titelbeitrag

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TITELBEITRAG
Posturale Kontrolle und die Bedeutung für das
Sturzrisiko bei Patienten nach Schlaganfall
Teil 3: Strukturmodell für das Bobath-Konzept am Fallbeispiel Gabriele Eckhardt
AUF EINEN BLICK
Fähigkeitsstörungen – Stand 2011
»Während der Grünphase über die
Ebene der Funktion
Sprunggelenk rechts für Stand und
Straße gehen können, ohne dass der
• nicht ausreichende Kernstabilität (core
Gehen barfuß
• Instabilität im oberen und unteren
Arm steif in Beugung wird und ohne zu
stability); Minus-Symptomatik: Becken-
• nicht ausreichende skapulothorakale
stolpern«, dies ist das Ziel einer 28-jäh-
boden, tiefe Bauch- und Rückenmus-
neuromuskuläre Anbindung rechts für
kulatur
Willkür- und Feinmotorik des rechten
rigen Schlaganfallpatientin. Eine erfahrene Bobath-Therapeutin erklärt das in
• nicht ausreichende Becken-, Bein- und
Teil 2 beschriebene Strukturmodell am
Fußanbindung für selektive Beinbewe-
Fallbeispiel.
gungen rechts in allen Bewegungsrichtungen
• keine Armheberfunktion rechts gegen
die Schwerkraft (MFP 1-2)
• keine selektive Handfunktion
• nicht ausreichende rotatorische Veran-
Fallbeispiel
Arms und der Hand
• perzeptive / propriozeptive Störung
kerung (neuromuskulär) unteres Be-
für re/li-Integration (Körperschema)
cken und Hüfte rechts und links für
• Steifigkeiten im Brustkorb auf beiden
An einem Patientenbeispiel soll die the-
den Einbeinstand und das Gehen
Seiten (Rippen und WS) für Rotation
rapeutische Intervention nach dem
(Richtungswechsel)
Rumpf
Bobath-Konzept (sensomotorischer An-
• Schmerzen am Ende der Bewegung
satz) näher dargestellt werden. Die
der rechten Schulter
Umsetzung erfolgt nach den konzeptio-
• emotional schnell mit neuen Anforde-
nellen, prinzipiellen, methodischen und
rungen im Alltag überfordert
technischen Vorgaben der IBITA.
Ebene der Aktivität
Die Patientin, Jessica J., ist 28 Jahre alt
• alle Bewegungsabläufe werden von
und von Beruf Hebamme. Sie erlitt 2010
der linken Körperseite initiiert
einen Insult der A. cerebri media links
• in Stand und Gehen Fixationen in
mit einer ausgeprägten Hemiparese
Schulter und Hüfte links bei Mehrbelastung der linken Körperseite
rechts bei unklarer Genese. Sozial ist sie
sehr gut eingebunden. Frau J. wird seit
• im Stand kein postural sway (Hal-
Mai 2011 im Rahmen der Heilmittelver-
tungsschwankung, physiologische Pen-
sorgung physio- und ergotherapeutisch
delbewegung)
in der Einrichtung der Autorin behan-
• bei Anstrengung Anhalten der Luft
delt. Ihr damaliges Ziel bezog sich auf
• Übergang Sitz zu Stand mit starker
das Gehen außerhalb ihrer häuslichen
assoziierter Reaktion des rechten Arms
Umgebung ohne eine Hilfsperson und
und der Hand
auf den Wunsch, ihren Arm wieder im
Alltag einsetzen zu können.
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Abb. 1_Die Patientin vor der Behandlung,
beim Überqueren der Straße
• Gehen: nur langsam mit visueller Fixation (Blick auf Boden), maximaler Kon-
pt_Zeitschrift für Physiothe ra pe ute n_ 65 [2 0 13 ] 3
TITELBEITRAG
zentration und starker assoziierter
• schlechte Übertragung von Gelerntem
Frau J. ist emotional stabiler gewor-
Reaktion re Arm und Hand; nur auf
in den Alltag (Diskrepanz Leistungsfä-
den, hat ihre Bewegungsgrenzen und
higkeit und Leistung)
Bewegungsfähigkeiten
ebener Fläche ohne Hilfsperson
• keine Variationen im Gangbild (Rückwärts-, Seit- und Kreuzschritte)
• nicht ausreichende Balance bei unerwarteten Störungen (Sturzgefahr)
erkannt
und
traut sich dadurch körperlich und emotional deutlich mehr zu. Neuromuskulär
• Treppensteigen: möglich mit Ziehen
• der rechte Arm und die rechte Hand
hat sich ihre Minus-Symptomatik redu-
am Geländer, keine alternierenden
können nicht funktionsgerecht ein-
ziert, perzeptiv und propriozeptiv ist sie
Schritte
gesetzt werden (kein Greifen mit
jetzt unauffällig. Sie hat keine Schmer-
rechts)
zen in der Schulter und ist biomecha-
• keine Arm- oder Handfunktion möglich
nisch ohne Befund.
Verlauf seit Mai 2011 bis November
Activities of daily living (ADLs) sind
2012
größtenteils eigenständig möglich. Ein-
• emotionale und kognitive Überforde-
Jessica J. ist eine sehr junge, hochmoti-
geschränkt ist die Patientin noch in allen
rung bei Multitasking, also bei geteil-
vierte Patientin, die dank des struktu-
bilateralen Hantierfunktionen. Ihre rech-
ter Aufmerksamkeit, schnellem Ein-
rierten Aufbaus der Therapie seit Mai
te Hand ist für grobe Greiffunktionen
stellen auf veränderte Umwelt- und
2011 Fortschritte gemacht hat.
einsetzbar. Bei der Fortbewegung ist sie
Ebene der Partizipation
Rahmenbedingungen; die Patientin
Die in der regelmäßigen Therapie und
seit einem Jahr eigenständig. Im Haus ist
durch Eigentraining erarbeiteten Funk-
sie in der Lage, auch barfuß zu gehen.
• gehfähig außerhalb der häuslichen
tionen und Aktivitäten kann die Patien-
Außerhalb des Hauses geht sie noch ver-
Umgebung nur in Begleitung und in
tin schneller abrufen und in den Alltag
langsamt und benötigt große Aufmerk-
langsamem Tempo
übertragen.
samkeit, um nicht zu stolpern,
benötigt klare Struktur im Alltag
>>>
Hands on als Informationsaufnahme für den Therapeuten
Methode_Aktivieren von Aufmerksamkeit und Bewegungsbereitschaft; Shaping: - ;
Repetition: Technik_Umfeldgestaltung: mobile Unterstützungsfläche, Liegen auf einer Rolle; Fazilitation:
Hands on, Fühlen von Stellung der Rippen, im Verhältnis zur WS und Rückenlage, Fühlen von
Rippenbeweglichkeit bei der Atmung, Fühlen der Bereitschaft sich zu bewegen; Kommunikation: nonverbal; Aufgabenstellung: keine
Ziel_Erfassen von Bewegungspotenzial; der Patient soll sich selber reflektieren (Wie liege ich?
Fühlt sich die rechte Körperseite genauso an wie die linke? Wo sind die Hände des Therapeuten? Kann ich den Händen folgen?); Reflektieren von einseitiger Aktivierung durch Unterschiede im Kontakt mit den Therapeutenhänden
Hands on als Informationsaufnahme für den Therapeuten
Methode_Aktivieren der Bewegungsbereitschaft von Bewegung Becken / LWS / Hüften;
Shaping: Gegenrotation (Körper-Körper gegen mobile Unterstützungsfläche)
Repetition: Wiederholen für das Erkennen von Bewegungsgrenzen
Technik_Umfeldgestaltung: mobile Unterstützungsfläche, Liegen auf der Rolle;
Fazilitation: Hands on, Fühlen des Alignments des Beckens im Verhältnis zu der Wirbelsäule
und den Beinen und Bereitschaft, sich zu bewegen; Kommunikation:
Fragen: Sind die Beine stabil gegen die Bewegung des Beckens? Vergleichen der Bewegung
des Beckens nach rechts / links / dorsal / ventral; Aufgabenstellung: Beckenbewegung auf der
Rolle
Ziel_Erfassen von Bewegungspotenzial, Eigenreflektion des Patienten (Lage auf der Rolle,
Gefühl des Körpers, Asymmetrien, Steifigkeiten) Mit Hilfe der Rolle soll die Patientin ihre
Fallgefährdung im Gehen reflektieren (wann verliere ich die Kontrolle?)
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TITELBEITRAG
Erarbeiten Transfer Rückenlage – Seitlage rechts
Methode_Aktivieren: selektive Rumpfrotation nach rechts; Shaping: - ; Repetition: Wiederholen für das Bewegungsgefühl
Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche, Liegen auf der Bank; Fazilitation:
Hands on, Initiierung abwarten; langsame Ausführung; Selektivität des unteren Rumpfs
gegen den oberen Rumpf fordern; selektives Bewegen der Rippen, der BWS und von beiden
Schulterblättern; Bewegung bremsen; Kommunikation: nonverbal; Aufgabenstellung: auf die
rechte Seite drehen
Ziel_Reflektion der Kontrolle über die Bewegung ohne »Ziehen« des rechten Arms; Mobilität
der beteiligten Strukturen, besonders der Rippen; antizipatorische posturale Kontrolle Arm –
Rumpf; Benutzen der Körperdiagonale linke Schuler und rechte Hüfte; Voraussetzungen
schaffen für das Loslassen der Beuger im Arm
Selektives Bewegen des Rumpfs in den rechten stabilen Arm, Drehen zur rechten Seite
Methode_Aktivieren von selektiver Bewegung unterer Rumpf gegen oberen Rumpf; Shaping:
Fordern von mehr Selektivität; Repetition: Wiederholen für das Bewegungsgefühl
Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, stabile Referenz für den Arm; Bewegung des Rumpfs initiieren und das timing bestimmen, »go into the
pattern – go out of the pattern« / »in das Muster aktiv hinein bewegen und dann exzentrisch wieder hinaus«; assistives Öffnen der rechten Hand; Kommunikation: nonverbal; Aufgabenstellung: Ziel_Reflektion von »Ziehen« des Armes zum Rumpf und dem »Nicht-loslassen-können«;
Loslassen der Armsenker und aktives exzentrisches Arbeiten der schulterumgebenden
Muskulatur; Loslassen der Handflexoren, Öffnen der Hand für flaches Aufliegen auf der
Unterstützungsfläche; kontrolliertes Drehen auf die rechte Seite erlernen, für die Umsetzung
in den Alltag
Drehen des Oberkörpers nach links, gegen stabile Hand rechts
Methode_Aktivieren: hier selektives Bewegen Rumpf gegen stabilen Arm; Shaping: erarbeitete Länge der schulterumgebenden Muskulatur benutzen, für Drehen nach links; Repetition:
wiederholende Drehbewegung
Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, «light
touch”; Kommunikation: verbales verzögertes Feedback; Aufgabengestaltung: Drehen von
der rechten Hand weg
Ziel_Reflektion von weniger Anstrengung für das Drehen auf die linke Seite und das
»Mit-benutzen-können« der rechten Hand; eigenständiges Drehen auf die linke Seite; Hand
benutzen als Orientierung im Raum
Wahrnehmen und Annehmen der Unterstützungsfläche und Symmetrie, Vorbereitung für
mobilen Arm
Methode_Aktivieren von Aufmerksamkeit, Vorstellung von Bewegung; Shaping: annehmen
der Unterstützungsfläche; Repetition: Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands off, Zeit geben;
Kommunikation: verbales Lenken der Aufmerksamkeit; Aufgabenstellung: Spüren des
Liegens auf der Unterlage, Vergleichen der Arme (Welcher Arm ist leichter oder schwerer?
Wo liegt der Körper auf?); mentales Training: »Stell dir vor, du hebst den rechten Arm hoch!«
Ziel_Vorstellung von Bewegung des rechten Armes, Bewegungsplanung
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TITELBEITRAG
Rechten Arm im Schwerkraftsfeld hoch heben, mobiler Arm gegen stabilen Rumpf
Methode_Aktivieren: der Armheber; Shaping: Halten des Armes in der Gravitationslinie;
Repetition: scapula-thorakale Bewegung bei gestrecktem Arm
Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, Gewichte
angepasst abnehmen, Länge zeigen, Bewegungsinitiierung abwarten; Kommunikation: nonverbal; Aufgabenstellung: den Arm anheben und lang machen
Ziel_Reflektion von langem Arm und des Bewegens des Armes gegen die Schwerkraft;
antizipatorische posturale Kontrolle Schultergürtel, oberer Rumpf und unterer Rumpf
(selektive Rippen mit diagonaler oder gleichseitiger Anbindung zum Becken); Aktivieren
der Armheber ohne Anhalten der Luft und Drücken des Kopfes nach unten, Bewegung
als »leicht« erfahren
Stabile Arme gegen mobilen Rumpf
Methode_Aktivieren: Armheber; Shaping: Armheben bei geteilter Aufmerksamkeit und
Gegenrotation; Repetition: Wiederholen der Bewegung in verschiedenen Tempos
Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, langsam,
experimentieren lassen, Gewichte justieren, rechte Hand stabilisieren an der Rolle; Kommunikation: Ablenkung durch »Erzählen«, dabei weiter die Rolle halten können; Aufgabengestaltung: Gegenstand (Rolle) in beiden Händen Richtung Decke halten, dabei die Beine nach
rechts und links legen; Bewegung nicht anhalten, »trial and error«, schiefgehen lassen, neu
finden, Atmung laufen lassen
Ziel_Reflexion von Arm-Hand gegen die Schwerkraft bewegen können bei Teilung der Aufmerksamkeit und bewegtem Rumpf; Integration Arm in einen Bewegungsablauf, bei posturaler Kontrolle Rumpf; Motivation, einen Gegenstand mit der rechten Hand halten und
bewegen zu können
Vorbereiten für das Rollen nach vorne und hinten (»Päckchen machen«)
Methode_Aktivieren: Koordination rechts / links; Shaping: Geschwindigkeit wechseln;
Repetition: wiederholende rollende Bewegung bei immer größer werdendem Bewegungsausmaß
Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, Sicherheit
geben, Tempo variieren; Kommunikation: verbales Cueing, Aufmerksamkeit lenken auf
die Hand am Knie und Loslassen von Rückenstreckern; Aufgabengestaltung: Körper zum
Päckchen machen und langsam nach vorne und hinten rollen, Geschwindigkeit steigern
Ziel_Körper-Körper- / Körper-Raum-Orientierung und Spaß an Bewegung; Motivation für
Experimentieren, beide Körperseiten sollen angepasst symmetrisch arbeiten
Vorbereiten für Rolle rückwärts
Methode_Aktivieren von exzentrischer agonistischer Arbeit der Rückenstrecker; Shaping:
unterstützende Fläche abbauen; Repetition: das »Päckchen« wiederholen unter anderem
Schwerkraftseinfluss
Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, für Bewegungsrichtung, Gewichte abnehmen, Zeit geben für Loslassen der Rückenmuskeln; Kommunikation: verzögertes verbales Feedback; Aufgabenstellung: in die »Kerze« gehen, dann beide
Knie zu einem Ohr, Experimentieren, »trial and error«, selber den Bewegungsablauf finden
Ziel_Rückenmuskulatur exzentrisch agonistisch loslassen lernen, rotatorische Verankerung
oberen gegen unteren Rumpf; antizipatorische posturale Kontrolle oberer Rumpf / Schultergürtel für Armbewegung; Mobilisation obere Rippen, LWS, BWS, HWS; Spaß an Bewegung
>>>
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TITELBEITRAG
Übergang Seitlage links zum Sitz
Methode_Aktivieren von: Körper-Raum Orientierung; Shaping: Benutzen der erarbeiteten
Stabilität und Körperorientierung für ein neues »postural set«; Repetition: Wiederholen für
das Erkennen des Bewegungsablaufs
Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, für stabile
Referenz, Zeigen von Bewegungsablauf, »timing« der verschiedenen Bewegungskomponenten; Hands off, Experimentieren, »trial and error«, Bewegungsrichtung wechseln; Aufgabengestaltung: Hinsetzen
Ziel_Transfer in andere Ausgangsstellung ohne Ziehen vom linken Arm; Reflexion des
Handelns; Alternative suchen mit weniger Kompensation; Integration beider Körperseiten
in dem Bewegungsübergang; Bewegungsplanung;
Bewegung leicht machen; antizipatorische posturale Kontrolle
Sitzen im Seitsitz
Methode_Aktivieren: Aufmerksamkeit für den Bewegungsablauf; Shaping: - ; Repetition: Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands off;
Aufgabengestaltung: mental die Bewegung von der Seitlage zum Sitz nachspüren
Ziel_Bewegungsplanung ohne Anstrengung; senkrechte Haltung erlangen mit Rotation;
Variationen lernen
Übergang vom Sitz zum Stand
Methode_Aktivieren: Aktivität der aufrichtenden Muskulatur bei gleicher Gewichtsverteilung
auf die Füße; Shaping: Unterstützungsfläche verkleinern; Repetition: Wiederholen für das
Erlernen des Bewegungsablaufes
Technik_Umfeldgestaltung: Sitz auf stabiler Unterstützungsfläche in 45 cm Höhe:
Fazilitation: Hands on, »light touch« für Hilfe bei der Initiierung und beim Bewegungstiming;
Kommunikation: verzögertes verbales Feedback; Aufgabengestaltung: Aufstehen
Ziel_Übertrag der gelernten posturalen Voraussetzungen in den Transfer Sitz - Stand als
Voraussetzung für freies Stehen und Gehen; Fühlen von Stabilitäten und Gewichten im
Schwerkraftsfeld; Vertikalität – Bodenreaktionskraft; Aufstehen ohne Ziehen des Armes in
die Beugung als Resultat erfahren
Gehen über Ampelübergang an befahrener Straße als Re-Befund
Methode_Aktivieren: hier, Geschwindigkeit fordern; Shaping: Übertrag in den Alltag;
Repetition: wiederholt die Straße überqueren
Technik_Umfeldgestaltung: befahrene Straße mit Ampelanlage; Fazilitation: hands off;
Kommunikation: verzögertes Feedback; Aufgabengestaltung: »Überquere die Straße
während der Grünphase«
Ziel_Übertrag des Gelernten in den Alltag; Erleben des Unterschieds »vor der Behandlung,
nach der Behandlung«; Reflektieren der eigenen Leistung; Re-Befund (GAS)
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TITELBEITRAG
geht aber ohne Begleitung. Seit August
2012 arbeitet sie im Rahmen einer beruf-
HANDS ON
lichen Wiedereingliederungsmaßnahme
Bevor der Therapeut dem Patienten spezifische sensorische Informationen gibt, benötigt
als Arztsekretärin in Teilzeit, ihre Aufga-
er selbst Informationen über dessen »Ist-Zustand«. Die dafür gewählte Ausgangsstellung
ben beziehen sich in erster Linie auf
des Patienten erschließt sich aus den Bewegungskomponenten, die am deutlichsten bei
computergestützte Schreibarbeiten und
der vorher durchgeführten Bewegungsanalyse (hier: im Gehen) von der Norm abweichen.
auf den anfallenden Telefondienst. Kog-
Der Therapeut vergleicht das »Gefühlte« mit dem bei der Bewegungsanalyse »Gesehe-
nitive Einschränkungen liegen nicht vor.
nen« und setzt dieses Wissen in Bezug zu dem für diese Behandlungseinheit formulierten
Ihr Fernziel besteht darin, wieder als
Ziel. Es wird der Frage nachgegangen, warum der Patient sich so bewegt, wie er sich
Hebamme arbeiten zu können. Als Nah-
bewegt. Welches Impairment (Funktionsstörung) hindert den Patienten daran, sein
ziel formuliert sie im November 2012 die
»Unauffälligkeit«: Sie möchte, dass ihr
rechter Arm sich während des Gehens
nicht beugt und somit für andere als
Behinderung sichtbar ist (Abb. 1). Bei
eigentliches Ziel zu erreichen? Welche Ressourcen sind vorhanden? Welche Körperabschnitte haben einen hohen Tonus, wird die Unterstützungsfläche adäquat angenommen?
Wie stehen die Körperabschnitte im Verhältnis zueinander? Der Therapeut fühlt an der
Reaktion des Patienten, ob die aufgelegten Hände gespürt werden (Sensorik). Wird die
Aufmerksamkeit auf den betroffenen Körperabschnitt gelenkt, verändert sich der Atemrhythmus? (Kognition). Wie ist die Bereitschaft, auf die Hände des Therapeuten zu reagie-
schnellerem Gangtempo stolpert sie und
ren? (Motivation). Lässt sich der Patient über die Hände zu einer Bewegung aktivieren
ist damit sturzgefährdet.
oder ist er nur passiv? (Motorik). Wo ist Widerstand gegen eine Bewegungsrichtung, welcher Bewegungsablauf ist leichter? (Biomechanik).
Posturale Kontrolle im
Handlungskontext
• durch Analyse des Bewegungsverhaltens (Beispiel: Lokomotion)
Der zurzeit am häufigsten angewendete
• durch Analyse von Variationsfähig-
Therapieansatz, nämlich der nach dem
keiten in den Bewegungsabläufen
Bobath-Konzept, scheint den sich aus
Bewegung planen, Problem lösen,
Fehler machen, erkennen und expe-
• durch Testverfahren
rimentieren, Bewegungsgrenzen erfahren) (Strukturmodell: Prinzip)
• Modifikation der Kompensations-
der Literatur ergebenden Anforderun-
3. Identifikation des Lernpotenzials des
gen an eine zielgerichtete Therapie sehr
Patienten (kognitive Fähigkeiten wie:
nahe zu kommen. Er verfolgt konse-
Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten
strategien (Strukturmodell: Prinzip)
• Aktivierung, Shaping, Repetition
quent den sensomotorischen Ansatz und
und Bewegungsgrenzen, Aufmerk-
fokussiert per definitionem die postura-
samkeit, Motivation, Reflektion, Pla-
• sensorische Informationen durch
nung von Bewegungsabläufen, An-
»Hands on«: Vibration, taktile Reize,
strengungsbereitschaft)
Gewichte abnehmen falls erforder-
le Kontrolle im Handlungskontext.
Dies heißt unter anderem:
4. Behandlung der Impairments mit fol-
(Strukturmodell: Methode)
lich, taktile cues, verbale cues, Um-
genden Schwerpunkten:
welt gestalten als Sicherheit und /
geordnet zu dem Patientenziel (in die-
• individuelle, am persönlichen Alltag
oder Begrenzung, Umwelt variieren,
sem Fallbeispiel: »Ich will nicht fal-
orientierte Zielsetzung (bio-psycho-
unterschiedliche Unterstützungsflä-
len«), bezogen auf den persönlichen
sozialer Ansatz) (Strukturmodell:
Kontext
Konzept)
1. Differenziertes Clinical Reasoning, zu-
2. Identifizierung der Kompensations-
• aktive, ressourcenorientierte Thera-
strategien des Patienten und der zu-
pie, immer aufgabenbezogen (Struk-
grunde liegenden Impairments (kognitive, emotionale, perzeptive, neuromuskuläre
und
biomechanische
Fähigkeiten/Störungen):
• durch Analyse des Bewegungsverhaltens (Beispiel: Sitz zum Stand)
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chen (Strukturmodell: Technik)
• Mobilisation der Körperabschnitte,
die steif und wenig beweglich sind
(Strukturmodell: Technik)
• Aktivieren der konzentrischen und
turmodell: Prinzip)
• integriert in den individuellen Lern-
exzentrischen agonistischen Muskeln,
prozess des Patienten (Strukturmo-
die an den Bewegungsabläufen be-
dell: Prinzip)
teiligt sind, in unterschiedlichen
• interaktive
Vorgehensweise,
mit
dem Patienten (kognitiv fordern,
Bewegungsübergängen (z. B.: Rückenlage – Seitlage – Sitz /
>>>
15
TITELBEITRAG
ven Lernprozess zwischen Patient und
ZUSATZSERVICE
Therapeut und bedeutet nicht, dass die
Folgebehandlung genauso abläuft oder
Kurze, unbearbeitete Dokumentations-Videos aus dem Behandlungsverlauf auf dem
YouTube-Kanal des Pflaum Verlags: http://www.youtube.com/user/PflaumVerlag1919
diese Therapiesequenzen eins zu eins
auf andere Patienten übertragbar sind.
Fazit
Die Fotodokumentation der Behandlung
einer jungen Patientin mit Schlaganfall
zeigte auf, dass der sensomotorische
Therapieansatz des Bobath-Konzepts die
posturale Kontrolle (APAs) für Lokomotion positiv beeinflusst. Die Patientin ist
jederzeit während der Behandlung in
ihren Bewegungsabläufen reflektierend
und experimentierend beteiligt. Sie er1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
lebt somit die Steigerungen der von
Erarbeiten Transfer Rückenlage – Seitlage rechts
Drehen des Oberkörpers nach links, gegen stabile Hand rechts
Arm im Schwerkraftsfeld hochheben, mobiler Arm gegen stabilen Rumpf
Stabile Arme gegen mobilen Rumpf
Vorbereiten für das Rollen nach vorne und hinten (»Päckchen machen«)
Übergang Seitlage links zum Sitz
Übergang vom Sitz zum Stand
Gehen über Ampelübergang an befahrener Straße als Rebefund
ihr geforderten Leistungsfähigkeiten als
notwendige und sinnvolle Teilabschnitte, um ihr persönliches Ziel zeitnah
zu erreichen. Kompensationsstrategien,
strukturelle und funktionelle Impairments (Funktionsstörungen) werden
konsequent identifiziert, fokussiert mo-
Sitz – Stand / Stand – Gehen) (Strukturmodell: Technik)
• Ausdauer- und Krafttraining (Strukturmodell: Technik)
modell: Technik)
gungsabläufe werden in Teilabschnitten
einer Serie von insgesamt 10 Behandlun-
erarbeitet, um sie dann mit verbesserten
dargestellt. Die Dokumentation soll die
strukturierte Vorgehensweise innerhalb
• eventuelle Hilfsmittel wie Schienen,
Stock
difiziert und behandelt. Ganze Bewe-
gen (1 Heilmittelverordnung KG ZNS)
• Eigenübungsprogramm (Struktur-
Rollator,
Im Folgenden wird eine Behandlungseinheit in Bildern, Videos und Text aus
(Strukturmodell:
Technik) a
einer Bobath-Therapie zeigen und damit
nicht zwangsweise den kompletten
Reha-Verlauf der Patientin.
Die Dokumentation erhebt nicht den
Anspruch auf Vollständigkeit, sondern
Dokumentation des
Behandlungsverlaufs
soll den klinischen Denk- und Entscheidungsprozess eines Bobath-Therapeuten
transparenter machen.
Als Messverfahren für eine Verlaufskon-
Der Fokus in der beschriebenen The-
trolle können verschiedene Assessments
rapieeinheit liegt auf der zielgerichteten
zur Anwendung kommen; zum Beispiel:
Erarbeitung der posturalen Kontrolle
Goal
für die Lokomotion bei Frau J.
Attainement
Score,
Dynamic
Gait Index, 10-Meter-Walk-Test / Ganggeschwindigkeit.
16
Die Therapieeinheit bildet eine Mo-
FÜR ABONNENTEN
Eckhardt G: 2013. Posturale Kontrolle
und die Bedeutung für das Sturzrisiko
bei Patienten nach Schlaganfall. Teil 1:
Verschiedene therapeutische Ansätze
im Vergleich. Z f Physiotherapeuten 65,
1: 30-3:
www.physiotherapeuten.de
Webcode: 526
Eckhardt G: 2013. Posturale Kontrolle
und die Bedeutung für das Sturzrisiko
bei Patienten nach Schlaganfall. Teil 2:
Ein Strukturmodell für das Bobath-Konzept. Z f Physiotherapeuten 65, 2: 32-6:
www.physiotherapeuten.de
Webcode: 527
mentaufnahme ab, zeigt den interakti-
pt_Zeitschrift für Physiothe ra pe ute n_ 65 [2 0 13 ] 3
TITELBEITRAG
Voraussetzungen wieder als Ganzes
abzurufen. Repetition und Shaping-Elemente sorgen für den Übertrag in den
Alltag, unterstützt durch ein individuelles Eigentrainingsprogramm des Patienten.
–
DANKSAGUNG
Auf diesem Wege möchte sich die Autorin sehr bei
der Patientin Frau J. für ihre Mitarbeit an diesem Artikel bedanken und ihr alles Gute für
ihren weiteren Rehabilitationsverlauf wünschen; ihr Dank gilt außerdem Gerlinde Haase
(Bobath- Senior-Instruktorin/ IBITA) und Dr.
Kim Brock (Bobath-Instruktorin Australien/
IBITA) für die inhaltliche Unterstützung
ABBILDUNGEN
Alle Abbildungen dieses Beitrags von Gabriele
Eckhardt
ANMERKUNG
a
Zum Strukturmodell siehe Teil 2 dieses Artikels in
pt2_2013
GABRIELE ECKHARDT
PT, MSc. Neurorehab.; Bobath-Aufbaukurs-Instruktorin IBITA; Vorsitzende Verein der Bobath Instruktoren Deutschland und Österreich;
GF und therap. Leitung Zentrum für Physiotherapie und ambulante
Rehabilitation Haan, Solingen, Wuppertal; Leitung Bobath-Ausbildungszentrum Haan; Mitglied im Wissenschaftsbeirat der Vereinigung der Bobath-Therapeuten. Kontakt: [email protected]
pt_ Ze itschrift für Physiotherape uten_6 5 [201 3] 3
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