll, ob
diese zehn Forderungen durch den Gesetzentwurf abgedeckt werden, wo
Nachbesserungsbedarf besteht und wie dieser in Lösungsvorschläge überführt werden kann.
Aufgrund der thematischen Eigenständigkeit der Prüfaufträge wurden beide Teile separat verfasst. Um den Gesetzentwurf ganzheitlich beurteilen zu können,
bilden sie dennoch eine Klammer.
Seite 2
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Inhalt
1
VORWORT .....................................................................................2
2
DAS WICHTIGSTE AUF ZWEI SEITEN ...........................................5
3
MANAGEMENT ZUSAMMENFASSUNG ...........................................7
3.1.
Wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur ..................... 7
3.2.
Folgenabschätzung für die Länder.................................................... 9
3.3.
Abgleich der Länderforderungen mit dem Gesetzentwurf ..................12
3.4.
Empfehlungen für die Position der Länder .......................................14
4
AUFBAU .......................................................................................18
5
KAPITALMARKTRENDITE IN DER
SCHIENENINFRASTRUKTUR.......................................................20
6
FOLGENABSCHÄTZUNG FÜR DIE LÄNDER..................................24
6.1.
Bedeutung des SPNV......................................................................24
6.2.
Maßnahmenspektrum zur Gewinnsteigerung in der Schieneninfrastruktur.....................................................................................25
6.3.
Preiserhöhungen für Vorleistungen (Trassen, Stationen)...................26
6.4.
Reduzierung der Infrastruktur-„Menge“ ...........................................32
6.5.
Verlagerung der Finanzierungslasten bei Investitionen .....................38
7
ABGLEICH DER LÄNDERFORDERUNGEN MIT DEM
GESETZENTWURF .......................................................................41
7.1.
Prüfmaßstab: Sicherung des Gemeinwohlauftrags ............................41
7.2.
Wertausgleich ................................................................................42
7.3.
Mitwirkungs- und Kontrollrechte bei Nahverkehrsinvestitionen ..........48
7.4.
LuFV – Sanktionen und Teilkündigung.............................................51
Seite 3
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
7.5.
Regionalisierung der Infrastruktur als Option ...................................79
7.6.
Trassen- und Stationspreise deckeln ...............................................82
7.7.
Weisungsunabhängigkeit der EIU....................................................84
7.8.
Stationen.......................................................................................88
7.9.
LuFV – Erprobung und Einbindung der Länder .................................90
7.10. Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht ..............................93
7.11. Regulierung ...................................................................................99
7.12. Gemeinwohlauftrag Fern- und Güterverkehr ..................................107
8
EMPFEHLUNGEN FÜR DIE POSITION DER LÄNDER .................111
8.1.
Nachbesserungen im System ........................................................111
8.2.
Nachbesserungen am System .......................................................113
Seite 4
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
2
Das Wichtigste auf zwei Seiten
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung führt zur faktischen Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Klarer Beleg ist der Wertausgleich – laut Bund derzeit 7,5 Mrd. €. Diesen müsste der
Bund an die DB AG zahlen, wenn er das größtenteils von ihm selbst finanzierte Netz und die
Stationen zurücknähme. Das rechtliche Eigentum des Bundes ist eine leere Hülle.
Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur Folge, dass die
Geschäftsfelder Netz und Personenbahnhöfe kapitalmarktadäquate Renditen erzielen müssen.
Diese lassen sich der aktuellen Planung der DB AG bereits entnehmen. Das Ergebnis des Netzes
soll von - 212 Mio. € 2006 auf + 568 Mio. € 2011 steigen. Damit wäre das bislang als strukturell
defizitär geltende Netz neben der Logistiktochter Schenker der größte Gewinnbringer des Konzerns. Die Personenbahnhöfe sollen ihren Gewinn mehr als verdoppeln.
Das Infrastrukturmonopol soll eine Rendite abwerfen, die aufgrund ihrer Berechenbarkeit attraktiv ist. Die Bundesregierung ist in diese Pläne eingeweiht und unterstützt sie aktiv. Dem
Schienenpersonennahverkehr – d.h. den Ländern - wird die Rolle des Hauptzahlers zugedacht.
Folgende Auswirkungen der Privatisierung auf die Länder lassen sich begründet herleiten:
Themenfeld
Folgen
Preise für Vorleistungen
(Trassen, Stationen, Energie)
 Sichere Mehrbelastung von 1 Mrd. € bis 2011
 Kaufkraft der RegMittel wird kontinuierlich entwertet, erzwingt
Streichung von 5 bis 10 % des SPNV-Angebotes
Betriebslänge Netz
 6.000 bis 10.000 Netzkm sind mittelfristig stilllegungsgefährdet,
davon voraussichtlich 2.000 km beschleunigt (siehe LuFV)
Stationen
 Stationen < 100 Ein-/Aussteiger pro Tag werden geschlossen
Finanzierung Investitionen
 DB wird Eigenmittel auf Minimum reduzieren
 Investitionen in Regionalnetze/Bahnhöfe zunehmend durch Länder
Die Vorkehrungen des EBNeuOG-E zum Schutz des Gemeinwohlauftrags – v.a. Verkehr „in der
Fläche“ – halten dem Renditedruck des Kapitalmarktes nicht stand. Die größte Schwäche liegt in
der Wirkungslosigkeit des Maßnahmen-„Dreiecks“ – Infrastrukturzustandsbericht, Leistungsund Finanzierungsvereinbarung, Wertausgleich - zur Sicherung der Infrastrukturqualität.
Nachbesserungen im System sind möglich und zwingend erforderlich. Die Forderungen der Länder im VMK-Beschluss vom 2.8.2007 weisen in die richtige Richtung, sollten aber präzisiert werden. Lösungsvorschläge zu den einzelnen Forderungen sind der tabellarischen Übersicht auf der
nächsten Seite zu entnehmen. Zentral für den Schutz der Länderinteressen ist die Änderung der
Wertausgleichsregelung. Die öffentliche Hand darf das Netz nicht zweimal bezahlen. Nur nach
der Privatisierung geschaffene Mehrwerte dürfen dem Investor vergütet werden. Die Länder
müssen die Gewissheit haben, dass Nachjustierungen an der Privatisierung bis hin zur Kündigung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung bei Schlechtleistungen des Netzbetreibers
eine politisch umsetzbare Option bleiben. Bei 7,5 Mrd. € Wertausgleich ist dieser Weg verbaut.
Aber: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sämtliche Nachbesserungen die Interessen der Länder am Ende nicht schützen können. Sie kurieren nur an den Symptomen, ohne das Grundproblem zu lösen: die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur. Vom Bund können die
Länder kaum Unterstützung erwarten. Er wird unter dem Druck des Kapitalmarktes noch stärker
die Eigentümerinteressen verfolgen (müssen), als er diesen Weg schon heute freiwillig geht.
Treffend beschrieben sind die künftigen Kräfteverhältnisse mit der Aussage in der Langfassung
des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des Bundes
als öffentlicher Anteilseigner:
„…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen, wenn der Bund seine
Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“
Seite 5
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Bund und v.a. Länder mögen die Folgen dieses Rollenverständnisses gründlich überdenken.
Nr.
Forderung VMKBeschluss
Lösungsvorschläge (Auswahl)
-
Wertausgleich bei
Rücknahme Netz
Nur nach der Privatisierung geschaffene Mehrwerte vergüten.
Maßstab: Investitionen der DB AG aus Eigenmitteln
1
Mitwirkung Investitionen Nahverkehr
 Gesetzl. Trennung der Quoten: 5 bis 10 % in Neu- und Ausbau,
20% Bestandsnetz, dazu Mindestinstandhaltungsquote
 Investitionsmittel den RegMitteln zuschlagen
2
LuFV - Sanktionen,
Teilkündigung
 LuFV-Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Länder
 Gesetz räumt Ländern Klagerechte ein
 2,5 Mrd. € gelten für 34.000 km Netz, keine Stilllegungsprämie
 Länder erhalten Recht, in Regionalnetzen Ersatzvornahme bei
Qualitätsmängeln anzuordnen
 Gesamte LuFV muss erheblich präzisiert und geschärft werden,
insbes. Sanktionssystem
3
Regionalisierung
Teilkündigung für Länder „handwerklich“ vorbereiten (Recht, Mittelausstattung, Herauslösen aus Sicherungsübereignung, Wertausgleich)
4
Begrenzung des Risikos von Preissteigerungen (Trassen,
Stationen)
 Gesetzliche Begrenzung des Anstiegs der Vorleistungspreise
(Trassen, Stationen) auf 1,5 % p.a.
5
Weisungsunabhängigkeit
Wiederaufnahme in Gesetzentwurf (siehe 1. Entwurf), dazu Ausdehnung des Regelungsbereichs analog EU-RL 2001/12-14, Vorbild: Unbundlingvorschriften im Energiesektor
6
Stationen
Erhebliche Ausweitung der Kriterien, angelehnt an „Bahnhofsentwicklungsprogramm“ der DB, aber mit harten Kennziffern
7
LuFV – Erprobung
 Ein Jahr Erprobung incl. Sanktionen vor Beschlussfassung
 Weist DB AG dem Regulierer höheren Anstieg nach, übernimmt
der Bund die Differenz
 Zustimmungsgesetz kurz vor der Umsetzung der Privatisierung
8
Infrastrukturzustandsbericht
 Grundlegende Änderungen am Messkonzept
 Streckenbezogene Gliederung
 Aufnahme von Kennziffern zur Kapazität
 Länder erhalten Vorschlagsrecht für 5 Strecken zur Stichprobenmessung (EBA muss insges. 5.000 km p.a. prüfen)
9
Regulierung
 Aktive ex-ante-Regulierung aller Infrastrukturkosten auf Basis
effizienter Leistungserbringung (nach SPNV differenziert)
 Personalstärke BNetzA-Eisenbahn auf Niveau von Energie, Telekom (auch Zahl der Beschlussabteilungen)
10
Gemeinwohlauftrag
Fern- und Güterverkehr
 Güterverkehrsbedürfnisse über LuFV absichern (Kapazität, insbes. Abstell-, Überholgleise)
 Gemeinwirtschaftlicher Fernverkehr: Ausweitung der Bestellerrolle erscheint auch nach PrivG möglich, Systemfrage
 Ggf. gesetzliche Verpflichtung zu „Fernverkehrsplan“ mit Mindestbedienung
Seite 6
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
3
Management Zusammenfassung
3.1. Wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuorganisation der Eisenbahnen
des Bundes (EBNeuOG-E) basiert auf dem Eigentumssicherungsmodell (ESM).
Kernidee des ESM ist es, zwischen rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum
an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) zu trennen. Während das
rechtliche Eigentum auf den Bund im Wege der Sicherungstreuhand übertragen
wird, behält die DB AG das wirtschaftliche Eigentum an den EIU. Diese untypische Aufspaltung soll den Kompromiss leisten, sowohl den Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes sicherzustellen, als auch der DB AG die Bilanzierung der Schieneninfrastruktur zu ermöglichen.
Die wirtschaftliche Eigentümerstellung ist aus bilanzrechtlicher Sicht an strenge
Bedingungen geknüpft. Im Prinzip muss der wirtschaftliche Eigentümer nahe
dem Range eines Volleigentümers agieren können. Der Bund darf als rechtlicher
Eigentümer – von einzelnen Rechtsgeschäften abgesehen - nur noch geringen
Einfluss ausüben. Die Anwaltskanzlei Hölters & Elsing, die das BMVBS berät,
formuliert die Anforderungen wie folgt:
„Während der Laufzeit der Sicherungsabrede behält die DB AG als Sicherungsgeberin uneingeschränkten Zugriff auf die Chancen und Risiken der
Anteile und kann aufgrund der erteilten Stimmrechtsvollmacht weiterhin
die Stimmrechte in den Gesellschafterversammlungen ausüben. … Damit
kann die DB AG den Bund letztlich vollständig von Substanz und Ertrag
der Anteile ausschließen.“
Aus der vorstehenden Kompetenzverteilung ergeben sich zwei Erkenntnisse:
 Realitätsfremd ist die Vorstellung, der private Investor verzichte auf die
Entsendung von Vertretern seines Vertrauens in den Aufsichtsrat. Genau
dies wurde den Kritik übenden Ministerien während der Ressortabstimmung in Aussicht gestellt, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Als vermeintlicher Kronzeuge des Bundes dient der nachträglich eingefügte Abs. 3 in § 1 DBPrivG, wonach sich der Bund zu keiner
bestimmten Stimmabgabe bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern
verpflichten dürfe. Kürzlich hat die Bundesregierung jedoch zugegeben,
dass dieser Schutzmechanismus löchrig ist.
„Mitglieder von Privatinvestoren müssen von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat gewählt werden. Dies kann mit den Stimmen des Bundes geschehen.“
Seite 7
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
 Stellt man die im Gesetzentwurf vorgesehenen Zugriffsrechte des Bundes
und der DB AG auf die Schieneninfrastruktur gegenüber, ist unübersehbar, dass diese wirtschaftlich privatisiert wird. Deutlichste Indikatoren
sind die Abführung der Infrastrukturgewinne an den Konzern ohne
Zweckbindung und insbesondere der Wertausgleich. Würde tatsächlich
„kein Meter Schienennetz“ privatisiert, müsste der Bund keinen Wertausgleich – derzeit laut Bundesregierung rund 7,5 Mrd. € - bezahlen, um die
überwiegend von ihm selbst finanzierte Schieneninfrastruktur zurückzuholen. Die zivilrechtliche Stellung des Bundes ist de facto kaum mehr als
eine symbolische Hülle.
Die ökonomische Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur
Folge, dass sie in gleichem Maße dem Renditeanspruch des Kapitalmarktes unterliegt wie die Transportgesellschaften der DB AG. Investoren erwarten, dass
alle Segmente eines Unternehmens ihre Kapitalkosten verdienen – auch das
Schienennetz, das bisher als strukturell defizitär gilt. Die Vorboten dieses kapitalmarktinduzierten Paradigmenwechsels schlagen sich in der aktuellen Gewinnplanung der DB AG für die Geschäftsfelder Netz und Stationen deutlich
nieder.
Businessplan DB AG: Netzmonopol als sichere Gewinnquelle (vor DB Regio)
Ist-Daten
Betriebserg. n. Zinsen DB Netz (Ist/Plan) Plan-Daten
Gewinn
nach
BE
II
Zinsen
Mio.
EURin Mio. €
568
600
400
300
2500 LuFV-Mittel
495
437
DB AG / BMVBS:
Umstellung auf 100% Zuschuss zu
Baukosten „zwingend“, weil Netz
angeblich strukturell defizitär
369
Privatisierungsgesetz
500
:
200
100
0
-100
Kum. Verlust:
1,6 Mrd. €
-200
-300
22% der
Bundesmittel
werden als
Gewinn
privatisiert
233
Kumul. Monopolgewinn: 2,1 Mrd. €
Wer bezahlt Gewinn
der Investoren?
Primär Länder (SPNV)
-400
-500
-600
2001
2002
2003
2004
2005
2006
Anmerkung: Planung ging vermutlich von Verabschiedung des Gesetzes
2007 aus, inzwischen muss der orange Balken nach rechts verschoben
werden
2007
2008
2009
2010
2011
Quellen: Geschäftsberichte DB AG,
Mittelfristplanung 2006 DB AG lt. Capital
Während das Netz von 2001 bis 2006 im Mittel gut 250 Mio. € Verlust pro Jahr
erwirtschaftete, soll es bis 2011 neben der Logistiksparte Schenker zum größten
Gewinnbringer des Konzerns ausgebaut werden. Geplant ist ein Ergebnissprung
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
um 780 Mio. € von 212 Mio. € Verlust 2006 auf 568 Mio. € Gewinn 2011. Die
geplante Umsatzrendite liegt im Bereich anderer Netzmonopolisten (z.B. Strom,
Wasser), die wegen ihrer hohen Monopolgewinne in letzter Zeit unter öffentliche Kritik und in den Fokus der EU-Kommission geraten sind. Erzielt das Netz
568 Mio. € Gewinn, fließen 22 % des jährlichen Bundeszuschusses von 2,5 Mrd.
€ in den Konzerngewinn und finanzieren die Dividende privater Investoren mit.
Auch bei den Personenbahnhöfen sollen die Gewinne mehr als verdoppelt werden.
3.2. Folgenabschätzung für die Länder
Hinterlegt man die Gewinnplanung mit Maßnahmen, wird deutlich, dass auf die
Länder erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zukommen. Haupttreiber der fiskalischen Zusatzlasten sind Trassen- und Stationspreiserhöhungen. Hiervon sind
die Länder besonders betroffen, da der SPNV der Hauptnutzer der Infrastruktur
ist und wegen seiner Zahlungsfähigkeit an erster Stelle abgeschöpft wird. Fest
eingeplant sind bereits Trassenpreissteigerungen von (gerundet) 2 % p.a. bis
2011. Schreibt man die für 2008 angekündigte Erhöhung von durchschnittlich
2,4 % bis 2011 fort, beträgt die Mehrbelastung rund 1 Mrd. €. Liegt die Steigerung bei 3,5 % pro Jahr, steigen die Zusatzlasten noch stärker an. Da der SPNV
rund 86 % alle Stationsentgelte entrichtet, werden auch die dort geplanten
Preiserhöhungen vornehmlich auf die Länder überwälzt. In den Verkehrsverträgen der Aufgabenträger mit den SPNV-Verkehrsunternehmen sind die Infrastrukturnutzungsentgelte im Regelfall als durchlaufende Posten angelegt, so
dass die Mehrkosten voll auf die Länder durchschlagen.
Weil die Regionalisierungsmittel nicht im Gleichschritt mit den Preiserhöhungen
steigen, sinkt die Kaufkraft eines Euros Bestellentgelt der Länder kontinuierlich.
In welchem Ausmaß die Entwertung auf das Verkehrsangebot durchschlägt,
hängt primär von der Bereitschaft der Länder ab, eigene Mittel einzusetzen.
Ohne kompensatorische Maßnahmen zeichnet sich die Streichung von rund 5
bis 10 % des Gesamtangebotes im SPNV bis 2011 ab. Setzt sich die Öffnung
der Schere zwischen der Dynamisierung der Regionalisierungsmittel und der
Steigerung der Vorleistungspreise auch danach fort, sind weitere Teile des
SPNV-Angebotes kürzungsgefährdet.
Eine zweite Folge der Privatisierung ist der wachsende Druck auf die Betriebslänge des Netzes. Da das Schienennetz insgesamt strukturell defizitär ist, erhöht der Renditeanspruch des Kapitalmarktes den Druck auf die unprofitabelsten Teile des Netzes. Dies sind vor allem die Regionalnetze, die den Verkehr „in
der Fläche“ gewährleisten. Der Wirkmechanismus entfaltet sich nicht direkt, aber dennoch konsequent. Als Hebel bietet sich die „strategische Priorisierung
von Investitionsmitteln“ für Netz und Stationen an. Sie ist nicht nur schon vieSeite 9
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
lerorts beobachtbar, sondern in der Anfang des Jahres veröffentlichten Strategie ProNetz offen angelegt. So fällt das umsatzschwächste Drittel des Netzes
(17.000 Gleiskilometer), das weniger als 10% zum Gesamtumsatz beiträgt,
nicht in das Programm der präventiven Instandhaltung. Bei den Investitionen
heißt es:
„Gesamtes Netz hinsichtlich bereits geplanter Investitionsmaßnahmen
prüfen. … [Unterpunkt:] Insbesondere Schwachlastregionen hinsichtlich
des Mitteleinsatzes überprüfen.“
Hierzu passen aktuelle Hinweise von Aufgabenträgern, nach denen Regionalmanager von DB Netz beklagten, dass sie 2008 aufgrund von Umschichtungen
der Mittel zugunsten des Fern- und Ballungsnetzes nur noch 50% ihrer alten
Planansätze zur Verfügung hätten.
Die Konzentration der Mittel setzt in den Randbereichen eine Abwärtsspirale in
Gang. Sinkt die Attraktivität einer Verbindung, wandern die Fahrgäste zunehmend ab, was den Netzbetreiber in seiner Schwerpunktsetzung für die Verteilung der Investitionsmittel bestärkt. Sobald Angebotskürzungen durch steigende
Infrastrukturentgelte oder äußere Anlässe (Einschnitte bei Regionalisierungsmitteln) erzwungen werden, rücken die Schwachlaststrecken an die Spitze der
Streichliste. Das Ziel der „kalten Stilllegung“ wird unmerklich, aber effektiv über
einen Umweg erreicht. Formale Entscheidungsrechte wie die Bestellhoheit der
Länder oder die Stilllegungsautonomie des Bundes (§ 11 AEG) erweisen sich in
der Praxis als schwache Instrumente - faktisch ist es der Netzbetreiber, der als
Bauträger und Disponent der Investitionsmittel maßgeblich über die wirtschaftliche Daseinsberechtigung einer Strecke entscheidet.
Mittelfristig ist damit zu rechnen, dass die betriebswirtschaftlichen Handlungszwänge der Netzprivatisierung zu einer Verkleinerung des Netzes um rund
6.000 bis 10.000 Streckenkm führen – davon 2.000 km mit beschleunigtem
Druck wegen der Konzeption der LuFV (vgl. 3.3). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die heutigen Regionalnetze (rund 11.500 km). In einem aktuellen
Strategiepapier der DB AG ist dazu passend von „unprofitabler Infrastruktur“ die
Rede, für die Handlungsalternativen gesucht werden müssten. Wieviel von diesem Segment „überlebt“, hängt vorrangig von der Bereitschaft und der Finanzkraft der Länder ab, für die Ersatzinvestitionen aufzukommen. Hinsichtlich der
Stationen zeichnet sich als erster Schritt der DB AG ab, auf die Schließung der
Stationen unter 100 Ein- und Aussteigern pro Tag hinzuwirken.
Der dritte wesentliche Effekt der Privatisierung ist die beschleunigte Verlagerung der Finanzierungsverantwortung für Infrastrukturinvestitionen auf die öffentliche Hand. Der Bericht des Bundesrechnungshofs zur Finanzierung der
Schienenwege vom März 2006 belegt, dass dieser Trend bereits seit 2001 sichtbar greift. Insgesamt wird der Bund der DB AG bis 2008 Vorteile im Wert von
rund 9 Mrd. € verschafft haben.
Seite 10
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Im Gegenzug ist die Eigenmittellinie der DB AG deutlich gesunken. Neben dem
Bund werden die Länder mit dieser Restriktion beständig konfrontiert. Bis auf
wenige Ausnahmen bewegt sich z.B. bei Bahnhofssanierungen oder kleineren
Investitionen in Fahrkartenautomaten, Toiletten u.ä. nur dann etwas, wenn das
Land alle Kosten einschließlich der Planung übernimmt. In der Branche hat sich
der Begriff der „120%-Finanzierung“ etabliert. Diese unternehmerisch nachvollziehbare Haltung der DB AG wird sich nach der Zementierung des Netzmonopols durch die Privatisierung noch spürbar verstärken. Die Länder werden vor
der Wahl stehen, ihre Investitionsabsicht aus Budgetgründen aufzugeben oder
aber selbst einzuspringen.
Im Ergebnis zeitigt die Teilprivatisierung der Infrastruktur einen wachstumsfeindlichen Effekt: Die Finanzierung des Systems Schiene wird staatslastiger als
zuvor – entgegen den erhofften Vorteilen einer Privatisierung.
Auch der Wettbewerb auf der Schiene droht nach der Privatisierung an
Schwung zu verlieren. Aktienrechtlich ist der Vorstand der DB AG verpflichtet,
alle Maßnahmen zum Wohl des Unternehmens zu ergreifen. Es wäre gegen die
Lebenswirklichkeit, das vorhandene Diskriminierungspotenzial des integrierten
Netzbetriebs brachliegen zu lassen. Die Länder könnten dann betroffen sein,
wenn die Zahl der Bieter in den SPNV-Ausschreibungen auf wenige Unternehmen reduziert würde und der Druck in Richtung Wettbewerbspreise nachließe.
Als Fazit der Folgenabschätzung ist festzuhalten, dass die Renditeerwartungen
des Kapitalmarktes den gemeinwohlbasierten Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes nachhaltig in die Defensive drängen. Die Länder werden Leistungen der Daseinsvorsorge härter erstreiten – und vor allem deutlich teurer
bezahlen müssen. Jede bestellte Leistung des Infrastrukturmonopolisten bezuschlagt der Kapitalmarkt mit einer höheren Gewinnerwartung als die heutige
DB AG. Da das Spannungsverhältnis zwischen Rendite und Gemeinwohl systemisch ist, kann kein Gesetz diesen Gegensatz auflösen. Es kann nur versuchen,
das öffentliche Interesse so gut wie möglich zu verteidigen. Hierzu müssen in
den Gesetzentwurf wirksame Schutzvorkehrungen eingebaut werden.
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3.3. Abgleich der Länderforderungen mit dem Gesetzentwurf
Der vorliegende Gesetzentwurf leistet die erforderliche Schutzfunktion nicht. Im
Ergebnis sind die Interessen der Länder dem Einfluss des Kapitalmarktes weitgehend ausgeliefert; der ohnehin geringe verkehrspolitische Spielraum tendiert
gegen null.
Insbesondere das miteinander zu verzahnende Instrumenten-Dreieck zur Sicherung einer guten Infrastrukturqualität erweist sich als stumpf und sieht keine
Einwirkungsmöglichkeiten der Länder vor:
 Der gegenwärtige Infrastrukturzustands- und –entwicklungsbericht (IZB)
hat nur minimale Aussagekraft. Das Messkonzept protegiert den Netzbetreiber, indem es die Folgen betrieblicher Mängel durch Ausblenden
der Fahrdynamik kleinrechnet, Langsamfahrstellen nur selektiv einbezieht und der DB AG die Definition der Soll-Geschwindigkeit zumindest
teilweise überlässt. Sämtliche Kriterien werden als bundesweite Durchschnittswerte gemessen, womit de facto Qualitätsmängel in Bayern
durch Planübererfüllung in Mecklenburg-Vorpommern ausgeglichen werden können. Den betroffenen Fahrgästen und Bestellern nützt dies
nichts. Vergleicht man den IZB der DB AG mit dem Netzzustandsbericht
des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, ergeben sich für Brandenburg erhebliche Abweichungen. Laut VBB-Geschäftsführer Franz wird der
wahre Netzzustand verschleiert.
 Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist – soweit im Entwurf
bekannt – unausgereift und zur gerichtsfesten Steuerung des Netzbetreibers untauglich. Sie ist als Monolith so konzipiert, dass der Bund stets
vor einer „Alles-oder-nichts“-Entscheidung steht: entweder den gesamten Vertrag im Werte von 2,5 Mrd. € kündigen oder alles beim alten belassen. Dadurch entsteht eine kaum überwindbare Hürde für Nachsteuerungen und die Verhängung angemessener Sanktionen. Eine vollständige
Kündigung erscheint extrem unwahrscheinlich. Das Sanktionssystem ist
bis heute nur in Ansätzen erkennbar, der Höchstbetrag der Rückforderung schöpft den wirtschaftlichen Vorteil des Netzbetreibers wahrscheinlich nicht ab. Anpassungen des Zuwendungsbetrags bei Netzverkleinerungen greifen erst unterhalb von 32.000 km. Damit werden 2.000 km
Netz praktisch schon heute als Stilllegungsprämie dem Investor überantwortet.
 Die Wertausgleichsregelung ist so angelegt, dass die ultima ratio – die
Kündigung der LuFV wegen gehäufter Schlechtleistung – nach politischen
Maßstäben so gut wie ausgeschlossen ist. Bemessungsgrundlage des
Wertausgleichs ist das bilanzielle Eigenkapital der EIU, das laut Bundesregierung derzeit 7,5 Mrd. € beträgt. Dass ein Finanzminister diese in der
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Tendenz noch steigende Summe aufbietet, erscheint kaum vorstellbar.
Aus diesem Grund ist auch die Umkehrung der Beschlussmechanik
(„wenn Bundestag keine Entscheidung fällt, geht Schieneninfrastruktur
an Bund“) keine reale Hilfe, sondern nur symbolisch.
Zusammengefasst: Es ist bereits unwahrscheinlich, dass der IZB überhaupt einen Mangel oberhalb der Schwellenwerte zur Sanktion ausweist. Wird dieser
wider Erwarten festgestellt, sind wirksame Sanktionen auf der Basis der LuFV
noch unwahrscheinlicher. Sie belasten das Unternehmensergebnis, rufen wahrscheinlich Interventionen des Investors hervor (s. 3.4) und müssen gerichtsfest
verhängt werden. Praktisch ausgeschlossen ist die Kündigung, da die Höhe des
Wertausgleichs jede politische Initiative zur Rückholung des Netzes abschreckt.
Auch alle anderen Forderungen der Länder werden durch den Gesetzentwurf
nicht abgedeckt. Durchschlagskräftige Mitwirkungsrechte bei der Investitionsentscheidung über Nahverkehrsstrecken werden auch künftig nicht eingeräumt.
Die angekündigte Stärkung der Regulierung bleibt ein Hoffnungswert, bislang
basiert sie auf einer Protokollerklärung der Ministerien. Struktur und Instrumente der Regulierung sind nicht hinreichend klar definiert. Die Protokolle der Diskussionen im Arbeitskreis Entgeltregulierung der Bundesnetzagentur zeigen, wie
groß der Widerstand des Regulierungsobjektes ist.
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3.4. Empfehlungen für die Position der Länder
Kann die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht vermieden werden, sollten die Länder ihre Zustimmung an die Bedingung koppeln, die absehbaren Negativfolgen durch geeignete gesetzliche Vorkehrungen so gering wie möglich zu halten. Finanzielle Mehrbelastungen müssen von vornherein unterbunden oder kompensiert werden.
Darüber hinaus sollten die Länder darauf drängen, die Hürden für Weiterentwicklungen oder die Revision der Privatisierung auf ein politisch-realistisches
Maß zu senken, um die tatsächliche Reversibilität zu gewährleisten.
Die bereits heute vorgezeichnete fiskalische Zusatzbelastung der Länder von
mindestens einer Mrd. € bis 2011 lässt sich – vordergründig - dadurch kompensieren, dass die Regionalisierungsmittel aufgestockt werden. So könnte die Dynamisierung bereits 2008 statt 2009 wiederaufleben, die Dynamisierungsrate
könnte auf 2 % statt 1,5% erhöht werden. Alternativ vorstellbar ist es, die Dynamisierungsrate der Regionalisierungsmittel an die Entwicklung eines Index
aus Trassen-, Stations- und Energiepreisen zu koppeln.
Allerdings böten auch diese Mechanismen keine Sicherheit. Wie die Kürzung der
Regionalisierungsmittel 2006 gezeigt hat, schützen geltende Gesetze nicht vor
Einschnitten. Insofern wäre es aus Ländersicht fahrlässig, Preiserhöhungen nur
deshalb unkritisch durchzureichen, weil sie zunächst den Anschein der Kostenneutralität haben. Zudem sollten Ineffizienzen des Netzbetreibers nicht belohnt
werden.
Um das Risiko der Kaufkraftentwertung aufgrund von Preiserhöhungen für Vorleistungen (insbes. Trassen, Stationen, Energie) institutionell zu begrenzen, sollten die Länder die maximale Erhöhung der Trassenpreise auf 1,5% p.a. per Gesetz begrenzen lassen. Darüber hinausgehende Steigerungen, die die DB AG
dem Regulierer bei kosteneffizienter Leistungserbringung begründet nachweist,
muss der Bund tragen (z.B. Erhöhung der LuFV-Mittel). Damit würde der Bund
einen Anreiz erhalten, die Regulierung tatsächlich zu stärken.
Das bis dato in seinen Konturen unscharfe Regulierungsdesign muss schnell,
aber sorgfältig entwickelt werden. Notwendig ist eine Ex-ante-Regulierung mit
Anreizkomponenten für alle Vorleistungspreise, differenziert nach Verkehrsarten
(„Produktkörbe“). Ebenso ist eine harte Qualitätsregulierung erforderlich. Die
Regulierung muss so angelegt werden, dass die geplanten Überrenditen der DB
AG auf ein Normalmaß reduziert werden.
Am wirksamsten schützen sich die Länder mit Instrumenten, mit denen sie die
Privatisierung im absehbaren Misserfolgsfall teilweise oder gesamthaft revidieren können. Zu den unabdingbaren Präventionsmaßnahmen zählt der Vorbehalt, nur dann dem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn
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 der gegenwärtige Netzzustand objektiv und nach Strecken gegliedert mit
Hilfe eines aussagekräftigen Messsystems erfasst wird,
 die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, insbesondere das Sanktionssystem in allen Einzelheiten entwickelt und den Ländern zur Prüfung
vorgelegt wird,
 die LuFV in handhabbare Portionen untergliedert ist, um die Hürde zur
Sanktionierung und Kündigung zu senken. Nur so wird auch die Option
zur Regionalisierung solcher Strecken und Teilnetze realistisch.
 die LuFV vor dem Beschluss mindestens ein Jahr unter Realbedingungen
mit scharfgeschaltetem Sanktionssystem getestet worden ist.
 das Abschmelzen des Infrastrukturbeitrags der LuFV (2,5 Mrd. €) nicht
erst bei einem Netzumfang von 32.000 km einsetzt, sondern auf dem
Ausgangszustand bei jeder Änderung der Betriebslänge und Kapazität.
 die Umsetzung der Privatisierung an ein Zustimmungsgesetz des Bundesrates geknüpft wird. Nur so können die Länder die endverhandelte LuFV
prüfen und die Erfahrungen aus dem Testlauf auswerten.
Damit die Länder nach der Privatisierung das System Schiene weiterentwickeln
und Fehlentwicklungen korrigieren können, müssen in der LuFV mehrere Voraussetzungen geschaffen werden:
 Fortdauernde Schlechtleistungen des Infrastrukturbetreibers müssen
umgehend und konsequent geahndet werden. Sanktionsdrohungen
schrecken nur dann ab, wenn sie ernst zu nehmen sind und den wirtschaftlichen Vorteil des Verstoßes vollständig abschöpfen. Strafen sollten zusätzlich verhängt werden. Die öffentliche Hand muss nach fruchtloser Nachbesserungsfrist die Ersatzvornahme anordnen können.
 Am Ende einer glaubwürdigen Sanktionskaskade steht die Option der
Kündigung, entweder einer Strecke, eines Teilnetzes oder des gesamten
Vertrags. Die Teilkündigung einzelner oder aller Regionalnetze (ggf. mit
Regionalisierung der Infrastruktur) setzt voraus, dass die Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung in abgrenzbare Kapitel untergliedert wird
und der gekündigte Teil aus der Sicherungsübereignung parallel herausgelöst werden kann.
 Sanktion und Teilkündigung bedingen einen eigenen Rechtsanspruch
der Länder. Die Länder müssen selbständig Feststellungs- und Leistungsklagen anstrengen können. Dazu muss die LuFV mit Schutzwirkung Dritter – zugunsten der Länder – konzipiert werden, im Gesetz
muss ein Klagerecht der Länder explizit verankert werden.
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An wichtigsten aus Ländersicht ist es aber, aktiv auf die Änderung der Wertausgleichsregelung zu drängen. Der Wertausgleich muss so konzipiert werden,
dass die Rücknahme der Schieneninfrastruktur durch den Bund eine politisch
umsetzbare Handlungsoption ist. Dies liegt im ureigenen Interesse der Länder,
um ihre Aufgabenverantwortung weiterhin unter planbaren Bedingungen wahrnehmen zu können. Nur so haben sie die Perspektive, dass die absehbaren Folgen der Privatisierung im Bedarfsfall korrigiert werden können. Dieser Schutz ist
um so notwendiger, als die Länder in die Vorbereitungen bis dato nicht eingebunden worden sind (s. Kritik der letzten VMK-Beschlüsse). Der Regelfall des
Gesetzes („wenn keine Entscheidung des Bundestag ergeht, dann fällt Schieneninfrastruktur an Bund zurück“) muss auch als tatsächlich umsetzbarer Regelfall ausgestaltet und nicht durch finanzielle Hürden ausgeschlossen werden.
Leitsatz für die Bemessung des Wertausgleichs muss sein, dass die über viele
Jahre steuerfinanzierte Schieneninfrastruktur, in die auch weiterhin jährlich 2,5
Mrd. € der öffentlichen Hand fließen, kein zweites Mal bezahlt werden darf. Private Investoren sollten ausschließlich für die Mehrwerte entschädigt werden,
die die DB AG nach der Privatisierung in der Schieneninfrastruktur schafft. Die
Länder sollten daher vehement dafür eintreten, dass nur die künftigen Investitionen aus Eigenmitteln der DB AG dem Wertausgleich zugrunde gelegt werden.
Weitere Forderungen der Länder sollten sein: Die Quote für Investitionen in
Strecken, die dem SPNV dienen, sollten nach Neu- und Ausbau sowie Bestandsnetz differenziert werden. Die Neu- und Ausbau-Quote sollte bei 5 bis 10 % liegen. Der Anteil für das Bestandsnetz muss im Gesetz und in der LuFV verankert
werden. Die Definition der Investitionen mit Nahverkehrsbezug muss präzisiert
werden. Die Mittel sollten den Regionalisierungsmitteln zugeschlagen werden.
Trotz aller Nachbesserungen im System sei angemerkt: Die Wahrscheinlichkeit
ist erdrückend hoch, dass die Interessen der Länder am Ende nicht gewahrt
werden können. Ursächlich hierfür ist das Grundproblem des Gesetzentwurfs:
die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an der Schieneninfrastruktur,
kombiniert mit der Interessenkollision des Bundes, sowohl Eigentümer der privatisierten DB AG als auch Setzer des verkehrspolitischen Rahmens zu sein.
Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur
Folge, dass jede bestellte Daseinsvorsorgeleistung durch den Gewinnaufschlag
des Kapitalmarktes teurer wird. Steigen die Budgets der Länder nicht im Gleichschritt mit, werden Abstriche am Verkehrsangebot unausweichlich. Der Druck
des Kapitalmarktes auf die Schieneninfrastruktur ist auf lange Sicht stärker als
der Schutz der öffentlichen Hand, hier des Bundes.
Sobald der Bund als Hüter verkehrspolitischer Belange – und damit ggf. als Anwalt der Länder - agieren möchte, handelt er seinen Interessen als Eigentümer
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der DB AG zuwider. Die Länder müssen realistisch damit rechnen, dass die Eigentümerposition obsiegt. Andernfalls stellen sich folgende Fragen:
 Warum sollte der Bund unter dem Druck des Kapitalmarktes energischer
für die Länder Partei ergreifen, wenn er hierzu bereits als 100%iger Eigentümer der DB AG trotz voller Entscheidungsgewalt nicht bereit ist?
 Warum sollte der Bund eine schlagkräftige Regulierung aufbauen, wenn
er weiß, dass der Konzernerfolg maßgeblich von der Gewinnplanung in
der Infrastruktur abhängt (ein Drittel des Konzerngewinns)?
 Warum sollte der Bund im Bedarfsfall den Mut haben, die LuFV wegen
Schlechtleistung zu kündigen, wenn er den Wertausgleich nach politischen Maßstäben prohibitiv hoch auf 7,5 Mrd. € oder höher ansetzt?
 Weshalb sollten die Länderforderungen nach der Privatisierung stärker
das Gehör des Bundes finden, wenn er trotz mehrfacher Bitten die Beschlüsse der VMK bereits heute systematisch ignoriert und die Länder
nicht einbindet?
Einen unerfreulichen Ausblick auf die absehbaren Kräfteverhältnisse wirft die
Aussage in der Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des öffentlichen Anteilseigners:
„…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen,
wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer
Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“
Die Länder können die vorgezeichnete Zuschauerrolle der öffentlichen Hand nur
verhindern, wenn sie auf die Verbesserung am – nicht im – System drängen.
Dies wäre auf der Grundlage der Entschließung des Bundestags vom
24.11.2006 durchaus möglich.
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4
Aufbau
Um methodisch fundiert prüfen zu können, inwieweit der vorliegende Gesetzentwurf den Länderinteressen Rechnung trägt, erscheinen zunächst ein paar
gedankliche Vorarbeiten hilfreich. Im ersten Schritt wird in Abschnitt 5 erläutert,
welche grundlegenden Wirkmechanismen in der DB AG bei einer Beteiligung
des Kapitalmarktes Einzug halten. Im Mittelpunkt steht die konsequente Renditeorientierung privater Investoren, d.h. die angemessene Verzinsung ihres Kapitaleinsatzes. Da der Gesetzentwurf vorsieht, das wirtschaftliche Eigentum an
der Schieneninfrastruktur bei der DB AG zu belassen, steht fest, dass der Kapitalmarkt seine Renditeerwartungen in ähnlichem Maße auf das Netz und die
Bahnhöfe übertragen wird wie auf die Transportgesellschaften.
Die Spuren dieses Automatismus lassen sich bereits im Vorgriff auf die Privatisierung an der internen Gewinnplanung der DB AG für die InfrastrukturGeschäftsfelder ablesen, weshalb sie für das Netz und die Personenbahnhöfe
kurz vorgestellt werden soll. Die Ergebnisziele bilden einen belastbaren Referenzmaßstab für die Stoßrichtung der künftigen Unternehmenspolitik, auf die
sich die Länder einstellen müssen.
Greifbar werden die Konsequenzen für die Länder allerdings erst dann, wenn
die geplante Ergebnisentwicklung beim Netz und den Personenbahnhöfen in
konkrete Maßnahmen übersetzt wird. Zwar sind diese nicht im Einzelnen bekannt, jedoch lässt sich zumindest grob eingrenzen, welche Instrumente mit
welchen Gewinnbeiträgen in Frage kommen. Weitere Anhaltspunkte liefern einzelne Splitter aus der Planung der DB AG sowie die Fortschreibung jener Entwicklungen, die seit der Weichenstellung für den Börsengang 2003/2004 zu registrieren sind.
Auf der Grundlage der kurzen Maßnahmenanalyse in Abschnitt 6 werden im
weiteren Verlauf die Folgen für die Länder hergeleitet. Im Zentrum stehen die
Auswirkungen der geplanten Erhöhungen von Trassen- und Stationspreisen, die
der SPNV – und damit die Länder – zu zwei Dritteln wird schultern müssen.
Nicht primär bis 2011, aber perspektivisch bedeutsam ist die absehbare Reduzierung des Netzumfangs, die vor allem den Verkehr in der Fläche berührt. Gezeigt wird, wie der Netzbetreiber aktiv auf die Netzverkleinerung hinwirken
kann. Ferner beschrieben wird der seit längerem beobachtbare Trend, die Finanzierung von Investitionen auf die öffentliche Hand abzuwälzen. Auch dies
wird die Länder tangieren. Zum Abschluss werden noch die indirekten Folgen
der Privatisierung für die Länder gestreift, die sich um den Wettbewerb ranken.
Nach der Herleitung der Privatisierungswirkungen, auf die sich die Länder einstellen müssen, widmet sich der Abschnitt 7 dem Kern des Untersuchungsauftrags: dem Schutz der Länderinteressen. Als Prüfmaßstab dient folgende Frage:
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Sind die Vorkehrungen des Gesetzentwurfs in der Lage, die skizzierten
Wirkungen einer kapitalmarktgetriebenen Renditeorientierung – insbesondere bei Netz und Stationen – zumindest so zu neutralisieren, dass der
Staat seine Gemeinwohlaufgabe erfüllen kann? Stehen Renditestreben und
Gemeinwohl in einer mittelfristig akzeptablen Balance?
Zur Beantwortung der Frage werden die Gefahrenfelder und Forderungen der
Länder des VMK-Beschlusses vom 2.8.2007 einzeln und ausführlich analysiert.
Vorangestellt wird die Problematik des Wertausgleichs, dessen Höhe darüber
entscheidet, ob die ultima ratio – die Kündigung der LuFV – eine politisch umsetzbare Option ist. Dieses Instrument verdient besondere Beachtung der Länder, da es bei richtiger Ausgestaltung die Chance bietet, die absehbaren Negativfolgen der Privatisierung zu akzeptablen Bedingungen zu korrigieren.
Anschließend wird für jede der 10 Forderungen zunächst der Sachstand skizziert. Hierunter ist sowohl die Verortung des Forderungsgegenstandes im Gesetzentwurf zu verstehen (sofern dies der Fall ist) als auch eine Skizze vergangener und aktueller politischer Entwicklungen zu dem Thema. Im zweiten
Schritt wird bewertet, inwieweit der Gesetzentwurf die Forderungen der Länder
erfüllt oder warum er umgekehrt die Interessen der Länder nicht zu schützen
vermag. Eine wesentliche Funktion der Erörterungen liegt auch darin, die Länder mit schlagkräftigen Argumenten für die Verhandlungen mit dem Bund auszustatten. Abschließend werden Lösungsvorschläge unterbreitet, die als Eckpfeiler für das weitere Gesetzgebungsverfahren fungieren.
Im Abschnitt 8 werden Empfehlungen für die Position der Länder entwickelt, die
sich in Nachbesserungen im und am System untergliedern. Gezeigt wird, dass
systeminterne Änderungen des Gesetzentwurfs zu allen Forderungen möglich
und dringend geboten sind. Deutlich wird aber auch, dass sie am Ende die Interessen der Länder nicht umfassend schützen können. Hierzu muss das Grundproblem angegangen werden: die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur.
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5
Kapitalmarktrendite in der Schieneninfrastruktur
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuorganisation der Eisenbahnen
des Bundes (EBNeuOG-E) basiert auf dem Eigentumssicherungsmodell (ESM).
Kernidee des ESM ist es, zwischen rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum
an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) zu trennen. Während das
rechtliche Eigentum auf den Bund im Wege der Sicherungstreuhand übertragen
wird, behält die DB AG das wirtschaftliche Eigentum an den EIU. Diese untypische Aufspaltung soll den Kompromiss leisten, sowohl den Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes sicherzustellen, als auch der DB AG die Bilanzierung der Schieneninfrastruktur zu ermöglichen.
Die wirtschaftliche Eigentümerstellung ist aus bilanzrechtlicher Sicht an strenge
Bedingungen geknüpft. Im Prinzip muss der wirtschaftliche Eigentümer nahe
dem Range eines Volleigentümers agieren können. Der Bund darf als rechtlicher
Eigentümer – von einzelnen Rechtsgeschäften abgesehen - nur noch geringen
Einfluss ausüben. Die Anwaltskanzlei Hölters & Elsing, die das BMVBS berät,
formuliert die Anforderungen wie folgt:
„Während der Laufzeit der Sicherungsabrede behält die DB AG als Sicherungsgeberin uneingeschränkten Zugriff auf die Chancen und Risiken der
Anteile und kann aufgrund der erteilten Stimmrechtsvollmacht weiterhin
die Stimmrechte in den Gesellschafterversammlungen ausüben. … Damit
kann die DB AG den Bund letztlich vollständig von Substanz und Ertrag
der Anteile ausschließen.“
Aus der vorstehenden Kompetenzverteilung ergeben sich zwei Erkenntnisse:
 Realitätsfremd ist die Vorstellung, der private Investor verzichte auf die
Entsendung von Vertretern seines Vertrauens in den Aufsichtsrat. Genau
dies wurde den Kritik übenden Ministerien während der Ressortabstimmung in Aussicht gestellt, um die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Als vermeintlicher Kronzeuge des Bundes dient der nachträglich eingefügte Abs. 3 in § 1 DBPrivG, wonach sich der Bund zu keiner
bestimmten Stimmabgabe bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern
verpflichten dürfe. Kürzlich hat die Bundesregierung jedoch zugegeben,
dass dieser Schutzmechanismus löchrig ist.
„Mitglieder von Privatinvestoren müssen von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat gewählt werden. Dies kann mit den Stimmen des Bundes geschehen.“
 Stellt man die im Gesetzentwurf vorgesehenen Zugriffsrechte des Bundes
und der DB AG auf die Schieneninfrastruktur gegenüber, ist unübersehbar, dass diese wirtschaftlich privatisiert wird. Deutlichste Indikatoren
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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sind die Abführung der Infrastrukturgewinne an den Konzern ohne
Zweckbindung und insbesondere der Wertausgleich. Würde tatsächlich
„kein Meter Schienennetz“ privatisiert, müsste der Bund keinen Wertausgleich – derzeit laut Bundesregierung rund 7,5 Mrd. € - bezahlen, um die
überwiegend von ihm selbst finanzierte Schieneninfrastruktur zurückzuholen. Die zivilrechtliche Stellung des Bundes ist de facto kaum mehr als
eine symbolische Hülle.
Wird die DB AG einschließlich der wirtschaftlichen Herrschaft über die Infrastruktur für den Kapitalmarkt geöffnet, hat dies zwangsläufig zur Folge, dass
die privaten Anteilseigner ihre ausschließlich betriebswirtschaftlich orientierten
Ziele auf sämtliche Segmente des Mischkonzerns projizieren. Demnach müssen
die Infrastruktur-Geschäftsfelder Netz, Personenbahnhöfe und Energie eine kapitalmarktübliche Rendite zum Konzerngewinn beisteuern, die im Vergleich zu
den profitstarken Transportsparten nicht nennenswert abfallen darf. Auf diese
Erwartungshaltung des Kapitalmarktes wies bereits das Gutachten von Morgan
Stanley 2004 an mehreren Stellen ausdrücklich hin.
Bestätigt wird diese Anspruchshaltung von Investoren durch die aktuelle Gewinnplanung der DB AG für den Zeitraum bis 2011. Sie sieht für das Netz wie
folgt aus (Gewinn nach Zinsen):
Abbildung 1: Gewinnplanung des Netzes bis 2011
Businessplan DB AG: Netzmonopol als sichere Gewinnquelle (vor DB Regio)
Ist-Daten
Betriebserg. n. Zinsen DB Netz (Ist/Plan) Plan-Daten
Gewinn
nach
BE
II
Zinsen
Mio.
EURin Mio. €
568
600
400
300
2500 LuFV-Mittel
437
DB AG / BMVBS:
Umstellung auf 100% Zuschuss zu
Baukosten „zwingend“, weil Netz
angeblich strukturell defizitär
369
Privatisierungsgesetz
500
:
495
200
100
0
-100
Kum. Verlust:
1,6 Mrd. €
-200
-300
22% der
Bundesmittel
werden als
Gewinn
privatisiert
233
Kumul. Monopolgewinn: 2,1 Mrd. €
Wer bezahlt Gewinn
der Investoren?
Primär Länder (SPNV)
-400
-500
-600
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Anmerkung: Planung ging vermutlich von Verabschiedung des Gesetzes
2007 aus, inzwischen muss der orange Balken nach rechts verschoben
werden
2008
2009
2010
2011
Quellen: Geschäftsberichte DB AG,
Mittelfristplanung 2006 DB AG lt. Capital
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Gut sichtbar ist der starke Kontrast zwischen den Netzergebnissen vor und nach
dem erwarteten Privatisierungszeitpunkt. Von 2001 bis 2006 erwirtschaftete das
Netz regelmäßig Betriebsverluste, die im Mittel bei gut 250 Mio. € lagen (kumuliert: 1,6 Mrd. €). Ab 2007 soll hingegen ein ruckartiger Schwenk in die Gewinnzone einsetzen.1 Am Ende des Planungszeitraums (2011) soll das bisher als
strukturell defizitär geltende Netz neben der Logistiksparte Schenker sogar der
größte Gewinnbringer des Konzerns werden. In absoluten Zahlen soll das Netz
mit 568 Mio. € einen höheren Gewinn erzielen als das derzeit ergiebigste Segmente des Konzerns, das Geschäftsfeld Regio (Gewinn 2011: 500 Mio. €). In
Relation zur geplanten öffentlichen Förderkulisse von 2,5 Mrd. € p.a. für Maßnahmen zur Erhaltung des Bestandsnetzes hieße dies, dass mehr als 22% des
als Kofinanzierung angelegten Bundeszuschusses in den Konzerngewinn flössen.
Abbildung 2: Gewinnplanung der Personenbahnhöfe bis 2011
Businessplan DB AG: Monopolrendite der Personenbahnhöfe
Ge w inn na ch Zinse n
Mio. EUR
150
135
140
130
Privatisierungsgesetz
120
120
110
100
90
80
70
60
56
55
50
40
30
110
94
74
e
ite
nd
e
R
rw
lm
it a
p
Ka
ng
u
t
ar
t
ark
Wer bezahlt
Gewinnzunahme?
Primär Länder (SPNV)
20
10
0
2005
2006
2007
2008
Anmerkung: Planung ging vermutlich von Verabschiedung des
Gesetzes 2007 aus, inzwischen muss der orange Balken nach
rechts verschoben werden
1
2009
2010
2011
Quellen: Geschäftsberichte
DB AG, Interne Planung
2006 DB AG
Der Vorstandsvorsitzende der DB AG bestätigte dies kürzlich bei der Präsentation des Zwischenberichts zum 1. Halbjahr 2007 am 23.8.2007.
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Im Gleichschritt mit der Ergebnisentwicklung im Netz plant die DB AG aus den
Personenbahnhöfen künftig ebenfalls deutlich höhere Gewinne zu ziehen. Bis
2011 soll sich der Gewinn mehr als verdoppeln, und zwar von 55 Mio. € (2006)
auf 135 Mio. €.
Ungeachtet der politischen und rechtlichen Bewertung sowie des Realitätsgehaltes verdeutlichen die Planzahlen, dass die DB AG die Renditeerwartungen des
Kapitalmarktes standardmäßig antizipiert und betriebswirtschaftlich plausibel
umsetzt. Offensichtlich zielt das Unternehmen darauf ab, aus dem langfristig
abgesicherten Zugriff auf die Schieneninfrastruktur eine Monopolrendite abzuschöpfen, die rund ein Drittel des Konzerngewinns beisteuern soll. Für Investoren ist diese Perspektive attraktiv. Denn die DB AG kann das Ergebnis des Netzes, der Bahnhöfe und der Energiesparte effektiver und verlässlicher beeinflussen als den Erfolg auf den vergleichsweise volatilen Transportmärkten.
Darüber hinaus eröffnet der Zugriff auf eine profitable Infrastruktur der DB AG
die Chance, eine stabilisierende Untergrenze in ihr Konzern-Betriebsergebnis
einzuziehen. Brechen Marktanteile auf den wettbewerblichen Transportmärkten
weg oder sinken dort die Margen, hat sie dank der Netzintegration die Gewissheit, dennoch rund 50% der Wertschöpfung eines Transportes auf der Schiene
im Konzern zu behalten. Indem die DB AG am Geschäft der Wettbewerber ihrer
Transportgesellschaften mitverdient, wird ihr Verlustrisiko begrenzt.
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Folgenabschätzung für die Länder
6.1. Bedeutung des SPNV
Die geplanten Ergebnissprünge der DB AG im Netz und bei den Personenbahnhöfen sind für die Länder ein ernst zu nehmendes Signal. Ohne die geplanten
Maßnahmen zur Gewinnsteigerung und die daraus resultierende Lastenverteilung für die Länder im Detail zu kennen, können sie sich ausmalen, den Löwenanteil der Finanzierung tragen zu müssen. Diese Prognose leitet sich zwingend
aus der dominanten Stellung des SPNV im Gefüge des gesamten Schienenverkehrs ab, wie die nachstehende Abbildung veranschaulicht:
Abbildung 3: Trassenentgelte nach Segmenten 2006
DB AG
SPNV
NE-Bahnen
Ges.-markt
%
€/Trkm
2.071
365
2.436
66
3,76
Fernverkehr
715
0
715
19
4,70
Güterverkehr
473
83
556
15
2,32
3.259
448
3.707
100
3,65
Summe
Quelle: Geschäftsbericht DB AG
2006, eigene Berechnungen
Zwei Drittel der Trassenentgelte wurden 2006 vom SPNV aufgebracht, weshalb
damit zu rechnen ist, dass er mindestens in Höhe dieser Quote den kalkulierten
Ergebnisbeitrag des Netzes durch Trassenpreiserhöhungen finanzieren soll.
Setzt man die Durchschnittspreise der Trassennutzung je Segment (Nah-, Fern, Güterverkehr) in Relation zu den zurechenbaren Kosten, lässt sich erkennen,
dass der SPNV – und damit die Länder - als besonders belastbar eingestuft
werden.
Bei den Personenbahnhöfen ist die Lastenverteilung noch asymmetrischer ausgeprägt. Dort stammen 86% aller Stationsentgelte vom SPNV (2006), so dass
er den bis 2011 avisierten Gewinnanstieg des Segmentes um 80 Mio. € nahezu
allein wird stemmen müssen (86% von 80 Mio. € = rund 70 Mio. €)). Nimmt
man an, dass die Rationalisierungspotenziale lediglich die Inflation auffangen
können, bedeuten 70 Mio. € Mehreinnahmen im Verhältnis zu 483 Mio. € Stationsentgelten 2006 eine Preiserhöhung von 14,5 % in fünf Jahren.
Da die Prognosequalität von Planzahlen abnimmt, je weiter sie von der Gegenwart entfernt liegen, könnten die Länder die Hoffnung hegen, dass die Gewinnziele in der Realität durch gegensteuernde Maßnahmen verfehlt werden. PräSeite 24
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destiniertes Instrument wäre eine durchschlagskräftige Regulierung der Bundesnetzagentur, indem sie die Rendite auf einem angemessenen Niveau deckelt.
Aus der Sicht der Länder ist jedoch große Skepsis angebracht, auf den Bund als
unterstützendes Regulativ zu vertrauen. Hauptgrund zur Vorsicht sind die Erfahrungen aus den letzten Jahren. Sie haben gezeigt, dass der Bund den – objektiv
schwierigen – Spagat zwischen seiner Eigentümerrolle und der verkehrspolitischen Aufgabe „im Zweifel“ zugunsten der ersteren auslegt. Am schwersten
wiegt die Überlegung, dass er als Gesellschafter der DB AG, Auftraggeber des
Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 und Initiator der interministeriellen Lenkungsgruppe zur Bahnprivatisierung die künftige Strategie des Unternehmens
einschließlich der Gewinnplanungen für die EIU nicht nur kennt, sondern sie
maßgeblich unterstützt.
Stellvertretend sei die Aussage des Bundesverkehrsministers erwähnt, wonach
die „Bahnreform“ notwendig sei, um die DB AG im europäischen Wettbewerb zu
stärken. Auch die Eilbedürftigkeit der Einbringung des Gesetzes in den Bundestag wird ausschließlich mit zwei DB-bezogenen Argumenten begründet, nicht
mit den Interessen der Branche Schienenverkehr. Und das deutlichste Signal für
die Länder ist die Statistenrolle, die der Bund ihnen im Gesetzgebungsverfahren
zuweist, obwohl der Bundesrat seine Zustimmung erteilen muss.
Vor diesem Erfahrungshorizont müssen sich die Länder die Frage stellen, warum der Bund seine Prioritätensetzung ausgerechnet dann ändern sollte, wenn
er nach der Privatisierung zusätzlich dem Erwartungsdruck des privaten Investors ausgesetzt ist.
Zwischenfazit: Um ihre eigenen Interessen verlässlich zu schützen, müssen die
Länder ihrer Folgenabschätzung die realistische Annahme voranstellen, dass die
kapitalmarktgesteuerte DB AG ihre Gewinnplanung für die Schieneninfrastruktur
mit großem Nachdruck durchzusetzen sucht. Wollte der Bund sich dagegen
wenden – was er aktienrechtlich nicht darf -, würde der private Investor intervenieren. Insofern müssen die Belastungen und die anzustrebenden Gegenmaßnahmen mindestens einen „Bad Case“ unterstellen.
6.2. Maßnahmenspektrum zur Gewinnsteigerung in der Schieneninfrastruktur
Wie die Analyse in Abschnitt 5 gezeigt hat, soll die Netzsparte bis 2011 – gemessen an 2006 - einen Gewinnsprung von 780 Mio. € erzielen. Eine derartige
ambitionierte Größenordnung lässt sich nur über einen Maßnahmen-Mix erreichen. Erlösseitig ist die Auswahl an Ansatzpunkten übersichtlich:
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
 Entweder erhöht der Netzbetreiber den Trassenabsatz
 Oder er steigert die Entgelthöhe, ggf. auch durch Differenzierung der
Preise
 Die dritte Quelle sind Sondereffekte wie Immobilienerlöse, die nicht zum
operativen Geschäft zählen.
Auf der Kostenseite ist die Bandbreite der Maßnahmen größer, da sämtliche
Produktionsfaktoren Einsparungspotenziale in sich bergen können. Kurzfristig ist
aber auch hier wenig erreichbar, zumal die DB AG für 2007 eine Sanierungsoffensive angekündigt hat, die das Ergebnis eher belasten dürfte. Eine Besonderheit ist die Möglichkeit bei der mischfinanzierten Schieneninfrastruktur, Lasten
auf Dritte – hier die Gebietskörperschaften – abwälzen zu können.
Im Folgenden werden diejenigen Maßnahmen einschließlich der zu erwartenden
Folgen diskutiert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten und einen signifikanten Ergebnisbeitrag zeitnah zu leisten versprechen.
6.3. Preiserhöhungen für Vorleistungen (Trassen, Stationen)
Von allen zur Auswahl stehenden Maßnahmen sind signifikante Erhöhungen der
Trassenpreise an erster Stelle zu analysieren, insbesondere weil sie bereits in
die Planung der DB AG fest eingestellt sind. So geht aus dem Monitoringbericht
von Morgan Stanley 2007 mit Verweis auf die Mittelfristplanung der DB AG 2006
hervor:
„Fahrweg: Planerisch unterstellte jährliche Trassenpreiserhöhung ab 2008
um 2 % p.a. sowie zunehmender Wettbewerb auf der Schiene und daraus
resultierende Nachfrageeffekte führen zu deutlich steigenden Umsätzen im
Vergleich zur alten Planung.“
Wie die am 9.2.2007 verkündete Trassenpreisliste der kommenden Fahrplanperiode zeigt, reizt die DB AG ihre gerundete Planungsannahme mit 2,4 % voll
aus.2 Dieser Wert bildet die Untergrenze für die Berechnung der Mehrbelastungen in Szenario 1. Er entspricht auch ungefähr dem langfristigen Mittel der jährlichen Trassenpreisanhebungen seit 2002.
2
Bei 3,7 Mrd. € Trassenerlösen 2006 ist ein Zehntel Prozentpunkt immerhin 3,7 Mio. € wert;
0,4 % mehr steigern die Einnahmen um 14,8 Mio. €.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Vergleicht man diese Steigerungsraten allerdings mit der korrespondierenden
Entwicklung der Netz-Ergebnisse, ist zu konstatieren, dass diese bis 2006 beständig im negativen dreistelligen Millionenbereich lagen und keine dynamischen Fortschritte erkennen ließen. Erst im laufenden Geschäftsjahr soll das
Netz-Ergebnis schlagartig in die Gewinnzone drehen. Ursächlich dürfte die seit
2001 stärkste Erhöhung der Trassenpreise sein.
Abbildung 4: Trassenpreisentwicklung 2006/2007 (Grundpreis)
Kategorie
TP 2006
(€ / Trkm)
TP 2007
(€ / Trkm)
Veränd.
(%)
Fplus
8,30
7,90
- 4,8
F1
3,79
4,02
+ 6,1
F2
2,50
2,78
+ 11,2
F3
2,26
2,47
+ 9,3
F4
2,17
2,36
+ 8,8
F5
1,76
1,82
+ 3,4
F6
2,06
2,13
+ 3,4
Z1
2,14
2,21
+ 3,3
Z2
2,21
2,29
+ 3,6
S1
1,46
1,55
+ 6,2
S2
2,09
2,09
0
S3
2,51
2,51
0
Mit Ausnahme der drei solitären Trassenpreis-Kategorien für die beiden Schnellfahrstrecken über 280 km/h und die beiden Gleichstrom-S-Bahnen in Berlin und
Hamburg sind alle anderen Trassenpreise um mind. 3,3 % gestiegen, bei den
drei Kategorien F2 bis F4 mit hohem SPNV-Anteil sogar zwischen 8,8 und 11,2
%. Da der gewichtete SPNV-relevante Durchschnitt der Trassenpreiserhöhung
nicht bekannt ist, wird er für die Belastungsrechnungen mit 4 % konservativ
angesetzt.
Angesichts der Korrelation dieser Größenordnung mit der von der DB AG vorausgesagten hohen positiven Ergebniswirkung muss damit gerechnet werden,
dass der Anstieg der Trassenpreise nach 2008 auch oberhalb von 2,4 % liegen
könnte. Aus diesem Grund wird in Szenario 2 eine durchschnittliche jährliche
Erhöhung von 3,5 % unterstellt, die die Obergrenze der Folgenabschätzung
markiert. Sie erscheint auch insofern plausibel, als Inflationseffekte, gestiegene
Aufwendungen durch die Sanierungsoffensive, zunehmend schwerer zu hebende Produktivitätserfolge und das schnelle Ausnutzen einer noch im Aufbau beSeite 27
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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findlichen Entgeltregulierung in der Tendenz für höhere Preissteigerungen als
2,4 % sprechen.
Abbildung 5: Szenariorechnungen der finanziellen Mehrbelastung
Planung DB AG laut Morgan Stanley:
Jährliche Anhebung der durchschnittlichen
Trassenpreise um 2% bis 2011
Szenario 2: + 3,5 % p.a. (ab 2008)
+471
SPNV wird zumeist
stärker belastet
+373
Szenario 1: + 2,4% p.a.
+349
entspricht
Preiserhöhung 2007
+284
+
+278
+220
+186
+158
+97
+97
2.436
Mio. €
Trassenentgelte
SPNV
2007
2008
2009
2010
2011
Zusatz-Belastung Länder:
1.108 Mio. €
2007
2008
2009
2010
2011
Zusatz-Belastung Länder:
1.405 Mio. €
2006
Wie die Trassenentgelt-„Treppe“ für Szenario 1 zeigt, müssen die Länder – gemessen am Ausgangsjahr 2006 - eine sichere kumulierte Mehrbelastung von
nominell 1,1 Mrd. € bis 2011 in Kauf nehmen. Hiervon sind rund 100 Mio. €
Mehrkosten szenariounabhängig bereits zum Fahrplanwechsel 2006/2007 durch
die Steigerung der Trassenpreise um ca. 4 % eingetreten. Der Großteil von 1
Mrd. € steht jedoch noch aus. Im Durchschnitt der nächsten vier Jahre entsteht
eine monetäre Zusatzlast von 250 Mio. € pro Jahr.
In welchem Ausmaß die Länder real belastet werden bzw. welche konkreten
Folgen die Zusatzkosten zeitigen, hängt von mehreren Faktoren ab, und zwar
von
 der künftigen Dynamisierung der Regionalisierungsmittel,
 der Entwicklung der anderen Vorleistungspreise (primär Stationen und
Energie)
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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 der Höhe der Kosteneinsparungen durch Wettbewerb,
 den Umschichtungsspielräumen innerhalb des Topfes der Regionalisierungsmittel,
 der Bereitschaft der Länder, eigene Mittel kompensatorisch einzusetzen.
Aus den bis dato rund 140 wettbewerblichen Vergaben von Verkehrsverträgen
lässt sich inzwischen empirisch gestützt ableiten, dass der SPNV-Markt noch Effizienzgewinne für die Länder von mindestens 600 Mio. € in sich birgt.3 Allerdings steht dieses Reservoir bis 2012 aufgrund der langfristigen Verkehrsverträge mit der DB AG nur zu einem kleineren Teil – schätzungsweise 20-25 % zur Verfügung. Spielräume zur Umschichtung von Regionalisierungsmitteln gelten nach der Kürzung 2006 als weitgehend ausgereizt. Die Bereitschaft der
Länder, selbst einzutreten, erweist sich in der Regel als begrenzt und wurde
durch die Kürzung der Mittel 2006 bereits erheblich strapaziert.
Entscheidende Determinanten für das Ausmaß der Folgen sind demnach die
Entwicklung der Vorleistungspreise (Trassen, Stationen, abgeschwächt: Energie) sowie das künftige Niveau der Regionalisierungsmittel. In der obigen Abbildung wird in Anlehnung an den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom
25.5.2007 – also einschließlich der 2006 zugesagten Kompensation von 500
Mio. € - unterstellt, dass die Dynamisierung von 1,5 % p.a. ab 2009 wieder einsetzt, allerdings auf dem zuvor abgesenkten Niveau.
Geht man des Weiteren davon aus, dass die Entgelte aller anderen Vorleistungen mindestens in Höhe der Dynamisierungsrate von 1,5 % steigen (Energie
dürfte in der Tendenz darüber liegen, Stationspreise allein wegen der Gewinnplanung ebenfalls), öffnet sich die Schere zwischen verfügbarem Budget und
Vorleistungspreisen bei konstantem Verkehrsangebot im Zeitablauf erheblich.
Plastisch lässt sich dies an einer indexierten Darstellung ablesen, die als Basiswert die Regionalisierungsmittelausstattung von 2006 heranzieht (7,053 Mrd. =
100).
3
Allein die Überrendite von 650 Mio. € des Geschäftsfeldes Regio plus S-Bahnen der DB AG
indiziert diesen Wert, hinzu kommen Verrechnungspreise zugunsten des Fernverkehrs und
vor allem Kostenniveaus, die im Wettbewerb nicht haltbar sind. Die zweite Herleitung setzt
sich zusammen aus „ausstehendes Vergabevolumen mal Durchschnitts-Effizienzgewinn“.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Abbildung 6: Kaufkraftentwertung der Regionalisierungsmittel
Index Trassenpreise
Index Reg.-Mittel
%
2,4
115
t
Ver
g
run
eu e
Schere öffnet
sich weiter!
110
105
100
1,5% D
ierung
ynamis
95
90
2006
2007
2008
2009
2010
2011
Während die 2006 verfügte Kürzung der Regionalisierungsmittel dazu führt,
dass die Delle der Nominalbeträge erst 2012 wieder das 2006er-Niveau von
7,053 Mrd. € erreicht, steigen die Kosten der Trassennutzung während dieses
Zeitraums für die Länder beständig an. Im Ergebnis dieser Schere sinkt die
Kaufkraft eines Euros Bestellentgelt für die Aufgabenträger kontinuierlich. Real
kann der Effekt noch gravierender ausfallen, da die Länder ursprünglich davon
ausgingen, dass die Regionalisierungsmittel von 2002 bis 2008 um 1,5 % p.a.
verlässlich wüchsen. Wäre dieser Pfad eingehalten worden, könnten die Länder
2008 über 7,375 Mrd. € verfügen - tatsächlich werden es aber voraussichtlich
nur 6,675 Mrd. € sein. Die Kluft von 700 Mio. € zwischen altem und neuem
Planwert ist insofern beachtlich, als die Konditionen der langfristigen Verkehrsverträge unter deutlich optimistischeren Annahmen zur Mittelausstattung vereinbart worden waren.
Bei realistischer Folgenabschätzung ist jedoch einzuräumen, dass das Delta zwischen dem ursprünglich angenommenen Wachstumspfad der Regionalisierungsmittel und dem Mittelansatz nach der Kürzung 2006 die Auswirkungen auf
das Verkehrsangebot überzeichnen würde. Dieser Schluss drängt sich empirisch
auf, nachdem die eingetretenen Kürzungen 2006 (Betrag von 2005 wurde entgegen der Planung eingefroren, Fehlbetrag = 106 Mio. €) und 2007 (Absenkung
um 343 Mio. im Vergleich zu 2006, 556 Mio. € gegenüber altem Planpfad) trotz
deutlich erhöhter Trassen- und Stationsentgelte zu keiner nennenswerten ReSeite 30
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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duzierung des bundesweiten SPNV-Angebotes von 630 Mio. Zugkm geführt haben.4 Offensichtlich waren noch Reserven im System bzw. sahen sich die Länder in der Pflicht, fehlende Mittel teilweise zu ersetzen.
Im Gegenzug ist wiederum zu bedenken, dass der Spielraum der Länder für solche Ausgleichsmaßnahmen endlich ist und 2006 weitgehend aufgebraucht wurde. Darüber hinaus ändert die Vermeidung einer Angebotskürzung durch Ländermittel nichts an der finanziellen Mehrbelastung.
Wählt man 2007 als Bezugsjahr eines gerade noch ausfinanzierten Verkehrsangebotes, öffnet sich die Schere bis 2011 zwar bedächtiger, aber letztlich genauso unausweichlich. Der schleichende Kaufkraftverlust schreitet etwas langsamer
voran, ohne jedoch in seiner Grundsätzlichkeit aufgehalten zu werden, die
zwingend in eine Reduzierung des Verkehrsangebotes mündet.
Steigen die Trassenpreise wie im Szenario 2 jährlich um 3,5 %, klettert die
Mehrbelastung der Länder auf 1,4 Mrd. €. Der Kaufkraftverlust wird noch beschleunigt, die Spirale der notwendigen Abbestellungen von SPNV-Verkehren
ebenfalls.
Da die DB AG analog zur Gewinnplanung im Schienennetz beabsichtigt, auch
den Segment-Gewinn der Personenbahnhöfe deutlich zu steigern, erwächst
hieraus eine weitere Belastung für den SPNV. Diese fällt mit durchschnittlich
rund 50 Mio. € p.a. bis 2011 jedoch geringer aus. Auch das Geschäftsfeld Energie soll seinen Gewinn noch ausbauen, was jedoch an dieser Stelle ausgeblendet werden soll.
Folgenabschätzung:
Die an den Ansprüchen des Kapitalmarktes ausgerichteten Gewinnziele der Infrastruktur-Geschäftsfelder Netz, Personenbahnhöfe und Energie setzen voraus,
dass die Trassen- und Stationspreise in den nächsten Jahren deutlich und regelmäßig steigen. Insgesamt müssen die Länder mit einer kumulierten Mehrbelastung bis 2011 zwischen 1 bis 1,3 Mrd. € rechnen. Tritt der untere Rand der
Erwartung ein, sind dies im Jahresdurchschnitt 250 Mio. €. Da die Zusatzkosten
weder bis 2009 noch danach durch die wieder einsetzende Dynamisierung aufgefangen werden, sinkt die Kaufkraft der Länder für Nahverkehrsleistungen
kontinuierlich.
4
Laut Angaben der BAG-SPNV 2007 betrug der Reduzierungseffekt nur 0,3 %, er steht allerdings unter Vorbehalt, da die endgültigen Bestellmengen noch nicht bekannt sind.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Sofern die Länder diese Schwächung nicht durch eigene Mittel ausgleichen, sind
Anpassungsreaktionen wie Taktausdünnungen und Streichungen von Verbindungen unvermeidbar. Rechnet man mit einem durchschnittlichen Bestellentgelt
von 8 € pro Zugkilometer, wird sich das Verkehrsangebot mittelfristig um rund
30 Mio. Zugkilometer verringern (= 5 % des heutigen Angebotes). Bei höheren
Belastungen steigt der Wert auf bis 7-10%. Gespräche mit Aufgabenträgern
fördern zutage, dass sich viele bereits heute auf ein solches Szenario einstellen.
Als maßgeblicher Auslöser der Sensibilisierung werden zumeist die Erfahrungen
aus der Kürzung der Regionalisierungsmittel 2006 genannt.
6.4. Reduzierung der Infrastruktur-„Menge“
In der Bahnpolitik herrscht Konsens, dass das deutsche Schienennetz in seiner
Gesamtheit strukturell defizitär ist. Ökonomisch präziser formuliert reichen die
Beiträge der Fahrgäste und Verlader nicht aus, um die Vollkosten des kapitallastigen Systems Schiene zu decken. Anschaulich wird dieser Zusammenhang
mit Hilfe einer Überschlagsrechnung.
Die Vollkosten des Schienennetzes setzen sich aus den Kosten des Kapazitätsaufbaus einschließlich der Substanzerhaltung sowie den Kosten des laufenden
Betriebs zusammen. Geht man davon aus, dass die Summe der Investitionen
für Neu- und Ausbau sowie in das Bestandsnetz im langfristigen Mittel bei 3,5
bis 4 Mrd. € pro Jahr liegt, entspricht dieser Wert zugleich dem jährlichen Abschreibungsbedarf. Die Aufwendungen für Instandhaltung und den operativen
Betrieb werden im Wesentlichen über Trassenerlöse gedeckt, die sich 2006 auf
rund 3,9 Mrd. € beliefen. In der Addition ergeben sich Vollkosten von 7,5 bis 8
Mrd. €.
Auf der Seite der Mittelherkunft finanziert die öffentliche Hand den Großteil der
Investitionen in Form von verlorenen Baukostenzuschüssen. Hinzu kommen ein
mittlerweile vernachlässigbarer Anteil zinsloser Darlehen sowie Eigenmittel der
DB AG, deren tatsächliche Höhe umstritten ist. Von den Trassenerlösen finanziert der SPNV rund zwei Drittel, die wiederum zu knapp 70 % durch staatliche
Bestellentgelte subventioniert werden. Somit trägt der Endkunde rund 30 % der
Vollkosten. Spiegelbildlich liegt der Gemeinwohlanteil bei 70 %. Hierbei handelt
es sich allerdings um einen bundesweiten Durchschnittswert. Strecken- oder
teilnetzbezogen dürfte der Finanzierungsanteil der Nutzer zwischen unter 5 %
bis in Einzelfällen über 100 % schwanken.
Fällt – wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen - das wirtschaftliche Eigentum am Schienennetz in die Privatisierungsmasse, muss es seine Kapitalkosten verdienen, darunter auch die kapitalmarktadäquate Verzinsung des
eingesetzten Eigenkapitals. Der resultierende Renditedruck hat zur Folge, dass
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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jede kleinste Einheit des systemisch defizitären Netzes strecken- und komponentenscharf auf ihre spezifische Kosten-Erlös-Relation untersucht wird. Da
praktisch alle Teile des Netzes nicht kostendeckend sind, geraten vor allem jene
Strecken und Anlagen als erstes auf den Prüfstand, die am unteren Ende der
Ergebnisskala die negativsten Erlös-Kosten-Koeffizienten aufweisen. Der „überlebensfähige“ Netzumfang hängt in diesem System von der Höhe der staatlichen Zuwendungen und des Gewinnaufschlags des Netzbetreibers ab. Insgesamt entsteht ein Sogeffekt, der auf das – unter Einberechnung aller Zuwendungen – betriebswirtschaftlich optimale Kernnetz zuläuft.
Die Auswirkungen dieser Mechanik sind als Vorläufer der Privatisierung im Tagesgeschäft der DB AG seit 2003/2004 immer klarer zu beobachten. Neben der
Reduzierung der Betriebslänge auf inzwischen 34.000 km findet ein konsequenter Rückbau jener Anlagen wie Überhol-, Abstell- und Ladegleise sowie Weichen
statt, die in der kurzfristigen, ausschließlich an den Interessen des DB-Konzerns
ausgerichteten Erfolgsrechnung als Kostenbelastung identifiziert werden. In der
Folge wurde die dynamische Kapazität des Netzes an vielen Stellen so weit verknappt, dass kurze Wachstumsphasen auf der Schiene ausreichen, um Knoten
und Magistralen zulaufen zu lassen, wodurch das Wachstum gebremst wird. An
dieser Stelle zeigt sich exemplarisch das Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Kurzfristorientierung und dem volkswirtschaftlichen Gebot des langen Atems bei Infrastrukturinvestitionen.
Perspektivisch aussagekräftig ist die Anfang dieses Jahres vorgestellte Strategie
ProNetz der DB AG. Sie zeichnet ein richtungsweisendes Bild über die künftige
Prioritätensetzung der Netzsparte im Konzern. Der Analyse wird die schlüssige
Annahme vorangestellt, dass Wachstumspotenziale im größeren Maßstab nur im
Güterverkehr erschließbar seien. Diese sollen dadurch besser ausgeschöpft
werden, dass die Netzbewirtschaftung sich nicht länger an Geschwindigkeitsmerkmalen und Auslastungsmengen orientiert, sondern allein am kommerziellen
Maßstab der Umsatzmaximierung. Die eisenbahnbetriebswissenschaftlichen Systeme müssen durch eisenbahnbetriebswirtschaftliche Elemente erweitert werden.5
Unterstrichen wird der konsequent betriebswirtschaftliche Fokus durch eine
Clusterung des Netzes nach Umsatzstärke.
5
Vgl. DB AG 2007, ProNetz
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Abbildung 7: Clusterung des Netzes nach Umsatzstärke
Gleiskm
%
Umsatz
%
Kategorie 1
21.750
39,5
2.500
70,2
Kategorie 2
15.955
29,0
720
20,2
Kategorie 3
17.299
31,5
340
9,6
Total Hauptn.
55.004
100,0
3.560
100,0
Kategorie 4
7.950
210
Total Netz
62.954
3.770
Quelle: DB AG 2007, ProNetz
Während die besten 40% des Netzumfangs 70% des Umsatzes einbringen,
zeichnet das letzte Drittel (Kategorie 3) für weniger als 10% des Umsatzes verantwortlich. Selbst wenn die Kosten dieses schwächsten Segmentes unterdurchschnittlich ausfallen, liegt es betriebswirtschaftlich auf der Hand, knappe
Ressourcen auf die Kategorien 1 und – abgeschwächt – 2 zu konzentrieren.
Dies wird an zwei Stellen wie folgt präzisiert:
 Präventive Instandhaltungsaufwendungen nur für die Kategorie 1
 Hinsichtlich der Investitionen heißt es im Wortlaut:
„Gesamtes Netz hinsichtlich bereits geplanter Investitionsmaßnahmen
prüfen. … [Unterpunkt:] Insbesondere Schwachlastregionen hinsichtlich
des Mitteleinsatzes überprüfen.“
Angesichts der Deutlichkeit beider Aussagen drängt sich die Schlussfolgerung
auf, die 17.000 Gleiskilometer der Kategorie 3 als langfristig entbehrliche
Streichmasse anzusehen. In Streckenkilometer umgerechnet handelt es sich um
10.000 bis 14.000 km – in etwa der Umfang aller Regionalnetze mit 11.500 km.
Als betriebswirtschaftlich optimales Netz kristallisiert sich eine Größenordnung
von 20.000 bis 25.000 km heraus.
Gegen den betriebswirtschaftlich induzierten Stilllegungsdruck in der Fläche
werden folgende Einwände vorgebracht:
 Nicht die DB AG oder private Investoren entscheiden über Stilllegungen,
sondern der Bund in Gestalt des Eisenbahn-Bundesamtes nach § 11 AEG.
 Die Länder bestellen den Nahverkehr; sie definieren letztlich den Bedarf
an Verkehrsangeboten und damit implizit die Wertigkeit einer Strecke.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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 90% der Kunden der DB AG bewegen sich im Nahverkehr. Der private
Investor wäre verrückt, sich diesem Segment zu verschließen.
Formal klingen die Argumente plausibel, in der Praxis sind sie jedoch falsch.
 Das Verfahren nach § 11 AEG setzt voraus, dass es überhaupt eingeleitet
wird. Tatsächlich sind aber Fälle bekannt, in denen Strecken „kalt stillgelegt“ wurden, d.h. sie wurden aus „technischen Gründen gesperrt“. Dieses Vorgehen ist zwar rechtswidrig, es ist aber bis heute trotz Entscheidungen des Eisenbahn-Bundesamtes und auch der Gerichte noch in keinem Fall gelungen, dass die DB AG eine technisch stillgelegte Strecke
wieder in Betrieb genommen hat. Bekanntestes Beispiel ist die Hunsrückstrecke.
Kalten Stilllegungen konnten die Länder bislang allenfalls dadurch entgegenwirken, dass andere EIU diese Strecken übernommen haben, allerdings bei gleichzeitig erheblicher Bezuschussung. Beispiele hierfür sind
das „Sonneberger Netz“ und die „Pfefferminzbahn“, beide in Thüringen.
Hinzu kommt, dass die DB AG Teilstilllegungen häufig nicht zur Genehmigung anmeldet. Dies gilt vor allem für Maßnahmen zur Kapazitätsreduzierung, von denen behauptet wird, dass sie nicht ins Gewicht fielen. In
einem aktuellen Fall hat das EBA die DB Netz AG nach über 6 Jahren illegaler Stilllegung verpflichtet, einen wichtigen Bahnhof an der völlig überlasteten Strecke Frankfurt–Heidelberg wieder in Betrieb zu nehmen. Geschehen ist aber – auch nach Bestätigung des Beschlusses durch das
Verwaltungsgericht Darmstadt – bislang nichts.
 Die Entscheidungsspielräume für das EBA im Stilllegungsverfahren nach
§ 11 AEG sind gering. Die EIU des Bundes haben einen Rechtsanspruch
auf Stilllegung. Die vorgeschriebene Prüfung der Abgabe an Dritte kann
durch überhöhte Kaufpreis- und Pachtvorstellungen sowie gezielte vorherige Vernachlässigung der Infrastruktur weitgehend ausgebremst werden. Zudem ist die Abgabe isolierter Infrastrukturteile – z.B. eines einzelnen Bahnhofs oder eines zweiten Streckengleises - an Dritte illusorisch. Die Versagung der Genehmigung wegen weiter gegebener Zumutbarkeit kommt daher nur äußerst selten vor.
Die Behauptung, geringe spezifische Erlöse stünden angeblich hohen Unterhaltsaufwendungen gegenüber, hat in den meisten Fällen zur Stilllegungsgenehmigung geführt. Dem EBA ist es praktisch nicht möglich, ohne Unternehmensdaten den Gegenbeweis anzutreten, etwa mit Verweis
auf höhere Erlöse bei einer Netzbetrachtung oder auf überhöhte Betriebs- und Instandhaltungskosten als Folge der Netzvernachlässigung.
Im Ergebnis wird über 95% der Stilllegungsanträge stattgegeben.
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 Die Bestellung von Nahverkehren durch die Länder ist kein Garant, Stilllegungen zu verhindern. So hat DB Netz für mehrere Strecken in Thüringen und Sachsen-Anhalt erklärt, trotz laufender Bestellung die Stilllegung
zu beantragen. Das Unternehmen hat sich letztlich in allen Fällen durchgesetzt, zur Not unterstützt durch technische Stilllegungen. Sicherheit erlangen die Länder nur dann, wenn sie sich zu langlaufenden Bestellgarantien von 10 bis 15 oder 20 Jahren verpflichten. In vielen Fällen wird
die Zusage mit der Bereitschaft der Länder verbunden, das Zugangebot
auf mindestens einen Einstundentakt aufzustocken. Dies kann nicht als
Hoheit über die Bestellung der Verkehre bezeichnet werden.
Zusammengefasst gilt: Formal entscheiden die Länder frei über Menge und
Qualität des SPNV-Angebotes – doch die Konditionen werden maßgeblich durch
die DB AG als integrierter Infrastrukturbetreiber determiniert. Dieser bestimmt
stets 40 - 50 % der Wertschöpfung einer Zugfahrt im SPNV, priorisiert die Mittel
und entscheidet somit letztlich über die Daseinsberechtigung einer Strecke. Der
Druck zur Optimierung der Betriebslänge des Netzes entlädt sich weder direkt,
noch mündet er binnen Monatsfrist in Stilllegungen oder gar irreversible Entwidmungen einer Strecke. Dem wirken allein die eisenbahnrechtlichen Fristen
und Prüfschritte entgegen. Vielmehr läuft der Optimierungsprozess geräuschlos
im Hintergrund ab, und zwar über einen spiralförmigen Umweg, dessen Verlauf
der Netzbetreiber maßgeblich beherrscht.
Die Länder können hingegen nur auf das letzte Kostendrittel über den Wettbewerb Einfluss nehmen. Die realen Kräfteverhältnisse werden verzerrt beschrieben, wenn die Länder als autonome Entscheider hingestellt werden.
Verstärkt wird die Problematik noch insoweit, als der DB-Konzern einen doppelten Anreiz haben kann, die Kräfte auf dem betriebswirtschaftlich optimalen
Kernnetz zu bündeln. Neben netzseitigen Kosteneinsparungen hat auch das Geschäftsfeld Regio ein hohes Interesse, die Nahverkehrsmittel der Länder auf die
erlösstarken Strecken und Teilnetze zu lenken. Dort ist die DB AG nach den gültigen Ausschreibungsfahrplänen am längsten vor Wettbewerb geschützt und
kann berechtigterweise hoffen, Fahrzeugförderungen, die Vertriebshoheit und
ihre Marktkenntnis als ausschlaggebende Bietvorteile in Wettbewerbsverfahren
einbringen zu können.
Insofern ist die Aussage zutreffend, dass kein privater Investor auf das 90%Segment seiner Kunden verzichten möchte – sie muss aber nicht im Widerspruch zu der parallelen Absicht stehen, diese auf einem betriebswirtschaftlich
optimierten, reduzierten Netz zu bedienen.
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Abbildung 8: Begrenzte Schutzfunktion des § 11 AEG
Bahnhofsgebäude
Bahnsteige
Energieversorgungseinrichtungen
Umschlaganlagen, Ladestraßen
Formale
Schutzwirkung
§ 11AEG
Essentielle
Elemente der
Infrastruktur,
finanziert
durch LuFV
Bahnhofsnebengleise, Abstellgleise etc.
Streckengleise

Unpraktikabel, nur bei „für
die Betriebsabwicklung
wichtigem Bahnhof“

Unzureichend: Nur bei
„mehr als geringfügiger
Kapazitätsverringerung“
Folgenabschätzung:
Die Ausführungen zur ProNetz-Strategie der DB AG sind ein deutliches Signal,
dass die umsatzschwächste Netzkategorie 3 mit 10.000 bis 14.000 Streckenkilometer als entbehrlich eingestuft wird. Geht man davon aus, dass das Fernund Ballungsnetz bis auf kleinere Ausnahmen als gesetzt gilt, bilden sämtliche
Regionalnetze die prädestinierte Streichmasse. Allerdings ist es fiskalisch nicht
erforderlich und politisch kaum vorstellbar, sämtliche Verbindungen auf dem
Nebennetz abzubestellen. Daher ist es wahrscheinlich, dass langfristig 6.000 bis
10.000 Streckenkilometer stilllegungsbedroht sind.
In der Gewinnplanung des Netzes bis 2011 können Stilllegungen noch keinen
bedeutenden Ergebnisbeitrag leisten. Die Fristen und notwendigen Verfahren
sprechen gegen eine solche Annahme. In der Perspektive einer über 15 Jahre
gesicherten Betriebsführerschaft sind aktiv betriebene Maßnahmen zur Verkleinerung des Netzes hingegen in hohem Maße realistisch. Ob es dazu kommt,
wird allein von der Bereitschaft und Finanzkraft der Länder abhängen, mit eigenen Mitteln gegenzusteuern.
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Bei den Stationen wirken im Grundsatz die gleichen Mechanismen wie im Netz.
Auch die Vorboten der konsequenten Ausrichtung der DB AG auf die Privatisierung sind seit längerem beobachtbar. So berichten viele Aufgabenträger von
Bemühungen der DB Station & Service, die Länge der Bahnsteige an vielen Stationen zurückzubauen. Begründet wird dies mit Kosteneinsparungen, deren Logik sich nicht unmittelbar erschließt.
Auch die in diesem Jahr bekanntgewordene Absicht, einen Großteil der Empfangsgebäude abzustoßen, fügt sich in das Bild der strengen Renditeorientierung.
Folgenabschätzung:
Im Gleichschritt mit der Konzentration der Netzmittel spricht viel dafür, dass
auch die Zahl der Stationen betriebswirtschaftlich optimiert werden soll. Unterlagen der DB Station & Service deuten an, dass auf die Schließung der Stationen mit einer Tagesfrequenz von unter 100 Ein- und Aussteigern in näherer Zukunft mit Nachdruck hingewirkt werden dürfte. Diese werden als volkswirtschaftlich (!) unsinnig bezeichnet. Zwar bestimmen hierüber erneut formal die
Länder als Besteller, an welchen Stationen Züge halten. Die DB AG hat jedoch
genügend Instrumente in der Hand, den Prozess der Schließungen zu forcieren.
6.5. Verlagerung der Finanzierungslasten bei Investitionen
Wie vorher kurz skizziert, werden die Investitionen in die Schieneninfrastruktur
im Wesentlichen vom Steuerzahler getragen. Die DB AG steuert einen geringen
Eigenanteil bei, dessen tatsächliche Höhe umstritten ist. Die DB AG nennt Größenordnungen von 10 bis 20 % der Investitionen - der Bundesrechnungshof
bezifferte den Anteil auf unter unter 2 %.
Unstrittig ist, dass die DB AG bei den Investitionen seit 2004 zunehmend Zurückhaltung übt. Die Eigenmittellinie wurde deutlich heruntergefahren, bei Neuund Ausbauvorhaben praktisch auf null. Sie werden nur dann in Angriff genommen, wenn der Staat 100% der Bau- und Planungskosten trägt. Selbst Projekte wie Emmerich-Oberhausen (Verlängerung Betuwe), Karlsruhe-Basel,
Frankfurt-Fulda oder Frankfurt-Mannheim liegen – neben nahezu sämtlichen
Knotenvorhaben - brach, obwohl sie neuralgische Engpassstellen im deutschen
Netz sind oder absehbar werden. Nur wenn ihr die Schieneninfrastruktur zu
100% geschenkt wird, ist die DB AG bereit, fremdes (!) Geld zu verbauen.
Exemplarisch für diese Haltung ist die Reaktion der DB AG auf die Meldung im
Weser-Kurier vom 27.3.2007, dass die DB AG in ihrer internen Planung für die
rechtzeitige Anbindung des Tiefwasserhafens JadeWeserPort kaum Mittel eingeSeite 38
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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stellt habe. Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung der DB AG [Unterstreichung durch Verf.]:
„Mehdorn bekräftigte …, dass das Unternehmen zu seinen Zusagen stehe, den Jade-Weser-Port bei Wilhelmshaven zweigleisig und elektrifiziert
… anzubinden. Bei gesicherter Finanzierung (!) und damit baldigem Beginn der Planungen werde dies bis 2010 erfolgen.“
Die Finanzierung sichern jedoch ausschließlich Dritte. Die DB AG tritt selbst
nicht in Vorleistung. Wenn jedoch selbst die „Filets“ im deutschen Schienennetz
keinen unternehmerischen Anreiz auslösen, 5 oder 10 % eigenes Geld einzusetzen (z.B. um Projekte zu forcieren), wirft dies einen Schatten auf die Prioritätensetzung im „Logistikkonzern mit Gleisanschluss“ – erst recht auf die künftige
nach der Privatisierung.
Die Länder erleben im etwas kleineren Maßstab das gleiche Phänomen. Ob bei
Bahnhofssanierungen, Einbau von Fahrstühlen oder Eisenbahnkreuzungsvorhaben – regelmäßig spielt die DB AG dem Vernehmen nach auf Zeit, bis Länder
und Kommunen entweder aufgeben oder resigniert den Anteil der DB AG mit
schultern.
Das BMVBS räumt den Missstand des Investitionsunwillens der DB AG – sogar
im Gesetzentwurf – praktisch offen ein. So heißt es im Begründungsteil des 2,
Entwurfs auf S. 43 zu § 19:
„Da bislang vielfach bei Vorhaben des Bedarfsplans selbst ein sehr geringer Eigenanteil der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes eine
Bereitschaft zur Realisierung der Vorhaben des Bedarfsplans verhindert
hat, …“
Noch deutlicher drückt sich ein internes Papier des BMVBS vom Herbst 2005
aus:
„Im Gegenteil fordert die DB AG als Preis dafür, dass sie die Bundesmittel
investiv einsetzt, die Bereitstellung zusätzlicher Bundesmittel als „Geschenke“, um den ihr obliegenden Finanzierungsanteil bringen zu können.“
Angesichts geplanter Gewinne von mehreren Mio. € wäre nicht nachvollziehbar,
warum die DB AG keinen höheren Eigenanteil schultern sollte.
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Folgenabschätzung:
Der Trend wird sich fortsetzen und noch zunehmen, dass die DB AG so viel
möglich der Finanzierungslast bei Investitionen auf Dritte zu überwälzen sucht.
Unternehmerisch ist dieses Verhalten völlig verständlich und richtig. Die Länder
müssen sich darauf einstellen, künftig einen größeren Anteil an den Investitionen mit finanzieren zu müssen. Zugleich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass
der Bund bei steigender Belastung die Länder verstärkt heranzieht. Erste Anzeichen sind dazu in jüngerer Zeit erkennbar.
Im Ergebnis tritt ein wachstumsschädlicher Effekt ein: Das System wird staatslastiger denn je – entgegen den typischen Erwartungen an eine Privatisierung.
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7
Abgleich der Länderforderungen mit dem Gesetzentwurf
7.1. Prüfmaßstab: Sicherung des Gemeinwohlauftrags
Die Analyse in Abschnitt 4 hat aufgezeigt, dass die Folgen der durch die Privatisierung induzierten bedingungslosen Ausrichtung der DB AG auf kapitalmarktfähige Renditen in der Schieneninfrastruktur erheblich sind. Insbesondere das öffentliche Interesse an der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gewährleistungsauftrags droht an den Rand gedrängt werden. Ursächlich ist das systemisch angelegte, „natürliche“ Spannungsverhältnis zwischen Gewinnerzielung
und dem defizitären Charakter jeder Gemeinwohlaufgabe.
Beide Ziele stehen definitorisch im Widerspruch zueinander, weil die Daseinsvorsorge nach ökonomischem Verständnis auf der empirisch getesteten Erfahrung beruht, dass eine gesamtgesellschaftlich gewünschte Leistung – hier die
Bereitstellung von Schieneninfrastruktur, insbesondere „in der Fläche“ - nicht
von selbst über die typischen Marktmechanismen („Angebot und Nachfrage“)
zustande kommt. Der Grund ist, dass diese Leistung aus betriebswirtschaftlicher
Sicht wegen Kostenunterdeckung oder zu geringer Verzinsung des eingesetzten
Kapitals nicht lukrativ ist. Ersatzhalber bedarf es daher der staatlichen Unterstützung, indem die Leistung bestellt und finanziert wird. Wäre dies nicht notwendig, erwiese sich die verfassungsrechtliche Verankerung des Infrastrukturgewährleistungsauftrags als entbehrlich. Der Staat müsste nicht 4 Mrd. € pro
Jahr in die Schieneninfrastruktur investieren, und der Bund könnte auf die Bereitstellung von rund 7 Mrd. € Regionalisierungsmitteln verzichten.
Aus der Sicht der Länder kommt es somit darauf an, das öffentliche Interesse
und den Spielraum der Verkehrspolitik gegen das konträre, legitime Renditeinteresse des privaten Investors so weit wie möglich zu immunisieren. Instrumentell folgt daraus, wirksame Schutzvorkehrungen im Gesetzentwurf zu verankern.
Die im Beschluss der Sonder-VMK vom 2.8.2007 enthaltenen Forderungen der
Länder drücken deren Sorge aus, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung
die Belange des Gemeinwohls nicht robust absichert. Inwieweit diese Bedenken
berechtigt sind, wird im Weiteren detailliert geprüft.
Vorangestellt werden soll jedoch die Analyse, warum die Länder unbedingt darauf drängen sollten, den Wertausgleich zur Rückholung der Schieneninfrastruktur zu reduzieren.
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7.2. Wertausgleich
Der wichtigste Schutzhebel für die Länder ergibt sich unmittelbar aus dem „Präambel“-Text des VMK-Beschlusses in A.II. In ihm stellen die Länder fest, dass
insbesondere der in der Entschließung des Bundestags vom 24.11.2006 enthaltene Grundsatz des dauerhaften Mehrheitseigentums des Bundes nicht gewahrt
werde. Auch in der Gemeinsamen Stellungnahme der Länder vom 11.7.2007,
die im Rahmen der Länderanhörung abgegeben wurde, finden sich Bezüge zum
Wertausgleich. Er ist entscheidend für die Frage, unter welchen Bedingungen
die Privatisierung weiterentwickelt, modellintern korrigiert oder vollständig revidiert werden kann, falls sich die Folgen für die Länder – wie bereits heute in
hohem Maße absehbar – trotz Nachbesserungen am Gesetzentwurf als nicht
hinnehmbar erweisen. Diese Rückfallebene ist für die Länder um so wichtiger,
ais der Bund sie im Gesetzgebungsverfahren systematisch in die Statistenrolle
drängt.
Realistische Optionen zur Korrektur sollte sich die Politik schon deshalb vorbehalten, weil
 das Eigentumssicherungsmodell im globalen Maßstab ohne Vorläufer ist,6
 alle Privatisierungen des wirtschaftlichen Eigentums an nationalen Schieneninfrastrukturen gescheitert sind (Neuseeland, Großbritannien, Estland),
 Fehlentwicklungen allein aus verfassungsrechtlichen Gründen schnell abgestellt werden müssen.
Sachstand:
Die faktische Rückholbarkeit des wirtschaftlichen Eigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen und damit der Schieneninfrastruktur hängt im Eigentumssicherungsmodell davon ab, ob 1) der reguläre Heimfall nach Ablauf der
Sicherungsübereignung und 2) die vorzeitige Kündigung wegen Schlechtleistung
realistische politische Handlungsoptionen sind. Entscheidend hierfür sind die
konkreten Bedingungen des Gesetzentwurfs.
Im Zentrum steht der Wertausgleich, den der Bund als Gegenwert für die Rücknahme der Schieneninfrastruktur an die DB AG zahlen soll – unabhängig von
den Gründen, die zur Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den Bund
führen. Nach dem Gesetzentwurf bemisst sich der Wertausgleich an der Höhe
des bilanziellen Eigenkapitals (Reinvermögen) der EIU. Um eine Vorstellung ü-
6
Dies hat die Bundesregierung bereits zweimal bestätigt, vgl. KA Grüne, KA FDP
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ber die Größenordnung zu gewinnen, ist es hilfreich, die Ausgleichsformel auf
der Basis von aktuellen Werten anzuwenden. Das Ergebnis lautet:
Wäre die Privatisierung bereits umgesetzt, und wollte der Bund sie nun
revidieren, müsste er einen Wertausgleich von 7,5 Mrd. € bezahlen (Bilanzstichtag 31.12.2006).
Dieser Wert ergibt sich näherungsweise aus dem bilanziellen Eigenkapital jener
beiden EIU, deren Geschäftsberichte einsehbar sind, zuzüglich des geschätzten
Eigenkapitals der restlichen EIU.
Abbildung 9: Berechnung des Wertausgleichs
Bilanzielles EK 2006
(in Mio. €)
DB Netz
5.753
DB Station & Service
1.208
DB Energie
Rest
Summe
ca. 500
geringfügig
ca. 7.500
Quelle: Geschäftsberichte DB AG 2006,
eigene Schätzung
Nach einigem Zögern hat die Bundesregierung den Wert von 7,5 Mrd. € nunmehr in einer aktuellen Antwort auf eine Kleine Anfrage bestätigt. Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass die zum 31.8.2007 zugesagte Übertragung der
nicht betriebsnotwendigen Immobilien der DB-Holding an die EIU den Wert des
Eigenkapitals in der Tendenz erhöht. Den gleichen Effekt könnte der Verkauf
der Immobilientochter Aurelis an Hochtief für geschätzte 1,65 Mrd. € auslösen,
die laut Angaben der DB AG vollständig der DB Station & Service AG zufließen
sollen. Perspektivisch steigt der Wert noch weiter an, falls die EIU nach der Privatisierung zusätzliches Eigenkapital bilden. In größerem Stil ist dies aus dem
regulären Geschäft heraus allerdings nicht zu erwarten.
Bewertung:
Die Länder sollten die Regelung zum Wertausgleich aus mehreren Gründen
strikt ablehnen.
 Am schwersten wiegt die prohibitive Höhe des Wertausgleichs. Bei einer
Dimension von mindestens 7,5 Mrd. € dürfte außer Frage stehen, dass
eine Korrektur der Privatisierung im Netzbereich in der politischen Praxis
so gut wie ausgeschlossen ist. Kein Finanzminister wird bereit sein, diese
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Summe aufzubieten. Auch die nachträglich zugestandene Umkehrung der
Beschlussmechanik bei regulärem Ablauf der Sicherungsübereignung –
„Entscheidet der Bundestag nicht, fallen Netz und Stationen zurück an
den Bund“ – ändert wenig an der abschreckenden Wirkung des Ausgleichsbetrags. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der Bundestag auf
Druck der Bundesregierung die Abwehr finanzieller Lasten höher gewichten wird als die Option, die Kündigung auszusprechen, um eine bahnpolitische Fehlentwicklung zu korrigieren.
 Volkswirtschaftlich steht die Höhe des Wertausgleichs in keinem adäquaten Verhältnis zu den erwarteten Privatisierungserlösen. Der Vorstand
der DB AG bezifferte den Wert des Unternehmens kürzlich auf rund 20
Mrd. €. Demnach brächte ein 49%-Anteil ungefähr 10 Mrd. € ein. Nimmt
man an, dass die DB AG davon mindestens 3 Mrd. € erhielte, flössen 7
Mrd. € dem Bundeshaushalt zu. Käme es zum Wertausgleich, müsste der
Bund jedoch mehr zahlen, als er zuvor für den Anteil an der DB AG
haushaltswirksam eingestellt hat. Dies wäre nicht nur ein schlechtes,
sondern ein absolutes Verlustgeschäft zu Lasten des Steuerzahlers.
Abbildung 10: Finanzielle Schieflage des geplanten Wertausgleichs
Endschaft mit Wertausgleich: Bund
kauft Infrastruktur aus dem Konzern
Bund 51%
Güterverkehr,
Logistik
DB-Konzern
Personenverkehr
Infrastruktur
Güterverkehr,
Logistik
6-10
Mrd. €
Personenverkehr
DB-Konzern
Auslaufen oder
Kündigung
Bund 51%
Bund 100%
7,5
Mrd. €
Infrastruktur
Kapitalprivatisierung: Bund
Verkauft 49 % des Konzerns
Investor 49%
Investor 49%
Im Endschaftszustand hätte der Bund:
 von den 6-10 Mrd. Privatisierungserlös einen Teil ans Unternehmen fließen lassen
(der Haushaltseffekt hätte damit vsl. nur 3-5 Mrd. € betragen),
 für den Rückkauf der Infrastruktur den Bundeshaushalt mit 7,5 Mrd. € belastet,
 um fast die Hälfte seiner Beteiligung am DB-Konzern an einen privaten Investor
abzutreten nicht nur keinen Privatisierungserlöses verbucht sondern unterm
Strich Milliarden ausgegeben.
Deshalb ist es nicht vorstellbar, dass der Bund eine solche Endschaft je auslösen
würde, faktisch wäre das Modell irreversibel.
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Sollte die DB AG - wie zu Beginn des Jahres von der Commerzbank errechnet - nur 12 Mrd. € wert sein, würde sich das Missverhältnis noch
verschärfen.
 Ein weiteres volkswirtschaftliches Argument gegen den Wertausgleich
speist sich aus der Lastenverteilung bei der Finanzierung der Schieneninfrastrukturinvestitionen zwischen Bund und DB AG. Seit der Bahnreform zum 1.1.1994 hat der Bund – je nach Rechnung - 80 bis 90 % der
Investitionen in das Schienennetz getragen, die DB AG rund 10 bis 20 %.
Vom Anteil der DB AG ist ein beträchtlicher Teil unfreiwillig entstanden,
und zwar aus dem Zwang heraus, Baukostenüberschreitungen bei den
Projekten Nürnberg-Ingolstadt-München, Frankfurt-Köln, Berliner Knoten
durch eigene Mittel aufzufangen. Sofern die DB AG solche ungewollten
Belastungen künftig vermeidet, wird sich der Finanzierungsanteil von
Bund, Ländern und Gemeinden an den Investitionen in Netz und Stationen noch erhöhen.
Angesichts einer Beteiligungsquote der DB AG an den Kosten des Kapazitätsaufbaus der Schiene von unter 10 % erscheint es äußerst fragwürdig,
warum der Bund dasjenige Netz zurückkaufen soll, das zu über 90 % von
ihm selbst – d.h. vom Steuerzahler - finanziert wurde. Sieht man von der
geringen Eigenbeteiligung der DB AG ab, „schenkt“ der Bund dem Unternehmen die wichtige Ressource „Infrastrukturkapazität“. Der ergebniswirksame Vorteil für die DB AG sind die eingesparten Aufwendungen für
Abschreibungen und die Finanzierung (Zinsen). Dank dieser reduzierten
Kostenlinie, die die Trassenpreise gegenüber einer Vollkostenrechnung
halbiert, können die Transporttöchter der DB AG ihre geplanten Gewinne
einfahren. Ökonomisch spricht daher einiges dafür, den symbolischen Finanzierungsanteil der DB AG als eine Art Selbstbeteiligung aufzufassen,
dessen Verlustrisiko die DB AG in Kauf nehmen muss.
Andernfalls tritt der Fall ein, dass der Bund die Schieneninfrastruktur ein
zweites Mal bezahlt. Die Primärzahlung sind die Baukostenzuschüsse, die
allein den Ertragswert der EIU begründen. Brächen die Zuwendungen
weg, schlüge der Ertragswert der EIU sofort ins Negative um. Die DB AG
müsste das Vermögen der EIU außerplanmäßig abschreiben, was uno actu auch denselben Wert der EIU als Finanzanlagevermögen in der Holding mindern würde. Das Eigenkapital der EIU und des Konzerns würde
binnen kurzer Zeit aufgezehrt.
Zahlt der Bund später einen Wertausgleich, finanziert er den allein auf
seinem Engagement beruhenden Ertragswert der EIU ein zweites Mal.
 Anreizökonomisch ist die vorgesehene Regelung ebenfalls kontraproduktiv. Solange die Sicherungsübereignung nicht beendet wird, muss die DB
AG – zumindest formal – etwaige Betriebsverluste der EIU zu Lasten des
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Eigenkapitals übernehmen. Tritt jedoch der Extremfall einer Kündigung
wegen Schlechtleistung ein, bekommt die DB AG das zu dem Zeitpunkt
bilanzierte Eigenkapital der EIU vollständig vergütet. Dann werden auch
solche „geschaffenen Vermögenswerte“ in die Entschädigungssumme
einbezogen, die aus fehlerhafter Investitionsplanung resultieren und die
der Bund vorher durch Festpreisverträge auf die DB AG abgewälzt hatte
(z.B. Baukostenüberschreitungen NBS Köln-Frankfurt, NürnbergIngolstadt-München, Berliner Knoten). In einer isolierten Streckenrechnung wäre der Ertragswert negativ, so dass der korrespondierende Vermögenswert teilweise abgeschrieben werden müsste. In einer gesamthaften Netzrechnung lässt sich die Fehlinvestition jedoch kaschieren.
Im Ergebnis zeigt sich eine Asymmetrie in der Finanzierungsverantwortung. Der Bund trägt alle Risiken, während die privatisierte DB AG von
jeglichem Risiko befreit ist – entgegen den bilanzrechtlichen Prämissen
für wirtschaftliches Eigentum. Schon bisher gelang es der DB AG, einen
Großteil der zuvor von ihr geschulterten Finanzierungslast (insbes. im
Bestandsnetz) auf den Bund abzuwälzen. Begründet wurde die inzwischen geringe Eigenbeteiligung mit dem Argument, betriebswirtschaftlich
sei das Netz andernfalls nicht auskömmlich zu bewirtschaften. Die künftigen Gewinnhöhen widerlegen allerdings diese These, offensichtlich könnte der Bund eine höhere Eigenmittelquote abverlangen.
Der Wertausgleich rundet die Sozialisierung der Kosten ab, indem die DB
AG sogar im Worst Case – einer Kündigung – von allen Investitionsrisiken
nachträglich befreit wird. Aus der Sicht eines scharf kalkulierenden Investors könnte es sich im Extremfall lohnen, die Kündigung planmäßig herbeizuführen.
Vordergründig könnte die These verfangen, dass die Länder an der Regelung
zum Wertausgleich kein Interesse zu haben brauchten, da nur der Bund als
Vertragspartner der DB AG im Obligo stehe. Diese Auffassung wäre jedoch grob
fahrlässig. Im Gegenteil müssen die Länder aus Selbstschutz intensiv darauf
drängen, den Wertausgleich abzuschaffen oder ihn zumindest deutlich zu reduzieren.
 Würde die Schutzvorkehrung in der jetzigen Konstruktion tatsächlich
greifen, müsste der Bund den Wertausgleich in Höhe von 7,5 Mrd. € im
Rahmen eines nationalen Kraftaktes aufbieten. Dann wäre jedoch absehbar, dass der Finanzminister erhebliche Einsparungen im Einzelplan
12 (Verkehr) einforderte, insbesondere innerhalb des Konsolidierungskreises Schiene. Automatisch böte der größte Topf – die Regionalisierungsmittel – die größte Angriffsfläche für Umschichtungen. Die Erfahrung lehrt, dass Haushaltsrisiken bei der Eisenbahn, die zunächst beim
Bund aufschlagen, immer auch Risiken der Länder sind.
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 Schreckt die Höhe des Wertausgleichs umgekehrt so stark ab, wie es die
Gesetzmäßigkeiten der Politik vermuten lassen, bleibt das Instrument der
Kündigung als ultima ratio stumpf. Die Länder gäben dann den letzten
Rettungsanker von vornherein aus der Hand. Um dem entgegenzuwirken, muss der Wertausgleich daher auf eine realistische Größenordnung
gesenkt werden.
Lösungsvorschläge:
Der Leitsatz für die Bemessung des Wertausgleichs muss lauten, dass die öffentliche Hand die Schieneninfrastruktur kein zweites Mal bezahlen darf. Statt
dessen dürfen der DB AG und damit dem privaten Investor nur Mehrwerte vergütet werden, die nach der Privatisierung geschaffen werden. Alle anderen
Werte wurde innerhalb des „Konsolidierungskreises Staat“ erzeugt und gehören
dem Steuerzahler.
Die Alternativen im Einzelnen:
 Der Wertausgleich bemisst sich an dem Netto-Vermögensmehrwert der
Investitionen aus Eigenmitteln der DB AG, der nach der Privatisierung bis
zum Zeitpunkt der Rückholung der Anteile an den EIU – bei normaler
Abschreibung – geschaffen worden ist.
 Alternativ kann der Mehrwert des bilanziellen Eigenkapitals herangezogen werden, d.h. die Differenz aus dem Reinvermögen zum Stichtag der
Rückholung minus Reinvermögen zum Zeitpunkt der Privatisierung.
 Weitere Alternative: Der Wertausgleich wird gestrichen.
 Dritte Alternative: Der Wertausgleich wird mit einem – niedrigen - Festbetrag gesetzlich fixiert. Beispiel: 2 Mrd. €.
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7.3. Mitwirkungs- und Kontrollrechte bei Nahverkehrsinvestitionen
Die erste Forderung des VMK-Beschlusses vom 2.8.2007 lautet:
„Es muss ein echtes Mitsprache- und Kontrollrecht der Länder bei der Verwendung der für Investitionen im Nahverkehrsbereich vorgesehenen Bundesmittel
(mindestens 20% der Gesamtsumme für den Neu- und Ausbau) vorgesehen
werden. Die Höhe der der DB AG zur Verfügung gestellten Mittel ist grundsätzlich an den von ihr betriebenen Netzumfang zu koppeln.“
Sachstand:
Nach § 8 des geltenden Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSchwAG) ist
der Bund verpflichtet, 20 % der zur Verfügung stehenden Investitionsmittel in
den Bau, Ausbau und die Erhaltung der Schienenwege zu lenken, die dem SPNV
dienen. Diese Quotenregelung verschiebt der Gesetzentwurf nach hinten in die
Schlussbestimmungen, § 21 Abs. 1 BSEAG. Im Gleichklang zur Ausweitung der
Mittelverwendung im Bestandsnetz erlaubt der Gesetzentwurf, die Mittel für
Schienenwege im SPNV in Zukunft nicht nur investiv, sondern für „Maßnahmen“
einzusetzen, worunter auch die konsumtive Aufgabe der Instandhaltung fällt.
Derzeit setzt sich die 20%-Quote aus zwei Teilen zusammen. Rund 5% der Mittel werden vorab über eine gesonderte Sammelfinanzierungsvereinbarung (SV)
für Neu- und Ausbauinvestitionen in SPNV-Strecken reserviert. Die Ende 2007
auslaufende SV wurde 2003 mit 920 Mio. € dotiert und soll ab 2008 neu aufgelegt werden.7 Über die Auswahl der Projekte setzen sich die Länder mit der DB
AG ins Benehmen. Die verbleibenden 15 Prozentpunkte rechnen Bund und DB
AG auf Investitionen für Mischverkehrsstrecken im Bestandsnetz an, die der
SPNV mitnutzt. Im Unterschied dazu fordern die Länder im VMK-Beschluss, die
20%-Quote ausschließlich für Neu- und Ausbau anzusetzen.
Die Kopplung der Investitionsmittel an den Netzumfang fügt sich thematisch
passender in die beiden Forderungen zur LuFV ein, weshalb sie in Kapitel 7.4
diskutiert wird.
Bewertung:
Die gegenwärtige Handhabung der Nahverkehrs-Investitionsquote sieht sich
mehreren Einwänden ausgesetzt.
 Die Länder monieren, dass die 15%ige Anrechnung der BSchwAG-Mittel
auf Mischverkehrsstrecken statistische Schönfärberei sei, die dem SPNV
7
Vgl. Bundesschienenwegeausbaubericht 2007
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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nicht in dem gesetzlich vorgesehenen Umfang zugute komme. Der Fehler
liegt in der unklaren Abgrenzung, was mit „...die dem SPNV dienen“ gemeint ist. Das BMVBS legt diese Bestimmung als „auch dienen“ aus,
während die Länder eine überwiegende oder exklusive Nutzung als Kriterium favorisieren.
 Hinsichtlich der vorab abgezweigten Neu- und Ausbaumittel melden die
meisten Länder das Problem, dass ein beträchtlicher Teil dieser Mittel
nicht verausgabt werden könne. Ins Zentrum der Kritik rückt der Netzbetreiber, der die meisten Projekte systematisch hinauszögere und keine
Neigung zur Kofinanzierung der nicht förderfähigen Bestandteile erkennen lasse. Erst wenn Dritte einsprängen und die Finanzierung vollständig
übernähmen, bewege sich etwas. Auch die bisherige Praxis, Investitionen in Regionalnetze nur als zinslose Darlehen auszureichen, verschlechtert die Umsetzungschancen.
Tatsächlich trägt die Zusammenfassung von Neu-/Ausbau- mit Ersatzinvestitionen in einer Quote ebenso zur Intransparenz bei wie die fehlende Verpflichtung
des Bundes, die Einhaltung der 20%-Quote zugunsten des SPNV zu belegen.
Sinnvoll ist es daher, die Quoten eindeutig aufzuteilen. Parallel sollten im Haushalt separate Titel für Bestandsnetz- und Neu-/Ausbauinvestitionen gebildet
werden, da die BSchwAG-Mittel für das Bestandsnetz künftig mit 2,5 Mrd. € ohnehin fixiert sind.
Die 20% im VMK-Beschluss zugunsten Neu- und Ausbau im Nahverkehr sind
dann so zu verstehen, dass sie sich nicht mehr – wie nach dem bisherigen
Wortlaut des § 8 Abs. 2 - auf alle BSchwAG-Mittel beziehen, sondern nur auf die
Summe der insgesamt verfügbaren Neu- und Ausbaumittel. Diese ergibt sich
wiederum als Differenz aus der jährlich neu festzulegenden Bundeshaushaltslinie (z.B. im Mittel 3,5 Mrd. €) abzüglich des Infrastrukturbeitrags gemäß der
LuFV (zu Beginn 2,5 Mrd. €, ggf. abschmelzend).
Die Quote für die Bestandsnetzinvestitionen, die dem SPNV dienen, muss gesetzlich und in der LuFV verankert werden. Naheliegend ist eine Größenordnung
von rund 20 % der gesamten Bestandsnetzmittel (2,5 Mrd. €). Darüber hinaus
ist aufgrund der Abgrenzungsprobleme zwischen Ersatzinvestitionen und Instandhaltung zu erwägen, auch eine Mindestinstandhaltungsquote zugunsten
der Regionalnetze gesetzlich zu fixieren.
Eine echte Mitwirkung der Länder an der Projektauswahl ist nur dann gewährleistet, wenn sie selbst die Mittel vergeben dürfen, und zwar auch an andere
EIU als die DB AG. Andernfalls kann die DB AG als konkurrenzloser Bauträger
beliebig entscheiden, ob sie ein Projekt in ihren Investitionsplan mit aufnimmt
oder nicht.
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Lösungsvorschläge:

Die Quoten für Investitionen, die dem SPNV dienen, werden künftig klar
aufgeteilt und in separaten Titelgruppen im Einzelplan 12 (Verkehr) geführt:
º [xxx] Mio. € pro Jahr (= 5-10 % der gesamten BSchwAG-Mittel,
entspricht ca. 20 % der gesamten Neu- und Ausbaumittel) werden für
Neu- und Ausbauinvestitionen in die Schienenwege des SPNV
geblockt.
º Von den Bestandsnetzmitteln (2,5 Mrd. €) werden 20 % für Schienenwege des SPNV abgezweigt. Diese Quote wird ebenfalls in der LuFV
verankert.
º Wegen der fließenden Grenzen zwischen Ersatzinvestitionen und
Instandhaltungsaufwand wird auch eine Mindestinstandhaltungsquote
zugunsten jener Schienenwege fixiert, die dem SPNV dienen.
8

Die Legaldefinition [„die dem SPNV dienen“] wird präzisiert. Hierunter ist
zu verstehen, dass der SPNV die Schieneninfrastruktur „weit überwiegend“ nutzt. Dies ist der Fall, wenn mindestens 90% der im Jahresdurchschnitt vergebenen Trassen einer Strecke vom SPNV in Anspruch
genommen werden.8

Zusätzlich sollte erwogen werden: Die oben quotierten zweckgebundenen Mittel werden den Regionalisierungsmitteln zugeschlagen. Hierzu
wird ein eigenständiger Absatz im RegG eingeführt. Die Länder sind verpflichtet, dem Bund die investive Verwendung dieser Mittel für den SPNV
nachzuweisen.
Problematisch erscheint hingegen eine Definition unter Verweis auf § 2 Abs. 8 AEG („Netze
des Regionalverkehrs“), da die dortige Regelung auf die verkehrliche Nichtnutzung durch
Züge des Schienenpersonenfernverkehrs abstellt. So könnte die DB AG als De-factoMonopolist im Fernverkehr durch ihre Angebotsstruktur die Netzfinanzierung beeinflussen.
Das Gleiche gilt für nichtbundeseigener Betreiber im Schienenpersonenfernverkehr, die auf
zwischenzeitlich fernverkehrsfreien Korridoren (wie in der Praxis schon geschehen) ihrerseits
Fernverkehre anbieten.. So wäre weder für die Länder noch für die EIU des Bundes eine hinreichende Planungssicherheit gegeben.
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7.4. LuFV – Sanktionen und Teilkündigung
An zweiter Stelle formuliert die VMK folgende Forderung:
„Einführung von Sanktionsmöglichkeiten bei Unterschreitung der Qualitätsvorgaben hinsichtlich der Schieneninfrastruktur in einem regionalen Netz/einem
Land. Hierzu ist eine regionale Gliederung des Netzzustandsberichts vorzusehen, der den Ländern jährlich zur Verfügung gestellt werden muss. Die auf die
Länder entfallenden Mittel sind in Länderquoten aufzuteilen. Für den Fall einer
Unterschreitung des insgesamt überwiegend für den Nahverkehr einzusetzenden Anteils oder für den Fall eines von den Infrastrukturunternehmen zu verantwortenden Instandhaltungsrückstaus müssen Sanktionen vorgesehen werden, bis hin zu einer Teilkündigung der LuFV.“
Sachstand:
Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) bildet das Schlüsselinstrument, um den verfassungsrechtlichen Infrastrukturgewährleistungsauftrag
zu präzisieren und dessen Erfüllung auf eine vertragliche Basis zu stellen. Vertragspartner sind
 der Bund als Gewährleistungsträger und rechtlicher Eigentümer der EIU
des Bundes bzw. deren Schieneninfrastruktur,
 die EIU der DB AG, die die Schieneninfrastruktur erhalten und betreiben,
in Verbindung mit der DB Holding als „Konzernmutter“.
Der Bund verpflichtet sich, für Maßnahmen zur Erhaltung der Schieneninfrastruktur pro Jahr einen bestimmten Infrastrukturbeitrag als Zuwendung bereitzustellen. Im Gegenzug sagt der Zuwendungsempfänger – die DB AG – zu, die
Infrastruktur in einer bestimmten, vertraglich spezifizierten Qualität betriebsbereit zu halten. Leistungsgegenstand ist allein die Bestandsschieneninfrastruktur
(Netz, Stationen, Anlagen zur Energieversorgung), während Neu- und Ausbau in
separaten Finanzierungsvereinbarungen geregelt werden. Eine Schnittmenge
zwischen beiden ist insofern unausweichlich, als Neu- und Ausbauvorhaben
nach ihrer Inbetriebnahme das Bestandsnetz erweitern und auch Ausbauvorhaben fallweise Ersatzinvestitionen entbehrlich machen (z.B. bei Ausbau statt
Grunderneuerung).9
9
Beispiele hierzu sind aktuell die Ausbaustrecken Ingolstadt – München, Mannheim – Saarbrücken, Hof – Chemnitz – Dresden, Reichenbach – Leipzig, (Magdeburg -) Hoyerswerda –
Horka (- Polen); Berlin – Dresden, Berlin – Rostock, Berlin – Stettin/Stralsund, Berlin –
Frankfurt(Oder). Auch der Neubau weiterer Gleise wie z.B. Augsburg – Olching (- München),
Offenburg – Basel, Oberhausen – Emmerich (- Niederlande) als Ausbaustrecke führt i.d.R.
zum kompletten Ersatz der Bestandsstrecke auf Kosten des Bundes.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Die LuFV ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, dessen Eckpunkte durch Bundesgesetz (BSEAG) vorgegeben werden. Nach dem aktuellen Gesetzentwurf sind
die Länder weder direkte Vertragspartner des Infrastrukturbetreibers, noch ist
eine Schutzwirkung des Vertrages zu ihren Gunsten vorgesehen. Somit haben
die Länder nach dem jetzigen Konstrukt keinen rechtlichen Hebel, ihre aus der
Verantwortung für den SPNV ableitbaren Ansprüche im Wege einer Leistungsund/oder Feststellungsklage einzufordern. Ändert sich an dieser Zuschauerrolle
nichts, haben die Länder lediglich mittelbare Einwirkungsmöglichkeiten, und
zwar ausschließlich bis zur Verabschiedung des Privatisierungsgesetzes. Ihre
Zustimmung im Bundesrat könnten sie an die Bedingung knüpfen, dass der Gesetzgeber die Qualitätsziele und das Sanktionssystem möglichst detailliert gesetzlich festschreibt. Allerdings kann und darf das Gesetz die LuFV selbst nicht
ersetzen.
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung sind die Regelungen zur LuFV unter Artikel 3 im „Gesetz über die Erhaltung und den Ausbau der Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes“ – Bundesschienenwegegesetz (BSEAG) verankert. Sie
erstrecken sich im Abschnitt 2 – Erhaltung der Schienenwege – primär auf die
Teile 2 („Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung“) und 4 („Pflichtverletzungen der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes“). Einen direkten Bezug gibt es zu Teil 3 („Kontrolle der Erhaltung der Schienenwege“), der im Forderungskatalog der VMK jedoch größtenteils durch Nr. 8 (vgl. hier Abschnitt
7.10) abgedeckt wird. Ferner relevant ist § 21 BSEAG, weil die dortige Quote
für Investitionen in Schienenwege, die dem SPNV dienen, auch für das Bestandsnetz gilt.
Vertragsentwürfe zur LuFV sind bislang auf offiziellem Weg nicht verfügbar. Seit
Anfang September kursieren allerdings die ersten beiden Exemplare, und zwar
einer des Bundes (erstellt durch die Anwaltskanzlei Hölters & Elsing) und ein alternativer Entwurf der DB AG. Stand beider Papiere ist der 15.8.2007. Ein Vergleich bringt zum Vorschein, dass die Vorstellungen der Vertragsparteien in
zahlreichen wichtigen Einzelfragen noch erheblich differieren.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Abbildung 11: Wichtigste Dissenspunkte zwischen Bund und DB AG
über die LuFV
Themenfeld
LuFV-Entwurf BReg
LuFV-Entwurf DB AG
Reduzierung
Netzumfang
Unter 32.000 km sinken Mittel um
0,32% je 100 km Betriebslänge
Kein Automatismus, Verhandlungen
Abschmelzen Zuschuss
Jedes Jahr um 3% (75 Mio. €)
Keine
Nachverhandlungen
Zuschuss
Keine
Höhere Gewalt, Hyperinflation, Sturm,
Unwetter, Sabotage, Verteuerung
Betrieb durch Gericht/Verw./Gesetz,
Verschärfung Regulierung
Einwerbung
Fördermittel
Pflicht des Netzbetreibers
Keine Pflicht, keine Anrechnung
Prüfung Mittelverwend.
Wirtschaftsprüfer
Wirtschaftsprüfer der DB-EIU
Kontrolle/Messfahrten
Stichproben durch EBA
Keine EBA-Messfahrten
Vollstreckung EBA
Nach
Verwaltungsvollstreckungsgesetz
Keine Regelung, eingeschr. Auskunft
Sanktionen
Breiter Katalog (10 Kriterien)
Nur 4 Kriterien
Kündigung
Ab 2. Pflichtverletzung möglich
Nur bei 3 Mal in 5 Jahren, keine a.o.
Kdg
Die gravierendsten Auffassungsunterschiede liegen in der vom Bund angestrebten Degressionsautomatik des Infrastrukturbeitrags, in der Kopplung der Höhe
der LuFV-Mittel an den Netzumfang, den Ausnahmetatbeständen für Nachverhandlungen (besonders beachtenswert ist die Position der kostenerhöhenden
oder erlösschmälernden Wirkungen von Gerichts-, Gesetzes- und Verwaltungsentscheidungen einschließlich von Regulierungen der Bundesnetzagentur), im
Sanktionskatalog und den Voraussetzungen einer Kündigung.
Darüber hinaus gibt es weitere zahlreiche Dissenspunkte, die von Gewicht sein
können, jedoch aufgrund ihres Detailcharakters tabellarische Übersichten sprengen würden. Exemplarisch zu nennen sind die Aktivierungstatbestände für Ersatzinvestitionen, die Vorgaben für das Infrastrukturkataster, die Anwendung
des Vergaberechts u.v.a.m.
Beide Entwürfe enthalten keinerlei Ansätze eines Bezugs zu Regionalnetzen,
Strecken oder zu Kompetenzen der Länder und bieten keine Möglichkeit einer
Teilkündigung.
Beiden Entwürfen ist gemein, dass sie der DB AG und ihren EIU die Bundesmittel pauschal überlassen und eine Rückforderung bei nicht zweckentsprechender
Verwendung nur per Klage des Bundes möglich ist. Ein Rückforderungsbescheid
wie im Subventionsrecht ansonsten üblich ist nicht möglich. Auch erfolgt keine
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Sicherung der Teilzahlungen des Bundes für eine zweckentsprechende Verwendung, wie dies normalerweise im Subventionsrecht Usance ist (z.B. Stellung von
Bankbürgschaften, Eintragung von Grunddienstbarkeiten etc.). Ferner soll die
LuFV nur bei einer Klage des Bundes außerordentlich kündbar sein. Nicht vorgesehen ist hingegen das allgemeine Kündigungsrecht wegen Verhinderung oder Beseitigung von schweren Nachteilen für das Gemeinwohl (§ 60 Abs. 1 Satz
2 VwVfG), das sich aus dem bislang überall geltenden allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht ableitet..
Bewertung:
Die Einführung einer LuFV als vertragliches Instrument der outputorientierten
Qualitätssteuerung ist uneingeschränkt zu begrüßen. Dieser Schritt ist seit langem überfällig, zumindest aber seit 1994, als die DB AG formal privatisiert wurde. Wirtschaftsunternehmen, die in hohem Maße subventioniert wird, bedürfen
harter Kontrollinstrumente des Zuwendungsgebers. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, staatliche Mittel in Milliardenhöhe nicht nur auszureichen,
sondern eine Gegenleistung auf vertraglicher Grundlage einzufordern, die sanktionsbewehrt ist. Insofern ist die LuFV „kein Kind der Privatisierung“ - sie wäre
genauso notwendig, wenn die DB AG zu 100% in der Hand des Staates bliebe.
Unzutreffend ist die vom BMVBS geweckte Assoziation, dass die Politik/das Parlament nun erstmalig den Infrastrukturbetreiber „an die Kandare nehmen“ könne, diese Verbesserung der Privatisierung zu verdanken sei und dass sie die
Preisgabe der 100%igen Eigentümerstellung bei der DB AG nicht nur ersetze,
sondern überkompensiere.10
Dass die LuFV im Rahmen der Teilprivatisierung zu einer besseren Infrastrukturqualität führt und dem Parlament wie der Bundesregierung effektivere Steuerungsinstrumente an die Hand gibt, darf bezweifelt werden - erst recht nach
Sichtung der ersten Entwürfe. Entscheidend ist aber, dass Vergleiche mit Erfahrungen vor der Privatisierung irrelevant sind. Die DB AG von morgen, die von
einem privaten Investor gelenkt wird, wird eine grundlegend andere sein als die
heutige im ausschließlich öffentlichen Regime. Unter dem Druck der Kapitalmarktrendite wird der institutionell abgesicherte Infrastrukturmonopolist noch
kompromissloser verhandeln, seine Bedingungen diktieren und Optimierungspotenziale zu Lasten des wichtigsten Zuwendungsgebers ausschöpfen. Insofern
muss sich ein Instrument wie die LuFV daran messen lassen, ob es den künftigen legitimen Praktiken der professionell agierenden Gegenseite standhält.
10
So auch das Argument von Hommelhoff in einem Gutachten und von Gersdorf in der Sachverständigenanhörung des Bundestages am 23.5.2007, wonach die externe Steuerung genauso effektiv sei wie die interne über die Eigentümerstellung.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Aber selbst wenn die LuFV alle konzeptionellen Voraussetzungen erfüllen würde, müssen die Länder damit rechnen, dass der Bund als Vertragspartner der
DB AG seine Rechte bestenfalls halbherzig einfordert und im Ergebnis wenig erreicht. Der Grund liegt in der Interessenkollision zur Eigentümerrolle. Jede gerichtsfest verhängte Sanktion schadet dem Ergebnis des bundeseigenen Unternehmens, schmälert Rendite und Dividende und wird heftige Interventionen des
privaten Anteilseigners hervorrufen. Treffend ist in diesem Zusammenhang die
Aussage in der geheimgehaltenen Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens
2004, welche Erwartungen der Kapitalmarkt an den öffentlichen Anteilseigner
hege:
„…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen,
wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer
Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“
Auf den Kern reduziert lautet die Botschaft, dass der Bund nur dann seinen Infrastrukturgewährleistungsauftrag wahrnehmen dürfe, wenn er das Unternehmensergebnis nicht beeinträchtige. Dies ist systemisch unmöglich – die LuFV
soll schließlich das Korrektiv gegen den Renditedruck sein, um den Gemeinwohlauftrag zu schützen.
Angenommen es käme zu punktuell harten Sanktionen, ist in einem komplexen
System der Mischfinanzierungen wie im Schienenverkehr die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass die DB AG den Fehlbetrag mittelbar nachverhandelt, was die Anreizwirkung aufheben würde und zu Lasten des übrigen schienenbezogenen
Haushaltsbudgets ginge.
Noch unrealistischer ist die Annahme, der Bund wäre im Bedarfsfall einer fortdauernden Schlechtleistung des Netzbetreibers willens oder in der Lage, die
Kündigung als ultima ratio anzuwenden – selbst wenn es keinen hinderlichen
Wertausgleich gäbe. Dieser Schritt ist so gravierend, dass er praktisch keine
Chance auf Umsetzung hat. Würde die DB AG – wie von ihr angestrebt – börslich notiert, bräche allein bei der Ankündigung des Bundes, den Rechtsweg zu
beschreiten, der Kurs ein. Der private Gesellschafter würde die Bundesregierung ermahnen, „Vernunft walten zu lassen“ und Klagen in Aussicht stellen. Es
ist daher zu erwarten, dass der unbefriedigende Infrastrukturzustand allenthalten kritisiert wird, die Beteiligten Besserung geloben, aber letztlich nichts passieren wird.
Setzt man sich über die grundlegende Skepsis zur Wirksamkeit der LuFV bei einem am Kapitalmarkt notierten bundeseigenen Unternehmen hinweg, gibt der
aktuelle Entwurf der Bundesregierung ebenfalls wenig Anlass zu Optimismus. In
der nachstehenden Synopse (Abbildung 12) wird der Entwurf der Anwaltskanzlei Hölters & Elsing in seinen Grundzügen dargestellt, bewertet und dem Vorschlag der DB AG gegenübergestellt. Da die Quellen erst vor wenigen Tagen erSeite 55
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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schlossen werden konnten, wichtige Informationen in den nicht einsehbaren
Anlagen enthalten sind und die Thematik selbst überaus kompliziert ist, fällt die
Bewertung notgedrungen kursorisch aus.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Abbildung 12: Synopse und Kurzbewertung der beiden informell bekannt gewordenen LuFV-Entwürfe
Entwurf der Kanzlei Hölters & Elsing für den Bund vom 16.08.2007
§
Präambel
§ 1.3
Gegenstand/
Regelung
Kommentar zum Entwurf BMVBS
Gegenstand/Leistungspflichten
Zustand Infrastruktur
 Aufgabendefinition der Präambel (2) „Erhaltung ihrer Schienenwege in einem uneingeschränkt nutzbaren Zustand“ zu unkonkret und
daher nicht vollziehbar,
 Präambel steht im Widerspruch zur Anforderung in § 13.2 „Betriebsbereiten Zustand nach
Maßgabe der Qualitätskennzahlen“, die die
Uneingeschränktheit massiv relativiert.
Gegenstand
 Definition der vertragsgegenständlichen
„Schienenwege“ über den Planfeststellungsbegriff („Betriebsanlagen der Eisenbahn“)
 Faktisch beinhaltet dies i.e.S. Streckengleise,
Bahnhofsanlagen Personenverkehr und die Energieversorgung, nicht jedoch vollumfänglich
kapazitätsrelevante Neben- und Abstellgleise,
Zugbildungsanlagen / Rangierbahnhöfe etc.
LuFV-Entwurf der DB AG vom 15.08.2007
Vergleich zur entsprechenden
Regelung im Entwurf der DB AG




Ebenfalls unkonkret: in der Präambel (3) nur „näher bestimmten
betriebsbereiter Zustand“.
In § 4.3 explizite Gegenüberstellung „betriebsbereiter Zustand“
ggü. „wesentlicher technischer
Fortentwicklung“ (v.a. EGHarmonisierung, Sicherheit).
Vergleichbar (§ 1.3).
Überprüfung der Sachanlagenklassen alle 5 Jahre
Kommentar zum
Entwurf der DB AG.

Damit keine Erhaltung der Infrastruktur nach dem
Stand der Technik,
sondern allenfalls
historische Konservierung

Sinn und Zweck
der Überprüfung
unklar
Prof. Dr. Dirk Ehlers
§ 1.4
Abgrenzung zu Neu- und
Ausbaumaßnahmen

-
Kapazität der Infrastruktur

§4
Mindestinstandhaltungsbeitrag



§ 8.1
§ 7.3
Nachzuweisende Ersatzinvestitionen


Keine Berücksichtigung real fließenden Grenzen zwischen Bestandsmaßnahmen und Neuund Ausbaumaßnahmen. Damit weiterhin
Fehlanreize, sanierungsbedürftige Strecken
v.a. als Neu-/Ausbaustrecke zu deklarieren
(„Grunderneuerung“)
Berücksichtigung der Kapazität fehlt: Keine Differenzierung nach Leistungsfähigkeit (Züge je
Strecke, Achslasten, Anhängelasten) oder
Hilfskriterien wie Zweigleisigkeit, Überholgleise, Kreuzungsbahnhöfe, Überleitstellen, Blockteilung etc.
Umfang und Rechnungslegung unklar.
Quotierung der Instandhaltungsmittel: 88 %
DB Netz, 10 % DB Station & Service, 2 % DB
Energie (in Abweichung zur Regelung in § 2.1
aber keine Verschiebung von Anteilen möglich)
Zudem ist insgesamt fraglich, wie durch Festlegung eines Inputbetrags (Geld) ein bestimmter Output (Qualität, Kapazität, Werterhalt) gesichert werden kann
Vorgabe des förderfähigen Katalogs (Anlage
8.1) sicherlich sinnvoll, aber grundsätzliches
Problem der Inputorientierung (s.o.)
Nachverhandlungsgebot nach § 7.3 bringt hier
wenig Entschärfung, da Zielrichtung „Optimierung“ von jeder Seite anders ausgelegt werden
muss (Ziel DB AG: keine Bilanzierung, Ziel
Bund: langfristiger Infrastrukturerhalt)

Vergleichbar (§ 1.2)

Vergleichbar, aber keine Verwendungsquoten nach einzelnen
Infrastrukturunternehmen (§ 9)

Maßstab für Ersatzinvestition ist
nur Aktivierungsfähigkeit nach
IRFS, zudem sollen auch nicht
aktivierungsfähige Ausgaben wie
Rückbau, Vegetationsrückschnitt,
Entsorgung sowie „Zusammenhangsmaßnahmen“ als Ersatzinvestition gelten (§ 10.2), Zudem
sollen Kosten Dritter (§ 10.3) und
allgemeine Zuschläge bzw. Gene-
Seite 58
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007

Beträge damit
letztlich nicht überprüfbar.
Prof. Dr. Dirk Ehlers
§ 5.2
Umfang/Reduzierung






2.000km Netz sanktionslos stilllegbar.
Lineare Kürzung des LuFV-Betrages entsprechend der Reduktion der Betriebslänge.
Betriebslänge (gemessen in Strecken-km) aber
problematische Bezugsgröße: keine Berücksichtigung der Gleiszahl der Strecken (damit
Rückbau von Zwei- auf Eingleisigkeit ohne
Sanktion möglich), Ausrüstung (z.B. Elektrifizierung, Sicherungstechnik etc.)
Damit Stilllegungsanreiz für überproportional
teure Strecken, denn Infrastrukturbeitrag sinkt
nur linear.
Problem der Definitionsmacht des Netzbetreibers: Betriebslänge kann erzeugt werden z.B.
durch formelle Umwandlung einer mehrgleisigen Strecke in zwei betriebliche Einzelstrecken
aufgespaltet werden.
Keine Kürzung des Instandhaltungsbeitrages
nach § 4 bei volumenbedingter Reduzierung
des Infrastrukturbeitrages, damit anteilig steigender Instandhaltungsbeitrag angelegt. (Unsystematisch, da ja offensichtlich enorme Rationalisierungsfortschritte unterstellt werden, die
eine 3 % Kürzung des Infrastrukturbeitrages
rechtfertigen sollen).

Seite 59
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
ralunternehmerverträge (§ 10.4)
als Ersatzinvestition gelten.
Ebenfalls keine Kürzung des Infrastrukturbeitrages bis 32.000
km Streckenlänge, allerdings
darunter keine automatische Anpassung, sondern nur Aufnahme
von Verhandlungen zur Anpassung vorgesehen (§ 18.2)
Prof. Dr. Dirk Ehlers
§ 7.5
Einhaltung internationaler/
europäischer Verpflichtungen


§ 7.4
Mittelverwendung für
SPNV



§ 5.1
Zuschuss, Verausgabung
Rückführung Zuschuss




Regelung sicherlich sinnvoll.
Umsetzung aber unklar, zumal Anlage 6.1 unbekannt. Damit bleibt offen, wie die heutigen
Korrekturhebel der DB AG, politisch gewollte
Maßnahmen zugunsten unternehmerisch höher
bewerteter Maßnahmen zurückzustellen, künftig begrenzt werden sollen.
Mindestens 20% der Ersatzinvestitionen und
des Instandhaltungsaufwands sind für Maßnahmen zu verwenden, die dem SPNV dienen
Kaum wirksame Vorgabe, die die Unzulänglichkeiten des heutigen § 8 (2) BSchwAG – jede
Investition dient irgendwo auch dem SPNV –
auch auf die Verwendungsbestimmungen für
die Bestandsnetzmittel überträgt.
Auch das „Abstimmungsgebot“ mit den Ländern entspricht heutiger BSchwAG-Praxis, aus
der regelmäßig bekannt ist, dass die DB AG am
längeren Hebel sitzt und die Länder wenig Einfluss und keine Sanktionen auf die Projektpriorisierungen und Umsetzungen haben

Fehlt vollständig

Dto, in § 2.3 %-Wert noch offen
Keine Dynamisierung, kein Inflationsausgleich
Rückführung um 3% p.a.
Hoher Druck auf hocheffizientes, hochausgelastetes Kernnetz.
Damit steigt der Druck auf die EIU im Zeitverlauf deutlich, wegfallende LuFV-Mittel über
Steigerung der Trassenpreiserlöse auszugleichen. Dies ist die den Infrastrukturbetreiber
stets einfacher als Effizienzseigerung.

Ebenfalls keine Dynamisierung/Inflationsausgleich.
Keine Rückführung Zuschuss (§
2.1).

Seite 60
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007

Auch konstante
Mittel sind lt. DB
AG faktische Kürzung, da keine InflationsDynamisierung.
Damit auch in der
Lesart der DB AG
erheblicher Druck
Prof. Dr. Dirk Ehlers

§ 2.1
Verteilung des Infrastrukturbeitrags auf einzelne EIU

Cash-Pooling


In der Folge sind SPNV-Abbestellungen im Regionalnetz vorprogrammiert. In der Folge signifikante Reduktion Streckenlänge zu erwarten.
Quotiert geregelt: 88 % DB Netz, 10 % DB
Station & Service, 2 % DB Energie.
Umschichtung von bis zu 10% des Gesamtvolumens der unternehmerischen Freiheit der DB
AG überlassen. l

Freies Ermessen DB AG (§ 2.2)
Keine Regelung

Einschränkung des Cash-Poolings
(§ 3.4)
Seite 61
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007

auf Steigerung Infrastrukturentgelte
und Qualitätsverschlechterungen
Mit steigenden
Freiheitsgraden
ist Leistungserfüllungskontrolle für alle Bereiche nötig, da
sonst gezielt
Mittel in kontrollierte Bereiche gelenkt und
weniger stark
kontrollierte Bereiche (z.B.
Stationen) vernachlässigt
werden könnten.
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Nachforderungen für DB
AG

Fehlt

§6
Akquirierung von EUMitteln

Pflicht zur Akquirierung EU-Zuschüsse, entsprechende Schadensersatzpflicht

§ 10
Vergabe Aufträge


Vergaben nach 3. Abschnitt VOL/A bzw. VOB/A
Ausnahme für ÖPP entspricht nicht gesetzlichen Grundlagen. DB EIUs sind ausnahmslos
öffentliche Sektorenauftraggeber.

Seite 62
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Zahlreiche Rechtfertigungen angelegt für Nachforderungen:
„höhere Gewalt“ (§ 4.1 und 4.2).
Z.B. höhere Inflationen, jeder
Sturm, Hochwasser, Unwetter,
Sabotage mit „erheblichen Schäden“
Weiterhin Nachforderungen wegen jeder gesetzgeberischen/verwaltungsmäßigen / gerichtlichen Verteuerung Betrieb
oder Schmälerung Erlöse. Auch
technische Fortentwicklung EGweit (und damit jede EGInitiative) berechtigt zu Nachforderungen
Dezidiert keine Pflicht (§ 2.4.2)
(„Förderung ohne wirtschaftliche
Nachteil“). Zudem auch keine
Anrechnung.

Damit Deckelung
weitgehend wirkungslos. Besonders gravierend ist
das Verhindern jeder effektiven Regulierung Trassenpreise („Erlösschmälerung“)

Nur Anwendung 4. Abschnitt
VOL/A bzw. VOB/A (privater Sektorenauftraggeber) (§ 6.2)

H+E Entwurf sieht
Pflicht vor und
führt damit zu einem gesicherten
erhöhten Mittelvolumen, im DBEntwurf dagegen
letztlich Substitution von Eigenmitteln möglich §
2.4.3)
DB-Vorschlag entspricht nicht heutiger Rechtspraxis
Prof. Dr. Dirk Ehlers
§ 9.2
Eigenerstellung DB Konzern
- Messung, Prüfung
§ 12, 14.1
Infrastrukturkataster

Beschränkung der Eigenerstellung (zulässig
nur bei „Kostengünstigkeit“) vom Ansatz sinnvoll, aber mangels Ausführungsbestimmungen
wenig justiziabel.

Keine Regelung, nur „vergaberechtlich zulässige Beauftragung
von Konzernunternehmen“ (§
3.4)

Eigenerstellung
vergaberechtlich
unbeschränkt
möglich, daher
DB-Vorschlag wirkungslos

Ansatz sinnvoll, Umfang noch unklar: „gesamte
Schienenwege, wesentliche Merkmale, detailliert aufgeführt, charekteristische Merkmale
u.s.w.“
Sinnvoll wäre eine enge Abstimmung mit der
Anlagenbeschreibung nach SNB, die vorab 15
Monate vor Fahrplanwechsel erfolgen müsste
und detailliert die vorzuhaltenden und für Nutzung zu offerierenden Anlagen und Betriebsverfahren darlegen müsste
Viele sinnvolle Ansätze, jedoch zahlreiche Unklarheiten. Mangels Anlage 14.3 nicht weiter
bewertbar. Insgesamt aber Gefahr, dass Bericht zu sehr Input/Anlagen-orientiert und
Messung und Bewertung echter Outputkriterien vernachlässigt.

Vergleichbar (§ 12), einzelne Elemente genannt
Darstellung von Weichen, Anschlussgleisen etc. nur als summarische Stücklisten (§ 12.1.3
und 12.1.4)

Merkmale nach DB
erlauben keinerlei
Rückschluss auf
Leistungsfähigkeit
Strecke.
Offen bleibt, wer
„SollGeschwindigkeit“
als Bemessungsgrundlage festlegt.
Prüfung durch von Bund beauftragten Wirtschaftsprüfer (WP) sicherlich sinnvoll.
Jedoch keine Absicherung bei fehlendem Prüfungswillen BMVBS/BMF.
Daher wäre Anbindung des WP sowohl an
BRH, als auch Haushaltsausschuss/Prüfungsausschuss Bundestag sinnvoll.


§ 14
§ 11.4
Netzzustandsbericht
Prüfung Verausgabung








Seite 63
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Weitgehend gleich: § 11.
Einschränkung „Instandhaltungsbericht nur nach Clustern“
Es fehlen: Prüfung Wirtschaftsprüfer
sowie jährlicher Schienentwicklungsbericht
Bund muss den Abschlussprüfer
der DB-EIU als Prüfer beauftragen.

Prof. Dr. Dirk Ehlers
§ 13.3
§ 13.3
Qualitätszahl Fahrzeitverlust
Qualitätskennzahl Schienenwege
Anpassung Zielwerte




Messzahl ungeeignet, da basierend auf unzulänglicher DB-Methodik aus IZB (unendliches
Beschleunigungs- und Bremsvermögen, nur lückenhafte Einbeziehung der Langsamfahrstellen, keine Betrachtung der Auswirkungen auf
Transportketten etc., vgl. Kapitel 7.10)
Inhalt völlig unklar.
Möglicherweise Bewertung nach Alter. Wenn
ja, auch diese Zahl allein ungeeignet, da Stilllegung von Nebengleisen und Ausbau von (alten, wenig genutzten) Weichen zwingend zu
drastisch sinkendem Durchschnittsalter führen
muss
Keine Regelung






Vergleichbar (§ 7.2.)
Zudem keine Betrachtung Strecken mit Stilllegungsanträgen (§
7.2.3)
Zudem keine Wirkung im Jahr
2008 (§ 19.2)
Nicht näher definierte Einzelparameter wie Gleisgeometrie,
Fahrdraht etc.
Zudem keine Wirkung in 2008 (§
19.2)

Überprüfung zum Jahr 2014 (§
8.2)



§ 14
Messung

§ 16.1
Datenlieferung

Datenerhebung durch DB AG selbst, Zusätzliche (punktuelle) Messung auch durch Bund
Lieferung „zweckentsprechend aufbereitet“
kann missverstanden werden. Besser wäre
Pflicht zur Aufbereitung in Datenbanken, d.h.
Primärdaten und entsprechende Auswertungsmöglichkeiten


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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Zusätzliche Messung durch Bund
fehlt ganz
Fehlt.

Sanktionsverfahren bleibt damit
ungeprüft. Entscheidender Baustein der Testphase entfällt.
Sanktionsverfahren bleibt damit
ungeprüft. Entscheidender Baustein der Testphase entfällt.
Sinn der Überprüfung unklar, vermutlich Ansatzpunkte zur Rechtfertigung sinkender Niveaus aufgrund „unvorhersehbarer Umstände“.
Entwertung Anreizwirkung.
DB kontrolliert sich
weitgehend selbst.
Prof. Dr. Dirk Ehlers
-
Transparenz

§ 19.1
Kontrolle durch EBA

§ 19.2
Stellung Hilfsmittel

§ 19.3
Vollstreckung Auskunft/Prüfung

11
Hinweise auf Transparenz gegenüber Bundestag, Bundesrechnungshof, Ländern, Regulierungsbehörden und allgemeine Informationsfreiheit fehlen.11
Zusatz „Stichprobenkontrolle“ missverständlich.
EBA muss auch umfassende Kontrollen ausführen können
Kostenregelung fehlt. Zudem sollte genaue geregelt werden, welche Messfahrzeuge EIUs
vorzuhalten haben und zu stellen haben.
Vollstreckung nach Verwaltungsvollstreckungsgesetz

Vergleichbare Regelungslücken.

Keine Kontrollen durch EBA vorgesehen

DB kontrolliert sich
weitgehend selbst.

Messfahrten überhaupt nicht als
Prüfinstrument vorgesehen (§
14.1)
Keine Regelung, zudem Einschränkung des Auskunftsrechts
nach „Aufwand und Angemessenheit“: § 14.3

DB kontrolliert sich
weitgehend selbst.

Damit weitgehende Vereitelung der
Kontrollen möglich

Dies lässt auf Sorge vor Streit um Geschäftsgeheimnisse schließen (vgl. Toll-Collect Vertrag). Vergleichbare Geschäftsgeheimnisse sind in diesem Fall
allerdings nicht berührt, da der Begünstigte (DB AG) nicht im Wettbewerb ermittelt wurde, sondern von einem staatlichen Monopol (auf Bundeseisenbahninfrastruktur) profitiert.
Seite 65
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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-
§ 21.1
Sanktionen
Umfang der sanktionierten Pflichten
Nachbesserung

Soweit ersichtlich alle


In Fällen von Verstößen gegen Vergabevorschriften, Auskunftserteilung, offensichtliche
Mängel auf einzelnen Streckenabschnitten,
Verschweigen Fördermittel erst Sanktion nach
Verstreichen Nachfrist.
Damit „Katz und Maus-Spiel“ vorprogrammiert,
da DB AG bei Entdecken immer noch Beseitigung verbleibt und damit Abschreckungswirkung von Verstößen (die hier erst einmal entdeckt werden müssen) entfallen.
Geltendmachung durch Leistungsklage widerspricht jedem Grundverständnis staatlicher
Subventionspraxis.12
Ein gesetzliches Sonderregime wäre vermutlich
ein Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz
der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit im
Haushaltsvollzug, da die Verausgabung öffentlicher Mittel, bei denen die Gegenleistung noch
nicht erbracht ist oder noch nicht nachgewiesen ist, nur gegen Sicherheit erfolgen darf
(mindestens jederzeitige Rückforderbarkeit)


§ 20.2
§ 21.5
Geltendmachung Rückforderungen


12

Nur Mindestbeträge Instandhaltung/Ersatzinvestition, sowie
Qualitätswerte: § 15.2 sowie Berichtspflichten: § 16.1
Grundsätzlich Nachbesserung bei
Verfehlung von Qualitätswerten
möglich, wenn bei vereinbarter
Verbesserung der Infrastruktur
Qualitätswerte „rechnerisch“ erreicht würden. (§ 15.3)

Breite Spielräume
für nachträgliche
Mangelbeseitigung
ohne Pönalisierung.
Vergleichbare Regelung (§ 15.4,
16.2)
Rückforderungen werden immer durch Verwaltungsakt geltend gemacht und unterliegen einem besonderen Regime, welches auf die zweckentsprechende Verwendung der bewilligten Mittel gerichtet ist (§§ 49, 49a VwVfG).
Seite 66
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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§ 20.6
Rückzahlung/Kumulierung

§ 20.7
Höhe von Rückforderungen

§ 21.4
Rückforderung Verletzung Berichtspflicht

-
Erfüllungsansprüche
Länder

-
Sofortige Unterwerfung
unter Vollsteckung

§ 22,
§ 26.2
Kündigung


Keine Kumulation der Rückzahlungen. Damit
erhebliche Anreize, bei Verstößen gleich gegen
alle Vorgaben zu verstoßen.
Wirksamkeit noch unklar, da Katalog nach Anlage 20.7 nicht vorliegt Zudem wohl Widerspruch zu § 21.4
Max. 2%. Damit hoher Anreiz zur grundsätzlichen Nichterfüllung

Vergleichbare Regelung (§ 15.2)

Vergleichbare Regelung (§ 16.1)
Vertrag hat keine Rechte zu Gunsten Dritter,
z.B. Bundesländer, Trassennutzer, damit liegt
die Erfüllung und deren Überwachung allein im
Belieben des BMVBS/BMF
Als Pendant zur Vollziehung von Verwaltungsakten durch die üblichen behördlichen Mittel
müsste ein Vertrag, der Verwaltungsakte ersetzt, als Ersatzinstrument die sofortige Unterwerfung unter die Vollstreckung vorsehen (§
61 VwVfG). Tatsächlich aber ist Vollstreckung
nicht vorgesehen.
Kündigung allein nur bei zweimaliger Verfehlung der in § 20.6 genannten Ziele (Verweis
unklar, gemeint wohl 20.5.1 bis 20.5.4) ist
nicht kompatibel mit § 60 VwVfG („Kündigung,
um schwere Nachteile für Gemeinwohl abzuwenden“). Hierzu gehört v.a. die fehlende
Rechtmäßigkeit, aber auch das Nichtbewähren.
Institut der Vertragsbeendigung durch Feststellungsklage verträgt sich nicht mit den
Grundprinzipien des Rechts über öffentlichrechtliche Verträge. Verweis in § 26.2 auf Kündigung aus wichtigem Grund reicht hierzu
nicht.

Vergleichbare Regelungslücke.

Vergleichbare Regelungslücke.

Nur bei dreimaliger Verletzung
innerhalb von 5 Jahren (§ 17.1)
Außerordentliche Kündigung völlig ausgeschlossen (§ 17.2)


Seite 67
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007

Regelung rechtlich
unzulässig, da v.a.
außerordentliches
Kündigungsrecht
ein fundamentales
Rechtsprinzip von
Dauerschuldverhältnissen ist
Prof. Dr. Dirk Ehlers
§§ 22, 23
Infrastrukturzustand zu
Vertragsende



§ 25
Sonstiges
Bisherige Finanzierungsvereinbarungen


-
Beihilfenrecht – keine
Regelung

§§ 17, 18
Verfügungsverbot,
Stimmrecht in der
Hauptversammlung

Regelung fehlt. Damit hohe Anreize in einem
Crash-Szenario (Kündigung) auf möglichst
schlechte Infrastruktur zuzusteuern.
Zulässigkeit unbrauchbarer Eskalationsregeln
(Exit-Klauseln) zweifelhaft.
Schadensersatzpflicht läuft weitgehend ins
Leere, da „betriebsbereiter Zustand nach § 13“
nicht weiter definiert ist.

Keinerlei Schadensersatzpflicht
zu Vertragsende
z.T. Weitergeltung und Abzug von den 2,5
Mrd. EUR, Umfang allerdings unklar.
Überprüfungsrechte und Rückforderungspflichten bisheriger (beendeter) Vereinbarungen
werden ersatzlos beschnitten und damit wohl
Rückforderungen des Bundes an die DB AG
(bislang über 15 Jahre rund 2 Mrd. Euro) vereitelt.
EG-Recht fordert Rückabwicklung unrechtmäßiger Beihilfen. Vertrag macht Rückabwicklung
faktisch unmöglich
Diese Sicherungsinstrumente sind nicht sinnvoller Weise Bestandteil der LuFV. Die LuFV
sollte gerade so aufgebaut sein, als würde sie
auch ohne Mehrheitseigentum des Bundes,
d.h. gegenüber einem echten Privatunternehmen, funktionieren.

Keine Weitergeltung mit Ausnahme der Vereinbarung vom
9.5.2005 (§ 1.6).

Vergleichbare Regelungslücke.

Fehlen im DB-Entwurf
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007

Rückforderungsprobleme gleich.
Inhalt Vereinbarung vom 9.5.2005
unbekannt.
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Fasst man die in der Übersichtstabelle enthaltenen Kurzkommentare zu den
einzelnen Regelungsinhalten zusammen, wird deutlich, dass der LuFV-Entwurf
des Bundes weit hinter der notwendigen Regelungstiefe und Feinjustierung der
Sanktionen zurückbleibt. Die Diskrepanz zwischen Ist und Soll ist so groß, dass
es wenig Sinn hat, alle kritischen Aspekte im Detail zu diskutieren, zumal es sich
offensichtlich um einen ersten Entwurf handelt. Auch aus Zeitgründen wäre dies
im Rahmen dieses Gutachterauftrages nicht darstellbar.
Beispielhaft sollen einige zentrale Schwächen des LuFV-Entwurfs erläutert werden:
 „Stilllegungsprämie“ für 2.000 km Netz
Die Reduzierung der Infrastrukturbeiträge des Bundes – 2,5 Mrd. € für
alle EIU, davon 2,2 Mrd. € für das Netz - soll in Abhängigkeit vom Netzumfang erst unterhalb einer Schwelle von 32.000 km einsetzen. Die bevorstehende Unterschreitung dieser Grenze muss die DB AG dem Bund
vorab ankündigen. Angesichts der gegenwärtigen Netzgröße von knapp
über 34.000 km folgt daraus für die DB AG, 2.000 Streckenkilometer stilllegen und die betriebswirtschaftlichen Rationalisierungseffekte einstreichen zu können, ohne dass der Infrastrukturbeitrag des Bundes dadurch
sinkt.
Dies ist in zweifacher Hinsicht für die Länder nicht tragbar: An erster
Stelle ist zu kritisieren, dass der Bund den ohnehin vorhandenen betriebswirtschaftlichen Anreiz der DB AG verstärkt, 2.000 km unprofitables
Schienennetz (in der Fläche) abzustoßen. Ein solcher Mechanismus
kommt praktisch einer Prämie gleich, das Netz zu verkleinern.
Darüber hinaus sollte nicht der Eindruck – insbesondere auch vor den
Ländern – erweckt werden, 2,5 Mrd. € seien für den aktuellen Netzumfang gerade auskömmlich, wenn die Rechnung auf einer versteckten Agenda basiert. Entweder ist der zuwendungsunschädliche Abbau von
2.000 km Netz notwendig, damit Kostendeckung im Zeitablauf erreicht
werden kann – dann müsste dies als politisch abgesegnete Netzschrumpfung auch kommuniziert werden oder aber der Umfang der LuFV-Mittel
etwas oberhalb der bisher geplanten 2,5 Mrd. € festgesetzt werden. Bleiben Bund und DB AG bei der Behauptung, die 2,5 Mrd. € reichten für das
Bestandsnetz aus, bedeutet die geplante Nichtabsenkung bei einer Netzschrumpfung bis 2.000 Streckenkm ein „Begrüßungsgeschenk“ von rechnerisch 147 Mio. € pro Jahr13 für den Investor.
13
Rechnerisch entsprechen 2.000 km dem Anteil von 1/17 der heute ca. vorhandenen 34.000
km. Gemäß der im LuFV-Entwurf des Bundes enthaltenen linearen Kürzungsformel (0,32%
je 100 km Reduktion Streckenbetriebslänge ab Unterschreitung von 32.000 km) entsprächen
Prof. Dr. Dirk Ehlers
 Keine Vorgaben für die Kapazität des Netzes
Analog zur Konzeption des IZB der DB AG 2006 als Informations- und
Kontrollinstrument (siehe Kapitel 7.10) beschränkt sich der LuFV-Entwurf
darauf, die Qualität der Infrastrukturvorhaltung an Kriterien festzumachen, die den Zustand des Netzes und der Stationen bei gegebener Kapazität abbilden. Korrespondierend ist die Höhe des Infrastrukturbeitrags
ausschließlich an die Betriebslänge des Netzes (nach Streckenlänge) gekoppelt.
Beide Funktionalitäten drücken ein statisches Verständnis von Netzqualität und -bewirtschaftung aus. Ausgeblendet wird der dynamische Charakter der Kapazität, der für die strategische Netzentwicklung maßgeblich
ist. Verzichtet der Bund hier auf Vorgaben, richtet der Netzbetreiber die
Kapazitätsbewirtschaftung allein an seinem betriebswirtschaftlichen Zielsystem aus.
Im Hinblick auf Kapazität und Flexibilität des Netzes wichtige Anlagenbestandteile wie Überholgleise, Überleitstellen, Weichenverbindungen für
parallele Fahrstraßen, Abstellgleise etc. sind durch die LuFV nicht geschützt, da ihr Rückbau keine Reduktion der Streckenlänge bewirkt. Das
Rechtsinstrument des § 11 AEG bietet hier ebenfalls keinen wirksamen
Schutz
(vgl.
2000 km von einer Basis von 34.000 km und 2,5 Mrd. € einer nicht realisierten Kürzung von
147,01 Mio. € pro Jahr.
Seite 70
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Abbildung 8). Die Einsparpotenziale aus einer nur auf den heutigen Regelfall bemessenen Kapazität und eines entsprechenden minimalistischen
Anlagenumfanges wird sich ein Netzbetreiber unter Renditedruck noch
deutlicher zu erschließen suchen, als es bereits die bisherige DB AG getan hat.
Ist der Netzbetreiber zudem – wie in der DB AG – noch Teil eines Konzernverbunds, hat er kein Interesse, die Pläne anderer Verkehrsunternehmen in die Kapazitätsentwicklung einzubeziehen. Umso wichtiger ist
das Korrektiv der Verkehrspolitik, eine an den Bedürfnissen der Branche
ausgerichtete Mindestkapazität des Netzes durch Vorgaben (Abstell-, Lade-, Überholgleise, Elektrifizierungen, Zweigleisigkeiten, Achslasten,
Blockabstände usw.) wettbewerbsneutral zu sichern. Dieses Mitspracherecht der Politik ist der logische Gegenwert für die hohe finanzielle Unterstützung des Systems Schiene durch die öffentliche Hand.
 Fehlende Regionalisierung der Netzanforderungen
Der fehlende regionsspezifische Zuschnitt der Anforderungen ans Netz
führt zwingend dazu, dass die Anforderungen (z.B. Netzlänge, Anlagenalter) v.a. dort erfüllt werden, wo ihre Erfüllung wenig Kosten verursacht
und hohe Einnahmen durch Nutzungen generiert werden können. Dies
führt u.E. zwingend dazu, dass topografisch schwierige Strecken und
Strecken mit geringer Nutzungsdichte sowie verstreut liegende Zugangsanlagen besonders gefährdet sind. Ein Abbau dort kann z.B. mit hoch
lukrativen Investitionen – z.B. neuen Streckengleisen in den Nord- und
Ostseehäfen oder neuer Streckenanschluss eines Großverladers – kompensiert werden.
Auch ist es dem Netzbetreiber möglich, Länder gegeneinander auszuspielen und die regionale Infrastrukturqualität z.B. zum Sanktionsinstrument
gegenüber Ländern auszuspielen, die mit zusätzlicher Mittelbereitstellung
oder bezüglich der Vergabe von SPNV-Verträgen an die DB AG zurückhaltender sind als andere.
Es liegt damit nah, dass die unternehmerischen Entscheidungen eines
nur über Durchschnittswerte eines Bundesnetzes kontrollierten Netzbetreibers, den Interessen der Länder an einer regional ausgewogenen
SPNV-Infrastruktur zuwider laufen.
 Sanktionshöhen schöpfen wirtschaftlichen Vorteil nicht sicher ab
In § 20 des LuFV-Entwurfs ist das Sanktionssystem des Bundes bei Verstößen der DB AG gegen die Qualitätsziele verankert. Geregelt wird, bei
welchen Arten von Verstößen („Sanktionskatalog“) der Bund seinen Infrastrukturbeitrag grundsätzlich zurückfordern kann und woran sich die
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
Höhe der Rückzahlung bemisst. Vorgesehen ist eine Staffelung der Sanktionshöhe in Abhängigkeit vom Grad der Abweichung je Kennzahl. Der
Prozentwert der Rückforderung soll mit dem Prozentwert der Zielverfehlung identisch sein.
Die Idee der Staffelung ist grundsätzlich sinnvoll, da sie richtige Verhaltensanreize setzt und für beide Seiten Fairness ausstrahlt. Allerdings ist
die Gleichschaltung der Prozentwerte von Sanktionshöhe und Zielverfehlung kein geeignetes Maß, um den wirtschaftlichen Vorteil des pflichtverletzenden Netzbetreibers zielgenau abzuschöpfen. Je nach Wahl der
Kennzahl selbst und des Zielwertes verbergen sich hinter einem Prozent
Unterschreitung völlig unterschiedliche Ergebniswirkungen, während dieser Prozentpunkt nach der Logik der LuFV-Sanktionierung stets 25 Mio. €
- ein Prozent Rückforderung - wert ist. Für einzelne Kriterien kann dies
einen Anreiz zur Zielverfehlung bedeuten, da die Sanktion im Vergleich
zum Einsparpotenzial irrelevant ist, bei anderen Kriterien kann eine unverhältnismäßige Überpönalisierung eintreten.
Ebenfalls zu kritisieren ist die fehlende Kumulation der Sanktionen bei
Verstößen gegen mehrere Verstöße. Damit wird der Anreiz erzeugt, einem Verstoß weitere folgen zu lassen und eine Verstoß“kultur“ zu entwickeln.
 Abschmelzen der Infrastruktur- und Mindestinstandhaltungsbeiträge um
3 % p.a. beschleunigt Netzrückbau
Nach § 5 des LuFV-Entwurfs sollen der Infrastrukturbeitrag des Bundes
und der Mindestinstandhaltungsbeitrag der DB AG ab einem noch zu bestimmenden Jahr jährlich um 3 % sinken („ordentliche Reduzierung“).
Damit würde die Zuwendung des Bundes für die Ersatzinvestitionen um
75 Mio. € pro Jahr gekürzt. Für den Mindestinstandhaltungsbeitrag lässt
sich der absolute Betrag der angestrebten regelmäßigen Absenkung vorerst nicht errechnen, da die Ausgangsbasis weder im Gesetzentwurf noch
im Entwurf der LuFV festgehalten ist.
Erneut ist zunächst das Bemühen anzuerkennen, Effizienzanreize in die
vertragliche Steuerung einzubauen. Die prozentuale Reduzierung ähnelt
dem X-Faktor in der Regulierung natürlicher Monopole, der den Produktivitätsfortschritt des Netzbetreibers antizipieren und als Mindestziel vorgeben soll. Allerdings stellt sich die Frage, auf welchem methodischen
Fundament die Höhe des Kürzungsbetrags steht. Setzten die 3 % im ersten Jahr ein, würde sich der Infrastrukturbeitrag des Bundes von 2,5
Mrd. € während der 15jährigen Sicherungsübereignung nahezu halbieren. Dies erscheint im Hinblick auf den möglichen Produktivitätsfortschritt
kaum realistisch. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass im Unterschied
zu den üblichen Regulierungsformeln die LuFV keinen Inflationsausgleich
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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vorsieht, also bereits den Anreiz setzt, Preissteigerungen durch Produktivitätsverbesserungen zu kompensieren.
Noch kritischer ist die analoge Absenkung des Mindestinstandhaltungsbeitrags zu sehen. Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht zur
Instandhaltung der Schienenwege 2007 darauf hingewiesen, dass die
jährlichen Instandhaltungsaufwendungen der DB AG seit 2001 deutlich
unter dem Betrag von 1,636 Mrd. € liegen, den 2001 eine gemeinsame
Arbeitsgruppe von Bund und DB AG als nachhaltig errechnet hatte. In
der Summe ist zwischen 2001 und 2005 ein Instandhaltungsstau von 1,5
Mrd. € (kumuliert) entstanden, dessen Auswirkungen zeitlich versetzt
sichtbar werden dürften. Vor diesem Hintergrund erscheint es kontraproduktiv, gegenläufige Signale auszusenden, insbesondere nachdem die
Instandhaltungsaufwendungen laut DB AG in den letzten beiden Jahren
wieder moderat angestiegen sind.
Auch betriebswirtschaftlich sind in der Instandhaltung keine Effizienzspielräume erkennbar, die eine jährliche Kürzungsautomatik von 3 % nahelegten. Die größten Optimierungspotenziale lassen sich zum Zeitpunkt
der Planung erschließen, wenn über die Dimension der Netz- oder Streckenkapazität und planerische/technische Parameter wie die Konzeption
der Leit- und Sicherungstechnik noch frei entschieden werden kann. Zu
diesem Zeitpunkt geben Analysen der Lebenszykluskosten (Wechselspiel
aus Investition und späteren Betriebskosten, klassisches Beispiel: Feste
Fahrbahn) Aufschluss darüber, inwieweit die Instandhaltungsaufwendungen deutlich gesenkt werden können. Hinterher – bei gegebenem Anlagenumfang – ist der Instandhaltungsaufwand nur noch geringfügig beeinflussbar.
Insgesamt ist zu befürchten, dass die ordentliche Reduzierung des Infrastruktur- und des Mindestinstandhaltungsbeitrags den Anreiz verstärken,
das Netz zurückzubauen und den Anlagenumfang zu reduzieren.
Da eine für den Infrastrukturbetreiber rationalisierungsbedingte Kostenreduktion im Bereich der Instandhaltung von 3 % pro Jahr außerhalb des
realistisch Möglichen liegt, wird er abschmelzende LuFV-Mittel kompensieren müssen über eine entsprechende Erhöhung der Erlöse aus der Infrastrukturnutzung. Folge wären insbesondere massiv steigende Trassenpreise, denn in den ohnehin seitens der DB AG geplanten Steigerungen
von rund 2 % pro Jahr ist eine „ordentliche Reduktion“ der LuFV-Mittel
um 3 % nicht berücksichtigt. Diese Kompensation muss folglich über
noch darüber liegende Steigerungsraten eintreten.
Die Regulierung wird den Ländern, die von Trassenpreiserhöhungen regelmäßig am stärksten betroffen sind, gegen diesen Effekt keinen ausreichenden Schutz bieten, denn bei konstanten oder nur geringfügig gesunSeite 73
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
kenen Kosten aber deutlich sinkenden Instandhaltungszuschüssen ist die
Umlegung der wegbrechenden Einnahmenanteile auf die Nutzungsentgelte begründbar und plausibel.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Abbildung 13: Komplementarität Einnahmen aus Entgelten & LuFV
Absenkung
LuFV-Mittel durch:
• Verzicht auf Inflationsausgleich
• „ordentliche
Reduzierung“
• Mängelbedingte
Kürzungen
Anstieg
Trassenpreise
Ausgangsverhältnis
Verfehlen
Anreizwirkung
Korrespondierender Anstieg der
Nutzungsentgelte als
Ausweichreaktion der DB AG

Umverteilung: Bund spart zu
Lasten der EVU und der Länder!
 Kann das EIU die vom Bund einbehaltenen LuFV-Mittel über die Infrastrukturnutzer kompensieren, verfehlt die LuFV ihre steuernde Wi rkung
 Verzahnung von Regulierung und LuFV essentiell, um Verpuffen der
Anreizwirkung zu verhindern
Der aus dem Prinzip der „ordentlichen Reduzierung“ erwachsende Druck
stellt mit der Zeit wachsend mehr und mehr Infrastrukturbestandteile in
Frage, deren Kosten-Erlös-Verhältnis negativ ist bzw. legt die Schwelle
für ein ausreichendes Kosten-Erlös-Verhältnis schrittweise höher, sofern
keine vollständige Kompensation über höhere Trassenerlöse möglich ist.
Letzteres dürfte insbesondere für weite Teile des Regionalnetzes gelten,
für die die Besteller bei derart stark steigenden Kosten die Weiterbestellung von SPNV-Angeboten nicht mehr verantworten oder finanzieren
können.
Vorschub geleistet wird über den Reduzierungsautomatismus so einer
Kernnetz-Strategie, die ebenjener entspricht, die auch ein ausschließlich
renditeorientierter Netzbetreiber verfolgen wird: Das optimale Netz, was
sich auch mit einem entsprechend gesenkten LuFV-Beitrag wirtschaftlich
betreiben lassen könnte, besteht zu Ende gedacht praktisch vollständig
aus stark belasteten Abfuhrstrecken mit entsprechend hohen Erlösen aus
der Infrastrukturvermarktung.
Dieser letztlich doppelte Anreiz für eine betriebswirtschaftliche Netzoptimierung leistet somit alles andere als eine Schutzfunktion für die Infrastruktur.
Seite 75
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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 Vernachlässigung des Anlagenalters
Eine wesentliche Aufgabe einer LuFV muss die Gewährleistung des Substanzerhalts der Infrastruktur sein. Diese lässt sich vereinfacht über den
Parameter Anlagenalter gut erfassen, der auch von der DB AG im IZB erhoben wird.14 Erhöhungen des Anlagenalters bieten ein gutes Indiz für
Instandhaltungsrückstände. Wichtig ist eine hinreichende Differenzierung
nach Gewerken (z.B. Brücken, Tunnel jeweils gewichtet nach Gleis- und
Bauwerkslänge), nach Nutzungsintensität und eine streckenscharfe Zuordnung, um regionale Auswertungen zu ermöglichen. Denn bislang
kann in der Logik des IZB das Anlagenalter durch Ausbuchen nicht oder
selten genutzter Elemente (z.B. Weichen und Anschlussgleise) erheblich
gesenkt werden und damit eine Anlagenalterserhöhung von intensiv genutzten Streckengleisen und –weichen kaschiert werden.
Das Fehlen jedweder Vorgaben zur Erfassung, Bewertung und Pönalisierung im bisher bekannt gewordenen Entwurf für die LuFV ist eine gravierende Schwachstelle. Der Substanzerhalt ist aus Ländersicht von besonderer Relevanz im Falle der Übernahme von Netzteilen in eigene Regie.
Eine (im Entwurf der LuFV nicht näher spezifizierte) Schienenwegmesszahl, der theoretische Fahrzeitverlust (zur Untauglichkeit dieser Zahl siehe die Ausführungen zum IZB in Kapitel 7.10) und Mindestinstandhaltungsbeiträge beugen einem schleichenden Substanzverlust nicht hinreichend vor, da z.B. die schlichte Summe an Instandhaltungsaufwendungen nichts über deren Effizienz im Hinblick auf die damit bewirkten substanzerhaltenden Maßnahmen aussagt.
Diese Kurzanalyse des LuFV-Entwurfs war mit der Frage überschrieben, inwieweit er geeignet ist, den Infrastrukturgewährleistungsauftrag des Bundes zu
schützen. Da die Länder nach dem bisherigen Konstrukt keine eigenständigen
Mitwirkungs- und Kontrollrechte erhalten sollen, sind sie darauf angewiesen,
dass der Bund ihre Interessen „anwaltlich“ gegen den Netzbetreiber vertritt.
Voraussetzung hierfür ist, dass der Bund selbst wirksame Rechte und Instrumente der Vertragssteuerung an die Hand bekommt. Hierauf können die Länder
14
Zu berücksichtigen sind allerdings mögliche verzerrende Effekte wie z.B. bei schrumpfendem
Anlagenumfang (Werden viele Altanlagen ersatzlos ausgebucht, verjüngt sich das Durchschnittsalter auch ohne hinreichende Ersatzinvestitionen, ein Investitionsstau ließe sich bei
Nichtberücksichtigung dieses Effekts kaschieren.) oder bei Inbetriebnahme von Neu- und
Ausbaustrecken (Dann gehen die über andere Quellen finanzierten Anlagen schlagartig verbessernd in die Statistik ein.).
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
Prof. Dr. Dirk Ehlers
nur so lange einwirken, wie sie ihre Zustimmung zum Gesetz noch nicht erteilt
haben.
Wie zuvor skizziert, sollten die Länder der Gefahr realistisch ins Auge sehen,
dass der Bund Vertragsverletzungen des Infrastrukturbetreibers nicht oder nur
symbolisch ahndet. Ursächlich sind das vorrangige Eigeninteresse und der
Druck des Investors, den Beteiligungswert der DB AG nicht zu schmälern.
Aus diesem Grund ist den Ländern dringend zu empfehlen, autonom wahrnehmbare Sanktions- und Kündigungsrechte – zumindest für die Regionalnetze
– einzufordern. Juristisch ist dies gestaltbar. Hierzu müssen die Länder entweder selbst Vertragsbeteiligte der LuFV bzw. der für sie relevanten Kapitel über
die Regionalnetze werden, oder der Vertrag wird mit einer Schutzwirkung Dritter, hier der Länder versehen. Dabei wird ihnen ein Vertragsgestaltungsrecht
explizit eingeräumt, das auch Regelungen über Ersatzvornahmen enthalten
kann. Gerade letzteres Instrument wäre besonders hilfreich, um Qualitätsmängel in Regionalnetzen zeitnah beseitigen lassen zu können. Damit die Rechte
der Länder auch wirksam wahrgenommen werden können, ist es erforderlich,
die Möglichkeit der (Verwaltungs-)Vollstreckung gegen die DB AG – auch durch
die Länder – in der LuFV zu schaffen.
Lösungsvorschläge:
Die Forderungen der Länder sollten untergliedert werden in solche, die die
Steuerungsqualität der LuFV des Bundes verbessern, sowie in Maßnahmen zur
Schaffung originärer Länderrechte. Lösungsvorschläge der ersten Kategorie
sind:
 Die in der LuFV angelegte „Stilllegungsprämie“ wird ersatzlos gestrichen.
Der Infrastrukturbeitrag von 2,5 Mrd. € erstreckt sich auf den gegenwärtigen Netzumfang von 34.000 km in der heutigen Netzqualität. Reicht die
Summe nicht, ist sie nach oben anzupassen.
 Die Sanktionshöhe je sanktionierten Tatbestand bemisst sich nach dem
Anderthalbfachen des wirtschaftlichen Vorteils, den sich der Infrastrukturbetreiber durch die Pflichtverletzung zu verschaffen sucht. Bund und
Länder erarbeiten in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe den Sanktionskatalog und die Sanktionsstaffeln.
 Das Sanktionssystem der LuFV sieht vor, den wirtschaftlichen Vorteil des
Infrastrukturbetreibers aus einem bestimmten Verstoß umgehend abzuschöpfen. Hierzu gibt der Bund einen typisierenden Sanktionskatalog in
Höhe des vermuteten wirtschaftlichen Vorteils je Verstoß vor. Der entsprechende Betrag wird umgehend gesperrt und auf ein Sonderkonto
hinterlegt. Er wird entsperrt, sobald der Infrastrukturbetreiber den Mangel beseitigt hat, zudem wird für den Zeitraum der fehlenden Beseitigung
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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ein Einbehalt wegen nicht vertragsgemäßer Gegenleistung vorgenommen. Dem Infrastrukturbetreiber steht es frei, auf dem Rechtsweg eine
Änderung des Einbehalts zu erwirken. Dieser hat jedoch keine aufschiebende Wirkung.
 Auf eine ordentliche Reduzierung des Infrastrukturbeitrags und des Mindestinstandhaltungsbeitrags wird verzichtet. Effizienzanreize werden über
die Regulierung gesetzt.
 Die Qualitätsparameter der LuFV werden deutlich erweitert. Vor allem
Kapazitätsvorgaben werden den statischen Zustandskriterien hinzugefügt. Zugleich fließen sie in die Bemessung des Infrastrukturbeitrags ein.
 Einbehaltene LuFV-Mittel bleiben dem System Schiene erhalten und fallen nicht in den Bundeshaushalt. Sie werden hälftig zum einen für eine
Aufstockung der Mittel für Neu- und Ausbau und zum anderen zur Erhöhung der Regionalisierungsmittel verwendet.
Um den Ländern wirksame eigenständige Rechte zu verschaffen, wird vorgeschlagen:
 Die LuFV wird in mehrere Kapitel aufgeteilt, und zwar differenziert nach
Fern- und Ballungsnetz sowie Regionalnetzen. Letztere werden einzeln
aufgeführt. Korrespondierend werden die Qualitätsvorgaben und der
Sanktionskatalog auf die Abschnitte der LuFV heruntergebrochen.
 Zusätzlich ist es vorstellbar, auch die Infrastrukturbeiträge und Mindestinstandhaltungsbeiträge teilnetz- und streckenscharf aufzuteilen. Wird allerdings das differenzierte Qualitätsmonitoring tatsächlich umgesetzt, erscheint dieser Schritt verzichtbar.
 Bund und DB AG schließen die LuFV als Vertrag mit Schutzwirkung zu
Gunsten der Länder ab. Die Länder erhalten eigenständige Sanktionsund Kündigungsrechte, mit denen sie Leistungs- und Feststellungsklagen
anstrengen können. Die Einräumung dieser Rechte wird im Gesetz verankert.
 Weiterhin wird den Ländern vertraglich konzediert, Vollstreckung und Ersatzvornahmen anordnen zu können, wenn der Infrastrukturbetreiber
seinen Pflichten einschließlich Aufforderung zur Nachbesserung nicht
nachkommt.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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7.5. Regionalisierung der Infrastruktur als Option
An dritter Stelle fordert der VMK-Beschluss im Wortlaut:
„Die Bewirtschaftung von Teilnetzen im Regionalbereich unter Fortbestand des
Bundeseigentums und der Bundesfinanzierung muss aufgrund vertraglicher
Vereinbarung an Dritte übertragen werden können. Dazu gehört auch eine Mittelausstattung für die Strecken, auf denen die DB AG die Bedienung eingestellt
hat oder dies will und die anschließend aus volkswirtschaftlichen oder sonstigen
Gründen auf Vermittlung der Länder von Dritten betrieben werden. Im Falle eines von den Infrastrukturunternehmen zu verantwortenden Qualitätsabfalls in
einem Netz muss eine optionale Übernahme der Bewirtschaftung durch einen
von einem Land beauftragten Dritten vorgesehen werden.“
Sachstand:
Die obengenannte Regionalisierungsoption knüpft an die seit längerem diskutierte Idee an, die Bewirtschaftung der regionalen Schieneninfrastruktur in die
Aufgabenverantwortung der Länder zu übertragen. Als Anlass dienen unterschiedliche Erwägungen: Viele Länder sind mit der gebotenen Infrastrukturqualität im Regionalnetz über Jahre unzufrieden und haben die Hoffnung, dass regionale Infrastrukturbetreiber ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis abliefern
könnten. Genährt wird diese Auffassung durch Erfahrungen mit nichtbundeseigenen EIU, aber auch durch einzelne Studien, die ihnen Kostenvorteile bei vergleichbaren Leistungen bescheinigen. Des Weiteren fühlen sich diese Länder
durch die positiven Erfahrungen mit der „Regionalisierung I“ bestärkt, d.h. der
Übernahme der Bestellverantwortung für das Verkehrsangebot im SPNV. Die
„Regionalisierung II“ auch der Infrastruktur wäre demnach die logische Weiterentwicklung dieses Erfolgsmodells.
Eine kleinere Zahl von Ländern steht der Regionalisierung der Infrastruktur –
zumindest bisher – skeptisch bis ablehnend gegenüber. Befürchtet werden finanzielle Mehrbelastungen der Länder, falls die anteiligen Mittel des Bundes für
die Netzteile nicht mit transferiert würden oder diese langfristig nicht ausreichten.
Der Bund lehnt die Diskussion über die Regionalisierung von Regionalnetzen
traditionell ab. Ausnahme war ein kurzes Zeitfenster 2001, als die Task Force
„Zukunft Schiene“ in ihrem Schlussbericht empfahl, mit regionalen Infrastrukturmodellen zu experimentieren. Danach sollte eine Arbeitsgruppe mit den Ländern eingerichtet werden, die dem Vernehmen nach bis heute nie getagt hat.
Der Gesetzentwurf sieht die Option der Regionalisierung nicht vor.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Bewertung:
Aus der Sicht der Länder stellt sich die Regionalisierungsfrage zweimal. Vorgelagert ist zu prüfen, ob die gegenwärtige politische Konstellation günstig sein
könnte, die Umsetzung der Regionalisierung vor der Privatisierung einzufordern.
Vorteil einer solchen Lösung ist, dass nicht erst Mängel in Regionalnetzen auftreten müssen, die die Übertragungsoption auslösen können. Da die Länder bislang zu diesem Thema keine einheitliche Position vertreten, erscheint dies unwahrscheinlich, insbesondere wenn der von außen herangetragene Zeitdruck
der Entscheidung weiterhin aufrechterhalten werden sollte.
Realistischer ist die Initiative, die Option auf Regionalisierung der Schieneninfrastruktur als Rückfallebene vorzusehen, um die Folgen der Privatisierung - insbesondere Schlechtleistungen des Infrastrukturbetreibers – aktiv lindern zu
können. Damit die Option im Bedarfsfall gezogen werden kann, müssen verschiedene Vorkehrungen getroffen werden:
 Den Regionalnetzen müssen in der LuFV eigene Kapitel gewidmet werden, und zwar für jedes Regionalnetz einzeln. Qualitätsanforderungen
und Sanktionssystem müssen ebenfalls individuell abgestimmt werden.
 Infrastruktur- und Mindestinstandhaltungsbeitrag müssen für jedes Regionalnetz definiert werden. Bei funktionierendem Qualitätsmonitoring wäre diese Festlegung der Inputgrößen nicht unbedingt erforderlich. Für die
Herauslösung des Regionalnetzes ist dieser Schritt – zumindest für den
Infrastrukturbeitrag – jedoch unumgänglich. Die spezifische Mittelausstattung muss auf das Land übertragen werden, während im Gegenzug
sich der Infrastrukturbeitrag für die DB AG um denselben Betrag reduziert.
 Damit die Teilkündigung Realität werden kann, müssen die Länder sie
autonom aussprechen können. Hierzu muss ihnen ein Rechtsanspruch
eingeräumt werden.
Zu den o.g. Voraussetzungen wird im Übrigen auf die Unterabschnitte 7.4 und
7.10 verwiesen.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Lösungsvorschlag:
 In Ergänzung zu den Lösungsvorschlägen in Kapitel 7.2 setzt die Option
auf Teilkündigung von Regionalnetzen ggf. voraus, „Abschmelz“Regelungen zur Sicherungsübereignung und zum Wertausgleich zu treffen.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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7.6. Trassen- und Stationspreise deckeln
An vierter Stelle des VMK-Beschlusses fordern die Länder:
„Eine Steigerung der Trassen- und Stationspreise zu Lasten des Nahverkehrs
über die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel hinaus muss ausgeschlossen werden.“
Sachstand:
Eine solche spezifische Schutzvorkehrung zugunsten des SPNV sieht der Gesetzentwurf nicht vor.
Bewertung:
In einem funktionierenden System Schiene hat die Regulierung die Aufgabe, auf
allen Wertschöpfungsstufen unangemessene Renditen bzw. daraus resultierende Preiserhöhungen des Infrastrukturbetreibers zu unterbinden oder auf ein
Normalmaß zurückzuführen. Dabei ist eine Kopplung der Veränderung der Vorleistungspreise (Trassen, Stationen, Energie) an die Entwicklung der Regionalisierungsmittel per se nicht zwingend. Andernfalls würde man einen Bestandsschutz für das gegebene SPNV-Angebot – derzeit knapp 630 Mio. Zugkm - unterstellen, das nicht reduziert werden dürfe. Tatsächlich kann es aber ökonomisch plausible Gründe geben, dass die Preise von Vorleistungen oberhalb der
allgemeinen Inflationsrate zunehmen.
Da eine funktionierende Regulierung – insbesondere mit Blick auf die Entgeltfestsetzung – jedoch nicht vor 2011-2015 in Sicht ist, sind aus politischer Sicht
andere Maßstäbe anzulegen. Diese Vorkehrung ist umso dringlicher, als die in
Kapitel 5 (Abbildung 1) skizzierte Gewinnplanung der DB AG bei Netz und Personenbahnhöfen den Handlungsbedarf verschärft. Darüber hinaus bleibt es den
Ländern unbenommen, den Dynamisierungspfad der Regionalisierungsmittel
zum Gegenstand ihrer Verhandlungen mit dem Bund zu erheben.
Allerdings ist davor ausdrücklich zu warnen, kurzfristige (monetäre) Verhandlungserfolge bei den Regionalisierungsmitteln höher zu gewichten als institutionell verlässliche Schutzvorkehrungen. Die Erfahrung aus 2006 hat gezeigt, dass
Regionalisierungsmittel auch vor der nächsten Revision gekürzt werden können.
Angesichts der noch ausstehenden dauerhaften Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte steht dieses Szenario bei der nächsten natürlichen konjunkturellen
Delle wieder im Raum. Dann erwiese es sich als Bumerang, nur auf die Karte
„Geld“ zur Linderung der Privatisierungsfolgen gesetzt zu haben.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Lösungsvorschlag:
Um zumindest die Folgen der bereits bis 2011 geplanten Kaufkraftentwertung
zu verhindern und das Vakuum der Entgeltregulierung bis dahin auszufüllen,
sollten die Länder fordern:
 Die Erhöhung der Trassenpreise für den SPNV wird auf 1,5 % p.a. gesetzlich begrenzt. Darüber hinausgehende Steigerungen, die der Infrastrukturbetreiber dem Regulierer bei kosteneffizienter Leistungserbringung begründet nachweist, muss der Bund tragen (z.B. Erhöhung der
LuFV-Mittel). Damit würde der Bund einen Anreiz erhalten, die Regulierung tatsächlich zu stärken.
 Alternativ: Für die Trassen- und Stationspreise wird ein Index entwickelt.
Dessen Änderung in Relation zum definierten Basisjahr ist die Grundlage
für eine gesonderte Dynamisierung desjenigen Anteils der Regionalisierungsmittel, der auf den Bezug der Vorleistungen entfällt.
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7.7. Weisungsunabhängigkeit der EIU
Das fünfte Postulat der VMK lautet:
„Die Infrastrukturunternehmen müssen gegenüber der Holding weisungsunabhängig im Hinblick auf die konkreten Investitionsentscheidungen sein.“
Sachstand:
Das Problem der Weisungsabhängigkeit von EIU ergibt sich ausschließlich im integrierten Konzern wie der DB AG, in dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge gelten. Nach der EU-Richtlinie 2001/14/EG müssen Netzbetreiber
rechtlich, organisatorisch und in ihren Entscheidungen unabhängig sein. Als Regelungsbereiche werden die Festlegung der Infrastrukturentgelte und die Trassenvergabe genannt. Ein investiver Bezug lässt sich allenfalls mittelbar herstellen, indem der Netzbetreiber bei Engpässen – ungeachtet dessen, wer diesen
verursacht - die Überlastung des Fahrwegs erklären und eine Kapazitätsanalyse
durchführen muss. Ein Investitionsgebot zur Beseitigung des Engpasses lässt
sich jedoch in der Praxis nicht ableiten.
Der jetzige Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht keine Änderung der Unbundling-Vorschriften im AEG vor. Lediglich in § 9a Abs. 1 wird eine neue Nr. 7
angefügt, die sicherstellen soll, dass mit dem Infrastrukturunternehmen verbundene Verkehrsunternehmen keine zeitlichen oder inhaltlichen Informationsvorsprünge hinsichtlich der Zuweisung von Zugtrassen oder Entscheidungen
über Wegeentgelte erhalten.
Bemerkenswert daran ist, dass der erste Entwurf der Bundesregierung vom
15.12.2006 noch zum Ziel hatte, spezielle Unbundling-Vorschriften für die DB
AG einzuführen (§§ 5, 6 des Gesetzes über Struktur der Eisenbahn des Bundes
[BESG]). Demnach sollte es der DB AG als Holding untersagt sein, ihren EIU
Weisungen über die Verwendung der Infrastrukturmittel des Bundes zu erteilen
oder in sonstiger Weise auf deren Verwendung einwirken. Auch sollte die Personalunion zwischen Vorständen der DB-Holding und den EIU-Töchtern verboten werden. Zur Überwachung dieser Vorschriften sollte das EBA die allgemeinen Ermittlungsbefugnisse bekommen, die es auch sonst im Rahmen der Eisenbahnaufsicht hat.
Als Reaktion auf diese Absicht schrieb der Vorstandsvorsitzende der DB AG am
24.1.2007 einen Brief an das BMVBS, in dem diese Regelungen wie folgt kommentiert werden:
 Das europäische Recht verlange keine Unabhängigkeit der Infrastruktursparte bei Investitionssparten. Der deutsche Entwurf gehe also (unnötigerweise) über das EG-rechtlich Geforderte hinaus.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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 Die DB AG könne nicht mehr die „Einheit für Betrieb und Bilanz“ tragen,
wenn sie keinen Einfluss auf die Verwendung der Bundesmittel bei ihren
Infrastrukturgesellschaften habe.
 Die DB AG würde gegenüber dem Bund für den Einsatz der Bundesmittel
haften, ohne auf ihre Infrastrukturgesellschaften noch Einfluss nehmen
zu können.
 Das Verbot, „auf sonstige Weise“ durch die DB AG auf die Verwendung
der Bundesmittel einzuwirken, schaffe unabsehbare Eingriffsbefugnisse
des EBA.
 Die Befugnis des EBA, Zuwiderhandlungen abzustellen, und die entsprechenden allgemeinen Ermittlungsbefugnisse seien eine Generalvollmacht
für das EBA. Es könne wie ein Staatsanwalt agieren. Zudem berge die
Vorschrift ein erhebliches Bürokratiepotenzial.
Im Ergebnis ließ das BMVBS von seinem Vorhaben ab.
In anderen Netzsektoren wie dem Energiebereich sind Unbundling-Vorschriften
inzwischen etabliert. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) gibt hierzu in der
Neufassung vom 7.7.2005 in den §§ 6-10 umfassende Regelungen vor. Zu nennen sind:
 Die Netzgesellschaften müssen bei Entscheidungen über Betrieb, Wartung und Ausbau des Netzes tatsächlich unabhängig agieren. Es dürfen
nur allgemeine Verschuldungsobergrenzen festgelegt oder allgemeine Finanzpläne einem Genehmigungsvorbehalt unterstellt werden (§ 8 Abs. 4
EnWG),
 Geschäfte größeren Umfangs mit verbundenen Unternehmen müssen im
Geschäftsbericht gesondert ausgewiesen werden,
 Erforderlich ist eine Spartenrechnung nach einzelnen Netzdienstleistungen mit gesondertem Testat, die von der Regulierungsbehörde überprüft
werden kann,
 Eine weitgehende personelle Entflechtung ist geboten,
 Die berufliche Handlungsunabhängigkeit der Mitarbeiter der Netzgesellschaft muss gewährleistet werden,
 Die Mitarbeiter müssen zur Sicherstellung der Gleichbehandlung geschult
werden.
Ein weiterer Schub zur Verschärfung der Unbundling-Vorschriften resultiert aus
dem Bericht der EG-Kommission vom 3.5.2006 KOM(2006) 189 über die Durchführung des ersten Eisenbahnpakets. Im Annex V stellt die Kommission Auslegungsregeln zu den bisherigen Unbundling-Vorschriften des EG-Rechts auf.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Hiernach ist eine Unabhängigkeit der Trassenvergabe und der Festlegung von
Infrastrukturentgelten nur gegeben, wenn
 die Unabhängigkeitsregeln durch eine neutrale Instanz überwacht werden.
 der Infrastrukturbetrieb bezüglich aller essenziellen Funktionen weisungsunabhängig ist.
 keine Doppelmitgliedschaften von Vorständen vorliegen.
 die zeitnahe Berufung von Vorständen und leitenden Mitarbeitern der
Infrastrukturgesellschaften in die Holding ausgeschlossen wird.
 die Vorstände der EIU unabhängig von der Holding ernannt und abberufen werden, z.B. unter der Kontrolle des Regulierers.
 die EIU bei der Ausübung ihrer essenziellen Funktionen auf eigene Ressourcen mit eigenen Informationssystemen zurückgreifen müssen, die
vom sonstigen Konzern getrennt sind.
In dem Vortrag eines Mitarbeiters der EU-Kommission am 13.9.2007 auf einer
Tagung der BAG-SPNV wurden erhebliche Zweifel laut, inwieweit in Deutschland
die Unbundling-Vorschriften bereits erfüllt würden. Ausdrücklich wurden als kritische Aspekte die Doppelmitgliedschaft in Vorständen und deren nicht unabhängige Berufung/Entlassung genannt.
Bewertung:
Die Notwendigkeit von Unbundling-Vorschriften beim integrierten Netzbetreiber
dürfte unstreitig sein. Dass dieser sich gegen jegliche Eingriffe wehrt, ist verständlich, sollte aber kein Maßstab sein. Synergien von Investitionsentscheidungen „aus Konzernsicht“ drücken stets ein erhebliches Diskriminierungspotenzial aus, das in den meisten Fällen tatsächlich Wettbewerber diskriminiert –
andernfalls wäre es keine Konzernsicht, sondern eine unabhängige Entscheidung des Netzbetreibers, die auf den Nutzen für die Branche ausgerichtet ist.
Die Länder sind im Vergleich zu den Wettbewerbern der DB-Transportsparten
nicht direkt von der Frage der Weisungsunabhängigkeit betroffen, mittelbar jedoch schon. Dies gilt vor allem für die Koppelgeschäfte zwischen Verkehrsangeboten und der Vergabe von Infrastrukturmitteln. Insofern sollten sie die Forderung weiter aufrechterhalten.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Lösungsvorschlag:
 Die gestrichene Formulierung des 1. Entwurfs zur Weisungsunabhängigkeit des Netzbetreibers bei der Vergabe von Infrastrukturmitteln und
dem Verbot der Personalunion mit der Holding wird wieder in die jetzige
Fassung aufgenommen.
 Die Unbundling-Vorschriften des Energierechts werden auf das Eisenbahnrecht übertragen.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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7.8. Stationen
Die sechste Forderung der Länder lautet:
„Qualitätsvorgaben und Mittelausstattung sind auch für Stationen und Serviceeinrichtungen verbindlich zu regeln. Dabei ist ein Mechanismus zur Sicherung
der erforderlichen fahrgastbezogenen Nutzungen bei einer Veräußerung vorzusehen.“
Sachstand:
Der Gesetzentwurf stellt in den Bestimmungen des BSEAG zur LuFV und zum
IZB keinen unmittelbaren Bezug zu Stationen und Serviceeinrichtungen her.
Zwar wird unter § 2 Abs. 3 (Begriffsbestimmungen) darauf verwiesen, dass die
Schienenwege auch die betriebsnotwendigen Anlagen umfassen, deren Bau oder Änderung einer Planfeststellung nach § 18 AEG bedürfen. In den nachfolgenden Ausführungen zur LuFV und den Pflichtinhalten wird jedoch nicht auf
die Stationen abgestellt. Ausnahme ist § 6 Abs. 2 Nr. 1, wonach der IZB ein Kataster der Schienenwege mit allen wesentlichen Merkmalen der Betriebsanlagen
enthalten muss.
Folgerichtig geht auch der IZB der DB AG 2006 auf den Zustand der Stationen
nur an einer Stelle kurz ein. Alleiniges Qualitätskriterium ist das Alter der Bahnsteige, das 2006 um 1,2 Jahre im Vergleich zum Vorjahr zunahm. Serviceeinrichtungen sind nicht Gegenstand des Berichts.
In dem LuFV-Entwurf des Bundes taucht erstmalig die Information auf, wie sich
der Infrastrukturbeitrag des Bundes von 2,5 Mrd. € p.a. auf das Netz, die Stationen und die Anlagen der Energieversorgung verteilt. Demnach sollen die Stationen 250 Mio. € p.a. erhalten. Allerdings ist dieser Betrag insofern nicht gesichert, als die drei EIU über genau die gleiche Summe von 250 Mio. € (10% der
Gesamtsumme der LuFV) einen eigenen Aufteilungsmodus vereinbaren können.
Zu den Qualitätsanforderungen ist dem Entwurf in § 13 lediglich zu entnehmen,
dass bestimmte Vorgaben eingezogen werden sollen, nicht jedoch welche
Kennzahlen und welche Zielwerte.
Bewertung:
Obschon die Stationen den Zugang für den Fahrgast zum Personenverkehr auf
der Schiene eröffnen, führen sie in der Diskussion um die Qualitätssicherung ein
Schattendasein. Der IZB 2006 geht im Berichtsteil lediglich an zwei Stellen auf
die Stationen ein. Auch die Wahl eines einzigen Qualitätskriteriums erweckt den
Eindruck, dass der Bund an dieser Infrastrukturkomponente eher desinteressiert
ist. Hinzu kommt, dass das Alter der Bahnsteige nichts über die Funktionalität
und Servicequalität der Stationen aus der Sicht des Nutzers aussagt. Analog zur
Einteilung der Indikatoren beim Netz liefern Daten zum Anlagenalter nur HinSeite 88
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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weise zur Substanzbewirtschaftung, jedoch nicht zur Verfügbarkeit und Qualität
für den Nutzer.
Die geringe Zahl an Qualitätskriterien ist insofern erstaunlich, als die DB AG in
den Ländern Broschüren mit dem Titel „Bahnhofsentwicklungsprogramm“ bereithält, die wesentlich mehr Informationen bieten als der IZB. Für jede Station
werden Merkmale wie Erscheinungsbild, Kundeninformation, Aufenthaltsqualität
u.a. mit Hilfe der drei Ampel-Farben beschrieben.
Die geforderte Sicherungsfunktion für die verkehrliche Funktion der Stationen
bei Veräußerungen dürfte eine Reaktion auf die Ankündigung der DB AG sein,
einen Großteil ihrer Empfangsgebäude abstoßen zu wollen. Grundsätzlich erscheint es möglich, die verkehrliche Funktion der Stationen separat abzusichern. Ob dies notwendig ist, lässt sich nicht sicher sagen.
Lösungsvorschlag:
Den Stationen muss im IZB ein deutlich höheres Gewicht beigemessen werden.
Hierzu sind folgende Maßnahmen erforderlich:
 Im Gesetz wird für die LuFV und den IZB festgelegt, dass die Qualität
der Stationen an mindestens 3 „harten“ Merkmalen festzumachen ist.
 In der LuFV werden die Qualitätskriterien näher ausgeführt. Beispielgebend ist das Bahnhofsentwicklungsprogramm der DB AG, das 8 Merkmale aufführt.
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7.9. LuFV – Erprobung und Einbindung der Länder
Ein zweiter Komplex zur LuFV, der die Ausführungen in Kapitel 7.3 zu den Modalitäten der Sanktionierung und Teilkündigung komplettiert, findet sich in Forderung Nr. 7 des VMK-Beschlusses:
„Der konkrete Inhalt einer ersten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
muss vor der abschließenden Befassungsfassung des Bundesrates bekannt und
ausreichend lange und erfolgsorientiert erprobt werden. Die Länder sind in die
Verhandlung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sowie in die laufende Überprüfung, Sanktionierung und ggf. Veränderung einzubeziehen.“
Sachstand:
Aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung geht hervor, dass die LuFV als
schuldrechtlicher Vertrag nicht vor der Beschlussfassung von Bundestag und
Bundesrat in allen Einzelheiten vorliegen muss, sondern bis zu 6 Monate nach
den parlamentarischen Entscheidungen ausgehandelt werden kann. Vermutlich
soll potenziellen Investoren die Gelegenheit eingeräumt werden, ihre Vorstellungen in die Vertragsverhandlungen einzubringen. In der Antwort auf eine
Kleine Anfrage schwächt die Bundesregierung die zeitlichen Anforderungen
noch weiter ab. Dort heißt es, dass der Entwurf 6 Monate danach vorliegen sollte. Dem Wortlaut zufolge könnte die LuFV auch später als nach 6 Monaten abgeschlossen werden.
Die Mindestfrist einer erfolgsorientierten Erprobung der LuFV ist gesetzlich nicht
geregelt. Das BMVBS ließ im Sommer verlautbaren, es wolle die LuFV ein halbes
Jahr „virtuell“ testen. Kürzlich war aus dem Ministerium zu vernehmen, die Eignung des Instrumentes solle rückwirkend geprüft werden.
Die Länder sind bisher in die Konzeption der LuFV – wie in den gesamten Privatisierungsprozess – in keiner Weise eingebunden worden. Auch nach dem Vollzug der Privatisierung sieht der Gesetzentwurf nicht vor, die Länder an der
Sanktionierung und Weiterentwicklung der LuFV zu beteiligen. Zwei Beschlüsse
der VMK vom 22./23.11.2006 und 18/19.4.2007, in denen die Nichteinbindung
gerügt und die künftige enge Mitwirkung am Verfahren eingefordert wurde, vermochten an der Zuschauerrolle der Länder nichts zu ändern. Einziges Zugeständnis des Bundes war die Gründung einer Arbeitsgruppe der VMK, die jedoch
bislang nur wenige Male tagte. Nachdem die Länder sich in der Auftaktsitzung
darauf verständigt hatten, das Arbeitsprogramm über die LuFV hinaus auf sämtliche klärungsbedürftige Fragen zur Privatisierung auszudehnen, wurde im Detail nur noch wenig erörtert. Zur LuFV selbst stellte der Bund einen dürren
Chartsatz vor, der nichts Neues enthielt. Inzwischen gibt es etwas informativere
Unterlagen.
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Bewertung:
Die im Gesetzentwurf angelegte Möglichkeit, den Vertrag zur LuFV bis zu 6 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, ggf. sogar noch später abzuschließen, ist
aus der Sicht der Länder untragbar. In der jetzigen Konstellation liefe diese Regelung aufgrund des überaus spärlichen Informationsniveaus für die Länder
darauf hinaus, „die Katze im Sack zu kaufen“. Am schwersten wiegt die Unkenntnis des Sanktionssystems bei Schlechtleistungen des Netzbetreibers, das
für die Länder das wichtigste Prüfkriterium ist, ob ihre Interessen zumindest im
Ansatz gewahrt werden könnten.
Auch verhandlungstaktisch ist die nachgeschaltete 6-Monats-Frist nicht nachvollziehbar. Der Bund begibt sich in die Hände des Investors, wenn er die wesentlichen Regelungsinhalte der Leistungsbeziehung zwischen ihm und der DB
AG nicht vor den Beschlüssen der Legislative im Gesetz und/oder im Vertrag
festzurrt. Dann entsteht nach der Verkündung im Gesetzblatt ein politischer Einigungsdruck, der die Position des Bundes schwächt und ihn zu Kompromissen
nötigt. Keineswegs überzeugend ist der Einwand, Verträge seien keine Einbahnstraße, und der Investor müsse die Chance haben, seine Interessen geltend zu
machen. Dies würde in letzter Konsequenz bedeuten, den verfassungsrechtlich
gebotenen Gemeinwohlauftrag im Notfall zur Verhandlungsmasse zu erklären,
was sich von selbst verbietet. Der Bund muss seine Vorgaben zur Qualität und
Verfügbarkeit der Schieneninfrastruktur einseitig festlegen – und dann abwarten, ob ein Investor unter diesen Bedingungen einsteigt. Von gewissen Nuancierungen abgesehen müssen die Konditionen zur Infrastrukturgewährleistung
unverrückbar sein.
Aus dem gleichen Vorsichtsprinzip erwächst die Notwendigkeit, die LuFV mindestens ein Jahr lang vor den parlamentarischen Beschlüssen – nicht erst vor
der Umsetzung – unter scharf geschalteten Bedingungen zu testen. Dies
schließt die Verhängung von Sanktionen ein, sofern sie wegen Vertragsverletzungen angezeigt sind. Ohne Zeitreihe, d.h. den Vergleich zweier Jahre, ist es
unmöglich, die Wirkungen eines solchen komplexen Vertrages auf das Verhalten
des Infrastrukturbetreibers zu analysieren, insbesondere auch der Ausweichreaktionen. Eine längere Probephase erscheint zudem erforderlich, weil Leistungsund Finanzierungsvereinbarungen in der Schieneninfrastruktur mit einem vom
Kapitalmarkt gesteuerten Vertragspartner beispiellos sind.
Sinnlos sind unterjährige Testläufe, die noch dazu in die Vergangenheit gerichtet sind. Hierbei handelt es sich offenkundig um Alibi-Maßnahmen, die keiner
ernsthaften Steuerungsabsicht folgen. Logischerweise können noch nicht eingeführte Instrumente ihre Tauglichkeit nur in der Zukunft beweisen, nicht in der
Rückschau.
Dass der Bund die Länder vom gesamten Privatisierungsverfahren fernhält, ist
aus zwei Gründen nicht akzeptabel. Zum einen zeugt es von politischer ResSeite 91
Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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pektlosigkeit, wenn der Bundesrat der Privatisierung zustimmen soll, ohne an
der Entscheidungsfindung und den inhaltlichen Diskussionen beteiligt zu werden. Zweitens ist es materiell nicht angemessen, da die Länder den verfassungsrechtlichen xxx ausführen und die Konsequenzen eines Misserfolgs der
Privatisierung als erste zu spüren bekommen.
Lösungsvorschlag:
Die Länder sollten auf ihrer Forderung ohne Einschränkung beharren und ihr eine wichtige Absicherung hinzufügen:
 Im Vorgriff auf den absehbaren Renditedruck einer Privatisierung auf die
Schieneninfrastruktur muss die LuFV mindestens ein Jahr lang vor dem
Beschluss unter realen Bedingungen – also einschließlich eines scharfgeschalteten Sanktionssystems - erprobt werden. Angesichts der Irreversibilität der Entscheidung muss Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen.
 Die Länder knüpfen ihre Zustimmung zum EBNeuOG unter anderem an
die Bedingung, vor die Umsetzung der Privatisierung ein Zustimmungsgesetz des Bundesrates zu schalten. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, die
endverhandelte LuFV sowie die Ergebnisse des Probelaufs auszuwerten.
Ebenso müssen Sie über das Wie und das Wieviel der Privatisierung abstimmen können.
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7.10. Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht
An achter Stelle formulieren die Länder folgende Prämisse ihrer Zustimmung:
„Bevor eine Zustimmung zum Gesetz erteilt werden kann, muss den Ländern schließlich ein objektiver, aussagekräftiger und regional gegliederter
Netzzustandsbericht vorgelegt werden.“
Sachstand:
Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird der Infrastrukturzustands- und
-entwicklungsbericht (IZB) in § 6 BSEAG erwähnt, dort werden die Pflichtinhalte
vorgegeben.
Der im Juni veröffentlichte, 54 Seiten umfassende IZB der DB AG über den Infrastrukturzustand 2006 ist der zweite Bericht dieser Art. Neben der Darstellung
des Zustandes von Netz und Stationen enthält er zwei Instandhaltungsberichte
der DB Netz AG und der DB Station & Service AG, die dem ersten Bericht noch
separat beigefügt worden waren.
Der IZB setzt sich aus einem Kataster, einem Berichtsteil und einem Qualitätskennzahlensystem zusammen. Das Kataster inventarisiert zum Stichtag 30.11.
den Bestand der Infrastruktur anhand wesentlicher Merkmale. Der Berichtsteil
weist auf Veränderungen der Qualität zum Vorjahr hin. Methodischer Nukleus
ist das Kennzahlensystem zur Messung des Infrastrukturzustandes und der Bewertung der Qualität. Es setzt sich wiederum aus drei Parametern zusammen:
dem theoretischen Fahrzeitverlust, den Störungen und dem Durchschnittsalter
der Anlagen.
Der theoretische Fahrzeitverlust misst den Zeitaufschlag, den ein Normzug auf
einer mängelbehafteten Strecke länger benötigt als auf einer mängelfreien Strecke. Unterstellt wird ein unendliches Brems- und Beschleunigungsverhalten.
Unter der Kennziffer „Störungen“ werden die Störbestehenszeit und die Anzahl
der Störungen erfasst.
Das Durchschnittsalter der Anlagen untergliedert sich in Gleise, Weichen und
Kreuzungen sowie Brücken.
Als Qualitätsmaß für die Stationen wird das Alter der Bahnsteige herangezogen.
Materiell hat sich laut Angabe der DB AG der Infrastrukturzustand in Bezug auf
den theoretischen Fahrzeitverlust im Vergleich zu 2005 leicht gebessert. Absolut
ist er auf das Gesamtnetz bezogen von 1.140 Min. im Jahr 2005 auf 1.085 Min.
im Jahr 2006 gesunken, relativ um ein Zehntel Prozentpunkt von 2,5 % auf 2,4
%. Die Anzahl der Störungen hat sich dagegen erhöht. Während sich 2005 rund
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176.000 Störungen mittlerer und hoher Priorität ereigneten (482 pro Tag), waren es 2006 circa 184.000 (505 pro Tag). Die mittlere Störbestehenszeit sank
infolge optimierter Prozesse von 121 Min. auf 111 Min.
Das durchschnittliche Anlagenalter nahm durchgängig zu. Das Alter der Gleise
wuchs um 0,2 auf 19,8 Jahre, der Weichungen und Kreuzungen um 0,4 auf
16,9 Jahre und der Brücken um 0,6 auf 53,1 Jahre. Die Bahnsteige alterten
binnen eines Jahres um 1,2 Jahre auf durchschnittlich 47,6 Jahre. Auch das
Durchschnittsalter der Anlagen auf Strecken mit einer Soll-Geschwindigkeit von
mind. 160 km/h stieg flächendeckend an.
Bewertung:
Der IZB der DB AG hat in seiner gegenwärtigen Konzeption und Aufbereitung
nur geringe Aussagekraft. Als Informations- und Frühwarnsystem für die Qualitätssteuerung der Infrastruktur durch den Bund taugt er nicht. Hierfür zeichnen
mehrere Ursachen verantwortlich.
 Der theoretische Fahrzeitverlust wird unter realitätsfremden Bedingungen gemessen. Fahrdynamische Eigenschaften bei der Berechnung des
mängelbedingten Fahrzeitverlustes werden ausgeblendet. Dadurch wird
die tatsächliche Fahrzeiteinbuße erheblich zugunsten des Netzbetreibers
geschönt. Von diesem Effekt profitiert er desto stärker, je kürzer die
Langsamfahrstelle ist (Anteil der Brems- und Beschleunigungszeit steigt),
je spezifischer sie gelegen ist („Anfahrt vor dem Berg“), je stärker der
mängelbedingte Geschwindigkeitseinbruch ist (z.B. von 160 km/h auf 30
km/h) und je schwerer der Zug ist (1.500 Tonnen Güterzug).
Deutlich wird die Verzerrung anhand von Zahlenbeispielen. So beträgt
der Fahrzeitverlust bei einer exemplarischen Langsamfahrstelle von 30 m
Länge (z.B. defekte Weiche), die an einer Strecke mit einer Sollgeschwindigkeit von 160 km/h im Hauptgleis zu einem Einbruch auf 30
km/h führt, nach der BMVBS-Methode nur 3 Sekunden. Unter Einberechnung der Gesetze der Physik beläuft sich die Verspätung für einen exemplarischen Regionalverkehrszug jedoch auf 56 Sekunden, währen ein exemplarischer Güterzug sogar 79 Sekunden Fahrzeit gegenüber dem Sollzustand verliert.
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Abbildung 14: Normzug - undifferenziert und weit an der Realität vorbei. Beispielhafte Konsequenzen eines Mangels an einer 160-km/hMischverkehrstecke, im Vergleich Normzug, Güterzug und Regionalverkehrszug.
km/h
160
120
Exemplarischer SPNV-Zug:
BR ET 423, Vmax mit LZB 160 km/h
Mangelbedingter Verlust: 56 Sek.
Normzug mit unendlichem
Brems- und Beschleunigungsvermögen.
Mangelbedingter Verlust: 3 Sek.
80
40
Exemplarischer Güterzug:
1.500t, 418 m, Vmax 80 km/h.
Mangelbedingter Verlust: 79 Sek.
Exemplarische
Langsamfahrstelle
Länge 30 m, Vmax 30 km/h
0
4
6
8
10
12
km
z.T. Prinzipdarstellung
Oder: Eine Langsamfahrstelle über 1000 Meter mit einer Geschwindigkeitsreduzierung von 160 km/h auf 40 km/h wirkt sich nach der Messmethode des Gesetzentwurfs genauso aus wie 10 Langsamfahrstellen mit
dem gleichen Profil à 100 m, obwohl im ersten Fall 2 Brems- und Beschleunigungsvorgänge anfallen, beim 2. Fall jedoch 20.
 Die Basis für die Ermittlung des Sollzustandes als Vergleichsmaßstab für
den theoretischen Fahrzeitverlust ist der „mängelfreie Zustand“. Dessen
Definition obliegt jedoch der DB AG selbst, die Grundlagen wie das Verzeichnis zulässiger Geschwindigkeiten (VzG) bislang als Betriebsgeheimnis klassifiziert und nur sehr restriktiv und auszugsweise an Dritte weitergibt. Eine unabhängige Überprüfung der Bewertungsbasis ist damit
nur schwer möglich.
 Ebenso methodisch inakzeptabel ist es, nur diejenigen Mängel einzubeziehen, die mehr als 6 Monate Bestand haben. Eine Langsamfahrstelle,
die „nur“ 5 Monate und 28 Tage existiert, ist für den Fahrgast in dieser
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Zeit eine genauso ärgerliche Qualitätsreduzierung wie die 6 Monate und
2 Tage währende Langsamfahrstelle. Im Übrigen droht diese Regelung
den Fehlanreiz zu setzen, die Beseitigung der La-Stellen an der 6Monats-Frist auszurichten, anstatt sie nach der Dringlichkeit abzuarbeiten. Teilweise geheilt werden könnte dieser Mangel über das Performance Regime, in dem der Netzbetreiber den Trassennutzern direkte Kompensationen für Infrastrukturmängel zahlt. Die bisherigen Schilderungen
von Verkehrsunternehmensseite lassen aber den Schluss zu, dass dieses
System bei weitem noch nicht ausgereift ist. Insofern besteht zumindest
absehbar die Gefahr einer Regelungslücke.
 Das Spektrum der zugrunde gelegten Kennziffern reicht nicht aus, um
die Infrastrukturqualität als facettenreiches Bündel von Eigenschaften
hinreichend abzubilden. Insbesondere fehlen Indikatoren, die Rückschlüsse auf die Qualität der Kapazitätsplanung und –bewirtschaftung zulassen. Die dynamische Kapazität einer Strecke ist mehr, als ein Normzug
statisch auszudrücken vermag. Insofern muss das Normzugkonzept
durch Netzparameter ergänzt werden, die den Kapazitätscharakter näherungsweise abbilden.
Hierzu zählt vor allem eine detaillierte Auflistung der Nebengleise, differenziert nach Überhol- und Abstellgleisen, der Blockabstände, Überleitstellen etc. Dabei kommt es nicht nur auf die Zahl an, sondern die strategische Verteilung im Raum nach dem Vorbild einer vorausschauenden
Kapazitätsplanung.
 Der IZB „kratzt“ lediglich an der Oberfläche der Infrastrukturqualität, da
seine Gliederungstiefe erheblich zu wünschen übrig lässt. Im Berichtsteil
werden ausschließlich bundesweit aggregierte Werte präsentiert, die über die Situation in einer Region oder auf einer bestimmten Strecke
nichts aussagen. Für Fahrgäste und Besteller einer Verbindung mit unbefriedigender Netzqualität in Oberfranken oder im Ballungsraum Nordrhein-Westfalen ist die Versicherung wenig tröstlich, dass im gesamtdeutschen Maßstab die Qualität in der Norm liege, weil der Mangel in
Bayern durch hervorragende Qualität in Mecklenburg-Vorpommern kompensiert werde. Durchschnittswerte sind statistische Größen, die für den
Einzelfall ohne Belang sind. Aber nur die einzelne Steckenqualität kann
Gradmesser dafür sein, ob der Netzbetreiber die zugesagte Gegenleistung für den anteiligen Zuschuss des Bundes für diese Strecke erbringt
oder aus Länder- bzw. Bestellersicht eine Adäquate Gegenleistung für die
in Rechnung gestellten Trassenentgelte liefert.
 Die präsentierten Werte stehen in deutlichem Widerspruch zu anderen
Messungen und insbesondere zu den zahlreichen kritischen Rückmeldungen von Aufgabenträgern, Lokführern und anderen Insidern. Sehr inSeite 96
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struktiv ist der Netzzustandsbericht des Verkehrsverbundes BerlinBrandenburg (VBB), der in einer Totalerhebung den Zustand der Infrastruktur 2006 in Brandenburg erfasst und zahlreiche plastische Beispiele
liefert, die Zweifel an der Aussagekraft des DB-IZB wecken. Dem VBB zufolge sei klar erkennbar, dass die DB AG den tatsächlichen Netzzustand
verschleiere.
 Obwohl der IZB laut seinem Titel den Anspruch hat, den Zustand und die
Entwicklung der Infrastruktur zu beschreiben und zu evaluieren, wird zu
den Perspektiven praktisch nichts Substanzielles gesagt. Notwendig wäre
eine umfängliche Darlegung der Strategie zur Netzentwicklung, etwa zur
Beseitigung chronischer oder absehbarer Engpässe im Netz.
 Die Stationen spielen im IZB nur eine Statistenrolle, obwohl sie als Zugangsstellen des Personenverkehrs eine wichtige Systemfunktion innehaben. Zur Detailkritik siehe 5.7.
 Ein Anreizsystem für eine qualitativ hochwertige Infrastruktur sollte dem
Prinzip der Vorsorge verpflichtet sein, und konsequent vorsorgende Instandhaltung würde bedeuten, dass abgesehen von externen unvorhergesehenen Einflüssen wie z.B. Naturgewalten eigentlich gar keine mängelbedingten Einschränkungen entstehen. Für eine solche Instandhaltungsstrategie liefert die bislang angelegte Herangehensweise des IZB
indes keine Anreize.
Lösungsvorschlag:
Da der IZB die entscheidende Informationsgrundlage für die vertragliche Steuerung der Infrastrukturqualität durch den Bund liefert, muss seine Aussagekraft
signifikant erhöht werden. Das Frühwarnsystem muss bereits dann verlässlich
Alarm schlagen, wenn erste Anzeichen fortdauernder Pflichtverletzungen des
Netzbetreibers erkennbar werden. Zugleich müssen die Verstöße gerichtsfest
dokumentiert werden.
Kennzahlen und Erhebungsmethoden müssen im Detail gesetzlich verankert
werden. Der systematische Ort im Gesetzentwurf ist § 6 BSEAG. Diese Bausteine sind Teil der Schutzvorkehrungen zur Wahrung des verfassungsrechtlichen
Gewährleistungsauftrags - sie sind daher nicht mit dem Investor verhandelbar,
sondern müssen Bundestag und Bundesrat vor der Beschlussfassung über das
BSEAG bekannt sein.
Konkret müssen die Länder folgende Änderungen einfordern:
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 Der aktuelle Zustand von Netz und Stationen wird vor der Beschlussfassung von Bundestag und Bundesrat objektiv anhand moderner Methoden
festgestellt und kontrolliert. Das Eisenbahn-Bundesamt führt Stichproben
durch, die mindestens 15% des Netzumfangs (ca. 5.000 km) – differenziert nach den Kategorien Fern- und Ballungsnetz und Regionalnetze abdecken und nach einem Zufallsprinzip ausgewählt werden. Jedes Land
hat das Recht, bis zu fünf Kursbuchstrecken der Prüfung vorzugeben und
durch einen Vertreter seiner Wahl die Messfahrten des EBA zu begleiten.
 Sämtliche Kennzahlen werden differenziert ausgewiesen nach a) Kategorien (Fern- und Ballungsnetz, Regionalnetze und Zugbildungsanlagen)
und b) nach den konkreten DB-Streckennummern, ggf. bei langen Strecken mit unterschiedlichen verkehrlich genutzten Teilstrecken auch untergliedert in Abschnitte.
 Das Normzugkonzept muss auf der Grundlage Plausibler Belastungssituationen weiterentwickelt werden. Denkbar wäre die Aufstellung von typischen Nutzungsmischungen je nach Streckenkategorien des Trassenpreissystems, die die jeweiligen Mischungsverhältnisse aus Güter- Fern
und Nahverkehr abbildet. Für diese repräsentativere Gruppe wird dann
der Normzugverlust entsprechend gewichtet ermittelt.
 Sämtliche Infrastrukturmängel werden tabellarisch und kartographisch
dokumentiert. Anzugeben sind die Länge der Langsamfahrstelle, der
mängelbedingte Geschwindigkeitseinbruch, Grund für den Mangel, etc.
Als Referenz für die Definition eines Mangels („Soll-Zustand“) wird der
jeweils beste Zustand aus den Verzeichnissen der zulässigen Geschwindigkeiten seit 1994 herangezogen.
 Sollte das aktuelle VzG andere Sollzustände den nach dem vorstehenden
Verfahren ermittelten, wird ein fünfjähriger Anpassungspfad gesetzlich
und in der LuFV festgeschrieben, um den vorgesehenen Urzustand (wieder-)herzustellen. Die notwendigen Zusatzmittel werden aus dem Privatisierungserlös im Wege einer Verpflichtungsermächtigung bereitgestellt.
 Zur Messung der Kapazitätsbewirtschaftung muss der IZB Auskunft über
Anzahl und Lage der relevanten Anlagenarten (Überholgleise, Überleitstellen, Abstellgleise etc.) erteilen.
 Im Entwicklungsteil muss der Netzbetreiber darlegen, wie seit Jahren bestehende oder künftige Engpässe im Netz – insbesondere in den stark
belasteten Knoten – absehbar entschärft werden können.
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7.11. Regulierung
Die neunte Forderung umfasst die Regulierung der Preise wichtiger Vorleistungen:
„Die Wettbewerbsneutralität ist u.a. durch die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens der Bundesnetzagentur zu sichern. Die Genehmigungspflicht (ex-ante)
für Trassen- und Stationspreise und weiterer sofort einsetzbarer Regulierungsinstrumente, wie z.B. Bußgeldvorschriften, sind einzuführen und die Erweiterung der Befugnisse der vorgesehenen Beschlusskammern ist vorzusehen.“
Sachstand:
Der Gesetzentwurf sieht die Einrichtung von Beschlusskammern bei der Bundesnetzagentur auch für den Bereich der Eisenbahnen vor (§§ 5 f. Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz - BEVG). Damit werden Forderungen aufgegriffen, die schon anlässlich des Dritten Gesetzes zur Änderung des AEG von
den Bundesländern und Branchenvertretern formuliert wurden. Analog den kartell- und energierechtlichen Regelungen sind hierbei Regelungen zur Beiladung
von Personen oder Personenvereinigungen vorgesehen, deren Interessen durch
die Entscheidungen der Beschlusskammern berührt werden. Damit wird im
Gleichklang mit den allgemeinen Regeln eine gewisse Branchentransparenz der
Verfahren der Bundesnetzagentur auch im Eisenbahnbereich erreicht.
Andere Vorschriften zur Verbesserung der Regulierung sind bislang nicht vorgesehen. Stattdessen ist sowohl im AEG (neuer § 5b) als auch im BEVG (neuer §
5 Abs. 5) vorgesehen, dass die auskunftspflichtigen Eisenbahnunternehmen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse kennzeichnen können. Die Aufsichtsbehörden
haben die Eisenbahnunternehmen zu hören, wenn sie die Kennzeichnung von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen für unrechtmäßig erachten. Damit gehen
diese Vorschriften über den Rechtsbestand des allgemeinen Verwaltungsrechts
(§ 30 VwVfG) und des Kartellrechts (GWB) hinaus, entsprechen aber den Regelungen anderer regulierter Netzsektoren, z.B. denen im Energierecht (§ 71
EnWG).
In einer Protokollnotiz zur Ressortabstimmung der Bundesministerien vom
28.6.2007 wurde festgehalten, dass in das Gesetzvorhaben noch eine Anreizregulierung im Wege einer Formulierungshilfe für das AEG eingebracht werden
soll. Die konkrete Ausgestaltung soll einer Rechtsverordnung überlassen werden. Hierbei sollen die Ergebnisse des AK Entgeltregulierung bei der Bundesnetzagentur einfließen.
Folgt man den im AK Entgeltregulierung diskutierten Vorschlägen der Bundesnetzagentur, sollen ab der Regulierungsperiode 2011 die Infrastrukturpreise
(fraglich: auch für Nebenanlagen?) nach einer Anreizregulierung fortgeschrieben werden. Der Anreiz besteht in einem Price- oder Revenue-Cap (Preis- bzw.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Einnahmenobergrenze), der die Kürzung der inflationsbedingt fortgeschriebenen Infrastrukturpreise bzw. –einnahmen vorsieht, differenziert nach
 einem allgemeinen Index für Produktivitätszuwachs und
 einem speziellen, betreiberabhängigen Index für vorzunehmende Verbesserungen.
Hieraus resultiert ein von der Bundesnetzagentur für eine bestimmte Regulierungsperiode vorgegebener Preis- bzw. Erlöspfad. Im betreiberspezifischen Index sollen auch unternehmensindividuelle Einflüsse wie Beschäftigungssicherungen, Gesamttarifverträge u.ä. Berücksichtigung finden. Insgesamt soll die
Anreizregulierung sicherstellen, dass die Anreize sich auf die beeinflussbaren
Kosten kaprizieren.
Erwogen wird, für einzelne „Warenkörbe“ segmentspezifische Trassenpreise zu
bilden, also für den SPNV, SPFV oder auch SGV. Die Preisvorgaben würden
dann unterschiedlich für diese einzelnen Körbe gelten. Unklar bleibt im jetzigen
Stadium, wie mit Qualitätsveränderungen umgegangen werden soll, z.B. bei
höherem Gegenwert des Produkts „Trasse“ (Pünktlichkeits- oder Transportzeitgarantien), aber auch bei niedrigerem Gegenwert (explizite Zulassung von Verspätungen und Umleitungen im Rahmen des Trassenprodukts, die keine Minderung oder sonstige Entschädigung nach sich ziehen).
Die Bundesnetzagentur geht bei den zu regulierenden Preisen vor allem davon
aus, dass es sich bei der Infrastrukturnutzung um standardisierte und gleichförmige Produkte handelt, wie z.B. die Benutzung von Energie- oder Telekommunikationsnetzen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass das Netznutzungsprodukt hochstandardisiert ist und eine qualitative Differenzierung zwischen
einzelnen Nutzern schon technologisch nicht möglich ist. Allerdings hat die Bundesnetzagentur erkannt, dass Revenue-Caps (gesamte Erlösobergrenze) die
Menge (z.B. verkaufte Trassen) reduzieren und politische Ziele wie „Mehrverkehr auf die Schiene“ und „Erleichterung des Marktzugangs für neue, innovative
Anbieter“ konterkarieren würden. Aus diesem Grund scheint die Bundesnetzagentur aktuellen Äußerungen zufolge einen Price-Cap zu bevorzugen. Gemeint
ist eine Preisobergrenze für einzelne Produkte, die in Warenkörben zusammengefasst sind (z.B. alle SPNV-Trassen).
Ausgangspunkt der Überlegungen der Bundesnetzagentur ist die Interpretation
des Art. 6 Abs. 1 und 2 EG-Richtlinie 2001/14/EG als Vollkosten minus Effizienzsteigerungsanreiz. Danach könnten die von den Infrastrukturbetreibern angegebenen Vollkosten als Ausgangspunkt gewählt werden, wenn durch aktive Regulierung ein Anreiz zur Effizienzsteigerung gesetzt würde.
Die Forderung nach einer Price- bzw. Revenue-Cap-Regulierung durch die Bundesnetzagentur ist unmittelbare Folge des Gutachtens von Kühling/Hermeier/
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Heimeshoff („Entgeltregulierung nach AEG und EiBV“), das im Frühjahr 2007
veröffentlicht wurde. Zentrales Ergebnis des Gutachtens war einerseits, dass
das EG-Recht in Bezug auf ausreichende Anreize zur Senkung der Gesamtkosten (Art. 6 Abs. 2 RL 2001/14/EG) nicht hinreichend umgesetzt wurde. Andererseits verdeutlicht das Gutachten aber auch, dass das Recht der Regulierung von
Preisen und Qualitäten bei den EIU inkonsistent ist und sich äußerst komplex
darstellt. Zumindest ist das Regulierungsrecht nicht mit dem aktiven Regulierungsregime vergleichbar, das die Bundesnetzagentur aus den anderen Netzsektoren gewohnt ist. Die Feststellung, dass die Vorgaben des Gesetzgebers zur
Regulierung v.a. der Höhe von Infrastrukturpreisen unzureichend seien, wurde
von der Mehrzahl der Teilnehmer des AK Entgeltregulierung geteilt.
Die Bundesnetzagentur kritisiert, dass die bisherige Preisregulierung nach nationalem Recht nur eine Kostenzuschlagsregulierung ermögliche. Damit können
allenfalls unverhältnismäßig hohe Gewinne verhindert werden. Eine Überprüfung der kosteneffizienten Leistungserbringung sei damit jedoch nicht möglich.
Daher möchte die Bundesnetzagentur die aktuelle Diskussion dazu nutzen, einen klaren Regulierungsmaßstab für Entgelthöhe und –struktur zu erhalten und
diesen mit einfachen Mitteln umzusetzen. Gerade im Gegensatz zu einer aufwendigen Nachprüfung von Kosten und Kostenzuordnungen unter dem Aspekt
von Diskriminierungen und Missbräuchen bevorzugt die BNetzA ein Modell, bei
dem sie sich auf die Ermittlung und Setzung hinreichender globaler Anreize beschränken kann.
Bewertung:
Die erst seit kurzem angelaufene Diskussion um das Thema Preis- und Qualitätsregulierung des natürlichen Monopols Eisenbahninfrastruktur und der integrierten DB AG zeigt zweierlei:
 Die bestehende Regulierung muss erheblich ausgeweitet und verbessert
werden.
 Zugleich sind die praktischen Regulierungserfahrungen im Schienensektor in Deutschland noch gering.
Vor diesem Hintergrund wäre es – insbesondere mit Blick auf die Gewinnplanung der DB AG - fahrlässig, wenn sich die Länder allein auf die Zusage verließen, dass sich die Regulierung verbessere und damit der Preisanstieg der Infrastrukturpreise wirksam begrenzen lasse. Denn:
 Die bisherigen Instrumente haben keine besondere Wirkung gezeitigt.
Die EIU verhalten sich wie jedes Regulierungsobjekt: Man ist wenig kooperativ und stellt grundsätzlich die Notwendigkeit der Regulierung in
Frage. Argumente sind die angebliche strukturelle Kostenunterdeckung
im Netz, die der eigenen Planung widerspricht, sowie der intermodale
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Wettbewerb im Transport, der die Netzkosten hinreichend begrenzen
würde. Höhere Preise seien gar nicht durchsetzbar.
 Obwohl die Wirkungslosigkeit der bisherigen Regulierung seit längerem
sichtbar ist, verzichtet der Gesetzentwurf auf Verbesserungen. Er delegiert dies auf die Ebene einer späteren Verordnung, deren Inhalte nicht
im Ansatz absehbar sind. Hinsichtlich der künftigen Regulierung der
Trassen- und Stationspreise haben die Länder somit keinerlei Anhaltspunkte.
 Schließlich offenbart die bisherige Regulierungsdiskussion, dass auch die
Experten auf der Suche nach dem richtigen Weg sind, der im Schienensektor überaus komplex ist. Monopolkommission und Bundesnetzagentur
scheinen eine reine Preisregulierung zu befürworten. Damit könnte zwar
der Preisanstieg möglicherweise vergleichsweise leicht begrenzt oder sogar Preissenkungen durchgesetzt werden. Doch läuft dieses Modell Gefahr, dass die EIU – wie dann üblich - die Qualität herabsetzen.
Aus der Sicht der Gutachter erscheint es daher unabdingbar, Möglichkeiten und
Grenzen der Regulierung im Schienenverkehr ohne Zeitdruck zu diskutieren.
Hierzu muss ein Konsens zwischen Bund und Ländern hergestellt werden. Andernfalls droht die Entwicklung von Regulierungsinstrumenten, die in der Praxis
untauglich sind und die Länder gegen den Renditedruck des Kapitalmarktes
nicht schützen.
Was kann Regulierung im Schienensektor leisten?
In anderen regulierten Sektoren wie Telekommunikation, Energie usw. besteht
die Aufgabe der Regulierungsbehörde (in Deutschland die Bundesnetzagentur,
BNetzA) darin, faire Preise und Qualitätsstandards für den Zugang zur Infrastruktur festzulegen, zu überwachen und zugleich Anreize zur Kostensenkung
und Produktivitätserhöhung zu setzen („Anreizregulierung“). Faire Preise bedeuten, dass der Infrastrukturbetreiber seine Kosten einschließlich einer angemessenen Rendite decken kann, jedoch keine Monopolrenditen erwirtschaften oder
Preise mit wettbewerblich diskriminierenden Folgen setzen kann. Diskrimierungsfreie Preise sind dabei solche Preise, die die verschiedenen Nutzer angemessen zur Deckung der Infrastrukturkosten heranziehen und vor allem verhindern, dass es zu ungerechtfertigten Ungleichheiten zwischen konzerninternen
und -externen Nutzern kommt.
Die Qualitätsstandards legen fest, welches „Gut“ die Zugangsberechtigten letztlich vom Infrastrukturbetreiber bekommen, und wirken sich zugleich auf dessen
Kosten aus. Würde man auf Qualitätsstandards verzichten, so hätte der preislich regulierte Monopolanbieter Anreize, bei gleichbleibenden Preisen die QualiSeite 102
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tät zu verschlechtern. Umgekehrt muss es auch Anreize geben, Qualitätsverbesserungen durch höhere Einnahmen zu finanzieren.
Anreize zur Kostensenkung und Produktivitätserhöhung setzt der Regulierer zunächst dadurch, dass er die vom Infrastrukturbetreiber angesetzten Kosten
nicht einfach akzeptiert und in die Preise einkalkuliert (dies wäre eine naive
Kostenzuschlagsregulierung), sondern zuvor einer kritischen Überprüfung unterzieht. Vor allem sollte der Regulierer die Preisobergrenzen für mehrere Jahre
fixieren (Regulierungsperiode), damit der Infrastrukturbetreiber für diese Zeit
einen eigenen Ertrag aus seiner Produktivitätserhöhung ziehen kann. Auch beim
nächsten „Regulatory Review“, bei dem die Preisobergrenzen für die nächste
Regulierungsperiode festgesetzt werden, sollten nachgewiesene Produktivitätsfortschritte aus der letzten Periode nicht vollständig abgeschöpft werden.
Im Eisenbahnsektor sollten dieselben Prinzipien gelten. Neben der Leistungsund Finanzierungsvereinbarung (LuFV) sind die Trassen-, Stations-, Nebenanlagen- und Energieentgelte die wesentlichen Einnahmequellen der Infrastrukturunternehmen. Zugleich können sie ein zentraler Hebel zur Ausübung von Monopolmacht und zur Diskriminierung von Wettbewerbern sein. Sie müssen deshalb reguliert werden – keineswegs reicht es, auf die Deckelung der LuFVZahlungen zu verweisen. Vielmehr muss der Regulierer die Kosten der Infrastrukturbetreiber kritisch analysieren, zu denen auch die Instandhaltungs- und
Ersatzinvestitionskosten gehören, denn der Infrastrukturbetreiber ist zur Erhaltung der Infrastruktur verpflichtet. Von diesen Kosten sind alle staatlichen Zahlungen (insbesondere aus der LuFV) abzuziehen, hinzuzuaddieren sind die Abschreibungen und eine angemessene Rendite auf eigenfinanzierte Investitionen.
Dann ergibt sich der Betrag, der durch die Entgelte gedeckt werden muss. Der
Regulierer muss die Preisobergrenzen so setzen, dass dies gerade möglich wird.
Preisregulierung und Kosten
Besonders die Länder sind auf eine Begrenzung der Trassenpreise angewiesen,
da es im SPNV kaum intermodalen Wettbewerb um die Bestellerentgelte der
Länder gibt (die Regionalisierungsmittel des Bundes sollen insbesondere für den
SPNV ausgegeben werden, was auch getan wird). Unregulierte Infrastrukturunternehmen hätten jeden Anreiz, diese Monopolstellung für sich auszunutzen.
Eine gute Regulierung ist deshalb für die Länder und Verlader wie z:B. die Automobilindustrie von größter Bedeutung.
Unzureichend ist eine Regulierung der Zugangspreise, die sich an den ausgewiesenen Vollkosten der Infrastruktur (abzüglich der staatlichen Zahlungen) orientiert, wie es die jetzige Rechtslage vorsieht. Vielmehr müssen die ausgewiesenen Kosten kritisch analysiert werden. Der integrierte Konzern hätte sonst alle Anreize, Gemeinkosten auf Konzernebene in die Infrastruktursparten hinein
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zu verschieben oder konzerninterne Zuliefererbetriebe mit zu hohen Preisen abzurechnen und in der Infrastruktur als anzurechnende Kosten auszuweisen. Des
Weiteren könnte er einen vorhandenen Personalüberhang in die Infrastruktursparten verschieben, um über die überhöhten Personalkosten eine Erhöhung
der Trassenpreise zu begründen. Viele andere Hebel sind denkbar.
Wie in anderen Sektoren auch, sollte daher die BNetzA die Kompetenz erhalten,
diejenigen Kosten zu ermitteln, die den Trassenpreisen zugrunde gelegt werden
dürfen. Mit Hilfe von Kostenvergleichsverfahren und Kostenmodellen kann sie
wichtige „Kosten-Verschiebebahnhöfe“ entdecken und eindämmen. Sie kann
weitere Effizienzpotenziale aufdecken, die man den „X-Faktoren“ zugrunde legen kann, um die die Preisobergrenzen gesenkt werden sollen. Dies macht dem
Infrastrukturbetreiber klar, dass dauerhafte Ineffizienzen nicht durch dauerhaft
hohe Zugangspreise belohnt werden. Es gibt einige Vergleichsunternehmen im
In- und Ausland, an denen sich die BNetzA bei der Kostenanalyse orientieren
kann. Da es aber insgesamt an Vergleichsunternehmen ähnlicher Größe mangelt, sollte die BNetzA auch – wie der britische Eisenbahnregulierer – das Recht
haben, von ihr ausgewählte Bereiche der Infrastrukturbetreiber durch unabhängige und von ihr selbst gewählte Akteure analysieren zu lassen. Die Ergebnisse
solcher Untersuchungen können dann Basis der Festsetzung von Preisobergrenzen sein.
Dabei darf die Preisobergrenze nicht einfach nur das Ergebnis von zulässigen
Einnahmen (Revenue Cap) oder bestimmter spezifischer Preise (Price Cap) sein,
sondern sie muss umfassend die der jeweiligen Leistung zurechenbaren Kosten
abbilden, und zwar nur die, die auch bei effizienter Leistungserstellung anfielen.
Damit wird gewährleistet, dass die Kosten den verschiedenen Nutzern diskriminierungsfrei angelastet werden. Insbesondere kann so wirksam möglichen
Quersubventionierungen z.B. zwischen dem SPNV und dem Hochgeschwindigkeitsverkehr vorgebeugt werden.
Nicht plausibel ist das Argument der Monopolkommission (Sondergutachten 48
Wettbewerbs- und Regulierungsversuche im Eisenbahnverkehr, 2007 Rn. 200
f.), dass ein Kostenmaßstab effizienter Leistungserbringung im Bereich der
Schieneninfrastruktur gar nicht ermittelt werden kann. Sowohl die zahlreichen
politischen Anforderungen an die Infrastruktur als auch die Subventionsbedürftigkeit sprechen nicht gegen - bei Erfüllung dieser Prämissen – die effiziente
Leistungserbringung. Gerade die wesentlich effizienteren NE-Bahnen beweisen
dies.15 Auch das vom Grundsatz her unbestrittene Instrumentarium der
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung trägt dazu bei, den politischen Anforderungen an die Infrastruktur (Verfügbarkeits- und Leistungsfähigkeitsnut-
15
Siehe hierzu die Untersuchung der BAG-SPNV zu den Verkehrsstationen vom 8.7.2004
http://spnv.de/website/cms/upload/fakten/PK04-07-08e.pdf
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zen) und deren Finanzierung als integrale Bestandteile einer Effizienzbetrachtung der Infrastruktur zu begreifen.
Qualitätsregulierung
Eine Preisregulierung muss stets mit einer Regulierung der Qualität einhergehen. Klagen über Kapazitätseinschränkungen oder Qualitätsminderungen gerade im Regionalverkehr zeigen, dass der monopolistische Anbieter sonst Anreize
hätte, bei gegebenen Zugangspreisen seine Kosten zu senken, indem er die Kapazität oder Qualität der Infrastruktur zu Lasten der Kunden verringert. Auch in
anderen regulierten Branchen im In- und Ausland zeigt sich, dass eine Anreizregulierung damit einhergehen muss, für die entsprechende Regulierungsperiode auch Mindestvorgaben im Hinblick auf die Qualität zu setzen.
Der Entwurf des Privatisierungsgesetzes sieht vor, dass das Eisenbahnbundesamt (EBA) die Qualität der Infrastruktur in Hinblick auf die Qualitätskriterien der
LuFV überwachen soll. Sollte man deshalb auf die Expertise der BNetzA im Bereich der Qualitätsstandards verzichten? Die für die LuFV derzeit vorgesehenen
Qualitätskriterien sind völlig unzureichend, um die Qualität der Infrastruktur zu
sichern (Siehe Kapitel 7.4 und 7.10). Doch selbst eine optimale LuFV schafft
keine hinreichende Qualitätsregulierung im Kontext zu den von der BNetzA zu
regulierenden Preisen. Denn eine optimale LuFV würde nur die Qualität für die
jährlichen 2,5 Mrd. € Bundeszuschüsse regeln. Das heißt sie würde die Gegenleistung der Infrastrukturunternehmen des DB-Konzerns für die Bundeszuschüsse in Form von für die Öffentlichkeit vorgehaltener Infrastruktur (Umfang, Leistungsfähigkeit) bestimmen. Es mag hierbei zutreffen, dass die Interessen an einer effizienten Netzbereitstellung durch die DB AG aufgrund der bei gegebenem
fixen Bundeszuschuss angeblich notwendigen Erhöhung der Eigenmittel der DB
AG von bislang 0,5 auf 2023 bis zu 1,7 Mrd. EUR p.a. wachsen. Dies betrifft aber letztlich nur die LuFV selbst, da es hierbei um die Frage geht, ob sie von der
DB AG Mögliches oder Unmögliches verlangt. Dass die Eigenmittel auch im Hinblick auf die einzelnen Trassen und ihre Preise effizient eingesetzt werden, ist
hiermit noch nicht gesagt.
Die LuFV bestimmt daher nicht die konkrete Gegenleistung für die einzelnen
bezogenen Infrastrukturleistungen, die nochmals von jedem Nutzer zu bezahlen
sind. Vielmehr ist hier eine individuelle Preis–Qualitätsrelation zu finden. Dies
kann durchaus deutlich über den allgemeinen Anforderungen der LuFV liegen.
So kann z.B. in der LuFV geregelt sein, dass zwischen Hamburg und München
mindestens 100 Güterzugtrassen pro Tag anzubieten sind und daneben noch
ausreichend Platz für den SPNV und SPFV mit vorgegebenen Zugzahlen und
Fahrzeiten sein muss. Dagegen würde der Trassenpreise für eine Güterzugtrasse z.B. die Zusage einer bestimmten Fahrzeit gelten, die auch im Falle verschiedener üblicher Störungen noch eingehalten wird. Dabei kann eine Zusage „maSeite 105
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ximal 10 Stunden Fahrzeit“ einen ganz anderen Trassenpreis im Hinblick auf die
Trassenqualität rechtfertigen als ein Trassenprodukt „Fahrzeit 16 Stunden“.
Deutlich wird, dass LuFV und Infrastrukturpreise unterschiedliche Leistungen
abgelten und daher die Erfüllung dieser Leistungen jeweils individuell betrachtet
werden muss. Wollte man dagegen die Qualitätsregulierung der individuellen
Infrastrukturleistungen auch noch in die LuFV hineinziehen, so würde diese völlig überfrachtet. Vor allem würde sie den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
jedwede Freiheit nehmen, ihre Infrastrukturprodukte den jeweiligen Marktbedingungen anzupassen. Vielmehr müssten die die einzelnen Qualitäten aller
denkbaren Infrastrukturprodukte vom Staat im Rahmen der LuFV vorgegeben
werden und ihre Erfüllung im Rahmen des LuFV-Vollzugs überprüft werden. Es
leuchtet ohne weiteres ein, dass eine derartige Vorstellung nicht wünschenswert ist.
Es wird deutlich, dass sowohl der LuFV-Vollzug – nach derzeitigem Stand beim
EBA, als auch der Vollzug einer Qualitätsregulierung durch die BNetzA - intensiv
auf die Qualitätsanforderungen an die EIU einwirken. Eine derartige tiefgreifender Separierung der Kompetenzen für Kostenprüfungen einerseits und Qualitätsprüfungen andererseits ist auf Dauer nicht ratsam. Die BNetzA muss für
Kostenprüfungen tief in das Infrastrukturunternehmen hineinschauen, sie muss
dabei die Qualitätsanforderungen genau kennen, da diese sehr kostenrelevant
sind. Bei dieser Gelegenheit wird die BNetzA zum Experten für Qualität – diese
Expertise sollte sie auch für die Prüfung der Qualität einsetzen.
Lösungsvorschlag:
 Bund und Länder bilden eine Arbeitsgruppe, die Vorschläge für ein Regulierungsdesign entwickeln, das auf eine aktive Ex-ante-Regulierung aller
Infrastrukturkosten bei effizienter Leistungserbringung hinwirkt.
 Die Wechselwirkungen zwischen der Regulierung und der LuFV - insbesondere bei der Qualität - werden gesondert und eingehend analysiert.
 Die Personalstärke der Abteilung Eisenbahn der Bundesnetzagentur wird
deutlich ausgeweitet und auf das Niveau der anderen Netzsektoren gebracht. Dies gilt auch für die Zahl der Beschlussabteilungen.
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7.12. Gemeinwohlauftrag Fern- und Güterverkehr
Den Abschluss des Forderungskatalogs der Länder bildet die zehnte Forderung:
„Der Bund hat auf der Grundlage von Artikel 87e Abs. 4 des Grundgesetzes
nicht nur eine Allgemeinwohlverantwortung für seine Eisenbahninfrastruktur,
sondern auch für die Fern- und Güterverkehrsangebote seiner Eisenbahn auf
seinem Schienennetz. Das Nähere ist bereits nach der derzeitigen Rechtslage
durch Bundesgesetz zu regeln. Die Verkehrsministerkonferenz fordert den Bund
auf, hierfür im Rahmen der Bahnprivatisierung einen Entwurf vorzulegen.“
Sachstand:
Der Bund hat seit der Bahnreform kein Bundesgesetz zur Sicherstellung des Allgemeinwohls im Fern- oder Güteverkehr vorgelegt. Er vertritt regelmäßig die
Position, über das BSchwAG seinen Verpflichtungen nach Artikel 87e Abs. 4 GG
auch im Hinblick auf den Schienenpersonenfern- und Schienengüterverkehr
nachzukommen, da über das BSchwAG eine Infrastruktur finanziert und geschaffen werde, die diesem als Grundlage diene.16
In der Praxis hat dies weder den Rückzug des Schienenpersonenfernverkehrs
(SPFV) aus zahlreichen Regionen abseits der Hauptkorridore verhindert (MORAP, schrittweise Abschaffung der Zuggattung „InterRegio“, Ausdünnungen im ICNetz, Reduktion touristischer Einzelleistungen und Linienverlängerungen, Verlust einiger grenzüberschreitender Fernzugverbindungen, deutliche Einschnitte
im Nachtzugverkehr etc.) noch die Aufrechterhaltung von eigenwirtschaftlich
nicht leistbaren Güterverkehren sichergestellt (Stichworte MORA-C, Rückzug
aus der Fläche, massive Reduzierung der Güterverkehrsstellen bis hin zur Abkopplung ganzer Regionen von Angeboten im Schienengüterverkehr).
Die beteiligten Verkehrsunternehmen innerhalb des DB-Konzerns, DB Fernverkehr AG und Railion Deutschland AG haben ihre Angebotspolitik schrittweise im
Sinne einer Verbesserung der Profitabilität umgestellt. Das Quersubventionieren
defizitärer Verkehre durch ertragreiche zählt dabei nicht zu den unternehmerischen Aufgaben. Folglich wurden defizitäre Leistungen schrittweise aber konsequent eingestellt und die Ressourcen auf profitable Leistungen konzentriert. Im
Ergebnis haben beide langjährig defizitären Gesellschaften inzwischen den
Sprung in die Gewinnzone geschafft – zu Lasten des Angebots an de jure eigenwirtschaftlichen Verkehren.
16
Dass sich dies nicht automatisch in einem guten Angebot niederschlägt, bezeugt die Hochleistungsinfrastruktur, die zur Anbindung Wiesbadens an die Neubaustrecke Köln – Rhein/Main geschaffen wurde. Über die 13,2 km lange zweigleisige Spange Wiesbaden – Breckenheim verkehren nach mehreren Ausdünnungen im aktuellen Fahrplan gerade noch vier Zugpaare.
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Als Reaktion auf das Streichprogramm MORA-P gab es einen ersten Anlauf für
ein Fernverkehrssicherstellungsgesetz im Jahr 2001 mit einem Gesetzesvorschlag Bayerns und Baden-Württembergs, der aber ohne Umsetzung blieb. Aktuell wird seitens einiger Länder eine neue Initiative ähnlicher Stoßrichtung erwogen.
Initiativen von Länderseite haben sich bislang stets auf den Schienenpersonenfernverkehr beschränkt. Für konkrete Aktivitäten im Bereich des Güterverkehrs
liegen hingegen keine aktuellen Anzeichen vor. Mögliche Interessen der Länder
in diesem Bereich wären noch zu präzisieren.
Bewertung:
Im Personenfernverkehr wurden in großem Umfang eigenwirtschaftliche Verkehre durch gemeinwirtschaftliche, von den Ländern bestellte Verkehrsleistungen substituiert. Die Ergebnisverbesserung der DB Fernverkehr AG ist insofern
zu Lasten der Länder und Aufgabenträger eingetreten, in der Folge der Bestellung von SPNV-Ersatzleistungen sind zudem etliche Mehrverkehre bei DB Regio
beauftragt worden, was zusätzlich zu deren Ergebnisverbesserung beigetragen
hat.
Der freie Marktzutritt im deutschen Schienenverkehr hat bislang nicht dazu geführt, dass andere Verkehrsunternehmen die so entstandenen Lücken im Angebot ausreichend geschlossen hätten. Dies ist nur in marginalem Umfang eingetreten.
Es ist davon auszugehen, dass eine unter dem Renditedruck des Kapitalmarktes
agierende DB AG, noch stärker als bisher Leistungen auf den Prüfstand stellen
wird. Dabei werden nicht nur defizitäre Leistungen zu Streichkandidaten, auch
kostendeckende oder gewinnbringende Verkehre stehen zur Disposition, wenn
sie durch geringe Ertragskraft die Spartenrendite zu schmälern drohen.
Die Befürchtungen der Länder erscheinen insofern begründet: Eine Fortsetzung
der bisherigen Entwicklung könnte dazu führen, dass eine flächendeckende
Versorgung mit Verkehrsleistungen im Schienenpersonenfernverkehr nicht mehr
gewährleistet sein wird. Ein Eingreifen des Bundes zur Sicherstellung seines
Gewährleistungsauftrags im Schienenpersonenfernverkehr könnte dann als erforderlich erachtet werden.
Erfahrungen aus 13 Jahren Bahnreform haben gezeigt, dass die statische Unterteilung in Nahverkehr (= gemeinwirtschaftlich) und Fernverkehr (= eigenwirtschaftlich) den Realitäten des Marktes nur bedingt gereicht wird. Faktisch ist die
Grenze zwischen Nah- und Fernverkehr sowie Eigen- und Gemeinwirtschaftlichkeit fließend. Bei Ausschreibungen im SPNV sind inzwischen Preise von nur 0,75
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€ pro Zugkm bezuschlagt worden, und die „besten“ Verkehre sind für den
Wettbewerb noch gar nicht geöffnet worden. Eigenwirtschaftlicher SPNV erscheint also genauso möglich, wie gemeinwirtschaftlicher, von Ländern beim DB
Fernverkehr bestellter SPFV z.B. seit einigen Jahren auf der Mitte-DeutschlandVerbindung an der Tagesordnung ist.
Der derzeitige Marktrahmen ermöglicht den Verkehrsunternehmen das „Rosinenpicken“, in dem statt eines unterm Strich kostendeckenden Gesamtangebotes nur die besonders profitablen Leistungen weiterhin eigenwirtschaftlich erbracht werden, währen die Verluste der unprofitablen Leistungen auf die Länder als Besteller abgewälzt oder eingestellt werden.
Eine Stoßrichtung könnte sein, konsequent die Markteintrittsbarrieren für Dritte
im SPFV zu senken, um so die eigenwirtschaftliche Erbringung von Verkehrsleistungen zur Schließung von Angebotslücken zu erleichtern.
Zudem wäre zu prüfen, inwieweit in einem „SPFV-Plan“ eine Bündelung verkehrlich zusammenhängender Leistungen möglich ist, die dann in Gänze durch
ein Verkehrsunternehmen zu erbringen wären. So ließen sich auch linien- oder
korridorweise Vergaben von Fernverkehrsleistungen ohne oder mit geringem
Zuschussbedarf beauftragen. Ein solches Vorgehen würde die Umsetzung des
im Nahverkehr bewährten Bestellerprinzips auch auf den Fernverkehr bedeuten.
Vertieft und nicht innerhalb dieses Gutachtens zu prüfende Aspekte sind u.a.
die Vereinbarkeit mit zusätzlichen Open-Access-Verkehren, Kriterien für Bedienungsumfang und anzubindende Räume. Regelungen für grenzüberschreitende
Verkehre, die tarifliche Integration, die verkehrliche Verknüpfung die organisatorische Rollenteilung zwischen Bund und Ländern etc.
Unzeitgemäß erscheint, dass der Art. 87 e Abs. 4 GG konkret nur auf Verkehrsangebote der Eisenbahnen des Bundes abzielt. Für ein den heutigen Marktrealitäten entsprechendes Gesetz sollte über diese Einschränkung hinaus die Bestellung im Wettbewerb bei einem beliebigen Verkehrsunternehmen maßgeblich
sein, auch im Hinblick auf eine effiziente Mittelverwendung des Bundes.
Im Güterverkehr ergäbe sich über Verbesserungen in den Vorgaben zum Anlagenumfang in der LuFV (vgl. 7.3) die Möglichkeit, die Abwärtsspirale bei der
Entwicklung des Umfanges an vom Güterverkehr nutzbaren Anlagen (Lade-,
Abstellgleise, etc.) zu beenden. So könnte eine Vorsorgepolitik betrieben werden, die auch ohne Dauerbestellung von Anlagen durch ein bestimmtes EVU die
betriebsbereite Vorhaltung derartiger Einrichtungen sicherstellt. Das Prinzip des
Bundes „Erfüllung des Gemeinwohlauftrages durch Infrastrukturbereitstellung“
bliebe gewahrt, es wäre aber vom Neu- und Ausbau auf die Bestandsvorhaltung
der für den Güterverkehr so entscheidenden und inzwischen häufig fehlenden
„letzten Gleismeter“ auszudehnen.
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Lösungsvorschlag:
 Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Marktzugang im Open
Access. Z.B. über Sicherstellung des Ressourcenzugriffs auf bei der DB
AG entbehrliche Altfahrzeuge für Dritte statt gezielter Verschrottung.
 Eine Lösung zur Sicherstellung verkehrlich erforderlicher gemeinwirtschaftlicher Fernverkehrsleistungen kann über die Schaffung einer Bestellerrolle auch für diese Ebene erfolgen. Dies erscheit grundsätzlich
auch in Verbindung mit dem Privatisierungsgesetz möglich. Hierfür sind
einige Systemfragen zu klären.
 Dies kann ggf. münden in der gesetzlichen Verpflichtung zur Aufstellung
eines „Fernverkehrsplans“ mit der Vorgabe von Mindestbedienungsstandards.
 Die Güterverkehrsbedürfnisse sollten über die LuFV abgesichert werden,
indem die Vorhaltung von Kapazität und Nebenanlagen (insbes. Abstell-,
Überhol-, Ladegleise) in erforderlichem Umfang vorgegeben wird.
 Über das Anlagenkataster kann ein Mindestumfang definiert werden, in
dessen Festlegung insbesondere nicht konzerneigene Verkehrsunternehmen des Güterverkehrs und der Netzbeirat einzubeziehen wären.
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8
Empfehlungen für die Position der Länder
8.1. Nachbesserungen im System
Kann die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nicht vermieden werden, sollten die Länder ihre Zustimmung an die Bedingung koppeln, die absehbaren Negativfolgen durch geeignete gesetzliche Vorkehrungen so gering wie möglich zu halten. Finanzielle Mehrbelastungen müssen von vornherein unterbunden oder kompensiert werden.
Darüber hinaus sollten die Länder darauf drängen, die Hürden für Weiterentwicklungen oder die Revision der Privatisierung auf ein politisch-realistisches
Maß zu senken, um die tatsächliche Reversibilität zu gewährleisten.
Die bereits heute vorgezeichnete fiskalische Zusatzbelastung der Länder von
mindestens einer Mrd. € bis 2011 lässt sich – vordergründig - dadurch kompensieren, dass die Regionalisierungsmittel aufgestockt werden. So könnte die Dynamisierung bereits 2008 statt 2009 wiederaufleben, die Dynamisierungsrate
könnte auf 2 % statt 1,5% erhöht werden. Alternativ vorstellbar ist es, die Dynamisierungsrate der Regionalisierungsmittel an die Entwicklung eines Index
aus Trassen-, Stations- und Energiepreisen zu koppeln.
Allerdings böten auch diese Mechanismen keine Sicherheit. Wie die Kürzung der
Regionalisierungsmittel 2006 gezeigt hat, schützen geltende Gesetze nicht vor
Einschnitten. Insofern wäre es aus Ländersicht fahrlässig, Preiserhöhungen nur
deshalb unkritisch durchzureichen, weil sie zunächst den Anschein der Kostenneutralität haben. Zudem sollten Ineffizienzen des Netzbetreibers nicht belohnt
werden.
Um das Risiko der Kaufkraftentwertung aufgrund von Preiserhöhungen für Vorleistungen (insbes. Trassen, Stationen, Energie) institutionell zu begrenzen, sollten die Länder die maximale Erhöhung der Trassenpreise auf 1,5% p.a. per Gesetz festschreiben lassen. Darüber hinausgehende Steigerungen, die die DB AG
dem Regulierer bei kosteneffizienter Leistungserbringung begründet nachweist,
muss der Bund tragen (z.B. Erhöhung der LuFV-Mittel). Damit würde der Bund
einen Anreiz erhalten, die Regulierung tatsächlich zu stärken.
Das bis dato in seinen Konturen unscharfe Regulierungsdesign muss schnell,
aber sorgfältig entwickelt werden. Notwendig ist eine Ex-ante-Regulierung mit
Anreizkomponenten für alle Vorleistungspreise, differenziert nach Verkehrsarten
(„Produktkörbe“). Ebenso ist eine harte Qualitätsregulierung erforderlich. Die
Regulierung muss so angelegt werden, dass die geplanten Überrenditen der DB
AG auf ein Normalmaß reduziert werden.
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Gutachten Sonder-VMK vom 15.9.2007
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Am wirksamsten schützen sich die Länder mit Instrumenten, mit denen sie die
Privatisierung im absehbaren Misserfolgsfall teilweise oder gesamthaft revidieren können. Zu den unabdingbaren Präventionsmaßnahmen zählt der Vorbehalt, nur dann dem Gesetzentwurf zuzustimmen, wenn
 der gegenwärtige Netzzustand objektiv und nach Strecken gegliedert mit
Hilfe eines aussagekräftigen Messsystems erfasst wird,
 die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, insbesondere das Sanktionssystem in allen Einzelheiten entwickelt und den Ländern zur Prüfung
vorgelegt wird,
 die LuFV in handhabbare Portionen untergliedert ist, um die Hürde zur
Sanktionierung und Kündigung zu senken. Nur so wird auch die Option
zur Regionalisierung solcher Strecken und Teilnetze realistisch.
 die LuFV vor dem Beschluss mindestens ein Jahr unter Realbedingungen
mit scharfgeschaltetem Sanktionssystem getestet worden ist.
 das Abschmelzen des Infrastrukturbeitrags der LuFV (2,5 Mrd. €) nicht
erst bei einem Netzumfang von 32.000 km einsetzt, sondern auf dem
Ausgangszustand bei jeder Änderung der Betriebslänge und Kapazität.
 die Umsetzung der Privatisierung an ein Zustimmungsgesetz des Bundesrates geknüpft wird. Nur so können die Länder die endverhandelte LuFV
prüfen und die Erfahrungen aus dem Testlauf auswerten.
Damit die Länder nach der Privatisierung das System Schiene weiterentwickeln
und Fehlentwicklungen korrigieren können, müssen in der LuFV mehrere Voraussetzungen geschaffen werden:
 Fortdauernde Schlechtleistungen des Infrastrukturbetreibers müssen
umgehend und konsequent geahndet werden. Sanktionsdrohungen
schrecken nur dann ab, wenn sie ernst zu nehmen sind und den wirtschaftlichen Vorteil des Verstoßes vollständig abschöpfen. Strafen sollten zusätzlich verhängt werden. Die öffentliche Hand muss nach fruchtloser Nachbesserungsfrist die Ersatzvornahme anordnen können.
 Am Ende einer glaubwürdigen Sanktionskaskade steht die Option der
Kündigung, entweder einer Strecke, eines Teilnetzes oder des gesamten
Vertrags. Die Teilkündigung einzelner oder aller Regionalnetze (ggf. mit
Regionalisierung der Infrastruktur) setzt voraus, dass die Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung in abgrenzbare Kapitel untergliedert wird
und der gekündigte Teil aus der Sicherungsübereignung parallel herausgelöst werden kann.
 Sanktion und Teilkündigung bedingen einen eigenen Rechtsanspruch
der Länder. Die Länder müssen selbständig Feststellungs- und Leistungsklagen anstrengen können. Dazu muss die LuFV mit SchutzwirSeite 112
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kung Dritter – zugunsten der Länder – konzipiert werden, im Gesetz
muss ein Klagerecht der Länder explizit verankert werden.
An wichtigsten aus Ländersicht ist es aber, aktiv auf die Änderung der Wertausgleichsregelung zu drängen. Der Wertausgleich muss so konzipiert werden,
dass die Rücknahme der Schieneninfrastruktur durch den Bund eine politisch
umsetzbare Handlungsoption ist. Dies liegt im ureigenen Interesse der Länder,
um ihre Aufgabenverantwortung weiterhin unter planbaren Bedingungen wahrnehmen zu können. Nur so haben sie die Perspektive, dass die absehbaren Folgen der Privatisierung im Bedarfsfall korrigiert werden können. Dieser Schutz ist
um so notwendiger, als die Länder in die Vorbereitungen bis dato nicht eingebunden worden sind (s. Kritik der letzten VMK-Beschlüsse). Der Regelfall des
Gesetzes („wenn keine Entscheidung des Bundestag ergeht, dann fällt Schieneninfrastruktur an Bund zurück“) muss auch als tatsächlich umsetzbarer Regelfall ausgestaltet und nicht durch finanzielle Hürden ausgeschlossen werden.
Leitsatz für die Bemessung des Wertausgleichs muss sein, dass die über viele
Jahre steuerfinanzierte Schieneninfrastruktur, in die auch weiterhin jährlich 2,5
Mrd. € der öffentlichen Hand fließen, kein zweites Mal bezahlt werden darf. Private Investoren sollten ausschließlich für die Mehrwerte entschädigt werden,
die die DB AG nach der Privatisierung in der Schieneninfrastruktur schafft. Die
Länder sollten daher vehement dafür eintreten, dass nur die künftigen Investitionen aus Eigenmitteln der DB AG dem Wertausgleich zugrunde gelegt werden.
Weitere Forderungen der Länder sollten sein: Die Quote für Investitionen in
Strecken, die dem SPNV dienen, sollten nach Neu- und Ausbau sowie Bestandsnetz differenziert werden. Die Neu- und Ausbau-Quote sollte bei 5 bis 10 % liegen. Der Anteil für das Bestandsnetz muss im Gesetz und in der LuFV verankert
werden. Die Definition der Investitionen mit Nahverkehrsbezug muss präzisiert
werden. Die Mittel sollten den Regionalisierungsmitteln zugeschlagen werden.
8.2. Nachbesserungen am System
Trotz aller Nachbesserungen im System sei angemerkt: Die Wahrscheinlichkeit
ist erdrückend hoch, dass die Interessen der Länder am Ende nicht gewahrt
werden können. Ursächlich hierfür ist das Grundproblem des Gesetzentwurfs:
die Privatisierung des wirtschaftlichen Eigentums an der Schieneninfrastruktur,
kombiniert mit der Interessenkollision des Bundes, sowohl Eigentümer der privatisierten DB AG als auch Setzer des verkehrspolitischen Rahmens zu sein.
Die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur hat automatisch zur
Folge, dass jede bestellte Daseinsvorsorgeleistung durch den Gewinnaufschlag
des Kapitalmarktes teurer wird. Steigen die Budgets der Länder nicht im GleichSeite 113
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schritt mit, werden Abstriche am Verkehrsangebot unausweichlich. Der Druck
des Kapitalmarktes auf die Schieneninfrastruktur ist auf lange Sicht stärker als
der Schutz der öffentlichen Hand, hier des Bundes.
Sobald der Bund als Hüter verkehrspolitischer Belange – und damit ggf. als Anwalt der Länder - agieren möchte, handelt er seinen Interessen als Eigentümer
der DB AG zuwider. Die Länder müssen realistisch damit rechnen, dass die Eigentümerposition obsiegt. Andernfalls stellen sich folgende Fragen:
 Warum sollte der Bund unter dem Druck des Kapitalmarktes energischer
für die Länder Partei ergreifen, wenn er hierzu bereits als 100%iger Eigentümer der DB AG trotz voller Entscheidungsgewalt nicht bereit ist?
 Warum sollte der Bund eine schlagkräftige Regulierung aufbauen, wenn
er weiß, dass der Konzernerfolg maßgeblich von der Gewinnplanung in
der Infrastruktur abhängt (ein Drittel des Konzerngewinns)?
 Warum sollte der Bund im Bedarfsfall den Mut haben, die LuFV wegen
Schlechtleistung zu kündigen, wenn er den Wertausgleich nach politischen Maßstäben prohibitiv hoch auf 7,5 Mrd. € oder höher ansetzt?
 Weshalb sollten die Länderforderungen nach der Privatisierung stärker
das Gehör des Bundes finden, wenn er trotz mehrfacher Bitten die Beschlüsse der VMK bereits heute systematisch ignoriert und die Länder
nicht einbindet?
Einen unerfreulichen Ausblick auf die absehbaren Kräfteverhältnisse wirft die
Aussage in der Langfassung des Morgan-Stanley-Gutachtens 2004 („Kapitalmarktfähigkeit der DB AG“) zur Rolle des öffentlichen Anteilseigners:
„…Insofern wird der Kapitalmarkt es beispielsweise nicht hinnehmen,
wenn der Bund seine Interessen hinsichtlich der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zur Infrastruktur entgegen den Interessen anderer
Aktionäre über seine Mehrheitsaktionärsstellung durchsetzt.“
Die Länder können die vorgezeichnete Zuschauerrolle der öffentlichen Hand nur
verhindern, wenn sie auf die Verbesserung am – nicht im – System drängen.
Dies wäre auf der Grundlage der Entschließung des Bundestags vom
24.11.2006 durchaus möglich.
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