63. Jahrgang, September 2010 O Mitteilungsblatt der Ärztekammer Bremen und der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen J BREMER ÄRZTE U R A Zwischen Ethik und Ökonomie N Suchtmedizin L 09 10 i n h A Lt BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 11 18 21 die Benzodiazepinabhängigkeit ist die dritthäufigste Suchtkrankheit in deutschland. durch sensiblen umgang und korrekten einsatz von Benzodiazepinen kann diese Abhängigkeit allerdings vermieden werden. diskussionen zu hausarztvertrags-modellen beschäftigen zurzeit viele Ärzte. kollektivvertrag oder hausarztzentrierte Versorgung? der hausärzteverband Bremen hat seine Wahl getroffen. innerhalb von fünf Jahren müssen Fachärzte und psychologische Psychotherapeuten im krankenhaus 250 Fortbildungspunkte nachweisen. der erste Fünfjahreszeitraum endet am 31. dezember. t i t e Lt h e m A 250 Fortbildungspunkte Dr. Peter Heinen, Dr. John Koc 4 Schwerpunkt: Suchtmedizin Dr. Heribert Fleischmann 4 Behandlung Suchtkranker: Ethik und Ökonomie Prof. Dr. Stephan Teyssen 7 Alkoholassoziierte Organschäden Dr. John Koc, Dr. Wolfgang Poser 11 Benzodiazepine: Therapie, Missbrauch und Abhängigkeit Dr. Peter Heinen, Dr. John Koc 13 Substitution in Bremen: Grundlagen und Empfehlungen Dr. Kerstin Boomgarden­Brandes, Prof. Dr. Bernd Mühlbauer 14 Einsatz von Benzodiazepinen bei Substitution problematisch Christel Lüdecke 16 Sucht und Traumafolgestörung AktueLLeS 18 Hausarztverträge: Fluch oder Segen? 20 Wahl zur Vertreterversammlung der KV Bremen: Auf die Liste, fertig los! 21 Fortbildung für Krankenhausfachärzte 23 Vorgestellt: Der Ausschuss Gesundheit, Umwelt, Prävention RuBRiken 3 24 25 26 26 27 Bremer Standpunkt Akademie Namen und Nachrichten Recht Anzeigenbörse Impressum © Sven weber/Fotolia.com © WoGi/Fotolia.com © rrrob/Fotolia.com 2 B R e m e R StA n d P u n k t BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Ohne Fleiß mehr Preis? Mit einigen Erwartungen fuhr eine Bremer Delegation im Juli Betroffene einer Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeits­ nach Erfurt. Dort sollte das Bundesarbeitsgericht über die Klage zeit von 48 Wochenstunden (inklusive aller Dienste!) nicht mehr eines Bremer Arztes entscheiden. Der Arzt wollte klargestellt zustimmen. Einem solchen „opt­out“ auf maximal z. B. 60 Wo­ haben, dass ein Arbeitgeber nicht über die im Arbeitszeitgesetz chenstunden (nach TV­Ärzte/VKA) muss ja einzelvertraglich vorgeschriebene Ruhezeit verfügen darf, sondern dass in dieser schriftlich zugestimmt werden. Und dazu kann man nur raten, Zeit keine Arbeitspflicht angenommen werden darf. Dabei ging wenn der Arbeitgeber sich gleichzeitig in diesem Vertrag ver­ es dem Kläger nicht um quasi doppelte Vergütung von nächt­ pflichtet, die Arbeitszeit so zu planen, dass keine „Minusstun­ lichen Bereitschaftsdiensten (weniger Arbeit wegen Ruhezeit den“ entstehen oder aber eine Vergütungsregelung zugesteht, und darüber hinaus Freizeitausgleich), sondern er forderte, dass die das ebenfalls verhindert. Es bleibt außerdem der Weg, bei der Arbeitgeber einen Freizeitausgleich für geleistete Dienste zu den nächsten Tarifverhandlungen zusätzlich eine entsprechende einer anderen Zeit als der gesetzlichen Ruhezeit gewähren Regelung in die Tarifverträge aufzunehmen. Welche Bedeutung müsse. Denn es wäre einem Arbeitgeber durchaus möglich, die die „Minusstundenproblematik“ nicht nur in Bremen sondern Arbeitszeiten so zu planen, dass die ihm geschuldete Wochenar­ deutschlandweit hat, zeigte sich ja schon an den Streiks in die­ beitszeit erbracht werden kann, obwohl Ruhezeiten nach Be­ sem Jahr. Durch die erreichte deutlich bessere Vergütung der reitschaftsdiensten anfallen. Ein dann eingeplanter Freizeitaus­ Bereitschaftsdienststunden wird wenigstens dem Anreiz entge­ gleich außerhalb der Ruhezeiten würde für beide Seiten zu ei­ gen gewirkt, mit „billigeren“ Bereitschaftsdienststunden „teu­ nem befriedigenden Ergebnis kommen: Der Arbeitgeber vergü­ rere“ Regelarbeitszeit aufzufüllen. Dennoch lässt der unver­ tet den Dienst in zusätzlich gewährter Freizeit an Stelle von ständliche Richterspruch die Problematik fortbestehen, dass tatsächlich geschuldeter Arbeitsleistung, der Arzt hat seinerseits ausgerechnet bei hoher Belastung durch viele angeordnete einen Vorteil gegenüber jenen, die keine Dienste leisten müs­ Dienste „Minusstunden“ entstehen und z. B. kein Ausgleichstag sen. Wie solche Pläne aussehen könnten, haben wir im Bremer nach Wochenenddiensten frei gegeben werden kann, weil alle Ärztejournal vom Juni 2009 veröffentlicht. So wurde auch dem Stundenreserven aufgebraucht sind. Gericht gegenüber argumentiert. Leicht fassungslos vernahm Ohne Zweifel wäre für den Arbeitsfrieden insgesamt und auch man dann das Urteil: Die gesetzliche Ruhezeit, in der der Ge­ als Zeichen der Wertschätzung des Einsatzes in Bereitschafts­ setzgeber das Arbeiten verbietet, darf zum Freizeitausgleich für diensten eine andere Bewertung der gesetzlichen Ruhezeit hilf­ Bereitschaftsdienste benutzt werden, also quasi fiktiv vom Arbeit­ reicher gewesen. Denn die Betroffenen werden sich dennoch geber als geschuldete Arbeitszeit verplant werden. Dies führt gemäß ihrem Gerechtigkeitsempfinden verhalten und dort, wo dann zu dem absurden Ergebnis, dass der Arbeitgeber gar kei­ Arbeitgeber an schlechten Arbeitszeitmodellen mit hoher Dienst­ nen Anreiz hat, Arbeitspläne so aufzustellen, dass ein Arzt/eine belastung und „Vergütung“ durch „Minusstunden“ festhalten, Ärztin die tariflich geschuldete Wochenregelarbeitszeit trotz an­ ihre eigentlich so dringend gebrauchte ärztliche Arbeitskraft geordneter Bereitschaftsdienste erbringen kann. Ein Arbeitge­ nicht mehr zur Verfügung stellen. Wer dann noch über 48 Wochen­ ber kann so viele Dienste anordnen, dass der Arzt/die Ärztin stunden ärztlich tätig sein möchte, kann das ja als Honorararzt wegen der gesetzlichen Ruhezeiten (die nach dieser Logik als tun. Vielleicht also war der Richterspruch aus Erfurt nur eine nicht gearbeitete aber geschuldete Arbeitszeit gelten) sein sehr subtile Erinnerung daran, dass auch für angestellte Ärztin­ Stundensoll nicht erreicht, obwohl er beziehungsweise sie über nen und Ärzte gilt: Der Arztberuf ist ein freier Beruf! die Maßen ­ eben in Bereitschaftsdiensten ­ eingesetzt wurde. Wer viele Bereitschaftsdienste machen muss, z. B. weil Ärzte fehlen, der bekommt dann „Minusstunden“ und weniger für seine Arbeitsleistung, als jemand der wenige oder keine Dienste macht. Wen wundert es dann, wenn Ärztinnen und Ärzte und übrigens auch Pflegekräfte nicht mehr bereit sind, aufreiben­ de Nacht­ und Wochenenddienste zu leisten und sich andere Tätigkeitsfelder suchen. Die Konsequenz kann nur sein, dass Dr. Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der Ärztekammer Bremen 3 4 BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Aufgrund der Häufigkeit und Schwere von Suchterkrankungen und ihren Bedeu­ tungen für alle medizinischen Bereiche wurde für diese Ausgabe das Thema Suchtmedizin gewählt. Sie finden Bei­ träge zu ethischen und ökonomischen As­ pekten, zum Thema Alkoholfolgeerkran­ kungen sowie den Vor- und Nachteilen des moderaten Alkoholkonsums, zur Ben­ zo­diazepin-Abhängigkeit (und zum Ver­ schreibungsverhalten) sowie zur Behand­ lung und Substitution Drogenabhängiger, auch im Hinblick auf somatische und psy­ chiatrische Komorbidität. Eine aktuelle Übersicht über alle Angebote der Bremer Sucht- und Drogenhilfe finden Sie auf der Internetseite des Bremer Ärztejournals www.baej.de. Wir danken allen Autoren herzlich. Aufgrund des begrenzten Plat­ zes konnten wir einige Themen leider nicht berücksichtigen. Die stoffungebun­ denen Süchte z. B. wären einen eigenen Schwerpunkt wert gewesen. Wir hoffen jedoch, dass Sie interessante Beiträge und Anregungen entdecken und für die Thematik sensibilisiert werden. Es lohnt sich! Dr. Peter Heinen, Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. John Koc, Facharzt für Psychiatrie, Suchtmedizinische Grundversorgung, Bremen Behandlung Ethik Ökonomie und Ethik sind auch bei der Versorgung Suchtkranker in der Regel Gegenpositionen. Kriterien für eine optimierte Verteilung von knappen Gütern für Suchtkranke müssen entwickelt, das Suchtkonzept auf seine ethischen Implikationen hinterfragt werden. Ökonomie wird auf die Verteilung knapper Mittel nach betriebswirtschaftlicher Ratio­ nalität reduziert, Rationierungsmaßnah­ men werden mit wirtschaftlichen Zwängen begründet, die im Prinzip gegen den zen­ tralen Grundsatz der Versorgung ohne An­ sehen von Status und Person verstoßen, was nach dem ärztlichen Ethos nicht zu rechtfertigen ist, aber „ökonomisch“ als unumgänglich gilt. Ressourcen für Sucht­ kranke konkurrieren mit Gütern, die für die Bewältigung anderer Krankheiten und an­ derer gesellschaftlicher Aufgaben benötigt werden. Sind sie ökonomisch und ethisch zu rechtfertigen? Ausmaß des ­Ressourcenbedarfs Nach dem Ansatz der Global Burden of Di­ sease-Studie verlieren Bürger der Indus­ trienationen die meisten gesunden Le­ bensjahre durch alkoholbedingte Erkran­ kungen (5 Prozent) nach ischämischen Herzerkrankungen (8,4 Prozent) und der unipolaren Depression (7,9 Prozent). Von etwa 82 Millionen Deutschen sind ca. 40 Millionen der 18 bis 59-Jährigen Alkohol­ konsumenten. Davon haben 9,6 Millionen alkoholbezogene körper­liche, psychische oder soziale Störungen. Etwa 1,6 Millionen leiden an der psy­chischen Erkrankung „Alkohol­abhängigkeit“. In somatischen Kli­ niken werden ca. 770.000 Menschen mit alkoholbezogenen Störungen behandelt. Alkoholabhängigkeit wird bei der Ermitt­ lung der DRG bei 300.000 Kranken als Hauptdiagnose gestellt. In der Suchtpsy­ chiatrie werden weitere 300.000 Alko­hol­ abhängige behandelt. Aufgrund ökono­ mischer (?) Zwänge kam es seit Einfüh­ rung der PsychPV 1991 zu einer Umver­ teilung der erbrachten Leistungen, weg von mehr (psycho)therapienahen hin zu kriseninterventionellen Therapieverfah­ ren. Die Verlagerung in Richtung medizi­ nisch aufwändiger Behandlungsfälle hat zu einer Leistungsverdichtung mit einer Verkürzung der Behandlungszeiten ge­ führt, die in vielen Einrichtungen die ­Effektivität der Behandlung in Frage stellt. In Einrichtungen des Suchthilfe­ systems werden ca. 55.000 stationäre und 155.000 ambulante Entwöhnungs­ behandlungen pro Jahr durchgeführt. Die volkswirtschaftlichen Kosten werden für das Jahr 2002 in Deutschland auf insge­ samt 24,4 Milliarden Euro geschätzt. Dies entspricht 1,16 Prozent des BIP. 69,8 Pro­ zent der Gesamtkosten werden durch Männer verursacht. 8,4 Milliarden Euro entfallen auf direkte Kosten wie die am­ bulante und stationäre Behandlung oder die Rehabilitation. 60 Milliarden Euro werden für indirekte Kosten wie Morta­ lität, Arbeitsunfähigkeit, Frühberentung © Gina Sanders/Fotolia.com © Alx/Fotolia.com Schwerpunkt: Suchtmedizin suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Suchtkranker Ökonomie zen hat. Unter Effektivitätsgesichtspunk­ ten wird meist ein linearer Zusammen­ hang zwischen Ressourcenverbrauch (Auf­ wand, Kosten) und Effekt (Nutzen) ange­ nommen, wobei in der Realität umgekehrte U-Kurven – wie letztlich bei allen Wirkungsgradkurven – zu erwarten und klinisch zu beobachten sind. So hat jeder (therapeutische) Aufwand ein optimales Wirkungsmaximum, das nicht immer auf linearen Weg erreicht wird. Ein weiteres Kernkriterium für die Beurteilung einer gerechten Ressourcenverteilung ist die In­ anspruchnahme beziehungsweise Akzep­ tanz einer Leistung. Die Feststellung, dass eine Leistung mit großem Nutzen für we­ nige beziehungsweise eine Leistung mit geringem Nutzen für viele ökonomisch fragwürdig ist, ist trivial, und doch wer­ den solche Grundsätze nicht immer be­ achtet. So bekommen (gleiche) psychisch Kranke in unterschiedlicher Weise Res­ sourcen zugeteilt. Mögliche Versorgungsstrukturen ausgegeben. Der Ausgabenanteil für Sucht liegt im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen bei unterproportional nied­ rigen 12 Prozent. „Gleiche sollen gleich, Ungleiche ungleich behandelt werden“. Ferner sollen Güter „je nach Bedarf verteilt werden“. Es geht folglich um bedarfsgerechte Versorgungs­ strukturen. Moral und Ethik Sucht wird häufig als Ergebnis eines schuldhaft selbstschädigenden Verhaltens gesehen. Entsprechend moralisierend be­ gegnet man Suchtkranken. Das Bundes­ sozialgericht hat dagegen bereits 1968 festgestellt, dass Trunksucht eine Krank­ heit ist, mit Kontrollverlust und Unfähig­ keit, das Trinken zu beenden. Trotzdem wird Sucht nicht immer als Krankheit be­ griffen. Die Ignoranz betrifft nicht nur Laien, sondern auch „Fachleute“ der me­ dizinischen Versorgung und Krankenversi­ cherer. Wenn nun aber Sucht eine Krank­ heit ist, dann gelten für Alkoholkranke die gleichen ethischen Maßstäbe wie für alle Kranken. Beauchamp und Childress (2009) unterscheiden aus medizinethischer Sicht „4 Prinzipien mittlerer Reichweite“, näm­ lich das Nichtschadensprinzip, das Prinzip der positiven Fürsorgepflicht, das Prinzip der Selbstbestimmung und des Respekts vor der Autonomie sowie das Prinzip der (Verteilungs)Gerechtigkeit oder Fairness. Ziel ist die gerechte Verteilung von Res­ sourcen, wie z. B. finanzielle Mittel oder andere Güter – auch für Suchtkranke. Zur Ökonomie der Behandlung Die Wirtschaftswissenschaft untersucht den rationalen Umgang mit Gütern, die nur beschränkt verfügbar sind. Nachhalti­ ges Wirtschaften bedeutet, die Bedürf­ nisse der heutigen Zeit so zu befriedigen, dass auch nachfolgende Generationen ein intaktes ökologisches, soziales und öko­ nomisches System vorfinden und somit dieselben Möglichkeiten haben, ihre Be­ dürfnisse zu befriedigen, wie die heutige Generation. Man spricht deshalb von Ge­ nerationengerechtigkeit. Für eine ge­ rechte Verteilung von Gütern für Sucht­ kranke – auch im Hinblick auf andere kon­ kurrierende Versorgungsbedarfe – müssen Kriterien für die Vorzugswürdigkeit be­ stimmter Leistungen (Priorisierungsregeln) mit dem Ziel der „Outcome-Maximierung“ angegeben werden. Unter anderen sind dies „Wirkung“ (Effektivität) einer Leis­ tung in Bezug auf Ressourcenverbrauch sowie „Inanspruchnahme“ der Leistung (Effizienz). Ziel muss sein, das Geld so auszugeben, dass es den größtmöglichen individuellen und gesellschaftlichen Nut­ Es stellt sich somit aus ethischer und öko­ nomischer Sicht gleichermaßen, das heißt widerspruchsfrei, die Frage nach Kriterien für eine gerechte, das heißt op­ timierte Verteilung von knappen Gütern für Suchtkranke. Unter diesen Aspekten ist ein gegliedertes System von Versor­ gungsebenen mit spezifischen Aufträgen, Kompetenzen, Verantwortungen und Qua­ litätsansprüchen zu definieren. In groben Zügen können drei Versorgungsebenen unterschieden werden: Die Ebene der Kontaktaufnahme und Primärversorgung (somatische Kliniken, Hausärzte und Be­ ratungsinstitutionen); auf der zweiten Ebene die suchtspezifische Basisversor­ gung (Spezialambulanzen, suchtpsychia­ trische Institutsambulanzen und psycho­ soziale Behandlungs- und Beratungsstel­ len); auf der dritten Ebene die suchtspe­ zifische Spezialversorgung (Spezialkliniken und ambulante Spezialeinrichtungen für Rehabilitation/Entwöhnung). Diese Ver­ sorgungsebenen sind horizontal und ver­ tikal zu vernetzen, um eine optimale In­ anspruchnahme zu erreichen (eine be­ darfsgerechte Versorgung bedeutet nicht eo ipso eine Zuweisung nach maximalis­ tischen Versorgungsregeln). Für eine ver­ besserte Versorgungsgerechtigkeit sind auch neue Organisationsformen der Ver­ netzung und Integration ambulanter, teil­ stationärer und stationärer Angebote über die verschiedenen Therapieformen wie Entzugsbehandlungen, Reha­bili­ta­ tion, Behandlung chronisch mehr­fach 5 6 suchtmedizin ­ eeinträchtigter hinaus zu entwickeln. Sol­ B che Maßstäbe müssen gleichermaßen für die Optimierung der Kostenträgerlandschaft gelten, wobei die Vorzüge des geglieder­ ten Systems erhalten bleiben müssen. Chancen und Risiken in Thesen Ethik und Ökonomie im so verstandenen Sinne eröffnen Chancen für die Sucht­ krankenbehandlung. Sucht ist im geglie­ derten System, auch im Entzug, primär als psychische Erkrankung zu behandeln. Die hohe Belastung mit somatischer und psy­ chischer Komorbidität spricht für interdis­ ziplinäre Behandlungsansätze in multi­ professionellen Teams (biopsychosozialer Ansatz). Ein gegliedertes Versorgungs­ system verhindert unangepasste Mini­ mal- oder Maximalversorgung unter Nut­ zung von Synergien. Integrative Organi­ sationsformen mit nahtlosen Übergängen zwischen den Behandlungsformen ein­ schließlich Rehabi­litation und den am­bu­ lanten sowie (teil)stationären Versorgungs­ segmenten sind gleichermaßen ethisch wie ökonomisch begründet. Dies gilt auch für die Vernetzung des psychosozia­ len Suchthilfesystems mit der Suchtpsych­ iatrie, dem medizinisch-somatischem Hil­ fesystem, der Alten- und Jugendhilfe und der Forensik. Die Risiken wären bei „öko­ nomischer“, auf Betriebswirtschaft redu­ zierter Betrachtung erheblich. Ziel wäre dann eine Gewinnmaximierung von Ren­ BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 diten z. B. auf Kosten der tatsächlichen Qualität bei hoher formalistischer, das heißt bürokratischer, Qualität. Therapeuten müssten nach „Produktivität“ (z. B. Patien­ tenkontakte pro Zeiteinheit) „gemessen“ werden. Leichter „kalkulierbare“ somati­ sche Aspekte der Sucht würden stärker gewichtet unter Verkennung von Sucht als psychische Erkrankung. Die Ablehnung von Fallpauschalen (DRG) in der Psychiatrie wäre kaum zu begründen. Falsche Be­ handlungsanreize mit sekundären Stig­ matisierungen der Patientengruppe wären nicht zu verhindern. Eine zunehmende „Kapitalisierung“ von Sucht/Krankheit drohte gleichermaßen durch die Suchtmit­ telindustrie (Markterschließung), durch Pa­ tienten (Krankheit als letzter „Besitz“, der ein Einkommen über AU oder Frührente sichert), durch die Versichertengemein­ schaft (Gesundheit als Ware und käufliches Gut), durch Kostenträger („Industrialisie­ rung“ in Form von Therapiepaketen wie bei Pauschalreisen), durch Wissenschaft (Reduzierung auf vermarktbare evidenz­ basierte Strategien unter Ausgrenzung er­ fahrungsbasierter, der multidimensionalen Komplexität von Krankheit Rechnung tra­ gender Therapieformen), durch Therapeu­ ten (Einstellungs- und Haltungswandel in der Therapeut-Patient-Beziehung in Rich­ tung Priorisierung des Erlöswertes der Krankheit statt Fokussierung der Bedürftig­ keit des kranken Menschen). Herausforderungen Konzepte für den Umgang mit neuen Süchten wie z. B. Glücksspiel-, Internetoder Mediensucht sind zu entwickeln. Neue Behandlungsmethoden wie die Diamorphinbehandlung sind ethisch und ökonomisch zu überprüfen, ebenso die von Kostenträgern unter dem Aspekt der Kostenminimierung favorisierte Ambu­ lantisierung der Behandlung. Positionie­ rungen sind gegenüber Phänomenen wie dem Neuro-Enhancement und „Brain ­doping“, neuen Formen der Selbstmani­ pulation, erforderlich. Möglichkeiten zur besseren Vernetzung und Kooperation über die Systemgrenzen hinaus sind zu prüfen. Priorisierungsregeln und Vertei­ lungskriterien für die Ressourcenalloka­ tion sind weiter zu entwickeln. Das Sucht­ konzept ist auf seine ethischen Implika­ tionen zu hinterfragen. Innovative Thera­ pieformen unter Einbeziehung des Inter­nets mit virtuellen Sucht- und Konsum­räumen einerseits sowie Therapie­räumen andererseits sind auf Wirksamkeit, Er­ reichbarkeit und ethisch-ökonomische Verträglichkeit zu untersuchen. Literatur beim Verfasser. Dr. Heribert Fleischmann, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Bezirkskrankenhaus Wöllershof KVHB: Hautnah – Eine Veranstaltung für Patienten und deren Angehörige Wenn die Seele auf den Körper drückt Bei etwa einem Viertel aller Patienten finden Ärzte keine oder keine ausreichen­ den organischen Ursachen für ihre Beschwerden – trotz High-Tech-Medizin und moderner Diagnostik. Somatoforme Störungen sind deshalb am 22. September Thema in der Veranstaltungsreihe „KVHB: Hautnah – Eine Veranstaltung für Patien­ ten und deren Angehörige“. Datum: Mittwoch, 22. September 2010 Uhrzeit: 16.00 bis ca. 17.30 Uhr Ort: Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) Gebühr: Kostenlos Referenten:Dr. Renate Ronski (Fachärztin für Allgemeinmedizin) Dr. Christiane König (Fachärztin für Gynäkologie) Christian Warrlich (Ärztlicher Psychotherapeut) Carmen Vogel (Gesundheitsamt Bremen / Selbsthilfe- und Gesundheitsförderung) Dr. Thomas Liebsch (Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Bremen) www.kvhb.de/ termine/hautnah.php suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Alkoholassoziierte ­Organschäden Alkoholhepatitis und Pankreatitis zählen zu den häufigsten Folgeerkrankungen erhöhten Alkoholkonsums. Trotz einiger Studienergebnisse zu positiven Auswirkungen moderaten Alkoholkonsums auf das Herz-Kreislaufsystem steht fest: Risikofreies Alkoholtrinken gibt es nicht. Abb. 1: Wirkung des akuten und chronischen Alkoholkonsums auf die Mundhöhle, den Rachen und den ­Gastrointestinaltrakt. Alkoholassoziierte Erkrankungen gehen mit erheblichen gesundheitlichen und so­ zialen Folgen für Patienten, Familien und die Gesellschaft einher. Positiv ist trotz­ dem, dass der überwiegende Anteil der Bevölkerung alkoholische Getränke in ei­ ner Weise zu sich nimmt, die nicht zu ne­ gativen Folgen für die eigene Person oder für Dritte führt (vgl. Tab. 1). Obwohl es „nur“ eine Minderheit der Bevölkerung ist, die mit alkoholischen Getränken nicht adäquat umgehen kann, sind die alkohol­ bedingten Folgen in der Gesellschaft be­ trächtlich. Weltweit schätzt die WHO, dass 6 Prozent des Bruttosozialproduktes einer Industrienation für die alkoholassoziierten Folgeschäden verwendet werden. Der volkswirtschaftliche Schaden beziffert sich in Deutschland auf etwa 24 Milliarden Euro jährlich (DHS 2008). Neben den ge­ sundheitlichen Schäden spielen auch an­ dere Risiken im Zusammenhang mit Alko­ hol eine Rolle, z. B. alkoholbedingte Un­ fälle am Arbeitsplatz oder Probleme im sozialen Bereich. Bis zu 75 Prozent der ­Alkoholiker, die zur stationären Entwöh­ nungsbehandlung kommen, leiden an Alkoholfolgekrankheiten. Bei 29 Prozent der Männer und 9 Prozent der Frauen, die in ein Allgemeinkrankenhaus eingewie­ sen wer­den, liegt eine alkoholassoziierte Erkrankung vor. Besonders betroffen sind Erwachsene im mittleren Alter (35-55 Jahre). Alkohol schädigt direkt und konzentra­ tionsabhängig die Schleimhaut von Mund­ höhle und Ösophagus und kann eine Re­ fluxösophagitis unterschiedlichen Grades hervorrufen. Neben der Wirkung auf die Schleimhaut senkt Alkohol am Ösopha­ gus beim gesunden Menschen akut den Tonus des unteren Ösophagussphinkters beziehnungsweise hemmt die primäre Peristaltik. Daraus resultiert ein gehäuf­ tes und verlängertes Auftreten gastro­ ösophagealer Refluxe mit verminderter Ösophagus-Clearance. Chronischer Alko­ holkonsum bewirkt zusätzlich zu diesen Veränderungen eine veränderte sekun­ däre Peristaltik. Im Magen schädigt Alko­ hol in den Konzentrationen und Mengen in alkoholischen Getränken (10-40 Vol.-%) innerhalb von 30 Minuten zu dosisabhän­ gigen Läsionen der Magenmukosa mit der Folge einer akuten (hämorrhagischen) Gas­tritis, dessen Abheilung mehr als 24 Stun­ den dauert (vgl. Abb. 2, Seite 8). Eine Potenzierung der toxischen Alkoholwir­ kung ist durch zusätzlichen Gebrauch von nichtsteroidalen Antiphlogistika mög­lich. Äthanol hat einen konzentrationsab­hän­ gigen Effekt auf die Magensäure­sekretion: niedrigprozentige Äthanollösungen (bis 4 Vol.-%) bewirken eine mäßige Stimu­ lation, höherprozentige (bis 40 Vol.-%) Äthanollösungen hemmen eher die Ma­ gensäuresekretion. Dagegen stimulieren durch Vergärung hergestellte alkoholi­ sche Getränke wie Bier, Wein, Cham­ pagner oder Sherry die Magensäure­ sekretion nahezu maximal. Untersuchun­ gen der eigenen Arbeitsgruppe haben gezeigt, dass es sich bei den maximal die Verteilung des Alkoholkonsums der erwachsenen Bundesbürger (Altersgruppe 18–64 Jahre) Anteil [%] 3,1 Lebenslang abstinente Personen 8,0 Nur letzte 12 Monate abstinent 14,1 Nur letzte 30 Tage abstinent 64,2 Risikoarmer Konsum > 0 – 30 g beim Mann; > 0 – 20 g bei der Frau 7,9 Riskanter Konsum > 30 – 60 g beim Mann; > 20 – 40 g bei der Frau 2,8 Gefährlicher oder Hochkonsum > 60 g beim Mann; > 40 g bei der Frau Tab. 1 7 8 suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Abb. 2: Wirkung von 100 ml Whisky, der endoskopisch auf die Antrum­mukosa des Magens gesprüht wurde: a) nach 240 Minuten; b) nach 24 Stunden. a b Magensäure stimulierenden Inhaltsstof­ fen um die Dicarboxylsäuren Bernstein­ säure und Maleinsäure handelt. Alkoho­ lische Getränke, die durch alkoholische Vergärung und anschließende Destilla­ tion entstehen, z. B. der Großteil der Ape­ ritifs und hochprozentige Spirituosen, stimulieren die Säuresekretion nicht. Epi­ demiologische Studien deuten darauf hin, dass chronischer Alkoholkonsum kein Risikofaktor für die Helicobacter-pyloriPrävalenz in der Magenschleimhaut dar­ stellt. Eine Interaktion zwischen der mu­ kosaschädigenden Wirkung des Äthanols und einer präexistenten Helicobacter-py­ lori-Infektion konnte bislang nicht nach­ gewiesen werden. Die große Mehrheit der retrospektiven, epidemiologische Un­ tersuchungen kommen zu dem Schluss, dass akuter und chronischer Alkoholkon­ sum nicht mit einer erhöhten Inzidenz von Ulcera peptica im Magen und Duode­ num assoziiert ist. Am Dünndarm schädigt Alkohol die Schleimhaut konzentrationsabhängig über die gleichen Mechanismen wie beim Öso­ phagus und Magen. Daraus kann eine Re­ duzierung der Dünndarmoberfläche (Zot­ tenatrophie) und Hemmung der Absorp­ tion zahlreicher Nährstoffe im Dünndarm (wie Glucose und Aminosäuren) resultie­ ren. Klinisch relevant wird diese Dünn­ darmschädigung aber nur bei starkem, chronischem Alkoholkonsum (Männer über 60 g/Tag, Frauen über 30 bis 40 g/ Tag). Die alkoholinduzierte Mukosaschädi­ gung hat jedoch weitreichende Folgen, da neue Studien darauf hinweisen, das durch die hierdurch bedingte Endotoxinämie ­einen entscheidende Rolle für alkohol­ assoziierte Organschäden, wie z. B. die Le­ berzirrhose, chronische Pankreatitis, Hirn­ atrophie, zerebrovaskuläre Erkrankungen und Polyneuropathie, darstellt. Alkohol­f olge­e rkrankungen Die Lebererkrankungen (Fettleber, Alko­ holhepatitis, Zirrhose), die chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pank­ reatitis) und die Malignomerkrankungen sind die häufigsten Alkoholfolgeerkran­ kungen. Eine Fettleber wird bei Patienten mit chronischen Alkoholkonsum in bis zu 90 Prozent, eine Alkoholhepatitis in bis zu 50 Prozent und eine Leber­ zirrhose zwischen 20 und 30 Prozent ge­ sehen. In Deutschland wird die Anzahl der Patienten mit Leberzirrhose auf min­ destens 300.000 geschätzt, davon mehr als 50 Prozent mit alkoholbedingter Zir­ rhose. Die Akutmortalität der Alkohol­ hepatitis liegt zwischen 15 und 25 Pro­ zent (Haupttodesursachen sind Leberkoma, gastrointestinale Blutungen, das soge­ nannte hepatorenale Syndrom und Infek­ tionen), die Vierjahresmortalität liegt bei 35 Prozent. Besteht zum Zeitpunkt der Alkoholhepatitis eine Zirrhose, beträgt die Vierjahresmortalität sogar 60 Prozent. Mit einer deutlichen Risikosteigerung für die Lebererkrankung ist bei Männern ab einem Alkoholkonsum zwischen 40 und 60 g/Tag und bei Frauen ab einem Alkoholkonsum von 20 bis 30 g/Tag zu rechnen. Bis 40 g/Tag wird kein sicherer Effekt bei Männern beobachtet, bei 60 g/Tag ist das Risiko sechsfach erhöht, bei 80 g/Tag vier­ zehnfach erhöht. Das Risiko der Frau ist nahezu doppelt so hoch wie das der Män­ ner. Neuere Daten zeigen bereits für ge­ ringe Mengen (12 g/Tag) ein im Vergleich zu Nichttrinkern erhöhtes Risiko für eine Leberzirrhose. Neben Veränderungen des Immunsystems, der toxischen Wirkung des Acetaldehyds, metabolischen Auswirkun­ gen (oxidativer Stress, Endotoxin- bzw. Zytokinexpression, Aktivierung neutro­ philer Granulozyten etc.) spielen Ernäh­ rungsfaktoren in der Pathogenese alkohol­ induzierter Lebererkrankungen eine Rolle. Die häufigste und wichtigste alkoholbe­ dingte Erkrankung des Pankreas ist die chronische Pankreatitis und imponiert kli­ nisch häufig als eine „akute“ Pankreatitis bei bereits bestehenden morphologi­ schen Zeichen einer chronischen Bauch­ speicheldrüsenerkrankung. Bei einem chronischen Alkoholabusus von mehr als 80 g Alkohol (entspricht circa 1 Liter Wein) pro Tag und einer Dauer von durchschnitt­ lich 17 Jahren bei Männern und zehn Jah­ ren bei Frauen ist eine klinische Manifes­ tation der chronischen Pankreatitis ab­ sehbar. Dabei spielt nicht die Art des al­ koholischen Getränks, sondern die abso­lute Alkoholmenge für die Entwicklung der chronischen Pankreatitis die entschei­ dende Rolle. Als untere Dosis, ab der das Risiko für eine chronische Bauchspeichel­ drüsenerkrankung ansteigt wird ein täg­ licher Alkoholkonsum von 20 g/Tag ange­ nommen, wobei keine toxische Schwel­lendosis existiert. Kardiovaskuläre Erkrankungen Gegenstand der öffentlichen Diskussion sind die positiven Auswirkungen des mo­ deraten Alkoholkonsums auf das HerzKreislaufsystem. Tatsächlich scheint mo­ derater Alkoholkonsum die Mortalität bei der koronaren Herzerkrankung (KHK) zu senken. Mögliche, die Mortalität beein­ flussende Mitfaktoren („confounder“) wie Alter, Rauchen, Hypertonie, BMI (Body Mass Index), Gesamtcholesterin und HDLCholesterin sind von untergeordneter Be­ deutung. Die bisherigen Forschungser­ gebnisse deuten darauf hin, dass ein ge­ ringer bis moderater Alkoholkonsum pro Tag einen günstigen Effekt bei der Vor­ beugung der koronaren Herzerkrankung und bei Durchblutungsstörungen des Ge­ hirns (i.e. Schlaganfall) hat. Diese Wir­ kung scheint aber nur dann einzutreten, wenn keine anderen Risiken wie Herz­ rhythmusstörungen, Bluthochdruck und Stoffwechselstörungen vorliegen und das 45. bis 50. Lebensjahr überschritten ist. Die als „french paradox“ beschriebene Beobachtung, dass vor allem bei der stark Rotwein trinkenden französischen Bevölkerung eine sehr niedrige Inzidenz der koronaren Herzerkrankung aufweist, wurde neben der Alkoholwirkung auf die im Rotwein sehr hohe Konzentration an phenolischen Inhaltsstoffen zurückge­ führt. Jedoch konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass vor allem der Alko­ holgehalt und nicht die Phenole hinsicht­ lich ihrer kardioprotektiven Wirkung ent­ scheidend sind und dass diese Wirkung unabhängig vom alkoholischen Getränk ist (z. B. Wein, Bier, Spirituosen). Unab­ hängig hiervon können phenolische In­ haltsstoffe des Weins als Antioxidanzien im LDL-Stoffwechsel wirken und so zum antiatherogenen Effekt von Wein beitra­ suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 gen (vgl. Tab. 2). Entscheidend bei der Alkoholwirkung ist außerdem nicht die rechnerisch durchschnittlich getrunkene Alkoholmenge, sondern der gleichmä­ ßige Konsum einer moderaten Alkohol­ menge pro Tag. Die protektive Alkohol­ wirkung wird höchstwahrscheinlich durch dessen Einfluss auf die Atherogenese und insbesondere auf den Lipoproteinstoff­ wechsel bewirkt, was zu einem günstigen HDL/LDL-Quotienten führt (vgl. Tab. 2). Die Beziehung zwischen Alkoholkonsum und Gesamtmortalität ist nicht L-förmig, son­ dern U-förmig. Moderater Alkoholkonsum weist – ohne Korrektur für Risikofaktoren – eine bis zu 60-prozentige Reduktion der Zahl der Gesamttodesfälle auf. Ein protektiver Effekt wäre bei einem Alko­ holkonsum zwischen 20 bis 40 g/Tag für Männer und für Frauen deutlich darunter anzunehmen. Bei höherem Alkoholkon­ sum steigt die Gesamtmortalität wieder an. Der protektive Effekt moderater Alko­ holmengen ist auch bei Patienten mit bereits manifester KHK nachweisbar. Er­ wähnenswert ist, dass ein vergleichbarer Effekt auch durch eine ausgewogene Er­ nährung (Stichwort: „mediterrane Diät“) und sportliche Betätigung möglich ist. Akuter aber vor allem chronischer Alko­ holabusus birgt die Gefahr der Entste­ hung von Herzrhythmusstörungen wie z. B. supraventrikuläre Tachyarrhythmien (sogenannte „holiday heart syndrome“), Vorhofflattern, ventrikulären Extrasysto­ len sowie verschiedenen Formen der Er­ regungsleitungsverzögerungen mit AVBlockierungen und Schenkelblockbildern. Inwieweit diese Arrhythmien auf die di­ rekte arrhythmogene Potenz von Äthanol zurückzuführen sind, bleibt unklar. Zahl­ reiche Studien konnten eindeutig die er­ höhte Inzidenz an Fällen von plötzlichem Herztod bei Patienten mit schwerem Al­ koholabusus nachweisen. Etwa ein bis zwei Prozent aller Patienten mit chroni­ schem Alkoholabusus entwickeln Symp­ tome einer Herzinsuffizienz. Andererseits sind zwischen 40 und 60 Prozent der dila­ tativen Kardiomyopathien „unklarer Ge­ nese“ auf chronischen Alkoholabusus zu­ rückzuführen, wobei für die Krankheits­ manifestation die lebenslang kumulativ aufgenommene Alkoholmenge von ca. 40 bis 80 g/Tag von entscheidender Be­ deutung zu sein scheint. Außerdem wirkt Alkohol in einer linearen Beziehung ­blutdruckerhöhend: Ab einem Alkohol­ Erkrankungen, auf die moderater Alkoholkonsum eine höchstwahrscheinlich protektive Wirkung ausübt Koronare Herzerkrankung Protektive Wirkungsmechanismen des Alkohols nErhöhung der HDL2- und HDL3-Fraktionen nSenkung des Fibrinogen, der Blutplättchenaggregation und – in geringem Ausmaß – des LDLs nErhöhung nDas der fibrinolytischen Aktivität genetisch determinierte Lipoprotein-a wird gesenkt Protektive Wirkungsmechanismen der phenolischen Inhaltsstoffe alkoholischer Getränke nBeeinflussung nStimulation nHemmung des Arachidonstoffwechsel der Postaglandinsynthese der Thromboxansynthese nHemmung sowohl der durch Thrombin als auch durch Adenosindiphosphat (ADP) induzierte Thrombozytenaggregation nSenkung der Sekretion an Apolipoprotein B nAntioxidative Wirkung nBlutdrucksenkung über eine durch Stickstoffmonoxid (NO) vermittelte Gefäßerweiterung Ischämischer Insult Tab. 2 konsum von 30 g/Tag bei Männern be­ ziehungsweise 20 g/Tag bei Frauen ist ein signifikanter Anstieg des Blutdrucks wahrscheinlich. Eine Reduktion der Alko­ holaufnahme beeinflusst den Blutdruck günstig. Bei Patienten mit Bluthochdruck wird daher ein weitgehender Verzicht auf Alkohol empfohlen. Alkoholkonsum und Krebs Chronischer Alkoholmissbrauch ist mit ei­ ner deutlich erhöhten Inzidenz bösartiger Tumoren der Schleimhaut (Karzinome) in Mundhöhle, Pharynx, Hypopharynx und Ösophagus assoziiert (vgl. Abb. 3 a, b, Seite 10). Dabei besteht unabhängig von der Art des konsumierten alkoholischen Getränks eine Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen dem täglichen Alkoholkonsum und dem Karzinomrisiko: je mehr Alko­ hol, umso größer das Risiko. Das Risiko, an einem Mundhöhlen- oder Kehlkopf­ karzinom zu erkranken, ist bei einem täglichen Alkoholkonsum von 75 bis 100 g um mehr als das 13-fache und bei über 100 g um das 14-fache erhöht gegen­ über der Normalbevölkerung. Das höchste Risiko betrifft den Rachenkrebs. Für den Konsum von mehr als 100 g Alkohol pro Tag wurde ein relatives Risiko von 125 errechnet. Wird bei Rauchern (mehr als 75 Prozent der Alkoholiker rauchen) der krebserzeugende Effekt des Tabakrauchs berücksichtigt, steigt das relative Risiko, an einer der genannten Krebsarten zu er­ kranken auf das 16-, 19- beziehungsweise 210-fache an. Das Ergebnis einer Meta­ analyse aller bisher vorliegenden epide­ miologischen Daten über die Wirkung des chronischen Konsums alkoholischer Getränke und die Entstehung von bösarti­ gen Tumoren des Menschen belegen eine Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen dem täglichen Alkoholkonsum und dem Auftreten bösartiger Tumore: Jeder Alko­ holkonsum – ob gering, moderat oder stark – steigert die Krebshäufigkeit: Mit jedem durchschnittlich pro Tag getrunken „Drink“ (1 Drink entspricht im Mittel ca. 10 g Alkohol) steigt das Risiko an einem bösartigen Tumor zu erkranken um 5 bis 30 Prozent, mit dem höchsten Risiko bei den Tumoren der Mundhöhle, des Pha­ rynx, Hypopharynx und des Ösophagus. Eine Grenzdosis jenseits derer die Toxizi­ tät beziehungsweise Kanzerogenität kli­ nisch relevant zunimmt, existiert nicht. Bezüglich des Magenkarzinoms konnte kein gehäuftes Auftreten bei chronischem Alkoholkonsum gefunden werden. Dies gilt selbst bei Alkoholmengen von mehr 9 10 suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 für ein Pankreaskarzinom gilt. Das kumu­ lative Risiko, an einem Pankreaskarzinom zu erkranken, beträgt 10 bis 20 Jahre nach Diagnosestellung einer chronischen Pankreatitis im Vergleich zur Normalbe­ völkerung 1,8 Prozent beziehungsweise 4,0 Prozent. Das Risiko besteht unabhän­ gig vom Geschlecht des Patienten, der Region und Ätiologie der Pankreatitis. Alkohol birgt Gesundheitsrisiken a b Abb. 3 a, b: Schematische Darstellung der möglichen Mechanismen der alkoholassoziierten Karzinogenese in Mundhöhle und Ösophagus. An der Entstehung bösartiger Tumore in Mundhöhle und Ösophagus sind eine Vielzahl an Mechanismen ­beteiligt: zum einen die chronische Entzündung der Speiseröhre, hervorgerufen durch den direkt toxischen ­Effekt des Äthanols in Verbindung mit dem gastroösophagealen Reflux. Hierdurch wird die Schleimhaut ­anfälliger gegenüber toxischen Substanzen, die zur Bildung von Tumoren führen können, sogenannten Karzinogenen, wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Nitrosamine (Abb. 3 a). Diese sind in unterschiedlichen Konzentrationen in den verschieden alkoholischen Getränken (in relativ hoher Konzentration im Bier) enthalten oder werden aus Vorstufen, sogenannten Prokarzinogenen, in der Leber gebildet. Da durch präferierten Äthanolabbau der der krebserzeugenden Substanzen in der Leber gehemmt wird, steigt deren Der Konsum von Alkohol (auch der mo­ derate) birgt Erkrankungsrisiken in sich. Es stehen die protektiven Wirkungen des Alkohols auf das Herz-Kreislaufsystem denen der schädlichen Wirkung auf an­ dere innere Organe gegenüber. Voreilige Rückschlüsse, dass durch moderaten Al­ koholkonsum und seine Effekte auf das Herz-Kreislaufsystem die Mortalität der Gesamtbevölkerung um 3 bis 4 Prozent gesenkt werden könnte, sind aus Volks­ gesundheitsperspektive falsch, da der menschliche Organismus nicht nur aus einem „Organsystem“ besteht und ein klarer Zusammenhang zwischen dem Ge­ samtkonsum alkoholischer Getränke und den alkoholbedingten Folgekrankheiten beziehungsweise Folgeschäden nachge­ wiesen ist. Das Trinken von Alkohol – selbst in moderaten Mengen – ist mit ei­ nem gewissen Gesundheitsrisiko verbun­ den. Dieses gesundheitliche Risiko steigt deutlich mit der konsumierten Alkohol­ menge, ist aber selbst bei Genuss von einem Glas Wein oder Bier täglich vor­ handen. Weniger Alkohol ist besser, mehr Alkohol birgt mehr Risiken. Es ist unver­ antwortlich, zur Gesundheitsförderung beziehungsweise Krankheitsvermeidung zum Alkoholkonsum aufzurufen oder dessen unreflektierten Genuss zu propa­ gieren. Denn: Risikofreies Alkoholtrinken gibt es nicht. Konzentration im Blut, und die Kontaktzeit der im Blut transportierten lokal wirkenden Substanzen mit der Literatur beim Verfasser. verletzlicheren Schleimhaut wird länger (Abb. 3 b). Prof. Dr. Stephan Teyssen, als 200 g/Tag. Die Art des konsumierten alkoholischen Getränkes (Bier, Wein, Spi­ rituosen) hat ebenfalls keinen Einfluss. Zum Kardiakarzinom existieren zurzeit keine sicheren Daten. Personen mit höherem Alkoholkonsum besitzen ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, im Kolon adenomatöse Polypen zu entwickeln, das heißt chronischer Al­ koholkonsum erhöht wahrscheinlich das Risiko für die Entstehung von Adenokar­ zinomen im Dickdarm. Beim Rektumkar­ zinom gilt ein solcher Zusammenhang als gesichert: Biertrinker, die mehr als einen Liter (> 40 g Alkohol) pro Tag trinken, weisen ein dreifach höheres Risiko für diese Krebsart auf. Als molekularen Me­ chanismus der alkoholassoziierten Karzi­ nogenese wird die DNA-schädigende Wir­ kung des Azetaldehyds gesehen. Hin­ sichtlich der Inzidenz des Pankreaskarzi­ noms besteht zwar keine direkte, jedoch indirekte Assoziation mit chronischem Al­ koholkonsum, da chronischer Alkohol­ konsum eine chronische Pankreatitis in­ duzieren kann, welche als Präkanzerose Chefarzt Medizinische Klinik, Innere Medizin, St. Joseph-Stift Bremen suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Benzodiazepine: Therapie, Missbrauch und Abhängigkeit Die Einführung der Benzodiazepine als Arzneimittel um 1960 hat die Arzneitherapie ­r evolutioniert. Allerdings hat die Erfolgsgeschichte auch Nachteile: Benzodiazepine ­k önnen abhängig machen und sie können psychomotorisch beeinträchtigen. Die vorher hohe Sterblichkeit an Schlaf­ mittelvergiftungen (Barbiturate!) ist mit der Einführung von Benzodiazepinen in die praktische Medizin sehr gering ge­ worden, die Narkosetechnik hat sich ver­ bessert und die Therapie einiger neuro­ psychiatrischer Störungen ist jetzt effekti­ ver und sicherer. Doch die Benzodiaze­ pinabhängigkeit ist in Deutschland die dritthäufigste Suchtkrankheit. Der Um­ gang mit Benzodiazepinen muss äußerst sensibel und korrekt erfolgen, um Ab­ hängigkeiten zu vermeiden. Aspekte der Pharmakologie Die Benzodiazepine und verwandte Sub­ stanzen (z. B. Zolpidem, Zopiclon und ­Zaleplon) sind Agonisten am GABAA-­Rezeptor im ZNS mit unterschiedlicher Rezeptor­ affinität, Elimination und leicht differen­ tem Wirkspektrum. Zum Teil ist die Wir­ kung durch Metabolite mitbestimmt. Die Benzodiazepine und verwandte Verbin­ dungen haben pharmakologische Elemen­ tarwirkungen, die beim Menschen ge­ nutzt werden: nanxiolytische Wirkung nSedierung und Verstärkung der Wirkung anderer Sedativa nschlafanstoßende Wirkung nzentrale Muskelrelaxation und Verminderung der Muskelkraft nantikonvulsive Wirkung namnesiogene Wirkung Diese Wirkungen sind bei den einzelnen Substanzen etwas unterschiedlich ausge­ prägt. © Sven Weber/Fotolia.com Gefahren, Abusus und ­A bhängigkeit Die Einnahme von Benzodiazepinen führt zu einer Verdopplung des Risikos für ei­ nen Straßenverkehrsunfall. Dies gilt vor allem für die Kombination dieser Stoffe mit Alkohol. Ältere Menschen, die hohe Dosen und /oder lang wirksame Substan­ zen einnehmen, sind besonders gefähr­ det. Im Übrigen gibt es epidemiologische Hinweise für eine Erhöhung des Sterberi­ sikos durch Benzodiazepingebrauch. Vor allem scheint die Wahrscheinlichkeit von Stürzen bei älteren Menschen erhöht zu sein. Benzodiazepinabhän­ gige entwickeln oft schwer­ wiegende und lebensbe­ drohliche Entzugser­ scheinungen, wenn die Stoff­ zufuhr stockt. Der schädliche Ge­ brauch von Benzodi­ azepinen ohne Abhän­ gigkeit ist selten (weni­ ger als 10 Prozent der Fälle), die meisten Betrof­ fenen sind abhängig. Allen­ falls bei kombiniert Abhängi­ gen (z. B. mit Alkohol) tritt er auf. Die Benzodiazepinabhängigkeit kommt in drei häufigen Formen vor: nBenzodiazepine kombiniert mit an­ deren Suchtstoffen (Alkohol,Opioide) nBenzodiazepine nach anderen Sucht­ stoffen (z. B. Alkohol) nBenzodiazepine lebenslang isoliert Bei den Kombinationen dominiert in der Regel das Nichtbenzodiazepin, abgese­ hen von Fällen mit sehr hochdosiertem Benzodiazepinkonsum. Letzterer kann dann durchaus das Krankheitsbild bestimmen. Bei den „Umsteigern“ und bei den iso­ lierten Fällen dominiert das Benzodiaze­ pin. Bei den Benzodiazepinen wird häufig eine sogenannte „Niedrig­dosis-Abhängig­ keit“ beobachtet, das heißt ein Konsum in therapeutischen Dosen. Auch die Ein­ nahme extrem hoher Dosen (z. B. 80 mg Diazepam täglich) wird beobachtet. Die Hochdosis-Abhängigkeit ist besonders in der Drogen­ sze­ne verbrei­ tet, in Kombination mit Heroin, Methadon und Alkohol. Hohe Dosen gehen mit erhöhten Risiken einher, z. B. Krampfan­ fälle oder Psychosen im Entzug. An Ben­ zodiazepinabhängigkeit erkranken einige Personengruppen bevorzugt: Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, mit post­traumatischen ­Belastungsstörungen (PTBS), mit hyperkinetischem Syndrom (ADHS), mit Angststörungen und mit De­ pressionen sind gefährdet. Das trifft ganz besonders für Patienten mit vorbeste­ henden Suchtkrankheiten zu (vor allem Alkohol oder Drogen), aber auch für Men­ schen in ­Lebenskrisen, Vereinsamte und 11 12 suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Psychische Entzugs­e rscheinungen Körperliche Entzugserscheinungen nGier nach erneuter Benzodiazepinzufuhr nfeinschlägiger Tremor nQuälende Einschlafstörungen und Albträume nAngstzustände bis hin zu Panikattacken nperzeptuelle Störungen (z.B. Hyperakusis) nMuskelverspannungen, Muskelrigidität und ­Muskelzuckungen ngeneralisierte Krampfanfälle nÜbelkeit und Erbrechen nmotorische Unruhe nDepressionen nEntzugspsychosen, vor allem Entzugsdelirien ninnere Unruhe Wesentliche Therapiepunkte nMotivationsarbeit (Benzodiazepinabhängige verstehen ihre Abhängigkeit oft erst nach vielen Jahren und erst mit Hausarzthilfe) nBehandlung (Entzug) zunächst ambulant, erst nach Scheitern stationär nBehandlung der auslösenden Krankheit (z. B. Panikstörung) nLangsames Herunterdosieren mit einem langwirksamen Benzodiazepin nPsychotherapeutische Hilfen nim Bedarfsfall Pharmakotherapie mit nichtsuchterzeugenden Substanzen (Anti­depressiva, Antikonvulsiva) Prävention Die Benzodiazepinabhängigkeit kann pri­ mär durch folgende Vorsichtsmaßnahmen verhindert werden: nkeine Verordnung an bereits Süchtige (Alkohol- oder Drogenabhängige) nKeine Verordnung über längere Zeit (über 1 bis 2 Monate hinaus) nkeine oder allenfalls kurzdauernde Ver­ ordnung an Angehörige von bereits Süchtigen (Weitergabe in der Familie!) Therapie ist langwierig Abb. 1 Schmerzpatienten. Benzodiazepinabhän­ gige sind klinisch wenig auffällig, außer durch Entzugserscheinungen. Allerdings fällt der konstante Stoffbedarf in der Arztpraxis auf. Dieser wird manchmal so­ gar über Dritte (Familienangehörige!) ge­ deckt. Die Stoffbeschaffung und Nach­ schubsicherung haben für den Abhängi­ gen hohe Priorität. Die Exposition kann durch Urinanalyse auf Benzodiazepine nachgewiesen werden, die allerdings nicht zwischen therapeutischem Konsum und Abhängigkeit unterscheidet. Die Routinelaborwerte sind unauffällig. Im EEG findet sich bei hochdosierter Exposi­ tion ein langsamer, hochamplitudiger, frontalbetonter b-Rhyth­mus. Die Abhän­ gigkeit wird erfahrungsgemäß erst in Entzugssitutationen deutlich, durch die dann nicht nur die psychische, sondern die körperliche Abhängigkeit deutlich wird (vgl. Abb. 1). Die Therapie der isolierten Benzodiaze­ pinabhängigkeit, bestehend aus Motiva­ tion, Entzug, Entwöhnung und Behand­ lung der Grundkrankheit, ist aufwendig, aber oft erfolgreich. Zwar besteht auch hier wie bei anderen Suchtkrankheiten ein Rückfallrisiko. Sozial gut integrierte Patienten erreichen aber langfristig in hohem Prozentsatz die Abstinenz. Dafür muss aber ihre Grundkrankheit ohne Benzodiazepine behandelt werden. Das kann die Psychotherapie einer Phobie, einer Panikstörung oder eine antidepres­ sive Behandlung sein. Bei den Antide­ pressiva sind insbesondere die stark se­ dierenden Substanzen Doxepin, Trimipra­ min, Mirtazapin und Trazodon ratsam, wenn eine schwere Schlafstörung im Ent­ zug auftritt. Hier ist der Allgemeinarzt in der Regel auf die Zusammenarbeit mit Psychotherapeuten, Psychiatern oder Ner­ venärzten angewiesen. Ein „Umsteigen“ auf Alkohol durch den Patienten ist natür­ lich zu vermeiden. Diese Entzugserscheinungen bessern sich durch erneute Benzodiazepinzufuhr schnell, treten aber nach Abklingen der Wirkung stets wieder auf. Nach überstandenem Entzug wird meist deutlich, dass bereits unter Benzodiazepinen Symptome be­ standen: Antriebsarmut, das Gefühl der Gefühllosigkeit und Wesensänderung. Diese Intoxikationserscheinungen sind bei Ab­ stinenz reversibel, auch noch nach Jahren der Abhängigkeit. Daher ist die Frage: „Lohnt der Entzug in diesem Fall?“ oft zu bejahen, selbst bei Patienten im hohen Alter. Therapiehinweise Zur Therapie der Benzodiazepinabhängigkeit existiert eine ausführliche Leitlinie bei der AWMF (Arbeitgemeinschaft der medizinischen Fachgesellschaften, www.awmf-online.de). Die Leitlinie ent­ hält auch ausführliche Literaturhinweise. Die Benzodiazepinabhängigkeit ist in Deutsch­land die dritthäufigste Suchtkrank­ heit (nach Tabakabhängigkeit und Alko­ holabusus/Alkoholabhängigkeit). Sie kann durch korrekten Einsatz von Benzodiaze­ pinen vermieden werden. Die Therapie ist erfolgreicher als bei anderen Sucht­ krankheiten, aber oft langwierig und auf­ wendig. Literatur bei den Verfassern. Dr. John Koc, Facharzt für Psychiatrie und Suchtmedizin, Bremen Prof. Dr. Wolfgang Poser, Facharzt für Psychiatrie und klinische ­Pharmakologie, Georg-August-Universität Göttingen Suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Substitution in Bremen: Grundlagen und empfehlungen Seit 1990 basiert die in Bremen praktizierte Substitutionsbehandlung Drogenabhängiger auf einer gemeinsamen Empfehlung verschiedener Einrichtungen aus Politik und Medizin. Rund 50 Bremer Ärzte substituieren nach dieser Richtlinie zwischen 1.400 und 1.500 Opiatabhängige. Grundlage für die seit 1990 in Bremen praktizierte Substitutionsbehandlung Dro­ genabhängiger sind die 2008 überarbei­ teten „Gemeinsamen Empfehlungen zur Substitutionsbehandlung Opiatabhän­ giger im Land Bremen“, die zwischen dem Senator für Arbeit, Frauen, Ge­ sundheit, Jugend und Soziales, der Ärztekammer und der KV Bremen ab­ gestimmt sind. Wesentliche Eck­ punkte dieser Empfehlungen sind: n die Kooperation zwischen den substitu­ ierenden Ärzten und der Drogenhilfe im Sinne eines umfassenden Therapiekon­ zeptes mit Feststellung des Hilfebedarfs und einer differenzierten Hilfeplanung. n der Umgang mit Beigebrauch psycho­ troper Substanzen. Gefordert wird die Eindämmung bzw. Beendigung des Konsums anderer Suchtstoffe wie Alko­ hol, Kokain oder Benzodiazepinen. n die Verschreibung psychotroper sucht­ erregender Substanzen an Substituierte, die in aller Regel (abgesehen von am­ bulanten Entzügen) nicht indiziert ist. Näheres regelt die „Richtlinie zur Ver­ schreibung psychotroper Medikamente an drogenabhängige Patienten“ der Ärztekammer Bremen. der Umgang mit Schwangeren und El­ tern. Zur Sicherung des Kindeswohls wie auch zur angemessen Betreuung der Eltern ist eine enge Abstimmung zwischen den substituierenden Ärzten, der Drogenhilfe und dem Jugendamt angezeigt. Das „Ergänzende Methadon­ programm für Frauen“ ist auf diese Pro­ blematik spezialisiert. n die Beschränkung von Privatsubstitutio­ nen bei GKV­Patienten. Auf der Grundlage dieser und anderer Vorschriften (StGB, Arzneimittelgesetz, BtMG, BtMVV, BÄK­ und LÄK­Richtlinien, BUB­Richtlinien) substituieren derzeit im n Lande Bremen ca. 50 Ärztinnen und Ärzte zwischen 1.400 und 1.500 Opiatabhängige und erreichen damit (nach Hamburg) die zweithöchste Versorgungs­ dichte in Deutschland. Im Qualitätszirkel werden Pro­ bleme diskutiert und Fort­ bildungen organisiert. Eine stichprobenartige Kontrolle der Behandlungen erfolgt über die Qualitätssicherungskommission der KV Bremen. Es besteht eine wachsende Kooperation und Vernetzung zwischen niedergelassenen Ärzten, Drogenbera­ tungsstellen, akutstationären Angeboten (24 Behandlungsplätze im AMEOS Klini­ kum Dr. Heines), rehabilitativen Einrich­ tungen (über 100 Plätze in den Fachklini­ ken Hohehorst, Pyramide und Loxstedt­ Düring) sowie weiteren Institutionen (z. B. JVA). Dr. Peter Heinen, Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. John Koc, Facharzt für Psychiatrie, Suchtmedizinische Grundversorgung, Bremen © blacksock/Fotolia.com Keine Benzodiazepine für Suchtpatienten Die missbräuchliche Verordnung von Benzodiazepinen an Sucht­ patienten beschäftigt die Ärzteschaft im Land Bremen bereits etliche Jahre. Schon 1998 hat die Delegiertenversammlung der Ärztekammer mit einer „Richtlinie zur Verschreibung psycho­ troper Medikamente an drogenabhängige Patienten“ auf das Problem reagiert. Im Wortlaut heißt es: „Eine Substitution mit Benzodiazepinen gibt es nicht!“ Demnach ist die Verschreibung in der Regel bei einer Substitutionsbehandlung nicht indiziert bzw. sogar kontraindiziert und sollte nur in begründeten Aus­ nahmefällen und immer nur auf BTM­Rezept erfolgen, dies gilt auch für Privatverordnungen. Weil ungeachtet dessen immer wieder Verstöße gegen die Richtlinie bekannt wurden, hat die KV Bremen zuletzt 2006 eindringlich auf das Verordnungsver­ bot von Benzodiazepinen (Fluinoc, Diazepam) hingewiesen. Auch im vergangenen Jahr sind vermehrt Fälle von Suchtpatienten bekannt geworden, die erfolgreich eine Verschreibung erreicht haben. Christoph Fox, KV Bremen 13 suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Einsatz von Benzodiazepinen bei Substitution problematisch Die Anwendung von Benzodiazepinen bei Substituierten ist kontraindiziert. Sie kann letale Wechselwirkungen entfalten. Nur in seltenen Einzelfällen kann die Verordnung ­e rwogen werden, wenn das Behandlungsziel nachvollziehbar und nicht auf andere ­W eise erreicht werden kann. Benzodiazepine wirken anxiolytisch, hyp­ notisch, muskelrelaxierend, antikonvulsiv und amnestisch. Sie sind arzneimittel­ rechtlich zugelassen zur Behandlung von Schlafstörungen, akuten Angstzuständen, Panikattacken und Erregungszuständen, bei Muskelspasmen, zur Therapie zere­ braler Krampfanfälle und als Prämedika­ tion vor operativen Eingriffen. Für eine Substitution analog zur Opioidsubstitu­ tion liegt keine arzneimittelrechtliche Zu­ lassung vor. Ein zulassungsüberschreiten­ der Einsatz ist aufgrund mangelnder Nut­ zenbelege nicht möglich. Eine Erstat­ tungspflicht durch die gesetzliche Kran­kenkasse besteht demzufolge nicht. Ungeeignet für ­L angzeitanwendung Benzodiazepine sind nicht zur Langzeitan­ wendung geeignet. Gegenüber den hyp­ notischen und sedierenden Eigenschaften entwickelt sich nach kurzer Zeit eine To­ leranz. Bereits nach wenigen Wochen können bei abruptem Absetzen Entzugs­ symptome in Form von Schlafstörungen und Unruhezustände, auftreten (Re­ bound-Effekt). Eine Demaskierung von Depressionen ist möglich. Bei Dauer- und Übergebrauch von Benzodiazepinen kann eine Einschränkung der Gedächtnis- und der Merkfähigkeit, Muskelschwäche und Koordinationsstörungen (Sturz- und Un­ fallrisiko) und Gefühlverflachung auftre­ ten. Darüber hinaus sind paradoxe Reak­ tionen mit aggressivem Verhalten, Feind­ seligkeit und Angstzuständen möglich. Flunitrazepam ist ein Sonderfall und bei Drogenabhängigen aufgrund seiner phar­ makokinetischen Eigenschaften besonders beliebt. Laut Herstellerangaben (vgl. Fach­ information) ist die Verordnung an Dro­ genabhängige kontraindiziert. Der Wirk­ stoff ist in den USA nicht zugelassen und wird von den gängigen immunologischen Vortesten, die sich an den US-Amerikani­ schen Besonderheiten orientieren, nicht erfasst. Benzodiazepin-Analoga lösen zunehmend die Benzodiazepine ab. Missbrauch und Abhängigkeit sind jedoch auch für diese Wirkstoffe beschrieben. Sie stellen bei Substituierten keine Alternative zur Ver­ ordnung von Benzodiazepinen dar. Verordnungsempfehlungen Wenn der Einsatz von Benzodiazepinen geboten scheint, sollten die Verordnung unter Vorsichtsmaßnahmen erfolgen: Sorgfalt bei der Indikationsstellung, ge­ gebenenfalls Einholung einer Zweitmei­ nung durch einen anderen im Umgang mit Suchtpatienten erfahrenen Psychia­ ter, Ausrichtung der Verschreibung an ei­ nem klar definierten Ziel, klare Begren­ zung des zeitlichen Rahmens sowie re­ gelmäßige Überprüfung zur Vermeidung von Wiederholungsrezepten. Zu bevorzu­ gen wäre die Abgabe des verordneten Benzodiazepins in der benötigten Tages­ dosis unter Sichtkontrolle in der Praxis, um den Verkauf auf dem Schwarzmarkt einzudämmen. Ziel der Opioidsubstitu­ tion ist die Reduktion und Einstellung des Beigebrauches. Das Erreichen dieses Zie­ les wird durch die Verordnung psychotro­ per Medikamente sehr gefährdet. Der Erfolg der Substitutionsbehandlung ist durch Urinkontrollen zu überprüfen. Da in der „Szene“ Verfahren bekannt sind, mit deren Hilfe falsch-negative Ergebnisse herbeigeführt werden können, muss die Probenabgabe unter Aufsicht erfolgen und gegebenenfalls durch eine Urin-Kre­ atinin Bestimmung ergänzt werden. Be­ steht hinreichender Verdacht auf die An­ wendung von Substanzen, die durch die immunologische Vorteste nicht erfasst werden, sind gezielte Analysen (z. B. Massenspektrometrie) in einem hierfür geeigneten Speziallabor erforderlich. TakeHome-Verordnungen sind nur akzeptabel, wenn keine Substanzen konsumiert wer­ den, die zusammen mit der Einnahme des Substitutionsmittels zu einer gesund­ heitlichen Gefährdung führen können. Beim Beigebrauch von Benzodiazepinen ist durch die potentiellen Wechselwirkun­ gen eine Gefährdung in der Regel der Fall, so dass eine Verschreibung des Sub­ stitutionsmittels zur eigenverantwort­ lichen Einnahme aus Gründen der Gefah­ renabwehr ausscheidet. © esolla/Istockphoto.com 14 suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Rechtliche Hinweise Nach §2 der Berufsordnung sind Ärzte zu einer gewissenhaften Berufsausübung verpflichtet. Darüber hinaus dürfen sie nach § 34 der Berufsordnung einer miss­ bräuchlichen Anwendung ihrer Verschrei­ bung keinen Vorschub leisten. Berufsrecht­ liche Schritte durch die Kammern sind bei Verstößen möglich. Die Verordnung von Benzodiazepinen an Substituierte sollte auf einem BtM-Rezept erfolgen. Eine Ver­ ordnung von Benzodiazepinen für gesetz­ lich Krankenversicherte auf einem Privat­ rezept ist nur möglich, wenn der Versi­ cherte aus eigener Initiative die Behand­ lung als Privatbehandlung verlangt. Eine Beeinflussung durch den Vertragsarzt ist unzulässig und kann von der kassenärztli­ chen Vereinigung mit einer Geldbuße ge­ ahndet werden (LSG NRW, 2004). Vor der Abgabe von Benzodiazepinen durch die Apotheke hat der Apotheker die Verschrei­ bung auf Unklarheiten zu prüfen. Enthält die Verordnung einen erkennbaren Irrtum, ist sie unvollständig oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimit­ tel nicht abgegeben werden. Von einem Irrtum kann ausgegangen werden, wenn dem verordnenden Arzt unbekannt war, dass der Patient sich anderweitig in ärztli­ cher Behandlung befindet. Bedenken er­ geben sich aus der Abweichung von Emp­ fehlungen (Fachinformation, Richtlinien, Empfehlungen) bei nicht indizierter Mehr­ fach- und Langzeitverordnung. Nach § 17 Abs. 8 der Apothekenbetriebsordnung muss das pharmazeutische Personal ei­ nem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegentreten und gegebenenfalls die Abgabe verweigern. Das ist dann der Fall, wenn nach sorgsa­ mer Abwägung aller Umstände zu befürch­ ten ist, dass das von dem Arzt verlangte oder verschriebene Arzneimittel nicht be­ stimmungsgemäß, sondern gesundheits­ gefährdend angewendet wird. Im Rahmen der Abwägung kann die körperliche Ver­ fassung des Patienten berücksichtigt wer­ den. Die Verweigerung der Abgabe wird von einer Beratung des Arztes begleitet. Die Ärztekammer kann nach ­Anony­misierung der Patientendaten in Kenntnis gesetzt werden. Dr. Kerstin Boomgaarden-Brandes, Fachärztin für Innere Medizin Prof. Dr. Bernd Mühlbauer, Facharzt für Klinische Pharmakologie und Pharmakologie/Toxikologie Institut für klinische Pharmakologie, Klinikum Bremen-Mitte B u c h t i pp Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank Komorbidität Psychose und Sucht – Grundlagen und Praxis Etwa die Hälfte der Patienten mit Schizo­ phrenie entwickeln im Laufe ihres Lebens eine komorbide Suchtstörung. Therapeutisch stellt die Komorbidität Psychose und Sucht eine Herausforderung dar. Ansätze aus den traditionell getrennten Systemen der psychi­ atrischen Krankenversorgung und der Sucht­ therapie müssen aufeinander abgestimmt und „aus einer Hand“ angeboten werden. Die vorliegende 2. Auflage bietet einen Überblick über die Thematik und berücksich­ tigt die umfangreiche neue Literatur. Das Manual für das Psychoedukative Gruppen­ training aus der 1. Auflage wurde optimiert und um die Thematik Opiate ergänzt und wird hier in einer zusätzlichen Version für die Einzeltherapie vorgelegt (KomPAkt-Training). Darauf aufbauend wird ein zweites, ausführ­ liches Manual für die kognitiv-behaviorale Gruppentherapie darge­ boten (KomPASs-Training). KomPAkt und KomPASs fokussieren auf die Inter­ aktionen zwischen Subs­ tanzkonsum und psycho­ tischen Symptomen, auf Kognitionen, die für beide Störungen typisch sind, auf die Bedeu­ tung von Stress als Risikofaktor für Rückfälle in das Suchtverhalten und/oder in die Psy­ chose und auf die Vermittlung von Kompe­ tenzen, die im Umgang mit beiden Störun­ gen benötigt werden. Die zu verwendenden Materialien und Handouts für beide Grup­ pentherapien liegen als Kopiervorlagen vor. 2., erw. Aufl., 2007, 292 Seiten, Softcover ISBN: 978-3-7985-1768-4, Steinkopff Verlag, Darmstadt, 32,95 Euro Michael Soyka, Heinrich Küfner Alkoholismus – Missbrauch und Abhängigkeit Alkohol ist in unser gesellschaftliches Leben integriert, birgt jedoch ein großes Miss­ brauchs- und Abhängigkeitspotenzial: Ärzte und Psychologen haben häufig mit Men­ schen zu tun, deren Alkoholabhängigkeit große therapeutische Probleme verursacht. Dieses bewährte Standardwerk bietet: nTheorie und Befunde zur Entstehung der Alkoholabhängigkeit, neine ausführliche Darstellung der Folge­ schäden und ihrer Therapiemöglichkeiten, nInformationen zur Epidemiologie nausführliche Darstellung der körperlichen und psychischen Aspekte der Alkohol­ sucht nÜberblick der Thera­ piemöglichkeiten und psychosozialen Hilfsangebote nDarstellung der recht­ lichen Aspekte nkonkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation von Alko­ holkranken 6. Aufl., vollst. überarb. 2008, 648 Seiten, 21 Abb., kartoniert, ISBN: 9783135209067, Thieme Verlag, 44, 95 Euro Michael Soyka Wenn Alkohol zum Problem wird Alkohol ist allgegenwärtig - genauso wie Mythen und Vorurteile zu diesem Thema. Doch woran erkennt man Alkoholabhängig­ keit? Wie viel Alkohol steckt in Wein, Bier, Schnaps? Es gibt erfolgreiche Wege, die Ab­ hängigkeit zu überwinden. Der Autor beant­ wortet über 100 der wichtigsten Fragen, die sich Betroffene und Angehörige in dieser Zeit stellen. Er schöpft dabei als Suchtforscher aus den aktuellen wissenschaftlichen Er­ kenntnissen und als Facharzt aus den unzäh­ ligen Erfahrungen mit Patienten und deren Familien. Ein 7-Punkte-Programm gibt erste Orientierung und hilft, die eigene Zukunfts­ perspektive zu fin­ den. Prof. Dr. Michael Soyka ist Facharzt für Psychiatrie und Psy­ chotherapie und ärzt­ licher Direktor der Schweizer Privatkli­ nik Meiringen. Er ist ein international be­ kannter Suchtforscher mit zahlreichen wis­ senschaftlichen Publikationen. 5. Aufl., 2009, 168 Seiten, 11 Abb., karto­ niert, ISBN: 9783830434153, Trias Verlag, 17,95 Euro 15 suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Sucht und Traumafolgestörung Traumafolgestörungen treten bei vielen Suchtkranken auf, doch die Diagnose wird oft nicht gestellt. Körperliche und psychische Entzugssymptome überdecken oft Symptome anderer psychiatrischer Störungen. Eine integrative Behandlung kann eine Besserung beider Störungen bewirken. Im klinischen Alltag wird dem gemeinsa­ men Auftreten von Suchterkrankungen und Traumafolgestörungen immer mehr Interesse zuteil. Ergebnisse einer relativ jungen Forschung aus den letzten zwei Jahrzehnten zeigen eine hohe Rate an Traumatisierungen und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bei Sucht­ kranken. Demnach haben durchschnittlich 70 bis 90 Prozent der Suchtkranken schwere Traumatisierungen erlitten. Da­ bei ist die Rate sexueller oder körperlicher Gewalterfahrungen in der Kindheit hoch. Es ist davon auszugehen, dass jeder fünfte Patient mit Alkoholerkrankung und jeder dritte Patient mit einer Drogenabhängig­ keit inklusive des Opiattypus komorbide an einer posttraumatischen Belastungs­ störung leidet. Dabei weisen Doppeldiag­ nose-Patienten erheblich mehr Psychopa­ thologie auf. Sie haben deutlich schwe­ rere Suchtverläufe mit geringeren absti­ nenten Zeiten, mehr Suchtverlangen, häufigere Krankenhausaufenthalte und größere soziale Belastungen. Amerikani­ sche Behandlungsstudien zeigen, dass Suchtpatienten mit PTBS weniger günstig auf fokussierte Suchtbehandlungen re­ agieren. Das schlechtere Abschneiden liegt dabei sowohl an PTBS-spezifischen (Albträume, Flashbacks, Intrusionen, Hy­ perarousal) als auch an unspezifischen Symptomen (Depressionen, Angststörun­ gen). Es konnte gezeigt werden, dass bei integrativer Behandlung der PTBS wäh­ rend der Suchttherapie die Ergebnisse deutlich verbessert werden konnten. Traumatisierte Süchtige oder süchtige Traumatisierte Trotz unseres Wissens über die hohe An­ zahl von Suchtpatienten mit Traumafolge­ störungen wird die Diagnose häufig nicht gestellt. Dies könnte darin begründet sein, dass Suchtpatienten mit PTBS wenig Ge­ meinsamkeiten in ihrem Verhalten, ihren Regressionsstates und in der Symptomatik zu PTBS-Patienten ohne Sucht haben. Sie suchen einen Arzt wegen ihres Suchtmit­ telkonsums auf und identifizieren sich mit drogenassoziierten Peergroups. Möglicher­ weise erwartet der Arzt hinter einer Szene- Die Integrative Behandlung nPhase 1 Traumasensibilisierung – Suchtstabilisierung In dieser Phase (14 Tage) wird neben der Suchtbehandlung, die bei Alkoholkranken eine Alkoholentgiftung, bei Patien­ ten mit Drogenerkrankungen eine Entgiftung von Nebenkon­ sum sowie die Ein- und Umstellung auf ein Substitut beinhal­ tet, eine psychologische Diagnostik der komorbiden Störun­ gen, insbesondere der Traumafolgestörungen, durchgeführt. Oft ergeben sich in der Sozial- und Familienanamnese erste Hinweise auf Traumatisierungen. Diese werden in der Trau­ maanamnese mit Hilfe einer Traumalandkarte erfasst, das heißt es werden Trauma-Cluster (wie ­sexualisierte oder phy­ sische Gewalt sowie Bindungstraumatisierungen) gebildet und dem Alter des Patienten zugeordnet. Die Traumaanam­ nese wird orientierend in „Überschriften“ erhoben. Retrau­ matisierungen werden durch diese Form der Befunderhe­ bung sicher vermieden. Patienten fühlen sich durch die Trau­ Abb. 1 madiagnostik in der Regel nicht verunsichert und reagieren positiv. Verschlechterungen der Trauma­störung durch diese Form der Anamneseerhebung werden nicht gesehen. Zur Ka­ tegorisierung und Ermittlung des Schweregrades der Trau­ mafolgestörungen werden stationär psychologische Testver­ fahren, wie Mini-DIPS, SKID II, PDS, DSM IV, CTQ, Impact of Event Scale und FDS, angewendet. In der niedergelassenen Praxis kann eine weniger zeitaufwendige Diagnostik anhand des DSM IV erfolgen. Die Patienten erhalten anschließend Patienteninformationen, die über das Krankheitsbild und die Symptomatik aufklären. Dann wird ein individuelles Krank­ heitskonzept erstellt. Oft können Patienten erstmalig Zusam­ menhänge von Traumatisierungen, dem Beginn des Drogenund Alkoholmissbrauchs durch kurzzeitig vegetativ beruhi­ gende und anxiolytische Effekte, positiver Wirkungs­ erwartung und Suchtentwicklung durch wiederholten Konsum erkennen. Dies führt zu einer Entlastung der Patien­ ten mit Verminderung von Schuldgefühlen. © andrea laurita/Istockphoto.com 16 suchtmedizin BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 nPhase 2 Traumastabilisierung – Suchtstabilisierung In dieser Phase werden Behandlungsmethoden zur Emo­ tions- und Spannungsregulation (Verhinderung von Kont­ rollverlusten, Suchtmittelrückfällen oder traumabedingten Überflutungszuständen) vermittelt. Angewendet werden Psychoedukation, dialektisch-behavioral orientierte Thera­ pie und Skillstraining. Die Grundzüge dieser Therapie wur­ den von der dialektisch-behavioralen Therapie nach Mar­ sha Linehan (DBT) übernommen und nach dem „Göttinger Modell“ auch an die Symptome und Bedürfnisse Sucht­ kranker angepasst. In der Gruppentherapie werden in fünf Modulen Grundbausteine zur Emotionsregulation, Umgang mit Craving und Stresstoleranz vermittelt. Parallel werden n Phase 3 Traumasynthesebehandlung mit EMDR Eine sehr gut untersuchte Methode zur Traumasynthese­ behandlung ist EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Als Voraussetzung müssen Stabilisierungs­ techniken zur Emotionsregulation beherrscht werden. Wäh­ im Einzelskillstraining individuelle Fertigkeiten geübt, um Hochstresssituationen ohne Suchtmittelrückfalle zu über­ winden und Craving gering zu halten. Weiterhin werden imaginative Verfahren eingesetzt. Patienten setzen inne­ ren schlechten (traumarelevanten oder suchtmittelassozi­ ierten) Bildern oder Filmen gute Bilder entgegen. Beson­ ders eignen sich bei Suchtkranken die Übungen, die „erd­ verbunden“ sind. Bevorzugte Übungen: Der innere sichere Ort, der innere Garten, die Baumübung und die Tresor­ übung. Ein stabilisierendes gruppentherapeutisches Pro­ gramm „Sicherheit finden“ z. B. „Seeking Safety“ von Na­ javits, bietet einen integrativen Therapieansatz. Das Grundprinzip ist (neben einer integrierten Behandlung von Substanzmissbrauch und posttraumatischen Symptomen) Sicherheit als übergeordnetes Ziel. rend der Trauma­synthese wird das traumatische Ereignis imaginiert. Neben Durcharbeitung der traumatischen Situ­ ation werden Desensibilisierungsprozesse und positive ko­ gnitive Veränderungen angeregt. In der Regel kommt es während des Prozesses zu einer Abreaktion. Zum Abschluss wird häufig eine Imagination als Gegengewicht zu der emotional belastenden Trauma­arbeit angeschlossen. Abb. 2 Neue Behandlungsstrategien © Dron/Fotolia.com Die integrative Behandlung folgt bewähr­ ten suchtspezifischen und psychotrauma­ tologischen Behandlungsmethoden. Das Ziel ist es, Traumastörung und Suchter­ krankung zeitgleich zu behandeln. Prin­ zipiell sind diese Behandlungsansätze sowohl im ambulanten als auch im sta­ tionären Setting durchführbar. Die integrative Behandlung gliedert sich in drei Behandlungsphasen (vgl. Phase 1: Trauma­sensibilisierung – Suchtstabilisie­ rung, Phase 2: Traumastabilisierung – Sucht­ stabilisierung, Phase 3: Traumasynthese­ behandlung mit EMDR, Abb. 1 und 2). geprägten Fassade eines Suchtkranken auch keine komorbide Traumafolgestö­ rung. Während der Entzugsbehandlung mit Entwicklung von körperlichen und psychi­ schen Entzugssymptomen werden oft Symptome anderer psychiatrischer Störun­ gen überdeckt. Die Selbstwahrnehmung der Süchtigen ist sowohl auf körperlicher als auch auf psychischer Ebene völlig ge­ stört. Der Körper wird als Übergangsobjekt missbraucht, um sich Suchtstoffe zuzufüh­ ren. Zwar werden von Suchtpatienten oft Gewalterfahrungen, familiäre Vernachläs­ sigung sowie sexueller und physischer Missbrauch berichtet, aber ein Zusammen­ hang zwischen belastenden Kindheitserin­ nerungen und aktuellem Störungsbild wird leider of nicht gesehen. mit Suchtkranken dringend notwendig. Eine integrative Behandlung kann häufig eine Besserung beider Störungen bewir­ ken. Dabei müssen Drogenpatienten we­ der abstinent sein noch ihre Drogenab­ hängigkeit unter Ausschluss ihrer Trau­ mafolgestörung bereits behandelt haben. Auch Alkoholpatienten müssen im Vor­ feld keine längerfristige Abstinenz nach­ weisen. Christel Lüdecke, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Asklepios-Klinikum Göttingen Diagnostik enorm wichtig Aufgrund der hohen Traumatisierungs­ rate bei Suchtkranken ist die Diagnostik von Traumafolgestörungen in der Arbeit Hilfestellen in Bremen www.bremer-aerztejournal.de Eine Übersicht mit Ansprechpartnern bei Alkohol- oder ­Medikamentenabhängigkeit sowie Informationen zur Bremer Drogenhilfe gibt es auf der Internetseite des Bremer Ärztejournals www.bremer-aerztejournal.de. Die pdf-Dokumente stehen unter der aktuellen Ausgabe ­„Suchtmedizin“ und können heruntergeladen werden. 17 18 AktueLLeS BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 hausarztverträge: Fluch oder Segen? Kein Thema hat die niedergelassenen Ärzte in den vergangenen Monaten mehr beschäftigt als die Hausarztzentrierte Versorgung. Die einen hoffen auf eine gerechtere Vergütung, die anderen warnen vor Gefahren des Systemausstiegs. Die Politik hat unterdessen die Reißleine gezogen. „Der Mann war offenbar in Wallung, sein Brief ließ auf erhöhten Blutdruck schließen“, schrieb unlängst der SPIEGEL lakonisch und zitierte dabei aus einem Schreiben von Bayerns Hausarztverbands­ Chef Wolfgang Hoppenthaller an Kanzlerin Angela Merkel. Der Berufsstand sei dem Untergang geweiht, heißt es da, von Vernich­ tung bedroht und durch „permanente Existenzangst“ gekenn­ zeichnet. Hoppenthaller hob auf die Pläne der Bundesregierung ab, die Honorierung der HZV­Verträge wieder herunterzufahren. Ohne Kollektivvertrag hat der Hausarzt keine Zukunft! Eine gerechtere Honorie­ rung hausärztlicher Leis­ tungen: Das ist es, was sich die Befürworter der Hausarztzentrierten Ver­ sorgung (HzV) verspre­ chen. Kein Widerspruch, was das Ziel angeht. Der Weg, den der Hausärzte­ verband Bremen eingeschlagen hat, ist allerdings der falsche. Die Hausarztverbände suchen das Heil im Selektivvertrag und verteufeln die KVen. Das Heilsversprechen muss allerdings un­ ausweichlich in einer Enttäuschung mün­ den. Warum? Selektivverträge haben ein doppeltes Gesicht. Bisher haben viele Kolleginnen und Kollegen nur in das schönere von beiden geblickt, in das, welches unsere Honorare anhebt und un­ bürokratisches Abrechnen verspricht. Die hässliche Fratze aber, zeigt sich nur bei genauerem Hinsehen. Selektivverträge werden die Position der niedergelasse­ nen Hausärzte mittelfristig und nachhal­ tig schwächen. Das „Mehr“ an Geld wird durch einen weiteren Regelungsapparat, zusätzliche Rückforderungen, noch weni­ ger Planungssicherheit, noch höhere IT­ Kosten, Zerstrittenheit in Hausarztkreisen und Gängelung durch Krankenkassen mehr als aufgebraucht. Wer zweifelt ernsthaft daran, dass die Kassen, wenn erst der Sicherstellungsauftrag auf sie übergegangen ist, auch davon Gebrauch machen und sich diejenigen Ärzte her­ auspicken, die sicherstellen dürfen oder eben nicht? Das Wort von der Ärzte­Se­ lektion ist kein Hirngespinst mehr, es wird real, wenn sich Selektivverträge durchsetzen. Ist das Kollektivvertrags­ System erst so geschwächt, dass es kaum noch konkurrenzfähig ist, können Kran­ kenkassen ihre neue Marktmacht aus­ spielen und die Verträge, die sie wollen, mit wem sie wollen, diktieren. Die Hono­ rarschraube dürfte recht bald wieder zu­ rückgedreht werden, und der Protest ei­ ner durch und durch entzweiten Hausärz­ teschaft ohne allgemeingültige Vertre­ tung ungehört verebben. So weit muss es nicht kommen. Die KV Bremen hat mit den großen Bremer Kassen Eckpunkte zu einer Vereinbarung auf Boden des Kollek­ tivsystems ausgehandelt. Mehrfach und öffentlich habe ich mich in den vergan­ genen Jahren für einen Hausarztvertrag ausgesprochen, der von allen Verbänden getragen wird. Leider wollte sich der Hausärzteverband Bremen nicht beteili­ gen. Es geht aber auch anders, wie ein Blick nach Niedersachsen zeigt, wo sich Hausarztverbände, Kassen und die KV auf einen gut dotierten Add­On­Vertrag ha­ ben einigen können. Auch wir in Bremen werden einen solchen HzV­Vertrag be­ kommen, der finanziell dem des BDA ähnlich sein wird, ohne dass wir die Vor­ teile des Kollektivvertrages aufgeben müssen. Die Politik hat bei der Einfüh­ rung der Hausarztverträge einen gravie­ renden Fehler gemacht. Sie wurden nicht in Ergänzung zur herkömmlichen Versor­ gung etabliert, sondern in Konfrontation zum Kollektivvertrag. Die Konflikte, die sich daraus ergeben, haben wir in Bre­ men in den vergangenen Monaten zu spüren bekommen. Wie es aussieht, wird diese Entwicklung von der Politik nun zu­ rückgenommen. Das Ende angemessener Honorare für uns Hausärzte? Ich hoffe nicht: Der Gesetzgeber sollte den Wett­ bewerb um die Hausarztverträge für alle öffnen. Gute Vergütung darf kein Ver­ bandsprivileg sein. Sie sollte allen Haus­ ärzten zustehen – als faire Gegenleistung für eine engagierte Versorgung und ei­ nen qualifizierten Lotsendienst auf Basis des Kollektivvertrages. Dr. Thomas Liebsch, Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztliche Vereinigung Bremen AktueLLeS BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Alles Klagen nutzte nichts. Wenige Tage später verkündete Ge­ sundheitsminister Phillip Rösler die Eckpunkte der Gesundheitsre­ form. Darin findet sich dieser Satz: „Das Vergütungsniveau in der hausarztzentrierten Versorgung wird begrenzt.“ Wenig später be­ rief der Hausärzteverband in Berlin eine Pressekonferenz ein, um zu verkünden, dass mit den Sparplänen des Ministers schließlich sogar Menschenleben gefährdet seien. Diese heißen Tage im Juli 2010 markieren zweifelsohne einen Höhepunkt in der Auseinan­ dersetzung um die Hausarztzentrierte Versorgung. Als sie von der rot­grünen Regierung eingeführt wurden, waren die Hausarztver­ träge als Einstieg in ein Primärarztsystem gedacht. Doch diese Lotsen­Idee trat nach und nach in den Hintergrund. Stattdessen gerieten die Verträge in die Mühlensteine der Partei­ und Ver­ bandspolitik, bis schließlich 2008 der Hausärzteverband ein Ver­ tragsmonopol erkämpfte. Krankenkassen wurden verpflichtet, Verträge exklusiv mit „hausärztlichen Gemeinschaften“ abzu­ schließen, wenn diese von mehr als 50 Prozent der Allgemeinme­ diziner in einer Region mandatiert sind. Die FAZ erklärte die Haus­ arztzentrierte Versorgung daraufhin zum „kuriosesten und teuers­ ten Monopol im deutschen Gesundheitswesen“. Keine Spur mehr von Wettbewerb. Dafür um so mehr Streit. Denn die Hausarztzen­ trierte Versorgung nach § 73b SGB V bedeutet mehr als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Sie leitet den Einstieg in den Ausstieg ein. Die Verträge sind nicht als Ergänzung zum Kollektivvertrag eingeführt, sondern in krasser Konfrontation dazu durchgesetzt. Was dies perspektivisch bedeutet, darüber streiten Gesundheits­ ökonomen und Wissenschaftler viel und heftig. Befürworter ver­ weisen auf die Chancen, die eine Vielzahl von verschiedenen Ver­ trägen und Vertragsformen bedeuten könnte. Kritiker bemühen die Historie und erinnern an die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhun­ derts, als die Ärzteschaft das Kollektivvertragssystem und ihre Selbstverwaltung durchgesetzt hatte. Worin sich Befürworter und Gegner von Selektivverträgen allerdings einig sind, ist, dass sie Verteilungskonflikte generieren, die möglicherweise dem berech­ tigten Anliegen der Hausärzte einen Bärendienst erweisen könn­ ten. Dafür liefert Bremen beste Fallbeispiele. Der Streit um die Fi­ nanzierung des Ärztlichen Notfalldienstes oder die juristische Aus­ einandersetzung um die Fortführung des „alten“ KV­Hausarztver­ trages sind exemplarisch und vermutlich nur ein Anfang. © WoGi/Fotolia.com Ohne HzV hat der Hausarzt keine Zukunft! Die Politik will das Vergü­ tungsniveau in der Haus­ arztzentrierten Versor­ gung (HzV) auf das der Regelversorgung begren­ zen. Besonders qualifi­ zierte Versorgung wird damit nicht honoriert! Das würde den Hausärz­ ten endgültig jegliche Zukunftschance nehmen. Die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) wurde vor Jahren als Krankenkassen­ Wahltarif ins Sozialgesetzbuch einge­ führt, resultierend aus der Erkenntnis, dass das deutsche Gesundheitssystem zwar gut, aber teuer ist, zu viele Rei­ bungsverluste aufweist und „von oben“ nicht reformierbar ist. Nur wenige Kran­ kenkassen nutzten diese Gestaltungs­ chance. Per Gesetzesreform wurden sie daher verpflichtet, ihren Versicherten bis zum 30. Juni 2009 einen solchen Tarif an­ zubieten. Einige Kassen, wie zum Beispiel die TK, schlossen HzV­Verträge mit der gesetzlich festgelegten „privilegierten Gemeinschaft“, also dem von der Mehr­ heit der Allgemeinärzte beauftragen Hausärzteverband und seinem Dienst­ leistungspartner HÄVG, einer Genossen­ schaft seiner Landesverbände. Andere wurden „geschiedst“ wie die AOK Bre­ men und die meisten anderen Bremer Krankenkassen. Die HzV geht aufgrund ihrer Qualifikationsvoraussetzungen in technischer wie persönlicher Hinsicht deutlich über das Niveau der seitherigen hausärztlichen Regelversorgung hinaus. Deswegen bleiben „Blümchenpraxen“, wo nur Homöopathie oder Psychothera­ pie betrieben wird, ebenso „außen vor“ wie Praxen, die keine Hausbesuche ma­ chen, oder solche, die keine adäquate technische Ausstattung haben oder keine Qualitätszirkel besuchen wollen. Der teil­ nehmende Patient verpflichtet sich, von Frauen­ und Augenarzt sowie Notfällen abgesehen, immer zunächst seinen Haus­ arzt anzusteuern, der erfahrungsgemäß 80 bis 90 Prozent aller Behandlungsan­ lässe abschließend bearbeiten kann und den Rest gezielt zum Spezialisten über­ weist. Natürlich erfordert eine solche qualifizierte Versorgung auch eine neue, angemessene Honorarsystematik. Die in allen HzV­Verträgen vereinbarte oder ge­ schiedste „Kontaktunabhängige Jahres­ pauschale“ begrenzt die „Scheinejagd“. Meist gibt es nur wenige Pauschalen, so­ dass Mengenausweitung und daraus re­ sultierende Prüfungsorgien entfallen. Die Abrechnung ist bürokratiearm und ver­ ständlich, auch die Fallzahlbegrenzung fällt weg. Und das bei einem „Schein­ schnitt“ von durchschnittlich 85 Euro – wobei das Zusatzhonorar nicht von der KV kommt („Bereinigungsverfahren“), sondern zusätzliches Geld der Kranken­ kassen ist. Nun hat Herr Rösler plötzlich ein gewaltiges Finanzierungsloch bei der GKV entdeckt, das er stopfen muss. Die hausärztliche Versorgung kann die Ursa­ che nicht sein, kostet sie doch gerade sechs Prozent der GKV­Ausgaben. Eine „Elefantenrunde“ der Regierungsparteien hat Sparvorschläge vorgelegt, die im September im Kabinett beschlossen wer­ den sollen. Darin soll das Vergütungsni­ veau in der HzV auf das der Regelversor­ gung begrenzt werden, will heißen: be­ sonders qualifizierte Versorgung fürs gleiche Geld! Das würde uns Hausärzten, die wir mit der höchsten Arbeitsbelas­ tung auch mitunter das geringste Einkom­ men aller Arztgruppen haben, endgültig jegliche Zukunftschance nehmen. Schon jetzt finden Hausärzte in Bremen keinen Praxisnachfolger mehr, wen wundert’s bei vier Allgemeinärzten von 135 Facharzt­ prüfungen in Bremen 2008? Aber Vor­ sicht: Ein Gesundheitssystem ohne Haus­ arzt (z. B. USA) ist teuer und unsozial. Ich fordere daher alle Kollegen in Praxis und Krankenhaus auf, sich mit den berechtig­ ten Anliegen der Hausärzte als Basis der Versorgung unserer älter und kränker werdenden Bevölkerung zu solidarisieren, denn ohne Hausärzte implodiert unser Gesundheitssystem. Dr. Alfred Haug, Vorsitzender Hausärzteverband Bremen 19 20 AktueLLeS BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Auf die Liste, fertig, los! Die Wahl zur Vertreterversammlung der KV Bremen steht vor der Tür. Damit jedes wahlberechtigte Mitglied auch eine Wahl treffen kann, müssen „wählbare“ Bewerber gelistet werden. Aber wie kommt ein Bewerber beziehungsweise eine Wahlliste auf den Stimmzettel? Die Mitglieder der KV Bremen sind aufgerufen, die Besetzung ihrer Vertreter in das höchste Organ der ärztlichen Selbstverwaltung zu bestimmen. Gewählt werden die Mitglieder der Vertreterversammlung für sechs Jahre. Die wichtigsten Aufgaben sind die Überwachung des amtieren­ den Vorstandes, Entscheidungen über Satzungs­ und Grundsatzfragen sowie die Genehmigung des Haushalts. Alle Informationen und Formulare zur Wahl sind unter www.kvhb.de einzusehen und herunterzuladen. Wer ist wählbar? Wer ist wahlberechtigt? Wahlberechtigt und selbst wählbar sind zugelassene Vertragsärzte, an der ver­ tragsärztlichen Versorgung teilnehmende ermächtigte Krankenhausärzte, Psycho­ therapeuten und ermächtigte Kranken­ hauspsychotherapeuten sowie mindes­ tens halbtags angestellte Ärzte/Psycho­ therapeuten in Medizinischen Versorgungs­ zentren oder in Vertragsarzt­/Psycho­ therapeutenpraxen, die Mitglied der KV Bremen sind. Wie stelle ich mich zur Wahl? Die Wahlordnung sieht zwei Möglichkei­ ten vor: Als Einzelwahlvorschlag oder in Form einer Liste. Auf einem offiziellen dreiseitigen Formular reichen Sie Ihren Wahlvorschlag beim Wahlausschuss ein. Damit der Vorschlag zugelassen werden kann, muss er bestimmte formale Kri­ terien erfüllen. Die KV Bremen hat dazu auf ihrer Homepage ein Merkblatt bereit gestellt. Wichtig ist unter anderem, dass jeder Wahlvorschlag von mindestens zehn wahlberechtigten Mitgliedern unter­ stützt wird, dokumentiert durch deren ei­ genhändige Unterschriften. Welche Wahlkreise gibt es? Ein Wahlvorschlag kann für einen der drei Wahlkreise eingereicht werden. Für ärzt­ liche Mitglieder besteht der Wahlkreis I Bremen­Stadt und der Wahlkreis II Bre­ merhaven­Stadt für ärztliche Mitglieder sowie ein Wahlkreis für (nichtärztliche) psychotherapeutische Mitglieder. Wann können Wahlvorschläge eingereicht werden? Mit der offiziellen Bekanntgabe der KV Bremen zur Wahl – voraussichtlich am 16. September 2010 – beginnt die zwei­ wöchige Frist zur Einreichung der Wahlvor­ schläge an den Wahlausschuss, der über die Einhaltung aller formalen Vorgaben wacht. Barbara Frank, KV Bremen Kassenärztliche Vereinigung Bremen Ausschreibung Vertragsarztsitze Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen schreibt gemäß §103 (4) SGB V zur Übernahme durch einen Nachfolger aus: Ärzte Für den Planungsbereich Bremen­Stadt: drei hälftige radiologische Vertragsarztsitze (Teilausschreibung) drei hausärztliche Vertragsarztsitze einen augenärztlichen Vertragsarztsitz einen hälftigen kinder- und jugendärztlichen Vertragsarztsitz (Teilausschreibung) Vorabinformationen können bei der KV Bremen erfragt werden bei: Martina Plieth Telefon: 0421-3404-336 Manfred Schober Telefon: 0421-3404-332 Kathrin Radetzky Telefon: 0421-3404-338 Bewerbungen um die Vertragssitze sind schriftlich innerhalb von vier Wochen nach Veröffentlichung an die Kassenärztliche Vereinigung Bremen, Schwachhauser Heerstraße 26/28, 28209 Bremen, zu richten. AktueLLeS BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Fortbildung für krankenhausfachärzte Auch Fachärztinnen und Fachärzte im Krankenhaus unterliegen der gesetzlichen Fortbildungspflicht. Das Gleiche gilt für die im Krankenhaus tätigen psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen und -therapeuten. Innerhalb von fünf Jahren müssen 250 Fortbildungspunkte nachgewiesen wer­ den, von denen mindestens 150 Punkte fachspezifisch erworben worden sind. Die Unterscheidung zwischen fachspezifi­ scher und sonstiger Fortbildung trifft die fortbildungsverpflichtete Person, die Be­ stätigung erfolgt schriftlich durch die Ärztliche Direktorin/den Ärztlichen Direk­ tor. Als Nachweis gilt das Fortbildungs­ zertifikat der Ärztekammer oder der Psy­ chotherapeutenkammer. Die Nachweise sind der Ärztlichen Direktorin/dem Ärztli­ chen Direktor vorzulegen, die/der die Einhaltung der Fortbildungsverpflichtung zu überwachen und zu dokumentieren hat. Der Fünfjahreszeitraum beginnt zum 01. Januar 2006. Bei späterer Aufnahme der Tätigkeit ist der im Vertrag bestimmte erste Arbeitstag maßgeblich. Die Kran­ kenhausleitung belegt die Fortbildung der in ihrem Haus tätigen fortbildungs­ verpflichteten Personen durch den Be­ richt der Ärztlichen Direktion. Dort sind alle der Fortbildungspflicht unterliegen­ den Personen mit dem Zeitraum anzuge­ ben. Im Qualitätsbericht ist anzugeben, in welchem Umfang die Fortbildungs­ pflicht erfüllt wurde. Am 31. Dezember 2010 endet der erste Fünfjahreszeitraum. Wer also am 1. Januar 2006 zu der fort­ bildungsverpflichteten Gruppe gehörte, muss bis dahin ein Fortbildungszertifikat nachweisen. Die Fortbildung der Fach­ ärzte im Krankenhaus ist in einem Be­ schluss des Gemeinsamen Bundesaus­ schusses vom 19. März 2009 geregelt (www.g­ba.de/informationen/beschluesse, Beantragen Sie rechtzeitig ihr Fortbildungszertifikat bei der Akademie für Fort- und Weiterbildung, telefon: 0421-3404-261, -262, e-mail: [email protected]. Auswahloption Qualitätssicherung). Wei­ tere Auskünfte gibt es in der Akademie für Fort­ und Weiterbildung der Ärzte­ kammer Bremen, Dr. Susanne Hepe, Tele­ fon: 0421­3404­260, E­Mail: susanne.hepe@ aekhb.de. Dr. Susanne Hepe, Leiterin der Akademie für Fort- und Weiterbildung, Ärztekammer Bremen © rrrob/Fotolia.com © Sean Locke/Istockphoto.com Wiedereinstiegsseminar Die Akademie für Ärztliche Fortbildung der Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen­Lippe bietet im März und Oktober ein einwöchiges Wieder­ einstiegsseminar für Ärzte an, die nach län­ gerer Pause wieder in ihren Beruf zurück­ kehren möchten. Unter dem Titel „Was gibt es neues in der Medizin?“ gibt das Seminar in konzentrierter Form Ein­ und Überblicke in den aktuellen Wissenstand und gängige Verfahren zentraler ärztlicher Fachgebiete. Konkrete Krankheitsbilder werden ange­ sprochen, Fallbeispiele diskutiert, aktive ärztliche Handlungskompetenz, z. B. in der Notfallmedizin, aufgefrischt. Weitere Infor­ mationen zum Seminar gibt es auf der Internetseite der Ärztekammer Westfalen­ Lippe, www.aekwl.de, unter dem Stich­ wort „Fortbildung“ im Online Fortbildungs­ katalog. 21 AktueLLeS BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 www.arztbibliothek.de Geprüfte Informationen auf einen Klick Das Online­Portal www.arztbibliothek.de bietet Ärzten und Psychotherapeuten schnellen Zugriff auf vertrauenswürdige medizinische Informationen. Das Ärzt­ liche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) hat das Internetangebot im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Bundesärztekammer (BÄK) entwickelt. Das Online­Nachschlagewerk bietet ausgewählte Behandlungsleitli­ nien, Praxishilfen und Patienteninforma­ tionen. Ebenso verfügbar sind Cochrane­ Reviews und aktuelle Evidenzberichte. Weiterhin erhält der Nutzer Zugang zur Online­Datenbank der Deutschen Zent­ ralbibliothek für Medizin sowie zu Richtli­ nien und Gesetzesquellen. Die Experten des ÄZQ stellten die Informationen zu­ sammen und prüften sie auf Relevanz für die vertragsärztliche Versorgung sowie auf Qualität und Vertrauenswürdigkeit. Das Angebot wird laufend erweitert. Schon jetzt zur Planung: Übergangsfristen laufen ab! Die Abteilung Weiterbildung der Ärzte­ kammer Bremen weist frühzeitig darauf hin, dass am 31.12.2011 die letzten Über­ gangsfristen zur Weiterbildungsordnung 1996 ablaufen. Anschließend haben nur noch die Vorgaben der Weiterbildungs­ ordnung 2005 Gültigkeit. Wer seine Weiterbildung vor dem 1.4.2005 begonnen hat, kann noch folgende Be­ zeichnungen nach der Weiterbildungsord­ nung 1996 beantragen: 1. alle Gebietsbezeichnungen 2. die Schwerpunktbezeichnung Unfall­ chirurgie innerhalb des Gebietes Chirurgie 3. die Schwerpunktbezeichnungen Angiologie, Endokrinologie, Gastro­ enterologie, Hämatologie und Internistische Onkologie, Kardiologie, Nephrologie, Pneumologie, Rheumato­ logie innerhalb des Gebietes Innere Medizin Des Weiteren kann die Facharztkompe­ tenz Orthopädie und Unfallchirurgie ge­ mäß den Übergangsbestimmungen der Weiterbildungsordnung 2005 ebenfalls nur noch bis zum 31.12.2011 beantragt wer­ den. Anschließend ist die reguläre Weiter­ bildung nachzuweisen. Bei Unklarheiten und Rückfragen können Sie uns gern anrufen: Heide Bohlen, Telefon 0421­3404­220, Susanne Freitag, Telefon: 0421­3404­222, Petra Wedig, Telefon: 0421­3404­223, Brigitte Bruns­Matthießen, Telefon: 0421­3404­241. Brigitte Bruns-Matthießen Leiterin Abteilung für Weiterbildung, Ärztekammer Bremen Gefährliche Brustimplantate Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat die Landes­ behörden darüber informiert, dass eine europaweite Untersagung der Vermark­ tung, des Vertriebs und der weiteren Ver­ wendung von Silikongel­gefüllten Brust­ implantaten des Herstellers Poly Implant Prothese (PIP) ausgesprochen wurde. Auf der Internetseite des Bremer Ärztejour­ nals, www.bremer­aerztejournal.de, steht dazu ein pdf­Dokument mit detaillierten Informationen zum Herunterladen bereit. Weniger PEGSonden-Träger In Bremen ist der durchschnittliche Anteil der PEG­Sonden­Träger an der Gesamtheit der versorgten Personen in der stationären Altenpflege im Ver­ gleich zum Jahr 2003 zurückgegangen. Das geht aus einer aktuellen Erhebung des Gesundheitsamtes Bremen her­ vor. Der Bericht mit dem Titel „Ente­ rale Ernährung in der stationären Altenpflege in Bremen: Hat sich die Prävalenz von PEG­Sonden geändert?“ vergleicht die Erhebungen 2003 und 2009. Unter dem Punkt „Aktuelles“ auf der In­ ternetseite des Gesundheitsamtes Bre­ men www.gesundheitsamt.bremen.de steht der Bericht zum Herunterladen bereit. 4. die Zusatzbezeichnungen Psycho­ analyse, Psychotherapie Die Anträge müssen bis zum 31.12.2011 bei der Ärztekammer Bremen eingegan­ gen sein. © Gina Sanders/Fotolia.com 22 AktueLLeS BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Ärztekammer Bremen In der Serie „Fünf Fragen an“ stehen die zehn Ausschüsse der Ärztekammer Bremen im Mittelpunkt. Die Vorsitzenden beantworten Fragen zu aktuellen Schwerpunkten und Herausforderungen. Fünf Fragen an… hubert Bakker, Vorsitzender des Ausschusses Gesundheit, umwelt, Prävention 1. Herr Bakker, Sie sind seit Anfang 2008 Vorsitzender des Ausschusses Gesundheit, Umwelt, Prävention. Was hat Sie bewogen, im Ausschuss mitzuarbeiten? Mein berufliches Engagement in der Sport­ medizin hat mich auf die Idee gebracht, mich der Prävention zu widmen. Präven­ tion ist heute in der Sportmedizin ein sehr wichtiger Bestandteil. Die Deutsche Ge­ sellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) sieht in der Prävention einen Hauptbestandteil ihrer Tätigkeit Sport und Bewegung als präventive Maßnahme dar­ zustellen. Auf Bremer Ebene bin ich seit vielen Jahren in der Kooperation mit dem Landessportbund (LSB) Bremen in der Lan­ desarbeitsgemeinschaft „Sport pro Ge­ sundheit“ als Präventionsbeauftragter der Ärztekammer Bremen tätig. Prävention ist eine ureigene ärztliche Aufgabe und Tätig­ keit. Der Staat hat Strukturen zur Verbesse­ rung der Prävention im SGB V genau fest­ gelegt, z. B. zum Checkup, zur Früherken­ nung von Erkrankungen wie Hautkrebs­ screening oder Mammographierscreening. Hier sind Ärzte direkt eingebunden. Auch über das öffentliche Gesundheitssystem sind Mediziner beteiligt. Die Bundesärzte­ kammer hat zur Prävention eine Ständige Konferenz eingerichtet, in der ich seit drei Jahren ebenfalls Mitglied bin. 2. Was sind die aktuellen Schwerpunkte der Ausschuss­ arbeit? Besonders fruchtbar und immer noch aktu­ ell ist die Kooperation der Ärztekammer Bremen mit dem LSB Bremen. Zusammen geben wir jährlich eine Broschüre mit allen zertifizierten Gesundheitsangeboten der Bremer und Bremerhavener Sportvereine heraus. Hier können alle Ärzte und Patien­ ten Informationen zu Kursangeboten bei Sportvereinen in ihren Stadtteilen finden, von denen fast alle von den Krankenkas­ sen auf Antrag bezuschusst werden. Dazu gehören in Bremen auch die Herzsport­ gruppen und die Krebssportangebote. Diese Broschüre kann über den LSB Bre­ men oder die Ärztekammer Bremen kos­ tenlos bezogen werden. Bewegung ist mit jeder Menge Evidenz das wirkungsvollste und preiswerteste Mittel zur Vorbeugung von Erkrankungen, sowie auch in der Se­ kundär­ und Tertiärprävention bei vielen Erkrankungen und gesundheitlichen Risi­ ken das beherrschende Element neben Er­ nährung, Hygiene und Impfungen. Daher wird auch im Land Bremen in der nächsten Zeit schwerpunktmäßig daran gearbeitet, das „Rezept für Bewegung“ einzuführen. Dieses Rezept stellt der behandelnde Arzt aus. Es soll für Patienten genaue Angaben zur Bewegung enthalten und zur Teil­ nahme an Bewegungsprogrammen durch Kassen oder im Bereich Gesundheitssport berechtigen. Einige Krankenkassen und sehr viele Sportvereine bieten solche Pro­ gramme bereits an. In anderen Bundeslän­ dern wie Berlin, Nordrhein­Westfalen, Hes­ sen und Thüringen hat das Bewegungsre­ zept seit Jahren Erfolg. 3. Was war die bisher spannendste Thematik? Unser Ausschuss hat sich in den letzten Jahren unter anderem mit dem Thema Nikotin­Abusus befasst. So sponsert die Ärztekammer Bremen das Programm „don´t start be smart“. Wenn Schulklas­ sen ein Jahr lang nicht rauchen und den Verhaltenskodex des Programmes befol­ gen, werden sie mit einem Preis wie z. B. einem Gutschein für eine Kanutour auf der Wümme belohnt. Aber auch Themen wie Kindergesundheit und präventive Maßnahmen gegen Adipositas, Koordina­ tionsstörungen und Bewegungsmangel sowie Demenz und Schweinegrippe wid­ mete sich der Ausschuss. 4. Warum würden Sie jungen Ärzten die Mitarbeit im Ausschuss empfehlen? Für junge Ärzte bietet der Ausschuss eine wertvolle Plattform für die Organisation von Gesundheitskampagnen, Weiterbil­ dungen, Fortbildungen und die Teilnahme an der Erarbeitung von Curricula für Prä­ ventivmedizin. Das sind spannende Pro­ zesse mit vielen aktuellen Bezügen. Die Zusammensetzung des jetzigen Ausschus­ ses ist durch kompetente Mitglieder ge­ kennzeichnet. Dadurch sind wertvoller In­ formationsaustausch und konstruktives Arbeiten immer gewährleistet. 5. Welche Schwerpunkte sehen Sie in der Zukunft? Bewegungsprogramme, Ernährung, Pro­ bleme der Umsetzung von Prävention bei Menschen mit Migrationshintergrund und Männergesundheit zählen sicherlich zu den künftigen Schwerpunkten. Auch die Bundesärztekammer wird uns insbeson­ dere im Bereich Umwelt weitere Aufga­ ben stellen. Und das Beispiel Schweine­ grippe hat gezeigt, dass unvorhergese­ hene neue Aspekte bearbeitet werden müssen. Außerdem hat die Bundesärzte­ kammer einen Präventionskongress in Berlin etabliert, der mit Experten und de­ ren Studien zur Prävention versucht, die Kompetenz der Ärzteschaft wieder näher an die Politik zu bringen. 23 24 Akademie BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 A k a d e m i e f ü r F or t - u n d W e i t e rb i l d u n g Veranstaltungsinformationen Fit für den Facharzt Chirurgie Herzklappenchirurgie / Prof. Dr. D. Hammel Termin: 14. September 2010, 18.30 – 20.00 Uhr Innere Medizin: Hämatologie Referentin: Colette Mergeay Termin: 5. Oktober 2010, 19.00 – 21.00 Uhr Die Veranstaltung ist kostenfrei. (2 PKT) Arbeitskreis Hämotherapie Möglichkeiten und Grenzen der Röntgen-Thorax-Untersuchung aus der Sicht des Pneumologen – praktische Beispiele / Einführung in die Projektionsradiographie des Thorax Prof. Dr. Ukena / Dr. A. Sternberg Termin: 21. September 2010, 18.00 – 19.30 Uhr Die Veranstaltungen sind kostenfrei. (2 PKT) Hämotherapie-Richtlinien der BÄK und des PEI-Änderungen und Ergänzungen 2010 / Filmvorführung: „Penny Allison – how dangerous blood transfusions can be” Der Ak Hämotherapie befasst sich mit den aktuellen Änderun­ gen und Ergänzungen der Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie). Im zweiten Teil der Veranstaltung geht es um die konkreten Abläufe im Alltag transfundierender Einrich­ tungen am Beispiel eines – satirisch etwas überspitzten, aber durchaus an der Realität orientierten – Films des britischen National Blood Service. Termin: 28. Oktober 2010, 19.00 – 21.00 Uhr Die Veranstaltung ist kostenfrei. (2 PKT) Gesund leben lernen Psychosomatische Grundversorgung Lehrer- und Ärztetag 2010 – eine Veranstaltung im Rahmen der Gesundheitswoche Bremerhaven Termin: 8. September 2010, 15.00 – 17.00 Uhr Ort: Stadthalle Bremerhaven Die Veranstaltung ist kostenfrei. (2 PKT) Inhalt dieser Fortbildungsreihe ist der Erwerb von Kenntnissen in „Psychosomatischer Krankheitslehre“. Ziel der psycho-soma­ tischen Grundversorgung ist vor allem, den Patienten leib-see­ lische Zusammenhänge zu erschließen und den Versuch zu ­unternehmen, mit pragmatischen Mitteln, die Beziehung zwi­ schen Arzt und Patienten therapeutisch zu nutzen. Neben der Theorievermittlung wird in Kleingruppen das psychosomatische Gespräch theoretisch und praktisch eingeübt, die Bereitschaft der aktiven Mitarbeit in Gesprächsübungen wird vorausgesetzt. Termine: 6 Wochenenden ab 29./30. Oktober 2010, jeweils Freitag 17.00 – 19.30 Uhr, Samstag 10.00 – 17.00 Uhr Kosten: 750,- (60 PKT) Akute Leukämien / MDS / Prof. Dr. B. Hertenstein Termin: 14. September 2010, 19.00 – 20.30 Uhr Gynäkologie Notfälle im Kreißsaal / A. Brunnbauer Termin: 16. September 2010, 18.00 – 19.30 Uhr Radiologie Bremer Curriculum für Spezielle Psychotraumatherapie Grundlagen der Traumatherapie Termin: 11. September 2010, 9.30 – 15.30 Uhr Kosten: 120,- (6 PKT) 16. Bremer Zytologietag Themen: Qualitätsvereinbarung Zytologie, Kleinzellige Läsio­ nen der Cervix uteri, Zytologie des Respirationstrakts und ­Differentialdiagnose, Immunzytologie und molekulare Tech­ niken (Vorträge mit Workshop) Termin: 18. September 2010, 9.30 – 16.00 Uhr alternativ 19. September 2010, 9.30 – 13.00 Uhr Kosten: 35,- bis 100,- Euro (7/4 PKT) English for Medical Purposes: Illnesses and Diseases Anhand aktueller Entwicklungen werden im In- und Ausland fach-übergreifende Krankheitsbilder in englischer Sprache er­ arbeitet und mit Ihren Kollegen/Innen diskutiert. Ihre Fach­ richtung findet bei der Themenauswahl Berücksichtigung. Termin: 29. September 2010, 15.00 – 19.45 Uhr Kosten: 75,- (6 PKT) Forum Junge Medizin Das Überbringen schlechter Nachrichten, Teil II Die ärztliche Tätigkeit verlangt Grundregeln der Kommu­ni­kation. Das Überbringen schlechter Nachrichten rührt an bestimmte Ängste und wirft Fragen auf nach der ärztlichen Verantwortung. In dieser Veranstaltung geht es darum, einen Umgang und eine Haltung zu entwickeln. Kommunikationstraining für Ärztinnen und Ärzte Kooperation mit der Bremer Krebsgesellschaft und der Uni­ versität Heidelberg Termin: 25. – 27. November 2010, Donnerstag 17.30 – 21.00 Uhr, Freitag 9.00 – 18.00 Uhr, Samstag 10.00 –16.00 Uhr Veranstaltungsort: Ärztekammer Bremen Kosten: 180,- Euro (23 PKT) Einführungsseminare QEP – Qualität und Entwicklung in Praxen Termin: 26. – 27. November 2010, Freitag 17.00 – 21.00 Uhr, Samstag 8.30 – 17.15 Uhr Kosten: 235,- / 150,- Euro (18 PKT) Die Veranstaltungen finden, sofern nicht anders angegeben, im Fortbildungszentrum der Ärztekammer Bremen am Klinikum Bremen-Mitte statt. Bei allen Veranstaltungen ist eine vorherige schriftliche Anmeldung notwendig. Nähere Informationen und Anmeldeunterlagen erhalten Sie bei der Akademie für Fort- und Weiterbildung, Tel.: 0421-3404-261/-262; E-Mail: [email protected] (Friederike Backhaus, Yvonne Länger) 25 BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Namen & Nachrichten n Dr. Edith Kramer ist neue medizi­nische Geschäftsführerin des Kli­ nikums Bremerhaven Rein­ kenheide. Sie löste am 1. Januar den bisherigen Geschäftsführer Dr. ErnstGerhard Mahlmann ab. Dr. Kramer ist Fachärztin für Anästhesiologie und Schmerztherapie. Neben ihrer Praxis­ tätigkeit war sie bislang im Bereich Qua­ litätsmanagement tätig. Außerdem ar­ beitete Dr. Kramer als Referentin des Vorstandes des Univer­sitätsklinikums Göttingen. Sie studierte zunächst Jura und legte das 1. Staatsexamen ab, da­ nach studierte sie Medizin. n Dr. Stefan Kreszis, Facharzt für Allge­ meinmedizin, ist seit Juli dieses Jahres niedergelas­ sener Hausarzt in der Ge­ meinschaftspraxis mit Kor­ nelia Auffenberg in Bre­ men. Nach seinem Studium in Berlin und Marburg, absolvierte der Allgemeinmediziner seine Facharztaus­ bildung in Kliniken in Bremen und Oster­ holz-Scharmbeck sowie in einer allge­ meinmedizinischen Praxis in BremenNord. Dr. Kreszis führt seit 2008 die ­Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und ar­beitet regelmäßig als Notarzt. n Dr. Tim Müller, Facharzt für Allgemein­ medizin, Zusatzbezeichnung Naturheil­verfahren, ist seit dem 1. Juli niedergelasse­ ner Arzt in der Gemein­ schaftspraxis mit Benno ­Eichentopf, Internist, und der Allgemeinmedizinerin Regine Rauer in Bremen/Kattenturm. Dr. Müller hat an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main studiert. Seine klinische Facharztausbildung absolvierte er in Schott­ ­land. Dr. Müller verfügt über ein Diplom der Geriatrischen Medizin der Universität Glasgow. Die hausärztliche Facharztaus­ bildung durchlief er in drei verschiedenen Praxen in Bremen. Der Berichtsbogen zur Meldung von ­unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ist grundlegend überarbeitet worden. Das Formular wurde erneuert, um UAWMeldungen so einfach wie möglich zu gestalten und trotzdem möglichst alle Angaben zu erfassen. Online-Formulare zur UAW-Meldung gibt es im Internet unter www.akdae.de. n PD Dr. Andreas Rümelin ist neuer ­Chefarzt der Anästhesiolo­ gie und operativen Inten­ sivmedizin der DRK Kliniken und Pflege Wesermünde. In diesem Be­reich ist Dr. Rü­ melin seit dem 1. Mai zu­ ständig für die Häuser Klinik Am Bürger­ park in Bremerhaven und Seepark Klinik Deb­stedt. Dr. Andreas Rümelin verfügt über zusätz­liche Qualifikationen in den Be­ reichen Notfall- und Intensivmedizin, An­ ästhesie, Transfusions­medizin, Ernährungs­ medizin, Strahlenschutz und Ultraschall. Ermächtigung ist kein Blankoscheck Aus aktuellem Anlass weist die KV Bre­ men Ermächtigte Krankenhausärzte dar­ auf hin, dass sie Leistungen aus dem Ermächtigungskatalog höchstpersönlich erbringen müssen. Der Disziplinaraus­ schuss hat jüngst gegen einen Kranken­ hausarzt einen Verweis aussprechen müssen. Dieser hatte ärztliche Aufga­ ben, zu denen ausschließlich er auf Grund seiner Quali­fi­kation ermächtigt worden war, an einen Kollegen dele­ giert. Der Disziplinarausschuss der KV Berichtsbogen überarbeitet Bremen sieht darin einen groben Ver­ stoß. Es widerspreche dem gesetzlichen Zweck der Ermächtigung, wenn die be­ treffenden Leistungen von Assistenten erbracht werden. Sie können deshalb nicht abgerechnet werden. Mit dem Verweis des Diziplinarausschusses ist es allerdings nicht getan. Den Kranken­ hausarzt trifft zusätzlich eine empfindli­ che Rückzahlungsforderung in Höhe von 60.000 Euro. Hinweis auf die 15. AMG-Novelle Mit Inkrafttreten der 15. AMG-Novelle am 23. Juli 2009 hat sich die Rechts­ grundlage für die Herstellung von Arz­ neimitteln durch Ärztinnen und Ärzte geändert. Die Senatorin für Arbeit, Frauen, Jugend, Gesundheit und Sozia­ les hat ein Merkblatt herausgegeben, das die schwierige Materie erläutert. Sie finden das Merkblatt unter www.soziales.bremen.de/sixcms/ detail.php?gsid=bremen69.c.2258.de. 26 Recht B R E M E R Ä RLZ TeESJ OeURR N BRARLei0ce9hF| 1et0 Autor dieser Rubrik ist der Bremer Rechtsanwalt und Notar Wolf martin nentwig. Er zeichnet verantwortlich für den Inhalt. Abbruch lebenserhaltender Behandlung – strafbar? der Fall: eine 1931 geborene Patientin lag seit Oktober 2002 in einem Wachkoma. in einem Pflegeheim wurde sie über eine PeG-Sonde künstlich ernährt. eine Besserung ihres Gesundheitszustandes war nicht zu erwarten. die Patientin hatte im September 2002 mündlich den Wunsch geäußert, in einem derartigen Fall die künstliche ernährung einzustellen. die zwei kinder der Patientin – inzwischen Betreuer ihrer mutter – bemühten sich um die einstellung der künstlichen ernährung, um ihrer mutter – entsprechend ihrem ausdrücklich geäußerten Wunsch – ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Kontakt: [email protected] rer Angeklagter – erteilt den Rat, den Schlauch der PEG­Sonde unmittelbar über der Bauchdecke zu durchtrennen. Ent­ sprechend dem Rat schnitt die Tochter mit Hilfe ihres Bruders den Schlauch durch. Auf Veranlassung der Heimleitung und der Staatsanwaltschaft wurde die Patientin gegen den Willen ihrer Kinder in ein Krankenhaus gebracht. Sie starb dort zwei Wochen später eines natürli­ chen Todes aufgrund ihrer Erkrankungen. Das Urteil I. Instanz (Landgericht Fulda) Der ratgebende Anwalt wurde wegen ver­ suchten Totschlags durch aktives Tun zu einer Bewährungsstrafe von neun Mona­ ten verurteilt. Die Tochter wurde freige­ sprochen, da sie schuldlos gehandelt habe. Das Urteil II. Instanz (BGH) Nachdem die Tochter der Patientin Ende 2007 die Nahrungszufuhr über die Sonde beendet hatte, wurde die künstliche Er­ nährung in dem Pflegeheim wieder auf­ genommen, bei gleichzeitiger Androhung eines Hausverbotes für die Tochter der Patientin. Der von den Kindern der Pa­ tientin konsultierte Rechtsanwalt – späte­ Der 2. Strafsenat des BGH hat den verur­ teilten Rechtsanwalt freigesprochen und ergänzend auf die inzwischen seit dem 1. September 2009 geltenden Bestim­ mungen des „Patientenverfügungsgeset­ zes“ verwiesen. Die von der Patientin im September 2002 geäußerte Einwilligung, die ihre Betreuer geprüft und bestätigt hatten, entfaltete eine bindende Wirkung und stellte eine Rechtfertigung des Behandlungsabbru­ ches dar. Dies ist in § 1901 a Abs. 3 BGB ausdrücklich bestimmt – unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Die Be­ treuer durften nicht nur den Behand­ lungsabbruch durch Unterlassen weiterer Ernährung, sondern auch durch aktives Tun – Beendigung oder Verhinderung einer nicht mehr gewollten Behandlung – vor­ nehmen (BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09). Die Ausführungen in dem Urteil des BGH sind zu begrüßen. Sie stär­ ken den geäußerten, zu beachtenden Willen der Patienten. Um Beweisschwie­ rigkeiten hinsichtlich des geäußerten Patientenwillens zu vermeiden, ist jedem (potenziellen) Patienten dringend zu empfehlen, eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung durch einen No­ tar des Vertrauens beurkunden zu lassen. Der Notar attestiert die Geschäftsfähig­ keit des Testierenden und ist bei der For­ mulierung der Urkunden behilflich. Er sorgt ferner für eine Hinterlegung der re­ levanten Daten bei der Bundesnotarkam­ mer. AnzeiGenBöRSe Fortbildung Berliner Institut für Körper-Tanz und Therapie Stressmanagement bei Psychotherapeuten und Ärzten zertifizierte Weiterbildung (40 Punkte) 24.­29.10.2010 in Salobrena/Andalusien (1.100 €, EZ/VP/Seminar/Yoga) Infomappe: Tel: 030/71301571 www.koerper-tanz-therapie.de Balint-Gruppe für interessierte Kollegen und Kolleginnen, auch in Weiterbildung. Zeit: Mittwochs 14­tägig, 18.30 ­ 20.00 Uhr in der psychotherapeutischen Praxis: Dr. med. Irina Lewin, Langener Landstr. 266, 27578 Bremerhaven, Tel. 0471/3098840 A n z e i g e n b ö rs e BRE MER Ä R Z T EJ O U RN A L 0 9 | 10 Stellenmarkt Hausärztl./Internist.Gemeinsch. Praxis Nachfolger/in für gut eingeführte hausärztl. internistische Praxisgemeinschaft zum 01.01.2011 oder 01.04.2011 ­gesucht. Auch Teilzeittätigkeit möglich. Gute Verkehrsanbindung, Parkplätze am Haus, Fahrstuhl. Fax 0421/2233693 oder Tel. 0421/234630 (AB) Ärztl. ­Psycho­­therapeutin (TP, VT) sucht Praxisassistenz oder Job­sharing in Bremen und Umgebung. Chiffre 100905 HB-Mitte sucht neuen Partner zunächst Teilzeit/Jobsharing möglich. Chiffre 100910 WBA Allgemeinmedizin für große Hausarztpraxis in Bremen-Nord gesucht. WBE für 18 Monate. Chiffre 100902 Hausärztliche PG/GP Wir führen eine große hausärztliche-internistische Gemeinschaftspraxis in Bremen und suchen langfristig eine/n dritte/n Kollegin/en für eine Teilzeittätigkeit. Wir bieten eine moderne Praxis mit typisch hausärztlicher Klientel in gutem Arbeitsumfeld. Für mehr Informationen rufen Sie bitte an unter Tel. 0178/3767736 Professionelle Abrechnung (GOÄ, BG, IGeL, …) Konsequentes Mahnverfahren Kompetente Korrespondenz mit Kostenträgern und Patienten Persönliche Ansprechpartner vor Ort für Ärzte, Chefärzte, Kliniken, MVZ, IV, … Für noch mehr Know-How: www.pvs-campus.de Aktuelle Schulungen für Sie und Ihr Team! Außer der Schleifmühle 69 28203 Bremen www.pvs-bremen.de mit frei werdendem ­kassenärztl. Sitz im Bremer Osten sucht Partner/in. Chiffre 100901 Nette/r Kollege/in gesucht Einfach die bessere Privatliquidation Allgemeinarzt sucht Einstieg bzw. Anstellung in Gemeinschaftspraxis, ggf. auch Teilzeit möglich. ab sofort zur Mitarbeit für ca. 2 Vormittage/Woche in ­Bremen gesucht. Chiffre 100907 Kollegen/Kollegin – Arbeitsmediziner/in PVS / Bremen Ärztliche Gemeinschaftseinrichtung Urlaubsvertretung gesucht 1-2 mal pro Quartal je 1 - 2 Wochen lang halbtags Dr. med. Dorothee Mellinghoff Allgemeinmedizin, NHV, Akupunktur 28844 Weyhe-Dreye, Dreyer Str. 10 Tel. 04203/4380113 Chiffre 100909 Hausärztliche/r Kollege/in Tel.: 04 21 / 360 85 - 0 Fax: 04 21 / 337 80 - 30 [email protected] Alteingesessene GP für AG im Bremer Westen, 2 Sitze, gute Verkehrsanbindung, keine WE/Not-Dienste, kollegiale Urlaubsvertretung, WBE 12 Monate, aus Altersgründen zu übergeben. Gerne im kooperativen Übergang. Chiffre 100903 WB-Assistent/in oder Fachärztin/arzt für Augenarztpraxis gesucht Wir suchen Verstärkung. Wir bieten Ihnen ein angenehmes Betriebsklima, eine sehr gute apparative Ausstattung und in jeder Weise geordnete, vernünftige Arbeitsbedingungen. Dr. Stefan Bodanowitz Email: [email protected] www.augenarzt-in-bremen.de zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit gesucht, spätere Praxisübernahme möglich, Hamburg östl.-Alster – Citynähe, Praxis-Räume und Aufträge vorhanden. Dr. med. G. Bandomer, AV2, Mühlenkamp 32, 22303 Hamburg, Tel. 040/27806347 Jede Kontaktaufnahme wird vertraulich behandelt. Teilzeitstelle hausärztliche Geriatrie, Chirotherapie, 14 J. Praxis sucht wegen ­Ortwechsel zum 1. oder 2. Quartal 2012 Kooperation in GMP oder MVZ. Bremen/Bermerhaven und Umzu. 48-jähriger Facharzt Allgemeinmedizin Biete (Plastische) Chirurgie, Dermatologie in Bremer Praxis. Ideal für Mütter. Tel. 0175/4701814, E-Mail: [email protected] Mobil: 0151/50478878 oder E-Mail: [email protected] I m pr e ss u m Bremer Ärztejournal Offizielles Mitteilungsorgan der Ärztekammer ­Bremen und der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen; ISSN 1432-2978 www.bremer-aerztejournal.de Herausgeber: Ärztekammer Bremen, Schwachhauser Heerstraße 30, 28209 Bremen, www.aekhb.de. Kassenärztliche Vereinigung Bremen, Schwachhauser Heerstraße 26/28, 28209 Bremen, www.kvhb.de Für den Inhalt verantwortlich: Franz-Josef Blömer, Günter Scherer Autoren dieser Ausgabe: Dr. Kerstin Boomgarden-Brandes, Brigitte BrunsMatthießen, Dr. Heribert Fleischmann, Christoph Fox, Barbara Frank, Dr. Heidrun Gitter, Dr. Alfred Haug, Dr. Peter Heinen, Dr. Susanne Hepe, Dr. John Koc, Dr. Thomas Liebsch, Christel Lüdecke, Prof. Dr. Bernd Mühlbauer, Wolf Martin Nentwig, Dr. Wolfgang Poser, Prof. Dr. Stephan Teyssen Redaktion: Andrea Klingen (Ltg.), Sabine Müller-Schumann Bildnachweis: Fotolia: © Lichtbildnerin, © rotoGraphics, © Gina Sanders, © Alx, © Sven Weber, © blacksock, © Dron, © WoGi, © rrrob Istockphoto: © esolla, © andrea laurita, © Sean Locke © Peter Schoppe Werbeagentur GmbH Verlag: Peter Schoppe Verlag, Walderseestraße 48, 30177 Hannover, Tel. 0511/626266-3, Fax 0511/909250-22 Verantwortlich für die Anzeigen: Peter Schoppe Werbeagentur GmbH, Sarah Hennig, Waldersee­straße 48, 30177 Hannover, Tel. 0511/909250-0 Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. I/10, gültig ab 1. Januar 2010. Druck: Druckerei Schäfer, Sarstedt Beilagenhinweis: Diese Ausgabe enthält eine Beilage der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM e.V.) 27 Postvertriebsstück H 42085, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt. Ärztekammer Bremen, Schwachhauser Heerstraße 30, 28209 Bremen Stellenmarkt Dermatologin Praxisräume Ärztehaus Bremen Langemarckstr. sucht flexible Mitarbeit in Praxis. Chiffre 100904 Nachfolge für Landpraxis gesucht Allgemeinmedizinerin Einzelarztsitz, Übergabe bis 2014, Weiterbildung AFA 18 Monate möglich, zentral HB - HH - H gelegen Wir suchen für unsere ­Praxisgemeinschaft für Allgemeinmedizin, zentral gelegen in Bremen, eine/n Ärztin/Arzt in Teilzeit evtl. auch nur Vertretung, KV-Sitz vorhanden. Überdurch­ schnittliche Bezahlung. Hohe Scheinzahl. Nettes Team. ­Spätere Praxisübernahme möglich. Fax 0421/5578429 übernimmt Praxisvertretungen oder TZ-Mitarbeit in hausärztl. Praxis in HB und Umgebung. Tel. 0170/7740961 KV-Sitz Hausarzt zum Kauf gesucht Chiffre 100908 Institut für Pharmakologie am Klinikum Bremen-Mitte sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt Ärztin / Arzt Zunächst befristet für die Dauer von 2 Jahren, in Teil- oder Vollzeitbeschäftigung. Von Vorteil sind Kenntnisse in der Durchführung klinischer Prüfungen. Tätigkeitsfelder – Klinische Arzneimittelprüfung (vorwiegend) – Therapiebewertung auf Basis der Evidenz-basierten Medizin – Arzneimitteltherapie-Beratung. Die volle Weiterbildungsbefugnis für das Fach Klinische Pharmakologie sowie Promotionsmöglichkeit sind vorhanden. Bewerbungen bitte an: Prof. Bernd Mühlbauer, Institut für Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte, St.-Jürgen-Str. 1, 28177 Bremen, Tel. 0421/4975352 Allgemeinärztl.-internist. GP (hausärztl.) umsatzstark, Nähe Bremen, breites Spektrum sucht Kollegen/in zur langfristigen Mitarbeit o. Einstieg als Praxispartner/in, ggf. Teilzeittätigkeit. Chiffre 100911 Sonstiges Aus Praxisverkleinerung abzugeben: EKG, Kaltlicht­pro­ jektor, Lichtleitkabel, Mikroskop, Amnioskop, Prokteskop, div. gyn. Instrumente. Bitte Liste ­anfordern unter m.zorn@ nord-com.net oder 04744/3625 Tel. 04266/1616 EG/UG, 155 qm an allgemeinmed. oder andere Fachrichtung, Miete: 400 Euro, keine Umzugs-, Umbau- und Renovierungskosten, Hohentor-Apotheke. Tel. 0421/8093212 Stuhr-Varrel (Landesgrenze Bremen) Praxisräume in Ärztehaus (Arzt-, Zahnarzt-Praxis und Apotheke vorhanden), 130 qm, 1. OG, neuer Fahrstuhl vorhanden, zentrale Ortslage, nebenliegend Filialen der Kreissparkasse und Volksbank, Vielzahl an Parkplätzen, Bus-Haltestelle gegenüberliegend, Renovierung nach Ihren Wünschen, 1 Jahr mietfrei, Überlassung gut erhaltener PraxisEinrichtung unentgeltlich, von privat an Arzt für Allgemeinmedizin/Chiropr./Akup./Homöop. 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