3 Grundlegende notfallmedizinische Maßnahmen

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Grundlegende
notfallmedizinische
Maßnahmen
3.1
Rettung – 46
3.2
Schienung – 47
3.3
Lagerung – 51
3.4
Einklemmung – 57
46
Kapitel 3 · Grundlegende notfallmedizinische Maßnahmen
> > Lernziele
Kenntnisse über die wesentlichen Rettungs-, Schienungs- und Lagerungstechniken
sind für die Tätigkeit als Notarzt oder Rettungsassistent ein grundlegendes Erfordernis. Die Rettung erfolgt unter Beachtung der Eigensicherung situationsangepasst mit
oder ohne Hilfsmittel. Zu den Rettungsmaßnahmen ohne Hilfsmittel gehört
der Rautek-Griff. Das wichtigste Hilfsmittel der Rettung ist die Schaufeltrage. Eine
Schienung ist bei traumatologischen Notfällen zur Ruhigstellung einer Extremität
(Vakuum- oder Luftkissenschienen), der Halswirbelsäule (immobilisierende Halskrause) oder der gesamten Wirbelsäule (Vakuummatratze) erforderlich. Lagerungstechniken können die Therapie verschiedener Erkrankungen unterstützen, vor allem
der Herzinsuffizienz (Oberkörperhochlagerung) und des Volumenmangels (Kopftieflagerung, sog. Schocklage). Eine korrekt durchgeführte Seitenlagerung kann zum
Offenhalten der Atemwege ohne weitere Hilfsmittel bei Bewusstlosigkeit beitragen.
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3.1
Rettung
Begriffserläuterungen. Unter Rettung versteht man die Verbringung lebender
Personen und unter Bergung die Verbringung von Leichen oder Sachgütern aus
einem Gefahrenbereich in sichere Zonen. Die Bergung ist keine Aufgabe des Notarztes. Bei der Rettung muss der Notarzt jedoch durch Anweisungen und häufig
auch durch eigenes Anpacken mitwirken oder sie gar selbst durchführen, ist jedoch
nicht verpflichtet, sich selbst in unzumutbare Gefahr zu bringen. In einem weiteren
Sinne umfasst der Begriff Rettung alle präklinischen Maßnahmen (daher Rettungsdienst, Rettungswagen und Rettungsmedizin).
Rettungssituationen. Es gibt unübersehbar viele alltägliche oder außergewöhn-
liche Situationen, aus denen Patienten gerettet werden müssen. Beispiele schwieriger Rettungssituationen sind eingeklemmte Personen in einem Fahrzeug, Personen mit eingeklemmten Armen oder Beinen in einer Maschine, verschüttete Personen, hilflose Bergsteiger oder hilflose Personen in brennenden Häusern oder im
Wasser. Schwierigkeiten können durch die Situation selbst oder den Zustand der
Patienten bedingt sein. Besonders schwierig ist oft die Rettung bewusstloser Patienten, die keinerlei Mithilfe bei den Rettungsmaßnahmen zeigen, oder agitierter
Patienten, die sich gegen die Rettung womöglich noch wehren. Die Rettung muss
stets so erfolgen, dass dem Patienten möglichst kein zusätzlicher Schaden zugefügt
wird. So bald wie möglich müssen adäquate Schienungs- und Lagerungsmaßnahmen erfolgen.
Hilfsmittel. Je nach Situation kommen viele verschiedene Hilfsmittel zum Einsatz:
Rettungsscheren, Atemschutzgeräte, Drehleitern oder sogar Kräne. Häufig muss
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3.2 · Schienung
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situationsangepasst mit zufällig verfügbaren Mitteln (Leitern, Seilen, Tüchern etc.)
improvisiert werden.
Rautek-Griff. Dieser wird häufig verwendet, um Patienten aus engen und schwer zu-
gänglichen Bereichen zur Trage oder zum Rettungswagen zu befördern (. Abb. 3.1).
Aufgrund schwerwiegender Komplikationsmöglichkeiten (Arm- oder Rippenfrakturen) darf der Rautek-Griff nur dann angewandt werden, wenn andere, sicherere
Transportformen unmöglich sind.
Trage. Die Tragen moderner Rettungswagen sind meist gepolstert und mit aufstell-
barem Rückenteil versehen, so dass der Patient auch in einer sitzenden oder halbsitzenden Lage transportiert werden kann. Neuere Tragen haben ein integriertes
ausklappbares Rollgestell, das den Transport zumindest auf ebenem Untergrund
erleichtert. Ansonsten müssen sie von zwei, bei längeren Strecken und schweren
Patienten besser vier Helfern getragen werden. (Achtung: Eine Trage ist keine Bahre!
Bahren sind für Leichen vorgesehen.)
Schaufeltrage. Normalerweise muss der Patient entweder selber auf die Trage
steigen, oder er wird von Helfern darauf gelegt. Dies kann bei Verletzungen
schmerzhaft sein und evtl. zu Sekundärtraumatisierungen besonders der Wirbelsäule führen. Mit einer Schaufeltrage kann dieses Problem umgangen werden. Eine
solche Trage besteht aus dünnem, ungepolstertem Stahl und wird in der Längsachse halbiert und wieder zusammengesetzt (. Abb. 3.2).
s Praktisches Vorgehen
Lagerung eines Patienten auf der Schaufeltrage:
4 Die Trage wird halbiert, von beiden Seiten unter den Patienten geschoben und wieder zusammengesteckt. Hierzu muss der Patient praktisch nicht bewegt werden.
4 Der Patient wird mit der Schaufeltrage auf eine normale Trage oder Vakuummatratze gelegt. Danach wird die Schaufeltrage wieder halbiert und unter dem
Patienten weggezogen.
3.2
Schienung
Die Schienung dient der Immobilisation des gesamten Körpers, der Körperextremitäten oder der Wirbelsäule, insb. der Halswirbelsäule. Dadurch werden weitere
Gewebe-, Gefäß- und Nervenschäden vermieden und die Schmerzen verringert.
Vakuummatratze. Eine Vakuummatratze ist ein mit kleinen Polyesterkügelchen
gefüllter Sack, aus dem Luft herausgesaugt werden kann. Im normalen Zustand ist
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Kapitel 3 · Grundlegende notfallmedizinische Maßnahmen
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. Abb. 3.1. Rautek-Griff. Der Helfer greift von hinten unter beiden Achseln des Patienten
hindurch und umfasst mit beiden Händen einen quer über den Thorax abgewinkelten Arm
des Patienten. Der Patient wird auf den Oberschenkeln des Helfers abgestützt und kann von
diesem, rückwärts gehend, über kurze Strecken transportiert werden. Aufgrund schwerwiegender Komplikationsmöglichkeiten (Arm- oder Rippenfrakturen) darf der Rautek-Griff nur
dann angewandt werden, wenn andere, sicherere Transportformen unmöglich sind
49
3.2 · Schienung
3
. Abb. 3.2. Schaufeltrage. Die Trage lässt sich in der Mitte der Längsachse auseinander
nehmen und wieder zusammensetzen
die Vakuummatratze weich, verformbar und kann dem Patienten anmodelliert
werden. Im »Vakuumzustand« wird sie hart und dient als Schienung des gesamten
Patienten. Traumatisierte Patienten – insbesondere mit Verdacht auf ein Wirbelsäulentrauma – sollten grundsätzlich so transportiert werden. Diese Matratze kann
jedoch nur dann Schienungsfunktion ausüben, wenn sie auch wirklich als Vakuummatratze verwendet wird, d. h. wenn tatsächlich genügend Luft herausgesaugt wird,
um sie hart werden zu lassen.
Extremitätenschienungen. Frakturen der Arme oder Beine sollten so bald wie möglich unter dosiertem Zug reponiert und geschient werden. Im Notfall (ohne modernen Rettungsdienst) behilft man sich hierfür mit Latten, Tüchern und Seilen. In
modernen Rettungswagen werden spezielle Schienungshilfen für verschiedene Indikationen mitgeführt (. Abb. 3.3):
4 Vakuumschienen funktionieren nach dem oben geschilderten Prinzip der Vakuummatratze.
4 Luftkissenschienen funktionieren nach genau dem gegenteiligen Prinzip. Sie
werden dem Patienten angelegt und aufgeblasen.
Schienung der Halswirbelsäule. Besonders gefürchtet sind sekundäre Schädigungen des zervikalen Rückenmarks bei Frakturen der Halswirbelsäule. Sie ist am
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Kapitel 3 · Grundlegende notfallmedizinische Maßnahmen
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a
b
. Abb. 3.3 a, b. Schienungshilfen. a Luftkissenschiene; b Vakuumschiene
. Abb. 3.4. Immobilisierende Halskrause
wenigsten durch Muskelgewebe geschützt. Eine hohe Rückenmarkschädigung hat
besonders schlimme Folgen. Durch spezielle immobilisierende Halskrausen (Orthesen) kann die Halswirbelsäule für die Rettung und den Transport von außen
stabilisiert werden (. Abb. 3.4).
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3.3 · Lagerung
3
s Praktisches Vorgehen
Anlegen einer Halskrause:
4 Die Halskrause (passende Größe!) wird um den Hals des Patienten gelegt, möglichst ohne diesen dabei zu bewegen. Der Kopf kann zur Stabilisierung leicht in
Richtung der Längsachse gezogen werden. Beugungen des Kopfes nach vorn
müssen unbedingt vermieden werden!
4 Die Halskrause wird vorn mittels Klettverschluss verschlossen.
4 Es sind Modelle zu bevorzugen, die sowohl die Rotation als auch die Flexion des
Kopfes verhindern und bei liegender Halskrause die Palpation des Karotispulses
noch ermöglichen.
! Die Wirbelsäule, besonders die Halswirbelsäule ist für zusätzliche Schädigungen
während der Rettung besonders gefährdet. Bei jedem Verdacht auf eine Halswirbelsäulenverletzung muss dem Patienten so früh wie möglich eine Halskrause
angelegt werden!
Antischockhose. Die Antischockhose (»Military Anti-shock Trousers«: MAST) ist
gleichsam eine Luftkissenschiene für die untere Patientenhälfte. Mit der Antischockhose erfolgt eine dosierte Kompression der unteren Extremitäten, der Beckenregion
und des Abdomens. Die Antischockhose wird dem Patienten angelegt und dosiert
aufgeblasen (. Abb. 3.5). So wird eine Tamponierung der Blutung in diesen Körperregionen und eine partielle Blutvolumenumverteilung aus der unteren Körperhälfte
bewirkt. Der Stellenwert einer Antischockhose im Rahmen der Therapie des hypovolämischen Schocks ist jedoch unklar.
3.3
Lagerung
Rückenlagerung. Die meisten Patienten werden auf dem Rücken gelagert. Die
Rückenlage bietet die günstigsten Voraussetzungen für:
4 die Untersuchung des Patienten
4 die Venenpunktion
4 bei Atem- und Kreislaufstillstand für die Intubation, Beatmung und Herzdruckmassage.
Schocklagerung. Durch Hochlagerung der Beine oder Kopftieflagerung des gesamten Patienten (. Abb. 3.6) wird eine Blutvolumenverschiebung von 500–1000 ml
aus der unteren Körperhälfte in wichtigere Regionen (Herz, Lunge, Gehirn) erreicht.
Diesen Vorgang bezeichnet man auch als Autotransfusion. Er wird durch Ausstreichen oder Auswickeln der Beine in Richtung Becken unterstützt. Indiziert ist
die Schocklagerung bei allen Schockformen (vor allem mit hypovolämischer Kom-
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Kapitel 3 · Grundlegende notfallmedizinische Maßnahmen
3
. Abb. 3.5 a, b. Antischockhose. a Der Patient wird auf die entfaltete Hose gelegt; b diese
wird um Beine und Unterbauch des Patienten geschlungen und anschließend aufgeblasen
ponente, 7 Kap. 9.3) sowie der hypotensiven Krise (7 Kap. ❚.❚). Durch die Tieflage des
Kopfes steigt allerdings der Hirndruck an, so dass ein Schädel-Hirn-Trauma eine
(relative) Kontraindikation darstellt.
Oberkörperhochlagerung. Die Hochlagerung des Oberkörpers um etwa 30 ° (. Abb.
3.7) bewirkt einen verbesserten venösen Abfluss des Blutes aus dem Gehirn und wird
daher besonders bei Schädel-Hirn-Trauma und vermutetem Hirndruck durchgeführt.
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3.3 · Lagerung
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. Abb. 3.6 a–c. Schocklagerung. a Hochlegen oder Hochhalten der Beine; b Kopftieflagerung bei 15° (Trendelenburg-Lagerung); c Schocklagerung in Seitenlage
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3
Kapitel 3 · Grundlegende notfallmedizinische Maßnahmen
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3.3 · Lagerung
3
9 . Abb. 3.7 a–e. Oberkörperhochlagerung. a Hochlagerung des Oberkörpers um etwa 30°;
b Hochlagerung des gesamten Patienten um etwa 15° (Anti-Trendelenburg-Lagerung);
c halbsitzende Lagerung; d Lagerung bei akutem Abdomen; e sitzende Lagerung mit herabhängenden Beinen
Alternativ kann der gesamte Patient 15 ° hoch gelagert werden. Darüber hinaus fühlen
sich die meisten Patienten ohnehin wohler, wenn ihr Oberkörper leicht erhöht gelagert
ist. Legt man eine Rolle unter die Knie, so wird die Bauchdecke entspannt (Lagerung
bei akutem Abdomen und Bauchtrauma, 7 Kap. 12.2 und 7 18.6).
Durch sitzende und halbsitzende Lagerung wird der venöse Rückfluss zum
Herzen vermindert. Die resultierende Vorlastsenkung kann zur Entlastung eines
insuffizienten Herzens beitragen. Durch das Herabhängenlassen der Beine kann
dieser Effekt noch verstärkt werden. Außerdem kann sich ein Patient mit Atemnot
besser auf der Trage abstützen und seine Atemhilfsmuskulatur einsetzen (Lagerung
bei Linksherzinsuffizienz, Lungenödem und Atemnot unterschiedlicher Ursachen). Wichtig ist bei jeder Form der Oberkörperhochlagerung, dass auf einen
ausreichend hohen Blutdruck geachtet wird, da ansonsten durch die erhöhte Kopflagerung der zerebrale Perfusionsdruck abfallen kann.
! Jede Oberkörperhochlagerung ist im dekompensierten Schock kontraindiziert!
Seitenlagerung. Die Seitenlagerung (. Abb. 3.8) ist eine Erstmaßnahme, um beim
spontan atmenden, bewusstseinsgetrübten Patienten einer Atemwegsverlegung
und einer Aspiration entgegenzuwirken. Der erwünschte Effekt der Seitenlagerung
ist vor allem, dass die Zunge nicht mehr zurückfallen und Erbrochenes nach außen
abfließen kann. Eine Seitenlagerung bietet jedoch keinen wirklich sicheren Schutz
vor Aspiration und Atemwegsverlegung. Eine Beatmung ist ebenfalls kaum möglich. Bei bewusstlosen Patienten muss daher stets möglichst bald eine Intubation
durchgeführt werden.
Eine besondere Indikation für eine (modifizierte) Seitenlagerung besteht bei
Patientinnen in der Spätschwangerschaft, weil sich dadurch das aortokavale
Kompressionssyndrom durch den schweren Uterus weitgehend vermeiden lässt
(7 Kap. 16.1).
s Praktisches Vorgehen
Seitenlagerung
4 Der Patient wird aus der Rücken- oder Bauchlage so auf die Seite gedreht, dass
der untere Arm nach hinten zu liegen kommt. Der obere Arm wird angewinkelt
und die Hand als Unterlage unter den nackenwärts gestreckten Kopf gelegt.
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Kapitel 3 · Grundlegende notfallmedizinische Maßnahmen
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. Abb. 3.8. Durchführung der stabilen Seitenlage
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3.4 · Eingeklemmter Patient
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4 Für die stabile Seitenlagerung werden die Beine so gelagert, dass bei gestrecktem oberem Bein das Knie des unten liegenden Beines angewinkelt ist und nach
vorne weist. Alternativ kann auch das obere Bein angewinkelt und das untere
gestreckt werden: sog. Erholungsposition.
! Patienten mit Wirbelsäulenverletzungen und Patienten ohne ausreichende Spontanatmung dürfen nicht in Seitenlage gebracht werden!
3.4
Einklemmung
Gerade bei Verkehrsunfällen, aber auch bei Arbeitsunfällen kommt es nicht selten
vor, dass sich die Rettung verzögert, weil der Patient im Fahrzeug oder etwa unter
einem umgefallenen Gerüst eingeklemmt ist. Bis der Patient durch Feuerwehr oder
andere tecchnische Helfer befreit ist, muss der Notarzt seine Versorgungsmaßnahmen situationsangepasst und je nach Zugangsmöglichkeit zum Patienten modifiziert durchführen. Folgendes ist bei eingeklemmten Patienten meist möglich
und sinnvoll:
4 Orientierende Untersuchung (7 Kap. 2.1)
4 Pulsoximetrie und EKG-Ableitung (7 Kap. 2.4.2 und 2.5.2)
4 Sauerstoffgabe über Maske (7 Kap. 4.4)
4 Legen eines venösen Zugangs an einer erreichbaren Extremität (7 Kap. 5.1.1)
4 Anlegen einer immobilisierenden Halskrause (7 Kap. 3.2)
4 Analgesie (vorsichtige Opioidgabe zur Vermeidung einer Atemdepression)
(7 Kap. 6.6)
Wichtig ist, dass der Notarzt in solchen Situationen, die für alle Beteiligten als
quälend empfunden werden können und in denen die Zeit oft nicht zu vergehen
scheint, besonnen handelt und sich nicht in therapeutische Abenteuer mit ungewissem Ausgang stürzt (z. B. Intubation eines noch spontan atmenden Patienten,
dessen Atemwege für den Notarzt nicht sicher erreichbar sind).
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