Welche Rolle spielten die Banken in den Wirtschaftskrisen der letzten Jahre? Was führt zum hohen Wirtschaftswachstum in China? Warum ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz im internationalen Vergleich so tief? Die Fragen an die Volkswirtschaftslehre sind ebenso wichtig wie vielfältig. «Volkswirtschaftslehre: Eine Einführung für die Schweiz» zeigt, dass sich mithilfe einiger weniger volkswirtschaftlicher Denkmodelle derartige Fragen kompetent beantworten lassen. Alle wichtigen Gebiete der Volkswirtschaftslehre werden in diesem Werk mit denselben Grundkonzepten erläutert. Auf dieser Basis werden die Erkenntnisse dann auf die konkrete Situation der Schweiz und ihr internationales Umfeld angewendet. « ‹Volkswirtschaftslehre› richtet sich an Personen ohne entsprechende Vorbildung. Es ist geeignet als Lehrbuch an Hochschulen, aber auch zum Selbststudium – und sei deshalb auch Politikern zur Lektüre empfohlen.» – Finanz und Wirtschaft «Der Leser wird stets freundlich an der Hand genommen und mit vertiefenden Erklärungen oder stringenten Definitionen versorgt. Und am Ende jedes Kapitels mit Kontrollfragen geprüft, bevor man ihn weiterschickt. Alles in allem: ein sehr gelungenes Lehrbuch. Übrigens auch als Nachhilfeunterricht für Profis geeignet – und solche, die sich dafür halten.» – Bilanz «Eine Stärke des Buches ist es, dass es oft als kompliziert wahrgenommene wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich und dennoch kompetent erklärt. [Es] gelingt dem Buch das wohl Wichtigste: zu zeigen, wie spannend ökonomische Zusammenhänge sein können, ohne das Interesse der Leser in einem Formelsalat zu ersticken.» – NZZ Volkswirtschaftslehre Zum Inhalt Aymo Brunetti Weitere Materialien zu diesem Buch: www.hep-verlag.ch/vwl Volkswirtschaftslehre Eine Einführung für die Schweiz Zum Autor Aymo Brunetti ist ordentlicher Professor für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomie sowie geschäftsführender Direktor des Center of Regional Economic Development (CRED) an der Universität Bern. Zuvor leitete er bis Februar 2012 die Direktion für Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. In Lehre und Praxis befasst er sich seit Jahren intensiv mit der Analyse der nationalen und internationalen wirtschaftlichen Entwicklung. Aymo Brunetti Dritte, vollständig überarbeitete Auflage Vorwort Die Grundlagen der Volkswirtschaftslehre zu vermitteln, ist für mich eindeutig die interessanteste Herausforderung der ökonomischen Lehrtätigkeit. Wie kann man die wichtigsten Konzepte dieses breiten Themenbereichs erläutern, ohne gleichzeitig das Publikum mit Detailinformationen zu überfahren? Auf welche Aspekte konzentriert man sich, welche sind für das grundlegende Verständnis nicht unbedingt notwendig? Und wie erklärt man auf motivierende Art und Weise den grossen Nutzen ökonomischer Denkmodelle für die Analyse so zentraler Phänomene wie dem Reichtum von Ländern oder der Höhe der Arbeitslosigkeit? In den letzten gut zehn Jahren fanden sich zahlreiche Gelegenheiten, mich dieser faszinierenden Herausforderung zu stellen. Im Rahmen von volkswirtschaftlichen Einführungsveranstaltungen an den Universitäten Basel, Bern und Saarbrücken sowie in verschiedenen Weiterbildungskursen konnte ich zahlreiche Studentinnen und Studenten zum ersten Mal mit den wichtigsten Konzepten der Volkswirtschaftslehre vertraut machen. Auch nach meinem Wechsel in die Bundesverwaltung war es mir weiterhin möglich, diese Tätigkeit in reduziertem Rahmen – dafür aber ergänzt durch unmittelbare Einblicke in die wirtschaftspolitische Praxis – fortzusetzen. Im Laufe der Zeit habe ich dabei immer wieder neue Methoden ausprobiert, wie man den Stoff möglichst interessant und intuitiv verständlich vermitteln könnte. Inzwischen haben diese Bemühungen einen Stand erreicht, bei dem ich es wagen möchte, das Ergebnis in Form des vorliegenden Buches zu publizieren. Dieses Projekt wäre nicht denkbar gewesen ohne das ausserordentlich befruchtende Umfeld, in dem ich tätig sein konnte und kann. Dabei möchte ich zunächst einmal die Studentinnen und Studenten nennen, von denen ich in den verschiedenen Lehrveranstaltungen eine grosse Anzahl von Anregungen erhalten habe und von deren Reaktionen ich sehr viel lernen konnte. Besonders hervorzuheben sind hier die Studierenden in meiner Berner Vorlesung vom Sommersemester 2006, die eine Rohfassung des Buches als Skript erhielten und die mir auf dieser Basis zahlreiche hilfreiche Rückmeldungen gaben. Ich hatte aber auch immer das Glück, mit aussergewöhnlich kompetenten Ökonominnen und Ökonomen zusammenzuarbeiten, sowohl an der Universität als auch in den letzten Jahren in der Bundesverwaltung und dort insbesondere im Staatssekretariat für Wirtschaft. In unzähligen Fällen haben mir Diskussionen mit ihnen die Augen geöffnet, gerade auch im Hinblick darauf, wie man ökonomische Sachverhalte noch klarer und verständlicher darstellen kann. Den Studentinnen und Studenten sowie meinen Kolleginnen und Kollegen möchte ich für diese Beiträge danken. 7 8 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e Einige Kollegen haben sich – trotz ihrer zahlreichen anderen Verpflichtungen – bereit erklärt, das Manuskript zu kommentieren, wofür ich ­ihnen herzlich danke. Zu einzelnen Kapiteln erhielt ich detaillierte und ausgesprochen hilfreiche Hinweise von Marcel Savioz, Peter Stalder, Ludwig Gärtner, Philippe Gugler, Bruno Jeitziner, Arthur Mohr und George Sheldon. Peter Moser und Boris Zürcher nahmen sich die Zeit, das gesamte Manuskript durchzulesen und gaben mir zahlreiche sehr gute Hinweise und Verbesserungsvorschläge. Besonders hervorheben möchte ich die Beiträge von zwei Personen. Pius Matter, mein Lehrassistent an der Universität Bern, hat mich bei der Erarbeitung des Manuskripts stark unterstützt. Seine kompetenten Kommentare möchte ich dabei ebenso unterstreichen wie seine Beiträge für die ­Grafiken und das Glossar. Beatrice Sager, die Projekt­leiterin bei der hep verlag ag, hat mit ihrer Kompetenz und ihrem aussergewöhnlichen Engagement massgeblich dazu beigetragen, dass dieses komplexe Unterfangen Publikationsreife erreichte. Sie und das gesamte Team beim Verlag haben mir eine ausgesprochen professionelle Unterstützung zuteil werden lassen. Ich hoffe, dass das Buch den Leserinnen und Lesern zumindest ansatzweise das Vergnügen vermitteln kann, das mir die Beschäftigung mit dieser Materie über die Jahre bereitet hat. Für Rückmeldungen in Form von Fragen, Anregungen, Kommentaren … bin ich sehr dankbar. Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang auch die Website des Verlages (www.hepverlag.ch/vwl). Aymo Brunetti, 2006 Vorwort zur 3. Auflage Das vorliegende Lehrbuch wurde 2006 erstmals publiziert. 2009 folgte eine zweite Auflage, die gegenüber der ursprünglichen Version ausser einer Aktualisierung der Daten kaum Anpassungen enthielt. Zum Zeitpunkt der Schlussredaktion der zweiten Auflage Ende 2008 zeichnete sich bereits ab, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise ein einschneidendes Ereignis darstellte. Aber es war noch zu früh, um zu beurteilen, wie nachhaltig die Effekte sein würden und was dies für die ökonomische Grundausbildung bedeuten würde. Inzwischen wissen wir, dass diese Krise zum tiefsten weltweiten Einbruch der Wirtschaftsentwicklung in Friedenszeiten seit der grossen Depression der 1930er-Jahre geführt hat und dass V o r w o r t uns die Nachwirkungen wohl noch einige Zeit beschäftigen werden. Eine Einführung in die Volkswirtschaftslehre muss sich mit diesem Ereignis vertieft auseinandersetzen, und entsprechend wurde dieses Lehrbuch mit der vorliegenden dritten Auflage substanziell überarbeitet. Die Überarbeitung änderte dabei nichts am Grundkonzept des Buches. Nach wie vor folgt der Aufbau nicht der traditionellen Unterteilung in Mikro- und Makroökonomie, sondern orientiert sich an den wichtigsten gesamtwirtschaftlichen Themen. Zu den vier in den bisherigen Auflagen behandelten volkswirtschaftlichen Zielgrössen (Wohlstand, tiefe Arbeitslosigkeit, Preisstabilität und nachhaltige Staatsfinanzen) wurde aber mit der Finanzmarktstabilität eine fünfte hinzugefügt. In zwei vollständig neuen Kapiteln werden einerseits die Besonderheiten von Banken sowie ihre Risiken erläutert und andererseits die wichtigsten Ereignisse und Zusammenhänge der grossen Finanzkrise diskutiert. An verschiedenen anderen Stellen des Buches werden zudem ausgewählte, für die Ereignisse der letzten Jahr wichtige Aspekte behandelt, wie etwa die Entstehung der Ungleichgewichte im Euroraum oder die Bekämpfung der Finanzkrise in der Schweiz. Dank diesen Anpassungen finden sich in diesem Buch nun auch die wichtigsten Konzepte zum Verständnis der krisenhaften Ereignisse der letzten Jahre. Um der Tendenz entgegenzuwirken, Lehrbücher mit jeder Überarbeitung deutlich umfangreicher zu machen, wurden auch gewisse Kürzungen vorgenommen. Die wichtigste Straffung betrifft die Behandlung der Marktversagen «Monopolmacht» und «externe Effekte». Die beiden Themen wurden in das neue Kapitel 3 «Der Staat und die Marktwirtschaft» integriert. Für Leserinnen und Leser, die eine ausführlichere Behandlung dieser beiden Themen bevorzugen, sind die beiden entsprechenden Kapitel in der Version der zweiten Auflage auf der Website des Werkes unter www.hep-verlag.ch/vwl aufgeschaltet. Ebenfalls auf der Homepage finden sich die Antworten auf die Repetitionsfragen am Ende jedes Kapitels. Für die grosse und äusserst kompetente Unterstützung bei der Erarbeitung dieser dritten Auflage möchte ich dem Projektleiter des Verlages, Manuel Schär, herzlich danken. Ich schätze die unkomplizierte Zusammenarbeit mit ihm und dem gesamten Verlagsteam ausserordentlich. Aymo Brunetti, 2013 9 10 Inhaltsübersicht Einleitung 1 Themen und Akteure im Überblick IWohlstand 2 3 4 5 Preismechanismus und Marktwirtschaft Der Staat und die Marktwirtschaft Internationale Arbeitsteilung Langfristiges Wachstum IIArbeitslosigkeit 6Sockelarbeitslosigkeit 7 Konjunktur und Arbeitslosigkeit IIIPreisstabilität 8 Inflation und Deflation 9Geld 10Wechselkurse IVStaatsfinanzen 11 12 Finanzierung der Staatstätigkeit Einkommensverteilung und Sozialwerke VFinanzmarktstabilität 13Banken 14 Die grosse Finanzkrise VIGrundkonzepte 15 16 Grundlagen der Mikroökonomie Grundlagen der Makroökonomie Inhaltsverzeichnis 11 Einleitung 19 Zielpublikum und Methode Aufbau Alternativer Lehrplan mit Unterteilung in Mikro- und Makroökonomie 19 20 1 Themen und Akteure im Überblick 1.1 Die wichtigsten volkswirtschaftlichen Themen 1.1.1 Die gesamtwirtschaftlichen Zielgrössen 1.1.2 Der Zusammenhang zwischen den gesamtwirtschaft lichen Zielgrössen 1.2 Die Entwicklung der wichtigsten volkswirtschaftlichen ­Daten für die Schweiz 1.2.1Wohlstand 1.2.2Arbeitslosigkeit 1.2.3Preisstabilität 1.2.4Staatsfinanzen 1.2.5Finanzmarktstabilität 1.3 Akteure und Märkte: Der Wirtschaftskreislauf 1.3.1 Der einfache Wirtschaftskreislauf 1.3.2Märkte 1.3.3 Der erweiterte Wirtschaftskreislauf 24 25 26 26 31 33 33 37 40 42 45 47 47 49 50 IWohlstand 2 Preismechanismus und Marktwirtschaft 2.1 Entscheide in Knappheitssituationen 2.2 Marktwirtschaft versus Planwirtschaft 2.3 Die zentrale Rolle der Preise in einer Marktwirtschaft 2.4 Kosten von Preiseingriffen und das mikroökonomische Grundmodell 2.4.1 Eine Kurzbeschreibung des mikroökonomischen ­ Grundmodells 2.4.2 Vollständige Konkurrenz 2.4.3 Wohlfahrtseinbussen durch Preiseingriffe 2.5 Effizienz und Wachstum 57 59 61 63 66 67 69 70 75 12 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e 3 Der Staat und die Marktwirtschaft 81 3.1 Garantie von Eigentums- und Vertragsrechten 3.2 Marktversagen I: Monopolmacht 3.2.1 Worin besteht das Marktversagen? 3.2.2 Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? 3.2.3 Die Rolle des Staates 3.3 Marktversagen II: Externe Effekte 3.3.1 Worin besteht das Marktversagen? 3.3.2 Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? 3.3.3 Die Rolle des Staates 3.4 Marktversagen III: Öffentliche Güter 3.4.1 Worin besteht das Marktversagen? 3.4.2 Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? 3.4.3 Die Rolle des Staates 3.5 Marktversagen IV: Asymmetrische Information 3.5.1 Worin besteht das Marktversagen? 3.5.2 Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? 3.5.3 Die Rolle des Staates 3.6 Staatsversagen I: Ineffiziente Regulierungen 3.7 Staatsversagen II: Die politische Ökonomie 3.7.1 Anreize für Politiker und Verwaltung 3.7.2 Interessengruppen und Rentseeking 83 84 84 87 89 92 92 94 95 99 99 100 101 102 102 104 106 106 108 108 109 4 115 4.1 Internationale Arbeitsteilung Spezialisierung und komparative Vorteile 4.1.1 Spezialisierung und Marktgrösse 4.1.2 Das Prinzip des komparativen Vorteils 4.2 Wohlfahrtseffekte internationalen Handels 4.3Protektionismus 4.3.1 Wohlfahrtsverluste durch Zölle 4.3.2 Politische Ökonomie des Protektionismus 4.3.3 Formen der Handelsliberalisierung 4.3.4 Der Protektionismus wird raffinierter 4.4 Regionale wirtschaftliche Integration 4.4.1 Wohlfahrtseffekte von Integrationsräumen 4.4.2 Formen der Integration 4.4.3 Die europäische Integration 4.5 Schweizer Aussenwirtschaftspolitik 4.5.1 Grundpfeiler der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik 4.5.2 Schweizer Integrationspolitik 117 117 118 120 124 124 126 127 128 131 131 136 138 142 142 147 i n h a l t s v e r z e i c h n i s 5 Langfristiges Wachstum 5.1 5.2 5.3 5.4 Die Bedeutung des Wirtschaftswachstums Wachstum gleich Konjunkturaufschwung? Die Quellen des Wachstums Die entscheidende Rolle des technischen Fortschritts 5.4.1 Die «unendliche» Ressource 5.4.2 Ein ganz spezielles Gut 5.4.3Patentschutz 5.5Wachstumspolitik 5.6 Wachstum und Wachstumspolitik in der Schweiz 5.6.1 Das langfristige Schweizer Wirtschaftswachstum 5.6.2 Wachstumsquellen der Schweiz 5.6.3 Schweizer Wachstumspolitik 155 156 158 159 162 162 164 167 169 172 173 175 177 IIArbeitslosigkeit 6Sockelarbeitslosigkeit 187 6.1 6.2 189 191 Die wichtigsten Kenngrössen des Arbeitsmarktes Analyse der strukturellen Arbeitslosigkeit 6.2.1 Beschäftigungsrückgang versus steigende Arbeitslosigkeit 6.2.2 Die Entstehung struktureller Arbeitslosigkeit Erklärungsfaktoren für die strukturelle Arbeitslosigkeit 6.3.1 Regulierungen des Arbeitsmarktes 6.3.2 Aus- und Weiterbildung Friktionelle Arbeitslosigkeit Geht uns die Arbeit aus? Schweizer Arbeitsmarktpolitik 6.6.1 Die Regulierung des Schweizer Arbeitsmarktes 6.6.2 Berufslehre und Jugendarbeitslosigkeit 6.6.3 Die Arbeitslosenversicherung 191 194 197 197 200 201 201 205 205 207 208 7 Konjunktur und Arbeitslosigkeit 215 7.1 Konjunkturelle Arbeitslosigkeit und das makroökonomische Grundmodell 7.1.1 Eine Kurzbeschreibung des makroökonomischen ­Grundmodells 7.1.2 Konjunkturelle Arbeitslosigkeit 6.3 6.4 6.5 6.6 217 217 219 13 14 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e 7.2 7.3 7.4 Konjunkturpolitik221 7.2.1 «Nichts tun»: Anpassung ohne aktive Konjunkturpolitik 221 7.2.2 Aktive Konjunkturpolitik 224 229 7.2.3 Automatische Stabilisatoren Probleme einer aktiven Konjunkturpolitik 231 7.3.1 Wirkungsverzögerungen (Lags) 231 233 7.3.2 Politische Ökonomie von Konjunkturzyklen Schweizer Konjunkturpolitik 236 7.4.1 Geldpolitik und Konjunktur 236 7.4.2 Fiskalpolitik und Konjunktur 237 7.4.3 Die Schweizer Konjunkturpolitik in der Finanzund Wirtschaftskrise 240 IIIPreisstabilität 8 Inflation und Deflation 247 8.1 Erklärung der Inflation 8.1.1 Entstehung von Inflation 8.1.2 Geldpolitik und Inflation: Die Quantitätsgleichung 8.1.3 Staatsfinanzen und Inflation Kosten der Inflation Kosten der Inflationsbekämpfung 8.3.1 Effekte auf die Konjunktur 8.3.2 Effekte auf die Arbeitslosigkeit: Die Phillips-Kurve 8.3.3 Die selbstverstärkende Wirkung tiefer Inflation Entstehung und Kosten der Deflation 8.4.1 Was ist Deflation? 8.4.2 Persistenz der Deflation 8.4.3 Bekämpfung der Deflation 248 248 252 256 257 260 261 262 264 266 267 269 272 8.2 8.3 8.4 9Geld 275 9.1 276 276 277 281 281 283 284 9.2 Funktionen und Entstehung von Geld 9.1.1 Wozu ist Geld notwendig? 9.1.2 Wer schafft Geld? Instrumente der Geldpolitik 9.2.1Offenmarktpolitik 9.2.2 Diskontpolitik 9.2.3Mindestreservepolitik i n h a l t s v e r z e i c h n i s 9.3 9.4 Geldpolitische Strategien 285 9.3.1 Welche Zielgrösse für die Geldpolitik? 285 9.3.2Wechselkursziele 288 289 9.3.3Geldmengenziele 9.3.4Inflationsziele 290 Die Schweizer Geldpolitik 290 290 9.4.1 Mandat der Schweizerischen Nationalbank (SNB) 9.4.2 Geldpolitische Strategien der SNB in der Nachkriegszeit 292 9.4.3 Das geldpolitische Konzept der SNB 295 10Wechselkurse 303 10.1 Wechselkurskonzepte und flexible Wechselkurse 10.1.1 Nominale Wechselkurse 10.1.2 Reale Wechselkurse 10.1.3 Effekte der Geldpolitik auf nominale und reale Wechselkurse 10.2 Fixe Wechselkurse 10.2.1 Funktionsweise und Vorteile 10.2.2 Kosten und Gefahren 10.3 Das Europäische Währungssystem (EWS) 10.3.1 Entwicklung der monetären Integration in Europa 10.3.2 Inflationskonvergenz im EWS 10.3.3 Die EWS-Krise von 1992: Spekulative Attacken auf fixe Wechselkurse 10.4Währungsunionen 10.4.1 Fixkurssysteme versus Währungsunionen 10.4.2Optimale Währungsräume 10.5 Die Europäische Währungsunion (EWU) 10.5.1 Entstehung der EWU und die Konvergenzkriterien 10.5.2 Die Quellen der Eurokrise 305 305 306 307 311 311 312 314 314 315 318 322 322 323 325 325 327 IVStaatsfinanzen 11 Finanzierung der Staatstätigkeit 339 11.1 Formen von Staatseinnahmen 11.1.1Steuern 11.1.2Verschuldung 11.1.3Inflationssteuer 340 340 341 342 15 16 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e 11.2Steuern 11.2.1 Steuern als verzerrende Preiseingriffe 11.2.2 Die Höhe der Wohlfahrtsverluste durch Steuern 11.2.3 Wer bezahlt die Steuern? 11.3Staatsverschuldung 11.3.1 Staatsverschuldung im Inland und im Ausland 11.3.2 Vorteile der Staatsverschuldung 11.3.3 Nachteile der Staatsverschuldung 11.3.4 Warum steigt die Staatsverschuldung tendenziell an? 11.4 Schweizer Staatsfinanzen 11.4.1 Die wichtigsten Steuern 11.4.2 Der ausgeprägte Finanzföderalismus 11.4.3 Die Schuldenbremse 343 343 346 350 353 353 355 357 359 360 360 364 367 12 373 Einkommensverteilung und Sozialwerke 12.1 Effizienz und Verteilung 12.2 Einkommensverteilung und Umverteilung 12.2.1 Die Messung der Einkommensverteilung 12.2.2 Arten der Umverteilung 12.3 Die drei Säulen der Schweizer Altersvorsorge 12.4 Bevölkerungsalterung und die erste Säule 12.4.1 Die demografische Herausforderung 12.4.2 Lösungsmöglichkeiten für das Finanzierungsproblem 12.5 Herausforderungen für die zweite Säule 12.5.1 Der Mindestzinssatz 12.5.2 Der Umwandlungssatz 12.5.3 Ähnlichkeiten der Finanzierungsprobleme von erster und zweiter Säule 374 375 375 378 382 384 384 385 389 390 392 393 VFinanzmarktstabilität 13 Banken 399 13.1 Finanzmärkte und die Rolle von Banken 13.1.1 Finanzmärkte versus Banken 13.1.2 Die volkswirtschaftliche Rolle von Banken 13.2 Warum sind Banken ganz spezielle Unternehmen? 401 401 403 405 i n h a l t s v e r z e i c h n i s 13.3 Die wichtigsten Bankgeschäfte 407 13.3.1 Die Kreditvergabe 407 13.3.2 Andere Bankgeschäfte 408 409 13.4 Die Risiken des Bankgeschäfts 13.4.1 Wenn die Finanzierung austrocknet: Das Liquiditätsrisiko 410 13.4.2 Wenn der Wert von Krediten oder Wertpapieren fällt: Solvenzrisiken 410 13.5Bankenregulierung 411 13.5.1 Eigenkapitalvorschriften zur Eindämmung des Konkursrisikos 411 13.5.2 Liquiditätsvorschriften zur Vermeidung von Bank-Runs 414 13.5.3 Makroprudentielle Vorschriften und die Eindämmung des Too-big-to-fail-Problems 415 13.6 Bankenregulierung in der Schweiz 417 13.6.1 Mikroprudentielle Aufsicht durch die FINMA 418 13.6.2 Makroprudentielle Aufsicht durch die SNB 418 14 Die grosse Finanzkrise 14.1 Der US-Häusermarkt als Ursprung der Krise 14.1.1 Der Aufbau von Ungleichgewichten in den USA 14.1.2 Die Immobilienkrise in den USA 14.2 Die weltweite Bankenpanik 14.2.1 Der Verlauf der Bankenkrise 14.2.2 Die Mechanik der grossen Bankenkrise 14.3 Die Eurokrise – auch eine Bankenkrise 14.3.1 Der Ausbruch der Eurokrise 14.3.2 Warum eine zweite Bankenkrise drohte 14.4 Die wirtschaftspolitische Bekämpfung der Finanzkrise 14.4.1 Das Liquiditätsproblem: Die Zentralbanken übernehmen den Geldmarkt 14.4.2 Das Solvenzproblem: Die wichtigsten Formen der Bankenrettung 423 424 424 427 428 428 431 436 437 439 441 441 443 17 18 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e VIGrundkonzepte 15 Grundlagen der Mikroökonomie 15.1Märkte 15.2 Die Nachfrage 15.2.1 Die Nachfragekurve 15.2.2 Verschiebung der Nachfragekurve 15.2.3 Nutzen und Konsumentenverhalten: Die Basis der Nachfragekurve 15.3 Das Angebot 15.3.1 Die Angebotskurve 15.3.2 Verschiebung der Angebotskurve 15.3.3 Kosten und Unternehmensverhalten: Die Basis der Angebotskurve 15.4 Zusammenwirken von Angebot und ­Nachfrage: Der Markt 15.5 Die Elastizität 15.5.1 Was versteht man unter der Elastizität? 15.5.2 Was bestimmt die Elastizität? 15.6 Die Analyse der Effizienz von Märkten 15.6.1 Die Konsumentenrente 15.6.2 Die Produzentenrente 15.6.3 Gesamtwirtschaftliche Rente und Effizienz 16 Grundlagen der Makroökonomie 16.1 16.2 16.3 453 454 456 456 458 460 464 464 465 466 470 473 473 475 476 477 478 480 483 Angebot und Nachfrage in der Makroökonomie Die aggregierte Nachfrage Das aggregierte Angebot und die Frage der Preisflexibilität 16.3.1 Preise in der langen und der kurzen Frist 16.3.2 Die lange Frist 16.3.3 Die kurze Frist 16.4 Die kurzfristige aggregierte Angebotskurve 16.5 Das gesamtwirtschaftliche Grundmodell 16.5.1 Das makroökonomische Gleichgewicht 16.5.2 Von der kurzen zur langen Frist 16.5.3Rekapitulation 485 487 491 491 492 494 496 498 498 499 501 Glossar 505 Stichwortverzeichnis 525 Einleitung Dieses Buch verfolgt zwei Ziele. Erstens und vor allem möchte es das Interesse an volkswirtschaftlichen Zusammenhängen wecken und zeigen, wie viele wichtige wirtschaftliche Phänomene man mithilfe einiger weniger Konzepte der Volkswirtschaftslehre verstehen kann. Zweitens will es der Leserin und dem Leser einen relativ umfassenden Einstieg in die wichtigsten Gebiete der Volkswirtschaftslehre vermitteln. Dabei wird besonders darauf geachtet, die zentralen Konzepte möglichst einfach zu erklären und jeweils an konkreten Beispielen vor allem aus der Schweizer Wirtschaft anzuwenden. Zielpublikum und Methode Das Buch richtet sich an Personen ohne volkswirtschaftliche Vorkenntnisse, die sich vertiefter mit dem Thema befassen möchten. Es wird deshalb konsequent darauf verzichtet, Konzepte oder Modelle umfassend herzuleiten und zu formalisieren; vielmehr ist es das erklärte Ziel, jeweils die intuitiv verständlichste Darstellung zu verwenden. Trotzdem sollen die Leserinnen und Leser am Schluss natürlich mehr wissen als ein interessierter Laie, der regelmässig die Wirtschaftsseiten einer Tageszeitung konsultiert. Aus diesem Grund bietet das Buch keine Wirtschaftskunde im Sinne einer reinen Beschreibung, sondern versucht zu zeigen, was für ein machtvolles Instrumentarium die Volkswirtschaftslehre für die Analyse komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge bereithält. Schon das Verständnis weniger, einfacher Denkmodelle erlaubt es, viel mehr vom Wirtschaftsgeschehen einzuordnen, als wenn man Hunderte von Seiten mit Fakten auswendig lernen würde. Dabei beschränken wir uns auf ein Minimum an Konzepten, die im Text jeweils überblicksartig erläutert werden; im letzten Teil des Buches finden Interessierte aber auch detailliertere Darstellungen. Um die genannten Ziele zu erreichen, ist das Buch wie folgt konzipiert. Ers­tens werden die Themen immer mithilfe einfacher Konzepte analytisch erörtert; gleichzeitig ist die Diskussion aber stets auf die konkrete Anwendung ausgerichtet. Zweitens wird darauf verzichtet, für jede Fragestellung jeweils neue methodische Instrumente einzuführen. Vielmehr werden so gut wie alle Analysen anhand von zwei grafischen Grundmodellen vorgenommen – eines für die Diskussion einzelner Märkte (Mikroökonomie) und eines für die Darstellung gesamtwirtschaftlicher Phänomene (Makroökonomie). Es handelt sich dabei um die beiden in der volkswirtschaftlichen Lehre mit Abstand am häufigsten verwendeten Modelle. Drittens 19 20 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e verwendet das Lehrbuch nicht die klassische Unterteilung in Mikro- und Makroökonomie. Vielmehr folgt die Struktur den wichtigsten wirtschaftspolitischen Themenbereichen, und es wird je nach Thema das mikro- oder das makroökonomische Grundmodell angewendet. Viertens steht der Bezug zur Schweiz und zu ihrem internationalen Umfeld im Zentrum der konkreten Anwendungen. Bei der Diskussion der verschiedenen Themen versuchen wir, so weit wie möglich immer nach dem gleichen Schema vorzugehen: Zunächst wird ein Phänomen konzeptionell analysiert. Dann wird gezeigt, wie sich die Wirtschaftspolitik in diesem Bereich auswirkt. Und schliesslich wenden wir die Analyse auf die jeweilige Situation in der Schweiz an. Der Text ist mit zwei didaktischen Elementen ergänzt. Einerseits werden die für die jeweilige Thematik wichtigsten Begriffe bei ihrer ersten Verwendung am Seitenrand definiert. Diese Definitionen bilden, ergänzt durch die Erklärung zahlreicher zusätzlicher Begriffe, das Glossar am Ende des Buches. Andererseits sind immer wieder vertiefende Boxen eingestreut, die in zwei Kategorien unterteilt sind. Eine «Technische Box» erläutert analytische Konzepte genauer oder gibt mehr Informationen zu den verwendeten Daten. Eine «Vertiefung» liefert mehr Details zu im Haupttext eher knapp gehaltenen Erläuterungen. Jedes Kapitel endet mit einer Zusammenfassung, listet noch einmal die wichtigsten Begriffe auf und stellt eine Reihe von Fragen, die es Leserinnen und Lesern erlauben, ihr Verständnis der wichtigsten Kapitelinhalte zu überprüfen. Aufbau Nach einem einleitenden Kapitel, das einen Überblick vermittelt, umfasst das Lehrbuch insgesamt sechs Teile. Jeder der ersten fünf Teile behandelt eines der zentralen Themen der Volkswirtschaftslehre. Der sechste, methodische Teil dagegen enthält eine detailliertere Präsentation der beiden ökonomischen Grundmodelle, die im ganzen Buch für die Analyse der verschiedenen Themen eingesetzt werden. Die ausführlichere Diskussion der beiden Modelle ergänzt die überblicksartige Einführung dieser Konzepte in den Kapiteln 2 und 7, in denen sie erstmals verwendet werden. Sie ist gedacht für Leserinnen und Leser, die eine schrittweise Herleitung der mikro- und makroökonomischen Konzepte bevorzugen oder mehr zu den E I N L E I T U N G Hintergründen dieser Modelle wissen möchten; für das Verständnis der Anwendungen im Buch ist ihre Lektüre aber nicht unbedingt notwendig. Im einleitenden Kapitel 1 werden die fünf zentralen Themen der volkswirtschaftlichen Debatten präsentiert: Wohlstand, Arbeitslosigkeit, Preisstabilität, Staatsfinanzen und Finanzmarktstabilität. Aus den Themen lassen sich auch direkt die Ziele ableiten, an denen sich die Wirtschaftspolitik orientiert, nämlich: ▶ hoher Wohlstand, ▶ tiefe Arbeitslosigkeit, ▶ stabiles Preisniveau, ▶ nachhaltige Staatsfinanzierung, ▶ stabiles Finanzsystem. Jedem der fünf zentralen Themen, aus denen sich diese Ziele ableiten lassen, ist ein Teil dieses Buches gewidmet. Das Kapitel 1 zeigt ausserdem, wie sich die Situation der Schweiz in diesen fünf Bereichen entwickelt hat und wie sie sich im internationalen Vergleich präsentiert. Zudem werden in diesem Kapitel die wichtigsten stilisierten Akteure der Volkswirtschaftslehre und ihr Zusammenwirken erläutert. Teil I umfasst die Kapitel 2 bis 5. Er widmet sich dem Ziel des wirtschaftlichen Wohlstands und damit der Grundfrage der Volkswirtschaftslehre: Wie lassen sich die knappen Ressourcen möglichst effizient einsetzen? ­Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Rolle der Preise in einer Marktwirtschaft. Im Wesentlichen geht es hier darum, die Grundidee des berühmtesten Bildes der Ökonomie zu erläutern – der «unsichtbaren Hand» von Adam Smith. Dabei wird das mikroökonomische Grundmodell in groben Zügen erklärt und erstmals verwendet. Kapitel 3 zeigt, dass auch in einer Marktwirtschaft der Staat eine wichtige Rolle spielt. Wir berücksichtigen dabei die Bekämpfung von Marktversagen ebenso wie die Gefahr von Staatsversagen. In Kapitel 4 gehen wir dem zweiten zentralen marktwirtschaftlichen Grundprinzip nach, nämlich der Spezia­lisierung. Wir betrachten die Rolle der Arbeitsteilung im Allgemeinen, um sie dann am Beispiel des internationalen Handels zu konkretisieren. Kapitel 5 ist schliesslich dem langfristigen Wachstum gewidmet. Das Augenmerk liegt hier insbesondere auf dem technischen Fortschritt, der den mit Abstand wichtigsten Bestimmungsfaktor des langfristigen Wachstumstrends einer Volkswirtschaft darstellt. 21 22 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e Teil II beleuchtet in den Kapiteln 6 und 7 das Ziel tiefer Arbeitslosigkeit. Gleich zu Beginn werden die beiden konzeptionell sehr unterschiedlichen Formen von Arbeitslosigkeit unterschieden: die Sockelarbeitslosigkeit und die konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Beiden ist jeweils ein Kapitel gewidmet. Kapitel 6 befasst sich mit der Sockelarbeitslosigkeit, deren Ursachen in der Funktionsfähigkeit und insbesondere der Art der Regulierung des Arbeitsmarktes liegen und die nicht von der Konjunkturlage bestimmt wird. In Kapitel 7 führen wir die konjunkturelle Arbeitslosigkeit ein und analysieren die Instrumente der Konjunkturpolitik. In diesem Kapitel wird das makroökonomische Grundmodell zum ersten Mal verwendet und überblicksartig erläutert. Teil III befasst sich mit der Preisstabilität, d. h. mit der monetären Dimension der Volkswirtschaftslehre, die in den Kapiteln 8 bis 10 behandelt wird. Kapitel 8 analysiert die Bestimmungsfaktoren und die Effekte der Infla­ tion, aber auch der Deflation. In Kapitel 9 wird die zentrale Determinante der Inflationsentwicklung erläutert, nämlich die Geldpolitik und ihre Ausgestaltung. Ihre internationale Dimension und damit ihre Auswirkungen auf den Wechselkurs beleuchten wir anschliessend in Kapitel 10. Dabei lernen wir auch die Geschichte und Probleme der europäischen Währungszusammenarbeit bis hin zur aktuellen Eurokrise kennen. Teil IV geht der vierten wirtschaftspolitischen Zielgrösse nach, der nachhaltigen Staatsfinanzierung. Dieser Teil umfasst die Kapitel 11 und 12. In Kapitel 11 kommen die verschiedenen Methoden der Finanzierung der Staatstätigkeit zur Sprache. Es geht dabei um Steuern und ihre Effekte auf der einen und die Staatsverschuldung und ihre ökonomischen Auswirkungen auf der anderen Seite. In Kapitel 12 wenden wir uns den Sozialwerken zu, welche die wichtigste Herausforderung für die zukünftige Finanzierung der staatlichen Tätigkeit darstellen. Teil V befasst sich mit dem Ziel der Finanzmarktstabilität. Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise beherrscht dieses Thema die wirtschaftspolitische Diskussion. Als Grundlage zum Verständnis derartiger Ereignisse analysieren wir in Kapitel 13 die wichtige Rolle von Banken in einer funktionierenden Marktwirtschaft. Insbesondere gehen wir dabei auf die speziellen Risiken des Bankgeschäfts ein und analysieren, wie die Wirtschaftspolitik damit umgehen kann. Kapitel 14 wendet diese konzeptionellen Grundlagen an, um die Hintergründe der globalen Finanzkrise zu erklären. Diese Krise, die ihren wichtigsten Ursprung im Fehlverhalten von Banken hat, hält die Weltwirtschaft seit 2008 in unterschiedlicher In- E I N L E I T U N G tensität in Atem. Besprochen werden einerseits die Krisenmechanik, andererseits die Reaktion der Wirtschaftspolitik auf diese Ereignisse. Teil VI enthält in den Kapiteln 15 und 16 eine detailliertere Einführung und Erläuterung der beiden Grundmodelle. Dieser eher methodische Teil ist für Leserinnen und Leser gedacht, denen die kurze Erläuterung der beiden Modelle in den Kapiteln 2 und 7 als zu knapp erscheint. Kapitel 15 leitet das mikroökonomische Grundmodell her, das jeweils für die Analyse einzelner Märkte verwendet wird. Es basiert auf den individuellen An­gebotsund Nachfrageentscheidungen von Unternehmen und Haushalten. Kapitel 16 erklärt das makroökonomische Grundmodell – das Zusammenspiel von gesamtwirtschaftlicher Produktion (aggregiertes Angebot) und gesamtwirtschaftlicher Verwendung (aggregierte Nachfrage) –, das jeweils für gesamtwirtschaftliche Analysen verwendet wird. 23 24 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e Alternativer Lehrplan mit Unterteilung in Mikro- und Makroökonomie Der Aufbau dieses Buches orientiert sich an den fünf zentralen volkswirtschaftlichen Themen und nicht an der traditionellen Unterteilung in Mikro- und Makroökonomie. Trotzdem ist es bewusst so konzipiert und geschrieben, dass man es ohne weitere Anpassung auch für Kurse einsetzen kann, in denen die traditionelle Unterteilung verwendet wird. Im Folgenden ist ein alternativer Lehrplan aufgeführt für einen Kurs, der den gesamten Stoff anhand der klassischen Unterteilung in Mikro- und Makroökonomie vermitteln möchte; in kürzeren Veranstaltungen kann man sich natürlich auch entweder nur auf die Mikroökonomie oder nur auf die Makroökonomie beschränken: Einleitung 1. Themen und Akteure im Überblick Einführung in die Mikroökonomie 15. Grundlagen der Mikroökonomie 2. Preismechanismus und Marktwirtschaft 3. Der Staat und die Marktwirtschaft 4. Internationale Arbeitsteilung 6.Sockelarbeitslosigkeit 11. Finanzierung der Staatstätigkeit (Thema «Steuern») 12.Einkommensverteilung und Sozialwerke 13.Banken Einführung in die Makroökonomie 16.Grundlagen der Makroökonomie 5. Langfristiges Wachstum 7. Konjunktur und Arbeitslosigkeit 8. Inflation und Deflation 9.Geld 10.Wechselkurse 11. Finanzierung der Staatstätigkeit (Thema «Staatsverschuldung») 14.Die grosse Finanzkrise 1 Themen und Akteure im Überblick I t’s the economy, stupid.» Dieser Ausspruch war an die Wand der Wahlkampfzentrale eines Kandidaten für die US-Präsidentschaft geheftet. Damit sollten alle Wahlkampfhelferinnen und -helfer darauf eingeschworen werden, sich auf ein – und zwar das entscheidende – Thema zu konzentrieren: die Wirtschaftslage. Nicht zuletzt dank der konsequenten Ausrichtung seines Wahlkampfs auf diesen Punkt gelang es dem Kandidaten, aus einer wenig versprechenden Ausgangslage heraus startend, 1992 zum Präsidenten gewählt zu werden. Eine leichte Rezession in der Vorwahlperiode und deren konsequente Ausschlachtung in der Wahlkampfkampagne waren mitentscheidend für den Umschwung. Bill Clinton, so hiess der erfolgreiche Wahlkämpfer, hatte sich die älteste Tatsache der amerikanischen Politik zu Herzen genommen: Wahlen entscheiden sich meist an volkswirtschaftlichen Themen. Kennt man die Wirtschafts­ lage in den USA im Jahr vor der Wahl, so kann man praktisch mit Sicherheit das Wahlergebnis voraussagen. Die Bedeutung volkswirtschaftlicher Themen in der Politik ist aber keine amerikanische Eigenheit. Auch in der Schweiz können wir beobachten, dass beispielsweise im jährlich erhobenen Sorgenbarometer meist wirtschaftliche Probleme mit an der Spitze der Rangliste liegen. Dabei sind es immer wieder die gleichen Themen, die in der öffentlichen Wahrnehmung im Vordergrund stehen – je nach Wirtschaftslage mit unterschiedlicher Gewichtung. « 25 In diesem einleitenden Kapitel sollen diese zentralen volkswirtschaftlichen Themen identifiziert und anhand entsprechender Daten für die Schweiz diskutiert werden. Zudem wollen wir eine erste Übersicht über die wichtigsten volkswirtschaftlichen Akteure und ihr Zusammenwirken geben. Das Kapitel ist wie folgt aufgebaut: ▶1.1 beschreibt die fünf wichtigsten volkswirtschaftlichen Themen, ­denen je ein Teil dieses Buches gewidmet ist. ▶ 1.2 zeigt anhand von geeigneten Messgrössen die Entwicklung der Schweizer Volkswirtschaft und macht einen internationalen Vergleich. ▶ 1.3 stellt die wichtigsten Akteure einer Volkswirtschaft vor und illustriert ihr Zusammenwirken anhand von einfachen Kreislaufdia­grammen. 1.1 Die wichtigsten volkswirtschaftlichen Themen 1.2 Die Entwicklung der wichtigsten volkswirtschaftlichen ­Daten für die Schweiz 1.3 Akteure und Märkte: Der Wirtschaftskreislauf 26 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e 1.1 Die wichtigsten volkswirtschaftlichen Themen Wie gut die wirtschaftliche Situation eines Landes ist, lässt sich anhand einiger weniger volkswirtschaftlicher Daten beurteilen. Wir erläutern in der Folge die zentralen Themen der volkswirtschaftlichen Analyse, die hinter diesen Daten stehen, und zeigen auf, wie sie miteinander zusammenhängen. 1.1.1 Die gesamtwirtschaftlichen Zielgrössen Um den wirtschaftlichen Zustand und die Qualität der Wirtschaftspolitik eines Landes einschätzen zu können, benötigt man geeignete und allgemein anerkannte Beurteilungskriterien. Es geht also zunächst einmal um die Festlegung gesamtwirtschaftlicher Zielgrössen. Diese müssen so allgemein definiert sein, dass ein breiter Konsens über ihre Wünschbarkeit besteht; gleichzeitig sollten sie jedoch genügend spezifisch sein, um die Zielerreichung überhaupt überprüfbar zu machen. Diesen Ansprüchen genügen die folgenden fünf allgemein anerkannten gesamtwirtschaftlichen Ziele: ▶ hoher Wohlstand, ▶ tiefe Arbeitslosigkeit, ▶ stabile Preise, ▶ nachhaltige Staatsfinanzierung, ▶ stabiles Finanzsystem. «Allgemein anerkannt» sind diese Ziele deshalb, weil wohl kaum jemand tieferen Wohlstand, höhere Arbeitslosigkeit, hohe Inflationsraten, zerrüttete Staatsfinanzen oder Finanzkrisen positiv beurteilen würde. Mit anderen Worten: Die Ziele selbst sind kaum bestritten. Uneinigkeit kann aber natürlich in der Beurteilung der relativen Wichtigkeit dieser Ziele herrschen. Betrachten wir nun in einem ersten, kurzen Überblick jedes dieser fünf zentralen Themen, die in den folgenden Teilen des Buches im Detail behandelt werden. Hoher Wohlstand Wohlstand Lebensstandard in einer Volkswirtschaft. Messgrösse ist zumeist das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Bevölkerung. Warum sind die Industrieländer so viel reicher als die Entwicklungsländer? Wie lässt sich erklären, dass die phänomenale Entwicklung unseres Wohl­ stands erst vor rund 200 Jahren eingesetzt hat? Warum war das Schweizer Wachstum in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts 1 t h e m e n u n d a k t e u r e i m ü b e r b l i c k 27 im Durchschnitt so tief? Ist Wachstum überhaupt wünschbar, und gibt es Grenzen der Wohlstands­entwicklung? Um solche Fragen beantworten zu können, muss man die Bestimmungsfaktoren des Wohlstands und seiner Erhöhung, d. h. des Wirtschaftswachstums, analysieren. Und damit sehen wir uns bereits mit der eigentlichen Grundfrage der Volkswirtschaftslehre konfrontiert, nämlich wie die knappen Ressourcen (Arbeit, Kapital, Boden, Rohstoffe) möglichst effizient eingesetzt werden können. In der Effizienz dieses Ressourceneinsatzes gibt es offensichtlich grosse Unterschiede zwischen den Ländern, die ebenso erklärt werden müssen wie die Tatsache, dass die unglaubliche Wohlstandssteigerung in den heutigen Industrieländern erst während der vergangenen beiden Jahrhunderte erreicht werden konnte. Aus Sicht der Schweiz – nach wie vor eines der reichsten Länder der Welt – ist natürlich die Frage von grossem Interesse, unter welchen Bedingungen sich ihre bemerkenswerte Wohlstandsentwicklung fortsetzen lässt oder ob man dabei an natürliche Grenzen stösst. Teil I des Buches behandelt in insgesamt vier Kapiteln die Bestimmungsfaktoren des Wohlstands und damit die Grundlagen zur Beantwortung dieser Fragen. Tiefe Arbeitslosigkeit Warum ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz so viel tiefer als in Deutschland? Welche Effekte haben Mindestlöhne oder der Kündigungsschutz auf die Arbeitslosigkeit? Lässt sich mit staatlicher Stimulierung der Nachfrage die Arbeitslosigkeit reduzieren? Geht uns die Arbeit aus? Diese und ähnliche Fragen sind auch in der öffentlichen Diskussion von einiger Bedeutung. Da unfreiwillige Arbeitslosigkeit eine einschneidende Erfahrung für alle Betroffenen darstellt, wird bei stark steigender Arbeitslosenquote die Beschäftigungsfrage in aller Regel sofort zum wirtschafts­ politischen Thema Nummer 1. Um die oben genannten Fragen zu beantworten, muss man den Arbeitsmarkt detailliert analysieren. Dabei zeigt sich, dass unterschiedliche staatliche Regulierungen die im Ländervergleich auftretenden Divergenzen in den durchschnittlichen Arbeitslosenquoten grösstenteils erklären können. Um die starken Schwankungen der Arbeitslosigkeit im Konjunkturverlauf verstehen zu können, muss man jedoch den Blick über den Arbeitsmarkt hinaus richten. Das konjunkturelle Auf und Ab ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass alle Märkte mehr oder weni- Arbeitslosigkeit Zustand, in dem arbeitsfähige Personen aktiv auf Arbeitssuche sind, jedoch keine Arbeitsstelle finden. 28 Mikroökonomie Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, das sich mit den Entscheidungen der Haushalte und der Unternehmen sowie mit deren Zusammenspiel auf einzelnen Märkten befasst. Makroökonomie Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, das sich mit gesamtwirtschaftlichen Phänomenen wie Inflation, Konjunkturschwankungen oder langfristigem Wachstum befasst. Preisstabilität Zustand, in dem ein gewichteter Durchschnitt der für den Konsum relevanten Preise einer Volkswirtschaft keine grossen Schwankungen aufweist. v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e ger gleichzeitig davon betroffen sind. Die Diskussion der konjunkturellen Arbeitslosigkeit erfordert deshalb eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung. Will man das Thema der Arbeitslosigkeit also um­fassend diskutieren, so braucht man sowohl die mikroökonomische Analyse des Arbeitsmarktes als auch die makroökonomische Analyse der Gesamtwirtschaft. Teil II des Buches analysiert in zwei Kapiteln diese unterschiedlichen Formen der Arbeitslosigkeit sowie die wichtigsten wirtschaftspolitischen Ansätze zu ihrer Bekämpfung. Stabile Preise Ist eine moderate Inflation überhaupt ein Problem? Warum war die ­Inflation in den letzten Jahren deutlich tiefer als zuvor? Wie funktioniert die Geldpolitik, und welche Relevanz hat sie für die Preisstabilität? Wie ­hängen Inflation und Geldpolitik mit den Wechselkursen zusammen? Die Antworten auf solche Fragen scheinen auf den ersten Blick weniger bedeutsam zu sein als die Bestimmungsfaktoren von Wohlstand und ­Arbeitslosigkeit. Angesichts der in den meisten Industrieländern seit Jahren tiefen Inflationsraten könnte man leicht zur Ansicht gelangen, dieses Thema habe sich eigentlich erledigt und die Fragen seien mehr von technischem als von wirtschaftspolitischem Interesse. Das wäre aber ein Trugschluss, da die gegenwärtige Situation nur darauf zurückzuführen ist, dass die Inflationsbekämpfung der vergangenen Jahrzehnte aus verschiedenen Gründen erfolgreich war. Würde sich aber beispielsweise die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank grundlegend ändern, wäre die Preisstabilität in unserem Land sehr schnell wieder gefährdet – sie ist keinesfalls automatisch garantiert. Gleichzeitig sind stabile Preise eminent wichtig für eine Volkswirtschaft und letztlich auch für die Zufriedenheit der Bevölkerung. Sobald nämlich die Inflation eine gewisse Höhe erreicht, allenfalls zweistellig wird und immer stärker steigt, wird sie sehr rasch zur dominierenden wirtschaftspolitischen Frage. Wird ein Land gar von einer Hyperinflation, also einer galoppierend steigenden Inflation getroffen, dann verblassen daneben alle anderen volkswirtschaftlichen Themen. Die gesamte Bevölkerung ist dann nur noch bestrebt, sich gegen die Infla­tion zu schützen. Aber auch moderate Inflationen haben subtile negative Effekte und können nur mit hohen Kosten in Form von höherer Arbeits­ losigkeit und gebremstem Wachstum erfolgreich bekämpft werden. Schon hier erkennen wir: Die zentralen volkswirtschaftlichen Zielgrössen sind voneinander abhängig. 1 t h e m e n u n d a k t e u r e i m 29 ü b e r b l i c k Teil III des Buches erklärt in drei Kapiteln die Bedeutung der Preisstabilität und analysiert die zentrale Rolle der Geldpolitik sowie ihre Rückwirkungen auf die Wechselkurse. Nachhaltige Staatsfinanzierung Warum steigt die Staatsverschuldung dauernd an? Sind Steuererhöhungen gesamtwirtschaftlich schädlich? Was ist der Sinn finanzpolitischer Regeln, wie z. B. der Schweizer Schuldenbremse? Wie können wir die Sozialwerke in Zukunft noch finanzieren? Wie garantiert man eine nachhaltige Staats­ finanzierung? Fragen rund um die Finanzierung der Staatstätigkeit haben in den letzten­ Jahren und besonders seit dem Ausbruch der Schuldenkrise im Euroraum in der wirtschaftspolitischen Diskussion stark an Bedeutung gewonnen. Der wichtigste Grund dafür: In vielen Ländern besteht die Tendenz, die Staatsausgaben stärker steigen zu lassen als die Staatseinnahmen. Die Folge sind Budgetdefizite, die über eine steigende Verschuldung auf dem Kapitalmarkt finanziert werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu analysieren, inwiefern eine steigende Staatsverschuldung gesamtwirtschaftlich problematisch ist und was dagegen unternommen werden kann. Die alternative Finanzierungsform für den Staat sind Steuern, deren Erhebung aber ebenfalls mit Kosten in Form von Effizienzverlusten verbunden ist. Die Analyse der Effekte verschiedener Arten der Besteuerung gehört deshalb zu den wichtigen Gebieten der Volkswirtschaftslehre. Eine zentrale Rolle für die Finanzierung der Staatstätigkeit spielen die Sozialversicherungen, insbesondere die Altersvorsorge. Denn aufgrund der demografischen Entwicklung wissen wir schon heute, dass diese die Staatsausgaben in Zukunft stark werden ansteigen lassen. Wie bei der Preisstabilität ist auch bei der nachhaltigen Staatsfinanzierung die unmittelbare Wichtigkeit des Ziels meist nicht offensichtlich. Verschlechtert sich die Lage der Staatsfinanzen, so erscheint dies momentan nicht so dramatisch wie eine hohe Arbeitslosigkeit oder ein negatives Wachstum. Die Langzeitfolgen angeschlagener Staatsfinanzen sind jedoch ebenso massiv wie die einer stark steigenden Inflation. Ein Land, dessen Staatsfinanzen nachhaltig zerrüttet sind, wird kaum mehr Wohlstandsverbesserungen aufweisen können, womit auch bald andere Ziele tangiert sind. Teil IV des Buches behandelt in zwei Kapiteln die Finanzierung der Staatstätigkeit, analysiert ihre Effekte und illustriert, wie man mit den zukünftigen Finanzierungsanforderungen aus der Altersvorsorge umgehen kann. Nachhaltige Staatsfinanzierung Die Ausgaben des Staates sind langfristig (über einen Konjunkturzyklus hinweg) durch die ordentlichen Einnahmen gedeckt. 30 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e Stabiles Finanzsystem Warum haben Finanzkrisen derart negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung? Was unterscheidet Banken von anderen Unternehmen? Was verursachte die grosse Finanz- und Wirtschaftskrise? Wie sollte man Banken regulieren, damit sie genügend stabil sind? Solche Fragen haben bis vor Kurzem vor allem Wirtschaftshistoriker oder allenfalls Spezialisten der Bankenregulierung interessiert. In der breiten Öffentlichkeit wurde kaum darüber geredet, und so gut wie niemand mass der Finanzmarktstabilität auch nur im Entferntesten eine ähnliche Bedeutung zu wie beispielsweise der Arbeitslosigkeit oder der Preisstabilität. Das hat sich in den letzten Jahren gewaltig geändert. Seit der Kollaps der USamerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 eine weltweite Bankenpanik ausgelöst hat, kommt der Begriff der Finanzkrise nicht mehr aus den Schlagzeilen. Und noch heute schlagen wir uns mit den Folgen dieser Krise herum, die noch längst nicht überwunden ist. Vergleichbar ist dieses Ereignis nur mit der Grossen Depression der 1930erJahre, die allerdings doch deutlich einschneidender war. Auch die grosse Krise vor dem Zweiten Weltkrieg hatte ihren Ursprung in einer weltweiten Bankenpanik. Finanzmarktstabilität ist also ohne Zweifel ein Thema von vergleichbarer Bedeutung wie die anderen vier gesamtwirtschaftlichen Zielgrössen. Speziell aber ist, dass sie im Gegensatz zu diesen anderen Themen nur dann wirklich wahrgenommen wird, wenn im grossen Stil etwas schief geht – und das passiert zum Glück eher selten. Allerdings hat es in den letzten 100 Jahren neben den beiden globalen Finanzkrisen immer wieder sehr tiefgreifende nationale Bankenkrisen gegeben. Sich mit diesen Fragen zu befassen, ist deshalb auch für Einsteiger in die Volkswirtschaftslehre eine lohnende Investition. Teil V des Buches behandelt das Thema in zwei Kapiteln. Einerseits werden die eminente volkswirtschaftliche Rolle und die besonderen Risiken von Banken analysiert, andererseits werden die wichtigsten Aspekte der grossen Finanzkrise dargestellt. 1 t h e m e n u n d a k t e u r e i m 31 ü b e r b l i c k 1.1.2 Der Zusammenhang zwischen den gesamtwirtschaftlichen Zielgrössen Die Analyse der fünf genannten Bereiche gibt verlässliche Hinweise auf den wirtschaftlichen Gesundheitszustand eines Landes. Ihre Entwicklung lässt sich auch als eine wichtige Information darüber interpretieren, wie erfolgreich die jeweilige Wirtschaftspolitik agiert. Es drängt sich nun die Frage auf, ob es zwischen diesen fünf Grössen zu Zielkonflikten kommen kann. Glücklicherweise sind die Ziele aber ausgesprochen komplementär. Zumindest bei einer mittel- bis langfristigen Betrachtungsweise bestehen keine wesentlichen Zielkonflikte – eine zweckmässig ausgestaltete Wirtschaftspolitik ist in allen fünf Dimensionen erfolgreich. Dies ökonomisch zu erklären, erfordert ein analytisches Rüstzeug, das wir uns im Verlauf dieses Buches erarbeiten. Dass es sich dabei nicht nur um eine unbegründete Behauptung handelt, können wir aber auch ohne grosse Vorkennt­nisse leicht an Beispielen wie der wirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz in den 1990er-Jahren erkennen. In diesem Zeitraum wiesen – wie wir in den kommenden Unterkapiteln sehen werden – alle Zielgrössen in die gleiche, ungünstige Richtung. Das Wirtschaftswachstum reduzierte sich so drastisch, dass über das gesamte Jahrzehnt eine Stagnation zu verzeichnen war. Diese schlechte Situation bezüglich der Wohlstandsentwicklung widerspiegelte sich auch in der Arbeitslosigkeit. Mit dem Rückgang Verteilungsgerechtigkeit Normative Vorstellung darüber, wie in einer Gesellschaft der Wohlstand verteilt sein soll. ve r tiefung Das Ziel der gerechten Einkommensverteilung B ei der hier vorgestellten Auswahl an volkswirtschaftlichen Zielgrössen werden manche die Verteilungsgerechtigkeit vermissen. Verteilungsziele sind ohne Zweifel von grosser Bedeutung – ihre Festlegung ist aber vor allem eine politische Frage. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass politische Debatten und Aktivitäten sich überwiegend an Verteilungsfragen entzünden. Bei Diskussionen über das Für und Wider bestimmter Massnahmen steht meist die Frage im Vordergrund, auf welche Gruppen der Gesellschaft diese Mass­ nahmen positiv oder negativ wirken, d. h., ob sie zu Umverteilungen zwischen Regionen, Berufen, Altersklassen, Einkommensschichten etc. führen. In diesem Buch soll es aber um die Analyse der volkswirtschaftlichen Mechanismen gehen und nicht um die Beurteilung derartiger politischer Fragen. Wir beschränken uns deshalb auf die Darstellung der Messung der Einkommensverteilung und auf die Funktionsweise der wichtigsten Sozialwerke in ­Kapitel 12. Fügten wir nämlich unseren fünf Zielgrössen als ein sechstes Ziel die Verteilungsgerechtigkeit hinzu, würde sich sofort die Frage stellen, was eigentlich eine gerechte Verteilung sei. Dies ist aber letztlich eine normative Frage der persönlichen Beurteilung, die bei jeder Person anders ausfällt, abhängig von ihrer finanziellen, sozialen oder beruflichen Lebenssitua­ tion und / oder ihrem politischen und ethischen Standpunkt. Für unsere fünf Zielgrössen trifft dies hingegen deutlich weniger zu. Hoher Wohlstand, nachhaltige Staatsfinanzierung, geringe Arbeitslosigkeit, Preisstabilität und stabile Finanzsysteme werden in der Regel von den allermeisten als erstrebenswert erachtet. Die in diesem Buch präsentierten ökonomischen Konzepte lassen sich hingegen für die Analyse verwenden, wie politisch definierte Ver­ teilungsziele so angestrebt werden können, dass die fünf im engeren Sinne volkswirtschaftlichen Zielgrössen möglichst wenig beein­trächtigt werden. Diese Art von Analysen gehört zu den wichtigsten Aufgaben von Ökonominnen und Ökonomen, die in der wirtschaftspolitischen Praxis tätig sind. 32 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e des Wachstums stieg die Arbeitslosenquote stark an und erreichte für die Schweiz ungekannte Höhen. Im Gleichschritt verschlechterte sich die Situation der Staatsfinanzen, da die Verschuldung massiv anstieg, vor allem aufgrund der mit der schlechten Wirtschaftslage einhergehenden Kombination aus höheren Staatsausgaben und tieferen Steuererträgen. Die Inflation blieb während dieser Periode durchgehend tief. Schliesslich gab es zwar keine Finanzkrisen, aber zahlreiche Banken wurden durch Verluste wegen fallender Immobilienpreise und schlechter Konjunkturlage arg geschwächt. In diesen Daten lassen sich keine gegenläufigen Bewegungen beobachten, die Hinweise auf Zielkonflikte geben könnten. Vielmehr haben sich alle wichtigen Indikatoren verschlechtert oder zumindest nicht verbessert. Einen nur scheinbaren Spezialfall stellt hier die Preisstabilität dar, denn bei einer schlechten Wirtschaftslage droht meist keine Inflation. Allerdings sind aussergewöhnlich schlechte Wirtschaftslagen manchmal gekennzeichnet durch ein sinkendes Preisniveau, also durch Deflation – womit aber das Ziel der Preisstabilität ebenfalls verfehlt wird. So ungünstig die Lage der Schweizer Wirtschaft in den 1990er-Jahren war, so klar ist aber auch, dass die Gesamtwirtschaft keinen wirklich dramatischen Einbruch erlebte und deshalb zum Glück auch keine Deflation. Schliesslich können wir die Abwesenheit von wesentlichen Zielkonflikten auch an der Fortsetzung unseres kleinen historischen Exkurses am Anfang dieses Kapitels aufzeigen. Die Periode von 1993 bis 2000, also die Zeit der Präsidentschaft von Bill Clinton, war für die USA eine wirtschaftlich ausgesprochen erfolgreiche Zeit. Auch hier lässt sich beobachten, dass in einer wirklich guten wirtschaftlichen Situation alle wichtigen Indikatoren in die gewünschte Richtung gehen, dass also kaum Zielkonflikte auftreten. In den USA stieg während dieser Periode das Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit sank und die Staatsverschuldung konnte abgebaut werden, und dies alles bei nie wirklich gefährdeter Preis- oder Finanzmarktstabilität. Wie stark diese günstige Entwicklung einer erfolgreichen Wirtschafts­politik zuzuschreiben war und wie viel von glücklichen Umständen abhing, ist natürlich eine offene Frage. Die Wirtschaftspolitik hat diese vorteilhafte Entwicklung aber zumindest begünstigt. Die exzellente Wirtschaftslage war auf jeden Fall mitentscheidend dafür, dass Clinton trotz einer Reihe von Skandalen 1996 problemlos wiedergewählt wurde und 2000 mit einer der höchsten Zustimmungsraten der amerikanischen Geschichte sein Amt a­ bgab. 1 t h e m e n u n d a k t e u r e i m 33 ü b e r b l i c k 1.2 Die Entwicklung der wichtigsten volkswirtschaftlichen ­Daten für die Schweiz Um die fünf zentralen Themen der volkswirtschaftlichen Analyse zu konkretisieren, wollen wir die Entwicklung der entsprechenden Daten am Beispiel der Schweizer Volkswirtschaft verfolgen. 1.2.1Wohlstand Die Schweiz galt lange Zeit zu Recht als reichstes Land der Erde, hat aber seit den 1970er-Jahren einiges von diesem Nimbus eingebüsst. Zunächst lässt sich zweierlei feststellen: Erstens steigt das Bruttoinlandprodukt (BIP) während des gesamten 20. Jahrhunderts tendenziell an, zweitens aber verläuft die Entwicklung nicht gleichmässig, sondern weist bedeutende Schwankungen auf. Hinter diesen beiden Beobachtungen verbergen sich zwei grund­legende P ­ hänomene der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einer Volkswirtschaft: ▶ Das langfristige Wachstum: Die Beobachtung, dass sich das Bruttoinlandprodukt über die Zeit tendenziell erhöht. Man spricht von Trend­ wachstum. ▶Die Konjunkturschwankungen: Die Beobachtung, dass das Wachstum ungleichmässig verläuft. Für die Wohlstandsentwicklung eines Landes sind die Konjunkturschwankungen weniger wichtig als das langfristige Trendwachstum. Betrachtet man Abbildung 1.1 auf Seite 34, so scheint es quasi ein Naturgesetz zu sein, dass das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf stetig wächst. Tatsache ist aber, dass das BIP pro Kopf bis etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts über mehrere Jahrhunderte hinweg in der Schweiz und den anderen heutigen Industrieländern kaum gewachsen war. Erst seit der industriellen Revolution weist das BIP diesen expliziten Trend nach oben auf. Warum das Wachstum erst vor ungefähr 200 Jahren eingesetzt hat, ist eine wichtige Frage, die Kapitel 5 behandelt. Betrachten wir nun die in Abbildung 1.1 abgetragene Periode von 1899 bis 2011, so können wir für die Schweizer Wirtschaftsentwicklung drei ­Phasen unterscheiden: ▶ In der ersten Phase bis Mitte der 1940er-Jahre beobachten wir ein relativ geringes Wachstum, das sich nach dem Ersten Weltkrieg etwas be- Trendwachstum Wachstum des Wohlstands einer Volkswirtschaft, betrachtet über einen längeren Zeitraum (Jahrzehnte). Konjunkturschwankung Veränderungen des Wohlstands einer Volkswirtschaft, betrachtet über einen kürzeren Zeitraum (Quartale, einzelne Jahre). Reales Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf Die gesamte, zu konstanten Preisen bewertete Produktion von Gütern und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft, dividiert durch die Bevölkerungszahl. 34 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e schleunigte, bevor es nach 1929 empfindlich zurückging und dann einer längeren Stagnation Platz machte. Der zuvor feststellbare Wachstums­ trend verlangsamte sich damals in den meisten Ländern deutlich. Wie in Kapitel 7 erläutert wird, war diese Zeit nach der grossen Depression von 1929 sehr wichtig für die Entwicklung der Volkswirtschaftslehre. ▶ Eine zweite Phase begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Während dieser Zeit nahm das Wachstum eindeutig und schnell zu. Das Durchschnittswachstum lag viel höher als in der Phase zuvor. ­Diese starke Wachstumsphase hielt bis zu Beginn der 1970er-Jahre an. ▶ Am Beginn der dritten Phase Anfang der 1970er-Jahre stand eine scharfe Rezession. Über die ganze Periode betrachtet, handelt es sich nur um einen kurzen Zeitabschnitt, doch in diesen Jahren wurde der Einbruch als ein einschneidendes Ereignis empfunden. Allgemein lässt sich feststellen, dass Konjunktureinbrüche in einer langfristigen Betrachtung lediglich kleine, von Auge kaum wahrnehmbare Rückgänge in einem trendmässig wachsenden BIP darstellen. Während der Rezessionsphase selbst dominiert der temporäre Einbruch jedoch die wirtschaftspolitische Debatte. Bis Ende der 1980er-Jahre wuchs die Schweizer Wirtschaft nach wie vor, aber von blossem Auge ist erkennbar, dass die Wachstumsrate tiefer lag als in den Nachkriegsjahren. Dieser Rück- Abb. 1.1 Reales BIP pro Kopf der Schweiz zu Preisen von 2000 (in CHF) Phase 1 70000 Phase 2 Phase 3 60000 50000 40000 30000 20000 10000 Quelle: Maddison, Angus (www.ggdc.net /maddison); Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO); Bundesamt für Statistik (BFS) 2010 2005 2000 1995 1990 1985 1980 1975 1970 1965 1960 1955 1950 1945 1940 1935 1930 1925 1920 1915 1910 1905 1900 0 1 t h e m e n u n d a k t e u r e i m 35 ü b e r b l i c k gang der Wachstumsdynamik verstärkte sich noch Anfang der 1990erJahre. Seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts steht die Schweizer Wachstumsrate vor allem im internationalen Vergleich wieder spürbar positiver da. Es ist aber noch zu früh, um von einer definitiven Trendwende – also quasi von einer vierten Phase – zu sprechen. Wie nimmt sich nun der Schweizer Wohlstand im internationalen Vergleich aus? Abbildung 1.2 zeigt uns für 2011 das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Schweiz im Vergleich zu unseren beiden wichtigsten Handelspartnern (Deutschland und die USA) sowie zu unserem ähnlich grossen Nachbarland Österreich. Um das tatsächliche Wohlstandsniveau vergleichen zu können, wird das BIP pro Kopf einerseits in US-Dollar umgerechnet und andererseits ­kaufkraftbereinigt. Mit der Kaufkraftbereinigung wird berücksichtigt, dass die Preise der Güter und Dienstleistungen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich hoch sind. Für die Schweiz mit ihrem hohen Preisniveau bedeutet dies, dass mit dem in Dollar ausgedrückten Einkommen weniger gekauft werden kann als in den anderen Ländern. Die Kaufkraft ist also in der Schweiz ­geringer. Kaufkraftbereinigung Um aussagekräftige Vergleiche zu ermöglichen, wird der Umrechnungskurs zwischen Landeswährungen so festgelegt, dass in den Ländern mit dem äquivalenten Betrag der gleiche Güterkorb erworben werden könnte. Dieser Umrechnungskurs kann wegen unterschiedlich hoher Preisniveaus substanziell vom offiziellen Wechselkurs abweichen. Abb. 1.2 Reales BIP pro Kopf 2011, kaufkraftbereinigt (in US-$) 50000 45000 40000 35000 30000 25000 20000 15000 10000 5000 0 Quelle: OECD Deutschland Österreich USA Schweiz 36 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e Die Daten in Abbildung 1.2 zeigen, dass die Schweiz ein reiches Land ist. Selbst in dieser Gruppe von reichen Ländern belegt sie einen Spitzenplatz. Einzig die USA weisen ein höheres kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf auf. Österreich und Deutschland lässt die Schweiz hinter sich. Um die Dynamik international zu vergleichen, betrachten wir Abbildung 1.3, die uns für die gleichen Länder das durchschnittliche jährliche Wachstum des realen Bruttoinlandproduktes pro Kopf von 1971 bis 2011 zeigt. Von den aufgeführten Ländern wies die Schweiz in dieser Periode das tiefste Wachstum auf. Die durchschnittliche Wachstumsrate betrug knapp 1 %, während sie in den drei Vergleichsländern im Bereich von 2 % lag. Der Wohlstand ist also in den anderen Ländern in dieser Periode stärker gewachsen. Insgesamt zeichnet sich das Bild einer sehr reichen Schweiz ab, die aber vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts eine geringere wirtschaftliche ­Dynamik, d. h. ein tieferes BIP-Wachstum, aufwies als die anderen Industrie­länder. Abb. 1.3 Durchschnittliches jährliches Wachstum des realen BIP pro Kopf 1971–2011 (in Prozent) 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 Deutschland 0 Quelle: OECD Österreich USA Schweiz 1 t h e m e n T e c h nis c h e u n d a k t e u r e i m 37 ü b e r b l i c k B o x Wie misst man den Wohlstand? W ill man die Wohlstandsentwicklung eines Landes beurteilen, so stellt sich zuerst die Frage, wie der Wohlstand gemessen werden kann. Hier hat sich das Konzept des Bruttoinlandproduktes pro Kopf als Standardmass durchgesetzt. Dies ist wohl die wichtigste Zahl, um den Zustand einer Volkswirtschaft insgesamt zu beurteilen. Für die Ermittlung des Bruttoinlandproduktes wird der Marktwert aller Güter und Dienstleistungen gemessen, die in einem Land während einer bestimmten Periode hergestellt worden sind. Berücksichtigt werden dabei allerdings nur Endprodukte, um Doppelzählungen zu vermeiden. Kauft beispielsweise ein Verlag Papier, um daraus Zeitungen herzustellen, dann wird im BIP nur der Wert der Zeitungen berücksichtigt, weil das Papier als Zwischenprodukt im Wert des Endprodukts schon enthalten ist. Somit wird die effektive Wertschöpfung gemessen, die im betrachteten Land zu aktuellen Marktpreisen erbracht worden ist: Man spricht vom nominalen BIP. Damit man das gegenwärtige BIP der Schweiz mit dem BIP vergangener Perioden vergleichen kann, muss um die Inflation korrigiert werden: Ein Franken ist heute weniger wert als noch vor 10 Jahren – ein Umstand, den das BIP zu Marktpreisen nicht berücksichtigt. Indem man die Teuerung miteinbezieht, errechnet man aus dem nominalen das reale BIP. Dieser Wert lässt sich dann auch über die Zeit vergleichen. Will man das BIP verschiedener Länder vergleichen, so muss man berücksichtigen, dass die Länder unterschiedlich gross sind. Deutschland wird immer ein wesentlich höheres BIP aufweisen als die Schweiz, weil seine Bevölkerungszahl erheblich grösser ist. Um diesem Umstand bei Ländervergleichen Rechnung zu tragen, wird das reale BIP pro Kopf ausgewiesen, indem das BIP durch die Bevölkerungszahl dividiert wird. Rechnet man dieses reale BIP pro Kopf in eine einheitliche Währung um – meist in US-Dollar –, so erhält man ein international vergleichbares Wohlstandsmass. 1.2.2Arbeitslosigkeit Auch in Bezug auf die Arbeitslosigkeit war die Schweiz im internationalen Vergleich während langer Zeit ein Sonderfall im positiven Sinne; und sie ist es weitgehend auch heute noch. Abbildung 1.4 auf Seite 38 zeigt, dass die Arbeits­losenquote der Schweiz seit Beginn der 1970er-Jahre einen bemerkenswerten Verlauf nahm. In der Zeit vor den 1990er-Jahren überschritt die Arbeitslosigkeit in der Schweiz kaum je die 1 %-Grenze. Eine solche Arbeitslosenquote ist im ­internationalen Vergleich ungewöhnlich tief. In den meisten Ländern würde man hier von massiver Überbeschäftigung sprechen, ist es doch in einer arbeitsteiligen Wirtschaft normal, dass immer ein gewisser Teil der Beschäftigten eine neue Stelle sucht. Zu Beginn der 1990er-Jahre beobachten wir einen deutlich erkennbaren Bruch. In dieser Periode ging das Schweizer BIP spürbar zurück. Anders als in der Rezession der 1970er-Jahre wirkte sich der gesamtwirtschaftliche Rückgang diesmal massiv auf die Beschäftigung aus. Innerhalb kurzer Zeit, von 1990 bis 1992, schoss die Arbeitslosenquote in die Höhe, von unter 1 % auf beinahe 5 %. Dies entspricht einer Verfünffachung – im internationalen Vergleich ein ungewöhnlicher Vorgang. Zwar darf man bei 5 % immer noch von einer vergleichsweise moderaten Arbeitslosenquote sprechen. Arbeitslosenquote Prozentualer Anteil der arbeitswilligen Perso­ nen ohne Stelle, gemessen als Verhältnis zwischen den Arbeitslosen und der Erwerbsbevölkerung. 38 v o l k s w i r t s c h a f t s l e h r e Aufgrund der starken relativen Zunahme empfand die Schweizer Bevölkerung diese massive Verschlechterung der Situation auf dem Arbeitsmarkt jedoch als einschneidendes Ereignis. Die Arbeitslosigkeit verharrte dann bis etwa 1997 auf hohem Niveau, und es gab Phasen, während deren die 5 %-Marke sogar überschritten wurde. Auf den ersten Blick überraschend ist aber, dass die Arbeitslosigkeit anschliessend wieder stark zurückging. Dazu genügte bereits ein relativ unspektakulärer wirtschaftlicher Aufschwung. Zwischen 1997 und Ende 1999 sank die Arbeitslosenquote von über 5 % auf weniger als 2 % – was fast ebenso bemerkenswert war wie der vorangegangene starke Anstieg. Viele Beobachter hatten der Schweiz Mitte der 1990er-Jahre prophezeit, dass die tiefen Arbeitslosenquoten Sache der Vergangenheit seien und man sich auf «europäische» Quoten von 5 % und höher einstellen müsse. Das hat sich als falsch erwiesen. Der Schweizer Arbeitsmarkt hat gezeigt, dass er wirksam neue Arbeitsplätze schaffen kann und dass die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in der Schweiz nach wie vor tendenziell tief liegt. Abb. 1.4 Arbeitslosenquoten in der Schweiz 1971 – 2011 (Jahresdurchschnitt, in Prozent) 6 5 4 3 2 1 Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) 2011 2009 2007 2005 2003 2001 1999 1997 1995 1993 1991 1989 1987 1985 1983 1981 1979 1977 1975 1973 1971 0 1 t h e m e n T e c h nis c h e u n d a k t e u r e i m 39 ü b e r b l i c k B o x Wie misst man die Arbeitslosigkeit? D Verhältnis gesetzt zur Anzahl Erwerbspersonen; das sind Personen, die bei der letzten Volkszählung einer Arbeit nachgingen oder nachgehen wollten. dann als arbeitslos, wenn sie sich bei einer Regionalen Arbeitsvermittlungsstelle (RAV) als arbeitslos gemeldet haben und keiner Beschäftigung nachgehen. Um die Arbeitslosenquote zu ermitteln, wird die Anzahl Arbeitsloser ins ie Höhe der Arbeitslosigkeit wird mit der sogenannten Arbeitslosenquote messen. Sie besagt, welcher Proge­ zentsatz der Erwerbspersonen erfolglos nach Arbeit sucht. In der Schweiz gelten Personen Abbildung 1.5 zeigt für die bereits angesprochene Ländergruppe, dass die Schweiz im internationalen Vergleich eine tiefe Arbeits­losenquote aufweist. Beim Vergleich der Abbildungen 1.4 und 1.5 ist es wichtig, zu berücksichtigen, dass das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) die Arbeits­losenquote leicht anders berechnet als die OECD. Abb. 1.5 Standardisierte Arbeitslosenquoten 1992– 2011 (Jahresdurchschnitt, in Prozent) 12 10 8 6 4 2 Deutschland Österreich USA Schweiz Quelle: OECD 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 0