TITELBEITRAG Posturale Kontrolle und die Bedeutung für das Sturzrisiko bei Patienten nach Schlaganfall Teil 3: Strukturmodell für das Bobath-Konzept am Fallbeispiel Gabriele Eckhardt AUF EINEN BLICK Fähigkeitsstörungen – Stand 2011 »Während der Grünphase über die Ebene der Funktion Sprunggelenk rechts für Stand und Straße gehen können, ohne dass der • nicht ausreichende Kernstabilität (core Gehen barfuß • Instabilität im oberen und unteren Arm steif in Beugung wird und ohne zu stability); Minus-Symptomatik: Becken- • nicht ausreichende skapulothorakale stolpern«, dies ist das Ziel einer 28-jäh- boden, tiefe Bauch- und Rückenmus- neuromuskuläre Anbindung rechts für kulatur Willkür- und Feinmotorik des rechten rigen Schlaganfallpatientin. Eine erfahrene Bobath-Therapeutin erklärt das in • nicht ausreichende Becken-, Bein- und Teil 2 beschriebene Strukturmodell am Fußanbindung für selektive Beinbewe- Fallbeispiel. gungen rechts in allen Bewegungsrichtungen • keine Armheberfunktion rechts gegen die Schwerkraft (MFP 1-2) • keine selektive Handfunktion • nicht ausreichende rotatorische Veran- Fallbeispiel Arms und der Hand • perzeptive / propriozeptive Störung kerung (neuromuskulär) unteres Be- für re/li-Integration (Körperschema) cken und Hüfte rechts und links für • Steifigkeiten im Brustkorb auf beiden An einem Patientenbeispiel soll die the- den Einbeinstand und das Gehen Seiten (Rippen und WS) für Rotation rapeutische Intervention nach dem (Richtungswechsel) Rumpf Bobath-Konzept (sensomotorischer An- • Schmerzen am Ende der Bewegung satz) näher dargestellt werden. Die der rechten Schulter Umsetzung erfolgt nach den konzeptio- • emotional schnell mit neuen Anforde- nellen, prinzipiellen, methodischen und rungen im Alltag überfordert technischen Vorgaben der IBITA. Ebene der Aktivität Die Patientin, Jessica J., ist 28 Jahre alt • alle Bewegungsabläufe werden von und von Beruf Hebamme. Sie erlitt 2010 der linken Körperseite initiiert einen Insult der A. cerebri media links • in Stand und Gehen Fixationen in mit einer ausgeprägten Hemiparese Schulter und Hüfte links bei Mehrbelastung der linken Körperseite rechts bei unklarer Genese. Sozial ist sie sehr gut eingebunden. Frau J. wird seit • im Stand kein postural sway (Hal- Mai 2011 im Rahmen der Heilmittelver- tungsschwankung, physiologische Pen- sorgung physio- und ergotherapeutisch delbewegung) in der Einrichtung der Autorin behan- • bei Anstrengung Anhalten der Luft delt. Ihr damaliges Ziel bezog sich auf • Übergang Sitz zu Stand mit starker das Gehen außerhalb ihrer häuslichen assoziierter Reaktion des rechten Arms Umgebung ohne eine Hilfsperson und und der Hand auf den Wunsch, ihren Arm wieder im Alltag einsetzen zu können. 10 Abb. 1_Die Patientin vor der Behandlung, beim Überqueren der Straße • Gehen: nur langsam mit visueller Fixation (Blick auf Boden), maximaler Kon- pt_Zeitschrift für Physiothe ra pe ute n_ 65 [2 0 13 ] 3 TITELBEITRAG zentration und starker assoziierter • schlechte Übertragung von Gelerntem Frau J. ist emotional stabiler gewor- Reaktion re Arm und Hand; nur auf in den Alltag (Diskrepanz Leistungsfä- den, hat ihre Bewegungsgrenzen und higkeit und Leistung) Bewegungsfähigkeiten ebener Fläche ohne Hilfsperson • keine Variationen im Gangbild (Rückwärts-, Seit- und Kreuzschritte) • nicht ausreichende Balance bei unerwarteten Störungen (Sturzgefahr) erkannt und traut sich dadurch körperlich und emotional deutlich mehr zu. Neuromuskulär • Treppensteigen: möglich mit Ziehen • der rechte Arm und die rechte Hand hat sich ihre Minus-Symptomatik redu- am Geländer, keine alternierenden können nicht funktionsgerecht ein- ziert, perzeptiv und propriozeptiv ist sie Schritte gesetzt werden (kein Greifen mit jetzt unauffällig. Sie hat keine Schmer- rechts) zen in der Schulter und ist biomecha- • keine Arm- oder Handfunktion möglich nisch ohne Befund. Verlauf seit Mai 2011 bis November Activities of daily living (ADLs) sind 2012 größtenteils eigenständig möglich. Ein- • emotionale und kognitive Überforde- Jessica J. ist eine sehr junge, hochmoti- geschränkt ist die Patientin noch in allen rung bei Multitasking, also bei geteil- vierte Patientin, die dank des struktu- bilateralen Hantierfunktionen. Ihre rech- ter Aufmerksamkeit, schnellem Ein- rierten Aufbaus der Therapie seit Mai te Hand ist für grobe Greiffunktionen stellen auf veränderte Umwelt- und 2011 Fortschritte gemacht hat. einsetzbar. Bei der Fortbewegung ist sie Ebene der Partizipation Rahmenbedingungen; die Patientin Die in der regelmäßigen Therapie und seit einem Jahr eigenständig. Im Haus ist durch Eigentraining erarbeiteten Funk- sie in der Lage, auch barfuß zu gehen. • gehfähig außerhalb der häuslichen tionen und Aktivitäten kann die Patien- Außerhalb des Hauses geht sie noch ver- Umgebung nur in Begleitung und in tin schneller abrufen und in den Alltag langsamt und benötigt große Aufmerk- langsamem Tempo übertragen. samkeit, um nicht zu stolpern, benötigt klare Struktur im Alltag >>> Hands on als Informationsaufnahme für den Therapeuten Methode_Aktivieren von Aufmerksamkeit und Bewegungsbereitschaft; Shaping: - ; Repetition: Technik_Umfeldgestaltung: mobile Unterstützungsfläche, Liegen auf einer Rolle; Fazilitation: Hands on, Fühlen von Stellung der Rippen, im Verhältnis zur WS und Rückenlage, Fühlen von Rippenbeweglichkeit bei der Atmung, Fühlen der Bereitschaft sich zu bewegen; Kommunikation: nonverbal; Aufgabenstellung: keine Ziel_Erfassen von Bewegungspotenzial; der Patient soll sich selber reflektieren (Wie liege ich? Fühlt sich die rechte Körperseite genauso an wie die linke? Wo sind die Hände des Therapeuten? Kann ich den Händen folgen?); Reflektieren von einseitiger Aktivierung durch Unterschiede im Kontakt mit den Therapeutenhänden Hands on als Informationsaufnahme für den Therapeuten Methode_Aktivieren der Bewegungsbereitschaft von Bewegung Becken / LWS / Hüften; Shaping: Gegenrotation (Körper-Körper gegen mobile Unterstützungsfläche) Repetition: Wiederholen für das Erkennen von Bewegungsgrenzen Technik_Umfeldgestaltung: mobile Unterstützungsfläche, Liegen auf der Rolle; Fazilitation: Hands on, Fühlen des Alignments des Beckens im Verhältnis zu der Wirbelsäule und den Beinen und Bereitschaft, sich zu bewegen; Kommunikation: Fragen: Sind die Beine stabil gegen die Bewegung des Beckens? Vergleichen der Bewegung des Beckens nach rechts / links / dorsal / ventral; Aufgabenstellung: Beckenbewegung auf der Rolle Ziel_Erfassen von Bewegungspotenzial, Eigenreflektion des Patienten (Lage auf der Rolle, Gefühl des Körpers, Asymmetrien, Steifigkeiten) Mit Hilfe der Rolle soll die Patientin ihre Fallgefährdung im Gehen reflektieren (wann verliere ich die Kontrolle?) pt_ Z e itschrift für Physiotherape uten_6 5 [201 3] 3 11 TITELBEITRAG Erarbeiten Transfer Rückenlage – Seitlage rechts Methode_Aktivieren: selektive Rumpfrotation nach rechts; Shaping: - ; Repetition: Wiederholen für das Bewegungsgefühl Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche, Liegen auf der Bank; Fazilitation: Hands on, Initiierung abwarten; langsame Ausführung; Selektivität des unteren Rumpfs gegen den oberen Rumpf fordern; selektives Bewegen der Rippen, der BWS und von beiden Schulterblättern; Bewegung bremsen; Kommunikation: nonverbal; Aufgabenstellung: auf die rechte Seite drehen Ziel_Reflektion der Kontrolle über die Bewegung ohne »Ziehen« des rechten Arms; Mobilität der beteiligten Strukturen, besonders der Rippen; antizipatorische posturale Kontrolle Arm – Rumpf; Benutzen der Körperdiagonale linke Schuler und rechte Hüfte; Voraussetzungen schaffen für das Loslassen der Beuger im Arm Selektives Bewegen des Rumpfs in den rechten stabilen Arm, Drehen zur rechten Seite Methode_Aktivieren von selektiver Bewegung unterer Rumpf gegen oberen Rumpf; Shaping: Fordern von mehr Selektivität; Repetition: Wiederholen für das Bewegungsgefühl Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, stabile Referenz für den Arm; Bewegung des Rumpfs initiieren und das timing bestimmen, »go into the pattern – go out of the pattern« / »in das Muster aktiv hinein bewegen und dann exzentrisch wieder hinaus«; assistives Öffnen der rechten Hand; Kommunikation: nonverbal; Aufgabenstellung: Ziel_Reflektion von »Ziehen« des Armes zum Rumpf und dem »Nicht-loslassen-können«; Loslassen der Armsenker und aktives exzentrisches Arbeiten der schulterumgebenden Muskulatur; Loslassen der Handflexoren, Öffnen der Hand für flaches Aufliegen auf der Unterstützungsfläche; kontrolliertes Drehen auf die rechte Seite erlernen, für die Umsetzung in den Alltag Drehen des Oberkörpers nach links, gegen stabile Hand rechts Methode_Aktivieren: hier selektives Bewegen Rumpf gegen stabilen Arm; Shaping: erarbeitete Länge der schulterumgebenden Muskulatur benutzen, für Drehen nach links; Repetition: wiederholende Drehbewegung Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, «light touch”; Kommunikation: verbales verzögertes Feedback; Aufgabengestaltung: Drehen von der rechten Hand weg Ziel_Reflektion von weniger Anstrengung für das Drehen auf die linke Seite und das »Mit-benutzen-können« der rechten Hand; eigenständiges Drehen auf die linke Seite; Hand benutzen als Orientierung im Raum Wahrnehmen und Annehmen der Unterstützungsfläche und Symmetrie, Vorbereitung für mobilen Arm Methode_Aktivieren von Aufmerksamkeit, Vorstellung von Bewegung; Shaping: annehmen der Unterstützungsfläche; Repetition: Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands off, Zeit geben; Kommunikation: verbales Lenken der Aufmerksamkeit; Aufgabenstellung: Spüren des Liegens auf der Unterlage, Vergleichen der Arme (Welcher Arm ist leichter oder schwerer? Wo liegt der Körper auf?); mentales Training: »Stell dir vor, du hebst den rechten Arm hoch!« Ziel_Vorstellung von Bewegung des rechten Armes, Bewegungsplanung 12 pt_Zeitschrift für Physiothe ra pe ute n_ 65 [2 0 13 ] 3 TITELBEITRAG Rechten Arm im Schwerkraftsfeld hoch heben, mobiler Arm gegen stabilen Rumpf Methode_Aktivieren: der Armheber; Shaping: Halten des Armes in der Gravitationslinie; Repetition: scapula-thorakale Bewegung bei gestrecktem Arm Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, Gewichte angepasst abnehmen, Länge zeigen, Bewegungsinitiierung abwarten; Kommunikation: nonverbal; Aufgabenstellung: den Arm anheben und lang machen Ziel_Reflektion von langem Arm und des Bewegens des Armes gegen die Schwerkraft; antizipatorische posturale Kontrolle Schultergürtel, oberer Rumpf und unterer Rumpf (selektive Rippen mit diagonaler oder gleichseitiger Anbindung zum Becken); Aktivieren der Armheber ohne Anhalten der Luft und Drücken des Kopfes nach unten, Bewegung als »leicht« erfahren Stabile Arme gegen mobilen Rumpf Methode_Aktivieren: Armheber; Shaping: Armheben bei geteilter Aufmerksamkeit und Gegenrotation; Repetition: Wiederholen der Bewegung in verschiedenen Tempos Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, langsam, experimentieren lassen, Gewichte justieren, rechte Hand stabilisieren an der Rolle; Kommunikation: Ablenkung durch »Erzählen«, dabei weiter die Rolle halten können; Aufgabengestaltung: Gegenstand (Rolle) in beiden Händen Richtung Decke halten, dabei die Beine nach rechts und links legen; Bewegung nicht anhalten, »trial and error«, schiefgehen lassen, neu finden, Atmung laufen lassen Ziel_Reflexion von Arm-Hand gegen die Schwerkraft bewegen können bei Teilung der Aufmerksamkeit und bewegtem Rumpf; Integration Arm in einen Bewegungsablauf, bei posturaler Kontrolle Rumpf; Motivation, einen Gegenstand mit der rechten Hand halten und bewegen zu können Vorbereiten für das Rollen nach vorne und hinten (»Päckchen machen«) Methode_Aktivieren: Koordination rechts / links; Shaping: Geschwindigkeit wechseln; Repetition: wiederholende rollende Bewegung bei immer größer werdendem Bewegungsausmaß Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, Sicherheit geben, Tempo variieren; Kommunikation: verbales Cueing, Aufmerksamkeit lenken auf die Hand am Knie und Loslassen von Rückenstreckern; Aufgabengestaltung: Körper zum Päckchen machen und langsam nach vorne und hinten rollen, Geschwindigkeit steigern Ziel_Körper-Körper- / Körper-Raum-Orientierung und Spaß an Bewegung; Motivation für Experimentieren, beide Körperseiten sollen angepasst symmetrisch arbeiten Vorbereiten für Rolle rückwärts Methode_Aktivieren von exzentrischer agonistischer Arbeit der Rückenstrecker; Shaping: unterstützende Fläche abbauen; Repetition: das »Päckchen« wiederholen unter anderem Schwerkraftseinfluss Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, für Bewegungsrichtung, Gewichte abnehmen, Zeit geben für Loslassen der Rückenmuskeln; Kommunikation: verzögertes verbales Feedback; Aufgabenstellung: in die »Kerze« gehen, dann beide Knie zu einem Ohr, Experimentieren, »trial and error«, selber den Bewegungsablauf finden Ziel_Rückenmuskulatur exzentrisch agonistisch loslassen lernen, rotatorische Verankerung oberen gegen unteren Rumpf; antizipatorische posturale Kontrolle oberer Rumpf / Schultergürtel für Armbewegung; Mobilisation obere Rippen, LWS, BWS, HWS; Spaß an Bewegung >>> pt_ Z e itschrift für Physiotherape uten_6 5 [201 3] 3 13 TITELBEITRAG Übergang Seitlage links zum Sitz Methode_Aktivieren von: Körper-Raum Orientierung; Shaping: Benutzen der erarbeiteten Stabilität und Körperorientierung für ein neues »postural set«; Repetition: Wiederholen für das Erkennen des Bewegungsablaufs Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands on, für stabile Referenz, Zeigen von Bewegungsablauf, »timing« der verschiedenen Bewegungskomponenten; Hands off, Experimentieren, »trial and error«, Bewegungsrichtung wechseln; Aufgabengestaltung: Hinsetzen Ziel_Transfer in andere Ausgangsstellung ohne Ziehen vom linken Arm; Reflexion des Handelns; Alternative suchen mit weniger Kompensation; Integration beider Körperseiten in dem Bewegungsübergang; Bewegungsplanung; Bewegung leicht machen; antizipatorische posturale Kontrolle Sitzen im Seitsitz Methode_Aktivieren: Aufmerksamkeit für den Bewegungsablauf; Shaping: - ; Repetition: Technik_Umfeldgestaltung: stabile Unterstützungsfläche; Fazilitation: Hands off; Aufgabengestaltung: mental die Bewegung von der Seitlage zum Sitz nachspüren Ziel_Bewegungsplanung ohne Anstrengung; senkrechte Haltung erlangen mit Rotation; Variationen lernen Übergang vom Sitz zum Stand Methode_Aktivieren: Aktivität der aufrichtenden Muskulatur bei gleicher Gewichtsverteilung auf die Füße; Shaping: Unterstützungsfläche verkleinern; Repetition: Wiederholen für das Erlernen des Bewegungsablaufes Technik_Umfeldgestaltung: Sitz auf stabiler Unterstützungsfläche in 45 cm Höhe: Fazilitation: Hands on, »light touch« für Hilfe bei der Initiierung und beim Bewegungstiming; Kommunikation: verzögertes verbales Feedback; Aufgabengestaltung: Aufstehen Ziel_Übertrag der gelernten posturalen Voraussetzungen in den Transfer Sitz - Stand als Voraussetzung für freies Stehen und Gehen; Fühlen von Stabilitäten und Gewichten im Schwerkraftsfeld; Vertikalität – Bodenreaktionskraft; Aufstehen ohne Ziehen des Armes in die Beugung als Resultat erfahren Gehen über Ampelübergang an befahrener Straße als Re-Befund Methode_Aktivieren: hier, Geschwindigkeit fordern; Shaping: Übertrag in den Alltag; Repetition: wiederholt die Straße überqueren Technik_Umfeldgestaltung: befahrene Straße mit Ampelanlage; Fazilitation: hands off; Kommunikation: verzögertes Feedback; Aufgabengestaltung: »Überquere die Straße während der Grünphase« Ziel_Übertrag des Gelernten in den Alltag; Erleben des Unterschieds »vor der Behandlung, nach der Behandlung«; Reflektieren der eigenen Leistung; Re-Befund (GAS) 14 pt_Zeitschrift für Physiothe ra pe ute n_ 65 [2 0 13 ] 3 TITELBEITRAG geht aber ohne Begleitung. Seit August 2012 arbeitet sie im Rahmen einer beruf- HANDS ON lichen Wiedereingliederungsmaßnahme Bevor der Therapeut dem Patienten spezifische sensorische Informationen gibt, benötigt als Arztsekretärin in Teilzeit, ihre Aufga- er selbst Informationen über dessen »Ist-Zustand«. Die dafür gewählte Ausgangsstellung ben beziehen sich in erster Linie auf des Patienten erschließt sich aus den Bewegungskomponenten, die am deutlichsten bei computergestützte Schreibarbeiten und der vorher durchgeführten Bewegungsanalyse (hier: im Gehen) von der Norm abweichen. auf den anfallenden Telefondienst. Kog- Der Therapeut vergleicht das »Gefühlte« mit dem bei der Bewegungsanalyse »Gesehe- nitive Einschränkungen liegen nicht vor. nen« und setzt dieses Wissen in Bezug zu dem für diese Behandlungseinheit formulierten Ihr Fernziel besteht darin, wieder als Ziel. Es wird der Frage nachgegangen, warum der Patient sich so bewegt, wie er sich Hebamme arbeiten zu können. Als Nah- bewegt. Welches Impairment (Funktionsstörung) hindert den Patienten daran, sein ziel formuliert sie im November 2012 die »Unauffälligkeit«: Sie möchte, dass ihr rechter Arm sich während des Gehens nicht beugt und somit für andere als Behinderung sichtbar ist (Abb. 1). Bei eigentliches Ziel zu erreichen? Welche Ressourcen sind vorhanden? Welche Körperabschnitte haben einen hohen Tonus, wird die Unterstützungsfläche adäquat angenommen? Wie stehen die Körperabschnitte im Verhältnis zueinander? Der Therapeut fühlt an der Reaktion des Patienten, ob die aufgelegten Hände gespürt werden (Sensorik). Wird die Aufmerksamkeit auf den betroffenen Körperabschnitt gelenkt, verändert sich der Atemrhythmus? (Kognition). Wie ist die Bereitschaft, auf die Hände des Therapeuten zu reagie- schnellerem Gangtempo stolpert sie und ren? (Motivation). Lässt sich der Patient über die Hände zu einer Bewegung aktivieren ist damit sturzgefährdet. oder ist er nur passiv? (Motorik). Wo ist Widerstand gegen eine Bewegungsrichtung, welcher Bewegungsablauf ist leichter? (Biomechanik). Posturale Kontrolle im Handlungskontext • durch Analyse des Bewegungsverhaltens (Beispiel: Lokomotion) Der zurzeit am häufigsten angewendete • durch Analyse von Variationsfähig- Therapieansatz, nämlich der nach dem keiten in den Bewegungsabläufen Bobath-Konzept, scheint den sich aus Bewegung planen, Problem lösen, Fehler machen, erkennen und expe- • durch Testverfahren rimentieren, Bewegungsgrenzen erfahren) (Strukturmodell: Prinzip) • Modifikation der Kompensations- der Literatur ergebenden Anforderun- 3. Identifikation des Lernpotenzials des gen an eine zielgerichtete Therapie sehr Patienten (kognitive Fähigkeiten wie: nahe zu kommen. Er verfolgt konse- Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten strategien (Strukturmodell: Prinzip) • Aktivierung, Shaping, Repetition quent den sensomotorischen Ansatz und und Bewegungsgrenzen, Aufmerk- fokussiert per definitionem die postura- samkeit, Motivation, Reflektion, Pla- • sensorische Informationen durch nung von Bewegungsabläufen, An- »Hands on«: Vibration, taktile Reize, strengungsbereitschaft) Gewichte abnehmen falls erforder- le Kontrolle im Handlungskontext. Dies heißt unter anderem: 4. Behandlung der Impairments mit fol- (Strukturmodell: Methode) lich, taktile cues, verbale cues, Um- genden Schwerpunkten: welt gestalten als Sicherheit und / geordnet zu dem Patientenziel (in die- • individuelle, am persönlichen Alltag oder Begrenzung, Umwelt variieren, sem Fallbeispiel: »Ich will nicht fal- orientierte Zielsetzung (bio-psycho- unterschiedliche Unterstützungsflä- len«), bezogen auf den persönlichen sozialer Ansatz) (Strukturmodell: Kontext Konzept) 1. Differenziertes Clinical Reasoning, zu- 2. Identifizierung der Kompensations- • aktive, ressourcenorientierte Thera- strategien des Patienten und der zu- pie, immer aufgabenbezogen (Struk- grunde liegenden Impairments (kognitive, emotionale, perzeptive, neuromuskuläre und biomechanische Fähigkeiten/Störungen): • durch Analyse des Bewegungsverhaltens (Beispiel: Sitz zum Stand) pt_ Z e itschrift für Physiotherape uten_6 5 [201 3] 3 chen (Strukturmodell: Technik) • Mobilisation der Körperabschnitte, die steif und wenig beweglich sind (Strukturmodell: Technik) • Aktivieren der konzentrischen und turmodell: Prinzip) • integriert in den individuellen Lern- exzentrischen agonistischen Muskeln, prozess des Patienten (Strukturmo- die an den Bewegungsabläufen be- dell: Prinzip) teiligt sind, in unterschiedlichen • interaktive Vorgehensweise, mit dem Patienten (kognitiv fordern, Bewegungsübergängen (z. B.: Rückenlage – Seitlage – Sitz / >>> 15 TITELBEITRAG ven Lernprozess zwischen Patient und ZUSATZSERVICE Therapeut und bedeutet nicht, dass die Folgebehandlung genauso abläuft oder Kurze, unbearbeitete Dokumentations-Videos aus dem Behandlungsverlauf auf dem YouTube-Kanal des Pflaum Verlags: http://www.youtube.com/user/PflaumVerlag1919 diese Therapiesequenzen eins zu eins auf andere Patienten übertragbar sind. Fazit Die Fotodokumentation der Behandlung einer jungen Patientin mit Schlaganfall zeigte auf, dass der sensomotorische Therapieansatz des Bobath-Konzepts die posturale Kontrolle (APAs) für Lokomotion positiv beeinflusst. Die Patientin ist jederzeit während der Behandlung in ihren Bewegungsabläufen reflektierend und experimentierend beteiligt. Sie er1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. lebt somit die Steigerungen der von Erarbeiten Transfer Rückenlage – Seitlage rechts Drehen des Oberkörpers nach links, gegen stabile Hand rechts Arm im Schwerkraftsfeld hochheben, mobiler Arm gegen stabilen Rumpf Stabile Arme gegen mobilen Rumpf Vorbereiten für das Rollen nach vorne und hinten (»Päckchen machen«) Übergang Seitlage links zum Sitz Übergang vom Sitz zum Stand Gehen über Ampelübergang an befahrener Straße als Rebefund ihr geforderten Leistungsfähigkeiten als notwendige und sinnvolle Teilabschnitte, um ihr persönliches Ziel zeitnah zu erreichen. Kompensationsstrategien, strukturelle und funktionelle Impairments (Funktionsstörungen) werden konsequent identifiziert, fokussiert mo- Sitz – Stand / Stand – Gehen) (Strukturmodell: Technik) • Ausdauer- und Krafttraining (Strukturmodell: Technik) modell: Technik) gungsabläufe werden in Teilabschnitten einer Serie von insgesamt 10 Behandlun- erarbeitet, um sie dann mit verbesserten dargestellt. Die Dokumentation soll die strukturierte Vorgehensweise innerhalb • eventuelle Hilfsmittel wie Schienen, Stock difiziert und behandelt. Ganze Bewe- gen (1 Heilmittelverordnung KG ZNS) • Eigenübungsprogramm (Struktur- Rollator, Im Folgenden wird eine Behandlungseinheit in Bildern, Videos und Text aus (Strukturmodell: Technik) a einer Bobath-Therapie zeigen und damit nicht zwangsweise den kompletten Reha-Verlauf der Patientin. Die Dokumentation erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern Dokumentation des Behandlungsverlaufs soll den klinischen Denk- und Entscheidungsprozess eines Bobath-Therapeuten transparenter machen. Als Messverfahren für eine Verlaufskon- Der Fokus in der beschriebenen The- trolle können verschiedene Assessments rapieeinheit liegt auf der zielgerichteten zur Anwendung kommen; zum Beispiel: Erarbeitung der posturalen Kontrolle Goal für die Lokomotion bei Frau J. Attainement Score, Dynamic Gait Index, 10-Meter-Walk-Test / Ganggeschwindigkeit. 16 Die Therapieeinheit bildet eine Mo- FÜR ABONNENTEN Eckhardt G: 2013. Posturale Kontrolle und die Bedeutung für das Sturzrisiko bei Patienten nach Schlaganfall. Teil 1: Verschiedene therapeutische Ansätze im Vergleich. Z f Physiotherapeuten 65, 1: 30-3: www.physiotherapeuten.de Webcode: 526 Eckhardt G: 2013. Posturale Kontrolle und die Bedeutung für das Sturzrisiko bei Patienten nach Schlaganfall. Teil 2: Ein Strukturmodell für das Bobath-Konzept. Z f Physiotherapeuten 65, 2: 32-6: www.physiotherapeuten.de Webcode: 527 mentaufnahme ab, zeigt den interakti- pt_Zeitschrift für Physiothe ra pe ute n_ 65 [2 0 13 ] 3 TITELBEITRAG Voraussetzungen wieder als Ganzes abzurufen. Repetition und Shaping-Elemente sorgen für den Übertrag in den Alltag, unterstützt durch ein individuelles Eigentrainingsprogramm des Patienten. – DANKSAGUNG Auf diesem Wege möchte sich die Autorin sehr bei der Patientin Frau J. für ihre Mitarbeit an diesem Artikel bedanken und ihr alles Gute für ihren weiteren Rehabilitationsverlauf wünschen; ihr Dank gilt außerdem Gerlinde Haase (Bobath- Senior-Instruktorin/ IBITA) und Dr. Kim Brock (Bobath-Instruktorin Australien/ IBITA) für die inhaltliche Unterstützung ABBILDUNGEN Alle Abbildungen dieses Beitrags von Gabriele Eckhardt ANMERKUNG a Zum Strukturmodell siehe Teil 2 dieses Artikels in pt2_2013 GABRIELE ECKHARDT PT, MSc. Neurorehab.; Bobath-Aufbaukurs-Instruktorin IBITA; Vorsitzende Verein der Bobath Instruktoren Deutschland und Österreich; GF und therap. Leitung Zentrum für Physiotherapie und ambulante Rehabilitation Haan, Solingen, Wuppertal; Leitung Bobath-Ausbildungszentrum Haan; Mitglied im Wissenschaftsbeirat der Vereinigung der Bobath-Therapeuten. Kontakt: [email protected] pt_ Ze itschrift für Physiotherape uten_6 5 [201 3] 3 17