Geschichtsdenken und Ständekritik in apokalyptischer Perspektive Martin Luthers Meinungs- und Wissensbildung zur ‚Türkenfrage’ auf dem Hintergrund der osmanischen Expansion und im Kontext der reformatorischen Bewegung Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde des Fachbereichs Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität Hagen - Arbeitsbereich Geschichte und Gegenwart Alteuropas - vorgelegt von Dr. Michael Klein aus Hamm/Sieg Betreuer der Arbeit : Professor Dr. Ludolf Kuchenbuch 1 1. Einleitung und Forschungsgeschichte..........................5 2. Das Verhältnis von Christentum und Islam bis zur Reformation....................................................................18 2.1. Die Entwicklung der islamischen Machtsphäre................18 2.1.1. Aufstieg und Expansion...................................................18 2.1.2. Die Kreuzzüge................................................................20 2.2 . Verstärkte geistige Auseinandersetzungen mit dem Islam.................................................................................21 2.2.1. Die Muslime als Häretiker und/ oder apokalyptische Gestalten: Johannes Damascenus, Pseudo-Methodius, Alvar von Cordoba...........................................................21 2.2.2. Die Suche nach Gemeinsamkeiten: Thomas von Aquin und Raimundus Lullus………………………………27 2.2.3. Geistige Zurüstung gegen den Islam: Ricoldus de Monte Crucis...............................................................................31 2.3. Christentum und Islam am Vorabend der Reformation....33 2.3.1. Das Aufkommen des Osmanischen Reiches...................33 2.3.2. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Reich und den christlichen Mächten ........34 2.3.3. Theologische Auseinandersetzungen und Kreuzzugsaufrufe: Aeneas Piccolomini (Pius II.) und Nicolaus Cusanus...........................................................................39 2.3.4. Erfahrungsbericht und Apokalyptik: Georgius de Hungaria..........................................................................48 2.3.5. Apokalyptische Zeitdeutung: Alte Weissagungen, Johannes Lichtenberger und andere Deuter...................49 2.4. Zwischenbilanz................................................................66 3. Die Heraufkunft des „Türken-Themas“ in Luthers Denken 1517-1525..........................................................66 3.1. Luthers Stellungnahmen gegen einen OsmanenKreuzzug..........................................................................66 3.1.1. Die politischen Ereignisse................................................66 2 3.1.2. Luthers Verbindung von „Türkenfrage“ und Papstkritik........................................................................68 3.1.3. Die Verknüpfung von „Türkenfrage“ und „Causa Lutheri“.............................................................................78 3.2. Andere geistige Stimmen der Zeit....................................84 3.2.1. Die Humanisten Ulrich von Hutten, Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon................................84 3.2.2. Die „radikale Reformation“: Die „Zwickauer Propheten“ und Thomas Müntzer.......................................................92 3.3. Zwischenbilanz................................................................99 4. Die Wahrnehmung der türkischen Gefahr durch Luther 1526-1528/29....................................................100 4.1. Die Schlacht von Mohács..............................................100 4.1.1. Die politischen Ereignisse und die Schlacht von Mohács..........................................................................100 4.1.2. Luther und Königin Maria von Ungarn...........................102 4.1.3. Kritik an Luthers bisheriger irenischer Haltung: Johannes Cochlaeus.....................................................107 4.2. Luthers Eintreten für den militärischen Widerstand gegen die Osmanen.......................................................113 4.2.1. Die Ausbildung einer politischen Ethik...........................113 4.2.2. Melanchthons und Luthers Visitationsschrift..................115 4.2.3. Die Schrift „Vom Kriege wider die Türken“ und das „Christianus-Karolus-Modell“............................116 4.3. Andere Stimmen............................................................124 4.3.1. Apokalyptische Naherwartung bei den Täufern: Hans Hut, Balthasar Hubmaier und Michael Sattler......124 4.4. Zwischenbilanz..............................................................129 5. Endzeitstimmung 1529-1532.......................................130 5.1. Luthers Aufnahme apokalyptischer Vorstellungen.........130 5.1.1. Die politischen Ereignisse..............................................130 5.1.2. Die „Heerpredigt wider die Türken“................................136 3 Exkurs: Die Bedeutung des biblischen Buches Daniel für die Geschichtsauffassung der Reformation..............140 5.1.3. Weitere apokalyptisch geprägte literarische Äußerungen Luthers......................................................152 5.2. Endzeitstimmung und Historiographie: Philipp Melanchthon.......................................................156 5.2.1. Das „Siebend Capitel Danielis“ von Justus Jonas und Philipp Melanchthon.....................................156 5.2.2. Das „Chronicon Carionis“ von Johannes Carion und Philipp Melanchthon....................................164 5.2.3. Weitere Schriften und Aktivitäten Melanchthons............171 5.3. Andere Reformatoren und ihre Stellung zur „Türkenfrage“................................................................174 5.3.1. Der „Türkenprediger“ Johannes Brenz..........................174 5.3.2. „Türkenfrage“ und politische Ratio: Huldrych Zwingli............................................................................178 5.4. Spirituale und apokalyptische Zeitdeutung...................186 5.4.1. Das Wirken des Geistes in allen Völkern: Sebastian Franck...........................................................186 5.4.2. „Der Türke“ als „der andere“: Paracelsus......................191 5.4.3. Die „Türken“ im Endkampf: Melchior Hoffmann.............194 5.5. Zwischenbilanz..............................................................198 6. Luthers verstärkte theologische Auseinandersetzung mit dem Islam ab Mitte der 1530iger Jahre.............................................................................199 6.1. Der islamische Schöpfungsglaube als Ergebnis der Rationalität....................................................................199 6.2. Der „usus politicus legis“ bei den Osmanen..................204 6.3. Die Frage der „Abrahams-Kindschaft“ der Osmanen.......................................................................211 6.4. Zwischenbilanz..............................................................212 4 7. Letzte politische Stellungnahmen, verschärfte Polemik gegen den Islam und massive Ständekritik Luthers ab 1539 bis zu seinem Tode 1546....................................213 7.1. Luthers Stellungnahmen ...............................................213 7.1.1. Die politischen Ereignisse seit 1539..............................213 7.1.2. „Eine Vermanung D. Martini an alle Pfarrhern“ 1539....214 7.1.3. Die „Vermanung zum Gebet wider die Türcken“ 1541...............................................................................216 7.1.4. Die Vermahnung an die Pfarrherrn in der Superattendenz der Kirchen zu Wittenberg 1543..........220 7.2. Luthers verstärkte Anti-Islam-Polemik...........................223 7.2.1. Die „Verlegung des Alkoran Bruder Richardi“ 1542.......223 7.2.2. Weitere Polemik.............................................................228 7.3. Andere Stimmen........................ ...................................229 7.3.1. Der Islam aus religionsgeschichtlicher Sicht: Theodor Bibliander.......................................................................229 7.3.2. Warnung vor dem „Türgg“: Heinrich Bullinger...............236 7.3.3. Weiterwirken der apokalyptischen Vorstellungen: Andreas Osiander..........................................................244 7.3.4. Veränderte lutherische Sicht der Rolle des Papsttums in der Auseinandersetzung mit den Osmanen: Veit Dietrich..................................................248 7.3.5. Jenseits einer „Reichstheologie“: Johannes Calvin.......250 7.4. Zwischenbilanz..............................................................253 8. Schluss:........................................................................254 Quellen und Literatur:......................................................................261 Erklärung: 5 1. Einleitung und Forschungsgeschichte „Luthers Stellung zum Türkenkrieg ist eines der eindrücklichsten Beispiele dafür, dass er auf der Scheide zwischen den Zeiten stand, auf der sich in unterschiedlichster Weise die Linien kreuzten. Einerseits machte er dem mittelalterlichen Krieg um Christi willen, dem Kreuzzug als einem religiösen, sühnenden Dienst, ein Ende. Der Kampf gegen die vordringenden Türken ist vielmehr wie jeder andere Krieg nach politischem, modernen Verständnis ein rein weltlicher Schutz des Landes und seiner Leute. Andererseits aber gehört er nach überliefertem biblischen Weltverständnis in den Plan Gottes, den uns die Weissagungen begnadeter Propheten durch gewisse Zeichen ankündigen.“1 Diese Feststellung trifft Heinrich Bornkamm in seinem 1979 posthum herausgegebenen Werk „Martin Luther in der Mitte seines Lebens“. Bornkamm weist hier auf die Ambivalenz der Weltwahrnehmung Luthers am Beispiel seiner Haltung zur osmanischen Expansion im 16. Jahrhundert hin, ohne jedoch diese Frage in seinem Werk weiter zu verfolgen. Wie entscheidend Luthers Geschichtsverständnis durch „die Türken“ profiliert worden ist und wie der Protestantismus gerade auch durch die „Türkenproblematik“ ein Bestandteil der politischen Geschichte wurde, wird deshalb nicht weiter ausgeführt. Insgesamt kann hinsichtlich Luthers Meinungsbildung zum „Türken-Thema“ weitgehend von einem internen Desinteresse der Forschung gesprochen werden, das meist externe Faktoren infrage gestellt wurde. Weitere Beispiele belegen dies: Heiko A. Oberman, der in seiner Luther-Biographie diesen als „Mensch zwischen Gott und Teufel“2 charakterisierte und damit die tiefe Verwurzelung Luthers im mittelalterlichen Denken neu deutlich machte, misst aber in diesem Zusammenhang der „Türkenproblematik“ im Leben und Werk Luthers ebenfalls keine große Bedeutung bei. Ähnliches gilt für Walther von Loewenich, der in seiner Luther-Biographie3 dessen Stellung zur osmanischen Expansion fast vollständig ausblendet. In Bernhard 1 2 3 Bornkamm, Mitte, 526. Oberman, Luther. Loewenich, Luther. 6 Lohses Einführung in Luthers Leben und Werk4 fehlt in der Darstellung vom Lebensgang des Reformators jeder Bezug auf die „Türkenfrage“ und in Martin Brechts großer dreibändiger Luther-Biographie5 werden die Auseinandersetzungen mit dieser Problematik, wie sie sich für Luther insbesondere mit der Belagerung Wiens 1529 stellte zwar kurz dargestellt, doch bleibt der Eindruck bestehen, dass es sich für Luther hier eher um Nebensächlichkeiten gehandelt habe. Jenseits der eigentlichen Reformationsgeschichtsschreibung ist Luthers Haltung zu den Türkenkrieg ebenfalls kein herausgehobenes Interesse gewidmet worden. Wieder mögen dies einige Beispiele belegen: Gerhard Ritter erwähnt in seiner Luther-Biographie, die „TürkenThematik“ in einem Nebensatz.6 Heinrich Lutz hat in seinem Werk über die deutsche Geschichte von Maximilan I. bis zum Westfälischen Frieden zwar die mannigfachen Verknüpfungen zwischen dem politischen Protestantismus und der Frage einer reichseinheitlichen Gegenwehr gegen die Osmanen beleuchtet, Luthers eigenes Verhältnis zur „Türkenproblematik“ kommt aber nicht in den Blick.7 Anders sieht es in Heinz Schillings Darstellung der deutschen Geschichte der frühen Neuzeit - „Aufbruch und Krise“ – aus. Er führt aus: „Weltgeschichtlichen Rang erhielten die Türkenkämpfe schließlich auch durch ihre indirekte Wirkung auf die deutsche Reformation, denn Luther deutete sie als Zeichen einer apokalyptischen Endzeit. Paradoxerweise sind es dann aber gerade die Türken gewesen, die Luthers Lehre retteten, denn der Kaiser und sein Bruder sahen sich immer aufs neue zu Zugeständnissen an die protestantischen Reichsstädte gezwungen, um deren Hilfe gegen den muslimischen Feind zu gewinnen.“8 Luthers Bedeutung wird hier betont, doch die ungeheure Dramatik, die nun gerade durch Luthers Stellung zur „Türkenproblematik“ für die deutsche und europäische Geschichte bestand, scheint einer vertiefenden Betrachtung nicht würdig. Die vom Kaiser und den altgläubigen Ständen bedrohten Lutheraner blieben trotz aller Konflikte 4 5 6 7 8 Lohse, Luther. Brecht, Luther. Ritter, Luther, 179. Lutz, Einheit, bes. 246ff. Schilling, Aufbruch, 27f. 7 reichstreu und loyal gegenüber dem Kaisertum. Die Arbeit wird zeigen, dass dies vor allem in Luthers Reichs- und Kaisertreue begründet war, die ein Bündnis mit den Kaisergegnern - und das waren in besonderer Weise die Osmanen – definitiv ausschloss. Ein keineswegs undenkbares Bündnis der Lutherischen mit den Osmanen oder zumindest indirekt mit dem mit diesen alliierten französischen Königtum hätte für die mitteleuropäische Geschichte unabsehbare Folgen gehabt. Luthers Kaisertreue soll in dieser Arbeit hinsichtlich seiner Haltung gegenüber den Osmanen besonders beleuchtet werden. Josef Engel hingegen hat besonders die Frage der religiösen Begründung des „Türkenkrieges“ untersucht und die komplexe Wechselwirkung u.a. mit der Reformation dabei herausgehoben.9 Die apokalyptische Grundhaltung Luthers wird in dieser Arbeit eine besondere Beachtung erfahren. Sie wird erst hinsichtlich der „Türkenproblematik“ voll erschließbar. Horst Rabe erwähnt die weit verbreitete apokalyptische Stimmung der radikalen Reformatoren und den Zusammenhang von osmanischer Bedrohung und Stabilisierung des Protestantismus, von Luthers durch die Osmanen geprägter apokalyptischer Weltsicht ist jedoch keine Rede.10 Worin das alles in allem eher marginale Forschungsinteresse gegenüber der Thematik dieser Arbeit begründet liegt, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise ist darin ein Hinweis zu finden, dass die „Türkenfrage“ erschien. Die lediglich große für historische westeuropäische Reminiszenzen geeignet „Meistererzählung“11 der Bedrohung aus dem Osten, bestand im Blick auf die Osmanen spätestens seit dem „Untergang des Morgenlandes“ (Bernard Lewis) – dem Verfall der osmanischen Macht seit dem 18. Jahrhundert zunächst überhaupt nicht mehr. Als die „Luther-Renaissance“12 in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzte, wurde durch Kemal Atatürk gerade das Osmanische Reich liquidiert. Die „Türken“, schon lange nur noch „der 9 10 11 12 Engel, Mächte-Europa, 274ff. Rabe, Glaubensspaltung, 232, 211. Gabriel Motzkin, Meistererzählungen, 371ff. Vgl. dazu Assel, Aufbruch. 8 kranke Mann am Bospurus“, konnten damit selbst scheinbar endgültig zur geschichtssymbolischen Chiffre werden, die lediglich in anderen „Bedrohungszusammenhängen“ Bedeutung gewannen. Es waren externe Anlässe, die neues Interesse weckten. Mit der Entstehung der Sowjetunion ballte sich im Osten ein großer Machtfaktor zusammen, der unberechenbar und mit seiner Aussage von der „kommunistischen Weltrevolution“ potentiell gefährlich war. Die große Meistererzählung von der Bedrohung aus dem Osten in Gestalt von „Hunnen“, „Mongolen“ und eben auch den „Türken“ wurde neu aktualisiert. So ist es auffällig, dass die wenigen Arbeiten, die der „Türkenthematik“ gewidmet wurden, im zeitlichen Umfeld des Diskurses über eine „bolschewistische Bedrohung“ vor und im Zweiten Weltkrieg, bzw. dann im Kalten Krieg erschienen. Während Hanns Lilje in seinem Buch „Luthers Geschichtsanschauung“ (1932) die „Türkenproblematik“ nur in einigen Nebenbemerkungen behandelte, wurde das Thema einige Jahre später aktuell. Dass gilt besonders für die drei sich vorwiegend auf deskriptiver Ebene bewegenden Dissertationen von Vielau (1936), Lamparter und Lind (jeweils 1940)13. Ausdrücklich behauptet Richard Lind in der Einleitung zu seiner Dissertation „Luthers Stellung- zum Kreuz- und Türkenkrieg“ 1940 die Aktualität des Themas als eine „gegenwärtig höchst brennende Frage“: „Noch heute lebt die Vorstellung des heiligen Krieges fort als eines Krieges, in dem ein Volk um seine Existenz kämpft, was gut von Luther her verstanden werden kann. Manchmal wird dieser Krieg, der eigentlich nur um die weltlich-volklichen Belange geführt wird, auch zugleich religiös als Kreuzzug verstanden oder dafür ausgegeben, um eigentlich politische Ziele zu tarnen. Dabei schwingt die uns allen im Blute liegende Vermischung von religiösem und Politischem mit, bzw. es wird damit gerechnet.“14 Lind geht dann in seiner allerdings knappen Arbeit dezidiert auf den mittelalterlichen Kreuzzugsgedanken und die Ablehnung durch Luther ein. 11 14 Lamparter, Türkenkrieg; Lind, Türkenkrieg; Vielau, Türke. Lind, Türkenkrieg, 5. 9 Vom quantitativen Aspekt her verdient am ehesten die Arbeit von Lamparter eingehende Beachtung. Eine im eigentlichen Sinne historische Arbeit ist sie allerdings nicht, da sie in der Art ihrer Darstellung deutlich die Haltung der Dialektischen Theologie und ihr distanziertes Verhältnis zur Geschichtswissenschaft verrät.15 In seiner Dissertation „Luthers Stellung zum Türkenkrieg“, ebenfalls von 1940, heißt es gleich zu Beginn: „Der aktuelle Anlaß dieser Arbeit ist die Tatsache, dass in den machtpolitischen Kreuzugspredigt Kämpfen eine, wie der Gegenwart die mittelalterliche mir scheint, höchst verhängnisvolle allerdings unter systematischen Auferstehung feiert.“16 Lamparters Arbeit Gesichtspunkten ist dann gelliedert, so dass eine historisch-genetische Nachzeichung der Wissens- und Meinungsbildung Luthers nicht aufscheint. Als „theologischen Ertrag“17 betont Lamparter dann den Charakter der Kriegspredigt als „Bußpredigt“, wie überhaupt Luthers Einschätzung des Krieges als „Strafgericht“. Lamparter hebt hervor, dass Luther zum Gebet aufruft und so noch einmal die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens einschärft: „Angesichts der akuten Bedrohung durch einen bösen schnellen Tod wäre es unverantwortlich, in Kriegszeiten die Frage nach dem ewigen Heil der Seelen zurückzustellen und die biblische Heilsbotschaft zugunsten einer mit Bibelsprüchen verbrämten politischen Wochenschau zu verkürzen.“18 Im Übrigen bleibt es für Lamparter bei Luther dabei, die Kirche habe allein „den klaren und unzweideutigen Befehl Christi ..., in der Hoffnung auf den Beistand des Geistes allen Völkern das Evangelium zu verkündigen.“19 Lamparter stellt dann allerdings fest, „dass der Kreuzugsgedanke bei kirchlichen und politischen Stellen des Auslandes 15 16 17 18 19 Bienert, Kirchengeschichte, 149) Lamparter, Türkenkrieg, 5. Ebd., 135ff. Ebd., 141. Ebd., 144. 10 eine verhängnisvolle Auferstehung feiert ... .“20 In einem abschließenden Absatz wehrt Lamparter sich dagegen, den Antichrist mit irgendwelchen geschichtlichen gegenwärtigen Mächten oder Personen zu identifizieren, allerdings: „Wer will behaupten, dass im Ablauf der endgeschichtlichen Ereignisse eine derartige politische Machtergreifung (!) des Antichrist nicht etwa möglich wäre?“21 Lamparter empfiehlt der Kirche Jesu Christi statt dessen mit Luther das Gebet. Mehr konnte er wohl in einer Dissertation unter den Bedingungen nationalsozialistischer Zensur, noch dazu im Kriege, nicht sagen. 1945 veröffentlichte George W. Forell einen Beitrag über „Luther and the war against the Turks“ in der Zeitschrift „Church History“. Wie auch hier die gegenwärtige Situation auf das Thema wirkte, wird daran deutlich, dass Forell als Ergebnis seines Aufsatzes Luthers Ablehnung jeglicher Glaubenskriege betonte. In der geschichtlichen Situation, in der sich die westlichen Allierten mit dem Gedanken beschäftigten, ob die UdSSR nicht militärisch bekämpft werden sollte, war diese Aussage auch gegen die anzunehmende ideologische Instrumentalisierung der freien – christlichen – Welt zu verstehen. Harvey Buchanan schrieb 1956 im „Archiv für Reformationsgeschichte“ einen Aufsatz über „Luther and the Turks 1519-1529“ und Stephen-Fischer Galatis Arbeit über „Ottoman Imperialsm and German Protestantism 1521-1555“ widmete sich 1959 dann ausführlich den im Titel bezeichneten Zusammenhängen. Ehrenfried Herrmanns, ungedruckte Dissertation über „Türke und Osmanenreich in der Vorstellung der Zeitgenossen Luthers“ erschien 1961. Peter Brunner stellte noch 1961 in seiner Schrift über „Luther und die Welt des 20. Jahrhunderts“ ausdrücklich einen Zusammenhang her, wenn er schrieb: „Die Situation einer Spaltung zwischen Ost und West war Luther nicht ganz unbekannt. Seine Schriften zum Türkenkrieg sind darum gerade für uns heute in vieler Hinsicht wichtig.“22 20 21 22 Ebd., 146. Ebd., 150 Brunner, Luther, 25. 11 In seiner Schrift „Luther deutet Geschichte“ ging Heinz Zahrnt in einem Abschnitt auch auf die Kreuzzugsproblematik bei Luther ein. Zahrnt betont die Ablehnung eines religiös begründeten Krieges und die gleichzeitige Überblendung dieser Gedanken durch eschatologische Anschauungen des Reformators. Er resümiert: „Enderwartung und politische Selbstbehauptung, Eschatologie und Geschichtlichkeit schließen sich für Luther nicht aus, sondern tragen sich gegenseitig.“23 Während die Literatur angesichts Luthers Verhältnis zu den Osmanen noch relativ reichlich ist, beschränken sich die Untersuchungen hinsichtlich anderer Reformatoren, abgesehen von einer Dissertation über Melanchthons Verhältnis zum Islam24 und einem Beitrag zum Türkenbild von Luthers Zeitgenossen,25 auf zusammenfassende Aufsätze.26 Mit dem Erstarken des politischen Islam27, besonders nach der Islamischen Revolution 1979, ist dann auch der Islam als eigenes Machtphänomen wieder stärker in das Blickfeld des Westens getreten, so dass auch die historische Forschung neu nach geschichtlichen Zusammenhängen fragt. So widmete etwa Reinhard Schwarz 1986 in seinem Luther-Buch der „Türkenfrage“ ein eigenes Kapitel, in dem nun dezidiert herausgehoben wurde, dass die „Türkenfrage ... für das allgemeine Bewusstsein des 16. Jahrhunderts zu den zentralen politischen und religiösen Fragen“ gehört habe.28 Luthers Haltung wird dann in diesen Zusammenhang eingeordnet. Jetzt also trat diese Frage neu in den Blickpunkt der Lutherforschung, wobei eine kritische Beschäftigung mit dem Reformator oft noch unterblieb. Wenn Martin Brecht in einem Aufsatz zu Luthers Verhältnis zu den Osmanen die oft maßlose Polemik des Reformators lediglich als „temperamentvolle Anmerkungen“29 bezeichnete, wird dies deutlich. Rudolf Maus materialreicher und bedeutender Beitrag zeichnet sich ebenfalls 23 24 25 26 27 28 29 Zahrnt, Geschichte, 133. Köhler, Melanchthon. Herrmann, Türkenbild. Göllner, „Türkenfrage“; Pfister, Reformation; Setton, Peril. Vgl. dazu Roy, Islam. Schwarz, Luther, 195. Brecht, Türken, 20 12 dadurch aus, dass er eher auf deskriptiver Ebene eine Fülle von wertvollen Informationen zum Thema gibt. Durchaus kritisch hat sich Ludwig Hagemann in seinem Buch “Christentum contra Islam“ mit Luther auseinandergesetzt. Er betont, Luther habe „das Bild eines seinerzeit entstellten und verzerrten Katholizismus in der ihm eigenen Weise der Zuspitzung auf den Islam“ übertragen und damit letztlich eine Auseinandersetzung mit dem Islam als Größe sui generis verfehlt. Eine ähnlich kritische Wertung nimmt Herbert Blöchle in seiner Studie über Luthers Haltung zum Heidentum vor.30 Das langsam ansteigende Interesse an der oben skizzierten Problematik dürfte jedoch neben externen Faktoren auch noch interne forschungsgeschichtliche Gründe haben. Zunehmend sind in den letzten Jahren Luthers Verwurzelung in der apokalyptisch gesättigten Mentalität des Spätmittelalters und die Auswirkungen dieser Haltung auf das Geschichtsbild des Luthertums erkannt worden. Als Beispiele seien hier nur die schon erwähnte Luther-Biographie von Oberman sowie Robert Barnes’ Studie über „Prophecy and Apocalypticism in the Wake of the Lutheran Reformation“ 31 Gnosis. genannt. Jüngst hat Volker Leppin unter dem Titel „Antichrist und Jüngster Tag“32 das apokalyptische Profil lutherischer Flugschriftenpublizistik von 1548 bis 1618 untersucht. Die Darstellung „Die Reformation in Europa“ von Ulinka Rublack Apokalyptik. 33 beginnt mit programmatisch mit dem Thema Schon 1977 hat Hans-Ulrich Hofmann eine m.E. leider zu wenig beachtete Studie über „Luther und die Johannes-Apokalypse“ vorgelegt.34 Hinsichtlich des mit der apokalyptischen Grundhaltung zusammenhängenden Geschichtsbewusstseins der Reformatoren hat dann Arno Seifert auf die „Entdeckung des türkischen Antichrist“35 durch diese besonders hingewiesen. 30 31 32 33 34 35 Blöchle, Heidentum, 190-192. Barnes, Prophecy. Leppin, Antichrist. Rublack, Reformation, 9ff. Hofmann, Johannes-Apokalypse. Seifert, Rückzug. 13 Seifert weist darauf hin, dass „Luthers Antichristianisierung des Islam weder absolut neu noch genuin protestantisch war.“36 Darüber hinaus betont Seifert zwei unterschiedliche Interpretationsansätze des Islam, die sich beide auf Luther berufen konnten: Eine, die im Sinne des translatio imperii das römisch-deutsche kaiserreich als noch bestehende vierte Weltmonarchie ansah, und eine zweite, die an deren Stelle Papsttum und Osmanenreich erblickte.37 Überhaupt ist das Wertvolle der Arbeit Seiferts darin zu sehen, dass sie den „Rückzug der biblischen Prophetie von der neueren Geschichte“ – so der Titel – anschaulich am Umgang mit dem Monarchien-Schema des biblischen Buches Daniel – von dem hier noch oft die Rede sein wird – nachzeichnet. Die vorliegende Arbeit will nun das spezifische Profil der Wahrnehmung der osmanischen Expansion durch Martin Luther herausarbeiten. Die das römisch-deutsche Kaiserreich bedrohende osmanische Expansion fiel mit der Ausbreitung der Reformation zusammen, so dass das traditionelle „Corpus Christianum“, wie es sich im dem Dualismus von Imperium und Sacerdotium im Mittelalter herausgebildet hatte, sowohl äußerlich als auch innerlich unter Druck geriet und letztlich zerbrach. Zunächst waren die osmanische Expansion und die Reformation jedoch von einander unabhängige Größen. Bald zeigten sich aber mannigfache Interdependenzen, die besonders in der umstrittenen Frage eines reichseinheitlichen Vorgehens gegen die Osmanen wie auch in der Integration der osmanischen Expansion in das Geschichtsbild der Reformation zum Ausdruck kamen. Zunächst wird hier die historische Entwicklung des Verhältnisses der abendländischen Christenheit zum islamischen Kulturkreis beleuchtet. Von „abendländischer“38 Christenheit wird deshalb gesprochen, weil sie den Gesamtbegriff westeuropäischen Christentums, also ohne Hinzunahme der griechischen und russischen Orthodoxie, markieren soll. Allgemein vom „Islam“ wird geredet, da das Osmanische Reich, 36 37 38 Ebd., 18. Ebd., 20. Es soll jedoch hier nicht um eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit dem Begriff des „Abendlandes“ gehen; vgl. dazu etwa Schildt, Abendland; Köhler, Abendland. 14 der „Türke“39, wie Luther sagte, nur eine zeitlich begrenzte Größe innerhalb des Komplexes islamischer Staaten darstellt, die hier in den Blick kommen. Dabei lässt sich als Ausgangspunkt einer diachronen Betrachtungsweise zunächst festhalten: Die Expansion islamischer Mächte stellt historisch gesehen die nachhaltigste Bedrohung des europäischen Kulturkreises dar. Während der Begriff der Expansion sonst fast ausschließlich europäische Mächte als agierend ansieht, ist es in diesem Falle umgekehrt.40 Die islamischen Expansionsbestrebungen haben dabei Europa besonders in zwei Epochen bedroht. Die Ausbreitung des Islam in seiner frühen Phase, die erst bei Tours und Poitiers 732 n. Chr. gestoppt wurde, ist hier zuerst zu nennen. Später folgten dann die Eroberungszüge der Osmanen - „das größte und erregendste machtpolitische Phänomen der Zeit“41 - die zweimal, 1529 und 1683, bis vor Wien führten. Sie haben Europa bis ins Innerste bedroht und das kulturelle Gedächtnis42 des Kontinents bis heute geprägt.43 In der Nachzeichnung der historischen Entwicklung des islamischchristlichen Verhältnisses wird skizziert, wie die Deutung des Phänomens „Islam“ durch das „christliche Abendland“ vorgenommen wurde, welche Abhängigkeit zu den konkreten politischen Ereignissen und den allgemeinen geistesgeschichtlichen Entwicklungen bestand, und 41 42 43 wie sich unterschiedliche Modelle der Islam-Rezeption Zur Begrifflichkeit vgl. auch Dzambo, Zäsur I,1,1; Höfert, Türkengefahr, 186ff. Der Begriff „Türke“, der keine Selbstbezeichnung der Osmanen im infrage kommenden Zeitraum darstellt, wird heute in der Osmanistik nicht mehr verwendet, zumal er konnotativ oft mit der Vorstellung der „Türkengefahr“ (Höfert) verbunden ist. Zur Herkunft des Begriffes, der sowohl mit den Skythen, den Trojanern als auch mit einer Selbstbezeichnung eines mongolischen Volkes (T’u-küe) in Verbindung gebracht wird, vgl. Höfert, Türkengefahr, 188ff. ; Matuz, Osmanisches Reich, 9. Vgl. Lüthy, Epochen, der dies herausstellt und damit allerdings intendiert, das Osmanische Reich nicht zu europäischen Mächten zu zählen; vgl. zur Problematik des Osmanischen Reiches als europäischer Macht Höfert, Türkengefahr, 61ff. Skalweit, Reich, 80. Zum Begriff „kulturelles Gedächtnis“ vgl. Lay, Neuzeit, 66f.; Assmann, Gedächtnis. Höfert, Türkengefahr, 109 A. 64 spricht davon, es handle sich um „historiographisch besonders besetztes Terrain“. 15 herausbildeten, die zum Teil in differenzierter Weise miteinander verbunden wurden. Dann sollen die Spezifika der lutherischen Haltung gegenüber den „Türken“ im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Stellungnahmen und besonders im Kontext der reformatorischen Bewegung entwickelt werden. Hier werden die unterschiedlichen Wahrnehmungsmodelle des Übergangs vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit und die sie bedingenden divergierenden Rezeptionsschemata der zeitgeschichtlichen Ereignisse eine Rolle spielen. Die Übergangszeit44 zwischen Mittelalter und Neuzeit, die von einem erheblichen Stabilitätsschwund der das Mittelalter prägenden Institutionen von Kaiser- und Katastrophen“ Papsttum 45 und überhaupt von einer „Zeit voller geprägt war, ist der geistige Horiziont, vor dem sich die osmanische Expansion und die Reformation vollziehen. Wirtschaftsund gesellschaftspolitisch ist die Zeit von ungeheuren Dynamisierungen geprägt, genannt seien nur der seit 1470 spürbar einsetzende Bevölkerungsaufschwung, der gleichzeitig mit einem Preisanstieg und einem dementsprechenden Kaufkraftverlust weiter Bevölkerungsteile korrespondierte. Während sich Formen des Frühkapitalismus entwickelten, verschlechterte sich weitgehend die Lage der abhängigen Bauern, während sich andererseits Bauernpatriziertum entwickelte, Auseinandersetzung mit der dass auch ein dörfliches selbstbewusst Grundherrschaft suchte. die Beide 46 Entwicklungen kumulierten im sog. Bauernkrieg 1524/25. Staatspolitisch ist die Zeit geprägt von der Entstehung des frühneuzeitlichen Staates mit seinen Institutionen. Den Nationalstaaten, wie etwa Frankreich, steht mit dem Heiligen Römischen Reich ein altüberkommenes und in seiner ideellen Grundlegung gänzlich anders strukturiertes, stark föderatives Gebilde gegenüber, in dem die Aufgabe einer umfassenden Reichsreform immer unabweisbarer geworden war. 45 46 Vgl. Lay, Neuzeit, 77ff. Es kann hier nicht die Problematik historischer Epocheneinteilungen vertieft werden, doch dürfte unbestritten sein, dass die Reformation Bestandteil einer Übergangszeit war, deren Dauer allerdings nicht klar festzulegen ist. Lay, Neuzeit, 78. Vgl. Blickle, Reformation, 99ff. 16 Wer Obrigkeit sei - die Stände oder der Kaiser - sollte Luther entschieden beschäftigen. Die überkommene Lehre von der translatio imperii, die das Reich als Fortsetzung des Römischen Reiches ansah, stand einstweilen noch sperrig gegen das entsehende frühneuzeitliche Mächteeuropa, bevor diese Lehre obsolet wurde. Ohnehin hatte sie im Sinne machtpolitischer Konsequenzen schon im Hohen Mittelalter nicht den Realitäten entsprochen.47 Der Kaiser hatte zwar eine rangmäßige auctoritas, deswegen aber keine erhöhte machtpolitische potestas.48 Luther blieb jedoch in seinem politischen Denken zeitlebens fixiert auf Kaiser und Reich. Diese kurzen Skizzenstriche sollen genügen. An dieser Stelle kann kein zeitgeschichtliches Panorama entworfen werden. Unbestritten ist, dass insgesamt von einer Krisenepoche gesprochen werden kann, wobei der Charakter dieser „Krise“ im Einzelnen differenziert zu beschreiben wäre. Mit dem Begriff der „Krise“ soll keineswegs nur der Aspekt des Niedergangs, sondern eben auch der Herausbildung des Neuen betont werden, so wie es Erich Meuthen in seinem Forschungsüberblick über „Das 15. Jahrhundert“ betont hat.49 Für Luther und viele seiner Zeitgenossen stand jedoch eher der Aspekt des Niederganges im Vordergrund ihrer Wahrnehmung, der für sie eher den Gedanken an ein allgemeines „Ende der Zeit“, denn einen Übergang oder einen Neueinsatz weckte. Luthers Meinungsbild zu den „Türken“ sollte davon erheblich entscheidend geprägt werden. Charakteristisch für Übergangszeiten sind ein hohes Maß von Ungleichzeitigkeiten, besonders eben auch in der mentalen Verfassung der Menschen, die den Abschied des Alten und die Ankunft des Neuen deutlich machen. Andrew Cunningham und Ole Peter Grell ist Recht zu geben, wenn sie feststellen: „More than any other period of European history the sixteenth and early seventeenth centuries were characterised by apocalyptic expectations, eschatological speculations and millenarian dreams.“50 47 48 49 50 Schilling, Neuzeit, 433. Ebd., 434. Vgl. bes. die Einführung, 1ff. Cunningham/ Grell, Horsemen, 1. 17 Heinz Schilling formuliert, die Jahrzehnte um 1500 hätten „einen glühenden, ja apokalyptischen Charakter“51 gehabt. Will-Erich Peuckert gebührt das Verdienst, in seiner Studie „Die große Wende“ sehr eindrücklich auf diesen Sachverhalt hingewiesen zu haben. Peuckert sieht in seiner Studie, die die „große Wende“ von der bäuerlichmythischen zur bürgerlich-rationalen Gesellschaft darstellt, Luther – m.E. sehr zu Recht – stark verwoben in die bäuerlich-mythische Untergangsstimmung seiner Zeit.52 Bei Luther wie auch bei anderen Reformatoren steht seine Meinungsund Wissensbildung zur Türkenproblematik, stark unter dem Eindruck der „Türkengefahr“. Diese Betrachtungsweise ist jedoch selbst schon eine Interpretationsleistung. Sie meint unter Verwendung eines noch relativ jungen Terminus53 „den Diskurs, in dem ab dem 15. Jahrhundert eine Bedrohung für ganz Europa postuliert wurde.“54 Die historische Wirklichkeit war insgesamt vielschichtiger. Jenseits aller religiös fundamentierten Antagonismen zwischen Christen und Muslimen gab es auch eine vielfältige Zusammenarbeit zwischen dem Osmanischen Reich und einzelnen christlichen Herrschaften.55 Almuth Höfert fragt deshalb, „wo im 16. Jahrhundert außer auf dem Balkan die angeblich ‚ganz Europa’ bedrohenden Osmanen zu finden sind. Wo ist die Seemacht, die Spanien und England angreift und sich weiter nach Skandinavien aufmacht, wo die osmanischen Landheere, die Paris, Rom, Köln oder Prag bedrohen?“ Sie setzt damit allerdings die Fakten absolut und sieht in der Türkengefahr m.E. zu stark eine rein propagandistische Konstruktion. Die Osmanische Expansion war für jene, die sie - auf dem Hintergrund eschatologischer bzw. apokalyptischer Hoffnungen und Ängste - erlebten, eine potentielle Gefahr, die nicht ausschließen lies, dass auch Köln (vgl. 1.3.4.), ja gar sogar Schottland (vgl. 3.1.1.) gefährdet seien. Die Tatsache, dass es dazu nicht kam, heißt nicht, das es dazu nicht hätte kommen können. 51 52 53 54 55 Schilling, Zeit, 487. Peuckert, Wende II, bes. 544ff. Der Begriff „Türkengefahr“ ist nachhaltig erst mit Wilfried Schulzes Arbeit „Reich und Türkengefahr“ im späten 16. Jahrhundert in den akademischen Diskurs eingeführt worden, vgl. Höfert, Türkengefahr, 49. Höfert, Türkengefahr, 49. Höfert, ,53. 18 Dies war der geistige Horizont, vor dem sich Luther mit den Osmanen auseinandersetzte. 2. Kapitel: Das Verhältnis von Christentum und Islam bis zur Reformation 2.1. Die Entwicklung der islamischen Machtsphäre 2.1.1. Aufstieg und Expansion Ein besonderes Merkmal der durch den Propheten Mohammed (570632) gestifteten Religion des Islam ist die Tatsache, dass diese sich von Anbeginn an nicht nur als religiöse Lehre, sondern auch als politische Kraft verstand. So war Mohammed selbst – etwa im Unterschied zu Jesus von Nazareth - nicht nur Religionsgründer, sondern auch Staatsmann.56 Der islamischen Gemeinschaft der „Umma“, die sich im „Dar-al-Islam“ (Haus des Islam) repräsentiert, steht „Dar-al-Harb“, das „Haus des Krieges“, die Gemeinschaft der Nichtgläubigen gegenüber, wobei es für den frommen Muslim Verpflichtung bedeutete und bedeutet, mittels des Djihad („Kampf“/ „Anstrengung“57) die Welt des Islam immer weiter auszudehnen.58 Als die historisch nachhaltigste Form dieses Djihad hat sich dabei die kriegerische Auseinandersetzung erwiesen. Während es Mohammed bis zu seinem Tod 632 n. Chr. bereits gelang, die arabische Halbinsel unter seinen Einfluss zu bringen,59 weiteten seine Nachfolger den Herrschaftskreis des Islam binnen weniger Jahrzehnte zu einem Weltreich aus. 711 n. Chr. überschritt der arabische Feldherr Tarik die Meerenge von Gibraltar („Felsen des Tarik“) und setzte nach Europa über. Er zerstörte das spanische Westgotenreich mit der Hauptstadt Toledo. Nachdem das Westgotenreich untergegangen war, strebte man nach Südfrankreich, wo der Herzog von Aquitanien besiegt wurde. Die angerichteten Gemetzel blieben lange in Erinnerung.60 Die islamischen Truppen stießen dann im Fränkischen Reich auf den Widerstand des 56 57 58 59 60 Vgl. dazu etwa Paret, Mohammed und Armstrong, Muhammad. Hagemann, Islam, 19 Vgl. Dzambo, Zäsur, 19. Paret, Mohammed, 110-150. Gibbon, Islam, 467f. 19 Hausmeiers Karl Martell, der eine islamische Streitmacht 732 n. Chr. bei Tours und Poitiers schlug.61 Die Schlacht selbst ist möglicherweise in der Retrospektive, wohl bedingt durch zeitgenössische Darstellungen,62 überbewertet, doch markiert sie den Anfang vom Ende des islamischen Eroberungsdranges im europäischen Südwesten.63 Während es den Muslimen nicht gelang, das Fränkische Reich zu erobern, konnten sie sich in Spanien („al-Andalus“) dauerhaft festsetzten. Dabei nahm dieses Gebiet als Emirat von Cordoba rasch eine Sonderentwicklung in der islamischen Welt.64 Im 10. Jahrhundert erlebte es seine höchste Blüte. Im folgenden Dezennium kam es zu Thronwirren, das (Teil-)Kalifat spaltete sich in kleinere Reiche auf, was allerdings zunächst eine kulturelle Verbreiterung des Lebens auf neue Zentren wie Sevilla, Granada und Valencia mit sich brachte. Im Zuge der christlichen Rückeroberung („Reconquista“) Spaniens zerbrachen diese Teilreiche. 1085 n. Chr. wurde Toledo erobert, 1236 Cordoba, 1248 Sevilla; als letztes ging das Emirat von Granada 1492 n. Chr. - nur acht Jahre vor der Geburt des späteren Kaisers Karl V. - unter. Historisch lässt sich jedoch mit Blick auf die islamische Herrschaft cum grano salis festhalten: Spanien blieb für lange Zeit das einzige europäische Land, in dem Christen und Moslems „normally good“65 zusammenlebten.66 Auch zu den fränkischen Herrschern entwickelten sich zunächst gute islamisch-christliche Beziehungen. Nach dem negativen Ausgang des „spanischen Abenteuers“ (Dieter Hägermann), den im „Rolandslied“ künstlerisch verarbeiteten erfolglosen Feldzug Karls gegen das Emirat von Cordoba 778 n. Chr., führte dieser gegen 61 62 63 65 66 Rotter, Abendland, 217ff. Ebd., 222. Becher, Karl, 35 ; Hägermann, Karl, 58. In farbenprächtiger Ausmalung der bei einer Niederlage drohenden Konsequenzen, Gibbon, Islam, 468. Nachdem die bisher herrschende Kalifendynastie der Omajiaden 750 n. Chr. blutig durch die neue Herrscherfamilie der Abbassiden abgelöst und fast ausgelöscht worden war, gelang es einem Mitglied der Omajiaden, AbdelRahman, sich nach Spanien zu retten und hier eine omajiadische Restmacht zu etablieren. Als „Emir“ (Kommandant) erkannte Abel-Rahman die Oberherrschaft der Abbasiden zwar nicht an, doch vermied er es, durch die Ausrufung zum Gegenkalifen, eine abbasidische Intervention zu riskieren. Erst nachdem in Ägypten im 9. Jahrhundert ein Gegenkalifat der Fatimiden entstand, entschloss sich auch Abdel-Rahman III. 929 n. Chr. den Titel eines Kalifen anzunehmen. Armstrong, Muhammad, 22. Vgl. Willi, Spanien, 9ff. 20 das islamische Spanien, bis auf einige kleinere Feldzüge, die die Niederlage von 778 wettmachen sollten, keine militärischen Expeditionen mehr durch,67 auch wenn karolingische Truppen weiterhin hier militärische Vorteile zu erringen suchten.68 Grundsätzlich friedlich hingegen entwickelten sich die Beziehungen zum Kalifat der Abbasiden, das damals von dem sagenumwobenen Harun-al-Raschid beherrscht wurde. Zwei größere Gesandtschaften nach Bagdad, von denen eine einen damals weit bestaunten Elefanten als Geschenk des Kalifen mit nach Aachen zurück brachte, zeugten von einem gegenseitigen Respekt der beiden Herrscher, der jedoch nicht zu einem gleichsam multipolaren System Bagdad – Byzanz – Cordoba Aachen hochstilisiert werden sollte.69 Es blieb bei freundlichen Kontakten, die insgesamt wohl kaum als Verhältnis zweier gleichrangiger Mächte interpretiert werden können. Eher scheint es so, als habe Harun - gegen die abtrünnigen Omajjaden in Spanien - Karl durch die Geschenke und die Art des Empfangs seiner Delegation als eine Art „Emir“ für Westeuropa verstanden wissen wollen. Insgesamt waren die Beziehungen, besonders auch der Handel,70 zu gering und das politische Ungleichgewicht zwischen dem aufstrebenden fränkischen Herrscher und der saturierten islamischen Weltmacht wohl auch zu groß, um von einem Bündnis sprechen zu können. Die Beziehungen zwischen Harun und Karl zeigen allerdings, dass zwischen Islam und Christentum auch politisch fruchtbare Kontakte entwickelt werden konnten, mehr jedoch nicht. 2.1.2. Die Kreuzzüge Geradezu zum Inbegriff kriegerischer Konflikte zwischen Christentum und Islam entwickelten sich dann die „Kreuzzüge“71 zwischen 1096 und 67 68 69 70 71 Hägermann, Karl, 155ff. Ebd., 447. So jüngst Bassam Tibi in seinem Buch „Kreuzzug und Djihad“, der in dem Elefanten nicht nur das „Symbol eines islamisch-christlichen Dialoges“ (95) sondern auch das Zeichen für die Ausbildung eines „multipolaren Systems: Bagdad und Cordoba auf der islamischen Seite, Aachen und Byzanz auf der christlichen Seite“ (95) erkennen will. Hägermann, Karl, 446f. Riley-Smith, Kreuzzüge, 1ff. 21 1270. Ausgelöst u.a. durch eine auf Augustin zurückgehende72 christliche Neubewertung des Krieges,73 rief Papst Urban II. 1095 zu einem Kreuzzug auf, der die heiligen Stätten der Christenheit aus den Händen der „Ungläubigen“ befreien sollte. 1099 wurde Jerusalem unter enormen Verwüstungen und unter Anrichtung eines Blutbades unter der Bevölkerung erobert. Eine Reihe von Kreuzfahrerstaaten entstand, die aber keine lange politische Lebensdauer hatten. Die weiteren Kreuzzüge waren militärisch nicht mehr erfolgreich. Der letzte (7.) Kreuzzug des französischen Königs Ludwigs des Heiligen endete mit dessen Tod 1270 in Tunis. 1291 wurde die letzte Kreuzfahrerstadt Akko von den Muslimen zurückerobert. Politisch zerrüttet wurde durch die Kreuzzüge nicht nur das Verhältnis zum Kalifat der Abbasiden und dem der Fatimiden,74 zu deren Herrschaftsbereich Jerusalem und Palästina gehörten, sondern auch zu Konstantinopel, das 1204 durch Kreuzfahrer zerstört wurde und nach seiner Restituierung sich politisch bis zur Eroberung durch die Osmanen 1453 nicht mehr erholte. In das historische Bewusstsein der Muslime gruben sich die Kreuzzüge, wenn auch erst in nachkolonialer Zeit, tief ein.75 Auf der anderen Seite ermöglichten in fast paradoxer Weise die Kreuzzüge eine vertiefte Begegnung von islamischer und christlicher Kultur, von der noch zu berichten sein wird. 2.2. Verstärkte geistige Auseinandersetzungen mit dem Islam 2.2.1. Die Muslime als Häretiker und bzw. oder apokalyptische Gestalten: Johannes Damascenus, Pseudo-Methodius, Alvar von Cordoba und Joachim von Fiore Der Prophet Mohammed selbst verstand seine Lehre als die endgültige Offenbarung, die in den heiligen Schriften der Juden und Christen nur teilweise und dabei von diesen gar noch nachträglich entstellt ergangen 72 73 74 75 Ebd., 6. Hubschmid, Aufschwung, 26. Dieses hatte sich vom Abbasiden-Kalifat faktisch selbständig gemacht, Tworuschka, Allah, 43. Tworuschka, Allah, 45f.; ähnlich Tibi, Djihad, 44f, 214ff. 22 sei. Nachdem Mohammed mit seinen Auffassungen auf den Widerspruch besonders der Juden gestoßen war, grenzte er sich zunehmend vom Juden- und Christentum ab, ohne jedoch die Verwandtschaft der abrahamitischen Religionen zu leugnen. Trotz persönlich teilweise wohlmeinender Einstellung zu den Christen kritisierte Mohammed heftig deren (dogmatische) Lehren, wozu besonders der Kreuzes- und Heilstod Jesu, aber noch mehr die Behauptung von dessen Gottessohnschaft gehörten. Letztere bildet für den Islam die Hauptsünde, die „Beigesellung“ („shirk“) Gottes. Mohammed rief deshalb auch zum Kampf gegen die Juden und Christen auf, damit diese die Herrschaft des Islam und die für ihn wahre Offenbarung des Koran anerkannten. Allerdings wurden Juden und Christen differenziert von Polytheisten unterschieden,76 was eine Duldung der christlichen und der jüdischen Religion im islamischen Herrschaftsbereich möglich machte. Im Zuge der geschilderten islamischen Eroberungen drangen die Muslime in historische Kerngebiete des christlichen Glaubens, wie Ägypten und Karthago, später dann Westgotien, vor. Sie stießen hier auf eine besonders in der Frage des Verhältnisses von menschlicher und göttlicher Natur Christi tief zerstrittene Christenheit, die dem Islam keine Einigkeit entgegen zu setzten hatte77 und im Maghreb bald fast vollständig verschwand, während sie sich in Ägypten in kleineren Gruppen halten konnte. Die christliche Religion wurde in der Regel in den eroberten Gebieten meist nicht verfolgt, sondern mit einer Art repressiver Toleranz78 geduldet.79 In Spanien wurden die in Sprache und Sitte den Arabern angepassten Christen, die „Mozzararber“, wie die Christen in Nordafrika auf den Status von Schutzbefohlenen („Dhimmis“) gebracht, die unter gewissen Einschränkungen und der Zahlung einer Kopfsteuer ihren Glauben weiter praktizieren durften. 76 77 78 79 Paret, Mohammed, 140ff. Hagemann, Islam, 12. Vgl. dazu Southern, Islambild, 21; Dzambo, Zäsur II, 21ff. Der englische Historiker Edward Gibbon sprach davon, man könne „Mäßigung und Zucht der arabischen Eroberer unseren Beifall nicht versagen. Eduard Gibbon, Der Sieg des Islam, 445 23 Erstmals setzte sich als christlicher Theologe der bist heute in der Ostkirche auf das Höchste geschätzte80 Johannes Damascenus (650 – ca. 750) mit dem Islam auseinander. Der später hochbetagt gestorbene Johannes kam in Damaskus, der Hauptstadt des damaligen Omaijadenreiches zu Welt und war ein Spielgefährte des späteren Kalifen Yazid. Johannes’ Vater war der Kämmerer des Kalifen.81 Mit dem auf Yazid und zwei weitere Kalifen folgenden Abd al-Malik (685705) endete jedoch die Toleranz der Herrscher den Christen gegenüber. Johannes, bis dahin angeblich Mitarbeiter seines Vaters, trat, da er keine Aussichten auf eine weltliche Karriere mehr hatte, in ein Kloster ein. Es lag nahe, dass er sich hier insbesondere auch mit dem Islam beschäftigte. Johannes hielt in seinem Buch „De Haeresibus“ die Lehre Mohammeds für eine „christliche Häresie arianischer Prägung“82. Damit wurde eine heftige Grundsatzkritik geübt, indem der Islam als Häresie bezeichnet wurde. Gleichzeitig aber wurde dieser Religion zumindest der Charakter einer - wenn auch falschen - Lehre zugebilligt. Das Potential von religiösem Disput, Widerlegung und gar Bekehrung war hier zumindest gegeben. Johannes Damascenus markiert damit ein Grundmodell in der christlichen Auseinandersetzung mit dem Islam, das ich als das „dogmatische Modell“ bezeichnen möchte.83 Es meint die Wahrnehmung der islamischen Religion unter dem Gesichtspunkt der „wahren Lehre“. Johannes’ Spielart dieses Modells war dabei konfrontativ angelegt, da er sich offensichtlich die Lösung des Konfliktes nur in einer Annahme des Christentums durch den Islam vorstellen konnte. Durch die Aufnahme von Schriften des Damascenus in das Corpus Toletanum, eine Zusammenstellung von anti-islamischen 80 81 82 83 Dallis, Johannes von Damaskus, 289. Uthemann, Johannes von Damaskos, 331. Hagemann, Islam, 17. Zum Arianismus vgl. Hägglund, Theologie, 57ff. Vgl. dazu auch Miyamoto, Influence, 125, die ebenfalls zwischen einem „Christian understanding of Islamic doctrine“ und „Christian eschatological interpretation of Islam“ im Blick auf Damascenus und Pseudo-Methodius als ersten Exponenten unterscheidet. 24 Werken durch Petrus Venerabilis 1143, wirkte Damascenus’ IslamInterpretation auch im lateinischen Westen fort.84 Allerdings ist Damascenus selbst kein reiner Vertreter dieses Modells, denn an anderer Stelle bezeichnet er die „Ismaeliten“85 als „Vorläufer des Antichrists“86. Damit deutet sich bei ihm auch das zweite, das apokalyptische Grundmodell der christlichen Interpretation des Islam im Mittelalter an, wobei unter Apokalyptik hier allgemein die Deutung von Geschehnissen unter der Annahme eines nahen Weltendes verstanden werden soll, bzw. die Annahme, in einer „letzten Zeit“ zu leben.87 Zwischen beiden Positionen oder in differenzierten Mischformen sollte sich die Auseinandersetzung mit der Religion der Muslime für fast ein Jahrtausend vollziehen. Das apokalyptische Modell ist besonders mit dem Namen des (Pseudo)-Methodius von Patara verbunden: Pseudo-Methodius, ein in Persien geborener Syrer, der für den in Jahre 311 den Märtyrertod gestorbenen Bischof Methodius von Patara gehalten wurde,88 deutete in seiner „Revelatio S. Methodii de temporibus novissimus“, die wahrscheinlich im siebten Jahrhundert entstanden, unter Verwendung älteren Traditionsgutes89 den Islam - die „Agareni“90 - als die in der biblischen Apokalyptik vorausgesagte Erscheinung des Antichristen.91 Die Schrift des Pseudo-Methodius aktualisiert dabei das etwa aus der Johannes-Apokalypse bekannte Genus der Offenbarungen, um stabilisierend und orientierend auf den bedrängten Leser zu wirken. Für die Relevanz des Werkes spricht, dass es bald auch ins Abendland gelangte. In der Merowingerzeit wurde offensichtlich schon eine Übersetzung ins Lateinische abgefasst. Untergründig wirkte Methodius, wie die Arbeit zeigt, fort. Zahlreiche Schriften beziehen sich auf ihn. 84 85 86 87 88 89 90 91 Miyamoto, Influence, 125. Benannt nach dem Stammvater der Araber, dem Abraham-Sohn Ismael. Zit. nach Bobzin, Luther, 284 A. 111: pródromos ... tou ántichrístou. Vgl. zu den Diskussionen um das Verständnis der Apokalyptik auch Leppin, Antichrist, 15f. Manselli, Antichrist, 703; Barnes, Prophecy, 21. Zur Diskussion vgl. Rauh, Antichrist, 145; Möhring, Weltkaiser, 54ff. Von der biblischen Hagar, der Mutter Ismaels, des ersten Sohnes Abrahames, der wiederum als der Stammvaters der Muslime galt. Vgl. auch WA 30 II, 83. Vgl. Peuckert, Wende , 165. 25 Methodius stellt in seiner „Offenbarung“ in 14 Kapiteln eine Weltgeschichte von der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies bis zum Jüngsten Gericht dar, das auf die Herrschaft des Antichrist folgt.92 Die Geschehnisse sind dabei in „eine Zahl von wahrhaft dichterischen, erregenden apokalyptischen Fresken eingespannt“.93 Zu den Schilderungen des Pseudo-Methodius gehört u.a. auch die Vorstellung von Gog und Magog und damit biblisches Traditionsgut. In Kapitel 38 und 39 des biblischen Buches Ezechiel (Hesekiel) ist vom Fürsten Gog aus dem Lande Magog die Rede, der gegen Israel kämpft. In der Offenbarung des Johannes (Apk 20,8) begegnen Gog und Magog dann als zwei Völker aus dem Norden, die am Ende der Zeiten zum Kampf gegen die Erwählten Gottes heranziehen. Mit diesen Vorstellungen verbindet sich nun eine bei dem jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus überlieferte Sage, die davon berichtet, Alexander der Große habe einst die beiden Völker hinter den Kaukasus zurück verschlossen. getrieben Erst am und Ende hinter der einer Zeiten eisernen würden sie Mauer wieder hervorbrechen. Zunächst werden die „Ismaeliten“ jedoch, nachdem sie vollständig die Herrschaft in der damals bekannten Welt übernommen haben und Christus zu verspotten beginnen, von einem für tot gehaltenen König der Griechen vernichtend geschlagen. Nach einer langen Friedenszeit Anschließend brechen dann diese ebenfalls werden Gog und vom Magog griechischen hervor. König geschlagen. Nachdem dieser auf Golgatha seine Krone auf das Kreuz Christi setzt und stirbt, bricht der Antichrist hervor, der mit der Ankunft des „Jüngsten Tages“ von Gott in das ewige Verderben gestürzt wird. Im Abendland wurden diese Gedanken besonders unter der muslimischen Oberherrschaft in Spanien weiter verbreitet. Zahlreiche Christen, „die Märtyrer von Cordoba“, drängten hier nach dem Opfertod. Inspiriert wurden sie dabei von dem Mönch Perfectus von Cordoba, der um 850 Mohammed öffentlich u.a. als Antichrist 92 93 Zum Inhalt, Möhring, Weltkaiser, 58ff. Peuckert, Wende, 166. 26 bezeichnet hatte, und dafür hingerichtet wurde.94 Perfectus fand augenblicklich Nachahmer. Fünfzig Personen wurden wegen der Verunglimpfung Mohammeds getötet. Diese zunächst nur lokalen Ereignisse wurden schnell theologisch-propagandistisch aufgewertet. Alvarus von Cordoba (ca. 800 – ca. 861) vertrat unter Einfluss des Bischofs von Toledo, Eulogius, in seinem „Indiculus Luminosus“ die Meinung, „das die Herrschaft des Islam eine Vorbereitung auf das endgültige Auftreten des Antichrist sei.“95 Besonders das biblische Buch Daniel beförderte diese Ansichten. Alvarus deutete die dreieinhalb Zeiten aus Dan 12,7 dabei als Perioden von je siebzig Jahren, so dass vom Aufkommen des Islam aus gerechnet, das Weltende zur Zeit des Alvarus kurz bevor stand. Alvarus sollte damit prominent am Beginn einer Interpretation des Buches Daniel stehen, die besonders in der Reformationszeit wieder aufgegriffen wurde. Zwei Grundfiguren der christlichen Interpretation des Islam, eine dogmatische, die den Islam als Irrlehre begriff, und eine apokalyptische, die die Muslime als endzeitliche Macht interpretierte, zeichnen sich in diesem Zeitraum erstmals ab. Sie sollten, wie schon ausgeführt, die Grundmuster in der Auseinandersetzung bleiben, wobei die apokalyptische Deutung immer auch das Interpretament der Irrlehre enthielt, nicht aber umgekehrt die dogmatische Deutung das der Apokalyptik. Noch ein weiterer Unterschied ist bemerkenswert. Die dogmatische Interpretation war besonders dann vorherrschend, wenn von islamischen Mächten keine Gefahr drohte. So hegte etwa das zum Kaisertum aufgerückte Frankenreich Karls des Großen gegenüber dem Islam keine Befürchtungen. Es konnte Handel und Wandel mit islamischen Mächten betreiben und sich seiner geschichtlichen Erwählung als drittes Rom, wie es Karls Berater Alkuin sah, sicher sein.96 Der Islam spielte als stabilisierendes oder zeitendeutendes Feindbild keine Rolle. Hingegen nährte das Vordringen des Islam, bzw. dessen siegreiches Zurückschlagen der christlichen Mächte in den 94 95 96 Armstrong, Muhammad, 21. Southern, Islambild, 22; Armstrong, 24. Brentjes, Mythos, 25. 27 Kreuzzügen ein Krisengefühl oder ließ es gar erst entstehen, das sich schnell mit apokalyptischen Vorstellungen verband. Die apokalyptische Interpretation des Islam sollte dann auch an der Wende zum 13. Jahrhundert Joachim von Fiore verstärken. Für ihn bedeuteten Mohammed und sein eigener Zeitgenosse Sultan Saladin das vierte bzw. das sechste Haupt des apokalyptischen Drachens aus der Offenbarung des Johannes (Apk 13).97 Diese Vorstellung verband er dann wiederum mit den im Propheten Daniel genannten für Weltreiche stehenden vier Tieren (Dan 7), die für ihn, „die Juden“, „die „Heiden“, „die Arianer“ und schließlich „die Sarazenen“ darstellten.98 Die Prophetie des Joachim, die sich besonders in der Vorstellung vom „Dritten Reich“99, der Herrschaft des Heiligen Geistes in einem monastischen Zeitalter, verdichtete, sollte im Mittelalter nachhaltig wirken.100 2.2.2. Die Suche nach Gemeinsamkeiten: Thomas von Aquin und Raimundus Lullus Die abendländische Christenheit war jedoch insgesamt über den Islam trotz der Vorgänge in Spanien - bis ungefähr zum Jahre 1100 weitgehend uninformiert.101 Erst mit den Kreuzzügen und der Reconquista änderte sich dies nachhaltig. Es wurde das schon von Johannes Damascenus gebrauchte Denkschema, bei Mohammed handle es sich um einen christlichen Häretiker, übernommen und volkstümlich ausgestaltet.102 Dabei überwucherten Fehldeutungen und Falschinformationen die wenigen Kenntnisse, wenn es etwa im „Rolandslied“ hieß, die Muslime glaubten an über dreißig Götter.103 Erst mit der Zeit setzten sich vertieftere Kenntnisse über den Islam und Mohammed durch. Insbesondere kam es zur durch den Islam vermittelten 97 98 99 100 101 102 103 104 Aristoteles-Rezeption.104 Die im Islam bedrängte Miayamoto, Influence, 126ff. Ebd., 131. Diese Vorstellung ist jedoch pseudo-joachimitisch, vgl. Miyamoto, Influence, 131. Vgl. Reeves, Influence. Ebd., 17. Ebd., 26f.; Hagemann, Islam, 18f. Ebd., Islambild, 27. Vermittelt durch christliche Syrer hatte nach der Schließung der Athener Philosophenschule 528 in Persien eine Aristoteles-Renaissance eingesetzt, 28 Philosophie erlebte nun im christlichen Westen durch neugewonnene Kenntnis der bisher hier nur teilweise zugänglichen Werke des Aristoteles, „so etwas wie die Aufklärung im Mittelalter“105. Zugleich gab es die militärische Auseinandersetzung mit dem Islam. Die Kreuzzüge wurden bald jedoch theologisch unterschiedlich bewertet. Während die einen ein militärisches Vorgehen gegenüber dem Islam guthießen und den Kreuzzugsgedanken propagierten, so etwa Bernhard von Clairvaux,106 suchten andere den - wenn möglich missionierenden - Dialog voranzutreiben. Bernhard jedoch ist als großer Kreuzugsprediger in die Geschichte eingegangen.107 In einer Zeit, die immer wieder auch auf apokalyptische Deutungsmuster zurückgriff, hat er allerdings den kampf gegen die Araber nicht so gedeutet. Es ging ihm vielmehr um den Schutz der ecclesia orientalis.108 Es war dann Bernhards Zeitgenosse Petrus Venerabilis, Abt von Cluny, der auf Inspektionsreisen durch die ihm neu unterstellten Klöster in Spanien den Plan fasste, die geistige Auseinandersetzung mit dem Islam „nicht im Hass, sondern in Liebe“109 aufzunehmen. Um zunächst dazu bessere Informationen über den Islam und den Koran zu bekommen, initiierte er in Toledo, einem alten Zentrum der mozzarabischen Kultur, eine Koranübersetzung ins Lateinische. Sie wurde 1143 durch den Engländer Robert von Ketton angefertigt. Ihre Bedeutung ist ambivalent: Einerseits kam es nun zu einer durchaus vertieften Kenntnis des Koran und damit des Islam, andererseits wurde der Wert durch Fehlübersetzungen und tendenzielle Übertreibungen, etwa sexuell konnotierter Stellen, erheblich eingeschränkt.110 Diese Übersetzung lag später Martin Luther vor. 105 106 107 108 109 110 die Muslime nach der Eroberung des Sassanidenreiches übernahmen und weiterbildeten. Der Ärzte und Philosophen Ali ibn Sina (Avicenna) und Ibn Rushd (Averroes) führten die islamische Philosophie zu hoher Blüte, mussten sich aber des Vorwurfes der Ketzerei erwehren. Nach Averroes’ Tod 1198 in Cordoba endete diese Hochphase. Flasch, Denken, 319. Hagemann, Islam, 24. Winkler, Bernhard, 94ff. Ebd.; Dinzelbacher, Bernhard, 293ff., bes. 298. Zit. in Southern, Islambild, 32. Vgl. dazu Hagemann, Islam, 32ff. 29 Einen ersten Höhepunkt geistiger Auseinandersetzung mit dem Islam markiert Thomas von Aquin (1225-1274). In seiner Schrift „De rationibus fidei“ wollte Thomas in der Tradition seines Dominikanerordens eine intellektuelle Auseinandersetzung führen und die Rationalität des christlichen Glaubens aufzeigen und von daher die islamische Kritik widerlegen. Als gemeinsame Basis der Argumentation sollte dabei die Vernunft dienen. „De rationibus fidei“ ist so eine Verteidigung des Christentums. „Jede polemische Nuance ist ihr fremd.“111 Allerdings bleibt die Wahrheit unteilbar für den Aquinaten in der christlichen Religion. Wenn Thomas seine Auseinandersetzung mit dem Islam also auch deutlich innerhalb des dogmatischen Modells vollzieht, ist es doch eine Besonderheit, dass Thomas diese Anschauungen in einer unpolemischen Sachlichkeit entfaltet, die einen Seltenheitswert in der Geschichte der christlich-islamischen Beziehungen hat. Thomas’ Vorgehensweise war dabei, da sie eine Art Grundlagendiskussion zu führen versuchte, nachhaltig wirksamer, als der Missionsversuch des Franz von Assisi bei Sultan al-Kamil während des 5. Kreuzzuges 1218/1219. Nach drei Tagen wurde er vom Sultan mit freundlichen Worten zurückgeschickt.112 Ein weiteres Beispiel „vernünftigen“ Religionsdialoges bietet der mallorquinische Theologe Raimundus Lullus (1230/31-1315/16), der aus seiner Heimat das Zusammenleben der drei abrahamitischen Religionen aus eigener Anschauung gut kannte. Ungefähr zeitgleich mit Raimundus’ Geburt war Mallorca von König Jakob I. von Aragon im Zuge der Reconquista erobert worden.113 Auf Mallorca verwirklichte sich in dieser Zeit wahrscheinlich das intensivste Zusammenleben der drei großen monotheistischen Religionen unter christlicher Herrschaft.114 Raimundus’ Ansichten sind davon geprägt. „Ramons 111 112 113 114 Ebd., 52. Armstrong, Muhamad, 31. Hagemann, Islam, 63. Euler, Unitas, 63. 30 Aussage geht darauf hinaus, daß alle Religionen gut sind, da sie ja gute und weise Menschen hervorbringen.“115 In seinem „Buch vom Heiden und den drei Weisen“ wirbt er eindrücklich für das Gespräch der Religionen.116 In dem Buch stellen je ein Jude, ein „Sarrazene“ und ein Christ einem heidnischen Philosophen ihre jeweilige Religion so beeindruckend vor, das dieser sich zum Glauben bekehrt. Die Argumentation beruht dabei nicht auf der Verteidigung von spezifischen Glaubenssätzen, also inhärenten Autoritätsargumenten, sondern auf einem „vernünftigen“ Diskurs über Gottes Eigenschaften (Güte, Größe, Weisheit etc.). Um nicht zu erfahren, zu welcher Religion der Philosoph gefunden hat, verabschieden sich die drei Weisen dann, bevor er dies ihnen mitteilen kann. Sie selbst vereinbaren fortgesetzte Religionsgespräche, „bis wir alle drei uns zu einem einzigen Glauben und zu einer einzigen Religion bekennen.“117 Wenn dies der Fall sei, versprechen die Weisen sich, würden sie „durch die Welt ziehen ..., um den Namen Gottes, unseres Herrn, zu preisen und zu loben.“118 Wenn auch Lullus im Rahmen des dogmatischen Modells eine hohe Gesprächsbereitschaft entwickelte, die wie bei Thomas - und anders etwa als bei Johannes Damascenus - nicht nur völlig unpolemisch, sondern auch irenisch angelegt war, stand es jedoch auch für Lullus außer Zweifel, dass die wahre Religion einzig die christliche sein könne. In seinem „Libre de sancta Maria“ äußerte er dies: „Da wir alle, wie viele wir auch sein mögen, nur einen Gott und Herren haben ..., so sollten wir auch alle zusammen nur einen einzigen Glauben und eine einzige Religion haben, nämlich den heiligen christlichen Glauben.“119 Lullus war also in erster Linie, bei aller Bereitschaft zur religiösen Diskussion, Missionar. Man wird deshalb bei Raimundus von einem dogmatischen Interpretationsmodell mit missionarischer Zuspitzung sprechen dürfen. 115 116 117 118 119 Lullus, Buch, 12. Ebd., 71. Ebd., Ebd., 71f. Hagemann, Islam, 63. 31 Der vernunftgeleitete und emotional beherrschte Dialog hatte es aber spätestens seit dem Fall der letzten Kreuzfahrerfestung Akko 1291 auf christlicher Seite schwer. 1292 wandte sich Lullus mit einer Petition an Papst Nikolaus IV., die das Ziel hatte, ihn für ein Kreuzzugsunternehmen zu gewinnen. 1293 entkam er auf einer Missionsreise nach Tunis nur mit knapper Not dem Tod.120 1315/1316 starb der Hochbetagte auf der Rückkehr von einer Missionsreise, die er abermals nach Tunis unternommen hatte. Von den frühen Hoffnungen und der irenischen Haltung, die, wenn sie nur als Taktik gemeint war, sich nicht bewährt hatte, war nicht viel geblieben: „Arabisch habe ich erlernt und mich mehrfach aufgemacht, den Muslimen (das Evangelium) zu predigen; wegen meines Glaubens wurde ich gefangengenommen, eingekerkert und verwundet. ... Nun bin ich alt, dazu noch arm; geblieben ist mein Anliegen ...“121. 2.2.3. Geistige Zurüstung gegen den Islam: Ricoldus de Monte Crucis Durch die Verschlechterung der christlich-abendländischen Machtposition nach dem Fall von Akko ist es nicht verwunderlich, dass die Schrift des florentinischen Dominikaners Ricoldus de Monte Crucis (1243-1320), die dieser im Jahre 1300 nach einem zwanzigjährigen Aufenthalt im Mittleren Osten unter dem Titel „Contra legem Sarazenorum“ verfasste, einen eher polemischen und nur scheinbar argumentativ-bezwingenden Charakter trug. De Monte Crucis hatte in Bagdad auch Zugang zu islamischen Hochschulen erhalten und konnte dort den Koran studieren.122 Mit dieser „Frucht seiner Studien und Erfahrungen“123 legte Ricoldus in „Contra legem Sarracenorum“ eine Schrift vor, die sich besonders dominikanischen Mitbrüder wandte. 120 121 122 123 Ebd., 66. Zit. in ebd., 67. Todt, Art: Ricoldus da Monte Croce, 191. Hagemann, Islam, 60. an seine missionierenden 32 Der Titel macht schon deutlich, dass es Ricoldus darum geht, den christlichen Glauben - hier gefasst unter den Begriff des Gesetzes gegenüber dem islamischen Gesetz, damit ist faktisch der Koran gemeint, als diesem überlegen zu erweisen. Die Gründe dafür sind insbesondere die für Ricoldus offensichtliche Unvernünftigkeit des Koran, die er an zahlreichen Stellen meint aufzeigen zu können. Eine weitere Rolle spielt auch die heftige Kritik an dem Religionsstifter Mohammed, dem insbesondere sein Verhältnis zu den Frauen zum Vorwurf gemacht wird. Der Ursprung des Islam ist für Ricoldus diabolisch,124 deshalb ist eine irgendwie geartete positive Anknüpfung oder eine sachliche Auseinandersetzung für ihn nicht möglich. Hier zeigt sich, wie sich seit den Tagen des Thomas von Aquin das christlich-islamische Klima nach der christlichen Niederlage in den Kreuzzügen verschlechtert hatte. Trotzdem ist man offensichtlich jedoch noch weit davon entfernt, den Islam bzw. die islamischen Mächte - die Osmanen sind zu diesem Zeitpunkt noch Regionalfürsten als fundamentale Bedrohung anzusehen. Insgesamt bewegt sich Ricoldus ganz innerhalb des dogmatischen Interpretationsmodells, wenn er auch an einer Stelle eine angebliche Meinung der Muslime weitergibt „primum Alcorani auctorem non hominem fuisse, sed diabolum, qui propria inuidia dt diuina permissione, propter peccata populi, praeualuit inchoare solemniter et efficaciter perfidiam antichristi.“125 Von einer irgendwie gearteten apokalyptischen Grundhaltung im Werk des Ricoldus ist jedoch nichts zu verspüren. In der Übersetzung Luthers rund 250 Jahre später sieht dies anders aus. Aus dem Wort „antichrist“ ist in Luthers Übersetzung der „Endchrist“ geworden.126 Mit seinem Werk hat Ricoldus „eine polemisch-apologetische Schrift hinterlassen. Sie ist in ihrer Art wenig originell, hebt sich von anderen Hinterlassenschaften ihres Genres kaum ab.“127 Dies bilanziert der Religionswissenschaftler 124 125 126 127 WA 53, 277. WA 53, 352. WA 53, 252. Hagemann, Islam, 62. Ludwig Hagemann. Es steht nicht im 33 Widerspruch mit der Aussage Hartmut Bobzins, der Ricoldus’ Schrift zu den „herausragenden Werken mittelalterlicher Islampolemik“128 zählt. Durch eine griechische Übersetzung erlangte Ricoldus’ Werk auch im byzantinischen Raum Bedeutung. Als Rückübersetzung „Confutatio Alcorani“ wirkte es auf Cusanus und Luther. Als „I Saraceni“ gibt es eine zeitgenössische italienische Übersetzung von 1992.129 Ein zusammenfassender Überblick auf die Interpretation des Islams durch das Christentum zeigt bis zum Vorabend der Reformation ein klares Überwiegen des dogmatischen Interpretationsmodells, das besonders während der Zeit der Kreuzzüge auch eine missionarische Zielrichtung hatte. Die Einschätzung der Muslime als Gestalten der Apokalypse, es wurden Pseudo-Methodius, Petrus Alvarus und Joachim von Fiore genannt, bleibt eher die Ausnahme. Bezeichnend ist, das beide erstgenannten Männer unter islamischer Herrschaft lebten. Dies macht natürlich deutlich, das die Bereitschaft zur apokalyptischen Interpretation in einer wie auch immer subjektiv wahrgenommenen Bedrängnis höher war als andernorts. Grundsätzlich fühlten sich die Christen, nicht zuletzt bestärkt durch die anfänglich erfolgreichen Kreuzzüge und dann durch die Reconquista stark genug, nicht auf apokalyptische Grundmuster zurückgreifen zu müssen. Das sollte sich jedoch mit dem Aufkommen des Osmanischen Reiches ändern. Im Spätmittelalter herrscht die apokalyptische Grundhaltung gegenüber dem Islam vor. 2.3. Christentum und Islam am Vorabend der Reformation 2.3.1. Das Aufkommen des Osmanischen Reiches Weniger bedingt durch die Kreuzzüge als durch die Mongolenstürme erhielt das schon seit dem 10. Jahrhundert schwache und über viele Gebiete nur noch nominell herrschende Abbasidenkalifat 1258 n. Chr. den Todesstoß. Relativ schnell konnte sich jedoch eine neue islamische Zentralmacht konstituieren, das Osmanische Reich.130 128 129 130 Bobzin, Luther, 279. Todt, Art.: Ricoldus, 191ff. Zur Geschichte der Osmanischen Expansion bes. Vaughan, Europe; Babinger, Mehmed. 34 In Bithynien vermochte es der Stammesführer Osman (1258-1326) um 1300 n. Chr., ein selbstständiges Teilfürstentum errichten, aus dem sich eine Dynastie entwickelte, die bis zum Jahre 1922 existierte. Osmans Sohn Orhan setzte die Ausweitung seines Herrschaftsbereiches fort, wobei er 1354 mit der Eroberung von Gallipoli seine Herrschaft nach Europa ausdehnte. Unter Orhans Sohn Murat geriet das Byzantinische Reich in Tributabhängigkeit. Es schmolz in der Folge auf das Stadtgebiet von Konstantinopel zusammen. 1389 wurde das Serbische Reich nach der Schlacht auf dem Amselfeld unter Tributpflicht gebracht, ein halbes Jahrhundert später dem Osmanischen Reich einverleibt. 1393 wurde Thessalien erobert, 1395 das heutige Albanien. 1396 endete ein Kreuzzug Kaiser Sigismunds mit der Niederlage in der Schlacht von Nikopolis. Der „Nimbus von der Unüberwindlichkeit der Osmanen“131 war geboren. 1397 fiel Athen, 1453 die Stadt Konstantinopel, 1463 Bosnien in die Hände der Osmanen, 1482 die Herzegowina. Das Osmanische Reich war damit in „Rumelien“ (Europa) zur Zeit Luthers eine politische Macht geworden, die nur noch das Königreich Ungarn vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation trennte. In der Regierungszeit des Sultans Suleiman „des Prächtigen“, die von 1520 bis 1566 währte, sollte dann auch diese „letzte Bastion“ in Gefahr geraten. Das Osmanische Reich wurde fortan für Jahrhunderte eine Konstante im Europa der Mächte, dass allein von diesem Gesichtspunkt her keine res publica christiana mehr sein konnte. Zusammen mit dem Habsburgerreich und Frankreich enstand hier eine machtpolitische Konstante, in der die „europäischen Mächte als Gegner wie als Verbündete der Türken auftraten.“132 Luther, so viel kann schon jetzt gesagt werden, hat diese politischen Entwicklungen niemals realisiert. 2.3.2. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Mächten 131 132 Andermann, Geschichtsdeutung, 31. Schilling, Neuzeit, 440. Reich und den christlichen 35 Das Vordringen der Osmanen blieb nicht ohne militärische Gegenwehr. Auch theoretisch wurde das Problem reflektiert, und besonders die Päpste versuchten in der Auseinandersetzung mit den Osmanen an die alte Kreuzzugstradition anzuknüpfen. Dem Streben der Päpste, einen Kreuzzug gegen die Türken zu formieren, setzte sich jedoch der deutsche Kaiser Friedrich III. von Habsburg, der von 1440 bis 1493 regierte, entgegen, oder genauer gesagt: er tat nichts dafür, obwohl sich gerade an seine Person bzw. seinen Namen zahlreiche, von ihm selbst allerdings abgelehnte, apokalyptische Hoffnungen bzw. Befürchtungen banden.133 Nicht nur deshalb ist Friedrich III. als der „faule Kaiser“134 in die Geschichte eingegangen. Friedrich gilt als „less interested in affairs of the state than in collecting jewels and dabbling in the occult“.135 Die längste deutsche Kaiserherrschaft bleibt umstritten. Teilweise wird sie als „eine der schwunglosesten“136 angesehen, andererseits wird die Politik für seine Dynastie als „zäh, geduldig, wachsam und systematisch“137 charakterisiert. Tatsächlich wurde die an Interessen des Hauses Habsburg orientierte Politik von Friedrich klar bevorzugt, was allerdings an sich schwer genug war. Die Königtümer Böhmen und Ungarn gingen für die Habsburger verloren, später gelang es dann dem Ungarnkönig Matthias Corvinus den Kaiser gar aus Wien zu vertreiben.138 Ein Verständnis von seiner übergreifenden Aufgabe als Kaiser des Reiches hat Friedrich III. zugunsten seiner Orientierung an der „Casa Austria“ nie entwickelt. Deshalb zögerte er wohl auch einen Feldzug gegen die Türken immer wieder hinaus.139 Die Auseinandersetzungen um die ungarischen Erbansprüche der Habsburger hemmten diese Aktivitäten zusätzlich, so dass ein „Türkenzug“ letztlich aus seiner habsburgischen Sicht als wenig ratsam erschien.140 Friedrich beteiligte sich auch zu Beginn seiner Regierung nicht an dem Krieg unter der 133 134 135 136 137 138 139 140 Zu den Vorstellungen von einem Endzeitkaiser mit dem Namen „Friedrich“ vgl. Möhring, Weltkaiser, 248ff. Peuckert, Wende I, 25. Galati, Imperialism, 3. Vocke, Regierungszeit, 166. Zeeden, Deutschland, 478. Ebd., 166ff. Zur Kreuzzugspolitik Friedrichs vgl. Koller, St. Georgs-Ritterorden. Höfert, Türkengefahr, 104. 36 Führung des ungarischen Reichsverweser Janos Hunydai gegen die Osmanen. Dieser endete allerdings auch 1444 mit der Niederlage von Varna, bei der u.a. der polnische König Wladislaw III., päpstliche Legaten und zehntausende Soldaten den Tod fanden.141 Später waren es besonders die Auseinandersetzungen mit Hunydais Sohn, König Matthias Corvinus, die Kaiser Friedrich hinderten, gegen die Osmanen zu ziehen, so dass der ungarische König nicht nur über Jahrzehnte (1458-1490) Widerpart Friedrichs III., sondern auch der eigentliche und erfolgreiche Gegenspieler der Osmanen blieb.142 Die unter Friedrichs Vorsitz abgehaltenen „Türkenreichstage“ 1454/1455 in Frankfurt, Regensburg und Wiener Neustadt, auf denen der päpstliche Gesandte Aeneas Silvius Piccolomini rhetorisch brillierte, blieben folgenlos.143 Erst gegen Ende der 1460iger Jahre unternahm Friedrich Anstrengungen zu einem „Türkenzug“, etwa mit der Einberufung eines zur Vorbereitung dienenden Reichstages nach Regensburg 1471 und der Gründung des St.-Georg-Ritterordens.144 Zu einem Kreuzzug kam es jedoch trotz publizistischer Ermunterung145 nicht. Als Friedrich III. 1493 starb, mag es geradezu zeichenhaft gewirkt haben, dass sein Sohn und Nachfolger Maximilian sich nicht am Totenbett des Vaters befand und auch die Beisetzung verschoben werden musste, weil jener wegen der osmanischen Bedrohung der habsburgischen Erblande in Ungarn dort militärisch eingebunden war.146 Maximilian setzte sogleich neue Akzente. Schon vor seinem Amtsantritt hatte er auf einem Türkenzugskongress in Rom 1490 ein großangelegtes gesamteuropäisches Konzept für eine militärische Auseinandersetzung mit den Osmanen entwickelt.147 Als Kaiser erhob Maximilian den Türkenkreuzzug sofort zum Programm. Noch im Jahre seines Regierungsantritts erneuerte er den St.-Georgs-Orden.148 Das 141 142 143 144 145 146 147 148 Matschke, Art.: Türkenkriege, 1106. Majoros/Rill, Reich, 61, 170. Höfert, Türkengefahr, 104. Matschke, Art.: Türkenkriege, 1107. Möhring, Weltkaiser, 252. Vocke, Regierungszeit 190. Höfert, Türkengefahr, 67. Andermann, Geschichtsdeutung, 33. 37 ganze Jahr 1494 war er in verschiedenster Weise mit dieser Problematik beschäftigt, für 1495 wurde ein Reichstag nach Worms einberufen, der den Krieg gegen die Osmanen vorbereiten sollte.149 Nach einem Sieg über die Osmanen gedachte Maximilian dann auch die oströmische Kaiserwürde anzunehmen. Er wäre ein „Weltkaiser“ geworden. Ob allerdings Maximilian in irgendeiner Weise damit an apokalyptische Motive vom „Weltkaiser der Endzeit“ 150 anknüpfte, muss stark bezweifelt werden. Eher ist auf dem Hintergrund der übrigen sprichwörtlich gewordenen habsburgischen (Heirats-)Politik davon auszugehen, dass es sich eher um nicht eigentlich apokalyptische Vorstellungen von einer Universalmonarchie handelte, die dann auch sein Enkel Karl verfolgte. Dass Selbstverständnis und Fremdwahrnehmung dabei ganz unterschiedliche Motive hatten, zeigt ein Lobgedicht von Jörg Graff 1518, in dem dieser Maximilian unter ausdrücklicher Berufung auf Pseudo-Methodius als Endkaiser feierte.151 Die gelegentlich ins Phantastische gehenden Pläne des Kaisers, eine Zeitlang spielte er auch mit dem Gedanken, Papst zu werden,152 markieren den deutlichen Unterschied in der Persönlichkeit Maximilians gegenüber seinem zögerlichen Vater. Ein Unterschied, der auch den Zeitgenossen nicht verborgen blieb, so dass die Herrschaft Maximilians mit viel Lob begrüßt wurde, bezeichnend dafür ist das Wortspiel mit seinem Namen, in dem man ihn gar in Anlehnung an astrologische Berechnungen als „Jahrtausendgröße“ - „Mille-Maximus“153 - verehrte. Besonders die anonyme Flugschrift des „Oberrheinischen Revolutionärs“ sah in Maximilian zunächst eine eschatologische Hoffnungsgröße, bevor sie in späteren Überarbeitungen – enttäuscht von seiner Politik – als Wegbereiter des Antichrist ansah.154 Im Umfeld des „letzten Ritters“ wurde während dessen ganzer Regierungszeit die „Türkengefahr“ in breiter Weise propagandistisch 149 150 151 152 153 154 Lutz, Einheit, 158. Vgl. dazu die gleichnamige Studie von Möhring. Möhring, Weltkaiser, 253. Vocke, Regierungszeit, 191. Zit. in Seibt, Utopica, 56. Ed. 38 ausgestaltet.155 Tatsächlich sollte es jedoch zu keinem Kreuzzug Maximilians gegen Propaganda und die Osmanen tatsächlicher kommen. politischer Inwieweit Wille bei höfische Maximilian deckungsgleich waren, ist deshalb zumindest als offene Frage zu betrachten.156 Allerdings gab es für den ständig aufgeschobenen „Türkenzug“ auch handfeste politische Gründe. Die Auseinandersetzungen mit König Karl VIII. von Frankreich in Italien hinderten Maximilian zunächst an der Umsetzung seiner Pläne. Die eigentlich für einen „Türkenzug“ auf den Reichstagen eingeworbenen Geldmittel wurden stattdessen auf dem italienischen Kampfplatz ausgegeben.157 Maximilian trat jetzt vielmehr einem Friedensvertrag Ungarns mit den Osmanen bei und traf sich 1496 mit einer türkischen Gesandtschaft, durch die er Sultan Bajazid vorschlagen ließ, gemeinsam den „griechischen alten Gott zu besuchen und auf die Bahn zu bringen“158. Die Konfrontationsstrategie war zumindest für eine Zeit durch einen Versuch zur Koexistenz abgelöst worden, wobei der etwas nebulöse Vorschlag zur Verehrung des „griechischen Gottes“ möglicherweise auf eine religiöse Verständigung auf antiker Religionsbasis - humanistische Einflüsse werden eine Rolle spielen - hindeutet. 1498 kam es zum ersten habsburgischosmanischen Friedensschluss der Geschichte. 1510 begannen habsburgisch-osmanische Geheimverhandlungen über ein Bündnis gegen Venedig, die aber erfolglos blieben.159 Der Frieden währte jedoch nicht lange, und bald hegte Maximilian wieder Kreuzzugspläne, die aber durch die französische Machtposition unmöglich waren, wie andererseits Maximilian diesbezügliche Planungen der französischen Könige ebenfalls in ihrer Ausführung verhinderte.160 Erst nach dem Frieden von Marignano 1515 schienen 155 156 157 158 159 160 Die Nachwirkungen dieser Propaganda bis in die heutige Geschichtswissenschaft beleuchtet kritisch Höfert, Türkengefahr, 51ff. Ebd. Höfert, Türkengefahr, 105f. Höfert folgert daraus, dass Maximilian gar kein Interesse an einem „Türkenzug“ gehabt habe und stattdessen die „Türkenfurcht“ nur als propagandistisches Mittel eingesetzt habe um an Geldquellen zu kommen. Göllner, Turcia III, 64. Höfert, Türkengefahr, 107. Ebd., 64ff. 39 drei europäische Herrscher, Franz I. von Frankreich, Karl I (V.) von Spanien und Kaiser Maximilian bereit, gemeinsam einen Kreuzzug zu organisieren – allerdings ohne den Papst. Die habsburgische Türkenpolitik bietet also ein ambivalentes Bild. Inwiefern überhaupt ein „Türkenzug“ eine ernstgemeinte Angelegenheit war, muss offen bleiben. Sicher ist, dass die höfische Propaganda ihre Wirkung, etwa unter den Humanisten, nicht verfehlte, dass aber andererseits Außendarstellung und Selbstverständnis eben nicht übereinstimmen müssen. Maximilian letztlich zynisches Kalkül im Blick auf eine lediglich auf Gelderwerb ausgerichtete Propagierung der „Türkenfurcht“ zu unterstellen,161 bleibt allerdings ebenfalls unbewiesen. Der Ausbau der habsburgischen Großmachtstellung im Kampf mit Frankreich hatte für Maximilian Vorrang vor den Türkenzügen. Dies ist so unbestritten, wie ebenfalls die Tatsache nicht zu leugnen ist, dass eben diese Auseinandersetzungen den Kaiser an einem solchen „Türkenzug“ hinderten, wie von daher die Friedensschlüsse mit den Osmanen auch als taktisch bedingt interpretiert werden können. In den Osmanen apokalyptischen Gestalten zu sehen, fiel dem Kaiser nicht ein. Mit solch transhistorischen Größen Verhandlungen zu führen und Frieden zu schließen, wäre ausgeschlossen gewesen. Hier wird schon deutlich, dass die apokalyptische Interpretation der „Türken“, wie sie Luther vornehmen sollte, keineswegs die einzige zeitgenössische Wahrnehmungsform der Osmanen war. 1.3.3. Theologische Auseinandersetzungen und Kreuzzugsaufrufe: Aeneas Silvius Piccolomini (Pius II.) und Nicolaus Cusanus Spätestens mit dem Fall von Konstantinopel übertrug das Papsttum den Kreuzzugsgedanken auf die Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich.162 Noch im September 1453 erließ Papst Nikolaus V. einen Kreuzzugsaufruf, der gleichzeitig den Teilnehmern Ablass ihrer Sünden versprach.163 In dieser Bulle wurde Mohammed mit deutlichem Bezug auf das apokalyptische Interpretationsmodell mit dem „roten 161 162 163 So letztlich die These von Höfert, Türkenfurcht, 106. Mertens, Claramontani, 65ff. Andermann, Geschichtsdeutung, 38. 40 Drachen“, dem „‚draco ille rufus magnus, habens capita septem et cornua decem et in captibus suis septem diadema’ quem in apocalipsi Johannes vidit“164, aus Apk 12,3ff. identifiziert. Damit übernahm nun auch das Papsttum, wie sich allerdings zeigen wird, nur in vordergründiger Polemik, das apokalyptische Interpretationsschema: Die „heranstürmenden“ Armeen der Osmanen waren jetzt die Truppen des Antichrist, keineswegs mehr nur einfach die (dogmatisch interpretierten) Ungläubigen, gegen die sich einst Urban II. in seiner Kreuzzugspredigt wandte, sondern eine Erscheinung der letzten Tage. Die Deutung der „Türkengefahr“ bekommt damit eine religiöse Fundierung. Trotzdem scheint Nikolaus, der als erster Humanist auf dem Stuhle Petri gilt, in der Manier der Renaissance-Päpste die Osmanen unter politischen Aspekten betrachtet zu haben. Eine Unterstützung der byzantinischen Herrscher hatte er zuvor von dem Abschluss einer Kirchenunion zwischen Konstantinopel und Rom abhängig gemacht.165 Das Papsttum förderte in der Folgzeit die anti-osmanische Propaganda, während sich der römisch-deutsche Kaiser Friedrich III. zurückhielt. Calixt III. führte 1456 ein tägliches Läuten zur Erinnerung an die osmanische Gefahr, die „Türkenglocke“, ein,166 nachdem er schon in direktem Anschluß an seine Wahl verkündet hatte, er sei bereit, in dieser Angelegenheit sein Blut zu vergiessen.167 Darüber hinaus erhob Calixt zur Finanzierung eines Kreuzzuges einen „Türkenzehnt“.168 Dominieren sollte das apokalyptische Interpretationsschema auf Dauer jedoch nicht. Der Humanist Aeneas Silvius Piccolomini (1405-1464)169, der spätere Papst Pius II., hat sich in besonders tiefgreifender Weise mit den Osmanen auseinandergesetzt, wobei die Beschäftigung der Humanisten mit der „Türkenproblematik“ und die Befürwortung der 164 165 166 167 168 169 Zit. in ebd., 37, A 25. Iserloh, Päpste, 41. Andermann, Geschichtsdeutung, 42. Romano/ Tenenti, Grundlegung, 225 Andermann, Geschichtsdeutung, 33. Zu Pius II. vgl. Helmrath, Türken, 79ff. 41 Kreuzzüge für diese zunächst typisch waren.170 Noch vor Antritt seines Pontifikates und im Vorfeld des Falles von Konstantinopel 1453 hatte der damalige Bischof von Siena besonders das Medium der Rhetorik gegen die Osmanen bzw. zur Förderung des Widerstandes gegen sie eingesetzt, so dass er als der eigentliche Begründer der „Türkenrede“ als sprachlicher Gattung gilt.171 Auf den sog. „Türkenreichstagen“ der Jahre 1454/55 trat Piccolomini als kaiserlicher Gesandter ebenfalls massiv für einen Kreuzzug ein.172 Schon am ersten Tage seines Pontifikates 1458 machte Piccolomini, nunmehr Pius II., deutlich, dass er die „Türkenfrage“ auch gerade als Papst im Blick hatte, als er einen Kreuzzug gegen die Osmanen zu seinem Programm erhob.173 Im selben Jahr lud er die europäischen Fürsten zur Vorbereitung eines Kongresses nach Mantua ein, der dort 1459/60 stattfand. Trotz blendender rhetorischer Leistungen, die besonders in der Rede „Cum bellum hodie“, die wahrscheinlich als die am weitesten verbreitete humanistische Rede überhaupt gilt,174 deutlich wurden, gelang es Pius letztlich entgegen zahlreicher Zusagen der Fürsten nicht, einen Kreuzzug zu organisieren und als „neuer Urban II.“ in Erscheinung zu treten.175 Bei Pius II. tritt insgesamt das apokalyptische Interpretationsmodell wieder zurück, vielmehr versucht er in bewusster Anknüpfung an die Kreuzzugstradition an die (zunächst) „siegreiche“ Vergangenheit im Kampf gegen die Muslime zu erinnern. Mit den Mitteln humanistischer Rhetorik wird ein Türkenkrieg in seinen Reden darüber hinaus als gerechtfertigt und leicht zu erringen dargestellt. Eventuelle Friedenspläne lehnte Pius ab, nicht weil er es mit einer apokalyptischen Macht im eigentlichen Sinne zu tun zu haben glaubt, sondern weil er aus der Analyse der Persönlichkeit des Sultans Mehmet II. zu dem 170 171 172 173 174 175 Ebd., 81. Ebd., 84, bes. A. 15. Ebd., 92. Ebd., 81. Ebd., 95. Zur zeitgenössischen Rezeption Urbans II. und seiner Kreuzzugsrede vgl. Mertens, Claromontani, 65ff. 42 Schluss gekommen unmöglich. war, mit diesem sei ein Friedensschluss 176 Nach dem offensichtlichen Scheitern seiner Kreuzzugsbemühungen, versuchte Pius einen ungewöhnlichen Weg einzuschlagen. Mit einem Brief an Sultan Mehmed II., von dem man annahm, seine Mutter sei Christin gewesen,177 versuchte Pius, diesen zum Christentum zu bekehren. Indirekt ist dies ein weiterer Hinweis dafür, dass er sich neben allen realpolitischen Erwägungen bei seinen Überlegungen im Rahmen des dogmatischen Interpretationsmodells befand. Einer Gestalt gegenüber, die er als Antichrist o.ä. angesehen hätte, wäre solch ein Brief unmöglich gewesen. In dem Schreiben hieß es u.a.: „Wenn Du Deine Herrschaft unter den Christen erweitern und Deinen Namen mit Ruhm bedecken willst, so brauchst Du kein Geld, keine Waffen, keine Heere, keine Flotten. Eine unbedeutende Kleinigkeit kann Dich zum Größten, Mächtigsten und Berühmtesten aller jetzt lebenden Sterblichen machen. ... Es ist nicht schwer zu finden, man braucht nicht weit zu gehen, um es zu suchen; es ist überall zu haben: ein ganz klein wenig Wasser, womit Du Dich taufen lässt. ... Wenn Du das getan hast, wird es auf dem Erdkreis keinen Fürsten mehr geben, der Dich an Ruhm überträfe oder Dir an Macht gleichkommen könnte. Wir werden Dich Kaiser der Griechen und des Orients nennen.“178 Offen bleibt jedoch, ob dieser Brief je abgeschickt wurde, oder ob es sich lediglich um eine literarische Musterproduktion handelt.179 Kurz zuvor war allerdings die irenisch gehaltene Schrift „De Pace Fidei“ des Brixener Bischofs Nicolaus Cusanus erschienen, so dass möglicherweise tatsächlich von einem „deutlichen Taktikwechsel, ein[em] Intermezzo unkonventionellen Nachdenkens“180 in kurialen Kreisen gesprochen werden kann. Bald jedoch sollte Pius die Kreuzzugspläne wieder aufnehmen. Im Jahre 1463 erließ er eine Kreuzzugsbulle, in der er - nach dem SichVersagen 176 177 178 179 180 wichtiger Fürsten - selbst Vgl. zu Pius Helmrath, Pius. Weber, Frieden, 133. Zit. in Majoros/Rill, Osmanische Reich, 66f. Helmrath, Türken, 124ff. Ebd., 126. an die Spitze eines 43 Kreuzzugsheeres zu treten ankündigte.181 Die militärische Leitung sollten Herzog Philipp der Gute von Burgund, die Republik Venedig, der Ungarnkönig Matthias Corvinus und der Albanerführer Skanderberg übernehmen. Besonders wichtig war die Beteiligung Venedigs. Es war bis zum Aufkommen der Osmanen die wichtigste Seemacht im Mittelmeer und bemühte sich seither um ein politisch-wirtschaftliches Arrangement mit den Osmanen, was allerdings propagandistische Angriffe gegen diese, militärische Einzelaktionen und Sondierungen über die Frage einer militärischen Allianz gegen die Osmanen mit dem Safawidenreich im Iran nicht ausschloss.182 Erst 1573 sollte man nach mehreren Kriegen mit den Osmanen zu einem länger währenden Ausgleich kommen. Doch außer Venedig, das bisher als eher hinderliche Macht gegenüber Kreuzzugsplänen aufgetreten war und als erster christlicher Staat nach dem Fall Konstantinopels im Jahre 1454 einen Friedensvertrag mit der „Hohen Pforte“ geschlossen hatte, nun aber verstärkt um seine Handelsrouten fürchtete, sahen sich die übrigen eingeladenen Bündnispartner wiederum nicht in der Lage, tätig zu werden. Das Engagement Venedigs ließ im übrigen andere Städte, wie etwa das Florenz der Medici, misstrauisch werden, vermutete man doch hinter der Kreuzzugsbegeisterung der Venezianer (zurecht) finanzielle Interessen. Obwohl etwa in Deutschland der Kreuzzugsaufruf und der traditionell mit ihm verbundene Ablass einen durchaus breiten Wiederhall hatte,183 kam der Kreuzzug abermals nicht zustande. Wohl in einem Akt bewusster Selbstinszenierung machte sich der alte und hinfällig-kranke Papst auf den Weg nach Ancona, um doch noch einen Kreuzzug anzuführen. Dort starb er erschöpft am 14. August 1464, angeblich im Angesicht der herannahenden venezianischen Flotte. Mit dem Tode Pius II. brach die Kreuzzugsbegeisterung in Rom zunächst 181 182 183 Ebd., 127ff. Babinger, Vicende. Helmrath, Türken,136. 44 ab.184 Venedig und das Osmanische Reich führten nun allerdings einen langanhaltenden Krieg.185 Pius Nachfolger Paul II. (1464-1471) förderte zunächst die Kreuzzugspläne nicht direkt weiter, setzte sich jedoch durch seine Gesandten auf dem Reichstag in Nürnberg 1466 für ein konzertiertes Vorgehen gegen die Osmanen ein. Versprechungen der Fürsten und Stände blieben allerdings ohne Auswirkungen.186 Durch den Fall Negropontes wurden die Forderungen nach einem Kreuzzug wieder drängender.187 Auf dem „Großen Christentag“ 1471 in Regensburg konnte man sich außer vager Absichtserklärungen aber wiederum auf kein konkretes Vorgehen einigen.188 Während die Päpste und die Kurie sich also in den auf „Ancona“ folgenden Jahren dann doch bald wieder um einen Kreuzzug bemühten, stießen sie besonders bei Kaiser Friedrich III. auf das schon erwähnte hinhaltende Verhalten, das nur selten durch Aktivitäten unterbrochen wurde. Später schwenkte auch der Heilige Stuhl selbst auf diese Linie ein. Der vielfach umstrittene Alexander VI. Borgia (1492-1503)189 ließ sich von den Osmanen gar bestechen und bat diese um militärisches Stillhalten, damit er nicht zum Kreuzzug aufrufen müsse.190 Eine Konferenz 1490 in Rom, die einen erneuten Kreuzzug zuwege bringen sollte, hintertrieb er.191 Stattdessen Thronprätendenten „verwahrte“ Cem, wofür der er Papst durch den die osmanischen Osmanen eine beträchtliche „Apanage” erhielt.192 Erst im Jahr 1500 erfolgte ein neuer Kreuzzugsaufruf durch Alexander VI., nachdem die Osmanen venezianische Besitzungen im Mittelmeer angegriffen hatten.193 Wie wenig apokalyptisch die Osmanen im Papsttum gedeutet wurden und wie viel mehr die Apokalyptik als auch für das Papsttum als potentiell 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 Göllner, Turcia III, 51. Majoros/Rill, Osmanische Reich, 66. Göllner III, 52. Helmrath, Türken, 129. Göllner III, 53. In sachlicher Darstellung Iserloh, Päpste, 45ff. Ebd.,, 60f. Strnad, Päpste, 45. Vgl. Majoros/Rill, Osmanische Reich, 203f. Göllner III, 65. 45 unberechnenbar angesehen wurde, zeigte das Fünfte Laterankonzil 1513. Hier wurde die Predigt der Apokalyptik ausdrücklich verboten.194 Jedoch erst Leo X. (1513-1521), der erste päpstliche Gegenspieler Luthers, betrieb wieder massiv Kreuzzugspläne und suchte die weltlichen Herrscher dafür zu gewinnen. Diese Pläne sollten fast auf den Tag genau mit Luthers Thesenanschlag zusammenfallen. Doch neben den militärischen Überlegungen versuchte die katholische Kirche auch theologische Akzente zu setzten, die der veränderten Lage Rechnung trugen. Mit dem Aufkommen des Osmanischen Reiches und dem Fall von Konstantinopel 1453 war nur noch die abendländische Christenheit nicht unter islamischer Vorherrschaft. Trotzdem überwog das apokalyptische Interpretationsmodell des Islam nicht. Ein letztes Mal vor der Reformation wurde jetzt die Frage des Gesprächs mit dem Islam mit großer theologischer Energie und Konsequenz aufgegriffen. Nicolaus Cusanus war der letzte große vorreformatorische Theoretiker eines Gespräches mit dem Islam. In seiner Schrift „De Pace Fidei“195 entwarf er interreligiösen nach dem Dialogs.196 Fall Ziel Konstantinopels dieser eine Vision Ausführungen, die des als Diskussionen in einem himmlischen Thronrat dargeboten werden, ist die Einsicht, dass verschiedene Kulte und Gesetze, die Gott den so unterschiedlichen Menschen gegeben habe, nicht mit Gott selbst verwechselt werden dürfen. Mittels der Vernunft soll dies von allen Menschen erkannt werden, wie diese auch durch ihre Erkenntniskraft zur wahren Gottesverehrung hindurchdringen. Cusanischer Grundsatz für den Religionsfrieden ist: „una religio in varietate rituum“.197 Mittels eines auf Konsensus hin angelegten Prozesses erwartet Cusanus die Zustimmung aller Menschen zu dieser wahren Religion bei der Beibehaltung der unterschiedlichen Kulte der vorhandenen Religionen. Dabei wird jedoch auch deutlich, dass es sich letztlich um ein christlich inklusives Modell handelt, da alle im himmlischen Thronrat anwesenden 194 195 196 197 Cuningham/ Grell, Horsemen, 1; Barnes, Prophecy, 29f. Ebd., 68. Vgl. Flasch, Kues, 330ff. Vgl. Weber, Frieden, 136. 46 Vertreter die auch spezifisch christlichen Glaubenssätze als konsensfähig ansehen. Wenn also Cusanus auf die Eroberung Konstantinopels literarisch nicht mit heftiger Polemik und zunächst auch nicht mit Kreuzzugsaufrufen reagierte, muss doch gesehen werden, dass es sich möglicherweise um eine Art taktische Variante handelte und Cusanus es „im Guten“ versuchte, den Osmanen „beizukommen“. Jederzeit konnte er jedoch auch das apokalyptische Interpretationsmodell aktivieren. Als Bischof in Brixen predigte er so über Mohammed als Tier der Apokalypse, welches das Kommen des Antichrists ankündige.198 Wenn Karl-Josef Kuschel diese Predigten als „grobkörniges Brot“199 für die einfache Bevölkerung bezeichnet, mag dies zutreffen. Diese Predigten zeigen jedoch auch, in welcher Perspektive Cusanus letztlich dachte. Wenn es einen Frieden der Religionen geben sollte, konnte Cusanus sich dies einzig unter christlichem Vorzeichen vorstellen, was für ihn insofern nicht schwer war, als die christliche Religion offensichtlich mit der wahren Religion faktisch übereinstimmte. Wenn es jedoch keinen friedlichen Ausgleich geben sollte, zögerte auch Cusanus nicht, auf das apokalyptische Modell zurück zu greifen. Überhaupt zeigte Cusanus Interesse für apokalyptische Spekulationen. 1452 stellte er Berechnungen über das Weltende an. Er prognostizierte es für den Zeitraum 1700 bis 1734/1750.200 Ulrich Andermann hat darauf hingewiesen, dass mit dieser keineswegs akuten Apokalyptik allerdings „rationalere Formen der Krisendeutung und -bewältigung ermöglicht“201 wurden. Das Ende der Zeiten war sozusagen gewiss, aber es stand doch noch für Jahrhunderte aus. Einer fiebrigen Apokalyptik, die das Ende nahe sah, entzog Cusanus so den Boden. Trotzdem verzichtete Cusanus, wie gesehen, auf apokalyptische Bezugnahmen keineswegs. Die Grenze zwischen polemischem Einsatz apokalyptischer Deutungsmuster und ihrer inhaltlichen Relevanz für das eigene Denken lässt sich nur schwer bestimmen. 198 199 200 201 Vgl. Baum, Cusanus, 252. Kuschel, Kues, 122. Andermann, Geschichtsdeutung, 53 A. 104; Barnes, Prophecy, 126. Andermann, Geschichtsschreibung, 53. 47 Literarisch wurde Cusanus’ Kritik am Islam jedoch bald heftiger. In seiner im Winter 1460/1461 verfassten „Cribratio alcorani“ unternahm er eine kritische „Siebung“ bzw. „Sichtung“ des Koran, die die Überlegenheit des Christentums beweisen sollte. Es ging hier darum, den Koran auf die Sätze hin zu untersuchen, die mit der christlichen Lehre nicht im Widerspruch standen. Dass es sich hier um ein inklusives Verständnis der anderen Religion im Rahmen des dogmatischen Modells handelte und nur anerkannt wurde, was der eigenen Religion nicht widersprach, liegt auf der Hand. Der Gedanke der „pia interpretatio“, damit war eine „wohlwollende, gutmütige und weitherzige Auslegung des Korans“202 gemeint, ein Grundsatz den Cusanus ausdrücklich als hermeneutisches Prinzip benannte,203 wurde aber faktisch dadurch ad absurdum geführt, dass der Koran von Cusanus als teuflischen Ursprungs bezeichnet wurde: „... daß aber Gott, der Schöpfer des Alls, dieses Buch ... Muhammad ins Herz gelegt habe, das kann nicht wahr sein, weil in dem Buch Dinge enthalten sind, die wegen ihrer Schändlichkeit, Ungerechtigkeit, notorischen Unwahrhaftigkeit und Widersprüchlichkeit Gott nur in blasphemischer Weise zugeschrieben werden könnten. Ein anderer als der wahre Gott wird daher sein Urheber sein; und das kann nur der Gott dieser Welt sein.“204 Und schließlich richtete Cusanus heftige Attacken gegen Mohammed, dem er vorwarf, die Mission, nachdem sie durch Überzeugung nicht gelungen sei, durch die „Zuflucht zu den Waffen“205 ersetzt zu haben. Ludwig Hagemann hat jüngst nochmals deutlich auf das polemische Potential dieser Schrift hingewiesen und dies auf die Quellen, die Cusanus zur Verfügung standen, zurück geführt.206 Dass ein anderer Ton jedoch durchaus denkbar war, zeigt Thomas von Aquin. Allerdings hatten sich seit der Eroberung Konstantinopels die politischen Verhältnisse radikal verändert. Das „christliche Abendland“ befand sich in der Defensive. 202 203 204 205 206 Cusanus, Cibratio I, X. Ebd., II/ 3. Ebd., I/33. Ebd., III/ 3. Hagemann, Islam, 71. 48 Luther sollte später dieses cusanische Werk zunächst als zu heftige Polemik ablehnen. Cusanus starb im selben Jahr 1464 wie Papst Pius II. Die Todesumstände waren ebenfalls ähnlich. Cusanus’ Leben endete auf einer Propagandareise zur Aufstellung des von Pius gewünschten Kreuzzugsheeres. 2.3.4. Erfahrungsbericht und Apokalyptik: Georgius de Hungaria Als Verfasser des um 1480 anonym erschienen „Tractatus de moribus, condicionibus et nequita turcorum“ gilt Georgius de Hungaria207, der wahrscheinlich um 1422 in Siebenbürgern geboren wurde und 1438 in osmanische Gefangenschaft geriet. Nach zwanzigjähriger Exilierung, davon die ersten Jahre als Arbeitssklave, und nach mehreren Fluchtversuchen gelangte Georgius zurück nach Europa. Er wurde Dominikaner-Priester. 1502 starb der als Wundertäter Verehrte. Den Bericht des Georgius über seine Zeit in osmanischer Gefangenschaft wertet Höfert als das Dokument eines Mannes, der seine Gefangennahme „als apokalyptisches Feuer erlebte.“208 Georgius lernte die osmanische Gesellschaft kennen und machte die überraschende sowie für ihn bestürzende Entdeckung, dass hier vieles an Sitte und Ordnung verwirklicht wurde, was er sich unter Christen nur wünschen konnte. Zahlreiche misslungene Fluchtversuche und die gewonnenen Eindrücke ließen ihn an seinem christlichen Glauben zunächst irre werden. Georgius vertiefte sich nun in die islamischen Riten und scheint möglicherweise formal zum Islam übergetreten zu sein. Innerlich, so behauptet Georgius jedoch, sei er bald im christlichen Glauben durch Gottes Gnade gestärkt worden. In seinem „Tractatus“ bietet Georgius dann eine Darstellung der osmanischen Geschichte, die besonders als eine die Seelen der Christen betreffende Verfolgung von ihm begriffen wird, bevor in einem zweiten Teil dann die Gründe für diese Verführung - die guten Sitten und die islamischen Glaubenslehren - näher dargestellt werden. 207 208 Vgl. Höfert, Türkenfurcht, 208ff.; auch zur Verfasserfrage. Ebd., 209. 49 Ergebnis der Darstellung ist für Georgius allerdings unbestritten, dass es sich beim Islam um eine teuflische Sekte handeln müsse.209 Die Erscheinung des Islam versucht Georgius dann unter dem biblischen Bild von Apokalypse 13 einzuordnen, wo von den beiden Tieren aus dem Abgrund die Rede ist. Das erste Tier sollen die Verfolger der Christen in der Vergangenheit, das zweite Tier die Osmanen darstellen. Das zweite Tier ist noch weitaus gefährlicher, weil es die Christen nicht nur äußerlich verfolgt, sondern auch – wie schon gehört – auf ihre Seelen abzielt. Georgius bezieht sich in seinen Anschauungen ausdrücklich auf Joachim von Fiore, besonders seine Auslegung der Johannes-Apokalypse und die pseudo-joachimitische Schrift „Super Hieremium“, ohne das alle Vorstellungen exakt übernommen werden.210 Georgius apokalyptische Vorstellungen werden dabei mit dem Bußmotiv verbunden, das den Aufstieg der Osmanen als Strafe für die Ungläubigkeit der Christen begreift. Ferner findet sich eine bezeichnende Nähe zum chiliastischen Gedanken der Herrschaft der Geistberufenen, der stark an die Vorstellungen der FranziskanerSpiritualen, aus deren Kreisen „Super Hieremium“ stammen dürfte, erinnert. 2.3.5. Apokalyptische Zeitdeutung: Alte Weissagungen, Johannes Lichtenberger und andere Deuter Das späte Mittelalter ist in besonderer Weise als ein Zeitalter der Angst zu verstehen. Dafür gibt es mannigfache Gründe. Zu nennen sei hier nur der Ausbruch der großen Pestepidemie 1348 und folgende kleinere epdemische verängstigten, Krankheitswellen, da sie das die die Menschen überkommene besonders Sozialgefüge durch massenhaftes Sterben, Hungersnöte etc. in Gefahr brachten.211 Andere Gründe kamen hinzu. Die krisenhafte Zuspitzung des Verhältnisses von Kaiser- und Papsttum, die Schismen, das Scheitern des Konzilarismus u.a. verstärkten den Eindruck, in einer besonders gefährdeten Zeit, 209 210 211 Vgl. Miyamoto, Influence, 129ff. Ebd., 130. Vgl. zur Thematik besonders Geschichtsdeutung, 29ff. Delumeau, Angst; Andermann, 50 möglicherweise gar an ihren Ende zu leben. entscheidende Zäsur stellte dann 1453 der Eine weitere Untergang des Byzantinischen Reiches, des alten Ostroms, und das damit verbundene Vordringen des Osmanischen Reiches dar.212 Ulrich Andermann resümiert: „Das Vordringen der Osmanen wurde von den Zeitgenossen, und zwar in allen Schichten, als endzeitliche Krise wahrgenommen, hervorgerufen nicht nur durch die Gefahr von außen, sondern auch durch die von innen, vor allem durch die Zwietracht in Reich und Kirche. Die sich nähernde Gefahr vom Südostrand des Reiches war eine Gegebenheit, die offenbar keinen Zweifel daran ließ, daß das Ende der Zeiten gekommen war.“ 213 Um dieses Geschehen zu deuten, lagen als Schlüssel christliche Endzeitvorstellungen bereit. In vielerlei Formen wurden diese nun aufgenommen und besonders durch die junge Kunst des Buchdrucks in bis dahin nicht vorstellbarer Weise verbreitet. Besonders drei Quellen waren es, aus denen sich die apokalyptischen Vorstellungen speisten: Die schon genannten Weissagungen des Pseudo-Methodius, die sibyllinischen Prophezeiungen und das „Spiel vom Antichrist“. Alle drei Quellen hatten dabei letztlich biblische Vorstellungen zur Grundlage, wobei diese in eigentümlicher Weise zu weit über die biblischen Anhaltspunkte hinausgehenden Bildern „ausgemalt“ wurden. Dabei überschnitten sich einige Motive, die dann auch oft genug sich von den konkreten Quellen ablösten und eine Art Eigenleben gewannen und die Mentalität weiter Kreise im Spätmittelalter prägten. Da diese Vorstellungen nicht nur die Zeitgenossen Luthers, sondern auch diesen selbst in besonders intensiver Weise prägten, sollen sie hier ausführlicher dargestellt werden, wobei hier auch auf die schon genannten Ausführungen zu Pseudo-Methodius verwiesen wird. Schon Methodius hatte ja den Islam mit den „Agareni“ identifiziert und damit als endzeitliche bezeichnet. Von dort war es dann nach einigen 212 213 Allerdings ist damit nicht eine direkte Stärkung des heilsgeschichtlichen Denkens in dem Sinne, dass mit dem Fall Ostroms nun nach Babylon, Persien und Griechenland auch das vierte Tier (Dan 7) gefallen sei, vgl. Höfert, Türkengefahr, 57. „Rom“ wurde im Sinne der translatio imperii eher auf das Römisch-deutsche Kaiserreich bezogen. Dieses war durch den Fall Konstantinopels stärker gefährdet. Ebd., 50. 51 anderen Übertragungen (Hunnen, Bulgaren, Tataren etc.) im 15. Jahrhundert kein weiter Weg zu der vermeintlichen Erkenntnis, es müsse sich bei den Türken um diese „Agareni“ handeln. Eine Feststellung, die sich etwa schon bei dem Lollarden Reinhard findet: „Derhalben sagt Reinhard der Lolhart ynn seiner offenbarung also/ Ess wird hernach komen des Turckischen Keisers Doglosij erbe/ der wird sich rhümen/ er sey vom stamme Sarai geporn/ Aber es ist von der Agar herkomen/ vnd seine nachkömlinge heissen Agareni ...“214 Die „Agareni“ waren nun also die Türken. Eine Vorstellung, die umso einleuchtender war, als tatsächlich die transkaukasisch-turkmenische Herkunft der Türken dies zu bestätigen schien. Die Schrift des Pseudo-Methodius war überhaupt nie ganz vergessen, wenn es auch Jahrhunderte um sie „ruhig“ geworden war. Mit dem bedrohlichen Herannahen der osmanischen Truppen und dem Fall von Konstantinopel fanden des Methodius Weissagungen dann erneute Aufmerksamkeit. 1474 gaben Dominikaner einen „Tractatus de Turcis“ heraus, in dem die Prophezeiungen des Methodius nun ausdrücklich auf die Türken bezogen wurden. Seit 1475 wurde die Schrift in mehreren Auflagen, eine davon 1498 besorgt von Sebastian Brant, im Reich gedruckt.215 Im selben Jahre kam in Memmingen auch eine deutsche Übersetzung des Pseudo-Methodius heraus, so dass die Verbreitung der Weissagungen noch stärker gefördert wurde.216 Ein Spezifikum innerhalb der Weissagung des Pseudo-Methodius sollte nun Bedeutung gewinnen: Methodius verband mit seinen Vorhersagen eine (möglicherweise ältere)217 Weissagung, das sog. ConstansVaticinium, nach dem am Ende der Zeiten ein christlicher Weltkaiser, der zuvor die Muslime besiegt habe, alle Macht Gott übergeben werde. Nach der Niederlage der „Agareni“ im Kampf gegen den „Weltkaiser“ werde dann der Antichrist erscheinen, gegen den Christus selbst kämpfe.218 Zunächst einmal wurde diese Weissagung auf Friedrich III. bezogen, schien sein „Schlaf“, sein vermeintliches Nichtstun, doch 214 215 216 217 218 Zit. in Peuckert, Wende I, 165. Ebd., 166. Miyamoto, Influence, 144. Möhring,Weltkaiser, 39ff. Ebd., bes. 64ff. 52 geradezu nach einem Erwachen zu schreien, so wie es in der Weissagung des Pseudo-Methodius der König der Griechen und Römer „in furore magna“ nach einem „somno vini“219 tat. Luther war diese Weltkaiser-Prophezeiung durchaus bekannt und er konnte ihr scheinbar auch Berechtigung abgewinnen. Eine zeitlang hielt er seinen eigenen Landesherrn Friedrich den Weisen für den geweissagten Endkaiser.220 Wie sich die Motive dann aus mancherlei Quellen vermischten, zeigt sich, wenn die von Methodius genannte Endschlacht nun in den unterschiedlichen Prophezeiungen nach Westeuropa verlagert wurde und schließlich in Köln stattfinden sollte, nachdem zunächst auch Straßburg oder das Walserfeld bei Berchtesgaden, nahe dem mythischen Untersberg, als mögliche Schlachtorte galten.221 Die Vorstellungen wurden durch die sog. „Dicta Merlini“ besonders auf Köln bezogen. Dies mag auch daran gelegen haben, dass die Stadt am Rhein als Metropole Deutschlands ja noch darüber hinaus galt.222 Sebastian Brant deutet in seiner Herausgabe der Weissagung des Pseudo-Methodius die Endschlacht bei Köln mitsamt dem Sieg über die Türken dann als den endzeitlichen Sieg des Weltkaisers, dem die apokalyptische Schlacht Christi mit dem Antichristen folge. Zunächst also herrscht „gaudio et laetitia“ bevor sich „reserabuntur portae aquilionis“223 und Gog und Magog als Gestalten der Endzeit (Apk 20) hervorbrechen. Wie sich endzeitliche und sozialreformerische Vorstellungen in dieser Zeit verbinden, wird am „Buch der 100 Kapitel“, das um die Wende zum 16. Jahrhundert von einem anonymen „Oberrheinischen Revolutionär“ 219 220 221 222 223 Zit. in Peuckert, Wende, 168. WA 8, 475f. Eine Annahme, die durchaus nicht völlig abwegig war, da Kurfürst Friedrich III. einer allerdings unsicheren Überlieferung zufolge nach dem Tode Kaiser Maximilians am Vorabend der Kaiserwahl Karls V. im Zuge der Wahlauseinandersetzungen für einige Stunden selbst als gewählter Kaiser erschien; vgl. Oberman, Luther, 41. Peuckert, Wende I, 157ff. Der weitgereiste Aeneas Silvius Piccolomini, notierte 1453: „Nichts Prachtvolleres und Schmuckreicheres findest du in ganz Europa als Köln. Es ist ausgezeichnet durch seine Kirchen und Bauwerke, hervorragend durch seine Bevölkerung, berühmt durch seinen Reichtum, mit Bleidächern Versehen, durch Pfalzen geschmückt, mit Türmen befestigt.“ Zit. in Vocke, Regierungszeit, 170. Zit. in Peuckert, Wende, 169. 53 verfasst wurde, deutlich.224 Er äußert die Vermutung: „Wer kein wunder, der alten prophezy wurdt erfult, das der Turk am Rin wurd erschlagen.“225 Eine weitere Quelle endzeitlicher Weissagungen war die sog. Tiburtinische oder Dreizehnte Sibylle.226 Zurückgehend auf die zwölf Sibyllen, heidnische Seherinnen, die den zwölf alttestamentlichen Propheten gegenüber gestellt wurden und als Offenbarungen Gottes an die „Heiden“ galten - noch Theodor Bibliander sollte sich später ausdrücklich auf sie beziehen227 - entstand wohl nach antiken und byzantinischen Vorläufern die mittelalterliche Weissagung der Tiburtinischen Sibylle,228 die als Schwester der Kassandra wegen ihrer seherischen Gabe nach Rom geholt worden sei, wo sie Kaiser Trajan und den Senatoren den künftigen Lauf der Zeiten vorhergesagt habe. In einer Darstellung der Weltgeschichte in neun Zeitaltern kommt es dabei im letzten Saeculum nach der Herrschaft eines Endzeitkönigs ebenfalls zur Herrschaft des Antichrist im Römischen Reich, der dann durch den Erzengel Michael getötet wird. Danach vollzieht sich das Jüngste Gericht. In der Tiburtina ist dann auch von den „Agareni“, wenn auch an einer nur wenig prominenten Stelle, die Rede. Sie sollen die italienischen Küstenstädte Tarent und Bari erobern. Wahrscheinlich handelt es sich hier um ein Vaticinium ex eventu, da 840 beide Städte tatsächlich von Muslimen erobert wurden.229 Die Tiburtina hat während des Mittelalters eine hohe Aufmerksamkeit erreicht. Gutenbergs erstes gedrucktes Werk war die Weissagung der Sibylle. Das Werk erlebte mehrere Neudrucke und wurde 1516 in eine Fassung als Volksbuch gebracht. Weniger aber die Rede von den „Agareni“ dürfte dabei von Bedeutung sein, als die Gestalt des Antichrist. 224 225 226 227 228 229 Vgl. neuerdings, Seibt, Utopica, 55ff. Zit. in Andermann, Geschichtsdeutung, 49 A. 90. Vgl. auch Kurze, Astrologie. Vgl. bes. auch zur komplizierten Überlieferungsgeschichte, Möhring, Weltkaiser, 28ff., 350ff.; Peuckert, Wende, 172. Holsten, Reformation, 26. Die älteste bekannte lateinische Fassung stammt aus dem Jahre 1047, vgl. Möhring, Weltkaiser, 28. Ebd., 34. 54 Damit ist nun bereits mehrfach der Begriff „Antichrist“ verwandt worden. Er soll hier näher dargestellt werden, ist doch von dieser Vorstellung die nachhaltigste Wirkung auf die apokalyptischen Erwartungen, besonders auch bei Luther ausgegangen. Dabei ist nicht vorauszusetzen, dass Luther „die reichlich verworrene Thematik des Antichrist-Mythos in der alten und mittelalterlichen Kirche in ihren Einzelheiten bekannt war.“230 Darauf kommt es auch nicht an. Der „Antichrist“, ja überhaupt alle apokalyptischen Vorstellungen, sind jeweils ein Mythos, der sich einem an streng rationalen Regeln orientierten Diskurs entzieht. Rationalität im Sinne von „Begreiflichkeit, Begründbarkeit, Folgerichtigkeit, Klarheit und allgemein verbindlicher Einsichtigkeit“231 entspricht nicht dem mythologischen Denken. Dieses ist vielmehr vor- aber nicht irrational.232 Am zutreffendsten ist wahrscheinlich die Bezeichnung „transrational“, denn die Mythen sind als Gegenstände der Tranzendenz offenbart und somit der immanenten Rationalität entzogen, was jedoch nicht bedeutet, dass sie nicht ihre eigene Sinnhaftigkeit hätten. Diese ist jedoch im jenseitigen Entstehungspunkt des Mythos begründet. Die „Welt“ selbst ist dann die Bühne, auf dem sich dieser Mythos auswirkt, indem jenseitige Kräfte hier miteinander ringen usw. Diese Offenbarungen sind nun mit den innerweltlichen Vorgängen in Beziehung zu setzten, es gilt die „Zeichen der Zeit“ zu deuten, was durchaus nach dem Verfahren „trial and error“ vor sich geht.233 Die verwirrenden Bezugnahmen, ständigen Motivwanderungen und neuen Interdependenzen, die an sich betrachtet irrational wirken, gewinnen von hier her ihre Einsichtigkeit. Es sind ständig neue Anläufe, den göttlichen Weltplan zu entziffern. Dies gilt insbesondere für die Vorstellung vom Antichrist. Der Antichrist-Mythos war zunächst durch die Übernahme spätjüdischer apokalyptischer Vorstellungen, die sich etwa in Dan 7,23 im Bild eines Anti-Messias234 manifestierten, als Gegengestalt zu Jesus Christus (Anti-Christ) entstanden und durch die Bedrängnisgeschichte der frühen 230 231 232 233 234 Hillerbrand, Polemik, 115. Hübner, Mythos, 239. Ebd., 288. Ebd., 287. Rauh, Antichrist, 33f. 55 Christenheit weiter inhaltlich und zunehmend auch legendenhaft ausgeformt worden: Der Antichrist kam nun aus dem israelitischen Stamme Dan, wurde in Chorazim oder Kapernaum geboren und werde sich, so hieß es, dereinst im wieder aufgebauten Tempel von Jerusalem anbeten lassen, usw.235 Maßgeblich wurde dann in diesem Zusammenhang die vom Kirchenvater Hieronymus geäußerte Vorstellung, nach dem Untergang des als vierten Reich im Sinne des Danielbuches (s.u.) gedeuteten Römischen Reiches werde die Herrschaft des Antichrist anbrechen.236 Die Identifikation des vierten danielischen Reiches mit dem Imperium Romanum war dabei schon vor Hieronymus offenbar so geläufig und unbestritten, dass er sie nur en passant zu erwähnen brauchte.237 Mit dem Wandel des Christentums zur römischen Staatsreligion legte man dann mehr Aufmerksamkeit auf die im Inneren der Kirche lauernde antichristliche Gefahr.238 Die Antichrist-Vorstellung wurde im Mittelalter weiter differenziert und wirkte neben dem theologischen auch auf das politische Denken.239 Daneben hielt und intensivierte sich besonders durch die Arbeiten Joachim von Fiores die Vorstellung vom Antichristen im Inneren der Kirche.240 Besonders intensiv wurde Geschichtssymbolismus die Antichrist-Vorstellung rezipiert,241 „einer vom hauptsächlich sog. in Deutschland anzutreffenden eigenen Art, den historischen Stoff zu gliedern und miteinander in Beziehung zu setzten.“242 Während sich vorwiegend in Frankreich im 12. Jahrhundert die Scholastik stark entfaltete, die dem Antichrist keine gesteigerte Aufmerksamkeit widmete und sich eher mit der Frage beschäftigte, ob er als menschliches Wesen auch einen Schutzengel habe,243 entwickelte sich in Deutschland „eine historisch-symbolische Exegese, die das ‚geistige 235 236 237 238 239 240 241 242 243 Preuss, Antichrist, 41f. Möhring, Weltkaiser, 17 Goez, Danielrezeption, 186. Euseb, Kirchengeschichte 5,14, der hier die Montanisten nennt. Manselli, Antichrist, 703ff. Ebd. Benrath, Antichrist III, 26. Engels, Geschichte, 619. Benrath, Art.: Antichrist III, 26. 56 Verständnis’ der Schrift vornehmlich in ihrem heilsgeschichtlichen Sinn suchte.“244 Diese Form historischer Sinnfindung hatte in Otto von Freising, Hildegard von Bingen, Anselm von Havelberg, Gerhoh von Reichersberg und Rupert von Deutz, aber auch in Italien in dem schon genannten Joachim von Fiore245, ihre herausragendsten Vertreter. Diese Sichtweise schloss sich an das biblisch-augustinische246 Geschichtsverständnis an, das die Weltgeschichte unter dem Aspekt einer zielorientiert verlaufenden Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen deutete und durch Augustins Auffassung des geschichtlichen Widerspiels von „Civitas Terrena“ und „Civitas Dei“ zuspitzte.247 Der maßgebliche Unterschied zum Kirchenvater Augustin bestand jedoch darin, dass dieser sich in seinen Büchern vom Gottesstaat weigerte, biblische Erzählungen, Gestalten und Symbole vorschnell mit bestimmten Ereignissen zu verbinden. Eine Berechnung des Auftretens des Antichrists lehnte er ebenso ab, wie die Identifizierung von Gog und Magog mit konkreten geschichtlichen Gestalten. Der Gleichsetzung der vier Tiere aus dem siebten Kapitel des Danielbuches mit dem Reichen der Assyrer, Perser, Mazedonier und Römer stimmte er jedoch zu.248 Das geschichtssymbolistische Denken war aber zur Zeit Luthers durch die massive Kritik der Scholastik und auch durch ein gewisses Desinteresse des Humanismus am Symbolismus schon infrage gestellt. Der Humanismus zeigte zunächst kein großes Interesse an der Weltchronistik. In der berühmten Schedel’schen Weltchronik von 1493 wirkt die Bezugnahme auf den Antichristen eher als „lästige ‚Pflichtübung’“.249 Die Reformatoren haben dann diese Geschichtsdeutung nochmals geradezu kanonisiert,250 wobei aber auch gravierende Änderungen vorgenommen wurden.251 Melanchthon, der 244 245 246 247 248 249 250 251 Grundmann, Geschichtsschreibung, 73. Allerdings teilte Luther nicht den maßgeblich durch Joachims Vorstellung vom „Dritten Reich“ vorangetriebenen Chiliasmus. Ebd., 608. Chadwick, Augustin, 102ff. Augustin, Gottesstaat 18/31; 20/11; 20/23. Andermann, Geschichtsdeutung, 40. Benrath, Geschichte, 630. So wurden chiliastische Auffassungen, wie sie etwa Joachim von Fiore mit seiner Lehre vom „Dritten Reich“251 vertrat, nicht aufgenommen und die 57 als der Historiker der Reformation angesehen werden kann, ist dabei natürlich nicht einfach reproduktiv in den Bahnen des Geschichtssymbolismus verblieben. Vielmehr ist er von einem starken universalhistorischen und ethnographischen Interesse geprägt, dass ihn die Fülle des vorhandenen geschichtlichen Stoffes noch einmal unter theologisch-heilsgeschichtlichen zusammen- fassen ließ, 252 Gesichtspunkten systematisch was allerdings bei ihm unter Aufnahme des Geschichtssymbolismus geschah. Der Geschichtssymbolismus versuchte also vorwiegend biblische Sinnbilder als Hinweise zu deuten, „die trotz logischer Vieldeutigkeit ihre objektive Wahrheit enthalten, obgleich diese eher der Intuition als der Reflexion zugänglich“253 Geschichtssymbolismus als sind. zentrale Insofern Form war der mittelalterlicher Geschichtsschreibung theologisch fundiert, aber oft politisch motiviert, wenn die biblischen Typologien als Form für die historische Auffüllung dienten.254 Mittels des Geschichtssymbolismus vermochte man, den Islam unter Adaption des Antichrist-Begriffes oder der Lehre von den vier Weltreichen aus dem biblischen Buch Daniel als apokalyptische Macht zu interpretieren, wie dies etwa Pseudo-Methodius tat. Die Suche nach dem vermeintlichen Antichrist bezog sich aber keineswegs nur auf den Islam. Im hohen Mittelalter konnte sowohl das römisch-deutsche Kaisertum wie aber auch das Papsttum mit dem Antichristen identifiziert werden. Ein besonders markantes Beispiel dafür ist der Hohenstaufer-Kaiser Friedrich II., der sowohl als Antichrist wie auch als Endkaiser bezeichnet wurde.255 Nachdem man den Tod Friedrichs 1250 in der Bevölkerung lange Zeit nicht glauben wollte, verbreiteten sich aufgrund einer Vision eines sizilianischen Mönches, der Friedrich mit einem langen Heerzug in den Ätna hatte einreiten sehen, völlig unterschiedliche Vorstellungen. Während die Kirche, die den Kaiser exkommuniziert hatte, diese Vision als Höllenfahrt 252 253 254 255 augustinische „Civitas“-Lehre entscHeidend uminterpretiert, so dass die gemeinhin mit der „Civitas Dei“ identifizierte Kirche nun zum Hort des Antichristen wurde. Vgl. zu Melanchthon bes. die Studie von Klempt , Säkularisierung. Rauh, Antichrist, 11 Goetz, Geschichtsschreibung, 233ff. bes. 236. Brentjes, Mythos, 42ff. 58 interpretierte, sah man im Volk - in Deutschland sprang die Lokalisation bald auf den Kyffhäuser und Friedrichs Großvater Barbarossa über – den Kaiser in „Wartestellung“, bevor er am Ende der Zeiten wiederkehren werde.256 Nachhaltiger wirkte aber die Assoziation des Antichristen mit dem Papsttum. Der Begriff „Antichrist“ wurde vom Papsttum wie auch von dessen Gegnern „politisch mobilisiert“.257 John Wycliff verstand in seiner Schrift „De Christo et suo Adversario Antichristo“ bzw. im „Opus Evangelicum“ das Papsttum als Manifestation des Antichristen. Dabei löste er sich von der Vorstellung, einzelne Personen bzw. Päpste mit dem Antichrist zu identifizieren.258 Nun konnte das Papsttum an sich als antichristliche Macht verstanden werden. Luther teilte später diese Auffassung. Weite Verbreitung fand der Antichrist-Gedanke auch durch die Legende „De ortu et tempore Antichristi“ des Adso von Montier-en-Der.259 Der um 915 geborene Abt des Klosters Montier-en-Der sammelte „als gewissenhafter Kompilator“260 im Auftrage der westfränkischen Königin Gerberga alle „Nachrichten“ über den Antichrist und verfasste sein Traktat 954.261 Adsos Schrift bezieht die bekannten Weissagungen dabei ausdrücklich auf das Fränkische Reich, aus dessen Mitte der Endkaiser hervorgehen soll, bevor dann nach ihm der Antichrist durch den Hauch des Mundes Gottes oder den Erzengel Michael getötet werde. Offensichtlich hat Adso mit seinen Bezugnahmen auf das Frankenreich konkret das Westfränkische Reich vor Augen, das zur Zeit der Gerberga in einer schweren politischen Krise steckte. Der Inhalt der (Hoffnungs)-Botschaft des Adso für seine Königin löste sich jedoch bald vom zeitgeschichtlichen Kontext ab und fand weitere Verbreitung. Die Ablösung der Schrift von ihrem konkreten Entstehungsanlass und ihre fortdauernde Bedeutung spricht dafür, dass Orientierungs- und Stabilisierungspotential besaß. 256 257 258 259 260 261 Vgl. Horst, Staufer, 331ff. Rauh, Antichrist, 8. Leppin, Antichrist, 209f. Möhring, Weltkaiser, 140ff., 360ff. Ebd., 144. Ebd., 147. die ein hohes 59 Wie die innerhalb des späten Mittelalters virulente Antichrist-Fixierung bald auch „popularisiert“ wurde, zeigt sich im „Ludus de Antichrist“,262 das zwischen 1147 und 1187 von einem Anonymus verfasst wurde. Der Entstehungsort ist ebenfalls unbekannt. Das „Ludus“ hat außer dem zentralen Thema des Antichristen nur eine geringe Ähnlichkeit mit Adsos Text. Die Weltgeschichte ist hier in zwei Teile aufgeteilt, die zeitgeschichtlichen Anspielungen können nicht eindeutig erhellt werden. Die markantesten Unterschiede zur bisherigen Tradition sind die Tatsachen, dass von einer Herkunft des Antichristen aus dem jüdischen Volk keine Rede ist, dass darüber hinaus den Arabern keineswegs eine apokalyptische Rolle zukommt - der imperator Romanorum schlägt den rex Babylonis „lediglich“ in die Flucht - und dass der Tod des Antichristen keineswegs schon das Ende der Zeiten bedeutet. Durch dieses geistliche Volksspiel verbreitete sich der AntichristGedanke in breiten Schichten,263 auch wenn sich die Vorstellung natürlich nicht fest an ein Konzept band – sei es das des Adso von Montier-en-Der oder das des „Ludus“ - sondern in vielerlei Variationen verbreitet wurde, zumal es auch mehrere inhaltlich differierende Antichrist-Spiele gegeben haben könnte.264 Der Antichrist-Gedanke war jedenfalls bis in breite Volksschichten hinein bekannt. Dafür sorgte auch der Buchdruck. So erschien etwa 1521 Lukas Cranachs Holzschnittfolge „Passional Christi und Antichrist“. Die ganze Entwicklung des Antichrist-Gedankens macht es nachvollziehbar, wenn gesagt wird: Im Mittelalter „wuchs der Antichrist ... immer mehr zum Helden eines spannenden Romanes“265 heran, der nun nicht nur von Klerikern „gelesen“ wurde, sondern Stoff für Volksspiele bot, die gleichzeitig eine stärker werdende apokalyptische Haltung des ausgehenden Mittelalters bezeugen. Der Antichrist wurde nun zunehmend der „Endchrist“.266 Hatte auch das ganze Mittelalter mit 262 263 264 265 266 Ebd., 176ff. Leppin, Antichrist, 209. Möhring, Antichrist, 178 hinsichtlich einer Bemerkung des Gerhoch von Reichersberg. Preuss, Antichrist, 44. So jedenfalls Preuss, Antichrist, 45. Der Begriff "Endchrist"/ "Endechrist" ist zunächst jedoch aus einer Lautverschiebung im Mittelhochdeutschen 60 dem Ende der Welt und dem Kommen des Antichrist gerechnet, so steigerte sich diese vorher lediglich latent vorhandene apokalyptische Erwartung um die Wende zum 16. Jahrhundert in einem bis dahin nicht gekannten Maße.267 Luther hat an diesen Strömungen, wie sich zeigen wird, partizipiert und sie weiter gefördert. Zahlreiche Verfasser haben die genannten Traditionen schon in vorreformatorischer Zeit aufgenommen und verarbeitet. Die apokalyptischen Motive sollten ja aufgrund der als hermeneutischen Schlüssel aufgenommenen Traditionen das osmanische Phänomen einzuordnen helfen und über den Fortgang der Geschichte Aufschluss geben. Nur einige wenige literarische Beispiele seien hier genannt: Der Kölner Karthäusermönch Dionysius van Rijkel (1402/03-1471), bekannt geworden als „Doctor ecstaticus“268, verfasste im Angesicht des gefährdeten Konstantinopel 1452/53 die Schrift „Contra perfidam Mahometi“ und nach dem Fall der Stadt seine Vision „Epistola ad principes catholicos paranetica de iustuendo bello adversus Turcam“. Savonarola, der „Compendium Florentiner relevationum“ Bußprediger, ebenfalls beschrieb die in seinem Osmanen.269 Joseph Grünpeck, Kaiserlicher Rat unter Maximilian I., sah in seinen „Practica der gegenwertigen großen Trübsaln“ das „end der welt ... nahe/ vnd die wasser der trübsaln werden die ganze Christenhait übergeen.“270 In seinem „Speculum naturalis, coelestis et propheticae visionis“ von 1508 erblickte er in den Osmanen ein „flagellum Dei“,271 eine Auffassung, die keine zehn Jahre später Luther teilen wird. Schließlich ist auch der Maler und Humanist Albrecht Dürer zu erwähnen. Mit seinen Arbeiten nahm der die apokalyptische Grundhaltung der Menschen auf und beförderte sie weiter. 1498 erschien seine „Apocalisis cum figuris“, eine künstlerische Darstellung der Johannes-Apokalypse. Der Dürer-Biograph Ernst Rebel fasst zusammen: 267 268 269 270 271 entstanden, Rauh, Antichrist, 4, was aber wohl apokalyptische Vorstellungen gefördert hat. Delmeau, Angst, 313. Andermann, Geschichtsdeutung, 49. Reeves, Influence, 435ff. Zit. in Peuckert, Wende, 104. Zit. in Andermann, Geschichtsdeutung, 50 A 91. 61 „Wie nie zuvor in der deutschen Kunstgeschichte ergriff hier ein Maler als Handwerker und Bilderfinder, als demütiger Christ wie als kritischer Zeitgenosse, das Wort, nämlich das Bibelwort, um es zu einer genialen Synthese von Weltsorge und Kunstfreude auszugestalten.“272 Neben den berühmten „Apokalyptischen Reitern“ ist hier besonders auch der Holzschnitt von der „Hure Babylon“ zu beachten (Apk 17). Er ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Renaissance-Papsttum seiner Zeit. Dem makabren Auftritt der Hure, der von einer prächtigüberheblichen Gesellschaft begeleitet wird, steht der osmanische Sultan als Zeremonienmeister vor.273 „Wohl in voller Absicht wird er [der Sultan Anm. d. Verf.] in die Nähe des christlichen Oberhaupts gerückt, wobei er im Vergleich noch die sichtlich ehrenvollere Figur abgibt. Der Obertürke mag schlimm sein, noch schlimmer ist der christliche Oberhirte!“274 Erheblich zur Popularisierung endzeitlicher Vorstellungen trug dann Johannes Lichtenberger275 bei, der einige Jahre Hofastronom Kaiser Friedrichs III. gewesen war, und 1488 zunächst anonym seine „Pronosticatio in latino, rara et prius non audit iudex sacri imperii“ herausgab. Lichtenberger ist in seinem Werk allerdings stark abhängig von der „Prenostica ad viginti annos duratura“ des Paulus von Middelburg, dass nur vier Jahre zuvor erschien.276 Middelburg selbst war abhängig von einem arabischen Deuter namens Albumazar, der seinerseits seine Vorhersagen von dem bedeutenden arabischen Philosophen al-Kindi (800-866) übernommen hatte.277 Über diese Traditionen hinaus kann man Lichtenbergers Werk als eine Art „Sammelausgabe abendländischer Astrologen aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts“ bezeichnen.278 Bei einem „Gang durch die wirren Wege der Pronosticatio“ lässt sich „eine Fülle von Beziehungen und 272 273 274 275 276 277 278 279 Abhängigkeiten aufweisen“.279 Dieses „Konglomerat Rebel, Dürer, 116. Ebd., Abb. 29. Ebd., 118. Zu Lichtenberger vgl. Kurze, Lichtenberger. Vgl. Peuckert, Wende, 103; Andermann, Geschichtsdeutung, 46. Barnes, Prophecy, 142. Peuckert, Wende, 103. Kurze, Lichtenberger, 33. 62 verschiedenster Weissagungspartikel“280 hat bis 1530 fast zwanzig erlebt.281 Da Lichtenbergers Werk im deutschen Nachdrucke Sprachraum – Luther gab es später mit einem Vorwort versehen heraus – nachhaltig wirkte, soll hier auf Lichtenberger besonders eingegangen werden. Die genannten Quellen Pseudo-Methodius, Tiburtinische Sibylle und Antichrist-Tradition kommen bei Lichtenberger, dem Charakter eines Sammelwerkes entsprechend, alle vor. Lichtenbergers Pronosticatio ist dabei in Einzelkapitel aufgeteilt.282 Nachdem er zunächst als Quellen der Vorhersagekunst die Lebenserfahrung, die Astrologie und die Offenbarungen Gottes an Einzelne, wie etwa die alttestamentlichen Propheten, die römische Sibylle und den Lollarden Reinhart genannt hat, macht er deutlich, dass er selbst aus allen drei genannten Möglichkeiten in seinem Werk schöpft. Der Schwerpunkt liegt allerdings auf der Astrologie, die er vor dem Vorwurf zu verteidigen sucht, sie sei nicht christlich. Aktueller Ausgangspunkt seiner Pronosticatio ist für ihn eine ganz bestimmte Gestirnskonstellation zwischen Saturn und Jupiter im November 1484, eine sog. „schwere Konjunktion“ beider Planeten, der von jeher besondere Bedeutung zugemessen wurde.283 In joachimitischer Tradition fördert Lichtenberger dabei chiliastische Vorstellungen, wie in der Darstellung des Werkes deutlich wird. Im ersten Hauptteil des Werkes von Lichtenberger wird das „Schifflein Petri“, also die Kirche, besonders dargestellt. In joachimitischer Tradition erfolgen Weherufe über die Kirche und besonders das Papsttum. Ein wahrer Papst wird schließlich mit einer „Reformation“284 die verfallene Kirche ausrotten, doch wird das „Schifflein“ nicht untergehen. Im zweiten Hauptteil sind in loser Reihenfolge Weissagungen zum Geschick des Reiches dargeboten. Hier taucht dann besonders wieder Pseudo-Methodius mit seinen Weissagungen auf. 280 281 282 283 284 Talkenberger, Sintflut, 60. Ebd., 58. Zur Inhaltsbeschreibung vgl. Kurze, Lichtenberger, 15ff. Ebd., 18. So auch zit. in Talkenberger, Sintflut, 67. 63 „Darumb sagt Methodius: Es wirt dye zeyt kommen/ das die Agareni noch einmal in Teutschen landen versamlet/ auß wüsteney gehen werden/ und werden der welt kreis einnemen/ im lande des Mondes acht jar lang/ und yhr rayse wirt der Agarener reyse genandt werden. Denn sy werden stedte und reich umbkeren/ und die prieste werden sie in den gewexheten stedten erwürgen/ ... Aber bey dem guldenen apffel zu Cöln werden sie umbkommen und vertilgt werden.“285 Für die Herrschaft des Kaisers Maximilian wird eine Friedenszeit vorausgesagt, die Türken verschwinden aus Europa, Konstantinopel wird zurück erobert „und wirt eyne newe Reformation sein/ die soll eyne lange zeit stehe/ und des Türckischen keysers name wirt hinfort nicht mehr unter den Christgleubige gehört werden.“ Sollten aber die Reichsstände nicht mit dem Kaiser einig bleiben, werde der „Türke“ wiederkommen „und wirt verwüste Poln, Meissen, Döringe, Hessen, Preussen, und wirt in die Pichardey reysen, in Braband und Flandern.“286 Da Luther später ausdrücklich auf Lichtenberger und auch kurz auf die Weltkaiser-Vorstellung zu sprechen kam, sei hier schon ein Vorgriff auf den Reformator erlaubt: Die Pronosticatio Lichtenbergers gewann mit der Reformation neue Aktualität. Die Gegner Luthers glaubten ihn in Lichtenbergers Weissagungen vorausgesagt, wozu besonders Kapitel 31 und 32 der Pronosticatio Anlaß zu geben schienen. Der dort zunächst als Antichrist verstandene Mönch mit der weißen Kutte, der die Kirche verwirrt, scheint für die Gegner zweifelsohne Luther zu sein, so etwa für Johannes Cochlaeus. Für ihn ist er „der unselig Münch, der den teuffel auf der achseln trägt, in Lichtenbergers Practica.“287 Luther erkennt in dem Mönch wiederum eher Thomas Müntzer, was seinerseits Paracelsus scharf zurückweist, der wiederum Luther in ihm zu erkennen glaubt.288 Zu einer weitgehend unveränderten Neuausgabe289 dieser Schrift 1527 schrieb dann Luther ein Vorwort.290 Aktueller Anlass war für ihn dabei 285 286 287 288 289 Lichtenberger, 26. Kap. Ebd., 26. Kap. Zit. in Kurze, Lichtenberger, 58. Ebd., 59f. Talkenberger, Sintflut, 373. 64 der Ausgang des Bauernkrieges, der in Kreisen der altgläubigen Geistlichen als die von Lichtenberger geweissagte Verfolgung der Kirche mitsamt der anschließenden Friedenszeit gedeutet wurde, wobei auch gleich die lutherische Lehre mit als erledigt galt. Es ist also kein Wunder, dass Luther in seiner Vorrede eine andere Interpretation Lichtenbergers gab. Luther distanzierte sich jedoch auch hier im Unterschied zu Melanchthon von der Astrologie, weil diese keine Offenbarungen kenne, sondern "heidnische alte kunst"291 sei.292 Aber er gestand doch auch zu, dass er selbst Lichtenbergers Voraussagen nicht „an allen orten zuverachten“293 könne: eben troffen“294. Luther gibt dann „Hat auch etliche ding einen Einblick in seine Geschichtsauffassung. Wenn auch Gott alles ohne die Menschen tun kann, so bedient er sich ihrer doch als seine „Larven“295, sowohl im geistlichen wie im leiblichen Regiment. Außergewöhnliche Ereignisse am Sternenhimmel wiederum sind ein direktes Mahnzeichen Gottes an die „Heiden“, während sich die Frommen, die Gottes Wort haben, um solche Ereignisse nicht zu kümmern brauchen. Zwar akzeptierte Luther Lichtenbergers Wahrsagung als legitimen Versuch der Vorhersage, doch blieb er dabei, die Kunst sei „ungewis“296. Dies rührt allerdings nach Luther weniger daher, dass es an göttlichen Zeichen fehle - ganz im Gegenteil - aber eine kunstvolle Berechnung sei trotzdem nicht möglich, deswegen habe Gott Lichtenberger ja auch an einigen Stellen irren lassen. Trotzdem empfahl er Lichtenbergers Buch, allerdings weniger den Christen, die ja die Bibel hätten, sondern den „grossen hansen und lendern, das sie wissen sollen, es gelte yhn“.297 Eine Doppel-Strategie weltlicher und geistlicher Deutung und Argumentation, die später auch im Blick auf den Kampf gegen die Osmanen deutlich wird, kündigt sich hier schon an: Der gläubige Christ 290 291 292 293 294 295 296 297 WA 23, 7-12: Haeusler, Weltchronistik, 162 WA 23,8. abgedr. in Warburg, Renewal, 663 Zum Verhältnis von Astrologie und Theologie in der Reformationszeit vgl. Leppin, Antichrist, 182ff. WA 23,8. Ebd. Ebd., Ebd.,11. Ebd. 65 möge seine Erkenntnis aus der Bibel gewinnen, der „Weltmensch“ hingegen aus der als „wissenschaftlich“ angesehenen Astronomie. Letztlich aber wird mit dem Schluß des Vorwortes nochmals Luthers Absicht deutlich: Er will „auch geweissagt haben“298, dass die Gefahr für die Kirche noch nicht vorüber sei, wie einige nach dem Bauernkrieg meinen. Wenn es zu keiner grundlegenden Änderung in Lehre und Lebenswandel komme, sei fürchterliche Strafe anzunehmen, „uber eine kleine zeit, das solch yhr freunde zu schanden wird, will ich gar freundlich bitten, sie wollten mein gedencken und bekennen, das der Luther hab es besser troffen denn beide der Lichtenberger und yhre selbs gedancken.“299 Diese ersten Hinweise machen schon Luthers tiefe Verankerung in der apokalyptischen Mentalität seiner Zeit deutlich, sie zeigen jedoch auch, dass er diese Ansichten nicht undifferenziert übernommen hat, sondern sie sich in spezifischer Weise aneignete. 2.4. Zwischenbilanz Nach einer langen Phase der Unkenntnis bzw. des Halbwissens über den Islam im Abendland war am Vorabend der Reformation das Verhältnis zu dieser Religion und den von ihnen geprägten politischen Mächten schon hochdifferenziert. Dies betraf sowohl die politischen, allgemein-mentalen wie auch im engeren Sinne theologischen Aspekte. Mit den Kreuzzügen begann dann eine Geschichte fortwährender militärischen Auseinandersetzungen, die bald vom Aufstieg des Osmanischen Reiches geprägt waren. Während im Südosten Europas der christlich beeinflusste Machtbereich immer mehr zusammenschmolz und schließlich das historische Ostrom vernichtet wurde, konnte im europäischen Westen der Islam als politische Macht von der iberischen Halbinsel verdrängt werden. Gleichzeitig entwickelte sich seit dem Hochmittelalter eine Kultur der Beschäftigung mit dem Islam, die durch die kriegerischen Ereignisse paradoxerweise gefördert wurde. Die noch im Rolandslied zutage 298 299 WA 23, 12. Ebd., 12. 66 tretenden teilweise grotesken Fehlurteile über die Muslime wurden durch zunehmendes Wissen korrigiert, ohne jedoch von teilweise erheblichen Missverständnissen völlig frei zu werden. Mit dem dogmatischen und dem apokalyptischen Interpretationsmodell bildeten sich zwei Formen christlicher Islambeurteilung weiter heraus. Ihre Abhängigkeit von den äußeren politischen Ereignissen wird in der jeweiligen Dominanz der unterschiedlichen Modelle deutlich. In Zeiten der Stärke der christlichen Mächte, „konnte man es sich leisten“, die Religion des Islam relativ unvoreingenommen zu betrachten und eine sachliche Auseinandersetzung mit ihm zu suchen. Mit der sich steigernden Machtentfaltung des Osmanischen Reiches und den zunehmenden inneren Auseinandersetzungen im Corpus Christianum entwickelte sich jedoch im Spätmittelalter eine immer stärkere Mentalität apokalyptisch aufgeladener Ängste, die in den Osmanen einen scheinbar eindeutigen Anhalt fanden. Vereinzelte Versuche, doch noch in einen friedlichen Dialog zu treten, hier sind die Bemühungen des Cusanus zu nennen, wurden angesichts der osmanischen Expansion immer perspektivärmer. Immer mehr wurden stattdessen die „Türken“ vom politisch-militärischen Gegner und religiösen Widerpart zu apokalyptischen Gestalten. 3. Kapitel: Die Heraufkunft des „Türken-Themas“ in Luthers Denken 1517-1525 3.1. Luthers Stellungnahme gegen einen Osmanen- Kreuzzug 3.1.1. Die politischen Ereignisse Mit dem Beginn des Pontifikates durch Papst Leo X. kam es, wie schon erwähnt, zu neuen Bemühungen seitens des Kirchenstaates, einen Kreuzzug gegen die „Türken“ zu organisieren. Sie verdichteten sich 67 insbesondere in den Jahren 1517/1518,300 fielen also mit dem Ausbruch der Reformation in Deutschland zusammen. Kam es auch nicht zur Organisation eines Heeres, lieferte der Papst den besonders bedrängten Ungarn jedoch Geld und Waren, wie Geschütze und Kanonenpulver, um diese gegen osmanische Angriffe absichern zu helfen. Daneben gingen Unterstützungsaufrufe für einen Kreuzzug an die christlichen Fürsten und Stände heraus.301 Von einer Einigkeit der christlichen Mächte konnte jedoch keine Rede sein. Die Republik Venedig lehnte einen Kreuzzug ab, während König Franz I. von Frankreich ihn lediglich nach außen hin begrüßte. Venedig befand sich zu dieser Zeit mit dem Osmanischen Reich in einem Friedensverhältnis, das es nicht gefährden wollte. Franz I. war eher an den inneritalienischen Streitigkeiten mit den Habsburgern interessiert. Grundsätzlich sah Frankreich im Osmanischen Reich eher einen potentiellen Bundesgenossen gegen die Habsburger und einen wichtigen Wirtschaftspartner.302 Als es hier zu einem kurzzeitigen Ausgleich gekommen war, versuchte Franz I. auf dem Kongress zu Cambrai 1517 Karl I. (V.) von Spanien und Kaiser Maximilian zu einem Krieg gegen die Osmanen und der gemeinsamen Aufteilung deren Reiches - dies alles jedoch ohne die Beteiligung des Papsttums - zu gewinnen. Um die Initiative wieder in die Hand zu bekommen, setzte Leo X. auf dem V. Laterankonzil dann am 16. März 1517 die Verkündung eines Kreuzzuges, verbunden mit einem Waffenstillstand aller christlichen Fürsten untereinander, durch. Im Sommer des Jahres war er selbst durch inneritalienische Streitigkeiten gebunden, so dass die Pläne erst im Spätherbst wieder aufgenommen werden konnten. Am 4.11.1517, also kaum eine halbe Woche nach dem damals in Rom noch unbekannten Thesenanschlag in Wittenberg, wurde eine Kongregation gebildet, die die vorbereitenden Maßnahmen für einen Kreuzzug klären sollte. Am 12.11.1517 lag bereits eine Denkschrift für den geplanten Kreuzzug vor, die u.a. einen Präventivkrieg gegen die Osmanen 300 301 302 Vgl. Pastor, Päpste IV/1, 146ff. Ebd., 147. Maron, Francois. 68 forderte, zu dem Zweck einen Waffenstillstand durch die christlichen Fürsten untereinander vorsah und die Führung des Kreuzzuges durch den Kaiser und den König von Frankreich empfahl. Die Fürsten sollten sich zum Zwecke des Kreuzzuges in einer Bruderschaft, einer „Fraternitas Sanctae Cruciate“ zusammenschließen. Darüber hinaus sollten sowohl Fürsten und Geistliche durch Sonderabgaben, man rechnete mit ca. 800000 Dukaten für den Kreuzzug, beitragen. 303 Leos Pläne stießen sowohl bei Franz I. als auch bei Maximilian auf Zurückhaltung. Während der eine die volle Verfügungsgewalt über die Geldmittel forderte, schlug der andere, verärgert über den zu teilenden Oberbefehl, mehrere separate Kriegszüge gegen die Osmanen vor. König Karl I. von Spanien, der spätere Kaiser, stellte lediglich Schutztruppen für bedrohte italienische Gebiete in Aussicht. 3.1.2. Luthers Verbindung von „Türkenfrage“ und Papstkritik Martin Luthers Äußerungen zum Islam setzen - noch sehr unspezifisch - in seiner frühen Psalmenvorlesung „Dictata super Psalterium“304 1513/1514 ein. In der Auslegung von Ps 73 werden die „bestiis“ aus V. 19 mit den „Türken“ identifiziert,305 in Blick auf Ps 79 kann Luther von der Verwüstung der Kirche durch die Osmanen sprechen,306 doch ist von einer unmittelbar bevorstehenden Bedrohung noch keine Rede. Luther bewegt sich im Rahmen der üblichen kirchengeschichtlichen Auslegung, wenn er die Apokalypse als Deutung der zeitlosallgemeinen Gefährdungen der Kirche ansieht.307 Kurt-Victor Selge kann zugestimmt werden, wenn er feststellt: Wenn „auch die Gegenwart unter das Licht der Zeichen des Antichrist rückt, so bleibt sie doch eine räumlich und zeitlich gewichtig gegenwärtige und ausgedehnte, und über das Kommen des konkreten letzten Antichrist, mit dem das Ende der Welt beginnt, wird auch nichts 303 304 305 306 307 Pastor, Päpste IV/1, 153. Vgl. dazu Rasmussen, Inimici; Oberman, Juden, 142 A. 17; Selge, Denken, bes. 274. WA 3, 491. WA 3, 610.; vgl. Selge, Denken, 274f. Hofmann, Johannes-Apokalypse, 94. 69 Näheres gesagt, als dass seine Wesensmerkmale schon erkennbar sind.“308 Luther ist hier in seiner geschichtstheologischen Auffassung noch ganz vom augustinisch-bernhardinischen Schema der Verfolgung der Kirche (Heiden – Häretiker – „falsche Brüder“/ Antichrist) und seiner binnenekklesiologischen Zentrierung geprägt.309 Eine erste stärkere Kritik am Papsttum begegnet dann in diesem Zusammenhang in der Vorlesung zum Römerbrief 1515/1516, wenn es dort heißt, die eigentlichen Feinde der Kirche seien weniger Juden und „Türken“, als vielmehr die Bischöfe, die das Kreuz Christi nicht trügen.310 Vertieft setzt Luthers Auseinandersetzung mit der „Türkenproblematik“ im Zusammenhang seiner Kritik an Mißständen in der katholischen Kirche ein. Dabei ist eines grundsätzlich festzuhalten: Mit dieser Kritik, die die spätmittelalterliche Frömmigkeit später radikal infrage stellte, erweist sich Luther zunächst nach eigenem Bewusstsein gerade nicht als ihr Zerstörer, sondern als jemand, der mit dieser Art des Glaubens radikal ernst zu machen versuchte. Die ungeheure Intensivierung spämittelalterlicher Frömmigkeitspraxis, ihre Formen und Vorstellungen, besonders die vom zornigen, richtenden Gott, hatte Luther tief in sich aufgenommen.311 Es war nicht „der Weg des Erasmus ... in das zeremonienfeindliche Christentum der Gebildeten“.312 Die Kritik und schließliche Selbstaufhebung der spätmittelalterlichen Frömmigkeit kommt also bei Luther aus der Mitte eben dieser Mentalität. Dabei fällt auf, dass das Krisenbewusstsein Luthers sich bekanntermaßen auf seine persönliche Heilsgewissheit bezieht und somit individueller Natur ist.313 Trotzdem ist Luther nicht untypisch. Die Summe vielfacher individueller Heilsnöte hat dann natürlich die Mentalität tiefer Verunsicherung, wie sie in der Religiosität des Spätmittelalters zum Ausdruck kommt, geprägt. 308 309 310 311 312 313 Selge, Denken, 275. Vgl. Rasmussen, Inimici, bes. 174ff. WA 56, 301; vgl. Hofmann, Johannes-Apokalypse, 132. Dinzelbacher, Art.: Religiosität, 132ff. Heimpel, Mensch, 133. Vgl. ebd., 142f. 70 Bei Luther ist zunächst von einem allgemeinen Krisenbewusstsein hinsichtlich der Wahrnehmung der politischen und kulturellen Verhältnisse keine Rede. Dabei waren Luther die wirtschaftlichen Verwerfungen der Gesellschaft nicht unbekannt. Er betonte: „Ich bin eines Bauern Sohn. ... Mein Vater ist ein armer Häuer gewesen.“314 Luthers Vater hatte sich in der Tat vom Bauernsohn zum Mitbesitzer eines Bergwerkes hochgearbeitet. Luther kannte also die krisenhafte Zuspitzung der expandierende bäuerlichen Hüttenwesen, Existenz das „energiebedingte Grenzen“315 stieß. wie auch allerdings um das damals 1500 an In dieser Familie, die einen sozialen Aufstieg hinter sich gebracht hatte, der bekanntlich von ihm selbst durch sein Studium der Rechtswissenschaften fortgesetzt werden sollte, fehlte Luther letztlich doch das Gefühl existentiell erfahrener wirtschaftlicher Verunsicherung. Später wird Luther immer wieder die sozialen Verhältnisse kritisieren, aber er wird sich nie mit einer Schicht bedingungslos solidarisieren. Diese Sachverhalte haben auch im Blick auf sein Türkenbild Bedeutung. War zunächst bei Luther von den Osmanen nur als einer von zahlreichen Gestalten der Gefährdung der Kirche in der genannten frühen Vorlesung „Dictata super Psalterium“ die Rede, wurde dieses Türkenbild im Zusammenhang des Ablass-Streites immer pointierter. Der Ablass, der nach damals vorherrschender theologischer Auffassung den Erlass der vom Bußsakrament nicht erfassten zeitlichen Sündenstrafen, wie sie etwa im „Fegefeuer“ zum Ausdruck kamen,316 bedingte, konnte für Gebete, Wallfahrten oder einfach käuflich erworben werden. Daraus entwickelte sich aus einem ursprünglich seelsorglich konzipierten Instrument317 ein für die Kirche finanziell einträgliches Geschäft. Neben den genannten Möglichkeiten konnte der Ablass jedoch auch für die Teilnahme an Kreuzzügen gewährt werden.318 314 315 316 317 318 Zit. in: Bernhard, Luther, 7. Irsigler, Herkunft, 9. Vgl. Schwarz, Luther, 54f. Southern, Gesellschaft, 129. Ebd., 55. Das bis heute älteste gedruckte Zeugnis ist ein Ablasszettel für den Türkenkrieg von 1454, ebenso wie das älteste vollständig erhaltene Buch 71 In der 5. der „95 Thesen“319 gegen den Ablasshandel hielt Luther dagegen fest, dass der Papst nur die Strafen erlassen könne, die er selbst nach dem kanonischen Recht auferlegt habe. Dies hieß, dass eine über das zeitliche Leben des Menschen hinausreichende Jurisdiktionsmacht des Papsttums für ihn nicht bestand. Damit war der Ablass grundsätzlich und auch als ein Mittel zur Finanzierung eventueller Kreuzzüge infrage gestellt. Luther wirkte damit auf eine öffentliche politische Debatte ein, die sich kritisch mit den immer wieder geforderten Geldmitteln durch die Kurie oder den Kaiserhof auseinander setzte. Seit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 waren ja immer wieder solche Kreuzzugspläne ventiliert und zu diesem Zweck Ablässe gegeben und durchaus umstrittene Steuern320 erhoben worden.321 Ein Kreuzzug kam aber nie zustande. Die Kritik an den Steuern, die grundsätzlich auch darin begründet war, dass man zunächst die Osmanengefahr als ein habsburgisches Territorialproblem ansah,322 kam hinzu. Schließlich sind hier auch die sog. Gravamina der deutschen Nation zu nennen, die seit Mitte des 15. Jahrhunderts immer wieder auf Reichstagen vorgebrachten Beschwerden über den Reichtum der Papstkirche, die „Aussaugung“ der deutschen Kirche durch die „Welschen“. Die Beiträge Luthers bekamen also auch in dieser Hinsicht schnell einen über den theologischen Bereich hinausstrahlenden Charakter. Damit lieferte die Reformation von Anbeginn an auch einen Beitrag zur „Türken-Debatte“, wobei die öffentliche Meinung durch die immer mehr aufkommenden Flugschriften in einem bis dahin ungekannten Maße mobilisiert wurde.323 Einige Beispiele seien hier genannt: Im Jahre 1518 erschien ein Aufruf, „wie man den Türcken widerstand thun mag und durch gantz christenhait baide von gaistliche un weltliche 319 320 321 322 323 „Eyn vermanung der cristenheit widder die durken“ aus demselben Jahr, Andermann, Geschichtsdeutung, 33. WA 1, 233ff. Brecht, Luther, 11. Vgl. Mau, Stellung, 645. Wefers, Türkensteuer, 1108ff. Simon, Flugschriften, 5. Vgl. besonders, Göllner, Turcia. 72 stant feleyche bürde getrage würde on beschwernis“324. 1522, in diesem Jahr fielen Belgrad und Rhodos an die Osmanen, wurde der erwähnte Aufruf erneut herausgegeben.325 1523 erfolgte eine Aufforderung „ze eroberen die Türcky, um erlösung der Christenheit“326. In der Flugschrift wurde ausdrücklich auf die Legende eines siegreichen Zuges von Ordensleuten gegen die Osmanen Bezug genommen. Deutlich wird, dass ein Kreuzzug mindestens ebenso sehr als eine Angelegenheit der geistlichen wie der weltlichen Herren angesehen wurde. Dies war bekanntlich kein neuer Gedanke. Schon Pius II. hatte ja den Plan gefasst, an der Spitze eines Kreuzzugsheeres ins Heilige Land aufzubrechen.327 1518 hatte sich der Dominikaner-Orden bereit erklärt, aus den zu ihm gehörigen 40000 Klöstern je einen Mönch für ein Kreuzzugsheer des Papstes zur Verfügung zu stellen.328 Dass Luther mit seiner Ablasskritik die Ablehnung des Kreuzzugsgedankens ganz ausdrücklich mit einschloss, machte er bald unmissverständlich klar: In seiner Conclusio zur 5. der 95 Thesen in den „Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute“ von 1518 wurde Luther wünschenswert deutlich, wenn er - in der ethographischen Zuschreibung noch ungenau - „turcas et tartarus aliosque infideles“ als „flagella et uirgam dei“329 bezeichnete. Diese Zuchtrute Gottes mahne in erster Linie zur Buße, meinte er. So wie sich einst nach biblischer Überlieferung die sündigen Niniviten bekehrt hatten,330 sollten dies nun auch die Christen tun. Dies war eine eher noch allgemein gehaltene Charakterisierung, die keinen spezifischen geschichtstheologischen Interpretationsrahmen hatte. Allerdings sollte die auch vorher schon geläufige Interpretation von den Osmanen als Gottesgeißel von der Reformation nun verstärkt aufgenommen werden.331 324 325 326 327 328 329 330 331 WA 30 II, 84. Ebd. Ebd. Helmrath, Pius II., 79ff. Fauth, Müntzer, 3. WA 1, 535, 35-39. Vgl. Buch Jona Vgl. Bohnstedt, Scourge. 73 Die Auffassungen Luthers hatte auch direkt-politische Auswirkungen. Auf eine Anfrage von Luthers Freund Georg Spalatin, einem politischen Berater des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen,332 im Dezember 1518, ob Luther einer „Expeditionem adversus Turca ex sacris literis“333 das Wort reden könne, äußerte er sich völlig ablehnend. Es könne mit dem Blick auf biblische Traditionen keinen Anhaltspunkt für die Möglichkeit eines Kriegszuges geben, da die Christenheit zuvor keine Buße getan habe. In den „Resolutiones Lutherania super propositione XIII. de potestate papae“ von 1519 legte Luther argumentativ nach und stellte fest, was der Papst tatsächlich tun solle: „peccaret etiam hodie Rhomanus pontifex, quod non pascit nec pastores mittit ad Turcas et alias gentes.“334 Luther erntete mit seiner theologisch bedingten Ablehnung eines Kreuzzuges, die ganz im Kontrast zur herrschenden katholischen Theologie stand, im von der römischen Kurie beherrschten Teil des Katholizismus völlige Ablehnung. In der päpstlichen Bannandrohungsbulle „Exsurge Domini“ von 1520 wurden Luthers Aussagen aus den „Resolutiones“ dahingehend verstanden, als habe Luther den Kampf gegen die Türken als einen Kampf gegen Gott, „visitandi iniquitatis nostras“335, abgelehnt. Ein Vorwurf, der Luther rasch und nachhaltig den Ruf militärischer „Feindbegünstigung“336 eintrug. So gab schon das „Türckenbüchlin“, eine Flugschrift von 1522, die sich gegen Überlegungen, sich der osmanischen Streitmacht nicht zu widersetzen, wandte, als einen Grund für die mangelnde Kampfbereitschaft der Christen die vermeintlich lutherische Lehre an, sich dem Feind entsprechend der Bergpredigt (Mt 5,39) nicht zu erwehren.337 332 333 334 335 336 337 Stupperich, Reformation, 242. WA Br 1,282. Einen Vorwurf, den Luther insofern auch produktiv umsetzte, indem er dass Projekt einer protestantischen Mission unter den unter osmanischer Herrschaft lebenden Südslawen unterstützte, vgl. Gensichen, Missionsgeschichte, 7. Zit. in WA 30 II, 93. Blöchle, Heidentum, 177. WA 30 II, 93. 74 Die päpstliche Bulle und die übrige Kritik nötigten Luther zunächst einmal, seine Äußerungen zu präzisieren. In seiner Schrift „Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind“, ging er darauf ein und wehrte sich gegen die Vorwürfe, die ihm gemacht wurden. Dadurch, dass die Schrift in deutscher Sprache abgefasst wurde, wandte sie sich an die breite Öffentlichkeit. Das galt von nun an für die weit überwiegende Zahl von Luthers schriftlichen Äußerungen zu den „Türken“: „Ach wie schendlich hatt unß Der Bapst, mit dem Turcken streytt, nu lange zceytt umbfurret, umbs gellt bracht unnd so vile Christen vertilgett unnd ungluck angericht. ... Nu hab ich dissen artickel nit also gesetzt das widder den Turcken nit zcu streytten sey wie der heylige ketzer mecher der bapst myr alhie ausslegt sondern wyr sollten zcuvor unß bessernn unnd eynen gedigen gott machen. Nit einen plümppen: auffs babsts ablasß vorlassen ... . Gott fragt nit nach kreutzen, ablaß, streytten. Er will eyn gutt leben haben.“338 Damit war klar, dass Luther einen Krieg gegen die Osmanen nicht grundsätzlich ablehnte, er ihn jedoch aber ohne vorherige Buße der Christenheit für sinnlos hielt. Luthers Äußerungen sind hier rein theologisch geprägt. Eine politische Analyse der türkischen Gefahr findet sich nirgends. Allerdings kann dies nur bedingt als Vorwurf gegenüber Luther gewertet werden, denn in der Unterschätzung des Expansionsdranges war er sich mit der weit überwiegenden Zahl seiner Zeitgenossen damals noch einig. Insofern gibt Luther in dieser Zeit der „Türkenfurcht“ keinen argumentativen Raum. Auffällig ist darüber hinaus, dass Luther zunächst auch weder das dogmatische noch das apokalyptische Interpretationsmodell für die „Türkenproblematik“ heranzog. Es zeigt, wie wenig ausgebildet zu diesem frühen Zeitpunkt noch seine Haltung zu den Osmanen war. Lediglich das straftheologische „Zuchtruten-Motiv“, also die Osmanen als Strafe für die Sünden der Christen, das auch schon bei Cusanus oder Grünpeck als Bestandteil des apokalyptischen Modells begegnete, findet sich bei Luther. 338 WA 7, 443. 75 Doch bald sollte der Reformator immer stärker apokalyptische Motive aufnehmen. Drei Tage vor dem schon erwähnten Schreiben an Georg Spalatin 1518 äußerte Luther in einem Brief an Wenzelslaus Linck erstmals die Vermutung, der Papst sei womöglich der Antichrist und als solcher schlimmer als die „Türken“. „Mittam ad te nugas meas, ut videas, an recte divinem Antichristum illum verum et intentatum a paulo in Roman curia regnare; peiorem Turcis esse Romanum hodie puto me demonstrae posse.“339 Dies war im Rahmen der kirchenkritischen Äußerungen des späten Mittelalters zwar, wie gezeigt, kein ungewöhnlicher Gedanke,340 aber für Luther doch eine neue und bestürzende Erkenntnis. Walter Nigg hat es anschaulich formuliert: „Ein metaphysisches Entsetzen durchzitterte seine Seele.“341 Die seelische Erschütterung, die Luther erfasst haben mag, zeigt aber auch etwas anderes: Luther partizipierte stark an den Antichrist-Vorstellungen seiner Zeit. Sie waren für ihn nicht bloß polemische Rede, sondern Ausdruck einer Wirklichkeit, die nun sogar gegenwärtig erschien. Dies war für die Reformation von folgenschwerer Wirkung. Mit Luthers Grundentscheidung, die Rede vom Antichrist in sein reformatorisches Reformation an der Konzept aufzunehmen, mythisch geprägten partizipierte Geschichts- die und Wirklichkeitsschau des Spätmittelalters. Das Luthertum sollte in der Folgezeit der eigentliche Erbe der spätmittelalterlichen Apokalyptik werden.342 „The discovery of the Antichrist was the dark completment to Luther’s rediscovery of the Gospel“343. Tatsächlich hat Luther sich dann in den Jahren 1518 bis 1520 intensiv mit der Geschichte des Papsttums auseinandergesetzt und seine Annahme bestätigt gefunden.344 Luther kam dabei zu dem Ergebnis, dass das Papsttum seit der Entwicklung der hochmittelalterlichen Papstkirche und ihrem etwa im „Dicatus papae“345 Gregors VII. 339 340 341 342 343 344 345 Vgl. Mau, Türken, 647. Vgl. Seebaß, Antichrist, 28ff. Nigg, Reich, 206. Andermann, Geschichtsdeutung und besonders die Werke von Leppin, Antichrist und Barnes, Prophecy. Barnes, Prophecy, 44. Vgl. Schwarz, Wahrheit, 159ff. Zit. in Le Goff, Hochmittelalter, 89f. 76 geäußerten Anspruch auf Weltherrschaft, symbolisch verdeutlicht im nun begonnenen Tragen der Tiara, der dreifachen Krone der persischen Großkönige,346 und im Gebrauch kirchlicher Machtmittel zu rein politischen Zwecken, tatsächlich den Antichrist darstelle. Der Antichrist als nach biblischer Überlieferung aus dem Inneren der Kirche entstehender Widersacher Christi347 schien unter diesen Prämissen tatsächlich in der Institution des Papsttums erkennbar zu sein. Ließ dieses doch genau wie der Antichrist nach Luthers Auffassung das Wort Gottes - so wie er es nach seinem Selbstverständnis neu erkannt hatte - nicht gelten und stellte seinen Machtwillen über dasselbe.348 Dieser Anspruch konnte für Luther nicht mit Gewaltmitteln beseitigt, sondern nur durch geistliche Deutung entlarvt werden.349 In den großen Reformationsschriften von 1520 ist der Gedanke vom Papsttum als Institution des Antichrist schon deutlich ausgebildet. Man wird wohl recht darin gehen, wenn man noch einmal mit Walter Nigg die subjektiv von Luther selbst empfundene Lage so beschreibt: „Luthers Kampf gegen die dämonische Gewalt des Papsttums darf nicht nach modernen Gesichtspunkten beurteilt werden, die mit affektloser Objektivität Größe und Verderbnis dieser Institution abzuwägen imstande sind. Luther stand in einer Kampfessituation, die letzte Wahrheiten bedroht sah, und hieraus erklärt sich auch seine Unnachgiebigkeit. In diesem gewaltigen Ringen ging es ihm trotz unflätigen Kampfbildern nicht um ein kleinliches Gekläff, wie es der konfessionellen Polemik sonst eigen ist. Ein abgrundtiefer Hass loderte in Luther, wie er elementarer nicht sein konnte, der ihn auch vor den schwersten Beschuldigungen, über die seine heutigen Anhänger betreten schweigen, nicht zurückschrecken ließ. Der Wittenberger Reformator kannte kein verlegenes Vertuschen. Wer die Wahrheit des 346 347 348 349 Hubschmid, Aufschwung, 62. 1. Joh. 2,18f; 2. Thess 2. Vgl. May, Geschichte, 213. Ebd. 77 Evangeliums unterdrückt, verdient es, dass gegen ihn Himmel und Hölle beschworen werden.“350 Luthers Einschätzung der Osmanen wurde nun von dieser Einsicht her zunehmend aber doch nur langsam ansteigend dominiert. Den „Türken“ kam in diesem jetzt apokalyptischen „setting“ eine Funktion zu. Allerdings blieben sie für die nächsten Jahre dem Reich noch fern. Die Osmanen waren wohl auch deshalb doch noch außerhalb des eigentlichen Blickfeldes Luthers, und es finden sich zunächst eher sporadische und durchaus wohlwollende Äußerungen zu ihnen. Dies ist der Fall, wenn etwa 1521 in der Schrift an den christlichen Adel, der ja der Hoffnungsträger für Luthers Reformpläne ist, diesem die gute Staatsführung der Osmanen vorgehalten wird. „Man sagt, das kein feyner weltlich regiment yrgend sey, dan bey dem Turcken, der doch wider geystlich noch weltlich recht hat, sondern allein seinen Alkoran, so mussen wir bekennen, das nit schendlicher regiment ist, dann bey unns, durch geystlich und weltlich recht, das kein stand mehr gaht naturlicher vornunfft, schweyg der heyligen schrifft gemeß.“ 351 Dem appellativen Charakter der Schrift entsprechend scheut sich Luther also nicht, die heftigen Gegner des Christentums eben diesem als Vorbild hinzustellen. Noch ist seine Ständekritik geprägt von Optismus und der Hoffnung, dass es in Deutschland besser werde. In Luthers Schrift über das eheliche Leben ist ganz selbstverständlich vom Handel und Wandel, ja eben auch von der Ehe zwischen Christen und Muslimen die Rede.352 Ein voll ausgebildetes apokalyptisches Interpretationsmodell sähe anders aus! An der „anthropologischen Wende“353 partizipiert Luther hier in vollständiger Weise. Es werden erst seine dezidiert theologischen Äußerungen sein, die diese Wende dann doch wieder überdecken. 350 351 352 353 Nigg, Reich, 208, der im übrigen die apokalyptische Erwartung im Sinne eines kosmischen Geschehens zugunsten einer Verbindung mit der Innerlichkeit zurückstuft. WA 6,459. WA 10 II, 278. Vgl. Bödeker, Humanität. 78 Insgesamt galt für Luther: Die Osmanen waren nicht militärisch, sondern nur geistlich zu besiegen. Klar wird damit auch, dass Luther nicht an einer politischen Analyse der Gegebenheiten gelegen war, sondern dass diesbezügliche Stellungnahmen theologisch überformt blieben. Die eigentliche Bedrohung stellten für Luther nicht die Osmanen, sondern das Papsttum dar. 3.1.3. Die Verknüpfung von „Türkenfrage“ und „Causa Lutheri“ im politischen Bereich Der seit 1522 Vorgänger amtierende Papst Hadrian IV. versuchte wie sein Leo X. erneut die christlichen Fürsten zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Osmanen zu gewinnen, blieb aber ebenso wie dieser erfolglos. Das besonders gefährdete Ungarn unterstütze Leo jedoch mit Geldmitteln.354 Hilfe für das gefährdete Königreich ging von den eigentlich besonders involvierten Habsburgern nicht aus, da sie sich in der „Türkenfrage“ zurückhielten. Allem Anschein nach hat Karl V., der seit 1519 als römisch-deutscher Kaiser amtierte, mit seiner diesbezüglichen Rolle und dem Tatbestand der osmanischen Expansion keine apokalyptischen Vorstellungen verbunden, wie sie in Deutschland gehegt wurden.355 Offensichtlich dachte Karl aus einer dezidiert spanischen Perspektive. Nach den Erfolgen der Reconquista, Karl war acht Jahre nach der Eroberung Granadas, des letzten islamischen Territoriums auf iberischem Boden, geboren worden, gab es für ihn allerdings auch keinen Grund für ein apokalyptisches Krisenbewusstsein. Zudem war für die spanische Krone mit der ebenfalls 1492 erfolgten Entdeckung Amerikas eine „Neue Welt“ erobert worden. Der junge Kaiser hing - maßgeblich beeinflusst durch seinen Großkanzler Gattinara356 - eher an dem Plan einer christlichen Universalmonarchie, die den Vorstellungen seines Großvaters 354 355 356 Maximilian ähnelte, allerdings mit dem Pastor, Päpste IV/2, 106ff. Möhring, Weltkaiser, 304. Rabe, Religionspolitik, 319; vgl. auch Rassow, Kaiser-Idee; Brandi, Weltreichsgedanke. für die 79 Reformationsgeschichte so entscheidenden Unterschied, dass Karl diese Pläne fest mit der Papstkirche verband.357 In den iberischen Monarchien waren diese universalistischen Vorstellungen auf dem Hintergrund der skizzierten zeitgeschichtlichen Ereignisse um 1500 virulent. Verbunden mit der Annahme einer geschichtlich nachweisbaren Wanderung der Weltherrschaft von Ost nach West glaubte man sich zur Führung der christlichen Welt berufen, ja dazu befähigt, das Weltende im Sinne von 2. Thess 2,7 (kat’ echon) aufzuhalten, eine Aufgabe, die traditionell dem Römischen Reich bzw. seinen translationes zugesprochen wurde.358 Wie deutlich diese universalistischen Pläne zutage traten, zeigt das Verhalten der kastilischen Beamtenschaft. Diese feierte Karl nach seiner Wahl zum römisch-deutschen Kaiser als Nachfolger Karls des Großen, der westliche und östliche Christenheit unter seiner Herrschaft vereinigen und das Heilige Land erobern werde.359 Auf Karl bezogen sich damit Vorstellungen, die zunächst der französische König Karl VIII. aktiviert hatte.360 Kaiser Karl als Herrscher eines Reiches, in dem, wie es bald hieß, „die Sonne nie untergeht“, schien noch deutlicher als das französische Königtum für solche Anschauungen prädestiniert. Karls Großkanzler Gattinara rief ihm zu: Ihr seid „auf dem Wege zur Weltmonarchie, zur Sammlung der Christenheit unter einem Hirten.“361 Einer der ersten Indiander-Missionare schrieb unter ausdrücklichem Bezug auf das Vier-Monarchien-Schema des Daniel-Buches, besonders Dan 2,45, an Karl: „Was ich nun von Eurer Majestät erbitte, ist, das fünfte Reich Jesu Christi zu vollenden, welches der Stein, der ohne Hände aus dem Berg herabgerissen wurde, symbolisiert. Dieses muss sich ausdehnen, um die ganze Erde zu umspannen.“362 Der Bezug auf die danielische Weissagung bedeutete also im Umfeld Karls nicht Untergang sondern Vollendung! Die unterschiedlichen 357 358 359 360 361 362 Rabe, Religionspolitik, 317. Vgl. Delgado, Traum, 252ff. Möhring, Weltkaiser, 305. Delgado, Traum, 255. Ebd., 256. Zit. in Delgado, Traum, 259. 80 Mentalitäten werden deutlich: Während das Papsttum die Osmanen zumindest in der polemischen Auseinandersetzung als Antichrist sah und Luther wiederum im Papsttum selbst den Antichrist entdeckte, schickte sich Karl an, eine Weltmonarchie zu errichten, das fünfte, von Daniel vorhergesagte Endreich. In diesem Zusammenhang konnte dann von einer apokalyptischen „Türkenfurcht“ keine Rede sein. Die Osmanen waren in dieser Perspektive lediglich ein Keil, der sich zwischen das europäische Reich Karls im Westen und das irrtümlich im Osten angesiedelte und von Westen her entdeckte „Indien“ (Indianien) schob, aber keine wirkliche endzeitliche Gefahr. Doch nicht nur Karls Denken, auch seine Politik war von dieser spanischen Perspektive geprägt. Die Auseinandersetzung mit den Osmanen suchte er primär in Nachfolge dieser spanischen Tradition im Mittelmeer. Der Krieg mit ihnen in Südost-Europa sollte die Angelegenheit seines Bruders Erzherzog Ferdinand werden.363 Bald jedoch wurde dieses aus iberischer Sicht angemessene aber aus mitteleuropäischer Perspektive unzureichende Verhalten der Habsburger ihnen auch selbst deutlich. Mit der Übersiedlung Marias von Habsburg als Frau König Ludwigs nach Ungarn, begann man in der Familie Habsburg nach der anfänglichen Zurückhaltung zögerlich klarer zu sehen: Maria schilderte ihren Brüdern Ferdinand und Karl in zahlreichen Briefen die Bedrohlichkeit der Osmanen für Ungarn und das Reich. Es gelang ihr aber zunächst nur schwer, Gehör zu finden.364 Ihr Bruder Ferdinand näherte sich jedoch einer realistischen Bedrohung der „Türkenproblematik“ im wahrsten Sinne des Wortes immer mehr an. Seit 1521 war Ferdinand Statthalter seines Bruders in Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain, seit 1522 auch in Tirol und Friaul.365 Im Jahre 1521 kam Ferdinand selbst zum ersten Male nach Österreich. Ihm musste die türkische Gefahr nun näher liegen als Karl, der stärker in der Auseinandersetzung mit Franz I. gebunden war. Ein weiterer Grund kam für Karl möglicherweise hinzu, sich in der „Türkenfrage“ zunächst 363 364 365 noch Zurückhaltung Seibt, Karl, 89. Tamussino, Maria, 75. Vajda, Austria, 228. aufzuerlegen. Die osmanische 81 Bedrohung hinderte seinen Bruder, der ja auch eine zeitlang als Prätendent für das Kaiseramt galt, gegen ihn militärisch vorzugehen.366 So war die innerhabsburgische Situation hinsichtlich einer Unterstützung des am meisten bedrohten Ungarn bzw. allgemein einer Auseinandersetzung mit den Osmanen nicht wirklich klar. Doch die Zurückhaltung gegenüber einem „Türkenzug“ betraf eben nicht nur die Habsburger und die Reichsstände, sondern auch die Bevölkerung. In Deutschland vermutete man „an imperial and papal plot to divert attention from critical German conditions and enrich the papacy at the expense of the German people.“367 Luthers o.g. Argumentation konnte sich also auf eine weit verbreitete Grundstimmung in der Bevölkerung stützen, die er gleichzeitig weiter beförderte. Sowohl der Reichstag von Augsburg 1518 als auch der Reichstag von Worms 1522 waren stärker von den Auseinandersetzungen um Luther denn von der „Türkenfrage“ geprägt: Auf dem Reichstag in Augsburg 1518 verhandelte der päpstliche Gesandte Cajetan neben der „Causa Lutheri“ auch die Kreuzzugsfrage. Cajetans Darlegungen hinsichtlich der Notwendigkeit der Erhebung von Steuern für einen Kreuzzug waren ein vollständiger Misserfolg. Die Stände lehnten diese, nicht ohne Verweis auf die bisher unnötig erhobenen Kreuzzugssteuern, rundweg ab und erneuerten stattdessen ihre Gravamina. Wenn eine anonyme Flugschrift in diesen Tagen behauptete, der wahre „Türke“ sitze geldgierig in Rom,368 so kann daraus ein Eindruck von der Stimmung in Deutschland gegenüber den Kreuzzugsplänen gewonnen werden. In Worms 1521 sah es nicht anders aus, als ein ungarischer Gesandter mit einem dramatischen Hilferuf, der faktisch ungehört verhallte (s.u.), scheiterte. Selbst nach dem Fall von Belgrad 1522, war man von Seiten der deutschen Stände auf dem Reichstag in Nürnberg 1522 nur bereit, statt der geforderten 24000 Soldaten 4000 Soldaten den Ungarn zur Verfügung zu stellen, doch auch Kaiser Karl selbst sah anders als sein Bruder Ferdinand noch keinen dringenden Handlungsbedarf. 369 366 367 368 369 Ebd.,. Fischer-Galati, Imperialism, 17. Pastor, Päpste IV/1, 169. Fischer-Galati, Imperialism, 21. 82 Erst auf dem nächsten Nürnberger Reichstag 1524 wurde deutlich, dass sich nun auch der Kaiser entschlossen hatte, die osmanische Frage offensiv anzugehen. Die Reichsstände ließen sich jetzt dazu herbei, eine Hilfe von 12000 Fußsoldaten und 4000 Infanteristen in Aussicht zu stellen, verbanden die Unterstützung allerdings mit einem Entgegenkommen Karls in der Frage einer Einberufung eines Nationalkonzils zur Klärung der offenen religionspolitischen Fragen, was dieser wiederum zurückwies.370 Die Gründe dafür lagen auf der Hand. Eine widersprach nationalpolitische Karls Konzept oder einer nationalkirchliche durch ihn Lösung repräsentierten Universalmonarchie. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass die der lutherischen Lehre zuneigenden Reichsstände hinsichtlich der „Türkenproblematik“ noch keine grundsätzlich andere Position einnahmen als die altgläubigen Stände. Der Kurfürst von Sachsen war sogar eher bereit, die Habsburger in ihrem Kampf gegen die Osmanen zu unterstützen als manche Katholiken.371 Nicht zuletzt, weil der kursächsische finanzielle Beitrag dringend gebraucht wurde, wurde die „Luthersache“ einstweilen weiter zurückhaltend behandelt.372 Luther selbst nahm im Zusammenhang des Reichstages von Nürnberg eine sehr eindeutige Position ein, die die vorhergehende, die einen Kriegszug gegen die Osmanen nicht völlig ausschloss, wieder zu revidieren schien. Nachdem der Reichstag in einem Edikt sowohl die lutherische Lehre als Ketzerei verworfen als auch zum Kampf gegen die Osmanen und zur Zahlung einer diesbezüglichen Steuer aufgerufen hatte, wandte sich Luther gegen dieses Unternehmen. In der Schrift „Zwei kaiserliche uneinige und widerwärtige Gebote den Luther betreffend“373 sprach er sich, bei seiner Auffassung von der Notwendigkeit vorheriger Buße bleibend, nun sogar auch gegen „solch 370 371 372 373 Ebd., 21ff. Ebd., 24. Hauschild, Kirchen- und Dogmengeschichte II, 50. Luther bezog sich dabei sowohl auf die Reichsacht von 1521 als auch auf das Nürnberger Edikt von 1524. 83 elende verblente Fursten“374 aus, die die Menschen aufforderten gegen die Osmanen zu ziehen. Nachdem Suleiman im Sommer 1524 mit einem Kriegszug gegen seinen abtrünnigen Statthalter in Ägypten militärisch gebunden war, schien sich die Situation weiter zu entspannen. Von einem dauernden Abebben der Gefahr konnte jedoch nicht gesprochen werden. Auf dem nächsten Reichstag 1526 in Speyer drängte Ferdinand in seiner Eröffnungsansprache auf eine rasche und deutliche Unterstützung der Ungarn.375 Ein ungarischer Gesandter trug die schon zur Routine gewordenen Bitten des ungarischen Königs um Unterstützung vor, ohne etwas zu erreichen.376 Die Reichsstände bestanden darauf, zunächst die religionspolitischen Fragen, wie etwa die Einberufung eines Nationalkonzils zu klären, bevor hinsichtlich der „Türkenhilfe“ entschieden werde.377 Mit Landgraf Philipp von Hessen und dem neuen sächsischen Kurfürsten Johann waren in den Reichsständen nun zwei Fürsten vertreten, die sich bewusst auch als Anführer der Evangelischen verstanden. Nachdem sich schon einzelne altgläubige Stände politisch enger zusammengeschlossen hatten, gründeten Kursachsen und Hessen im Februar den „Torgauer Bund“ der ein lutherisches Gegenstück gegen den katholischen „Regensburger Bund“ wurde. Damit waren die Reichsstände nicht nur religiös, sondern auch politisch zunehmend gespalten. Die Weisung des in Speyer nicht anwesenden Kaisers Karl, auf einer strikten Durchführung des Wormser Ediktes im Reich zu bestehen, erwies sich angesichts der konkreten politischen Umstände als nicht durchführbar. Nachdem Karl Ende Juli von seiner Anweisung an seinen Bruder abgerückt war, entschloss sich Ferdinand, der die militärische Unterstützung gegen die Osmanen dringend benötigte, dazu, die Forderung der Reichstände in der Konzilsfrage zu akzeptieren und die Durchführung des Wormser Ediktes einstweilen den Ständen zu überlassen, was dieses in den der lutherischen Lehre anhängenden 374 375 376 377 WA 15, 277. Fischer-Galati, Imperialism, 25. Tamussino, Maria, 101. Fischer-Galati, Imperialism, 25. 84 Gebieten faktisch suspendierte. Dafür erklärten sich die Stände auf dem Reichstagsabschied vom 27.8.1526 bereit, die schon lange geforderten 24000 Soldaten zur Verfügung zu stellen.378 Doch kam diese Hilfe zu spät. Zwei Tage später fand die Schlacht von Mohács statt. Sie endete mit einem entscheidenden Sieg der Osmanen und einer Katastrophe des ungarischen Heeres. 3.2. Andere geistige Stimmen der Zeit 3.2.1. Die Humanisten Ulrich von Hutten, Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon Nicht nur die Reformation, sondern auch der Humanismus - beide Bewegungen sind ohnehin nicht immer fein säuberlich von einander zu trennen - beschäftigte sich mit der „Türkenproblematik“. Durch die Humanisten wurde insbesondere die Kreuzugshistoriographie vorangetrieben und der Kreuzzugsgedanke, der sich nun weniger auf die Eroberung des Heiligen Landes, denn auf die Bezwingung der Osmanen richtete, aktualisiert.379 Dies lag nicht zuletzt daran, dass es auch vor den Osmanen seit 1453 aus Konstantinopel geflohene Gelehrte waren, die die neue Geisteshaltung mit beförderten.380 Die Stellung zu einer militärischen Auseinandersetzung mit den Osmanen war unter den Humanisten jedoch keineswegs einhellig. Zahlreiche Humanisten wie Sebastian Brant und Jakob Wimpheling sprachen sich für einen Kreuzzug gegen die Türken aus.381 Nachhaltig wirkte in diesem Sinne der Reichsritter Ulrich von Hutten (1488-1523). Schon 1511 verfasste von Hutten eine „Exhortatio“382 an Kaiser Maximilian, die deutlich papstkritische und national-humanistische383 Züge trug. Von rechtlicher Seite her sah von Hutten hier den Weltkreis dem Kaiser und nicht dem Papst unterstellt. Deshalb sollte der Kaiser 378 379 380 381 382 383 Ebd., 26. Die konkrete Entscheidung zur Hilfe gegenüber Ungarn fiel schon einige Tage früher, vgl. Ney, Speier, 36. Andermann, Geschichtsdeutung, 32. Flake, Hutten, 36. Fischer-Galati, Imperialism, 10. Ad Divum Maximilianum Caesarem Augustum Felicem Pium Bello in Venetos Euntem Ulrichi Hutteni Euitis Exhortatio, Wien 1512. Bautz, Art.: Hutten, 1222. 85 nach seiner Auffassung gegen ihm nicht botmäßige Länder wie das Osmanische Reich in den Kampf ziehen.384 Dass Hutten ganz auf der Linie des Monarchen mit solch einer Ermahnung lag, zeigt nicht nur Maximilians zurückhaltendes Verhalten gegenüber den päpstlichen Kreuzzugsbestrebungen, sondern auch seine Ehrung Huttens. Er krönte ihn 1517 zum „Poeta Laureatus“ und ernannte ihn zum kaiserlichen Orator.385 Noch entschiedener als zuvor wandte sich Hutten der Frage eines Türkenkrieges zu, als diese Problematik auch auf den Reichstagen ab 1518 wieder akut wurde. In seiner Ermahnung „Ad principes Germanos ut bellum Turcis inferant“ führte er 1518 den christlichen Fürsten die Folgen einer osmanischen Herrschaft vor Augen: „Wollt ihr lieber das türkische Joch tragen als die Welt beherrschen? ... Lasst euch nicht länger mahnen, schlichtet eure Streitigkeiten und macht euch vereint gegen die Türken auf!“386 Bemerkenswert ist eine Begründung, die Hutten für den Krieg gibt. Durch die Missernten des Vorjahres, so führt er aus, sei in der einfachen Bevölkerung ein gefährlicher Unmut entstanden, der am besten in eine auswärtige Expedition abgelenkt werde. Doch ähnlich wie bei Luther scheint noch mehr das Papsttum im Mittelpunkt der hutten’schen Kritik zu stehen. Deutlich spricht Hutten die Vorwürfe an, dass die Päpste immer wieder einen Türkenkrieg ausgerufen hätten, um die damit verbundene Türkensteuer erheben zu können. Das Amt des Papstes ist es für Hutten aber, Frieden zu predigen. Der Papst und die Kurie sollen sich also in diesem Unternehmen zurück halten, es reicht schon aus, wenn sie es nur nicht stören. Wahrscheinlich, so polemisierte er, gönne das Papsttum den Türken eher als den Deutschen einen Machtzuwachs.387 Aufgrund dieser heftigen Kritik konnte die Schrift zunächst nur in einer entschärften Fassung veröffentlicht werden, erst ein Jahr später 384 385 386 387 Vgl. Flake, Hutten, 101. Bautz, Art.: Hutten, 1222. Zit. in Ebermann, Türkenfurcht, 20. Vgl. WA 30 II, 90. 86 entschloss sich von Hutten dann doch dazu, die ganze Ermahnung zu publizieren.388 Hutten, der Ritter und Humanist, verwendet in seinen Schriften weder das dogmatische noch das apokalyptische Modell. Er ist rein politisch interessiert und sieht in den Osmanen ganz im Unterschied zu Luther deshalb primär auch den politischen Gegner. Mit seinen wiederholten Aufforderungen zu einem „Türkenzug“ und seinen Schilderungen der Auswirkungen einer osmanischen Herrschaft kann er anders als der frühe Luther als ein Exponent der „Türkenfurcht“ angesehen werden. Anders sieht dies bei Erasmus von Rotterdam aus. Er zählte zu den prominentesten Kriegsskeptikern im humanistischen Lager. Erasmus nutze die „Türkenfurcht“ zum Spott auf die bestehenden Verhältnisse. Im „Lob der Torheit“ 1509 sprach er sich gegen einen Krieg gegen die Osmanen aus, indem er ironischerweise die Torheit vorschlagen ließ, doch einmal „die Scotisten, diese Schreihälse, und die Occamisten, die Hartköpfe, und die Albertisten, diese Berserker, samt der ganzen Professorenarmee gegen die Türken und Sarazenen marschieren zu lassen. ... Das kühlste Herz muss ja Feuer fangen von ihren Geistesblitzen, der größte Dummkopf Laufschritt machen vor solcher Silbenstecherei, das schärfste Auge versagen vor ihrem dichten blauen Dunst.“389 Nachdem der Friedensgipfel in Cambrai 1517 nicht wirklich erfolgreich war, äußerte sich Erasmus tief enttäuscht über die Aussichten eines künftigen Friedens in Europa. Literarisch verarbeitete er noch im selben Jahr diese Enttäuschung in der „Querela Pacis“, die „Klage des Friedens“ in der Gestalt der Friedensgöttin: Hier kam Erasmus auch auf die Frage eines Kreuzzuges zu sprechen. Obwohl, wie die Friedensgöttin ausführt, alles den Menschen als vernunftbegabtes Wesen dazu einlädt, Frieden zu halten, lebt er doch in ständiger Zwietracht. Im Volk, bei Philosophen, Theologen, Klerikern, ja selbst bei Eheleuten, hat die Friedensgöttin keine Möglichkeit zu walten. Dies alles ist so, obwohl doch Christus selbst als geweissagter Friedensfürst 388 389 Flake, Hutten, 191, 199. Erasmus, Lob, 120. 87 gilt. Kriegführen ist deshalb im Namen Christi unmöglich: „Jeder, der Christus verkündet, verkündet den Frieden. Jeder, der den Krieg predigt, predigt den ärgsten Gegenspieler Christi.“390 Entschieden schärft nun die Friedensgöttin dem Leser die einträchtige Liebe als Zeichen der Christen ein: „Wenn du dich rühmst, ein Glied der Kirche zu sein, was hast du dann mit dem Krieg zu schaffen?“391 Selbst die Päpste, so klagt die Friedensgöttin, rufen zum Krieg auf, Prediger und Mönche hetzten das Volk auf. So sind die Christen, die als Christen gegen andere Christen kämpfen, als „Brudermörder“392 zu sehen, über die sich „der Türke“ lustig macht, weil man ihm letztlich in die Hände arbeitet.393 Anders sieht Erasmus die Dinge bei einem Kampf, in dem Christen „mit ehrlichem und frommen Eifer den Ansturm einfallender Barbaren abwehren“.394 Hier schließt er die Verteidigung nicht aus. Erasmus’ Ausführungen fehlt aber die Stringenz. So gibt er zu bedenken, wenn schon das Kriegführen zur Natur des Menschen dazu gehöre, könne man diese destruktiven Energien doch in einem Krieg gegen die „Heiden“ viel besser ableiten, so „wäre ein Türkenkrieg fraglos ein kleineres Übel, als wenn Christen so gottlos im Schlachtengetümmel aufeinanderprallten.“395 Erasmus wollte seine Ausführungen jedoch nicht als indirekte Aufforderung zum Krieg verstanden wissen. Offensichtlich befürchtete er, dass dieses geschehen könne, und so fügte er in die 1518 in Löwen erschienene Ausgabe als Glosse an den Rand hinzu: „Ein Krieg gegen die Türken darf nicht leichtfertig unternommen werden.“396 Diese Äußerungen zeigten Erasmus trotz taktischer Zugeständnisse eher im Lager der Kriegsgegner und damit auf Seiten Luthers. Allerdings ist Erasmus weit entfernt vom lutherischen Bußmotiv. Für ihn ist der Krieg unvernünftig und wider eine christliche Gesinnung. Die Äußerung, die überschüssigen aggressiven Energien, wenn schon, am besten in einem Krieg gegen die Osmanen abzuleiten, verrät eine 390 391 392 393 394 395 396 Erasmus, Klage, 32. Ebd., 41. Ebd., 57. Ebd., 58. Ebd., 67. Ebd., 68. Ebd., 106. 88 reichlich pragmatische Haltung, die ihn von Luther deutlich unterscheidet. Später kam Erasmus hinsichtlich eines Türkenkrieges zu einer anderen Auffassung, mit der er sich offensichtlich auch von dem vermeintlichen Kriegsgegner Luther distanzieren wollte. 1530 verfasste er eine eigene, unter dem Eindruck der Belagerung Wiens 1529 geschriebene Türkenschrift, „Utilissima consultatio de bello Turcis inferendo“.397 Ein Krieg gegen die Osmanen galt ihm nun – gegen „Lutheri dogma, quo censet, eos qui belligerantur cum Turcis, rebellare Deo“398 – als ultima ratio, nachdem alles andere unternommen worden sei, um eine friedliche Verständigung herbeizuführen. Die Trennung zwischen Erasmus und Luther, die zwischenzeitlich eingetreten war, zeigte sich auch in der Frage eines Krieges gegen die Osmanen. Erasmus machte sich nun die Vorwürfe der altgläubig-klerikalen Luthergegner (s.u.) zu eigen. Im übrigen spielte das Motiv der Missionierung399 der Osmanen bei Erasmus eine starke Rolle. Erasmus war insofern ein Vertreter der dogmatischen Interpretation des Islam, dies wird durch den Vorschlag der Missionierung implizit deutlich, doch hat ihn insgesamt, etwa im Unterschied zu Luther, die „Türkenproblematik“ keineswegs so bewegt, dass er etwa an irgendeiner Stelle eine Verbindung von Apokalyptik und osmanischer Bedrohung hergestellt hätte. Luthers sich bald herausbildende apokalyptische Grundhaltung wird Erasmus nie teilen. Er erwartet zuversichtlich ein „Goldenes Zeitalter“.400 Eine eigentümlich schwankende Rolle nimmt der junge Philipp Melanchthon (1497-1560) ein, der später einer, wenn nicht der wichtigste reformatorische Wegbegleiter Luthers werden sollte. In seiner ersten Fassung der von ihm angefertigten Rhetorik „De rhetorica libri tres“ von 1519, lehnte Melanchthon, offensichtlich in enger Anlehnung an Erasmus und seinen Lehrer und Verwandten Johann Reuchlin, den Türkenkrieg ab.401 Ob dies unbedingt die persönliche Meinung des Verfassers oder eher Probe rhetorischen Könnens war, 397 398 399 400 401 Erasmus, Opera 5, 345ff. Ebd., 5, 354. Ebd., 5, 357. Romano/ Tenenti, Grundlegung, 288. Maurer, Melanchthon, 126. 89 bleibt jedoch offen,402 denn der Befund ist bei Melanchthon nicht eindeutig. Wahrscheinlich ein Jahr zuvor noch hatte er in typisch humanistischer Manier403 eine Deklamation „Exhortatio Maximiliani Caesaris ad Bellum Turcis inferendum“404 verfasst, die dem Kaiser Maximilian in den Mund gelegt wurde und in der eine Befreiung von der osmanischen Gefahr durch Maximilian freudig begrüßt wurde.405 Melanchthon zog hier gar die Möglichkeit eines Präventivkrieges angesichts günstiger Umstände in Erwägung.406 In den späteren Ausgaben des „Chronicon Charionis“ wurde diese Rede Melanchthons eingefügt, wobei sie wiederum im Rahmen einer sog. „Neuen Zeitung“ zu finden war. Aus dieser „Zeitung von des Türckischen Tyrannen Selymi Sieg, geben ursach uff einen Zug wider die Türcken zu gedencken“407 soll hier aus der besagten Rede zitiert werden: Zunächst wird Maximilian als tapferer Kriegsheld beschrieben, was durch die Aufzählung seiner Kriegsunternehmungen deutlich werden soll. Danach wird herausgehoben, wie brennend für Maximilian ein konzertiertes Vorgehen der europäischen Mächte gegen die Türken nötig sei. Um auch den französischen König für dieses Unternehmen zu gewinnen, habe er gar im Streit um Mailand, nachgegeben. „Nach dem denn Europa zu gutem Friede gebracht“408, habe Maximilian den Reichstag nach Augsburg 1518 einberufen. In der Rede heißt es dann weiter: Wenn auch die Osmanen einen Krieg gegen das Reich bisher nicht angefangen hätten, so „erforderts doch die höchste notdurfft/ das Menschliche Geschlecht von diesem grawsamen und Gottlosen Volck zu erretten/ und so viel Nation und Völcker/ die von den Türcken unterdrücket sein/ aus der aller jemmerlichsten dienstbarkeit los und frey zu machen.“409 Maximilian/Melanchthon erinnert dann daran, dass er von Anbeginn seiner Regierung an einen Krieg gegen die Türken geplant habe, von 402 403 404 405 406 407 408 409 Ebd. Vgl. Hartfelder, Praeceptor, 297ff. CR 20, 453-472. Maurer, Melanchthon, 126. CR 20,461ff. Chronicon 1573, 1125ff. Ebd., 1130. Ebd., 1133 90 Frankreich in den italienischen Angelegenheiten jedoch gebunden worden sei. Nun sei es aber an der Zeit, nicht nur allgemein das Reich, sondern eben auch die eigenen Familien vor den Osmanen zu retten, denn das die „Türken“ irgendwann auch das Reich angreifen würden, stehe außer Frage. „Denn jre wahnsinnige Religion/ welche die Türcken einmal angenommen haben/ lesset sie keines weges ruhen und feyern/ sondern dringet und zwinget sie/ jre Herrschaft und Reich jmmer je lenger je weiter auszubreiten.“410 Es folgt nun eine Art „Abriss“ der osmanischen Geschichte, der die stets kriegerische Absicht der Osmanen deutlich zu machen versucht. Sie wird durch einen Hinweis auf die vermeintlich sittliche Liederlichkeit ihres Regimentes – „denn man fur züchtigen Ohren auch nicht reden und aussprechen darff, das jenige/ was sie ... für schande und unzucht treiben“ – bekräftigt. Melanchthon/Maximilian hält nun es nun für „leider allzu viel glaublich“411, dass es im römisch-deutschen Reich auch so gehen werde: „Nu halte ich es gentzlich dafur/ das kein Manlicher Blutstropff in einem solchen sein könne/ der sich solche Exempeln nicht bewegen lassen wollte“.412 Am Schluss seiner Rede schlägt Melanchthon/Maximilian eine neue Türkensteuer vor und befiehlt sein bzw. das gemeinsame Anliegen unter Bezug auf Psalm 20,8 Gott an: „Jene verlassen sich auf Wagen und Roß/ wir aber dencken an den Namen unseres Gottes.“413 Der Befund dieses Textes bleibt jedoch trotz der gegenteiligen Aussage wie in der „Rhetorik“ der gleiche. Die persönliche Meinung des Verfassers wird nicht deutlich. Möglicherweise handelt es sich auch hier um eine rhetorische Übung. Gerade mit dem „letzten Ritter“ Maximilian verbanden sich, wie gezeigt, hinsichtlich eines „Türkenzuges“ offensichtlich humanistische Hoffnungen. Melanchthon war dies nicht neu. Als Maximilian während des dortigen Studiums Melanchthons 410 411 412 413 Ebd., 1137. Ebd., 1140. Ebd., 1140. Ebd., 1142. 91 Heidelberg besuchte, verehrte ihm der Rektor der Universität Pallas Spangel eine Rede, in der er sowohl den künftigen Sieg Maximilians über die Gegner Christi wie auch die von Maximilian heraufgeführte Bekehrung der Türken pries.414 Ein weiteres Zeugnis aus den frühen Jahren Melanchthons ist die Schrift „Thomae Rhadini Todischi Placentini in Lutherum Oratio“, eine Verteidigungsrede für Luther, in der Melanchthon auch auf die dem Reformator gemachten Vorwürfe eingeht, gegen den Türkenkrieg zu sein. Der mittlerweile in Wittenberg ansässige Melanchthon zeigt sich jetzt unter dem Einfluss Luthers. Hier ist nun ein „Türkenzug“ für ihn keineswegs eine „fromme“ Angelegenheit. Statt dessen vertritt er die Auffassung Luthers, vor einem Krieg gegen die Osmanen solle erst einmal die Buße und Umkehr der Christen stehen und im übrigen sei Missionsarbeit den Christen angemessener als der Kampf gegen die Osmanen. Letztlich, so meint Melanchthon jetzt, sei der Aufruf zum Krieg gegen die Türken nur ein Vorwand, um besonders von päpstlicher Seite die eigenen Angelegenheiten und Ziele voranzutreiben.415 Er kann nun diesen wie bei Luther zwar nicht prinzipiell abgelehnten Krieg gegen die Osmanen lediglich als legitime Konsequenz einer geistlichsittlichen Erneuerung der Christenheit, nicht aber als vordergründig politisches Handeln verstehen. So ergeben die frühen Äußerungen Melanchthons zunächst ein uneinheitliches Bild, das jedoch in der großen Entwicklung seine Wendung vom humanistischen Philologen zum nun stärker reformatorisch geprägten Mitstreiter Luthers erkennen lässt. Deutlich wird, dass Melanchthon, wenn er von den Osmanen redet, zunächst in seiner Rhetorik und der Maximilian zugeschriebenen Rede rein politische Denkfiguren mit leichten Anklängen an die dogmatische Interpretation verwendet. Später kommt unter dem Einfluss Luthers das theologisch geprägte Bußmotiv hinzu. Eine irgendwie geartete Anknüpfung an die apokalyptischen Vorstellungen seiner Zeit ist noch nicht 414 415 zu finden. Für den Hartfelder, Melanchthon, 21. Vgl. Köhler, Melanchthon, 154f. Humanismus als nach eigenem 92 Selbstverständnis große Erneuerungsbewegung der abendländischen Welt musste die Annahme eines nahen Weltendes außerhalb seines Geschichtskreises liegen. Die Osmanen waren keine Truppen des Antichrist, sondern Heerscharen die zu besiegen und Menschen, die von wahren Christen, die zuvor selbst Buße getan hatten, zu missionieren waren. 3.2.2. Die „radikale Reformation“: Die „Zwickauer Propheten“ und Thomas Müntzer Mit der Reformation, die ja nie eine einheitliche Bewegung war, entstand auch ein radikaler Seitenzweig, der Luthers vermeintlich steckengebliebene Arbeit weiterführen wollte. Hier sollte sich bald eine von Luther und „seiner“ Reformation unterschiedene Deutung der politischen Ereignisse und damit verbunden der Geschichte entwicklen. Den Anfang damit machten die sog. „Zwickauer Propheten“: Nachdem Luther im Gefolge des Wormser Reichstages 1521 unter kurfürstlichem Schutze auf der Wartburg lebte, kam es in Wittenberg zu Unruhen. Unter Führung von Luthers Universitätskollegen Andreas Bodenstein, gen. Karlstadt, sollte hier die Reformation in radikaler Weise durchgeführt werden. Es kam zu ersten „Bilderstürmen“ in Wittenberger Kirchen und anderen quasi-revolutionären Ereignissen. Ende des Jahres 1521 kamen dann zwei Tuchmacher und eine Student aus Zwickau, wo reformatorischen Müntzer gelehrt Ereignisse. Sie hatte, in berichteten das von Zentrum der persönlichen Offenbarungen. Dabei wurde von ihnen auch vorhergesagt, dass der „Tuerck kuertzlich soll teutschland einemen“416. In fünf spätestens sieben Jahren sollten alle „Gottlosen“ vernichtet werden und damit offensichtlich eine Herrschaft der wahrhaft Frommen beginnen. Nachdem Luther im März 1522 nach Wittenberg zurückkam, brachte er schnell wieder Ruhe in das Gemeinwesen. Haften blieb bei ihm jedoch eine tiefe Reserve gegenüber allen „Schwärmern“, wie Luther die radikalen Reformatoren bezeichnete, und für lange Jahre eine an 416 Zit. in Hofmann, Johannes-Apokalypse, 242. 93 Ablehnung grenzende Haltung gegenüber der Johannes-Apokalypse, die für „Propheten“ ein Grundmuster ihrer Anschauungen darstellte.417 Erster führender Repräsentant dieser wiederum in sich uneinheitlichen „radikalen Reformation“418 wurde Thomas Müntzer (ca. 1490 -1525). Müntzer, aus dem Harz gebürtig, hatte zunächst eine Pfründe in Braunschweig inne, bevor er nach einer kurzen Zeit in Jüterborg als radikaler Prediger in Zwickau Aufsehen erregte, wo ihn der Rat der Stadt bald aus seinem Amt entließ.419 Müntzer selbst teilte Luthers Auffassung, die „Türken“ seien ein hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt innerchristlicher Buße zu sehendes Phänomen. So vertrat er ebenfalls die Ansicht, diese seien nicht mit Waffen, sondern nur mit geistlichen Mitteln zu besiegen. Im Übrigen drifteten beider Auffassungen aber besonders in der Frage der Bekehrung der Osmanen weit auseinander. Während Luther auf der biblischen Botschaft beharrte und stattdessen den Koran, besonders ab 1542 (s.u.), verdammte, suchte Müntzer nach einer gemeinsamen Ausgangsbasis für ein interreligiöses Gespräch. Dies war aber anders als bei den scholastischen Theologen für ihn nicht durch den Rekurs auf die menschliche Vernunft möglich, sondern durch eine spiritualistische Deutung der Religion. Dieses Verständnis sollte es nach seiner Auffassung möglich machen, dass auch „Heiden“ zum christlichen Glauben kommen konnten. Ausgangspunkt war dabei für ihn die Naturbetrachtung, die sog. „Göttliche Ordnung der Dinge“, die sowohl die Einsicht in die Auferstehung Christi als auch die Heilsnotwendigkeit seines Leidens zuließ. Beides leugneten ja die Muslime, die Müntzer aufgrund seiner Lektüre der „Confutatio Alcorani“ als von dem frühchristlichen Häretiker Marcion abstammend ansah. Zugunsten einer geistlich-naturhaften Erfassung des wahren christlichen Glaubens verwarf Müntzer hingen den Rekurs auf Bibel oder den Koran ausdrücklich, da dies nur Glaubensstreitigkeiten mit sich bringen würde.420 Müntzers Islam-Interpretation bewegt sich 417 418 419 420 Hofmann, Johannes-Apokalyse, 355. Zur Begrifflichkeit vgl. Hauschildt, Kirchen- und Dogmengeschichte II, 75. Ebd., 77f. Vgl. Fauth, Müntzer, 1ff. 94 zunächst zwar im Rahmen des dogmatischen Modells, doch hat sie von Anfang an die Besonderheit, dass sie - etwa im Unterschied zu den Scholastikern - die Wahrheit zwar in der christlichen Religion, jedoch nicht in der vorgefundenen Kirche gegeben sieht. So wendet sich Müntzer sowohl gegen den Islam als auch gegen das reale kirchliche Christentum. Neben dieser stärker allgemein-theologischen Note wurde aber bald das apokalyptische Modell in Müntzers Meinungsbildung vorherrschend. Im Sommer und Herbst 1521 hielt sich er nach seinem Scheitern in Zwickau in Böhmen auf, einer „religiöse Landschaft“, die durch das Auftreten des Jan Hus, die Hussitenkriege und die Taboriten - eine von Hus herstammende Gruppe, die joachimitisch-chiliastische Gedanken vertrat - für revolutionäre und apokalyptische Gedanken einen reichen Nährboden darstellte. Mit Hilfe der Böhmen sollte nach Müntzers Vorstellungen hier nun offensichtlich die Scheidung der „wahren“ von der „falschen“ Kirche beginnen.421 Im „Prager Manifest“422 vom November 1521, mit dem Müntzer das Gehör der Öffentlichkeit in Prag zu gewinnen versuchte,423 bricht nun die apokalyptische Erwartung Müntzers durch. Er selbst sieht sich von Gott dazu berufen, der Menschheit das nahende Unheil und das Gericht über eine unbußfertige Kirche zu verkündigen. Dies alles geschieht unter ausdrücklichem Bezug auf das Zeugnis des Heiligen Geistes, dem gegenüber Müntzer die Bibel und besonders das reformatorische Schriftprinzip, wenn auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit ausdrücklichem Bezug auf denselben,424 verwirft.425 Nicht mehr „dye pfaffen unde affen sollten dye cristliche kirche seyn, sundern es solln dye auserweleten freunde Gots wort auch lernen prophetien“.426 Wenn es zu dieser Reformation im Sinne der „Kirche der Auserwählten“ nicht komme, so prophezeite Müntzer, würden die Osmanen den Sieg über die Christen davon tragen: „Wirsthu das nicht tun, so wirt dich Gott 421 422 423 424 425 426 Maron, Gericht, 357. Müntzer, Schriften und Briefe (MSB), 495. Wolgast, Müntzer, 26ff. Ebd., 28. MSB, 492. Ebd., 494. 95 lassen dorch den Turken ym czukunfftigem iar erslagen. Ich weysz vorwar, was ich rede, das es also ist.“427 Die Türken sind also wie bei Luther die verdiente Strafe für den Ungehorsam der Kirche, doch kommt nun bei Müntzer eine apokalyptische Zuspitzung hinzu, die bei Luther hier noch fehlt. In der erweiterten deutschen Fassung428 des „Prager Manifests“ werden Müntzers Vorstellungen über die endzeitlichen Geschehnisse noch etwas deutlicher. Sie lassen im Unterschied starke chiliastische Ideen erkennen : „Wer do solche vormanünge wyrt vorachten, der ist itzund schon uberantwort in die hende des Türken. Nach wilch wutende brunst wyrth der rechte personliche enthechrist regyren, das rechte kegenteyl Christi, der yhm kortzen wyrt das reich dysser welt geben seinen auserwelten in secula seculorum.“429 Deutlich geht Müntzer also hier davon aus, dass entsprechend der biblischen Offenbarung die Auserwählten durch die Herrschaft des Antichrists hindurch bewahrt werden, um danach mit ihm im Tausendjährigen Reich zu herrschen.430 Dies ist wohl das markanteste Merkmal Müntzers, dass er unter eindeutigem Bezug auf Joachim von Fiore, den chiliastischen Gedanken in die radikale Reformation eingebracht hat.431 In welchem Verhältnis die Osmanen nun zum Antichrist stehen, wird jedoch nicht ganz deutlich. Offen bleibt, ob sie dessen Herrschaft lediglich vorbereiten oder auch verkörpern. Klar ist jedoch, dass bei Müntzer das apokalyptische Modell zunehmend dominierender wird. Dies zeigen die nächsten Ereignisse. Von Ostern 1523 bis August 1524 amtierte Müntzer in Allstedt als Pfarrer. In der berühmten „Fürstenpredigt“ unter dem Titel „Auslegung des andern Unterschieds Danielis“432 vor Herzog Johann von Sachsen, dessen Sohn Johann Friedrich und wichtigen kursächsischen Regierungsvertretern, wie dem 427 428 429 430 431 432 MSB, 494. Ebd., 495ff. Zur Textproblematik Wolgast, Müntzer, 26f. Ebd., 505. Vgl. auch Fauth, Türkenbild, 10f. Nigg, Reich, 239. MSB 241ff. 96 Kanzler Gregor Brück, forderte Müntzer am 13.Juli 1524 die Herrscher zum energischen Durchgreifen für seine Sache resp. die der von ihm vertretenen „wahren Kirche“ auf. Zugrunde gelegt war der Predigt das zweite Kapitel des Danielbuches, wo von den vier Weltreichen die Rede war. Damit gewinnt erstmals, wenn auch noch gleichsam unentfaltet, im reformatorischen Raum das biblische Buch Daniel seine später so folgenreiche Bedeutung. Müntzer führte unter Bezug auf Dan 2,45, wo von dem Stein die Rede ist, der die für die Weltreiche stehende Statue zerstört, aus: „der Steyn ist gross worden; die armen laien und bauern sehen ihn viel scheffer an dann ihr.“433 Die türkische Gefahr wird hier allerdings nur einmal beiläufig erwähnt,434 so sehr geht der Focus der Ausführungen auf die innerdeutschen Angelegenheiten, und es wird deutlich, dass Müntzer sich selbst für einen neuen Daniel hält.435 Müntzer konnte sich bei den Fürsten nicht durchsetzen. Nach der deutlichen Fürstenpredigt wurde seine Lage im ernestinischen Sachsen unhaltbar. Anfang August 1524 floh er aus Allstedt. Müntzers Türkenbild als das einer Geißel der unbußfertigen Christen bzw. der untätigen Obrigkeit verfestigte sich nun. In einem Schreiben an die Christen von Sangershausen,436 dass er wahrscheinlich im Juli 1525 verfasste, identifiziert Müntzer die weltliche Herrschaft der Fürsten nun mit den Osmanen. Auslöser für diese Annahme war die Tatsache, dass der altgläubige Herzog Georg von Sachsen, zu dessen Gebiet Sangershausen gehörte, während Müntzers Allstedter Zeit seinen Untertanen verboten hatte, dessen Predigten zu hören.437 Das apokalyptische Gericht scheint Müntzer über solche Fürsten, die sich der „wahren Kirche“ in den Weg stellen, nun unabwendbar. „Dann ich sage euch vorware, es ist dye zeyt vorhanden, das ein blutvorgyssen uber die vorstogkte welt sol ergehen umb yres unglaubens willen. ... Es wyrt do bey den fursten wenig hoffnung seyn. Wer de nu wyder die Turgken fechten wyl, der darf nyt fern zyhen, er ist ym lande.“ 433 434 435 436 437 MSB, 255f. Ebd., 245. Ebd., 257. Ebd., 411ff. Lau, Apokalyptik, 8. 97 Lassen die weltlichen Obrigkeiten weiter keine Prediger im Sinne Müntzers zu, soll ihnen gesagt werden: „Wenn yr des wolt, so will ich euch fur einen Turgken halten und nicht ein cristlichen fursten und herrn.“438 Der Gedanke, die Rechtmäßigkeit der fürstlichen Herrschaft zu bestreiten, wird dann zum Grundsignum der täuferischen und allgemein der aufständischen Bewegungen der Reformationszeit. Hier wird ein Gedanke mittelalterlicher Minderheitsgruppen aufgenommen, der besagt, dass mit der Erscheinung Christi sowieso alle weltliche Herrschaft schon entmachtet und das vierte Reich der Danielweissagungen schon vergangen sei. Die weltlichen Herrscher, so wird nun hier behauptet, seien nur deshalb noch an der Macht, weil die Auserwählten Gottes ihre Aufgabe noch nicht wahrgenommen hätten, alle ungerechte Herrschaft zu beseitigen.439 Mit Müntzer findet dieser Gedanke auch Eingang in die Reformation. Offensichtlich hat dann die Enttäuschung über das Ausbleiben einer Wirkung seiner Predigt bei Müntzer zu dem schon genannten erweiterten Entblössung“ „Erwählungsbegriff“ 440 geführt. In der „Ausgedrückten vom Spätsommer 1524 wird das reformatorische Schriftprinzip heftig angegriffen: „Aber die geschrifft (wie sie sprechen) soll den glauben geben, ... . Eine solch affenschmaltzische weyß hat auch der Jud, Turck und alle völcker, iren glauben zu bestetigen.“441 So geht Müntzer in einem Schreiben an Friedrich den Weisen, dass zeitlich mit der „Entblössung“ zusammenfällt, davon aus, dass seine Botschaft von den Auserwählten auch jenseits des Christentums verstanden wird, da dieser wahre Glaube „in allen herzen der auserwelten auf erden gleichformig ist, ps. 67. Und wen gleich ein Türk do wer, so hat er doch den anfang des selbigen glaubens, das ist die bewegung des heiligen geists.“442 438 439 440 441 442 Ebd., 414. Koch, Universalgeschichte, 22. Ebd., 267ff. Ebd., 279f. Ebd., 430. Gemeint ist wohl tatsächlich Ps. 67. Anders Fauth, Türkenbild, 5, der Ps. 66,7f. annimmt. 98 Mit Berufung auf die Bekehrung des heidnischen Hauptmanns Kornelius, wie sie in der Apostelgesichte (Apg 10) berichtet wird, nimmt Müntzer deshalb nun auch eine Geisterwählung von „Heiden“ an. Grundlegend ist dabei für ihn die schon genannte „Göttliche Ordnung“, die sich als Manifestation des Geistes u.a. in der Natur und der Geschichte zeigt. Diese kann auch den „Türken“ überzeugen, ja sogar zum Glauben an Christus führen.443 Damit ist aber bei Müntzer keine positive Einschätzung des Islam als Religion intendiert. Hier erweist er sich als Anhänger des dogmatischen Modells. In seiner „Protestation oder Erbietung“444 vom Jahresende 1523 geht Müntzer auch auf die Religion der Osmanen ein und stellt zunächst fest: „Weitter die Türcken rhumen sich yres Machomets ya so hoch wie wir unsers Christs.“445 Und etwas später heißt es, dann, Mohammed wisse im Koran wohl von der Jungfrauengeburt Jesu, dessen Kreuzigung aber bestreite er.446 Doch diese Kritik an den Muslimen wird eher nebenbei geäußert, denn der eigentliche Gegner sitzt für Müntzer im Christentum selbst. Dieser ist aber nun anders als bei Luther in erster Linie nicht das Papsttum, sondern der Wittenberger Theologe selbst. Müntzer unterstellt Luther einen Theologiebegriff, der das Leiden nicht als zentrale Kategorie christlicher Existenz erfasse. Dessen vermeintliche Leidensunwilligkeit ist für ihn das Kennzeichen falscher Religion, ob nun die „heyden anbetten fraw Venus, Junonem etc., auff das sie feine kinder mochten haben und yn der gepurt nicht wehe solle gescheen, ... [oder die Christen] wie wir anruffen die mutter Gottes, ... darnach sanct Margareten ... . Nein, lieber mensch, du must erdulden, ...“447 Luther aber, für Müntzer das „gaistloße, sanfftlebende fleysch zu Wittenberg“448, der „Wittenbergisch pabst“449, leugnet nach Müntzers Meinung eben diese Leidensexistenz. Die lutherische Reformation ist 443 444 445 446 447 448 449 Fauth, Türkenbild, 7. Ebd., 225ff. Ebd., 231. Ebd., 232. Ebd., 233. So der Titel der „Hochverursachten Schutzrede“ gegen Luther, ebd., 321ff., hier 322. Ebd., 333. 99 deshalb für ihn nichts anderes, als „das ein alt haus wurd gekelckt“.450 Ein Irrtum, der die noch nicht erleuchteten Christen und Theologen im Sinne Müntzers mit den Osmanen gleichsetzt, so dass diese „mit dem Turcken in ein loch blaßen.“451 Insgesamt lässt sich jedoch feststellen: Obwohl Müntzers Theologie spätestens seit seiner Zeit in Böhmen durch und durch apokalyptisch geprägt ist, bleibt in diesem Konzept die Rolle der Osmanen doch blass. Zwar kann er sie als Strafe für die unbußfertigen Christen bzw. die verstockte Kirche ansehen, doch wird ihre Rolle nicht wirklich profiliert. Dass sie im Zusammenhang des Weltendes eine Funktion wahrnehmen, ist ihm ebenfalls nicht zweifelhaft, aber Müntzer belässt es bei einer lediglichen Erwähnung. Trotz häufiger Bezüge auf die Kapitel 2 und 7 des Danielbuches452 spielen die Osmanen hier keine wesentliche Rolle. Der Grund dafür dürfte besonders darin liegen, dass die Osmanen zu Lebzeiten Müntzers doch noch nicht mit dieser Dramatik in sein Blickfeld getreten sind, wie dies für Luther spätestens seit der Schlacht vom Mohács 1526 und der Belagerung Wiens 1529 der Fall war. Zu diesem Zeitpunkt war Müntzer schon tot. Müntzers Hauptaugenmerk war auf die Bauern gerichtet. Hier gewann seine Botschaft ihre explosive Kraft. Erstmals hatten sich aber nun im Bereich der Reformation spätmittelalterliche apokalyptische Vorstellungen mit der „Türkenproblematik“ verbunden. Diese Entwicklung sollte sich über Müntzers Hinrichtung nach der Schlacht von Frankenhausen 1525 hin fortsetzten und intensivieren. 3.3. Zwischenbilanz: Luthers Stellung zu den Osmanen profilierte sich langsam und von Anbeginn an im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit dem Papsttum. Waren ihm die „Türken“ anfangs nicht näher bestimmte eschatologische Gegner der Kirche, trat deren noch wenig klares Profil zunächst noch hinter die Auseinandersetzung mit dem zunehmend als antichristlich 450 451 452 verstandenen Ebd., 234. Ebd., 234. Vgl. Maron, Gericht, 365. Papsttum zurück. Dessen 100 Kreuzzugsbestrebungen lehnte Luther entschieden ab, womit er auf eine breite Zustimmung innerhalb der öffentlichen Meinung stieß. Seine Grundhaltung lässt aber noch kein eigenes Profil erkennen. Die Beurteilung der Osmanen als „Gottesgeißel“ ist konventionell, wie ebenso die Ablehnung der Kreuzzüge, wie das Beispiel des Erasmus zeigt, nicht ungewöhnlich in dieser Zeit ist. Eine apokalyptische Grundhaltung ist bei Luther noch nicht wahrnehmbar, sie ist vielmehr die Angelegenheit der radikalen Reformatoren, die in diesem Zusammenhang auch Vorstellungswelt zu die Osmanen integrieren in ihre diesbzügliche beginnen. Das zunehmende Näherrücken der Osmanen ab 1520, dass Luther zu diesem Zeitpunkt noch nicht ernstlich beunruhigte, war für die „Schwärmer“ hingegen ein weiteres Indiz, ihre Annahme einer baldigen radikale Umwälzung aller weltlichen Verhältnisse bestätigt zu sehen. Erst in den folgenden Jahren sollte auch Luther auf die „Türkengefahr“ aufmerksam werden. 4. Die Wahrnehmung der türkischen Gefahr durch Luther 1526-1528/29 4.1. Die Schlacht von Mohács 4.1.1. Die politischen Ereignisse und die Schlacht von Mohács Mit der Niederlage des ungarischen Heeres in der Schlacht von Mohács, der in den Augen ungarischer Geschichtsschreibung „größten Tragödie Ungarns“453, kam es zu einer fundamentalen Veränderung in der europäischen „Sicherheitslage“: Hatte der Niedergang Konstantinopels 1453 bereits Europa erschüttert, so spielten sich die Kämpfe doch noch immer in der Ferne ab. Noch gab es das Königreich Ungarn als Pufferstaat zwischen dem Reich und den Osmanen, so dass Ungarn den Ehrentitel einer „Vormauer des Christentums“454 trug. König Wladislaw von Polen und Ungarn bezeichnete 1440 Ungarn als 453 454 Molnar, Geschichte, 132; Vgl. dazu aber auch Rhode, Ungarn, 1064, der die Schlacht von Mohács als in der ungarischen Geschichtsschreibung überbewertet ansieht. Varga, Vormauer, 55ff. 101 „murus et clipeus fidelium“.455 Eine Vorstellung, die sich im Laufe der Zeit europaweit durchsetzte, so dass man selbst im fernen Schottland überzeugt war: „There are no other ramparts to protect Christianity from the Turcs than the Ungarian frontiers ...“456. Zur Regierungszeit des Königs Matthias Corvinus erfüllte Ungarn seine „Aufgabe“ hervorragend. Man begann, sich daran zu gewöhnen. Die stets hinhaltende Taktik der Stände auf den Reichstagen bezüglich der „Türkenhilfe“ spricht hier eine beredte Sprache. Inzwischen war jedoch in Ungarn längst das stehende Heer des Corvinus aufgelöst worden. König Ludwig und seiner Frau Maria von Habsburg gelang es nicht, die widerspenstigen Stände zu einem konzertierten Vorgehen zu veranlassen.457 Ob sich allerdings der König selbst über den Ernst der Situation völlig im Klaren war, muss nach zeitgenössischen Schilderungen offen bleiben. Der päpstliche Legat in Buda riet Clemens VII. im Vorfeld der Schlacht von Mohács, Ungarn aufzugeben: Der König gehe zur Jagd, die Stände stritten sich und das Volk sei, wenn einmal der Sultan die Macht übernommen habe, bereit, gegen den Adel einen „noch grausameren Aufstand“458 als 1514 (s.u.) zu entfachen. Die Aussichten standen also nicht gut, als sich am 23. April 1526 Sultan Suleiman mit ca. 150000 Soldaten und rund noch einmal so vielen Begleittruppen von Konstantinopel auf den Weg nach Ungarn machte. Am 9. Juli war er in Belgrad.459 In Ungarn begann man sich zur Schlacht zu rüsten. Die ungarische Streitmacht stand unter der Führung des Erzbischofes Pal Tomori, der an die Stelle des bisherigen Heerführeres Graf Salm getreten war, weil dieser sich für zu alt erklärte, später wurde noch ein zweiter Oberbefehlshaber, ein Bruder des Ludwig-Gegners Zápolya, zum Oberbefehlshaber ernannt.460 Das Heer verfügte kaum über Fußtruppen, da man den ungarischen Bauern 455 456 457 458 459 460 Ebd., 58. Ebd., 62. Tamussino, Maria, 105. Zit. in Pastor, Päpste IV/2, 441. Tamussino, Maria, 102. Ebd., 103, 107. 102 misstraute.461 Aufgrund der Falschmeldung, die ca. 70000 Mann starken kampfbereiten osmanischen Truppen bestünden teilweise aus verkleideten Frauen und zudem aus zahlreichen Christen, die überlaufen würden, wurde der Kampf „leichtsinnig improvisiert“462 gewagt, bevor weitere Truppen zur Stelle waren. In der Schlacht fielen 24000 Ungarn, darunter viele Würdenträger und die beiden Oberbefehlshaber. Ungarn schied als selbständiger politischer Faktor für Jahrhunderte aus der Politik aus. Der König kam kurz nach der Schlacht unter ungeklärten Umständen ums Leben.463 Am 10. September 1526 wurde die Hauptstadt Ofen/Buda Suleiman übergeben. Diese verließ der Sultan jedoch nach ca. vier Wochen für Außenstehende überraschend wieder, was zu einem Machtvakuum in Ungarn führte.464 4.1.2. Luther und Königin Maria von Ungarn Der Weg der nunmehrigen Königinwitwe Maria ist fast von Geburt an in besonderer Weise mit Ungarn verbunden gewesen.465 Doch Maria sollte auch für die Reformation zunächst von scheinbar großer Bedeutung werden. Sie und ihr Mann wurden so etwas wie frühe „Helden“ der jungen Bewegung. Der tragische Tod des Ungarnkönigs bei Mohács und das Schicksal der Maria wurden in zahlreichen Liedern vertont. Das Lied „Mag ich im unglück nicht widderstan“, das der Königin selbst zugeschrieben wird, fand Eingang in viele evangelische Gesangbücher.466 Deshalb sei an dieser Stelle zunächst noch einmal hinter die Ereignisse von Mohács zurückgegangen, um sie auch aus der Perspektive Marias und der reformatorischen Bewegung zu beleuchten. Die im September 1505 in Brüssel als Tochter Philipps des Schönen und Johanna der Wahnsinnigen geborene Maria war schon im Alter von 461 462 463 464 465 466 Vajda, Austria, 239. Brandi, Karl, 204. Ebd., 226. Wahrscheinlich ertrank er auf der Flucht in einem Bach, nachdem sein Pferd gestürzt war und er sich mit seiner Rüstung nicht aus dem Wasser retten konnte; vgl. Tamussino, 108. Vajda, Austria, 242. Zu Maria vgl. die bisher einzige Biographie von Tamussino. Tamussino, 133. 103 einem halben Jahr im Vertrag von Wiener Neustadt 1506 zwischen Maximilian von Österreich und Wladislaw von Ungarn als zukünftige Braut eines Sohnes von Wladislaw vorgesehen worden, obwohl diesem zu dieser Zeit noch kein Sohn geboren worden war.467 In diesem Vertrag war auch die Hochzeit zwischen Wladislaws Tochter Anna und Maximilians Enkel Ferdinand vereinbart worden, so dass mit den Mitteln der Habsburger Heiratsdiplomatie das 1437 zum Haus Habsburg gekommene und 1457 mit der Wahl des Matthias Corvinus zum König von Ungarn wieder verlorene Land zurückgewonnen werden konnte. 1506 wurde Wladislaw mit Ludwig der erwartete Thronfolger geboren. Gegen den erbitterten Widerstand des ungarischen Adels unter Führung des siebenbürgischen Woiwoden Janos Zápolya wurden die Beschlüsse von Wiener Neustadt in Wien 1515 erneuert.468 Nachdem König Wladislaw 1516 starb, fiel die Regierung dem noch nicht volljährigen Ludwig zu, der sich nur schwer gegen Janos Zápolya und die übrigen Magnaten behaupten konnte. Fischer-Galati resümiert: „The king was weak, the nobility restless, the peasantry rebellious.“469 1521 kam Maria nach Ungarn, um den inzwischen großjährigen König zu heiraten. Mitten in die Anreise der künftigen Königin fiel ein osmanischer Feldzug, in dessen Verlauf die ungarischen Stützpunkte Szabacs, Smelin und dann auch Belgrad fielen. Trotz der Bedrohung Ungarns gelang es Ludwig in der Folgzeit nicht, die erforderlichen Mittel von den ungarischen und später auch böhmischen Ständen zu mobilisieren, die eine organisierte Verteidigungsanstrengung erlaubt hätten. Er blieb ärmer als seine ungarischen Magnaten.470 Unterdessen versuchte Maria, ihre Brüder Karl und Ferdinand für die Unterstützung der ungarischen Sache zu gewinnen.471 In einer etwas entspannteren Atmosphäre konnte im Januar 1522 die Hochzeit in Buda gefeiert werden, da Suleiman seinen Feldzug nach der Eroberung Belgrads nicht fortgesetzt hatte. Neben dem Widerstand der Magnaten unter Führung Zápolyas gegenüber Ludwig und seiner habsburgischen Frau, 467 468 469 470 471 Ebd., 16. Ebd., 34. Fischer-Galati, Imperialism, 14. Tamussino, 77. Ebd., 75. 104 bewogen zusätzlich noch „frische“ Erfahrungen die Stände, von einem „Türkenzug“ abzusehen: Nach dem Kreuzzugsaufruf von Papst Leo X. 1514 hatten sich auf Betreiben des Erzbischofs Bakocz 40000 Bauern zu einem Kreuzzug versammelt. Von den Adligen wurde diese Machtansammlung nur ungern gesehen. Als schließlich der erschreckte Bakocz das Bauernheer aufzulösen versuchte, kam es zu einem blutigen Bauernaufstand, der von Janos Zápolya mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurde. Der Bauernführer Dosza wurde mit einer zur Weißglut erhitzen Krone getötet, anschließend mussten seine Anhänger ihn verspeisen.472 Nicht nur die äußere auch die innere Sicherheitslage in Ungarn war also labil. Unter Ludwigs Führung schien Ungarn dann auch vom katholischen Glauben abzufallen. Auf einem Landtag in Prag führte Ludwig in seiner Eigenschaft als König von Böhmen einen bemerkenswerten Austausch der königlichen Ämter herbei. Sie wurden nun fast ausschließlich von Utraquisten besetzt, die in der Nachfolge des Vorreformators Jan Hus standen. Weniger aber als religiöse Erwägungen dürften innenpolitische Absichten, die alte Herrschaftsschicht auszuwechseln, Ludwig in seinen Maßnahmen bestimmt haben.473 Andererseits blieb dieser Austausch auch indirekt ein Signal für religiöse Toleranz. So verstärkte sich der Eindruck, am ungarischen Königshofe sympathisiere man mit Luther. Erheblich zu dieser Meinung trug der Cousin, Berater und Erzieher des Königs, Markgraf Georg „der Fromme“ von Brandenburg bei, der offen mit Luthers Lehren sympathisierte und mit diesem auch in persönlichem Kontakt stand.474 Aber auch die junge Königin schien sich der lutherischen Lehre zu öffnen, so dass der Onkel des Königs, König Sigismund von Polen, wie auch Erzherzog Ferdinand das Königspaar schriftlich ermahnten, den katholischen Glauben beizubehalten. Die Königin, intellektuell regsamer als ihr Mann,475 öffnete sich jedoch noch weiter den Reformansätzen in der Kirche und versammelte einen 472 473 474 475 Molnar, Geschichte, 128. Tamussino, 85f. Mast, Hohenzollern, 43. Rhode, Ungarn, 1083. 105 Humanistenzirkel um sich, zu dem u.a. der Graecist Simon Grynaeus und der Poet Caspar Ursinus Velius gehörten. Man wird also weniger von einer direkten Anhängerschaft an die lutherische Lehre bei Maria sprechen können, als von einer allgemeinen Offenheit gegenüber allen Reformbestrebungen, die damals auch noch nicht in dem Maße wie später in Reformation und Humanismus differenziert werden konnten, wenn man auch schon um Unterschiede zwischen Erasmus und Luther wusste.476 Jedenfalls fanden die Lutheraner am Königshof eine so positives Klima vor, dass der sächsische Diplomat Hans von der Planitz an den Beschützer Luthers, Kurfürst Friedrich den Weisen, schreiben konnte, „das die konnigin zu Ungernn sehr gut evangelisch worden sei und mit dem konig deshalben sovill gehandelt, das man die Lutherischen weiter nicht vorfolget und nunalls das evangelium frei in Ungernn gepredigt werde.“477 1523 wurde Johannes Hess zu Marias Hofprediger ernannt, der aber im selben Jahr eine Stelle als Pfarrer in Breslau annahm und zum Reformator Schlesiens wurde.478 Der neue humanistisch geprägte Hofprediger Conrad Cordatus konnte sich mit seiner offenen Kritik des Papsttums nur kurz halten und musste auf Druck der Stände entlassen werden. Mit Johannes Henckel wurde ein gemäßigter Erasmianer Cordatus‘ Nachfolger. Das Klima für die Protestanten scheint trotz heftiger ständischer Gegenwehr günstig geblieben zu sein. Scharfe Ketzergesetze des Adels, die auf den Reichstagen 1523 und 1525 beschlossen wurden, wurden nur halbherzig umgesetzt.479 Ab März 1526 machte sich Martin Luther daran, für Maria eine Auslegung von vier Psalmen zu erarbeiten. Offensichtlich auf Anregung des der Reformation freundlich gesonnenen Königs Christian von Dänemark, dessen Frau wiederum eine Schwester der Habsburger Karl, Ferdinand und Maria war und der sich im April 1526 in Wittenberg 476 477 478 479 Tamussino, 92. Zit. in ebd. Ebd.; Hauschild, Kirchen- und Dogmengeshichte II, 263. Hauschild, Kirchen- und Dogmengeschichte II, 265. 106 aufhielt, hatte sich Luther zu dieser persönlichen Kontaktaufnahme entschlossen.480 Doch als die Psalmenauslegung fertig war, war Ludwig bereits tot. Luther ging darauf natürlich ein. Im Vorwort für Königin Maria legte er dar, ursprünglich habe diese Auslegung die Absicht gehabt, Maria darin zu ermutigen, „frisch und frolich“ weiter die Reformation in Ungarn zu fördern. Nun sei unter dem Eindruck des bedauernswerten Todes ihres Mannes eine Trostauslegung daraus geworden, um sich im Glauben an Gott zu stärken. Luther konnte der Niederlage auch noch eine positive Seite abgewinnen: Hätten die ungarischen Stände nicht das (reformatorische) Evangelium behindert, wäre es noch vor der Schlacht von Mohács zum Durchbruch gekommen. Dann aber wäre den Evangelischen die Schuld für den militärischen Mißerfolg in die Schuhe geschoben worden. „Wilch eyn lestern solt da worden seyn?“481 Nun aber müsse man wohl die Schuld wo anders suchen. Nur ganz kurz geht Luther im Übrigen in seiner Psalmenauslegung auf die aktuelle Situation ein und wenn er es tut, dann allerdings mit Deutlichkeit. Er kritisiert die Zurückhaltung der deutschen Stände bei der Unterstützung der Ungarn gegen die Osmanen. Luther äußert dabei eine scharfe Kritik an den sozialen Zusänden: „... unsere zornige Fürsten und Bisschowe und gelerte heuchler lassen den Türcken und yhrs gleichen wol mit friden, wie grosse Ketzer und verfürer sie auch ymer sind bey yhn geachtet ... . Aber wo etwa ein armer bürger odder Pfarrher und prediger ist, der kaum das brod hat und alle not leidet, An dem selbigen machen sich die grossen, zornigen Fürsten und Bischowe; der mus leiden, ... . Hier hat der Lawe eine maus gefangen und lest sich dünken, er habe den lindwurm überwunden. Solches Adels und junckern ist Deudsch land ytzt vol, die ynn den bierhäusern Pestilentzen und veytstanten und nur das messer strotzen konnen wider arme, elende, wehrlose leute; als denn sind sie von Adel! Pfu, wilch böse leute, ja sew und wilde thiere sind doch wir Deudschen ... .482 480 481 482 WA 19, 542. WA 19, 552. WA 19, 605. 107 Die Psalmenwidmung ist offensichtlich von Maria nicht beantwortet worden. Die Tatsache allein, dass Luther ihr eine Psalmenauslegung zusandte, sorgte allerdings für erhebliches Aufsehen und verärgerte Nachfragen ihres Bruders Ferdinand. Maria räumte ein, sie habe zahlreiche Schriften Luthers gelesen, wolle aber für die Zukunft davon Abstand nehmen. Ein negatives Urteil über Luther lies sie sich aber nicht entlocken. Doch auch andere Reformkräfte hatten von Marias Gesinnung gehört. 1530 widmete ihr Erasmus von Rotterdam die Schrift „De Vidua Christiana“, die von ihr eigenhändig mit einem Dankschreiben und einem Pokal beantwortet wurde. Im selben Jahre kam es auf dem Augsburger Reichstag, an dem auch Maria teilnahm, zu einer Initiative Marias gegenüber Luther. Brieflich ließ sie ihn über ihren Prediger Henckel und Melanchthon fünf Fragen stellen, die darauf hinaus liefen, privatim sich der evangelischen Lehre anzuschließen aber öffentlich altgläubig bleiben zu dürfen. Ein Ansinnen, das Luther zurückwies. Trotz dieser Abfuhr hat Maria, nicht zuletzt auch auf dem Augsburger Reichstag, versucht, im Verborgenen vermittelnd zu wirken.483 Maria blieb als spätere Statthalterin der Niederlande auch in der Folgzeit für Karl eine wichtige Stütze seiner Herrschaft und eine persönlich einflussreiche Beraterin,484 ohne dass ein weiterer Einfluss auf die kaiserliche Religionspolitik jedoch klar konstatiert werden könnte. Es bleib aber zu vermuten, dass die Reformation in Maria weiterhin eine Fürsprecherin hatte. Noch 1546 sah sich Kaiser Karl veranlasst, sich bei seiner Schwester wegen seines militärischen Vorgehens in Deutschland zu rechtfertigen. Er betonte, er habe „das Unmögliche versucht“ und sei „bis zum äußersten gegangen sei, um Gewaltanwendung zu vermeiden.“485 483 484 485 Tamussino, 62ff. Majoros, Karl, 155ff. Braudel, Karl, 41. 108 4.1.3. Kritik an Luthers bisheriger irenischer Haltung: Johannes Cochlaeus Schon 1523 hatte es in der „Anzeigung ze eroberen die Türcky“ geheißen: „Die Christenheit ist gar zertrännt, Evangelisch sich ein jeder nent“.486 Die Fürsten wurden dann in dieser Flugschrift ausdrücklich aufgefordert, der lutherischen Bewegung zu wehren, da sonst aufgrund der inneren Uneinigkeit in Religionsfragen das Ende des Reiches gekommen sei. Luther hing, wie oben gezeigt, seit seinen skeptischen Äußerungen zum Türkenkrieg das Image eines militärischen Defätisten an, ein Vorurteil, das besonders die altgläubige Seite weiter zu fördern versuchte. Am nachhaltigsten für die „kommenden Jahrhunderte“487 sollte in dieser Frage der „größte“ Eiferer gegen Luther überhaupt, Johannes Cochlaeus (1479-1552), wirken. Cochlaeus hatte zunächst als Schulmeister zum Nürnberger stark antirömischen Humanistenkreis um Dürer und Pirckheimer gehört,488 dann 1517 in Bologna in der Theologie promoviert und sich zum Priester weihen lassen.489 1518 wurde er Dechant am Liebfrauenstift in Frankfurt/Main. 1521 nahm er am Wormser Reichstag teil und versuchte aus eigener Initiative Luther in einem persönlichen Gespräch zum Widerruf zu bewegen. Nachdem dies misslang, wurde er zum heftigsten Luthergegner der Reformationszeit, der sich in der Folgezeit mit zahlreichen Schriften bzw. Pamphleten gegen den Reformator wandte.490 Er ist für den katholischen Reformationshistoriker Joseph Lortz zudem „der erste bedeutende Humanist, der sich zur Kirche zurückwendet“.491 Auf zahlreichen Reichstagen war Cochlaeus in der Folgezeit als Agitator gegen Luther und seine Anhänger zu finden. An der Confutatio gegen die „Confessio Augustana“ auf dem Augsburger Reichstag 1530 arbeitete er ebenfalls mit. 486 487 488 489 490 491 WA 30 II, 91. Lortz, Reformation, 262. Ebd., 263. Zu den biographischen Angaben vgl. Bautz, Artikel: Cochläus, Johannes, 1072ff. und Gess, Cochläus. Bei abweichenden Angaben wird dem neueren Artikel gefolgt. Dargestellt bei Gess, Cochlaeus, 12ff. Lortz, Reformation, 262. 109 Nachdem Cochlaeus aufgrund der Feindschaft der Bevölkerung gegen das katholische Liebfrauenstift Frankfurt verlassen hatte und in Köln Kanoniker geworden war, trat er 1528 als Rat in die Dienste Georgs von Sachsen. In diese Zeit fällt auch die unten weiter darzustellende „Ermahnung zum Krieg gegen die Türken“. Wie hoch offensichtlich Cochlaeus‘ Beitrag in dieser Sache geschätzt wurde, geht aus einer Mitteilung an einen Freund hervor. Diesem berichtet er, nach dem vermeintlichen „Sieg“ Karls V. über die Osmanen 1532 habe der Herzog ihn mitten in der Nacht rufen lassen, um ihm die freudige Kunde mitzuteilen.492 Nachdem in den 1530iger Jahren Melanchthon in mancher Hinsicht zum eigentlichen Führer des lutherischen Protestantismus, jedenfalls was seine konfessionspolitische Seite betraf, geworden war, agitierte Cochlaeus heftig gegen diesen, den er Jahre zuvor ebenfalls noch auf seine bzw. die altgläubige Seite zu ziehen versucht hatte.493 Nach Luthers Tod gab Cochlaeus eine Lebensbeschreibung des Reformators heraus,494 die das katholische Lutherbild für Jahrhunderte prägen sollte. Ob diese Biographie nun ein „Testament der Eitelkeit“495 ist, oder die Feststellung zutrifft, ihr fehle die „Leidenschaftslosigkeit des echten Historikers und die Zuverlässigkeit der Berichterstattung“496, man wird sicher konstatieren können, dass dieses Buch den Ansprüchen historischer Kritik in keiner Weise genügt. Es sollte als das verstanden werden, was es war und ist: Eine Kampfschrift aus jener Zeit. Da Cochlaeus in seiner Schrift den ganzen Lebensweg Luthers abschließend Revue passieren lässt, gibt dieses Buch einen guten Eindruck von der Haltung der Luthergegner, zumal Cochlaeus auch seine eigenen Schriften in dieser „Biographie“ heranzieht. Cochlaeus Lebensbeschreibung Luthers soll deshalb hier näher dargestellt werden. 492 493 494 495 496 Gess, Cochlaeus, 36. Ebd., 43. Cochlaeus, Luther. Hier in der deutschen Übersetzung von Hueber 1582 zitiert. Gess, Cochlaeus, 60. Bautz, Art.: Cochlaeus, 1073. 110 Cochlaeus sieht hier Luthers „defätistische“ Haltung den Osmanen gegenüber von Anfang an gegeben, etwa in dessen Schrift gegen die päpstliche Bulle von 1521, die Cochlaeus als Beispiel heranzieht.497 Den gegenüber den Lutheranhängern nachgiebigen Reichstag von Speyer 1526 sieht Cochlaeus als den eigentlichen Grund der Niederlage von Mohács, weil „die Fürsten und Ständte den Abschied doch suspensiue/ ... In dem nun die Gemüter auff diese weis in suspenso gelassen/ und niemand sich gewiss Frieds und Sicherheit zuuersehen hette: begab sich ferner/ daß niemand auß der Teutschen Fürsten König Ludwigen zu Hungern/ in dessen landt der Türckisch Keyser mit einem grossen Mening eingefallen/ zu Hülff kommen köndte. Denn daheims war vor den auffrhürischen Gemütern der Underthanen nichts sicher/ so hette Luther den Kriegsmann wider den Türcken zuziehen vor länsgt unwillig gemacht. Da er geschreiben: Daß wider die Türcken Kriegen Gott widerstreben wär/ der unsere missethat durch sie heimsuchet.“498 Luthers Schrift „Vom Kriege wider den Türken“ wird dann von Cochlaeus bewußt mißverstanden, indem er nur auf Luthers Papstkritik rekurriert, ohne die differenzierte Position Luthers in Fragen politischer Ethik zu beleuchten. Luthers Skepsis gegenüber einem Krieg ohne vorherige Buße übergeht Cochlaeus. Er sieht lediglich dessen Zurückhaltung, „daß er mehrers die Leuth von solchme Krieg abweist/ als sie darzu bewegt.“499 Cochlaeus gibt in seiner „Biographie“ dann auch selbst eine kurze Zusammenfassung seines „Dialogus de bello contra Turcas in Antilogas Lutheri“, in dem Luther „zweiköpfig“ dargestellt wird. „Lutherus“ steht für den frühen, dem Türkenkrieg gegenüber zurückhaltenden Luther, „Palinodus“ ist hingegen der Luther der ersten Türkenschrift. Ein Orator tritt hinzu: „Dein Luther gibt für/ wir haben bisher nichts glücklichs wider den Türcken gehabt. Damit er ohne zweiffel unsere Gmütter abwenden unnd abschrecken will/ dem Türcken widerstand zuthun. ... Was ist aber 497 498 499 Cochlaeus, Luther, 111. Ebd., 328f. Ebd., 431. 111 das anders/ dann das Vaterland dem Türcken verrathen/ unnd uns bereden wöllen/ wann er auff uns zuzeucht/ jhme Thür und Thor auffzuthun/ unnd uns freywillig zuergeben? Palinodus: Darzu hat jhne/ wie er mir angezeigt/ fürnemblich verursacht/ daß und der Christlichem Namen der Krieg wider den Türcken fürgestellt wird/ als sollte unser Volck ein Heer wider die Türcken/ als die Feind Christi genennt werden/ welches stracks wider die Lehr Christi unnd seinen Namen ist. ... Orator. ... So hat auch Christus ninderst verbotten/ der Türcken grausame Tyranney zuuertreiben. Daß aber die Türcken Christi feind seyen/ das hastu hie oben auß ihrem Alcoran selbs bestanden. Unnd ist solches in der that selbs offenbar, daß ein lautere Unsinnigkeit wär/ dasselbe zuuerlaugnen.“500 Dass Cochlaeus nicht daran gelegen war, Luthers Position sachlich darzustellen, sondern er in ihm nur den eigentlichen Feind erblicken konnte, der zudem Helfershelfer der Osmanen war, ist deutlich. Letztlich erschien Luther selbst als „Osmane“. In seiner polemischen Schrift „Sieben Köpffe Martini Luthers“ von 1529 war einer dieser Köpfe ein Gesicht mit Türkenhut.501 Natürlich war Cochlaeus nicht der einzige altgläubige Luthergegner, wohl aber der wirksamste. Es seien noch einige andere Beispiele genannt: Paul Anderbach schrieb in seinem „Sendbrieff, darin angezeigt wirt vermeintliche ursach warumb der Türck widder die Hungern triumphirt und oblegen hat“ von 1527 Luther die Schuld an der Niederlage von Mohács zu. Zwar seien die Osmanen eine „Gottesgeißel“, aber nur deshalb seinen sie losgelassen worden, weil die Christen die Einigkeit der Kirche zerbrochen hätten. Die Parallelen zwischen den Osmanen und Luther sind für Anderbach deutlich: Wie die Osmanen einen jeden glauben ließen, was sie wollten, so komme es auch bei Luther allein auf den Glauben an. Wie die Osmanen auf geistlichen Gebäuden Pferdeställe machen, so rissen auch die Lutheraner das Kirchengut an sich, wie die Osmanen die christliche Predigt verböten, so verwerfe Luther die Messe - ein Argument, das 500 501 Ebd., 428ff. Abgebildet in: Bott, Luther, 30. 112 sich in Cochlaeus Dialogus ebenfalls breit ausgeführt findet -502, wie die Osmanen angeblich sexuell zu freizügig mit Frauen umgingen, so locke Luther die Nonnen aus den Klöstern, wie die Türken die Vielehe kennen würden, erlaube Luther geschlechtlichen Verkehr mit jemand anderem, wenn der Ehegatte dazu nicht fähig sei.503 Das hohe polemische Potential, das die Identifizierung mit den Osmanen bot, wird hier wie bei Müntzer, Cochlaeus und in manchen anderen Flugschriften deutlich. Der Vergleich Luthers mit den Osmanen hielt sich durch. Noch 1543 betrachteten die Orientalisten Postel und Widmannstetter ihre Schriften gegen die Osmanen auch als einen Beitrag zur Bekämpfung des Luthertums.504 Andererseits fällt doch trotz dieser heftigen Polemik auf, dass die Adaption des mythischen Geschichtsbildes und eine Annahme eines baldigen Weltendes von Cochlaeus und anderen Altgläubigen nicht vorgenommen wurde. Luther war nicht der Antichrist, ein „sicheres“ Ende der Zeiten war nicht zu erwarten. Mit wenigen Ausnahmen hat der altgläubige Katholizismus Luther die Antichrist-Prädikation insgesamt „verwehrt“, als Ausnahmen sind Thomas Murner und Heinrich von Kettenbach zu nennen.505 Auch Johannes Eck konnte Luther einmal als „Antichristi membrum et praecursor“506 bezeichnen. Allgemein scheint es aber so gewesen sein, dass der Katholizismus den „Ketzer“ Luther durch die Antichrist-Prädikation nicht noch mythisch aufwerten wollte. Zudem rechnete man im Umkreis der Papstkirche nicht mit einem baldigen Ende der Zeiten. So gab Eck 1532, als Luther das Weltende nahe wähnte, eine Predigtreihe „Sperandam esse in Brevi victoriam adversus Turcam“ heraus, die „Carlo et Ferdinando Turcae Imperium dissolvendum“507 sah. Die Identifizierung der „Türken“ mit dem Antichrist war deshalb auf altgläubiger Seite verhältnismäßig selten.508 Die Apokalyptik wurde mehr und mehr eine Sache der Lutheraner. 502 503 504 505 506 507 508 Lutherum Turcas simillismu esse , Dialogus, 58. Vgl. auch 58ff. Vgl. Ebermann, Türkenfurcht, 45f. Bobzin, Luther, 287. Vgl. Hillerbrand, Polemik, 122 A. 31. Zit. in Herrmann, Osmanenreich, 84. Zit. in ebd., 273 A. 24. Seifert, Rückzug, 17. 113 Diese waren den Altgläubigen damit heilsgeschichtlich voraus.509 Wähhrend man dort noch auf die endzeitliche Erscheinung des Antichrist wartete, die das Papsttum nicht sein konnte, Luther nicht sein sollte und die Osmanen nicht zu sein schienen, begann im Luthertum das apokalyptische Drama schon seinen Lauf zu nehmen. 4.2. Luthers Eintreten für den militärischen Widerstand gegen die Osmanen 4.2.1. Die Ausbildung einer politischen Ethik Luthers Reformation konnte unmöglich aus den politischen Ereignissen herausgehalten werden, ja sie war selbst ein politisches Ereignis ersten Ranges, und Luther musste sich zusehends mit der Frage beschäftigen, wie die Reformation im Bereich weltlichen Handelns Gestalt gewinnen sollte. Seine Anhänger erwarteten eine Wegweisung in diesen Fragen. Luther hat diese Antwort in der sog. „Zwei-ReicheLehre“ gegeben. Bei der „Zwei-Reiche-Lehre“ ist es jedoch wichtig, in der retrospektiven Betrachtung keine abstrakten Systematisierungen zu entwerfen,510 die den historischen Sachverhalt nicht genügend erfassen. Deshalb kann eigentlich weniger von einer Lehre, denn von Anschauungen Luthers, die lehrhaften Charakter haben, gesprochen werden. In seiner Schrift "Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr gehorsam schuldig sei" von 1523 hat Luther die im Titel genannte Problematik, ausgehend von dem Tatbestand, dass im Herzogtum Sachsen seine Übersetzung des Neuen Testamentes zu lesen verboten war und die Exemplare an die Obrigkeit ausgeliefert werden mussten, aufgegriffen. Er wehrt sich hier dagegen, dass der Staat in geistliche Belange eingreift. Ebenso lehnt er es ab, dass die Kirche weltliche Herrschaft ausübt. Beide Bereiche werden geschieden. Natürlich sind diese Gedanken nicht ohne Vorläufer. Besonders wirksam war Augustins Auffassung von der Civitas Dei und der Civitas Terrena sowie ähnlichen 509 510 Ebd., 8. Bornkamm, Reiche, 6ff. 114 Konnotationen.511 „Das Mittelalter, sich ganz stark immer wieder auf Augustin beziehend, kennt neben den duae civitates duo imperia, duo gladii, duo lumina, duae familia.“512 Im Verlaufe des Mittelalters war allerdings die Civitas Dei mit der Papstkirche identifiziert worden.513 Hier führt Luther wieder zu Augustin zurück und setzt gleichzeitig einen neuen Akzent. Die zunächst äußerlich gezogene Grenze zwischen den beiden Reichen muss der einzelne Christ, der es auf irgendeine Weise ja mit beiden Bereichen zu tun hat, in sich selbst in verantworteter Entscheidung ziehen. Die beiden Reiche bedeuten also nicht nur wie in der augustinischen Civitates-Auffassung die beiden Reiche in heilsgeschichtlicher Perspektive oder wie in der mittelalterlichen „ZweiSchwerter-Theorie“ die Zuordnungsverhältnisse von sacerdotium und imperium, sondern bei Luther noch stärker „die beiden Beziehungszusammenhänge, in denen der Christ lebt“.514 Hier zeigen sich dann die Konsequenzen: Als Christ mag der Mensch z.B. wohl verzeihen, aber als Bürger muss er dem Unrecht wehren. Nach Luther soll er „also geschickt seyn, das er alles ubel und unrecht leyde, nicht sich selbs reche, aber auch nicht für gericht sich schütze, Sondern das er aller ding nicht bedürffe der welltlichen gewalt und rechts fur sich selbs. Aber für andere mag und sol er rache, recht, schutz und hülffe suchen und datzu tun, womit er mag.“ 515 Deshalb kommt Luther zu dem Ergebnis, dass es gleichzeitig die zwei Regimente sind, mit denen Gott regiert. Das geistliche, „welchs frum leutt macht durch den heyligen geyst unter Christo, unnd das welltliche, wilchs den unchristen und bösen weret, daß sie eußerlich müssen frid halten“.516 Ohne dass Luther die beiden „Reiche“ und die beiden „Regimente“ begriflich klar von einander trennt, kann doch gesagt werden, dass die Reiche eher den Herrschaftsbereich, in dem sich die christliche 511 512 513 514 515 516 Vgl. Mayer, Civitas Dei, 2115. Lau, Lehre, 371. Mayer, Civitas Dei, 2116 Bornkamm, Reiche, 9 WA 11, 259. Ebd., 251. 115 Existenz abspielt, bezeichnen, während die Regimente stärker die Herrschaftsweisen Gottes in der Welt, an der der Christ partizipiert, meinen.517 Die von der Überordnung der geistlichen Herrschaft sich distanzierende emanzipatorische Tendenz Luthers in seiner Auffassung von den beiden Bereichen christlicher Existenz hat allerdings in ihrer Trennung zwischen persona publica und persona privata518 eine gewisse Tendenz zur gespaltenen Weltwahrnehmung, da die menschliche Existenz sich de facto natürlich nicht in zwei säuberlich geschiedene Lebensbereiche trennen lässt. Die in Luthers Schrift vorgenommenen grundlegenden Entscheidungen sollten jedoch auch in der Frage eines Türkenkrieges, ja überhaupt des Widerstandes gegen die Osmanen, wie sich im Folgenden zeigen wird, von maßgeblicher Bedeutung sein. 4.2.2. Melanchthons und Luthers Visitationsschrift Dies zeigte sich deutlich im „Unterricht der Visitatoren“ von 1527, der im Rahmen des Aufbaus der evangelischen Landeskirche und im engen Zusammenhang einer Visitation Melanchthons in Thüringen von diesem und Luther519 verfasst wurde. Auch hier wurde deutlich zwischen dem persönlichen Erdulden des Leidens als Christ und der gewaltsamen Gegenwehr als Untertan und Mitglied der Gemeinschaft unterschieden. In einem eigenen „Türken-Kapitel“ wurde dies deutlich. Gerade um des bonum commune im Lande willen, sei es nötig, gegen die Türken zu kämpfen, betonten Luther und Melanchthon. Damit wird indirekt auch sichtbar, wie stark die pazifistische Propaganda täuferischer und anderer Kreise im Blick auf die Osmanen unter der Bevölkerung ganz offensichtlich ihre Wirkung nicht verfehlte.520 So stellte ein Zeitgenosse fest: „... allein, dass der Türck uns damit zum meisten schaden wirt, dass er jedermann lasst glauben was er will, wenn er nur ein Tribut gibt.“521 517 518 519 520 521 Bornkamm, Reiche, 15. WA 2, 150. Schwarz, Luther, 191. Vocelka, Art.: Religiosität, 143. Zit. in Herrmann, Osmanenreich, 102. 116 Mit deutlichen Worten schärften deshalb Luther und Melanchthon die Verteidigungspflicht gegen die scheinbar toleranten Osmanen ein: „Darümb man schüldig ist, den Türcken zu weren, die nicht allein die Lender begern zuuerderben, weib vund kinder schenden und ermorden, Sondern auch Landrecht, Gottes dienst und alle gute Ordnung wegnemen, ...“522. Die Mahnung zum unbedingten Widerstand wurde mit Hinweisen auf Greuel der Türken in Ungarn, wofür es „gute zeugen“523 gebe, eingeschärft. Melanchthons und Luthers Äußerungen liefen auf die Feststellung heraus: „Denn vile leidlicher were es einem frommen man, sehen seiner kinder tod, denn das sie Türkische sitten müsten an nehmen.“524 Deutlich wird hier die Präzisierung der Anschauungen Luthers und Melanchthons. Mit der Unterscheidung der beiden Reiche war ein Weg gefunden, um auf aus dem Glauben gebotenen Verhalten, das etwa der Bergpredigt gemäß war, zu beharren, und andererseits „realpolitisch“ relevant sprechen zu können. 4.2.3. Die Schrift „Vom Kriege wider die Türken“ und das „Christianus-Karolus-Modell“ War im „Unterricht der Visitatoren“ der „Türkenproblematik“ schon ein Kapitel gewidmet, sollte Luther bald auch mit einer eigenen Schrift hervortreten, die diese Frage aufnahm. Sie war offensichtlich notwendig geworden. In die Aufrufe zum Kampf gegen die Türken mischte sich verstärkt Resignation. Einige Flugschriften vermittelten gar den Eindruck, als sei eine erträgliche Herrschaft zu erwarten, wenn man sich der osmanischen Streitmacht nur nicht widersetze.525 Die indirekten Bezugnahmen darauf sind ja schon in der Visitationsschrift deutlich geworden. Teilweise zeitigten solche Flugschriften Folgen: Manche als Soldaten rekrutierte Bauern desertierten etwa während der 522 523 524 525 Melanchthon Studienausgabe (StA), 256f. Ebd., 257. Ebd., 257. Vgl. WA 30 II, 86.; Vgl. Kissling, Türkenhoffnung. 117 Schlacht von Mohács zu den Osmanen.526 Darüber hinaus wanderten die Menschen in dieser Zeit auch bewusst unter die osmanische Oberherrschaft ab, da die dortigen Lebendbedingungen erträglicher erschienen.527 Ob diese Meinung allerdings historisch zutreffend ist, kann kaum noch wirklich beurteilt werden. Allerdings gibt es, ohne eben verallgemeinern zu können, deutliche Hinweise dafür, dass alles in allem die Abgabenlast in den osmanischen Gebieten für die Bauern tatsächlich geringer war, als im „christlichen Abendland“.528 So hatten viele im zeitlichen Umfeld der Schlacht von Mohács erschienene Schriften nun verstärkt den Grundtenor, vor der Schickung in ein vermeintlich unabwendbares oder gar herbeizusehnendes Schicksal zu warnen und die fürchterlichen Folgen einer osmanischen Oberherrschaft anschaulich zu beschreiben.529 Es handelt sich - mit Winfried Schulze zu sprechen – um eine propagandistische Kommunikation. In diese Tendenz fügten sich ab 1528 dann auch Luther und die übrigen lutherischen Reformatoren ein.530 Während eine Delegation Erzherzogs Ferdinands zur Hohen Pforte zu Verhandlungen wegen der Auseinandersetzungen um Ungarn unterwegs war, verfasste Luther seine Schrift „Vom kriege widder die Türcken“531, die im Oktober 1528 fertiggestellt wurde, im April 1529 im Druck erschien und noch im selben Jahr siebenmal aufgelegt wurde. Es war die erste von Luthers sogenannten „Türkenschriften“. Hier flossen die Ergebnisse der zwischenzeitlich gewonnenen Einsichten in die Frage einer politischen Ethik ein. Anders als noch in seinen frühen Äußerungen, die politische Fragen rein theologisch zu beantworten suchten, wurde von Luther hier der Versuch unternommen, theologische Erkenntnisse im Raum des Politischen praktikabel zu machen. In der Schrift, die er dem Landgrafen Philipp von Hessen, der zwischenzeitlich zu einem politischen Anführer des reformatorischen 526 527 528 529 530 531 Göllner, Turcia III, 316f. Vgl. Dulmeau, Angst, 399. Majoros/ Rill, Reich, 49f; Jansky, Südosteuropa, 1171. Vgl. WA 30 II, 89ff. Schulze, Türkengefahr, 21ff. Ebd., 107ff. 118 Lagers geworden war, widmete, erwähnte Luther zunächst, er sei schon fünf Jahre zuvor, also 1523, von Freunden um eine solche Schrift gebeten worden, nun würden ihn diese Freunde „zwingen ... zuvolenden“532. Die Schrift hat einen deutlich rechtfertigend Charakter, mit dem sich Luther von seiner bisherigen Position, die durchaus als „pazifistisch“ gelten konnte, absetzt. Luher bietet nun für den enstandenen Raum des politischen Protestantismus eine theologische Begründung eines Krieges gegen die Osmanen. Luther wehrte sich zunächst gegen die, die „dem pobel einbilden, man solle und musse nicht widder die Türcken kriegen“,533 und dabei sogar behaupteten, sich auf ihn berufen zu können. Unter ausdrücklichem Verweis auf seine 1523 erschienene Schrift „Von weltlicher Obrigkeit wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“,534 legte er seine Auffassung dar. Luther machte deutlich, dass seine Ablehnung eines Kreuzzuges in erster Linie weniger der konkreten kriegspolitischen Frage, als dem theologischen Missbrauch des Politischen durch das Papsttum galt: „Also war dazumal der Babst und die geistlichen alles ynn allen, uber allen und durch alle wie ein Gott ynn der welt, und lag die weltliche oberkeit ym finstern, verdruckt und unbekand.“535 Gerade gegen diese Anmaßung der Kirche in weltlichen Dingen, die ganz offensichtlich mit einer Vernachlässigung ihrer geistlichen Aufgaben einherging, hatte Luther sich nach eigenen Worten gewandt und damit die Eigenständigkeit weltlicher Regierung betonen wollen.536 In seiner sogenannten Obrigkeitsschrift hatte Luther dann wie gezeigt seine Grundanschauungen zur Frage des Verhältnisses von theologischer Erkenntnis und politischem Handeln, die im Wesentlichen auf eine dialektische Zuordnung von geistlicher und weltlicher Herrschaftsausübung hinauslief, entfaltet. Damit hob der Reformator hinsichtlich des „Türkenkrieges“ seine frühere Auffassung über die Notwendigkeit einer sittlichen Besserung der Christenheit und seine Kritik am päpstlichen Ablass nicht auf, doch 532 533 534 535 536 WA 30 II, 107. Ebd. WA 11, 245ff. WA, 30 II, 109. Lohse, Theologie, 170. 119 entfaltete er nun mit Hilfe der hier gewonnenen Grundanschauung seine Einschätzung über die Möglichkeit eines Krieges. Dabei benutzte Luther in der Schrift gegen die Osmanen von 1528 eine den „zwei Regimentern“ oder „zwei Reichen“ ähnliche Denkfigur. Er differenzierte zwischen dem „Herrn Christianus“, damit ist die Christenheit gemeint, und dem „Keyser Karolus“, also der weltlichen Macht.537 Beide hätten nun ihre je spezifischen Aufgaben des Streites, meinte Luther: Karolus kämpfe militärisch und der „Herr Christianus“ führe den geistlichen Kampf gegen die Osmanen, der nach wie vor in Buße und Gebet bestehe. Offensichtlich war sich Luther aber des Erfolges seiner Aufforderung hier nicht ganz sicher, denn er schob einige Information über die osmanische „Schreckens-Herrschaft“ nach und bestritt deren angebliche religiöse Toleranz,538 die in Flugschriften (s.o.) gelegentlich behauptet worden war: „Denn der Türcke (wie gesagt) ist ein diener des Teuffels, der nicht allein land und leute verderbet mit dem schwerd (Welchs wir hernach hören werden) sondern auch den Christlichen glauben und unsern lieben Herrn Jhesus Christ verwüstet. Denn wie wol ettlich sein regiment darynn loben, das er yderman lest gleuben was man will, allein das er weltlich herr sein will, So ist doch solch lob nicht war. Denn er lest warlich die Christen öffentlich nicht zu samen komen.“539 Wie prekär die Lage nach dem Bauernkrieg war, wie trügerisch die Ruhe in der bevölkerung, machen solche und andere Äußerungen deutlich. Die Fürsten und auch Luther waren sich der Untertanen nicht sicher. Luther offenbarte in diesem Zusammenhang durchaus eine gewisse Kenntnis des Islam, hatte er doch nach eigenen Angaben aus dem Koran „etlich stück“ gelesen. Wenn er Zeit habe, fügte er hinzu, wolle er den Koran ebenso wie die Bibel verdeutschen, damit „yderman sehe welch ein faul schendlich buch es ist“.540 Luther bot dann im Wesentlichen 537 538 539 540 die bekannten Unterscheidungspunkte Vgl. WA 30 II,116, vgl. Bornkamm, Mitte, 521ff. Ebd., 120ff. Ebd., 120. Ebd., 122. zwischen 120 christlichem und muslimischem Glauben, wobei er im Islam mit der apologetischen Tradition des späten Cusanus, des Georgius de Hungaria u.v.a. nur teuflischen Lügengeist konstatieren konnte, der – und hier parallelisierte Luther die Osmanen mit den aufständischen Bauern um Thomas Müntzer - mit Krieg und Mord einhergehe.541 Wenn Luther in o.g. Zitat die Osmanen als Teufelsdiener bezeichnete, so mag dies im übrigen den vorherigen Ausführungen, wo sie als Gottes Zuchtrute dienten, widersprechen. Es weist aber auf eine grundsätzliche Schwierigkeit hin. Luther ist kein systematischer Denker, der exakte Definitionen entwickelt und sie dann auch durchhält! Diese wenig systematische Argumentation Luthers hat ihren Grund auch darin, dass die meisten Schriften des Reformators, die „Türkenschriften“ zumal, Gelegenheitsschriften sind, mit denen Luther auf eine ganz bestimmte Situation reagierte. Nur aus diesem jeweiligen Zusammenhang heraus sind dann seine Äußerungen zu verstehen. So kann Luther, um bei dem genannten Beispiel zu bleiben, an anderer Stelle die Osmanen in dieser Schrift auch gleichzeitig als Gottesrute und Teufelsdiener, später einfach als „leibhafftigen Teuffel“542 bezeichnen. Doch wird man in diesen scheinbar widersprechenden Äußerungen nicht nur eine mangelnde Systematik in Luthers Anschauungen erblicken dürfen. Die scheinbar paradoxe Definition der Osmanen hatte auch einen sachlichen Grund: Die Osmanen mussten gleichsam zu Teufelsdienern werden, denn gegen eine Zuchtrute Gottes konnte man nur schwer kämpfen. Die auf der rein rationalen Ebene oft nur als Widersprüche zu begreifenden Aussagen mythischen Denkens werden hier deutlich. Von der transrationalen Logik der gläubigen Wirklichkeitsdeutung konnten die Osmanen allerdings beides, göttliche Zuchtrute und Teufelsdiener zugleich sein. In binnentheologischer Perspektive können andere Widersprüche bei Luther gedeutet werden. An einer Stelle behauptet er, dass durch die Osmanen nicht nur die christliche Religion zerstört werde, sondern 541 542 Ebd., 125f. Ebd., 116. 121 auch „das gantz weltlich Regiment.“543 Luther bezieht sich hier auf Augustins Äußerung über die verbrecherischen Staaten, die nichts anderes als „große Räuberbanden“ seien. Durch die Kriegsführung der Osmanen sieht Luther Augustins Einschätzung auf die Osmanen als zutreffend an.544 Kurz darauf leugnet Luther nicht, „dass die Turcken untereinander trew und freundlich sind und die wahrheit zu sagen sich vleyssigen, .... Es ist kein Mensch so arg, Er hat etwas gutts an sich.“ Dies passt nun wiederum kaum zu der Aussage, „welch ein öffentliche herrliche Sodoma die Türckey sey“.545 Später heißt es dann: „... wirstu sehehn bey den Türcken nach dem eusserlichen wandel ein dapfer strenge und ehrbarlich wesen: Sie trincken nicht wein, sauffen und fressen nicht so, wie wir thun, kleiden sich nicht so leichtfertiglich und frölich, bawen nicht so prechtig, brangen auch nicht so, schweren und fluchen nicht so ...“546. Der scheinbare Widerspruch in diesen Aussagen findet seine Auflösung innerhalb der Lehre Luthers von „Gesetz und Evangelium“, die an anderer Stelle entfaltet (s.u.) wird: Da die bürgerliche und durchaus beachtliche „Gerechtigkeit“ der Osmanen nicht dem wahren Glauben entspringt, ist sie trotz allen Glanzes letztlich von Übel und zerstörerisch. Die wichtigste Grundentscheidung in dieser Schrift Luthers ist dann jedoch die Zuordnung von weltlicher und geistiger Ebene des Kampfes gegen die Osmanen. Den kriegerischen Angriffen der Osmanen zu wehren, ist für Luther keine geistliche, sondern eine weltliche Aufgabe des „Keyser Karol (oder wer der Keyser ist)“547. Die Untertanen des Kaisers haben deshalb für Luther die Pflicht, den Kampf des Kaisers gegen die Osmanen zu unterstützen. Es ist gerade seine ihm von Gott gegebene Aufgabe, „seines Ampts, seine unterthanen zu schuetzen“.548 Damit aber übt der Kaiser eine streng politische und keine religiöse 543 544 545 546 547 548 Ebd., 125. Ebd., 123. Ebd., 142. Ebd., 188. Ebd., 129. Ebd., 130 122 Aufgabe aus, denn er ist „nicht das heubt der Christenheit noch beschirmer des Euangelion oder des glaubens.“549 Während ein Kampf der Christenheit unter „Pfaffen- odder creutz pannier, wenns gleich ein crucifix selbs were“550 für Luther völlig ausgeschlossen blieb, wurde dem Kaiser damit selbstverständlich das Recht der Kriegsführung zugebilligt. Dabei verstand Luther den Gehorsam der Christen, in Ausziehung der Argumentationslinie der Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“. Offen bleibt, warum Luther sich relativ spät zu den politischen Implikationen der „Türkengefahr“ aus reformatorischer Sicht äußerte. Die schon erwähnte Bezugnahme auf einen älteren Plan in der Widmung für Landgraf Philipp und die sofortige Abweisung des Vorwurfes, als sei es reformatorische Lehre, nicht gegen die Osmanen zu kämpfen, die Rechtfertigung für die frühen Äußerungen in dieser Frage sowie der Hinweis auf die Obrigkeitsschrift, die doch diese Problematik faktisch schon beantwortet habe, scheinen jedenfalls auf den schon genannten Rechtfertigungsdruck hinzudeuten. Dieser ist wohl auf dem Hintergrund der zunehmenden Gefahr für das Reich und den Vorwürfen eines lutherischen „Pazifismus“ zu sehen. Zwischenzeitlich hatten sich die protestantischen Reichsstände als eine politische Kraft formiert, die den vermeintlichen lutherischen „Pazifismus“ ebenfalls nicht teilte. Für sie wird deshalb eine dezidierte Stellungnahme des Reformators ebenfalls von erhöhter Wichtigkeit gewesen sein. Hinzu kamen die inneren Entwicklungen in den lutherischen Territorien. In Kursachsen und Hessen wurde seit dem Reichstagsabschied von Speyer 1526 eine evangelische Landeskirche aufgebaut, so dass Luther nun auch von daher gezwungen war, zu Fragen der Weltgestalt evangelischen Glaubens Stellung zu nehmen. Wichtiger aber noch dürfte hinsichtlich der osmanischen Bedrohung die Frage des Verhaltens der lutherischen Stände gegenüber dem Kaiser gewesen sein. 549 550 Ebd., 130. Ebd., 115. 123 Mit dem „Unterricht der Visitatoren“ und mit Luthers erster „Türkenschrift“ wurde hinsichtlich der Frage eines gemeinsamen Vorgehens der evangelischen und katholischen Reichsstände eine positive Antwort impliziert. Schon seit dem 15. Jahrhundert war die Abwehr der Osmanen als gemeinsame ständische wie kaiserliche Aufgabe aufgefasst worden,551 auch jetzt wurden die Reichsstände wieder zur Unterstützung des Reiches aufgefordert, wobei diese Hilfe mit König Ferdinand von Österreich und Kaiser Karl V. entschiedene Gegner der Reformation betraf. Sollten die Lutheraner ihre Gegner unterstützen? Es liegt nahe, dass nun hier ein klärendes Wort Luthers erforderlich war, das seine Schrift ebenfalls geben konnte und gab. Die Antwort war eindeutig positiv. Die konfessionellen Differenzen hinsichtlich der „Türkenfrage“ in das politische Kalkül zu ziehen, kam Luther nicht in den Sinn. Als Landgraf Philipp an Luther 1529 schrieb, er möge sich gegen die Unterstützung der Türkenpolitik Karls und Ferdinands durch die Protestanten aussprechen, solange jene noch keine politischen Zugeständnisse gegenüber diesen gemacht hätten, wand sich Luther um eine Stellungnahme.552 Er blieb in einem für die lutherische Tradition später so folgenreichen Sinne „unpolitisch“. Zur Politik des späteren „Schmalkaldischen Bundes“, der z.B. auch die Verständigung mit dem osmanischen de-facto-Vasallen Janos Zápolya und zu König Franz I. von Frankreich suchte,553 oder zu dem Bündnis Franz’ mit Suleiman fehlte Luther jeder innerer Zugang. Gewisse freundliche Avancen, die der Sultan, der die Protestanten in seinem Machtbereich keineswegs brutal unterdrückte,554 Luther gegenüber machte, wies dieser weit von sich.555 Luther fasste die Expansion des Osmanischen Reiches zu keiner Minute als „Chance“ auf, selber den lutherischen Kräften im Reich Vorteile verschaffen zu können, weil der Kaiser auf sie angewiesen war. Dass die Reformation auf einer politischen Betrachtungsebene ihre Entfaltung in gewissem Sinne auch den Osmanen verdankte, die die Kräfte Kaiser Karls und anderer 551 552 553 554 555 Lutz, Einheit, 246. WA Br. 5,197ff; 203. Lutz, Einheit, 259. Pfister, Reformation, 374; Göllner, Turcia III, 221ff. Göllner, Turcia III, 175. 124 Reformationsgegner banden, hat Luther ebenfalls nicht so gesehen. Selbst eine theologische Interpretation dergestalt, dass sich Gott der Osmanen bediene, um die Reformation indirekt zu schützen, findet sich nicht. Der Grund dürfte darin liegen, dass Luther bald mit Vehemenz das apokalyptische Deutungsschema übernehmen sollte. Die radikalen Reformatoren gingen ihm darin voraus 4.3. Andere Stimmen 4.3.1. Apokalyptische Naherwartung bei den Täufern: Hans Hut, Balthasar Hubmaier und Michael Sattler Mit Müntzers Tod war der „radikale Flügel“ der Reformation keineswegs verschwunden. Nun trat dezidiert die (Wieder)-Täuferbewegung an die Stelle der aufrührerischen Bauern. Nach Müntzers Tod 1525 und dem gleichzeitigen Scheitern des Bauernkrieges und spätestens seit der Schlacht von Mohács 1526 musste sich in den Reihen der radikalen Reformatoren erneut die Frage nach der Funktion der Osmanen im Zuge der apokalyptischen Erwartungen stellen. Dass die Osmanen nun auch in den apokalyptischen Vorstellungen ein deutlicheres Profil bekamen, lässt sich an der Verkündigung des Täufers Hans Hut (14901527) deutlich aufzeigen. Hut wird als „Müntzers Erbe“556 bezeichnet. Der in Hain/Franken geborene Hut war zunächst in Bibra bei Meiningen Küster der dortigen Ritter zu Bibra.557 Gleichzeitig betätigte er sich als wandernder Händler von Flugschriften. In diesem Zusammenhang kam Hut auch nach Wittenberg, wo er Gottesdienste und Vorlesungen der Reformatoren besuchte. 1524 schloss er sich Gegnern der Kindertaufe an, nachdem ihm die Wittenberger eine schlüssige Begründung der Kindertaufe nach seiner Meinung schuldig geblieben waren. Seine Stellung bei den Herren von Bibra musste er mit seiner Familie verlassen. 1525 geriet er in die Auseinandersetzungen des Bauernkrieges, in denen er Müntzer kennenlernte. Schon während der entscheidenden Schlacht von 556 557 Vgl. auch den gleichnamigen Titel der maßgeblichen Biographie über Hut von Seebaß. Zur Biographie vgl. Bautz, Art.: Hut, Hans, 1213ff. und Seebass, Erbe, 161ff. 125 Mühlhausen verließ Hut den Bauernhaufen, verkündete aber in der Folgezeit Müntzers apokalyptische Ideen weiter. Obwohl er also der Täuferbewegung zuzurechnen ist,558 ist er in der Bewahrung der apokalyptisch-chiliastischen Verkündigung Müntzers dessen eigentlicher „Erbe“. Hut wirkte in der Folgezeit als Täuferprediger in Süddeutschland und Österreich, wobei er sich wie Müntzer als endzeitlicher Prophet, als eine Art neuer Daniel, verstand.559 Dabei gelang es ihm, nun auch anders als bei Müntzer, die Osmanen in sein apokalyptisches Konzept profiliert zu integrieren. Wie Luther, Müntzer und andere sah Hut in den Osmanen eine Strafe Gottes für die unbußfertige Christenheit. Allerdings nahm Hut markante Veränderungen in seiner Interpretation der Osmanen und ihrer Funktion im Hinblick auf das Christentum vor. Nicht um den Schutz der Reformation oder das Recht der Bauern, sondern um die apokalyptische Bewahrung der Wiedergetauften ging es für ihn. In Kürze, so weissagte er nach der Schlacht von Mohács, würden die Osmanen von Ungarn her nach Deutschland einbrechen und alle nicht Wiedergetauften vernichten, die Wiedergetauften hingegen würden gerettet.560 Die Aufgabe der Täufer in diesem apokalyptischen Szenario variiert dann aber in Huts Aussagen. Einmal sollten diese nach Ungarn oder in bestimmte Reichsstädte fliehen, um dort noch Übriggebliebene Nicht-Wiedergetaufte zu töten, ein andermal sich in Mühlhausen, dem Ort der Entscheidungsschlacht im Bauernkrieg, versammeln, um eine neue Gesellschaftsordnung im chiliastischen Sinne aufzurichten.561 Unklar bleibt auch, ob die Täufer zusammen mit den Osmanen kämpfen sollten, um das Gericht an den „ungläubigen“ Christen zu vollziehen, oder ob sie erst danach nun ihrerseits die Türken besiegen sollten.562 Das Ende der Zeit und der Anbruch des Tausendjährigen Reiches wurde jedenfalls von Hut für das Jahr 1528 erwartet.563 558 559 560 561 562 563 Vgl. Goertz, Täufer, 86ff. Seebass, Erbe, 261. Ebd., 210, 223, 256f. u.ö. Ebd., 210, 217,370. Ebd., 218. Vgl. Bautz, Hut, 1214; Zschoch, Rhegius, 274; Seebass, Erbe, 386ff. 126 Keinesfalls war Hut wegen der apokalyptischen Funktion der Osmanen bereit, gegen diese im Sinne der Landesverteidigung zu kämpfen. Dies brachte ihn jedoch in Konflikt mit anderen Täuferführern, besonders Balthasar Hubmaier (1480/85-1528), der im tschechischen Nikolsburg unter dem Schutz der Obrigkeit eine Täufergemeinde etabliert hatte. Hubmaier sah es auch für die Wiedertäufer als Pflicht an, gegen die Osmanen mit der Obrigkeit zu kämpfen.564 Im Zuge eines Religionsgespräches im Nikolsburger Schloß „unterlag“ Hut. Er wurde festgenommen, konnte aber fliehen. Hut verkündigte weiter seine Auffassung von der endzeitlichen Funktion der Osmanen, denen man deshalb nicht wehren dürfe. Hut hat das Jahr 1528 nicht mehr erlebt. Im August 1527 wurde er anlässlich einer festgenommen, Versammlung in der von Täuferführern Gefangenschaft durch in den Augsburg Augsburger Stadtschreiber und bekannten Humanisten Conrad Peutinger verhört und auch auf seinen Befehl hin gefoltert. Im Zusammenhang eines von Hut selbst gelegten oder zumindest veranlassten Gefängnisbrandes gelang der Ausbruch nicht, statt dessen erstickte Hut. Posthum wurde ihm der Prozess gemacht, er wurde erhängt und anschließend verbrannt.565 Der Tod Huts erhöhte unter seinen Anhängern das chiliastische Fieber.566 Zu dem für den Jahreswechsel 1527/1528 geplanten Aufstand der Täufer kam es jedoch nicht. Ein Grund dafür war, dass der von Hut geweissagte Einfall der Osmanen ausblieb.567 Theologisch liegen Huts Auffassungen nahe bei Müntzers Konzentration auf die „Erwählten“. Hut hat dabei wie Luther auch einen triadischen Völkerbegriff nutzen können, allerdings verwandte er ihn in besonderer Bedeutung: Hut kann von „Juden, Türken, haiden“ sprechen. Ihnen billigt er potentiell zu, zur Gemeinde der Auserwählten gehören zu können. In seinem Gemeinschaftsverständnis wurde die „Bruderschaft“ der Auserwählten zur zentralen Bezugsgröße. Nach der 564 565 566 567 Seebass, Erbe, 263. Bautz, 1215. Zschoch, Rhegius, 275. Seebass, Erbe, 381. 127 Endschlacht des Jahres 1528 sollte diese Bruderschaft zusammen mit Christus im Tausendjährigen Reich herrschen. Ausgehend von der Bibelstelle Epheser 3,18, wo von der „Breite und Länge und Tiefe und Höhe“ des Leibes Christi die Rede ist, bezog Hut die „Tiefe“ und „Höhe“ des Leibes Christi auf dessen Menschwerdung und Erhöhung, die „Länge“ stand für die Leidensgeschichte der auserwählten Gemeinde. Die „Breite Christi“ bedeutete jedoch für Hut eine in der ganzen Menschengemeinschaft vorhandene latente Kirche: „Die brait Christi ist als brait, als die ganze welt ist an allen orten, wo menschen seind, die nach dem willen Gottes leben one ansehen der personen im gehorsam wie Christus, es seind Juden, Türken, haiden.“568 Hut zeigt sich sowohl in seiner apokalyptischen wie dogmatischen Interpretation der Osmanen als Müntzers Erbe. Mit seiner positiven Einschätzung der Osmanen, die als Einzelne in einer wohl anonym zu verstehenden Weise zum „wahren“ Christentum berufen und damit erwählt sein können, nähert er sich auch den Spiritualisten an. Gleichzeitig steht diese Strömung in der altkirchlichen Tradition der Auffassung vom „logos spermatikos“,569 die davon ausgeht, dass der göttliche Geist auch schon vor Christus in besonderen „Heiden“, etwa Platon, gewirkt habe. Offensichtlich wird die damals aber eher zeitlich vorgängige Anschauung nun synchronisiert. Aufgrund seiner Weigerung gegen die Osmanen zu kämpfen, ist Hut teilweise fälschlich unter die pazifistisch gesonnenen Täufer gerechnet worden. Tatsächlich galt der Verzicht auf den Waffengebrauch jedoch nur aus den genannten Gründen für den Türkenkrieg.570 Andere Täufer lehnten aus prinzipiellen Gründen jeglichen Kriegsdienst ab. Dies tat etwa der schweizerisch-süddeutsche Täuferführer Michael Sattler (1490/1500-1527) mit dem Verweis auf das Fünfte Gebot. Sattler, wahrscheinlich zunächst Prior im Kloster St. Peter im Schwarzwald, fand in Zürich zum Täufertum. Nachdem die Bauernaufstände endgültig gescheitert waren, trug Sattler auf einer 568 569 570 Zit. in ebd., 471. Hägglund, Geschichte, 22. Seebass, Erbe, 263. 128 Täufersynode in Schleitheim bei Schaffhausen wesentlich zur Konsolidierung der Täuferbewegung bei. Revolutionäre Umtriebe lehnte er völlig ab, ebenso jede Verbindung mit staatlichen Organen. Die Schleitheimer Artikel, „die Gründungsurkunde des protestantischen Freikirchentums schlechthin“571, waren wesentlich von Sattler inspiriert, wenn nicht gar von ihm verfasst. Darin hieß es u.a.: „das Schwert ist eine Gottesordnung außerhalb der Vollkommenheit Christi. ... Christus sollte zum König gemacht werden, ist aber geflohen und hat die Ordnung seines Vaters nicht berücksichtigt. So sollen wir es auch tun und ihm nachlaufen. .... Die Weltlichen werden gewappnet mit Stachel und Eisen, die Christen aber sind gewappnet mit dem Harnisch Gottes, mit Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede, Glaube, Heil und mit dem Wort Gottes.“572 Ein Kampf mit oder gegen die Osmanen war von dieser Grundlage aus nicht möglich. Kurz nach der Schleitheimer Synode wurde Sattler verhaftet und ihm der Prozess gemacht. Sattler verteidigte in seiner Gerichtsverhandlung seine Auffassungen und bekräftigte die ihm zugeschriebene Äußerung, dass er, gesetzt den Fall, Krieg zu führen sei erlaubt, lieber gegen die falschen Christen, gemeint waren die Nicht-Wiedergetauften, als gegen die Osmanen Krieg führen wolle. Seine Richter bezeichnete er als geistige „Türken“.573 Auf selbst für die damalige Zeit ungewöhnlich grausame Weise wurde Sattler im Mai 1527 in Rottenburg hingerichtet.574 Zusammenfassend lässt sich zur Haltung der Täufer in der „Türkenfrage“ sagen: Zwar war durch die Rezeption des AntichristMythos durch Luther die apokalyptische Grundstimmung schon innerhalb der Reformation verankert worden, doch blieb sie zunächst eher eine potentielle Reformatoren nicht Haltung, aktualisiert die durch wurde. Luther Dies und betraf andere auch die Einschätzung der Osmanen in diesem Zusammenhang. Virulent wurde die apokalyptische Grundstimmung zunächst innerhalb der radikalen 571 572 573 574 Heinz, Art.: Sattler, 1403ff. Steubing, Bekenntnisse, 265f. Hege, Art.: Sattler, 33ff. Heinz, Art.: Sattler, 1406. 129 Reformation. Die hier nicht weiter darzustellenden Zusammenhänge zwischen sozialer Marginalisierung und der Bereitschaft zur Aufnahme apokalyptischer Anschauungen werden jedoch deutlich. Von einer einheitlichen Haltung gegenüber den Osmanen innerhalb der Reformation und von einer allgegenwärtigen „Türkenfurcht“ kann keine Rede sein. Mit den Osmanen verbanden sich für die sozial Benachteiligten auch deutliche Hoffnungen. Das den einfachen Untertanen gegenüber wiederholte Einschärfen zur Kampfbereitschaft gegen die Osmanen macht dies deutlich. Die „Türkenfurcht“ war in den sozial unterprivilegierten Schichten, zu denen auch die Wiedertäufer meist gehörten, keineswegs die einzige Form der Wahrnehmung der Türken. Die Täufer konnten mit den Osmanen durchaus Hoffnungen verbinden. Sie waren weniger Boten des Antichrist, denn Vollstrecker des Gerichts an den ungläubigen Christen. In der radikalen Reformation wurden diese Anschauungen auf ein Geschichtsbild hin transzendiert, dass den politisch ohnmächtigen Wiedertäufern die herrschende Teilhabe an einem „Tausendjährigen Reich“ ermöglichen sollte. In diesem Zusammenhang hatten die Osmanen ihre „Rolle“ zu spielen. Weniger die „Türkenfurcht“, denn letztlich eine differenzierte „Türkenhoffnung“ bewegte die Täufer. 4.4. Zwischenbilanz: Die Schlacht von Mohács und der Kontakt zu Königin Maria von Ungarn, aber wohl mehr noch die Notwenigkeit zur Ausbildung einer eigenen politischen Ethik, veranlassten Luther, sich intensiver mit der „Türkenproblematik“ zu beschäftigen. Hatte Luther sich in den voraufgehenden Jahren noch eher auf eine kritisierende oppositionelle Rolle von Papst und Kaiser beschränkt, sah er sich nun dazu verpflichtet, eigene Vorstellungen im Rahmen einer politischen Ethik zu entwickeln, da die Reformation in einigen Landeskirchen eine eigene Sozialgestalt gewann und der Protestantismus zunehmend eine eigenständige politische Größe wurde. Von der sog. Zwei-Reiche-Lehre her konnte Luther dann auch einem „Türkenkrieg“ seine eigenständige Legitimation als weltlicher Angelegenheit zubilligen. Damit trat er auch 130 einer verbreiteten Kritik von vornehmlich altgläubiger Seite an Luthers vermeintlich „defätistischer“ Haltung in diesen Dingen entgegen. Im Zentrum seiner Überlegungen, wenn es um die Feinde der Reformation - und damit für ihn der christlichen Wahrheit - ging, stand aber weiter das Papsttum. Wenn auch nun die Osmanen mehr und mehr in Luthers Blickfeld rückten, ist von einem apokalyptischen Bedrohungsszenario bei ihm nach wie vor keine Rede. Diese Grundhaltung bleibt bis zur Belagerung Wiens durch die Osmanen 1529 weiter eine Angelegenheit der radikal-reformatorischen Gruppen, die ihre chiliastischen Auffassungen durch unterschiedliche „Rollenzuweisungen“ an die Osmanen in diesem endzeitlichen Drama deutlich machten. 5. Kapitel: Endzeitstimmung 1529-1532 5.1. Luthers Aufnahme apokalyptischer Vorstellungen 5.1.1. Die politischen Ereignisse Mit der Niederlage der Ungarn in der Schlacht von Mohács 1526 war die „Vormauer des Christentums“ durchbrochen. Ungarn blieb jedoch zunächst als Pufferstaat gegen das Heilige Römische Reich erhalten. Es sollte Suleiman einstweilen genügen, die ungarische Puszta als Aufmarschgebiet gegen Wien politisch botmäßig zu haben.575 Er zog sich hinter die alte Grenzlinie hinter Belgrad zurück. Trotzdem kam Ungarn nicht zu einer Ruhepause, da es sofort zu Streitigkeiten um die Nachfolge des gefallenen Ungarnkönigs Ludwig kam. Im November 1526 wurde der Magnat Janos Zápolya, der ein alter Gegner der Habsburger war und vergebens um die Hand Marias angehalten hatte,576 in Stuhlweißenburg mit der Stephanskrone gekrönt, worauf sich Ferdinand, der Ehemann der Schwester König Ludwigs, inzwischen auch schon zum böhmischen König gewählt,577 von einer Minderheit der Stände im Dezember in Preßburg zum Gegenkönig ausrufen ließ. Das Osmanische Reich erkannte Zápolya als legitimen 575 576 577 Matuz, Osmanische Reich, 119. Vajda, Austria, 243. Brandi, Karl, 205. 131 König der Ungarn an,578 so dass eine militärische Auseinandersetzung zwischen Ferdinand und Zápolya unausweichlich erschien. Ferdinand suchte dazu abermals die Unterstützung der Reichsstände. Auf dem Reichstag in Regensburg 1527 wiesen sie dessen Hilfsanforderungen jedoch zurück. Fischer-Galati stellt fest: „Most delegates chose to believe the message delivered by Zápolya’s envoys to the effect that the Hungarian was a competent Christian ruler, able and willing to defend Hungary against the Turks.“579 Hinzu kam, dass Ungarn nicht zum Reichsverband gehörte und die Reichsstände also auch nicht zur Waffenhilfe verpflichtet waren. So konnten die Auseinandersetzungen um Ungarn formal durchaus als habsburgischosmanischer Konflikt Propagierung einer wahrgenommen die werden. Christenheit Mit allgemein Hilfe der betreffenden „Türkengefahr“ versuchte Ferdinand die nötige Unterstützung dennoch zu gewinnen.580 Besonders den lutherischen Reichsfürsten, wie dem hessischen Landgrafen und dem sächsischen Kurfürsten erschien es jedoch inopportun, Ferdinand zu unterstützen, so lange sich im Schutze des Reichstagsabschiedes von Speyer 1526 das Luthertum relativ ungehindert verbreiten und stabilisieren ließ.581 Ein baldiger Feldzug Ferdinands gegen Janos I. (Zápolya) war jedoch erfolgreich, so dass der von Ferdinand nach Siebenbürgen abgedrängte Zápolya, der sich bisher gegenüber den Osmanen recht unabhängig verhalten hatte, um Unterstützung an Suleiman wandte. Es gelang Ferdinand im November 1527 sogar die Krönung mit der Stephans-Krone in Stuhlweißenburg zu erhalten.582 Auf Dauer sollte er jedoch nur die Herrschaft über Westungarn, die heutige Slowakei, erlangen.583Im Februar 1528 schlossen Suleiman und Zápolya in Istanbul feierlich einen Bündnisvertrag. 584 Zápolya geriet damit zwar in Abhängigkeit 578 579 580 581 582 583 584 von Suleiman, trotzdem Fischer-Galati, Imperialsim, 31. Ebd., 30. Höfert, Türkengefahr, 107ff. Fischer-Galati, Imperialsim, 30. Rhode, Ungarn, 1086. Dzambo, Zäsur, 35. Majoros/ Rill, Osmanische Reich, 227. konnte er für seinen 132 Herrschaftsbereich Siebenbürgen eine weitgehende innere Autonomie erhalten.585 Ein militärischer Unterstützungsfeldzug Suleimans für Zápolya war nun zu erwarten. Zuvor gelangen Zápolya durch die gewonnene finanzielle Unterstützung Suleimans die ersten Erfolge.586 Erneut sollten unter diesen Vorzeichen die Fragen der Türkenhilfe auf einem Reichstag beraten werden, der im Februar 1529 in Speyer eröffnet wurde. Inzwischen hatte sich durch die sog. „Pack’schen Händel“, angebliche Geheimdokumente über einen geplanten Angriffskrieg Ferdinands mitsamt den katholischen Reichsständen gegen Hessen und Kursachsen,587 das „innenpolitische“ Klima im Reich so verschlechtert, dass man 1528 kurz vor einem innerdeutschen Krieg stand.588 Philipp von Hessen hatte dabei schon Janos Zápolya als Feind Habsburgs zu seinem Bundesgenossen gewonnen.589 Einen Präventivkrieg der lutherischen Stände, den Philipp plante, lehnte Luther allerdings scharf ab.590 Der Reichstag von Speyer 1529 war dann wiederum von der Verbindung von Türkenhilfe und religiöser Frage geprägt, wobei die altgläubigen Stände, die nun eine harte kaiserliche Politik und die endlich konsequente Durchführung des Wormser Edikts von 1521 wollten, die Lage weiter verschärften.591 Der Reichstag verabschiedete dann mit der Mehrheit der altgläubigen Stände das Reformationsverbot von Worms 1521, wogegen die lutherischen Reichsstände feierlich „Protestation“ einlegten. In diesem Zusammenhang erklärten sie, es sei ihnen unmöglich, Ferdinand militärisch zu unterstützen, wenn ihre eigene Sache in Gefahr sei. Hatte sich die versprochene Hilfe für Ferdinand gegen Zápolya und Suleiman schon bisher kaum hinreichend ausgenommen, war sie nun ohne den Anteil der „Protestanten“, wie die lutherischen Stände jetzt genannt wurden, völlig unzulänglich. Diese versuchten nun, wesentlich auf Betreiben des hessischen Landgrafen, auch als einheitliche politische 585 586 587 588 589 590 591 Molnar, Geschichte, 137. Rhode, Ungarn, 1087. Hauschild, Kirchen- und Dogmengeschichte II, 113. Ebd. Brandi, Karl, 247. Wolgast, Theologie, 114ff. Fischer-Galati, Imperialism, 33; vgl. auch Kühn, Reichstag. 133 Kraft aufzutreten, was jedoch angesichts der innerevangelischen Lehrdifferenzen schwierig war. Philipps Bündnispläne hatten zunächst keinen Erfolg. U.a. Kursachsen und die Reichsstadt Nürnberg bekundeten ihre Kaisertreue und lehnten ein politisch-militärisches Oppositionsbündnis ab.592 Von einem einheitlichen protestantischen politischen Vorgehen war also zu keiner Stunde zu sprechen. Dazu trug nicht zuletzt Luther bei, der den politischen Bündnisplänen skeptisch gegenüber stand und in den Kaiser immer noch Hoffnungen setzte. Inzwischen hatte Ferdinand auch versucht, die Unterstützung von Papst Clemens VII. für sich zu erlangen. Diese war prinzipiell zu erwarten, weil der Papst sich auch bisher wie seine Vorgänger für einen gemeinsamen Kreuzzug der christlichen Fürsten gegen die Osmanen eingesetzt hatte,593 er Ungarn besonders nahe stand und das habsburgische Verhältnis zu ihm nach dem „Sacco di Roma“, der Plünderung Roms durch habsburgische Truppen 1527, dringend verbessert werden musste: Schon als Kardinal war Clemens Prokurator Ungarns gewesen,594 so dass ihm die ungarische Sache besonders nahe lag. Seine Bemühungen um Unterstützung für das bedrängte Königreich im Vorfeld der Schlacht von Mohács waren allerdings erfolglos gewesen. Nach dem „Sacco di Roma“ waren gemeinsame Kreuzzugspläne zusammen mit den Habsburgern zunächst obsolet geworden. Clemens hatte statt dessen Kontakt zu Zápolya hergestellt. Nach Zápolyas Bündnis mit Suleiman wollte er Ferdinand seine Unterstützung nicht versagen. Da im Frieden von Barcelona 1529 zwischen Karl V. und Clemens letzterer dem Kaiser auch umfangreiche Finanzmittel zur Verfügung gestellt hatte, waren die Aussichten zunächst günstig. Clemens exkommunizierte dem Willen der Habsburger entsprechend Zápolya wegen seines Bündnisses mit Suleiman.595 Im Sommer desselben Jahres trat sogar der französische König Franz I. den Kreuzzugsplänen im Frieden von Cambrai bei.596 Doch sollte die Einigung nicht von langer Dauer sein, da Karl sich trotz 592 593 594 595 596 Hauschild, Kirchen- und Dogmengeschichte II, 114. Pastor Päpste IV/2, 437ff. Ebd., 437. Ebd., 446. Buchanan, Luther, 152; Köhler, Karl, 198f. 134 des Widerspruches von Ferdinand im Streit um die italienische Stadt Ferrara wieder gegen den Papst stellte.597 Zudem gab es auch eine habsburgfeindliche Partei im Vatikan, die eine indirekte Unterstützung der Weltmonarchiepläne Karls durch die „Türkenhilfe“ des Papstes für inopportun hielt.598 Clemens riet Ferdinand jetzt, Zápolya doch Ungarn zu überlassen. Sei dieser sich erst einmal seines Besitzes sicher, werde er auch wieder bereit sein, mit den christlichen Fürsten gegen die Osmanen zu ziehen.599 Inzwischen war Suleiman, nachdem Zápolya mit ihm das Schutzbündnis abgeschlossen hatte, erneut nach Buda herangerückt. Er eroberte die Stadt von Söldnerheeren Ferdinands am 8. September 1529 zurück. 14 Tage später stand Suleiman vor Wien. Damit war die osmanische Streitmacht unmittelbar vor dem Zentrum der Hauptmacht der westlichen Christenheit angelangt. Eine Bedrohung, die in ihrer Symbolkraft nur der Konstantinopels von 1453 vergleichbar war, und die die abendländische Christenheit, auch Martin Luther, auf das Tiefste erschütterte, so dass hier von weit mehr als „einem großen Thema“600 für die zeitgenössische Publizistik gesprochen werden kann. Offensichtlich schienen sich die apokalyptischen Ängste, die sich seit Jahrzehnten in zahlreichen Weissagungen und anderen Texten manifestiert hatten, nun in tatsächliche Ereignisse zu verwandeln. Doch kam es anders als 1453 nicht zur Eroberung der Stadt. Mehrere Eroberungsversuche scheiterten, am 16. Oktober 1529 brach Suleiman die Belagerung ab und zog sich nach Istanbul zurück. Die „Türkengefahr“ blieb jedoch akut. Wieder sollte ein Reichstag nun weitreichende Maßnahmen beschließen. Auf dem für 1530 nach Augsburg einberufenen Reichstag erreichten die protestantischen Stände den Erfolg, dass zunächst nicht wie geplant über die „Türkenhilfe“, sondern über die Glaubensfrage verhandelt wurde.601 Karl, der auf die militärische Unterstützung der Protestanten angewiesen war, musste diesem Ansinnen nachgeben. Doch blieben 597 598 599 600 601 Pastor, Päste IV/2, 441. Ebd., 451. Ebd., 453. Höfert, Türkenfurcht, 108. Hauschildt, Kirchen- und Dogmengeschichte II, 117. 135 diese Verhandlungen, in deren Mittelpunkt die dann zur protestantischen Bekenntnisschrift gewordenen „Confessio Augustana“ stand, erfolglos, ebenso die Frage der „Türkenhilfe“.602 Das Wormser Edikt wurde im Reichstagsabschied vom 19.11.1530 wiederum gegen die protestantischen Stände bekräftigt. Im Sommer 1532 drohte dann eine neue Offensive der Osmanen.603 Die protestantischen Reichsstände, hatten sich mit einigen beträchtlichen Ausnahmen zwischenzeitlich im „Schmalkaldischen Bund“ zu einem eigenen Verteidigungsbündnis gegen den Kaiser bzw. die altgläubigen Stände zusammengeschlossen. Sie konnten Karl V. nun auch mit gesammelter militärischer Potenz gegenüber treten. Die neuerliche „Türkengefahr“ sollte zum zentralen Regensburger Reichstages von 1532 werden. 604 Thema des Während seiner Sitzungsperiode kam es in Schweinfurt zu Sonderverhandlungen. Hier berieten die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes mit den Kurfürsten von Mainz und der Pfalz erneut eine Lösung der religiösen Frage, die mittlerweile durch die Entstehung eines politischen Protestantismus auch eine politische Dimension angenommen hatte. Doch blieben diese Verhandlungen erfolglos. Die protestantischen Stände verbanden eine Hilfe für einen geplanten Kriegszug Karls gegen die Osmanen weiterhin mit der Forderung nach einer dauernden Friedenszusage in religiösen Dingen. Allerdings bestand hier keine Einigkeit. Die Gesandten des brandenburgischen Markgrafen Georg zeigten die Bereitschaft ihres Herrn an, seinen Beitrag zur „Türkenhilfe“ zu leisten, ebenso erwies sich die Reichsstadt Nürnberg den kaiserlichen Wünschen entgegenkommend.605 Der Schmalkaldische Bund blieb jedoch hart, so dass sich Karl zu Sonderverhandlungen mit diesem genötigt sah, was aber andererseits den Widerstand der katholischen Stände weckte.606 Um die Zusicherung der Schmalkaldener zur Unterstützung gegen die Osmanen zu bekommen, erklärte sich der Kaiser bereit, die in 602 603 604 605 606 Ebd., 119. Westermann, Türkenhilfe, 71. Vgl. besonders Westermann, Türkenhilfe. Ebd., 89. Ebd., 138ff. 136 Schweinfurt ergebnislosen aufzunehmen und die Verhandlungen erneut Durchführung des in Nürnberg Augsburger Reichstagsabschieds von 1530 auszusetzen. Karl vereinbarte im sog. „Nürnberger Anstand“ eine Art Stillhalteabkommen in religiösen Fragen und einen weiteren Schutz des Landfriedens,607 so dass im Sommer des Jahres 1532 protestantische und katholische Truppen gemeinsam gegen die Osmanen nach Ungarn zogen.608 Luther, dem „politischen Protestantismus“ eines Landgrafen Philipp abhold, begrüßte dieses gemeinsame Vorgehen. Dem Kurprinzen Joachim von Brandenburg, Sohn des streng altgläubigen Kurfürsten Joachim I. und der vor ihrem Mann zu Luther geflohenen Kurfürstin Elisabeth,609 der als Hauptmann des sächsischen Wehrkreises selbst gegen die Osmanen kämpfen wollte, schrieb Luther einen Brief, der noch einmal seine Reichs- und Kaisertreue deutlich machte. Er hatte dem jungen Kurprinzen einstmals bei dessen Aufenthalt in Wittenberg persönlich eine Art „Konfirmandenunterricht“ erteilt.610 Luther bedauerte zunächst, dass er nicht selber mitkämpfen könne, bekannte aber, „dass wir doch geistlich mit unserm ernsten Gebet bei dem lieben Kaiser Karol und den seinen ins Feld ziehen und unter seinem Fähnlein helfen kämpfen wider den Satan und seine Gelieder.“611 Luther hoffte, dass sich nun der im Buch Daniel (Kapitel 7) verheißene Engelfürst Michael zur Endschlacht aufmache. Im übrigen forderte er von den Kämpfern Gottvertrauen statt Zuversicht auf eigene Kraft oder gar Ruhmsucht. Karls Feldzug blieb allerdings ergebnislos, da sich Suleiman der offenen Feldschlacht verweigerte.612 Wohl eher war es Suleiman überhaupt mit diesem Feldzug nur um eine Machtdemonstration und eine „Rekognostizierung“613 gegangen. Eine eigentliche strategische Absicht scheint er nicht verfolgt zu haben. 607 608 609 610 611 612 613 Hauschildt, Kirchen- und Dogmengeschichte II, 123. Lutz, Einheit, 259f. Mast, Hohenzollern, 34f. Ebd., 35. WA Br 6, 344. Jansky, Südosteuropa, 1180. Majoros/Rill, Osmanische Reich, 229. 137 5.1.2. Die „Heerpredigt wider die Türken“ Luther, der sich bereits mit seiner Schrift „Vom Kriege wider den Türken“ eindeutig für eine militärische Verteidigung gegen die Osmanen ausgesprochen hatte, sollte unter dem Eindruck der Belagerung von Wien 1529 noch stärker in die Debatte eintreten. Als er auf der Rückreise vom „Marburger Religionsgespräch“ mit den oberdeutschen und schweizerischen Reformatoren von der Belagerung Wiens erfuhr, schrieb er zusammen mit Melanchthon an Friedrich Myconius, den Reformator Thüringens,614 um nähere Informationen zu den Prophezeiungen des Franziskanermönchs Johannes Hilten615 zu erbitten. Myconius hatte beide in Marburg auf Hilten aufmerksam gemacht. Hilten war im Jahre 1500 nach fünfundzwanzigjähriger Kerkerhaft in Eisenach gestorben. Er hatte sich als vehementer Kritiker des Papsttums betätigt und gleichzeitig von der endzeitlichen Rolle der Osmanen geweissagt. Daneben prophezeite er auch für das Jahr 1516 einen Mann, der die Kirche erneuern werrde. Es war naheliegend, wenn Luther diese Voraussage auf sich selbst bezog. Nun schien auch Hiltens Prophezeiung bezüglich der Osmanen wahr zu werden. Offensichtlich übersandte Myconius Luther und Melanchthon auch einen heute verschollenen Daniel-Kommentar des Franziskanermönches.616 In ihm hatte er die endgültige Zerstörung des Papsttums und den Angriff der Osmanen auf das römisch-deutsche Reich vorausgesagt.617 Melanchthon und Justus Jonas gingen daraufhin daran, einen Kommentar zu Kapitel 7 des Danielbuches zu verfassen (s.u.). Luther berechnete in dieser Zeit das Jahr 1540 als wahrscheinliches Weltende.618 Die schon aufgenommenen spätmittelalterlichen Geschichtsbilder, besonders die Identifikation des Papsttums mit dem Antichrist wurden nun dramatisch aktualisiert. Luther war, wie gerade gesehen, offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, die Endzeit sei jetzt unmittelbar angebrochen. Hatte er noch in 614 615 616 617 618 Stupperich, Reformation, 238. Wolff, Hilten, 78ff. Pfister, Reformation, 362. Cunningham/ Grell, Horsemen, 45. Ebd., 171; WA 53, bes. 170. 138 seiner frühen Psalmenvorlesung im Blick auf das Kommen des Antichrists bzw. überhaupt des Weltendes mit Augustin619 daran festgehalten, den genauen Zeitpunkt zu wissen, sei den Menschen nicht gegeben, sah dies nun ganz anders aus. In seiner Studierstube stand der Spruch an der Wand: „Millesimo Sexcentesimo veniet Turcus Totam Germaniam devasturus.“620 Es wäre jedoch ein Missverständnis, als sei Luther nun von Endzeitpanik oder Untergangsfatalismus erfasst worden oder habe er konsequent an einem bestimmten Datum, etwa dem Jahre 1540, festgehalten. Trotz der Auffassung vom nahen Ende der Zeiten lebte und handelte Luther weiter in seinem Sinne zielgerichtet, d.h. in der Verbreitung der reformatorischen Interpretation des Wortes Gottes. Das Luther zugeschriebene Wort vom Apfelbäumchen, das er pflanzen wolle, wenn er wüsste, dass am nächsten Tage die Welt unterginge,621 illustriert diese Haltung aus Endzeiterwartung und konzentriertnüchternem Handeln sehr anschaulich. Die positive Deutung der apokalyptischen Bilder und Gedanken seiner Zeit hebt dann die damit verbundenen Ängste faktisch auf, wenn Luther vom „lieben jüngsten Tag“622 spricht. Wie Luthers Anschauungen in ihrer unbestreitbaren Nähe zu den spätmittelalterlichen apokalyptischen Vorstellungen im Einzelnen kategorisiert werden können, bleibt dabei eine definitorisch schwer zu fassende Frage. Möglicherweise kann die Unterscheidung zwischen einer unterschiedlichen Frömmigkeitsstruktur in den ehemals zum Römischen Reich und den davon nicht erfassten Gebieten Deutschlands weiterhelfen, wobei dann die „North German piety“623 eher offen für apokalyptische Gedankengänge war, als eine mehr historisch-evolutionär verfasste Weltanschauung im deutschen Südwesten. Wohl kaum kann man jedoch die ebenfalls vorgenommene Unterscheidung von Eliten- und Volkskultur treffen, die die Angst vor 619 620 621 622 623 Selge, Denken, 274f. Zit. in Vogler, Geschichtsauffassung, 119. Tatsächlich ist dieses Wort bei Luther nirgends eindeutig belegt, vgl. Büchmann, Worte, 346. Dazu, Korsch, Luther, 144; 143ff. So Barnes, Prophecy, 35f. im Referat der Thesen von Rothkrug, Practices. 139 Hungersnöten und Gespenstern dem „Volk“ zuschreibt, hingegen die Angst vor dem Teufel, den Ketzern, den „Türken“ usw. einer theologischen „Elite“.624 Eher ist in Anlehnung an Will-Erich Peuckert von einer Trennung in eine bäuerlich-mythische und eine eher bürgerlich-rational städtische Kultur zu sprechen, wobei dann die apokalyptischen Ängste und Vorstellungen der bäuerlichen Kultur zuzurechnen sind.625 Während die Bauern „Träger und dankbare Hörer einer uralten „sachlichen, apokalyptischen ständischen, Reichsreformbestrebungen“626 Kaiserhoffnung“ dem Kaiser Angelegenheit sind, sind die entgegenbauenden eines städtischen Bürgertums. Martin Luther als Einwohner der Ackerbürgerstadt Wittenberg war solchen bäuerlichen Traditionen sicher näher als Zwingli, Erasmus und Calvin als Einwohner damaliger „Metropolen“ wie Zürich, Basel oder Genf. Noch zutreffender bzw. vertiefender und weiterführender als diese Sicht der Dinge erscheint m.E. jedoch die auch sonst anzutreffende Tatsache, dass die apokalyptischen Vorstellungen bei den sozial Unterprivilegierten eher einen Wurzelboden fanden, als bei den führenden Schichten. Diese These trifft sich dann mit Peuckerts Auffassung hinsichtlich des Bauerntums. Die sozial gerade in dieser Zeit erheblich bedrängten Bauern hatten eher Grund, dass Ende der Welt zu erwarten als Kaiser Karl V. oder auch nur Erasmus von Rotterdam. Für sie musste Luther als der große Wundermann erscheinen, der nun „die grosse Wende“ (Peuckert) brachte. Doch bleibt festzualten, dass Luther sich selbst nicht so sah. Er hat seine diesbezüglichen Vorstellungen nicht durch die Vermittlung der Bauern oder gar der Wiedertäufer entwickelt. Luther kommt deshalb in den Entwicklungen, die zu den Bauernkriegen führten, selbstverständlich, wie Peuckert dies eindrucksvoll herausgearbeitet hat, eine zenrale Stellung zu, doch ist Luther keineswegs selbst ein Produkt dieser wirtschaftlichen und politischen Konfliktlinien. Seine Haltung erwächst hinter Klostermauern! Luthers zutiefst ambivalentes Verhältnis zu den 624 625 626 So Vocelka, Ängste, 296, in Anlehnung an Muchembled, Kultur. In kritischer Auseinandersetzung dazu Heimpel, Mensch, 111ff. Heimpel, Mensch, 112. 140 Bauern braucht hier nicht näher besprochen werden. Die Übernahme apokalyptischer Hoffnungen und apokalyptischer Bilder durch Luther muss also in einer differenzierteren Weise als in der lediglichen Einwurzlung in einer bäuerlich-mythischen Apokalyptik vor sich gegangen sein. Dies macht auch das Folgende deutlich: Entscheidender Schlüssel der Geschichtsdeutung wurde für Luther das siebte Kapitel des Buches Daniel, in dem der biblische Prophet eine Traumvision von vier aus dem Meer steigenden phantastischen Tieren beschreibt, die zugleich als für vier Königreiche stehend qualifiziert werden. Das vierte Tier markiert mit seinem Ende den Einbruch der Endzeit. Luthers in der Folgezeit starker Rekurs auf Dan 7 macht deutlich, welchen Wandel er in seinem Geschichtsverständnis zwischenzeitlich durchgemacht hatte. Außer das Luther 1521 einmal die vier Monarchien des Danielbuches, von denen dann eine das Osmanenreich sein sollte, gegen das päpstliche „antichristliche“ Reich gestellt hatte, nahm er auf den Propheten Daniel kaum Bezug.627 Noch 1527 hatte er sich ausdrücklich gegen die „newen deutelmeister“628 gewandt, die sich für ihr Geschichtsverständnis auf Daniel beriefen. Damit war wohl neben den „Schwärmern“ wie Müntzer oder Hoffmann auch Melanchthon gemeint (s.u.)! Nun schloss sich Luther selbst diesen „Deutelmeistern“ an. Da das Buch Daniel für die Geschichtsdeutung der Reformatoren von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, soll es hier in seinem historischen Kontext in einem Exkurs dargestellt werden. Exkurs: Die Bedeutung des biblischen Buches Daniel für die Geschichtsauffassung der Reformation Schon seit jeher hat besonders das siebte und das zweite Kapitel des im 2. vorchristlichen Jahrhundert entstandenen Danielbuches629 zu großangelegten Geschichtsspekulationen veranlasst. Der Schluss des Buches scheint geradezu dazu aufzufordern: 627 628 629 WA 7, 729; vgl. Hofmann, Johannes-Apokalypse, 377; vgl. Barnes, Prophecy, 39, der aber auf Luthers frühe und grundsätzliche Zustimmung wert legt. WA 23, 485. Lebram, Daniel, 325ff. 141 „Und du, Daniel, verbirg diese Worte und versiegle dies Buch bis auf die letzte Zeit. Viele werden es dann durchforschen und große Erkenntnis finden.“ (Dan 12,4) Die Bedeutung des Buches Daniel für die Geschichtsschreibung vor der Aufklärung kann schwerlich unterschätzt werden.630 War doch das Ziel besonders der (christlichen) Weltchronistik, „in dem Getriebe der Welt den Finger Gottes erfahrbar zu machen.“631 Dies schien besonders das rechte Verständnis dieser Schrift leisten zu können. Das Buch Daniel war das erste vollständig kommentierte Buch der Christenheit.632 Durch den Kirchenvater Hieronymus wurde dann ein Kommentar geschaffen, der epochal wirken sollte. Hieronymus wehrte sich dabei gegen die Angriffe des Porphyrius, der das Buch Daniel lediglich als eine Sammlung von vaticiniae ex eventu ansah. Der HieronymusKommentar wurde Bestandteil der mittelalterlichen glossa ordinaria. Der Daniel-Kommentar des Nikolaus von Lyra wurde schließlich als Teil seiner Postilla literalis 1471/1472 als erster biblischer Kommentar gedruckt.633 Die Grundaussagen des Buches Daniel, seine lange fortwährenden Bilder - teilweise wurden sie wie der „Koloss auf tönernen Füßen“ sprichwörtlich - sind mythischer Natur: „Das Buch bietet keine systematisch geschlossene Geschichtsphilosophie, weist keinen in sich kohärenten göttlichen Geschichtsplan auf. Warum die Geschichte in ihren einzelnen Stationen so oder nicht anders verläuft, bleibt göttliches Geheimnis ..., das nur an hervorragenden Brennpunkten durch Offenbarung transparent gemacht wird für den menschlichen Geist“634. Konkret lässt sich jedoch feststellen, dass das Buch Daniel zu den besonders stark apokalyptisch geprägten Texten des Alten Testamentes zählt. Es bezieht sich in seinen Endzeitvisionen auf das Reich Alexanders des Grossen und die nachfolgenden Diadochenstaaten. Die Rahmenerzählung bildet eine Szene am Hofe 630 631 632 633 634 Koch, Universalgeschichte, 11ff. Goez, Danielrezeption, 193. Ebd., 184. Ebd., 185. Koch, Universalgeschichte, 34. 142 des neubabylonischen Königs Nebukadnezar II. (604-562 v. Chr.), dessen Traum von der für vier Weltreiche stehenden großen Statue (Dan 2), sowie der Traum des am Hofe Nebukadnezars gefangenen jüdischen Sehers Daniel von den vier Tieren (Dan 7), die ebenfalls vier Weltreiche bedeuten, traditionelle Motive aufnimmt. Der Gedanke von der Abfolge von Weltreichen findet sich bereits in einer nur bruchstückhaft überlieferten Weltchronik des griechischen Arztes Ktesias, der am Hofes des persischen Königs Artaxerxes II. wirkte. Auf diese Chronik sollte sich später ausdrücklich Melanchthon beziehen.635 Ktesias bildete eine Reihe aus den Weltreichen Assyrien - Medien Persien, die dann zu einer feststehenden Konstruktion in der römischen Tradition wurde. Wahrscheinlich repräsentiert dieses „NachfolgeSchema“ in diesem wie in anderen Fällen den Versuch, historische Legitimität für die eigene Herrschaft zu konstruieren.636 Der WeltreichGedanke wurde offensichtlich aber auch zur Zeit der Diadochenreiche „in den Kreisen der orientalischen Untertanenbevölkerung im Zuge eines wachsenden Widerstandes gegen die makedonische Fremdherrschaft“637 aufgenommen und im jüdischen Kontext in die historisch unzutreffende Reihe Neubabylonier - Meder - Perser Makedonier umgewandelt. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die dem Danielbuch zugrunde liegende Tradition schon bearbeitet ist.638 Die Deutung von den vier Weltreichen läuft bei Daniel auf die von 175 167 v. Chr. währende Herrschaft des Seulekiden Antiochus IV. hinaus, der durch seine Verfolgung der jerusalmer jüdischen Gemeinde für eine besondere - als endzeitlich empfundene - Bedrängnis gesorgt hatte.639 Man wird die geschichtliche Wirkung des Danielbuches im späten Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit wie gesagt nicht hoch genug einschätzen können. Dies ist nicht zuletzt deshalb so, weil Jesus von Nazareth sich selbst allein den Titel „Menschensohn“, der im Danielbuch eine prominente Rolle spielt (Dan 7,13), zugesprochen hat. Unter dem Eindruck der biblischen Weissagungen aber stand die 635 636 637 638 639 Häusler, Weltchronnstik, 163 Koch, Universalgeschichte, 22f. Noth, Geschichtsverständnis, 41. Vgl. zum Sachkomplex Noth, Geschichtsverständnis. Vgl. ebd. 143 mittelalterliche Geschichtsschreibung in besonderer Weise. Herbert Grundmann hat darauf hingewiesen, dass es immer wieder in der historischen Analyse der Besinnung darauf bedürfe, dass „alle geschichtlichen Leistungen und Gebilde jener Zeit unter den gleichen geistigen Voraussetzungen gestanden haben ... . Wenn alle zeitgenössischen Betrachter und Chronisten und nicht nur die zünftigen Theologen die Geschichte unter den Gesichtspunkten einer bestimmten göttlich verbürgten Ordnung der Zeiten betrachten und beurteilen, so können nicht gleichzeitig die Menschen, die Geschichte machten, ganz unbekümmert um dieses offenbarte und überlieferte Wissen um die Zeitenordnung gehandelt haben“640. Grundmann spricht geradezu vom „beherrschenden Einfluss dieser Endzeiterwartung auf die Geschichtsbetrachtung und auf das ganze Kulturbewusstsein dieser Zeiten.“641 Dass die Welt auf eine Ende hinaus lief, wie es die Bibel vorhergesagt hatte, war überall unstrittig, die Frage war nur, wann dieses Ende kam! Dass dem Buch Daniel mit seinem weltgeschichtlichen Ablaufschema deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, liegt nahe. Schon Tertullian und später Hieronymus hatten das vierte Weltreich auf das Römische Reich bezogen.642 Im Mittelalter war die Danielsvision von den vier Weltreichen dann dahingehend abgewandelt worden, dass nun das Römische Reich, dass nach dem Untergang des Weströmischen Reiches im Zuge der „translatio imperii“643 auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation bezogen wurde, das vierte und letzte Weltreich sei. Ihm schien nach 2 Thess 2,7 - einen Vers aus einem Abschnitt, in dem der Apostel Paulus über die endzeitliche Erscheinung des Antichrist spricht - die Aufgabe zuzufallen, das Kommen desselben aufzuhalten (Kat´echon). Das Ende des Römischen Reiches würde gleichzeitig das Ende der Welt bedeuten. Luther und Melanchthon waren in ihren diesbezüglichen Anschauungen schwankend. Melanchthon blieb der These insgesamt gegenüber 640 641 642 643 Grundmann, Grundzüge, 419. Ebd., 423. Ebd., 424; Goez, Danielrezeption, 190. Vgl. Goez, Translatio. 144 zurückhaltend und konnte sowohl die Auffassung vom historischen Ende des Römischen Reiches wie die vom Weiterbestehen dieser vierten Monarchie bis zum Ende der Zeiten vertreten.644 Ähnliches gilt für Luther. In seiner Adelsschrift bestritt der die translatio imperii radikal.645 Die Gründe dafür waren aber vorwiegend anti-päpstlicher Natur, konnte doch für Luther eine „antichristliche“ Institution solch einen Rechtsakt nicht geleistet haben.646 Trotz gelegentlich abweichender Äußerungen scheint Luther im Großen und Ganzen an der Fortdauer der „Vierten Monarchie“ festgehalten zu haben.647 Trotzdem muss allerdings gesehen werden, dass es nicht eine sozusagen kanonische Geschichtsanschauung gab, sondern mehrere Vorstellungen miteinander konkurrierten (etwa die augustinische Auffassung von den sechs Weltzeitaltern oder die Joachim von Fiore zugeschriebene Vision vom „Dritten Reich“) bzw. sich in differenzierter Weise beide miteinander verbanden. Dies wird im Folgenden deutlich werden. Es ist ferner auch darauf hinzuweisen, dass die Wirkkraft mittelalterlicher Geschichtssauffassungen im 16. Jahrhundert im Schwinden begriffen war. Schon die Scholastik hatte, vollends nach Aufnahme der aristotelischen Gedanken über die unbegrenzte Dauer der Welt, eine Abkehr von geschichtsphilosophischen Spekulationen vollzogen. Thomas von Aquin lehnte jegliche an biblischen Mustern orientierte Geschichtsphilosophie ab.648 Die Humanisten nahmen hingegen zum Teil die Weltalterlehre differenziert wieder auf, legten aber das Ende der Welt in ferne Zeiten. Bei Pierre Bodin hingegen finden sich dergleichen Berechnungen überhaupt nicht mehr. Emanuele Tremellio und Francois de Jon sollten die Danielweissagungen dann wieder allein auf die Zeit des Antiochus Epiphanes IV. beziehen.649 Doch gerade die Reformatoren haben, anders als die zeitgenössischen 644 645 646 647 648 649 Vgl. Seifert, Rückzug, bes. 28ff. WA 6, 463. So Neddemeyer, Mittelalter, 66, vgl. auch Seifert, Rückzug, 39, der die Bewertung der rechtlichen Seite der translatio durch Luther für diesen als weniger bedeutsam ansieht. Darin einig Neddermeyer, Mittelalter, 65ff; Seifert, Rückzug, 39. Grundmann, Grundzüge, 425. Miegge, Regnum, 242. 145 katholischen Theologen,650 mit ihrer Anknüpfung an den besonders in Deutschland starken Geschichtssymbolismus die Repristination der an Daniel orientierten Geschichtsbetrachtung noch einmal nachhaltig gefördert und zugleich aktualisiert. Als Beispiel dafür sind das „Chronicon Carionis“ 1532/1558ff. von Philipp Melanchthon (s.u.) und die „brief but highly regarded world chronicle“651 „De quatuor summis imperiis“ von Johannes Sleidanus 1556 zu nennen. Es sei an dieser Stelle auch noch kurz darauf hingewiesen, dass die Rezeption der danielischen Weissagungen selbst in den Islam Eingang fand. In der islamischen Tradition war ebenfalls der Traum des Nebukadnezar von den vier Weltreichen bekannt. Der die Statue zerstörende Stein wurde hier auf den Propheten Mohammed bezogen, der alle Weltreiche zerstört habe.652 Als Luther seine „Heerpredigt wider den Türken“653 fertiggestellt hatte, waren die Türken bereits vor Wien abgezogen. Luther hielt jedoch an dem Plan einer Veröffentlichung fest, da er der festen Überzeugung war, trotz dieses Aufschubs, würden durch den Kampf gegen die Osmanen die Endzeitereignisse ihren Lauf nehmen. Die Heerpredigt kam zwar nicht mehr für eine Schlacht um Wien „zum Einsatz“, sie konnte nun aber jederzeit aktualisiert werden. Der Druck der ersten Ausgabe steht nicht fest, doch wohl schon wenig später,654 am 3. Januar 1530, kam die zweite Auflage der Schrift heraus. Dass Luther nun ganz im Bann der apokalyptischen Wirklichkeitsdeutung stand, wird sofort deutlich: „Daniel sagt, das noch dem Türcken flugs das gericht und die helle folgen sol, Und man sihets auch zwar wol an der that, wie grewlich er die leut, kind, weiber, jung und allt erwürget, spiesset, zu hacket, die 650 651 652 653 654 Leppin, Antichrist, 45f. mit eindrucksvollen Zahlen aus der diesbezüglichen Flugschriftenliteratur. Barnes, Prophecy, 108. Bobzin, Danielrezeption, 169. WA 30 II,160ff. Ebd., 151. 146 yhm doch nichts gethan, und so handelt, als sey er der zornige teuffel selbs leibhafftig.“655 Luther entwarf dann eine ausführliche geschichtssymbolistische Auslegung des 7. Kapitels des Danielbuches,656 die auf die bekannte Auffassung hinauslief, dass es sich bei dem geweissagten vierten Reich (Dan 7,7ff.) um das römische Kaisertum handle, welches im Heiligen Römischen Reich seine Fortsetzung finde. Auf dieses sollte – in deutlicher Ablehnung chiliastischer Gedanken657 – das Reich Gottes folgen. Damit stabilisierte Luther indirekt auch erheblich den Reichsgedanken, ganz anders als Zwingli, der das Reich als „DrecksImperium“ titulierte (s.u.), und die radikalen Reformatoren, die den Niedergang des Reiches herbeisehnten bzw. mit herbeiführen wollten. Für alle Hörer Luthers war mit dieser Heerpredigt auch klar: Die lutherische Reformation war „reichstreu“ und keineswegs der Totengräber des Sacrum Imperium: „Das erst das keiserthum zu Assyrien und Babilonien, Das ander das keiserthum der Persen und Meden, Das dritte das keiserthum des großen Alexanders und der Kriechen, das vierde das Römische keiserthum, welchs das grössest, gewaltigst und grausamest, dazu auch das letzte ist auf erden, wie hie Daniel klerlich zeigt, das nach dem Vierden thier oder keiserthum das gereicht folget und kein ander keyserthum mehr, sondern das reich der heiligen das ewig ist.“658 Deshalb könne es, so folgerte Luther, an dieser Stelle kein osmanisches Imperium geben, dass das Römische Kaisertum ablösen werde, „odder Daniel würde zum lügener, das ist nicht müglich.“659 Vielmehr seien nun die Osmanen „der letzte und ergeste zorn des teuffels widder Christum“.660 Danach handelte es sich bei ihnen um das in Dan 7,8 geweissagte „kleine Horn“. „So wir nun das selbige kleine Horn den Mahometen und sein reich hie gewislich haben. So können wir nun leichtlich und klerlich aus Daniel 655 656 657 658 659 660 Ebd., 162. Ebd., 164ff. Vgl. dazu Hofmann, Johannes-Apokalypse, 451, 491ff. WA 30 II, 166. Ebd., 166. Ebd., 162. 147 lernen, Wofür der Türcke und das Mahometisch reich zu halten sey, Und auch, was er für Gotte gelte.“661 Die Augen dieses Hornes waren für Luther der „Alkoran“, eine Schrift, die für ihn nicht göttlich sein konnte, weil in ihr nur stehe, „was menschliche witze und vernunfft wol leiden kann“662, das Maul des Hornes waren für Luther die vermeintlichen Lästerreden Mohammeds, der sich über Christus stelle. Den Kriegern gegen die Osmanen musste also klar sein: Sie befanden sich nicht in irgendeiner Schlacht, sondern im weltgeschichtlichen Endkampf. Denn – so Luther – „können wir sicherlich weissagen, dass der jüngst tag müsse für der thür sein.“663 Auch wenn, wovon Luther hier ausging, dieser Kampf verloren gehe, so sei doch Hoffnung, denn das Ende der Zeiten und damit Christi Wiederkunft nahe. Luther greift dann auch auf das 20. Kapitel der Johannes-Apokaypse zurück, wo von Gog und Magog die Rede ist, und bezieht diese Gestalten ebenfalls auf die Osmanen. An deren endzeitlicher Rolle besteht also kein Zweifel. „Der Türke“ „wird also ein ende nehmen, wenn er am aller mechtigsten und auffs aller best gerüst ist, ... . Eben wenn das selb stündlin kommen wird, das er so vile noch thun will und trotzig und gyrig sein wird, da wird Christus mit schwefel und feur uber yhn komen ...“664. Zunächst aber muss, damit das Ende der Zeiten anbrechen kann, das Osmanische Reich seine „Rolle“ spielen. „Denn hie hörestu das dem Mahomet odder Türcken der sieg widder die Christen und heiligen verkündigt ist, wie denn bisher geschen ist ...“665. Luthers Schrift versucht hier – unter ausdrücklichem Verweis auf seine erste Türkenschrift666 - vergeblich eine paradoxe Spannung zwischen geistlicher und weltlicher Betrachtungsweise auszuhalten. Unter christlichem Vorzeichen bleibt es verboten zu kämpfen – „Christus will 661 662 663 664 665 666 Ebd., 168. Ebd., 168 Ebd., 171. Ebd., 172. Ebd., 173. Ebd., 173. 148 schwach sein und leiden auff erden mit den seinen“667 – aber trotzdem wird der Christ in seiner Eigenschaft als Kriegsmann zum Kampf ermuntert: Im Bett stirbt er schließlich allein mit seinen Sünden an „drus (Beulenpest) oder pestilenz“, gibt Luther zu bedenken, hier „sterben viel heiligen mit dir, und hast Göttliche, heilige, liebliche gesellschaften, die mit dir farn“.668 Dass dieser weltliche Krieg nun doch wieder stark geistlich legitimiert wird, lässt sich nur schwer bestreiten, zumal betont wird, der christliche Kriegsmann könne beim Töten eines osmanischen Soldaten keine „unschuldig blut“669 vergießen, weil die Osmanen „von Gott als seine Feinde zum tode und zur hellen verurteilet sind“,670 so dass der Soldat sich in der Gewissheit wiegen könne, nur das göttliche Gericht zu streiten?“ 671 vollstrecken. „Wie köntestu ehrlicher und löblicher So sollen denn die Soldaten „mit freunden die faust regen und gestrost drein schlahen, morden, rauben und schaden thun, so vile sie ymer mügen.“672 Trotz dieser geistlichen Legitimation des Krieges gegen die Osmanen handelt es sich bei Luther hier keineswegs um Kreuzzugspropaganda. Weder sollen christliche Besitztümer zurückerobert noch die Kirche geschützt werden. Eher muß von einem umfassenderen „Glaubenskrieg“673 in dem Sinne gesprochen werden, dass es sich hier für Luther in radikaler Weise um eine Auseinandersetzung innerhalb einer geradezu apokalyptischen Dimension handelte. Deshalb hielt Luther auch hier an seiner Aussage fest, es gehe nicht an, in dem üblichen Sinne des Kreuzzuges in christlichem Namen gegen die Osmanen zu streiten, vielmehr solle sich ein Christ „zuvor sich bekeren und sein leben bessern und also mit furcht und ernstlichem gebet zu solchem trost und trotz kommen“674, um dann für die apokalyptische Schlacht gerüstet zu sein. 667 668 669 670 671 672 673 674 Ebd., 173. Ebd., 176. Ebd., 174. Ebd. Ebd. Ebd., 179. Engel, Mächte-Europa, 274ff. WA 30 II, 180. 149 Ausdrücklich bekennt sich Luther nun zum Buch Daniel und der deutenden Auslegung, die er noch 1527 ablehnte: „Wird Daniels schrifft veracht, so ligt nichts dran, ob unser schrifft auch verlacht werde, Wir haben den text, der uns nicht leugt noch treugt“.675 In einem zweiten Teil seiner „Heerpredigt“ ging es Luther nach einer eher geschichtstheologischen Sicht der Dinge dann ausdrücklich darum, „die faust zu vermanen“676. Ausdrücklich bestätigte er der Obrigkeit das Recht, Steuern zu erheben und in den Kriegsdienst zu berufen. Es sei, so meinte er, nun endlich an der Zeit, tatkräftig Buße zu tun. Ausdrücklich nannte er Junker, Handwerker und Bauern in diesem Zusammenhang. Wieder wird seine mit der Türkenfrage zusammenhängende Sozialkritik deutlich: „... unser Jungkern vom Adel haben bisher gnug gebrasset, geschlemmet, gerennet, gestolzirt, gebranget mit alzu überflüssiger kost und kleidung ... . Desselbigen gleichen auch die bürger und kauffleut mit ubermessigem schmuck und unzelichem wucher und geitz lange gnug yhre lust verbüsset ... . Also auch der handwercks und baurs man, haben so lange her mit ubersetzten, schinden, stelen, rauben, neben anderen grossen mutwillen und ungehorsam eine redliche busse wol verdienet.“677 Gerade letztere seien durch das Evangelium (in der Auslegung Luthers) „frey und reich“678 aber offensichtlich nicht frömmer geworden. Deutlich wird hier der von den radikalen reformatoren unterschiedene Ansatz in der Sozialkritik. Luther steht nicht auf der Seite der sozial Marginalisierten. Alle Stände haben nach seiner Meinung versagt. Das apokalyptische Motiv trit in diesem Zusammenhang dann auch wieder etwas zurück, wenn mehr von der bedeutung der Buße die Rede ist. So hat er sich auch nie eindeutig auf einen ganz bestimmten Termin festgelegt, wie etwa Hans Hut dies tat. Deshalb kann Luther auch Fragen nachgehen, die im Rahmen einer apokalyptischen Naherwartung fast unnötig erscheinen: Luther gibt den Christen 675 676 677 678 Ebd., 178. Ebd., 181. Ebd. Ebd. 150 Ratschläge, wie sie sich, wenn sie in osmanische Gefangenschaft geraten, verhalten sollen. Luthers eigentümliche Mischung aus geradezu brennender Endzeitstimmung und sachlichem Tun – es sei nochmals an sein Wort vom Apfelbäumchen erinnert – unterscheidet ihn trotz nun sachlicher Nähe in der Geschichtsdeutung immer noch weit vom radikalen Flügel der Reformation. Eventuell gefangengenommenen Christen schärfte Luther ein, am christlichen Glauben - er hatte wohl Nachrichten von Konversionen erhalten - festzuhalten. Trotz aller auch von Luther hier konzedierten Frömmigkeit und den zivilen Leistungen der Muslime betonte er, dass die Osmanen die Göttlichkeit Jesu Christi bestritten und deshalb ihr Glaube für ihn teuflischen Ursprunges sei. Sollte ein Christ in seinem Glauben unsicher werden, empfahl er, so drücke er „mit dem daumen auff einen finger und dencke an Jhesum Christum, den sie nicht haben noch achten“679. Die wiederholten Mahnungen sprechen dafür, dass Konversionen zum Islam durchaus vorkamen, was um so schwerer wog, als auch Luther an keiner Stelle davon spricht, dass die Osmanen aktiv Mission betrieben, sondern auch er ihnen religiöse Toleranz durchaus konzedierte.680 Historisch lassen sich diese Konversionen in der Tat belegen. Abgesehen von zahlreichen Einzelkonversionen sind besonders Serben und Kroaten zum Islam übergetreten, die heutigen Bosnier, sowie ungefähr die Hälfte der Albaner.681 Auch das offensichtlich Luther als vorbildlich bekannte soziale Leben der Osmanen, solle den gefangenen Christen nicht als Grund zum Glaubensabfall dienen, fügte er hinzu. Tatsächlich war nicht nur die Macht und Pracht im Zeitalter Suleimans beeindruckend, sondern auch die Politik in den besetzten Gebieten. Wo vorhandene Strukturen keine Gefahr für die Osmanen darstellten, konnten sie bleiben wie sie vor der Eroberung waren. Die Osmanenherrscher verzichteten weitgehend auf die islamische Mission,682 insofern waren sie eher am Ruhm - um in 679 680 681 682 Ebd., 187. Ebd., 195. Majoros/Rill, Osmanische Reich, 51. Jansky, Südosteuropa, 1171. 151 europäischen Begriffen zu sprechen - des „Hauses Osman“ interessiert, als am Djihad. Schon dem Begründer der Dynastie war dabei vorhergesagt worden, aufsteigen.683 Doch geschichtstheologische seine Familie verzichteten Deutung die ihrer werde zur Sultane Weltherrschaft nicht Herrschaft,684 auf eine zumal seit Suleimans Vater Selim I. die sunnitische Orthodoxie verstärkt die osmanische Herrschaft prägte.685 Seit 1517 waren die Osmanen nach der Niederlage der ägyptischen Mamelucken-Dynastie auch die Schutzherren von Mekka und trugen den Kalifen-Titel, wodurch sie die höchsten geistige Würde der Sunniten erlangten.686 Man nahm dann sogar auch Anleihe bei der Vorstellung vom Weltkaiser der Endzeit und bezog diese nun wiederum auf sich selbst!687 So konnte dann doch gegenüber den „Ungläubigen“ vom „Heiligen Krieg“ gesprochen werden und so war das Bewusstsein, gegen die „ungläubigen Hunde“688 - die Christen - einen Glaubenskampf zu kämpfen auch bei den einfachen Soldaten durchaus vorhanden689 Da aber die Osmanen im Falle der politischen Herrschaft für Luther als legitime Obrigkeit anzusehen waren, wurde ihnen - außer in religiösen Dingen oder für den Fall des Kampfes gegen Christen - Gehorsam befohlen.690 Darin war die lutherische Obrigkeitslehre dann auch der osmanischen Herrschaft kompatibel. „Du must dencken, das du deine freyheit verloren hast und eigen worden bsit, daraus du dich selbs on willen und wissen deines Herrn nicht on sunde und gehorsam wircken kanst, Denn du raubest und stilest damit deinem herrn deinen leib, welchen er gekaufft hat oder sonst zu sich bracht, ...“691 683 684 685 686 687 688 689 690 691 Ebd., 1172. Vgl. ebd., 1172. Engel, Mächte-Europa, 276. Schilling, Mächte, 48. Fleischer, Lawgiver, 169. Majoros/ Rill, Osmanisches Reich, 47f. Zit. in. Gragger, Kulturdenkmäler, 3. WA 30, 192ff. Ebd. 152 Durch treues und korrektes Verhalten könne es, so gab Luther zu bedenken, sogar durch das Vorbild der Christen dazu kommen, dass sich Osmanen zum christlichen Glauben bekehren würden.692 Gegen Ende seiner Ausführungen kam dann auch wieder der eigentliche Gegner in den Blick: das Papsttum. Dieser wurde abermals als „viel erger“693 als die Osmanen bezeichnet, da er auch über die Seelen herrschen wolle: „Summa, Wo wir hin komen, da ist der rechte wirt, der teuffel, da heym, Komen wir zum Türcken, so faren wir zum teuffel, Bleiben wir unter dem Bapst, so fallen wir ynn die helle, Eitel teuffel auff beiden seiten und allenthalben.“694 In diesem endzeitlichen Kampf sollte sich der Christ, durch Luther geistlich zugerüstet, bewähren. War Luther nun auch deutlich zu einer apokalyptischen Interpretation der Osmanen gelangt und damit der wahrscheinlich bisher wirkmächtigste Vertreter dieses Modells geworden, trennt ihn doch von manchen radikalen Reformatoren, besonders Müntzer, ein maßgeblicher Unterschied: Chiliastische Erwartungen, den Glauben an eine tausendjährige Herrschaft Christi mit seinen Auserwählten, teilte er nicht.695 Die Reformation war für Luther vielmehr ein letzter Akt in der Geschichte vor dem Ende der Zeit, dass nun allerdings schneller, als er es selbst einst angenommen hatte, gekommen war. Dieses Ende jedoch heraufzuführen, lag für Luther, anders als für die radikalen Reformatoren, allein in Gottes Hand. 5.1.3. Weitere apokalyptisch geprägte literarische Äußerungen Luthers Luthers apokalyptische Grundhaltung blieb in der Folgezeit zunächst noch bestehen, bevor sie sich im Laufe der nächsten Jahre 692 693 694 695 Ebd., 195. Ebd., 195. Ebd., 195f. Nigg, Reich, 215ff. 153 abschwächte, ohne jedoch ganz verloren zu gehen.696 Auf der Veste Coburg, von der aus Luther den Ausgang des für die Reformation so bedeutenden Augsburger Reichstages von 1530697 „totis animi affectibus in Turcam et Mahometum“698 abwartete, entschloss er sich, bei der Übersetzung des Alten Testamentes ins Deutsche von seinem bisherigen Plan abzugehen, da das Ende der Welt möglicherweise schneller komme, als die Bibelübersetzung fertig sei. Er ließ die Arbeit am Jeremiabuch liegen und übersetzte nun aus dem Propheten Ezechiel Kapitel 38 und 39, jene Abschnitte, die vom Fürsten Gog aus Magog berichten, den Luther ebenfalls auf die Osmanen bezog699 und das als „Das XXXVIII. und XXXIX. Capitel Hesechiel vom Gog“ separat im Druck erschien. Der Inhalt soll hier kurz skizziert werden: Nach einer etwas gewundenen Interpretation der Namen Gog und Magog, sie stehen Luther für die Kollektivgestalt des „Türken“, wird noch auf die Herkunft der Osmanen eingegangen. Sie sind für Luther wie ihre „Vettern“, die Tataren, die „roten Juden“, die aus dem Lande kommen, „da der grosse Cam [Dshingis-Khan] könig ist.“700 Wie nun Luther die Osmanen mit Gog parallelisiert, so versteht er unter Israel die Christenheit, die Berge Israels, wo die Endschlacht stattfinden soll, sind ihm nun „die Christlichen Kirchen hin und wider“701. Luthers Verständnis des Evangeliums, von ihm als Wiederentdeckung des rechten Wortes Gottes verstanden, ist für ihn deutlich ein Ereignis der Endzeit, doch gibt es - dass ist wichtig festzuhalten – keinen unabwendbaren gleichsam tragödienartigen Ablauf der Ereignisse. Wenn die Christen ihrer Sünden gedenken, das Evangelium ehren Luther meint damit selbstverständlich, dass dies in der Anerkennung seiner reformatorischen Lehre geschehen soll - dann besteht auch die Möglichkeit, den Türken zu besiegen: „Denn unser Vermessenheit wird 696 697 698 699 700 701 Vgl. dazu etwa im Gebrauch des „Gog-Magog“-Motivs Hofmann, JohannesApokalypse, 573ff. Vgl. Lutz, Einheit, 233ff. Vgl. WA Br. 5, 285. Vgl. Mau, Stellung, 656f. WA 30 II, 224. Ebd., 224. 154 den Gog nicht schlahen, Gottes Zorn sey denn zuvor weg durch unser buße und gebet.“702 1530 kam dann auch eine Übersetzung des Danielbuches heraus, in der ebenso wie in der „Heerpredigt“ das kleine Horn aus Dan 7 mit Mohammed bzw. den Osmanen identifiziert wurde.703 Als Luther 1545 eine Neuausgabe besorgte, blieb diese Stelle unverändert.704 Im Widmungsbrief zur Daniel-Übersetzung, der an Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen gerichtet war, wurde Luther hinsichtlich seiner apokalyptischen Anschauungen abermals deutlich: „Die welt leufft und eilet so trefflich seer zu yhrem ende, das mir offt starcke gedancken einfallen, als sollte der Jungste tag, ehe daher brechen, denn wir die heiligen schrifft gar aus verdeudschen kundten, Denn das ist gewis, das wir ynn der heiligen schrifft nichts mehr zeitlichs dings zu gewarten haben, Es ist alles aus und erfullet, das Romisch reich ist am ende, der Türck auffs hohest komen, die pracht des Bapsttumbs fellet dahin und knacket die welt an allen enden fast, als wolt sie schier brechen und fallen“705. Ebenfalls kam Luther 1530 in seiner erneuerten Vorrede auf die Übersetzung der Offenbarung des Johannes auf die Osmanen zu sprechen. Hatte er in seinem ersten Vorwort von 1522 noch lapidar die Visionen des Buches als mehr oder weniger unapostolisch in Frage gestellt und die rhetorische Frage geäußert, ob man die Schrift der Johannes-Apokalyse nicht besser in die Elbe werfen solle,706 wurde diese Form der Prophetie nun ausdrücklich anerkannt. War also 1522 die Verbindung von biblischer Apokalyptik und Osmanen noch die Angelegenheit der schwärmerischen „Zwickauer Propheten“, die Wittenberg während Luthers Abwesenheit auf der Wartburg in Atem gehalten hatten, sollte Luther jetzt - allerdings ohne Bezugnahme auf den Chiliasmus – diese Konnotation nun selbst vornehmen. In der um ein Vielfaches angewachsenen Vorrede deutete Luther nun die 702 703 704 705 706 Ebd., 226. WA DB 11 II, 12. Ebd., 13. WA DB 11 II, 381. WA DB 7, 404. 155 apokalyptische Vision und kam bei Gog und Magog (Kap. 20) wiederum auf die Osmanen zu sprechen: „In des nu solchs alles gehet, kompt jm XX. Capitel auch her zu der letzte tranck, Gog und Magog, der Turcke, die roten Juden, welche der satan, so vor tausent iaren gefangen gewest ist, und nach tausent iaren widder los worden, bringet, Aber sie sollen mit jm auch bald jnn den feurigen pful. ... Auff die Türcken folget nu flugs das jüngste gericht, am ende dieses Capitels, wie Daniel VII auch zeiget.“707 In die Druck-Ausgabe ließ Luther nun ein Bild einfügen, das die Belagerung Wiens durch die Osmanen darstellt und hier durch die Schriftzüge „Gog“ und „Magog“ ganz offensichtlich den apokalyptischen Hintergrund der Ereignisse betonte.708 Ingesamt nahm aber mit der zurückgehenden militärisch-politischen Gefahr Luthers direkte literarische Arbeit zur „Türkenfrage“ ab. Dass hieß aber nicht, dass Luther seine Endzeitbefürchtungen gänzlich aufgab: Aus den Tischreden ist ein interesanter Bericht aus dem November 1532 überliefert, der zudem zeigt, dass die „translationes“Vorstellung bei Luther nicht unverrückbar auf das Römisch-Deutsche Kaiserreich bezogen war. Statt dessen wurde nun, das vierte Reich eher mit dem sacerdotium, denn dem imperium verbunden: „... So steht denn das Ende der Welt vor der Tür; ... Herrgott, ists nun dahin kommen, daß wir unter dem Türken sein sollen? ... Am Tage darauf sprach er abermals viel vom Ende der Welt, weil er viel schreckliche Träume vom Jüngsten Tag in diesem halben Jahr gehabt hätte: Denn es ist unmöglich, daß er nicht weit sei, denn die Schrift ist da. ... Daniel hat das Alter der welt bestimmt, durch die vier reiche der babylonier. Perser, Griechen, Römer. Sie sind zu Ende. Der Papst hat das römische reich aufrecht erhalten, ... der fällt nun auch dahin. ... Es kann noch ein paar Jahre dauern, aber unsere Nachkommen, und auch wir selbst werden erleben, dass die Schrift erfüllt wird.“709 707 708 709 WA DB 7, 416. Siehe Titelbild; vgl. Hofmann, Johannes-Apokalypse, 449. WA TR II, 2756 ; hier zitiert nach Buchwald, Tischreden, 142. 156 1538 bezog Luther sich ausdrücklich auf das apokryphe IV. Buch Esra, um festzustellen: „Es geht auff die neige.“710 1540 geht Luther dann davon aus, dass in diesem Jahr der letzte Wein gereift sei, es ist der „valete trunck“711. Man wird diese Äußerungen, die ja recht lose in einer Fülle der überlieferten Zeugnisse Luthers stehen, nicht überbewerten dürfen, doch bleibt auch deutlich, dass Luther von seinen apokalyptischen Anschauungen nicht mehr grundsätzlich Abstand genommen hat. Bestärken sollte ihn darin sein enger Freund Philipp Melanchthon. 5.2. Endzeitstimmung und Historiographie: Philipp Melanchthon 5.2.1. Das „Siebend Capitel Danielis“ von Justus Jonas und Philipp Melanchthon Melanchthons wechselnde Stellungnahmen zur Frage eines Türkenkrieges sind in dieser Arbeit schon dargestellt worden: seine Kaiser Maximilian in den Mund gelegte Rede von 1518, fast aus der gleichen Zeit stammend der erste Entwurf seiner Rhetorik, das Eintreten für Luther 1523 und schließlich das „Türkenkapitel“ aus dem Unterricht der Visitatoren.712 Spätestens ab 1527 ist jedoch Melanchthons Haltung in der Frage eines Türkenkrieges eindeutig. Er fordert ihn. Heftig beklagt er die Uneinigkeit der deutschen Fürsten sowie ihre mangelnde Kampfkraft, die es nicht zu einem gezielten Vorgehen gegen die Türken kommen lasse. In einer Widmungsvorrede an Kardinal Albrecht von Mainz zur 1527 wieder aufgelegten Schrift „De bello Rhodio libri tres“ von Jakob Fontanus bezog Melanchthon nun auch ausdrücklich die Vision aus Daniel 7 auf die Türken.713 Der Hermeneut der danielischen 710 711 712 713 Peuckert, Wende II, 546. Ebd., 547. Zum Thema „Melanchthon und der Islam“ gibt es bisher erst eine Monographie, eine stärker unter systematischen Gesichtspunkten angelegte Dissertation von Manfred Köhler mit dem genannten Titel von 1938. Köhler beurteilt Melanchthon zu einseitig von den Maßstäben einer religionsgeschichtlichen Anschauung her, so dass Gerhard Ritters negatives Urteil, Köhler treffe die „banale Feststellung“, Melanchthons Blickwinkel sei zu verengt gewesen (Ritter, Köhler, 186) in der Tat zutrifft. Volz, Beiträge, 97. 157 Weissagungen für Luther ist also mit großer Wahrscheinlichkeit Philipp Melanchthon gewesen. Der Prophet Daniel sollte für diesen zu einem wichtigen exegetischen und theologischen Thema werden. 1529 verfasste Melanchthon einen Daniel-Kommentar, den er mit einer Vorrede an Erzherzog Ferdinand versah und in dem dieser - durch Melanchthon gleichsam über den apokalyptischen Hintergrund des durch den Propheten Daniel vorausgesagten Türkengeschehens aufgeklärt - zu tatkräftigen Maßnahmen aufgefordert wurde. Die Vorrede erschien während des Reichstages von Speyer 1529, während Melanchthons Daniel-Kommentar erst 1543 gedruckt wurde. Eine Tatsache, die Johannes Cochlaeus zu der spöttischen Bemerkung veranlasste, hier handle es sich um eine „praefatio sine libro“.714 Warum der Kommentar 1529 nicht in den Druck kam, ist nicht deutlich. Möglicherweise war er ohne anti-päpstliche Polemik gehalten, sonst konnte Melanchthon ja kaum auf Aufmerksamkeit bei Ferdinand hoffen. Diese Auslegung unterschied ihn dann allerdings von Luthers „antichristlicher“ Papstkritik, so dass Melanchthon von einer Veröffentlichung vielleicht deshalb Abstand nahm.715 Offensichtlich vertrat Melanchthon damals im Unterschied zu Luther statt dessen die Auffassung, bei dem „kleinen Horn“ in Dan 7,8 handle es sich um die Osmanen und nicht wie Luther damals noch annahm, das Papsttum.716 Melanchthons Vorrede ist ein weiteres Zeichen seiner unpolitischen Haltung, da er ja mit diesem Vorwort Ferdinand gegen die zögernden lutherischen Reichsfürsten faktisch in die Hände arbeitete. Möglicherweise „gab sich Melanchthon in seiner Weltfremdheit der trügerischen Hoffnung hin, auf diesen Herrscher irgendwie einwirken und ihn gegenüber den Evangelischen günstiger stimmen zu können.“717 Dem Vorwort schloss sich ein Gedicht „Germania ad regem Ferdinandum“ 714 715 716 717 an, das Ebd., 102. Vgl. Seifert, Rückzug, 13. Ebd., 13. Volz, Beiträge, 95f. anonym von Melanchthons späterem 158 Schwiegersohn Georg Sabinus718 verfasst war und von den „Türken“ ausdrücklich als „de gente fera“719 der Danielsweissagung sprach. Massiv sollte Melanchthon jedoch erst im Zusammenhang der Belagerung Wiens und der Kenntnisnahme des Werkes von Johannes Hilten zusammen mit Luther an der apokalyptischen Endzeitstimmung partizipieren. Besonders das im Folgende darzustellende Werk gibt davon beredtes Zeugnis, „Das sibend Capitel Danielis von des Türcken Gottes lesterung und schrecklicher mörderey mit unterricht Justi Jonae“ gezählt.720 Wie der Titel angibt, ist das Werk unter dem Namen des Wittenberger Reformators Justus Jonas (1493-1555) erschienen, doch wird die Gemeinschaftsarbeit Jonas’ mit Melanchthon aus einem Brief Luthers deutlich bezeugt721 und auch Jonas‘ Vorwort selbst macht deutlich, dass er keineswegs für sich selbst in Anspruch nehmen will, hier eine Eigenarbeit vorgelegt zu haben. Melanchthons Zurückhaltung in der Nennung seiner Herausgeberschaft wird noch an anderen Stellen begegnen. Die Schrift ist Landgraf Philipp von Hessen gewidmet, der mittlerweile ja zum politischen Führer des Protestantismus geworden war. Philipp möge sich, so wird er von den Verfassern aufgefordert, „die Prophecey Danielis fleyssig zuhertzen füren“722, so werde Gott ihn als Obrigkeit erhalten, bis dieser selbst im Endgericht seine Feinde besiegen werde. Deutlich wird in dieser Schrift das Bestreben, nun sozusagen gesicherte Erkenntnis über die Herkunft der Osmanen als den apokalyptischen Feinden zu bieten und gleichzeitig von der Bibel aus die Zukunft deuten zu können, d.h., auch um den eigenen Standort in Geschehen der Geschichte zu wissen. Im ersten Teil deuten Jonas/Melanchthon das Osmanische Reich in der üblichen Weise als Frucht des Zornes Gottes über die unbußfertigen Menschen, der deshalb „dem Sathan nach gibet den Türcken 718 719 720 721 722 Ebd., 98. CR I ,1058. So schon Hartfelder, Melanchthon, 589, ausführlich dazu Köhler, Melanchthon, 20f. Vgl. CR 1, CLX Jonas, Capitel, AI. 159 zuerwecken“723. Deshalb handelt es sich hier auch nicht um ein beliebiges Königreich, wie es so etwas schon immer in der Geschichte gegeben hat, sondern, um eine schlechthin apokalyptische Größe, wie „auch nie auff erden kain grösser zurrüttung aller ehre und zucht kain schrecklicher wüst yhe unter der Sonnen gehört oder gesehen/ denn das gantz Türckische wesen und leben ist daheym und in kriegen.“724 Dass mit der Reformation nach deren Selbstverständnis noch einmal das unverfälschte Wort Gottes erschienen ist, bleibt die letzte Gelegenheit, „das sich etliche doch besserten“725. So ist der Türke auch für Jonas und Melanchthon die „vater ruthe“.726 Deutlich wird deshalb, dass es sich bei den Osmanen, anders als bei den bisherigen weltgeschichtlich bedeutsamen Mächten, nicht um eine von Gott positiv verordnete Herrschaft handelt, die in sich, selbst wenn sie heidnisch ist, doch einen positiven Wert – eben den der Einsetzung durch Gott - hat. Aus der Bibel, besonders eben dem siebten Kapitel des Danielbuches, geht für Jonas und Melanchthon hervor, um was es sich in dem Osmanischen Reich wirklich handelt: Es ist das geweissagte „kleine Horn“, eine apokalyptische Macht, die Gott weniger angeordnet, denn zu- bzw. losgelassen hat. Nach dieser Einleitung wird der Text des siebten Kapitels des DanielBuches geboten und im Anschluss ausgelegt. Die Verfasser lassen dabei deutlich die Absicht erkennen, historisch zu argumentieren, wobei natürlich die Symbolistik des Danielbuches als endzeitliche Prophetie ebenfalls zur Sprache kommt. Das von Daniel geweissagte „vierte Reich“ ist für Jonas/Melanchthon das historische weströmische Reich. Der Gedanke der translatio imperii wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich nicht aufgenommen: „Wie wol noch der titel bey den Teutschen vorhanden/ so ist doch die selbige Römische Monarchey vorlang gefallen/ wie wir dann sehen/ das 723 724 725 726 Ebd., AII Ebd., AIII. Ebd., A IV. Ebd., B I. 160 ein Roemischer Keyser kain gewalt in Africa/ oder in Asia/ oder in Engelandt/ Franckreich/ Hungern/ oder Hispanien hat ...“.727 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in den Ausführungen das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und besonders Kaiser Karl V., der ja eben auch König von Spanien war, keine Rolle spielen. Stattdessen ist nun das „Teutsche“ Reich eines von den zehn Nachfolgereichen, die angeblich aus dem Römischen Reich entstanden sind, da ja in Dan 7,7 von zehn Hörnern, die Rede ist, die aus dem Tier erwachsen. Das später entstehende „kleine Horn“, das andere Hörner vernichtet, steht Melanchthon und Jonas für das „Mahometisch reich“,728 das mit den Sarazenen seinen Anfang genommen habe und nun in den Osmanen seine Fortsetzung finde. Dieses ist aber aus dem oben Gesagten heraus verständlicherweise keine innergeschichtliche „fünfte“ Monarchie mehr, sondern eben eine endzeitliche Macht. Es folgt nun eine kurzer Abriss der Geschichte des „Mahometischen Reiches“. Dabei wird die Entstehung des als Sarazenischen Reiches verstandenen Islam zur Zeit des oströmischen Kaisers Herakleios I. - des Begründers des sog. Mittelbyzantinischen Reiches - und dessen Auseinandersetzung mit dem persischen Sassanidenreich korrekt wiedergegeben. Ebenfalls trifft der Hinweis zu, dass zu dieser Zeit die Christenheit durch religiös-dogmatische Streitigkeiten innerlich zerrissen war, wenn auch der Verweis auf den zeitlich vorher liegenden „arianischen Streit“ so nicht zutrifft. Mohammed, so wird nun gesagt, habe angesichts dessen „guten raum bei dem pofel“729 gefunden, indem er eine Lehre entwickelt habe, die „menschlicher vernunfft beheglich“730 gewesen sei. Anstelle der christlichen Glaubensartikel habe er eine mehr auf Äußerlichkeiten angelegte Religion geschaffen. Alles das sei eine Folge des „Erzketzers“ Arius, der mit seiner Leugnung der gleichen göttlichen Wesenhaftigkeit Christi „das spil angefange[n]“731 habe. Mohammed habe zunächst Erfolg bei den Arabern gehabt, die sich „Agarener“ nach 727 728 729 730 731 Ebd., B IV. Ebd., C Ebd., C I. Ebd., C II. Ebd., CII. 161 Hagar, der Magd Abrahams und der Mutter seines Sohnes Ismael, nannten. Mohammed habe aber dann dafür gesorgt, dass man sich als „Sarrazenen“ bezeichne, eben nach Sarah, der Frau Abrahams, um nicht von einer Magd abzustammen. Auch die Herkunft der Türken aus den zentralasiatischen Turkvölkern wird richtig wiedergegeben. Die turkmenischen Wanderungswellen werden so verstanden, dass „auß Türcken und Sarrazcenen in Asia ein volck und ein leyb ward und doch die herrschaft auff die Türcken kam“732, obwohl diese letztlich „eyngesetzte pfropffreyser“733 seien. Tatsächlich sind die Turkmenen sowohl im safawidischen Iran wie auch in der osmanischen Türkei ein Volk gewesen, das erst im Zusammenhang seiner Eroberungsbewegung den islamischen Glauben angenommen hat. Dass mit dem Bild des Pfropfreises ein Vergleich, den der Apostel Paulus im Blick auf das Verhältnis zwischen Juden und Christen gebraucht (Röm 11,17), aufgenommen wird, macht deutlich, dass es sich bei den Osmanen um die anti-christliche Variante dieses Pfropfreiser-Vergleiches handelt. Die Herkunft der zu den turkmenischen Stämmen gehörenden Türken aus Zentralasien wird dann zugleich mit den biblischen Weissagungen von Gog aus Magog, der aus dem Norden kommen werde, parallelisiert, wobei im Text nun auch die von Pseudo-Methodius734 her bekannte Bezeichnung „rote Juden“ aufkommt, die wiederum eine Abstammung vom biblischen Esau, dem Stammvater der Edomiter (Gen 36), - wobei hebräisch „edom“ „rot“ bedeutet – belegen soll. In einem weiteren Kapitel wird dann der Vergleich zwischen dem Osmanischen Reich und anderen Mächten gezogen. Deutlich ist aus den vorherigen Ausführungen dabei für die Verfasser, dass es sich beim Osmanischen Reich, wie schon ausgeführt, keineswegs um eine göttliche Anordnung im Sinne des hier in den Zusammenhängen politischer Ethik maßgeblichen 13. Kapitel des Römerbriefes handelt, wo in den Versen 1-7 alle weltliche Obrigkeit als von Gott eingesetzt 732 733 734 Ebd., C III. Ebd., C III. Vgl. Ebermann, Türkenfurcht, 9. 162 beschrieben wird. Die Herkunft der Osmanen ist für Melanchthon und Jonas vielmehr diabolischer Natur. Aus der Bibel geht aber nun hervor, wie es mit den Osmanen weitergeht, eine Einsicht, die „billich alle Christglaubigen erschrecken“735 soll: Die „Türken“ werden die Heiligen, also die gläubigen Christen, besiegen und „verstören“736. Diese Herrschaft wird aber eben besonders qualifiziert sein. Offensichtlich war auch Melanchthon und Jonas bewußt, dass in der Bevölkerung manche Menschen annahmen, das Osmanische Reich werde eine Herrschaft wie jede andere sein und man könne auch als Christ unter osmanischer Oberherrschaft erträglich leben. Dass es tatsächlich auch zu Konversionen zum Islam kam, stand den Verfassern ebenfalls vor Augen. Nun wird ein Schreckensgemälde gezeichnet, dass ganz offensichtlich die Absicht hat, diesen „defätistischen“ Tendenzen entgegen zu wirken. Aus dem siebten Kapitel des Danielbuches geht ja für die beiden hervor, dass es sich im Osmanischen Reich um eine endzeitliche Katastrophe handelt. Trotz dieser apokalyptischen Grundeinstellung, die hier als immerhin schon fast tausend Jahre währendes Geschehen begriffen wird, sind sich Melanchthon und Jonas auch über die konkreten Hintergründe des Daniel-Buches im Klaren, wenn ausgeführt wird, „Daniel sagt hie unten von Antiocho Epiphane“737. Aber die historischen Vorgänge um den Seulekidenherrscher Antiochos IV. Epiphanes sind gleichsam nur eine antizipatorische Vorwegnahme der endzeitlichen Ereignisse. Daniel „will doch durch Antichu anzeyge auch die ihenige herrschaft die sich vor dem jüngsten tag zu den letzten zeyten wird wider das Euangelium setzten“.738 Schwer tun sich Melanchthon und Jonas bei der Einordnung der osmanischen Herrschaftspraxis. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, „man habe in etlichen büchlin/ so die ihenigen geschribe/ welche in der 735 736 737 738 Jonas, Capitel, D III. Ebd., D III. Ebd., D IV. Ebd., D IV. 163 Türckey gewonet groß und vil lobes gelesen“739, aber diese bürgerliche Ordnung wird nun ebenfalls wieder wie ähnlich bei Luther als „eytel kinder werck“740 herabgewürdigt. Wenn auch bei den „Heiden“ gelegentlich ungerechte Könige vorgekommen seinen, so sei dies doch keine Infragestellung der Tatsache gewesen, dass es sich um eine von Gott gesetzte Ordnung handle, denn “des reichs ordnung ist an ihr selbs recht.“741 Dies aber gilt nun gerade nicht für die Osmanen. Der Grund dafür sind ihre Kriege, die als Angriffskriege gleichzeitig ungerechte Kriege für Melanchthon und Jonas sind. Deshalb kann auch die nicht zu bestreitende innere Ordnung der Osmanen keine gute Ordnung sein: „Dann es muß yhe auch unter mördern und strassen raubern ein fride seyn/ sie wurden es sonst nicht lang treyben.“742 Die Folgen osmanischer Überfälle werden nun mit offensichtlich als abschreckend verstandener Wirkung anschaulich beschrieben, wo bei auch das Klischee vom Menschen zerhackenden „Türken“ gebraucht wird.743 Weiter wird dann der Vorwurf aufgenommen, die Osmanen hätten keinen richtigen Ehestand, sondern betrieben Vielweiberei.744 Ein Hinweis, der immer wieder in der anti-türkischen Polemik verwandt wird, um die vermeintlich gute bürgerliche Ordnung als letztliche Unordnung zu entlarven. So kommt es nun in einem letzten Kapitel zur „Vermanung“745: Die Osmanen sind „das letzte toben und grimmiger Zorn des teuffels vor dem jüngsten tag“746. Deshalb ist das Osmanische Reich auch nicht einfach mit militärischen Machtmitteln zu überwinden, sondern letztlich nur durch das Gebet. Dazu wird nun jedermann aufgerufen.747 Dieses Gebet soll dabei ein Gebet für die heimische Obrigkeit sein. 739 740 741 742 743 744 745 746 747 Ebd., D IV. Ebd., D IV. Ebd., D IV. Ebd., D IV. Ebd., E I. Ebd., E II. Ebd., E IIIff. Ebd., E III. Ebd., E IVf. 164 „Dann wie wol die Türcken unchristen seyn/ so were doch das selbig nicht ursach gnug sie zubekriegen/ so sie friden hielten/ und nicht offentlich gewalt un frevel ubten“748. Dieser als apokalyptisch verstandene Verteidigungskampf ist nicht aussichtslos, denn „der Türck muß endlich zu trymern gehen“749. Deutlich scheint aus der Lektüre des Danielbuches zu sein, dass nicht alle Reiche vom „Türken“ erobert werden. Und so halten es Melanchthon und Jonas „für gewiß/ daß er nicht Herr in Teutschlandt werde.“750 Hier besteht ein Unterschied zu Luther, der durchaus mit einer osmanischen Herrschaft im Reich rechnen konnte. Stattdessen nehmen Melanchthon und Jonas nun doch wieder die translatio-Theorie auf, wenn es nun heißt, nach dem oströmischen Thron könne nicht auch noch der weströmische erobert werden, „so doch die schryfft anzeygt/ es werde ein stueck des Roemischen reichs/ biß an jüngsten tag bleyben.“751 Letztlich sei der Kaiser doch bisher in allen Auseinandersetzungen „endlich oblegen/ wird auch fürter wol bleyben.“752 Dies musste Philipp von Hessen auch als indirekte Warnung verstehen, sich als Führer des politischen Protestantismus gegen den Kaiser zu stellen. Nochmals machen die lutherischen Reformatoren deutlich, dass sie reichstreu sein wollen. Alles, was in der Gegenwart geschieht, sind apokalyptische Ereignisse. Dies wird ebenfalls aus dem Danielbuch deutlich, und so sind die Verfasser sicher, dass der Jüngste Tag „vor der thür ist.“753 Ebenso wie der Papst sind die Osmanen auch hier Zeichen der Endzeit, ferner auch die „mancherley rotten und teuffelhaftige geyster“754, womit offensichtlich die Wiedertäufer gemeint sind, und schließlich die „Epicureer“755, die als Vertreter des Atheismus angesehen werden. Jonas und Melanchthon, die durchaus das dogmatische Interpretationsmodell für die Osmanen verwenden können, wenn sie 748 749 750 751 752 753 754 755 Ebd., F If. Ebd., F II. Ebd., F III. Ebd., F IV. Ebd., F IV. Ebd., F IV. Ebd., F IV. Ebd., F IV. 165 den Islam vom Arianismus her ableiten, argumentieren jedoch letztlich eindeutig im Rahmen des apokalyptischen Modells. 5.2.2. Das „Chronicon Carionis“ von Johannes Carion und Philipp Melanchthon Herausragend und nachhaltig wirkte Melanchthon dann durch die Herausgabe der Weltchronik des Johannes Carion im Jahre 1532. Hier wird wie wohl in kaum einer anderen Schrift deutlich, dass Melanchthon zumindest ebenso sehr wie Theologe auch Historiker ist. Dies hat bei ihm seine tiefen Wurzeln. Melanchthon hat die historische Wissenschaft immer außerordentlich hoch geschätzt. Schon als Student in Tübingen half er bei der Herausgabe der Weltchronik des Johannes Nauclerus mit. Als Wissenschaftstheoretiker ergänzte er die traditionellen sieben artes liberales um Poesie und Geschichte.756 Die traditionelle humanistische Hochschätzung der Geschichte als „magistra vita“ hat durch ihn auch Eingang in die Reformation gefunden. Wahrscheinlich eine Art „studentische Hilfskraft“ des jungen Magisters Melanchthon in Tübingen war dann Johannes Carion aus Bietigheim, der später – auch in der Liebe zur Astrologie Melanchthon verbunden – Hofastronom, Berater und Gesellschafter des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg und Erzieher des Kurprinzen wurde.757 Nachdem Carion Melanchthon immer wieder einmal Horoskope geschickt hatte, sandte er ihm 1531 den Entwurf einer Geschichtschronik zu, die Melanchthon noch einmal überarbeiten sollte. Dabei wird man festhalten müssen, dass Melanchthons Anteil an dieser Arbeit weit über eine redaktionelle Tätigkeit hinaus geht. Faktisch ist er, dem Carion offensichtlich nur eine lose Zettelsammlung geschickt hatte, die zudem, wie es Melanchthons Mitarbeiter Joachim Camerarius süffisant formulierte, voll „suevica simplicitas“758 gewesen sei, als der 756 757 758 Scheible, Melanchthon, 251. Ebd., 252ff. Zit. in: Stupperich, Praeceptor, 73; vgl. auch zum Gesamtzusammenhang. 166 eigentliche Schöpfer der Weltchronik anzusehen.759 Melanchthons Schwiegersohn Caspar Peucer betonte die geistige Urheberschaft Melanchthons ebenfalls.760 Von der deutschen Fassung der Weltchronik von 1532 erschien 1537 eine lateinische Übersetzung durch Hermann Bonnus, die Melanchthon jedoch nicht gefiel, so dass er eine eigene Fassung (bis zu Karl dem Großen reichend) 1558/1560 anfertigte,761 die dann Caspar Peucer (s.u.) fortführte. Eine entscheidende Zuspitzung erfuhren die chronistischen Bemerkungen Carions dadurch, dass Melanchthon ihnen dass sog. Vaticinium Eliae voranstellte, dass seinerseits als Grundmodell dem Talmud entnommen war. Melanchthon kannte als Verwandter des Hebraisten und Talmudübersetzers Johannes Reuchlin diese Stelle. Dort hieß es: „Sex millia annorum mundi, et postea Destructio. Duo millia Inane, Duo millia Lex, Duo millia Christus. Et si quid es his deerit, deerit propter peccata nostra, quae magna et innunmera sunt. Das ist: Sechs tausent Jahr der welt bestimpt, darnach der untergang. 2000 Jahr wüst oder vor dem Gesatz, 2000 Jahr unter dem Gesetz, 2000 Jahr unter Christo. Und so an diesen Jahren etwas zeit fehlen wirdt, wird sie umb unser grossen und unzehlichen Sünden willen fehlen.“762 Dieser Verknüpfungsschritt war keinesfalls unmotiviert, sondern geschah wohl deshalb, weil Carion aufgrund seiner Berechnungen zu Ergebnissen gekommen waren, die mit diesem Vaticinium relativ übereinstimmten. So fiel für Carion das Geburtsjahr Christi in das Jahr 3963 nach Erschaffung der Welt, eine Zahl die dem Jahr 4000 sehr nahe kam. Insofern bedeuteten wohl gerade Carions Berechnungen „gleichsam eine externe chronometrische Bestätigung der ansonsten in ihrer Autorität durch nichtbiblisch-frühjüdische Herkunft zweifelhaften Eliaweissagung.“763 759 760 761 762 763 Eine eingehende Analyse der Melanchthon und Carion zuzuschreibenden Anteile hat Gottfried Münch vorgenommen. Chronicon 1573, Vorrede C IIII Stupperich, unbekannte, 76. Zit. ebd., 63. Ebd., 133. 167 Carion/Melanchthon bieten nun hinsichtlich der Osmanen in der Chronik die damals bekannten vermeintlichen und teilweise auch wirklich zutreffenden Tatsachen aus der islamisch-osmanischen Geschichte: Von einer Emanzipation der arabischen Söldner von den Oströmern, weil diese ihnen den Sold verweigerten, ist die Rede, von der „Usurpation“ des Namens „Sarazenen“ durch den „Agarener“ Mohammed, der Herkunft der Türken aus Zentralasien, Bezugnahmen auf Pseudo-Methodius, die Herleitung des Wortes „rote Juden“ entweder vom biblischen Volk „Edom“ oder von der Charakterisierung der Osmanen als „Bluthunde“764 usw. Deutlich wird der stark apokalyptische Hintergrund des Werkes, wenn es über das Osmanische Reich heißt: „Und dieses Reich ist furnehmlich der Antichrist/ Und hat uns Gott durch die Propheten ernstlich davor gewarnet/ Daniel malets also.“765 Markant ist jedoch, dass sich das Werk jeglicher anti-päpstlicher Polemik streng enthält. Hier unterscheidet es sich damit auch stark von Luther, der bezüglich der Verbindung von Antichrist-Prädikation und Osmanenreich wesentlich zurückhaltender war und statt dessen ja hier das Papsttum „bevorzugte“. Melanchthons unpolemische Stellung zum Papsttum dürfte darin begründet sein, dass die Arbeit dem Arbeitgeber Carions, dem streng katholischen Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg, gewidmet war, der zwar um den apokalyptischgottgewollten Charakter des Kampfes gegen die Osmanen wissen sollte, aber nicht in seiner Papst- und Kaisertreue verletzt werden konnte. Zugleich wird in diesem Werk ganz anders als im „Siebend Capitel Danielis“ auch massiv auf die Habsburger Ferdinand und Karl gesetzt. So heißt es mit dem Blick auf die Entstehung des Osmanischen Reiches um 1300: „Und ist zu mercken/ das das jetzig Tückisch geschlecht hat angefangen zu regirn/ zur zeit des ersten Osterreichischen Keisars/ zu hoffen/ ein Osterreichischer Keisar werde sie widder demütigen.“766 764 765 766 Melanchthon, Chronik 1532, 108ff. Ebd., 109. Ebd., 110. 168 Mit dem Blick auf den gerade aktuellen Regensburger Reichstag sei zu hoffen, „das auch die Christenheit widder die teuffelische Gotteslesterer und tyranney der Türcken geschützt werde/ als ich nicht Zweiffel/ Gott werde der Türcken hohmut straffen jnn kurtzer zeit/ durch den aller loeblichsten Keisar Carolum/ und sein bruder koenig Ferdinandum.“767 Diese Ausgabe des „Chronicon“ sollte nicht Melanchthons letztes Wort in diesen Dingen sein. Als er 1555 begann, Vorlesungen über die Weltgeschichte zu halten, legte er das „Chronicon“ wieder zugrunde. 1558/1560 erschienen die ersten Bänden einer lateinische Ausgabe, die Melanchthon noch selbst begonnen hatte. Diese sind stärker durch theologischen Deutungen geprägt.768 Das Chronicon wurde nun ganz beträchtlich erweitert, so dass Heinz Scheible davon spricht, es handle sich um „ein völlig neues Buch“.769 Diese Charakterisierung ist allerdings nur bedingt zutreffend, genauer müsste es wohl heißen: „Stark überarbeitet und erheblich erweitert“. Nach Melanchthons Tod führte sein Schwiegersohn und Nachfolger auf dem Wittenberger Lehrstuhl für Universalhistorie, Caspar Peucer, diese Arbeit mit nur wenigen anderen Akzentsetzungen fort.770 Da dieses Werk als „standard reference in Lutheran Germany“771 noch weit nachhaltiger gewirkt hat als die Fassung von 1532, soll es hier, was die Darbeitung der „historischen“ Daten betrifft, eingehender dargestellt werden: Im dritten Buch (Abschnitt) spricht Melanchthon „Von der vierden und Letzten Monarchi, nemlich dem Römischen Reich“772, wobei er diese Phasen-Einteilung mit der Weltalterlehre überblendet. Das vierte Reich fällt in das dritte Weltalter. Das vierte Buch setzt dann mit einer historisch weitausholenden Beschreibung der Entstehung des historischen „Deutschlands“ ein, indem es von Plinius und Tacitus her den historischen Wurzeln nachzuspüren versucht, um mit Karl dem 767 768 769 770 771 772 Ebd., 169. Vgl. Münchs Auffassung bei Stupperich, Praeceptor, 76. Scheible, Melanchthon, 256. Klempt, Säkularisierung, 35ff. Barnes, Prophecy, 106. Chronicon 1573, 273ff. 169 Großen die deutsche Geschichte im engeren Sinne beginnen zu lassen.773 In der Vorrede zu diesem vierten Buch macht Melanchthon die Absicht des Werkes deutlich. Auffällig dabei ist, dass nun nicht mehr der neue Kaiser Ferdinand direkt - auf seine Beeinflussung konnte Melanchthon nicht mehr ernsthaft hoffen – angesprochen wird, sondern von den Kurfürsten die Rede ist. Das Ziel, das es zu verteidigen gilt, ist allerdings nun auch nicht mehr allein das Reich, sondern „Europa“, wobei die Abgrenzung zwischen „Europa“ und dem römisch-deutschen Reich nicht ganz klar wird, eher scheint sogar das reich pars pro toto für Europa zu stehen:774 „Dis grosse werck sollte furnemlich und am hoechsten angelegen sein denen Herrschaften/ die des Reiches Churfürsten und der hoehest und schoenest Rhat sind/ so itzt im menschlichen Geschlecht noch ubrig ist/ damit Europa ein gewis Heupt und Macht hette wider die Türcken und andere Tyrannen/ die fur und fur unrechte und ganz Europa schedliche und verderbliche Krieg erregen.“775 In dieses vierte Buch fällt dann auch das Kapitel „Von der Turcken Ankunfft“776. Melanchthon lokalisiert die Heimat der Osmanen, wie gemeinhin üblich, im Kaukasus. Nach dem diese mit den Sarazenen, die zuvor Persien erobert hatten, einen Friedensvertrag abgeschlossen hatten, nahmen sie den Islam als Religion an. Als dann das Sarazenenreich innerlich schwach geworden war, gründeten die Osmanen 1051 ein eigenes Reich. 777 Das vierte Buch endet mit Kaiser Otto IV. und der Entstehung der Bettelorden, die als ein Zeichen des Verfalls der Kirche und der christlichen Lehre gedeutet werden, zumal die Bettelorden als Förderer der Rezeption der „heidnischen“ Philosophie (Aristoteles) angesehen gelten.778 773 774 775 776 777 778 Ebd., 409ff. Vgl. auch Klempt, Säkularisierung, 29, Chronicon 1573, 273ff. Ebd., 528ff. Ebd., 533. Ebd., 757. 170 Im daran anschließenden fünften Buch wird dann ein großes Kapitel „Von den Türckischen Geschichten“779 eingeschoben. Der rasche Aufstieg der als „Ottomanen“ bezeichneten Osmanen zur Führungsmacht innerhalb der Türken wird von Melanchthon mit Gog und Magog parallelisiert.780 Der innere Grund für diesen Aufstieg ist für Melanchthon, „das bey Hohen und Nidrigen Stenden in der gantzen Christenheit/ Uneinigkeit/ oeffentliche Schande/ untrew/ tregheit/ geitz/ leichtfertigkeit/ mißtrawen allenthalben auffs hoechste kommen war.“781 In der Sozialkritik an allen Schichten ist Melanchthon sich mit Luther einig. Melanchthon geht dann der Frage nach, wie denn, wenn alle Obrigkeit von Gott sei (Röm 13), die Macht und Prachtentfaltung der „Türken“ zu deuten sei? Er bestreitet nun den gottgegebenen Charakter der Ordnung im Blick auf die Türken energisch. Da bei ihnen das Wort Gottes nicht gilt, können sie auch keine gute Ordnung repräsentieren. Er sieht in ihnen auch keine „Monarchie“, sondern ein von Gott zugelassenes Machtphänomen der Endzeit. Der Nutzen des Studiums der osmanischen Geschichte besteht deshalb für Melanchthon, dies wird hier nochmals betont, auch darin, dass sich die Fürsten durch diese historischen Kenntnisse belehrt, dazu entschließen, mit „ernst und eintrechtigkeit das arme Vaterland wider die Türcken zu beschützen.“782 Danach wird nochmals eine kurze Frühgeschichte des Osmanischen Reiches geboten. In der Entfaltung der dann folgenden Geschichte werden die Ungarneinfälle der Osmanen dargestellt und auf die Schlacht von Varna eingegangen, deren schlussendliche Niederlage Melanchthon der unvorsichtigen Kriegsführung der Bischöfe zuschreibt, „denen es mehr geziemet/ in Kirchen und Schulen/ als in der Schlachtordnung sich sehen zu lassen“783. Dann folgt wieder ein eigenes „Türkenkapitel“, das diesmal bei Sultan Bajazet und bei dem Mongolenherrscher Tamerlan (Timur-Leng) einsetzt und im Stil einer 779 780 781 782 783 Ebd., 913. Ebd., 915. Ebd., 915. Ebd., 917. Ebd., 1020. 171 Königschronik die einzelnen osmanischen Sultane, die „Türckischen Keiser“, darstellt, aber auch auf andere Personen, wie etwa die osmanenfeindlichen Safawiden-Schahs eingeht.784 Melanchthon stellt dann die Frage, „Was in der Türcken Historien zu bedencken“ ist. Das Ergebnis lauttet: „Lender/ in denen die Lere vom Son Gottes im schwang gehet/ für denselben Gottlosen Voelckern ein wenig ruhe und friede haben moegen. Und zwar bedurffte die liebe Kirche/ so in Deutschland dozumal wider angerichtet werden sollte/ gar wol solches Friedens/ nachdem durch den Herrn Lutherum die reinigung der Goettlichen Lere/ die auff so macnherley weise unter dem Bapshumb verfelscht war/ sampt den rechten Gottesdiensten/ nach Gottes Wort wurde vorgenommen. Denn so zur selben zeit frembde und auslendische Kriege eingefallen/ hetten/ die armen/ zarten und bloeden Kirchen Deudschlands schwerlich recht bestellet werden koennen. Das aber folgender zeit in Ungern die Türckischen Kriege sich widerumb so scheußlich erzeiget/ daruon ist kein zweiffel/ Gott der HERR habe Deudschland und andern Lendern Europe ein Exempel der straff furstellen wollen, wider die verachtung und verfolgung seiner Lere.“785 Den Aufstieg der Osmanen interpretiert Melanchthon als letztlich barmherzigen Akt Gottes, der die Menschen zum wahren Glauben zurück führen will. Die Erkenntnis Jesu Christi, wie sie die Reformation neu hervorgebracht hat, ist nach Melanchthon allein als Rettung geeignet. Mit dem Zitat „Der Sohn Gottes ist erschienen, das er die werck des Teuffels zerstoere“ (1 Joh 3,8) neigt sich das letzte ausführliche Türkenkapitel des Chronicon dem Ende zu. Waren bisher die Fürsten mit dieser Schrift aufgefordert worden, sich endlich der osmanischen Problematik anzunehmen, wird Melanchthon nun noch deutlicher: Das Werk versteht sich auch als Kriegsaufruf: Der Abschnitt „sol dahin dienen, Das hohe Fürsten und Potentaten in der Christenheit und andere gutherzige Leut, so zum Kriegsstande beruffen sind, in betrachtung der so grewlichen Tyranney und 784 785 Ebd., 1051ff. Ebd., 1063. 172 grawsamkeit der Türcken, so vile desto getroster und Manlicher wider diese Erbfeinde Christliches namens in Gottes furcht, in notwendigen und unvormeidlichen Kriegen streiten.“786 Über diese praktischen Konsequenzen hinaus hatte der Text in dieser Phase der Stabilisierung der lutherischen Reformation nach dem Augsburger Religionsfrieden aber auch eine Binnenfunktion innerhalb der zunehmenden Konfessionalisierung Deutschlands. Die Historie „erweist“ für Melanchthon die gleichsam heilsgeschichtliche Bedeutung der Reformation! Von einem direkt bevorstehenden Weltuntergang ist nun auch bei Melanchthon keine Rede mehr. Trotzdem bleibt die Reformation ein endzeitliches und damit heilsgeschichtlich aufgeladenes Phänomen. 5.2.3. Weitere Schriften und Aktivitäten Melanchthons Melanchthons Befürwortung einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit den Osmanen spiegelt sich auch in seinen weiteren Arbeiten als Rhetoriker wieder. Anders als in der Ausgabe von 1519 wird nun auch die Sprachkunst in den Dienst des Kampfes gegen die Osmanen gestellt. In den „Elementa rhetorices“ von 1531 illustrierte Melanchthon am Beispiel des Türkenkrieges die Redekunst, die jedoch faktisch zur Polemik wurde.787 Doch blieb es nicht bei einer reinen Betrachtung rhetorischer Methoden. Melanchthon wollte ganz offensichtlich, dass die Rhetorik auch das angestrebte Ziel erreichte: „Wenn man z.B. die Fürsten dazu auffordert, Krieg gegen die Türken zu führen, muss man sie zuerst darüber unterrichten, daß dies ehrenvoll ist, indem man Sentenzen aus der Heiligen Schrift anführt, die die weltliche Obrigkeit damit beauftragen, ihre Untertanen zu beschützen und Räubereien abzuwehren. Außerdem muß man die ängstliche Überzeugung einiger Leute widerlegen, die glauben, ein Christ dürfe nicht kämpfen oder Krieg führen.“788 786 787 788 Chronicon, 1064. Melanchthon, Elementa, 37, 59, 141, bes. 249. Elementa, 125. 173 In zahlreichen Zusammenhängen ist Melanchthon in den folgenden Jahren immer wieder auf die Türkengefahr eingegangen, etwa wenn er die Ereignisse in Ungarn 1542 mit der Völkerwanderung verglich,789 oder wenn er in Briefe unvermittelt ein Gebet gegen die Türkengefahr einfügte.790 Solche Gebete um Bewahrung gegen die „Türken“ finden sich überhaupt nun sehr zahlreich bei Melanchthon.791 Mehrfach war Melanchthon auch bereit, ein Vorwort zu „Türkenschriften“ zu schreiben. Als Beispiel sei hier u.a. die Koranausgabe des Theodor Bibliander von 1543, auf die unten noch näher eingegangen wird, zu nennen. Im Jahr 1544 erschien das „Hodoeporicon itineris Constantipolitani“ von Paolo Rubigallo, einem geborenen Slowaken, der sieben Jahre in Wittenberg gelebt hatte. Melanchthon schrieb Geschichtswerk des hier ebenso Italieners eine Paulus Vorrede Iovius wie zu „Turciarum dem rerum commentarius“.792 Ein besonderes Thema sind hier noch Melanchthons persönliche Beziehungen nach Südosteuropa, besonders Ungarn und Siebenbürgen, bzw. seine Kenntnisse der dortigen Vorgänge. Beides entwickelte sich hauptsächlich über ungarische Studenten in Wittenberg, denen Melanchthon offensichtlich besondere Sympathie entgegenbrachte.793 Weitere Informationen erhielt er von den Gebrüdern Laski, einer Familie aus dem polnischen Hochadel, die sich in politischen Händeln um einflussreiche kirchliche Pfründen in Ungarn verstrickt hatte. Doch auch aus den Zentren des Südost-Handels, Nürnberg und Breslau, in letzterer Stadt wirkte sein Freund Johannes Hess, erhielt Melanchthon jeweils Informationen.794 Köhlers Eindruck, Melanchthons Haus hinterlasse „förmlich den Eindruck einer Nachrichtenzentrale“795, erscheint kaum übertrieben. Dass diese Informationen aber kaum sachliche Berichte, sondern oft die Wiedergabe von Gräuel-Propaganda waren, wird jedoch ebenfalls 789 790 791 792 793 794 795 CR 11, 566ff. Ebd., 642 Vgl. Jung, Frömmigkeit, der zahlreiche Belege liefert. Köhler, Melanchthon, 23. Kovacs, Ungarn, 263. Scheible, Donau-Karpaten-Raum, 280. Köhler, Melanchthon, 26. 174 deutlich. So weiß Melanchthon etwa in einem Schreiben vom 1.12.1541 zu berichten, Sultan Suleiman habe in Buda 50 Jungen verbrennen lassen, um deren Asche in der Moschee zu verstreuen.796 Auch Informationen aus erster Hand, wie die des Bartholomäus Georgejevic und des ehemaligen byzantinischen Diakons Demetrius Rascianus,797 haben ganz offensichtlich nicht zu einer differenzierten Beurteilung beigetragen. Ungarn war für Melanchthon der Vorposten der Verteidigung des christlichen Abendlandes gegen die osmanische Gefahr. Melanchthons Auffassungen in der Interpretation der Türken hatten deshalb durch seine dortigen Schüler und Briefpartner einen erheblichen Einfluss auf die ungarische Reformation, wie zahlreiche Beispiele belegen.798 So dürfte von einer wechselseitigen Beeinflussung zu sprechen sein, bei der Melanchthon die Fakten erhielt und dieser sie interpretierte, was wiederum seine Briefpartner in Südosteuropa beeinflusste. Zu nennen ist etwa das Werk des Förderers der ungarischen Nationalkultur, Johann Sylvester, eines Schüler Melanchthons, dessen 1544 erschienene Schrift „De bello Turcis inferendo“ inhaltlich deutlich von Melanchthon abhängig war.799 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Melanchthon einer der bedeutendsten Vertreter der apokalyptischen Interpretation des Islam innerhalb der Reformation war und der Einfluß auf seinen Freund und Kollegen Martin Luther deutlich ist. Melanchthon hat das „VierMonarchien-Schema“ des Daniel-Buches für die reformatorische Geschichtsschreibung „reaktiviert“. Der „Historiker“ Melanchthon gab Luther die notwendige Kenntnis, die auch ihn nach anfänglicher Ablehnung diese Auffassungen als richtig und sachgemäß erkennen ließ. 796 797 798 799 Scheible, Donau-Karparten-Raum, 281. Vgl. Köhler, Melanchthon, 26. Kovacs, Ungarn, 267. Ebd., 175 5.3. Andere Reformatoren und ihre Stellung zur „Türkenfrage“ 5.3.1. Der „Türkenprediger“ Johannes Brenz In besonderer Weise hat sich auch der Reformator Württembergs, Johannes Brenz (1499-1570), der Türken-Problematik angenommen. Von 1522 bis 1548 als Prediger an der Michaelskirche in Schwäbisch Hall und seit 1553 Propst an der Stuttgarter Stiftskirche, ist er zu einer herausragenden Gestalt der evangelischen Kirche im südwestdeutschen Raum geworden.800 An der Haller Michaelskirche hielt er angesichts der osmanischen Bedrohung 1529 zahlreiche „Türkenpredigten“, die später im Druck erschienen. Brenz unterstellte darin den Osmanen nicht nur die Absicht, das Römisch-Deutsche Reich, sondern die ganze christliche Religion zerstören zu wollen. Die Aufgabe der Verteidigung wies er wie Luther eindeutig den staatlichen Behörden zu, die allerdings die tatkräftige Unterstützung ihrer christlichen Untertanen, die damit „ein gut werck“ übten, erwarten durften.801 Der Person des Kaisers und seiner Politik stand Brenz allerdings skeptischer gegenüber als Luther. Brenz war sich unsicher, ob die Rüstungen Karls wirklich den Osmanen und nicht vielmehr den deutschen Protestanten gelten würden.802 1531 erschien seine Schrift „Wie sich Prediger und Leyen halten sollen/ so der Turck das deutsche land uberfallen würde. Christliche und notturfftige unterricht“. Brenz entfaltet seine Auffassungen, die sowohl die Prediger wie die Laien über Herkunft und Zukunft des „Türkenproblems“ informieren sollen, ebenfalls vom Buch Daniel und besonders wieder dem 7. Kapitel her. Mit der Analyse des Vierten Reiches, das im Sinne der translatio als das römisch-deutsche Kaiserreich verstanden wird, stellt sich ihm auch die unter den Protestanten umstrittene Frage nach der Gehorsamspflicht gegenüber dem altgläubigen Kaiser Karl. Diese Problematik war für Brenz und die Württemberger insofern von besonderer Bedeutung, als das Herzogtum nach der Vertreibung des 800 801 802 Vgl. Brecht, Brenz, 103ff. Herrmann, Osmanenreich, 21. Ebd., 22. 176 verhassten Herzogs Ulrich 1519 von Karl V. annektiert worden war. Erst 1534 gelang dem zwischenzeitlich zum Protestantismus übergetretenen Ulrich mithilfe Philipps von Hessen die Rückkehr.803 Brenz, einer der nachhaltigsten Gegner politisch-protestantischen Widerstandes gegen den Kaiser, liefert hier ein Beispiel seiner Auffassung, die für den Reformationshistoriker Martin Brecht „politischer Patriarchalismus“ ist:804 „Nach dem selbigen ist das vierde/ der Roemer eingetreten/ welches keiserthum das letzte sein sol/ und der Jüngste tag ergreifen wirdt. Aus diesem allen wirdt kundbar/ das der gewalt des Roemischen Keisers aus Gott ist/ und ein Goettliche ordenung/ der bestehen sol bis an das ende der welt. Derhalben wen schon schon die person des Roemischen Keisers ein lauter Heide were/ so sind doch alle so ins reich gehoren schuldig/ solchen Keyser unterthenig zu sein/ in denen stücken/ die ein Keiser als ein Keiser zugebiethen hat/ und nicht wider Gott sind.“805 Brenz stellt aber nun die Frage, die, obgleich sie wohl eher rhetorische Qualität hat, einen Einblick in die geistige Verfassung und Verunsicherung angesichts der osmanischen Gefahr gibt: „Wie sollen die Prediger reagieren? Sollen sie predigen/ das man sich mit gewerter hand widder den Turcken sol stellen/ Odder ihn gleich thür und thor auff sperren“?806 Bevor Brenz darauf eine Antwort gibt, zeigt er zunächst einmal die Wurzeln der Gefahr. Sie liegen auch für ihn darin, dass Deutschland „voller bossheit“807 sei. Doch nun ist das rettende reformatorische Evangelium als prophetischer Mahnruf erschallt. Wenn ihm nicht Folge geleistet wird, wird die göttliche Strafe auf dem Fuße folgen. Nach diesen Ausführungen, die ganz auf der reformatorischen Linie sind, erst einmal Buße zu tun, bevor man sich dem „Türkenproblem“ zuwendet, kommt Brenz zur politischen Dimension der osmanischen Gefahr und den diesbezüglichen Aufgaben der Prediger. Seine 803 804 805 806 807 Hauschild, Kirchen- und Dogmengeschichte II, 128ff. Brecht, Brenz, 107. Brenz, Prediger, A I. Ebd., A II. Ebd., A II. 177 Ausführungen liegen hier ebenfalls klar auf der reformatorischen „Generallinie“. Die Prediger sind schuldig, „die Fürsten ernstlich zu vermanen/ ihr ampt auszurichten dem turcken mit dem schwert widderstand zu thun .... und sind die unterthan schuldig mit leib und gut/ ihren herrn zu helffen/ und ihr selbs weib und kinder zu retten/ Und dieser gehorsam ist ein gut heilig werck/ das ob schon einer darinn umb kommet/ sol er nicht zweifeln/ er sterbe jnn Gottes gehorsam“.808 Um eventuelle Zweifel an der Berechtigung des Krieges auszuräumen legt Brenz dann dar, die Osmanen führten einen ungerechten Krieg, „denn ihr Mahomet hat ihn geboten/ das sie sollen fur und fur angreiffen land und leut zu erobern“809. Wie offensichtlich schwach der Wille zur Selbstverteidigung unter den Bedrohten ausgebildet war, wird deutlich, wenn auch Brenz, wie Luther und Melanchthon zuvor, davor warnt, unter türkische Herrschaft zu geraten. Er beruft sich wieder auf den Propheten Daniel. Dieser habe verkündet, dass „der Türck Gottesfeind sey/ So sind alle Christen schuldig/ sich zu hüten/ so viel ihnen müglich ist/ das sie nicht unters des Turcken regiment komen“810 Danach folgen Ausführungen, die Brenz dann doch zumindest in einer Differenz zu Luther zeigen. Offensichtlich rechnet Brenz nicht unmittelbar mit dem Ende der Zeiten, wenn er die Christen ausdrücklich ermuntert: „Denn obschon gott dieses schrecklich reich zur letzten und ergsten straff in die welt hat komen lassen/ so will Gott dennnoch/ die Christen nicht lassen gar untergehen/ und wird der Mahomet nicht jnn aller welt allein regirn/ Denn die weil Christus hirschet/ mus folgen/ das er allezeit leute hab/ da sein heilig Euangelium werde geprediget“.811 Brenz erinnert jetzt daran, das die christlichen Mächte schließlich auch schon Erfolge gegen den Islam errungen hätten. Er erwähnt die 808 809 810 811 Ebd., A III. Ebd., A IV. Ebd., B. Ebd., B I. 178 Kreuzzugspredigten Bernhards von Clairvaux, die ungarischen Könige Johann Hunyadi und Matthias (Hunyadi) Corvinus sowie den Reconquistadoren Alfonso von Kalabrien.812 Unter ausdrücklichem Bezug auf Dan 7,7f. folgert Brenz dann, dass der osmanische Sieg niemals vollständig sei, schließlich habe ja das „kleine Horn“ aus Dan 7,8 - die Osmanen - nur drei, nicht jedoch alle zehn anderen Hörner aus dem vierten Tier ausgerissen; „So er nu nicht das gantz Romisch reich erobern sol/ folget auch/ das leute sein werden/ die ihm widderstand thuen werden/ und sig widder ihn haben.“813 Er folgert weiter: „Es sind viel trefflicher anzeigung/ das der Türck nicht hoeher steigen/ sondern bald fallen werde.“814 Wenn also auch die Endzeit für Brenz nicht so bedrohlich vor der Tür zu stehen scheint, wie für Luther und Melanchthon in dieser Zeit, bleibt aber die eigene Epoche heilsgeschichtlich aufgeladen. Es handelt sich um eine Endzeit, aber gerade die Hinwendung der Menschen zur Botschaft der Reformation kann für Brenz das Ende noch aufhalten. Weniger das römisch-deutsche Reich an sich, denn seine Verbindung mit der Reformation, die das Evangelium für Brenz allein recht verkündet, sind die Bedingungen für das Aufhalten der Endzeit, ja den schließlichen Sieg über die Osmanen. Das apokalyptische Modell, wie es Luther und Melanchthon in dieser Zeit favorisieren, findet sich also in dieser starken Ausprägung bei Brenz nicht. Scheint also schon die südwestdeutsche Reformation von der apokalyptischen Hitze der mitteldeutschen Glaubensbrüder weniger erfasst worden zu sein, wird diese Distanz in der schweizerischen Reformation noch deutlicher. 5.3.2. „Türkenfrage“ und politische Ratio: Huldrych Zwingli Mit Huldrych Zwingli (1484-1531) soll der neben Luther in der Frühzeit der Reformation wirkmächtigste Reformator dargestellt werden. Zwingli gilt als der eigentliche Schöpfer der schweizerischen Reformation, die in der Folgezeit in der Reformierten Kirche, beeinflusst durch weitere 812 813 814 Ebd., B II. Ebd., B III. Ebd., B III. 179 Theologen, eine vom Luthertum in Theologie und Sozialgestalt abweichende Entwicklung nehmen sollte. Die mentalen Unterschiede zu Luther werden auch in der „Türkenproblematik“ deutlich. Der humanistisch geprägte Zwingli war nach Tätigkeiten als Priester in Glarus und Einsiedeln seit 1519 Leutpriester am Zürcher Großmünster. Nachdem die Stadt nicht zuletzt unter seinem Einfluß 1523-1525 zur Reformation überging, wurde Zwingli bald die zentrale Gestalt der jungen Bewegung, nicht nur in Zürich, sondern auch in der ganzen Schweiz. In seiner Schrift „Suggestio deliberandi super propositione Hadriani Nerobergae facta“815, die Zwingli aus Anlaß des Reichtages von 1522 in Nürnberg anonym erscheinen ließ,816 nahm er auch zur „Türkenfrage“ Stellung. Der Gesandte des neuen Papstes Hadrian IV., Chieregati, hatte in Vorbereitung des Reichstages in einem Gespräch mit Erzherzog Ferdinand von Österreich die Hilfe der Reichsstände gegen Luther und die Türken gefordert. Zwingli blieb zurückhaltend gegenüber diesem päpstlichen Ansinnen und forderte zur Selbstkritik auf: „Verum confestim videbimus an dictus pontifex cupiat ad regulam euangelicam episcoporum et cardinalium mores corrigere. Nam si eis Thurcorum muros et lapidea corda septies uno die, hoc est indesinenter precipiat ambire ac turbam instar euangelium ebuccinare: iam certi erimus eum ad magistri sui exemplar omnia comparaturum, qui ut messem videbat adpetere, misit suos, ut meterent sine sacculo et pera, indubieque sperabimus eum Thurcorum animas lucrifacturum.“817 Im Oktober 1526 griff Zwingli die „Türkengefahr“ in seinem „ander Sendbrief an die Christen zu Eßlingen“818 wieder auf. Zwischenzeitlich hatte sich die Schlacht von Mohács mit der verheerenden Niederlage der Ungarn ereignet. In dem Sendschreiben, das sich hauptsächlich mit der zwischen Zwingli und Luther mittlerweile auch öffentlich umstrittenen Abendmahlslehre beschäftigt – ein Gesichtspunkt, der die schweizerische Reformation ab 1529 dauerhaft von der mitteldeutschen 815 816 817 818 Z I, 434ff. Vgl. Einführung, Z I 429. Ebd., 439f. Z V, 419ff. 180 Reformbewegung Luthers trennen sollte – sprach Zwingli im Blick auf die Türkengefahr von „der gegenwürtigen türckischen anfechtung, die er [Gott M.K.] allenn Christen zu gutem laßt hereinfallen“819. Die bekannte Interpretationsfigur, in den Osmanen eine Strafe Gottes zu sehen, verwendet Zwingli hier ebenfalls. Für ihn handelt es sich bei den Türken um eine „ruten synes zorns“820, wie es ehedem etwa auch das Assyrische Reich für den Staat Juda gewesen sei.821 Gott verfolgt offensichtlich für Zwingli mit dem Erscheinen der Türken eine besonders eigentümliche „pädagogische“ Absicht, denn nach Zwinglis Meinung fordert Gott mit dieser Zuchtrute ausdrücklich die weltliche Herrschaft auf, sich endlich vom Papsttum zu emanzipieren. Ein entscheidender Schritt ist dabei für ihn die Übernahme der Kirchengüter in die kommunale Verwaltung. Mit den ehemals kirchlichen Mitteln soll dann besonders die Armenfürsorge bestritten werden. Ein Verfahren, dass Zwingli in Zürich durch entsprechende Gutachten schon abgeschlossen hatte.822 Man wird hier angesichts der doch eingermaßen überraschend wirkenden Deutung der osmanischen Bedrohung zeigen können, dass die Haltung Zwinglis zu den „Türken“ klar rationaler angelegt ist, als die Martin Luthers. Eine Annahme des nahen Weltendes angesichts der osmanischen Erfolge lehnte Zwingli deshalb auch ab, eine osmanische Oberherrschaft über das Reich schloss er jedoch nicht aus: „dann so der Türck so fer (weit) herein ist, wirt es nit in einem jar auß sin; ob es aber schon auß wär, soll doch sölch gut zu gemeinem nutz der armen landleüten ... verbrucht werden.“823 Die Osmanen waren für Zwingli ebenso stark ein politischer wie ein religiöser Faktor. Einige Jahre später konnte Zwingli sich die Osmanen sogar als nützliche Helfer der reformatorischen Sache vorstellen. Dabei rechnete er anders als Luther mit durchaus kühnen politischen Koalitionen. Offensichtlich hatte der Reformator schon während des Marburger Religionsgespräches von 1529 den hessischen Landgrafen 819 820 821 822 823 Z V, 423. Ebd. Zum historischen Hintergrund Gunneweg, Geschichte, 116ff. Vgl. Gäbler, Zwingli, 85ff.; Strohm/Klein, Europa, 100ff. Z V, 425. 181 Philipp für ein Bündnis der reformatorischen Stände mit dem französischen König zu gewinnen versucht.824 Er setzte dabei die Sache der Evangelischen gegenüber dem Kaiser mit der Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten gleich, wie aus einem Brief an Philipp hervorgeht. In diesem streng vertraulichen Schreiben vom 12.3.1530 entfaltete Zwingli seinen Plan eines umfassenden Bündnisses u.a. mit Frankreich, „so wurde dem [kyser] so vil ze schaffen, das er nit möchte wüsen, wo er werren sölte, denn ouch der [Turck] und [Wyda: gemeint ist der Woiwode Janos Zápolya M.K.] haryn brechen, wäre ich ungezwyfelter hoffnung, wir wöltind den Pharao imm mer der roten kappen [blutiger Kopf M.K.] baden, ob ioch nit gar ertrencken.“825 Während also Luther und Melanchthon in dieser Zeit – 1530 – den Jüngsten Tag „vor der Tür“ sahen, schmiedete der eidgenössische Reformator Bündnispläne. Wie rational Zwingli mit dem politischen Faktor der Osmanen rechnete, macht auch seine „Instruktion für die Sendung Meister Jäcklins nach Walenstadt“826 vom November 1530 deutlich. Obwohl Zwingli durch manche an ihn gerichteten Briefe, besonders auch während des Augsburger Reichstages, über die politischen Ereignisse, was die Osmanen betraf, gut informiert war827, waren Nachrichten über osmanische Massaker nach einem Aufstand in Siebenbürgen 1529 erst jetzt nach Süddeutschland vorgedrungen.828 Zwingli verwertete - allerdings erfolglos829 - diese Informationen für seine Zwecke und scheute dabei auch vor einem gewissen gezielt eingesetzten Defätismus nicht zurück, wie die Instruktion bezüglich der Gemeinde Walenstadt zeigt: In der seit 1462 unter eidgenössischer Herrschaft stehenden früheren österreichischen Gemeinde blieb die Einführung der Reformation umstritten, so dass Zwingli den Landvogt Hans Jäcklin dorthin schickte, 824 825 826 827 828 829 Z X, 513 A. 5 Ebd. Die Einfügung der Subjekte in den Eckklammern stammt von Landgraf Philipp. Zwingli wollte offensichtlich in den Schriftstück keine Namen nennen, konnte sich aber des richtigen Verständnisses des Landgrafen offensichtlich sicher sein („ir verstond mich wol“, 514). Z VI/3, 357ff. Vgl. Z X, 632; Z XI, 4 A. 9; Z XI, 18; Z XI 33; Z XI, 143. Z VI/3, 359 A. 5 Z VI/3, 354. 182 um die Kirchengemeindeversammlung für die Reformation zu gewinnen. Neben Erläuterungen zum für Zwingli unbiblischen Charakter der Messe sollte Jäcklin politisch argumentieren und den Walenstädtern deutlich zu machen versuchen, dass die kaiserlich-altgläubige Sache verloren sei. Als ein Grund wurde der Siegeszug der Osmanen genannt: „... des keisers sachen stond einen andern weg; dazu der Türgg in Sibenbürg ob fiertzig tusend menschen hingefürt oder erschlagen, rüst sich uff Sicilien und Tütschland mit großem züg.“830 Interessant ist die Frage, warum Zwingli die Osmanen geschichtstheologisch nicht als apokalyptische Boten ansah. Ein Blick auf dessen bibeltheologische Arbeiten kann hier weiterhelfen. Exegetisch boten sich für Zwingli in der Bibel hinsichtlich einer geschichtstheologischen Einordnung der „Türkenfrage“ im Unterschied zu Luther und Melanchthon bestenfalls einige Anhaltspunkte. Dies wird besonders deutlich an Zwinglis Auslegung der für die beiden sächsischen Reformatoren in dieser Hinsicht so bedeutsamen prophetischen Bücher Daniel und Ezechiel. Zwingli hat im Rahmen der so genannten Prophezey, der ab 1525 eingerichteten Bibelschule,831 auch diese Bücher ausgelegt. Doch zeigen sich hier deutliche Unterschiede zu Luther: So hat Zwingli die biblischen Gestalten Gog und Magog anders als Luther nicht auf die Osmanen bezogen.832 Die vier Tiere, die im siebten Kapitel des Danielbuches erwähnt werden, hat er ebenfalls nicht in aktualisierender Weise geschichtstheologisch gedeutet. Vielmehr geht er davon aus, dass mit Christi Geburt noch dreieinhalbtausend Jahre Weltzeit verbleiben, zur Zeit Zwinglis also noch zweitausend Jahre. Allerdings gibt das zweite Kapitel des Danielbuches auch Zwingli Anlass zur Bezugnahme auf die Osmanen, doch ist der Ton der Auslegung ganz anders gestimmt als bei Luther. Hinsichtlich der vier Weltreiche, die hier erwähnt werden, geht Zwingli davon aus, dass das Babylonische Reich das erste dieser Reiche sei, das Perserreich das 830 831 832 Ebd., 359f. Vgl. Gäbler, Zwingli, 92f. Z XIV, 749ff.; 734f. 183 zweite und „Macedonium sive Grecum“ das dritte Weltreich. Danach sei das Römische Weltreich entstanden. Doch – entsprechend der historischen Entwicklung – sieht Zwingli dieses Reich später als aufgeteilt an. Dabei setzt er diese Teilung nach der Herrschaft des Königs Theodosius, der ab 394/395 Alleinherrscher des Römischen Reiches war, an. Tatsächlich endete mit der Aufteilung des Reiches unter dessen Söhne die Reichseinheit. Die Nachfolgestaaten sind nun allerdings für Zwingli nicht Ost- und Westrom, sondern das römischdeutsche Kaiserreich und das Osmanische Reich! „... partim de Romano, partim de Turcaio (Turcio). In regno Turcorum sunt viri iusti in Romano femine et nebulones. Ist als kaat (Kot M.K.) und dräck, das kätzin (kätin) imperium. Turcus habet ferreum imperium, Romani luteum. Libidinatur. Sy süwen, wülend, hurend etc. Nam post Theodosii tempora divisum est regnum in Roma et Thurcia, hoc luteum ex ferreo nascitur. Possunt ergo quinque esse regna.“833 Deutlich wird ein überraschender Befund: Das Osmanische Reich wird hier positiver bewertet als das römisch-deutsche Kaiserreich. Die Osmanen sind für Zwingli, ähnlich wie bei Luther, wenn er sich über die osmanische Staatsführung aussprach, „viri iusti“. Wie aber ist die abfällige Qualifizierung des römisch-deutschen Kaiserreiches als „Drecksimperium“ zu deuten? Zwar war Zwinglis Stellung zu Deutschland sehr positiv, doch lehnte er die Idee des Heiligen Römischen Reich im Sinne der translatio imperii, besonders unter dem Aspekt der damit eingegangenen Verbindung mit dem Papsttum, entschieden ab.834 Zwinglis Verwurzelung in der Eidgenossenschaft mit ihrer traditionell anti-habsburgischen Gesinnung wird deutlich. Kaiser Maximilian hatte ja mit dem Frieden von Basel 1499 die Schweiz faktisch aus dem Reichsverband entlassen müssen. Diese Tatbestände zeitigten auch eine geistesgeschichtliche Auswirkung: Anders als Luther und Melanchthon betrieb Zwingli keine „Reichstheologie“! Eine zumindest implizite Wirkung der Auslegungen Luthers und anderer Reformatoren, in dem vierten Reich des Danielbuches das römisch- 833 834 Z XIV, 745. Meyer, Eschatologie, 259. 184 deutsche Kaiserreich zu sehen, war ja auch die, dass damit Karl V. und überhaupt das Reich zu den herausgehobenen Akteuren in einem apokalyptischen Drama wurden, während die sich zu Nationalstaaten entwickelnden Königreiche wie England, Frankreich usw. oder die Stadtstaaten, z.B. Zwinglis Zürich, in geschichtstheologischer Perspektive eine Schattenexistenz fristeten. Eine Sichtweise, die von Zwingli ganz eindeutig nicht geteilt wurde. Der „Türken-Diskurs“ Zwinglis wandte sich vielmehr gegen die gegen das Papsttum und die Habsburger. Wenn von „Türkenfurcht“ die Rede war, dann nicht in dem Sinne, dass die habsburgische Herrschaft pars pro toto für die Christenheit unterstützt werden solle. Vielmehr legten Zwinglis Äußerungen sogar eine Distanzierung von jenem Herrscherhaus, „dessen Sache verloren sei“, nahe. Wenngleich also erhebliche Unterschiede zu Luther und Melanchthon festzustellen sind, gibt es doch auch Gemeinsamkeiten: Das Papsttum selbst hielt Zwingli wie Luther für ein antichristliches Phänomen. Es hatte für ersteren seit dem 6. Jahrhundert mit zunehmender Macht- und Prachtentfaltung eine „teuflische“ Entwicklung genommen. Zwingli gab damit der für die mittelalterliche Weltsicht grundlegenden Verbindung von Imperium und Sacerdotium ebenso wie Luther den Abschied, allerdings als Kritiker des Papsttums und des Kaiserreiches. Doch hatte diese Kritik eben für ihn kaum eine apokalyptische Note. Es muss eher von einer Antichrist-Polemik, denn von einer geschichtswirksamen Gegenwart des Antichrist-Mythos bei Zwingli gesprochen werden. Das Ende der Welt sah er nicht gekommen. Er glaubte vielmehr an die Möglichkeit einer ganz an Gottes Wort orientierten Gemeinschaft, einer „respublica Christiana“, wie sie Zürich für ihn schon darstellte.835 Aus diesen Aussagen wird deutlich, dass eine apokalyptische Hochspannung, wie sei zeitweise bei Luther herrschte, bei seinem Zürcher Pendant keineswegs angenommen werden kann. Zwinglis Vorstellungen von der Apokalyptik bzw. der Eschatologie sind grundsätzlich umstritten.836 Teilweise ist gänzlich in Zweifel gezogen 835 836 Ebd. Vgl. dazu die forschungsgeschichtliche Darstellung bei Meyer, Eschatologie, 2ff. 185 worden, dass Zwingli überhaupt von solchen Vorstellungen geprägt war. Sicher ist, dass die enorme Wucht, die Luthers apokalyptische Annahmen gerade auch der Interpretation der „Türkengefahr“ gaben, bei Zwingli fehlen.837 Dies muss jedoch nicht heißen, dass Zwingli überhaupt nicht mit einem Weltende gerechnet habe. Vielmehr muss mit Walter Meyer von einer „inkohativen Eschatologie“838 gesprochen werden. Zwingli sieht jede Epoche unter dem Anspruch Gottes und damit verbundener immanenter Gerichtsvollzüge, die durchaus die Welt, so wie sie bisher bekannt war, etwa in der mittelalterlichen Verbindung von Imperium und Sacerdotium, ans Ende bringt, was für ihn aber buchstäblich keinen „Weltuntergang“ bedeutet. Sicherlich betrachtete er seine eigene Zeit durch die als Wiederentdeckung des Wortes Gottes empfundene Reformation in besonderer Weise im oben genannten Sinne als apokalyptisch qualifiziert,839 nur spielen die Osmanen in diesem Zusammenhang keine profilierte Rolle. Bevor Zwingli in den Kappeler Kriegen den Tod fand,840 scheint sich auch bei ihm eine Ahnung des nahen Weltendes entwicklet zu haben.841 Die Türken blieben aber „lediglich“ Zuchtrute für das Versagen der Christenheit. In einer Predigt aus dem Jahre 1531 ging Zwingli darauf ein: „Wenn nun jemand sagen und sich beklagen möchte: ‚Warum lässt Gott dem Türken, diesem Gottesfeind, Gewalt über sein Volk, dass er sie so jammervoll tötet und ihnen Land und Leute verwüstet, ja Leute und Vieh?’, so lautet die Antwort: ‚... Liess Gott nicht sein eigenes Volk, von den heidnisch, ungläubigen Königen verwüstet, erobert und beherrscht werden? ... Da sie aber in alle Schamlosigkeit aller Laster und in Verachtung aller Belehrung und Verwarnung gekommen sind, werden sie ... auch verdienstermassen so hart bestraft. Wenn dies nun dem Volk widerfuhr, das doch ... als das besondere Gottesvolk galt, so darf 837 838 839 840 841 Vgl. Locher, Geschichtsbild, 283f. Meyer, Eschatologie, 247. Locher, Geschichtsbild, 282. Zu den Kappeler Kriegen vgl. Gäbler, Zwingli, 133ff. Meyer, Eschatologie, 240f. 186 es einen nicht verwundern, dass Gott auch uns mit den Türken eine gleiche Strafe zukommen lässt.“842 In ihrer Sozialkritik sind sich Zwingli und Luther einig. Wenn Walter Nigg festgestellt hat, dass die Zürcher Reformation besonders die „verständige Nüchternheit vom Wittenberger Geschehen unterscheidet“843, so ist dem hinsichtlich der „Türkenfrage“ sonst zuzustimmen. Ein apokalyptisches Interpretationsschema findet sich bei Zwingli nicht. Auch von einer dogmatischen Interpretation ist nicht wirklich zu sprechen, zumal Zwingli, der hier den nachfolgend darzustellenden spiritualistischen Auffassungen deutlich näher steht als Luther,844 durchaus davon ausgehen kann, dass Menschen außerhalb der christlichen Religion von Gott erwählt werden können,845 was natürlich nicht heißt, dass Zwingli eine dogmatische „Richtigkeit“ der islamischen Religion angenommen hätte. Zwingli bleibt beim „Zuchtruten-Motiv“, dass auch Luther kannte, ohne es nennenswert apokalyptisch oder dogmatisch anzureichern. Die „Türkenproblematik“ war für Zwingli weitgehend seinen politischen Überlegungen untergeordnet. 5.4. Spirituale und apokalyptische Zeitdeutung 5.4.1. Das Wirken des Geistes in allen Völkern: Sebastian Franck Eine eigentümliche Gestalt der Reformationszeit ist der Spiritualist Sebastian Franck (1499-1541).846 Zunächst als Geistlicher im Bistum Augsburg und später im ansbachischen Gebiet tätig, gab er 1528/1529 sein Pfarramt auf und lebte fortan als Literat, Buchdrucker und zeitweilig als Seifensieder unter großen Schwierigkeiten und Bedrückungen in Nürnberg, Straßburg, Esslingen, Ulm und Basel. Anfänglich ein Anhänger der Reformation, kritisierte er bald auch diese Bewegung, die ihm, besonders in ihrer Konzentration auf die Bibel und 842 843 844 845 846 Zit. in ebd., 261. Nigg, Reich, 225. Holsten, Reformation, 21. Zum Thema vgl. Pfister, Seligkeit. Vgl. Weigelt, Franck, 119ff. 187 wegen der ausbleibenden sittlichen Besserung der Protestanten als nicht zu ihrem Ziel gekommen erschien. Franck stellte der Reformation und den entstehenden evangelischen Landeskirchen seine Vision von der unsichtbaren Geistkirche und der reformatorischen Betonung der Bibel seine Auffassung vom persönlichen Geistzeugnis, dem „inneren Wort“, entgegen. 1531 trat er mit seiner „Cronica. Abconterfayung und entwerffung der Türckey“ hervor. Bei Francks Chronik handelt es sich um eine bearbeitete Neuausgabe847 des „Tractatus der moribus, condicionibus et nequita Turcorum“ des Georgius de Hungaria.848 Fast 20% des Textes hat Franck hinzugefügt, ca. 10% stark verändert,849 so „daß er in allerlei Neuigkeiten und farbige Berichte ganz handfest seine theologische Polemik einmischt.“850 Als Beispiel dafür mag etwa Francks Ergänzung des 19. Kapitels, das über den muslimischen Glauben, die islamischen Gesetze und das Gebet informiert, gelten. Mit Luther in der Kritik an einem in Äußerlichkeiten sich erschöpfenden Religionsbegriff einig, belässt Franck Gregorius’ Bezeichnung des Islam als eine Religion teuflischen Ursprungs, fügt dann aber eine Papsttum und Islam parallelisierende Kritik hinzu, wenn es weiter heißt, der Teufel habe „ym Bapstum auch allzeit Gott vnd sein namen ym wappen gefurt.“851 Die apokalyptische Interpretation, die sich bei Georgius findet, lehnt auch Franck nicht ab, wenn er die islamische Religion als teuflischen Ursprungs bezeichnet: „Von disen falschen Teuffels ... / ließ 2. Thessal. 2. Apoca. 13. Daniel. 7.8.11.“852 Von einem Monarchien-Schema ist allerdings keine Rede, dass Reich der Christen ist vielmehr spirituell, so dass Franck sagen kann, dass „dero reich (das den Türcken verborgen ist) doch nit von dieser welt ist“.853 847 848 849 850 851 852 853 Zur Textgeschichte vgl. die Anmerkungen in Franck, Werke, 481ff. Vgl. Klockow, Theologie; Höfert, Türkengefahr, 208ff, die eine inhaltliche Zusammenfassung gibt; Palmer, Georgius. Schimansky, Kirche, 43. Ebd., Franck, Werke, 275; vgl. 483. Ebd., 279. Ebd., 268. 188 Franck selber gibt in seinem „Beschluss“854 (Nachwort) über seine Editionsprinzipien Rechenschaft, wenn er erklärt, Georgius’ Darstellung historischer Tatbestände sachgemäß „immitirt vnd verdeutscht“855, die theologischen Abschnitte jedoch weggelassen zu haben. Dies habe er getan, um das Buch durch die theologischen Ausführungen nicht zu überladen. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass sich in dem Buch diese in erheblichem Maße finden. Aber es sind nicht mehr die des Dominikaners Georgius de Hungaria, sondern Francks eigene spiritualistische Anschauungen. Franck ging es, wie in seinem Nachwort nochmals deutlich wird, besonders darum, die vermeintlichen Verführungskünste der muslimischen Religion deutlich zu machen. In dieser Hinsicht war der Islam dann auch für ihn noch stärker als die „römische“ Lehre eine Larve teuflischen Betruges. Dabei konzedierte er dem Islam wie dies auch Luther tat, dass die muslimische Religion in ihrer Erscheinung so beeindruckend sei, dass „wir jhnen das wasser nit moechten bieten“856, doch blieb es für Franck dabei, dass die Muslime ebenso wie die „Papisten“ den Grundfehler begingen, sich auf äußere Frömmigkeitsformen - die Werke - in ihrem Gottesverhältnis zu beziehen. Mit einer Fülle von herangezogenen Bibelstellen versuchte Franck dann seine These zu begründen. Seine diesbezüglichen Ausführungen münden in die Feststellung, letztlich wirke durch diese Haltung nicht Gott im Menschen, sondern dieser selber. Dieses menschliche Tun aber sei Sünde. Soweit bewegt Franck sich noch in den Bahnen der lutherischen Reformation. Die spirituale Ausrichtung Francks wird aber bald deutlich. Ziel aller Frömmigkeit muss es für Franck sein, den eigenen Willen aufzugeben und Gott „lassen machen“857, also die mystische Grundtugend der „Gelassenheit“ zu üben, die gleichzeitig eine Führung durch den Heiligen Geist intendiert. Deutlich wird dann hier die Nivellierung der herkömmlichen religiösen Grenzen. Nicht die äußere Religion und auch nicht die Konfession 854 855 856 857 Ebd., 311ff. Ebd., 311. Ebd., 312. Ebd., 317. 189 entscheiden formal über das rechte Gottesverhältnis, sondern die Gottverbundenheit im Heiligen Geist, die Franck als Einwohnung Gottes im Menschen versteht. Dieses Gottesverhältnis kann sich für ihn allerdings anscheinend zunächst nur im Rahmen des christlichen Glaubens vollziehen.858 Gegen Ende seiner Ausführungen beginnt Franck seine eigenen Anschauungen dann jedoch zu weiten, wenn er ernsthafte Frömmigkeit in allen Religionen durchaus zu schätzen weiß. Diese Frommen sind „Gottes kinder, so got wie allenthalb also auch yn der Türckey hat, die diesen wandel ym glauben mit ernst vnnd hertzen furen, wie auch vnter vns yn vermeinter Christenheit die gotseligenn.“859 Offensichtlich handelt es sich bei diesen Frommen um sozusagen unbewusste Christen, denn Franck fährt, nachdem er die heuchlerischen Scheingläubigen verdammt hat, fort, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen: „Dann wie vil Christenn mitten vnter den wolffen yn der Türckey vnd heydenschafft, Also zweyfelt mir nit, vil Türcken, vnd boeser dann Türcken seind yn vermeinter Christenheyt.“860 Franck wendet sich also nicht gegen die türkischen Frömmigkeitsformen an sich. Frömmigkeit – ernsthaft betrieben – hält er durchaus für notwendig. „Darnach thu disen Türckischen schein yn glauben vnd hertzen/ so bistu kein heuchler oder Türck, ob du gleich gebarest wie ein Tuerck odder heuchler/ sonder ein guter baum/ heilig vnd Gottes kindt yn dem vnterschieden von eim Tuercken vnd heuchler/ das dir alles von hertzen geet ...“861. Ein inklusiv angelegtes Verständnis der christlichen Religion, das so etwa bei Cusanus zu finden ist, wird hier von der Dogmatik auf die christliche Frömmigkeit angewendet. Ging es Cusanus und anderen Vertretern des dogmatischen Interpretationsmodells, die am Gespräch mit dem Islam interessiert waren, darum, zu zeigen, dass in der 858 859 860 861 Ebd., 321. Ebd., 323. Ebd. Ebd., 324. 190 Religion der Muslime durchaus auch vom christlichen Verständnis her richtige Glaubenssätze vorhanden waren, so legt Franck Wert darauf, festzuhalten, dass auch unter den „Türken“ wahrhaft Fromme zu finden seien. Es handelt sich also in Francks Stellungnahme gegenüber dem Islam um eine dogmatische Interpretation, die spiritualistisch entgrenzt wird. Yoko Miyamoto hat darauf hingewiesen, dass diese Konzeption der unsichtbaren Gemeinschaft der Gläubigen an Joachim von Fiore erinnert.862 Insofern war die ebenfalls ja von Fiores Denken beeinflusste Schrift des Georgius durchaus seinen theologischen Vorstellungen in diesem Punkt entsprechend. Darüber hinaus erinnern Francks Ausführungen an Müntzer und teilweise auch an Zwingli, wobei bei Müntzer das spiritualistische Element nicht so stark hervortritt und Zwingli eher an die erwählten „Heiden“ der Antike denkt. In der Frage eines bewaffneten Widerstandes gegen die „Türken“ liegt Franck auf der frühen Linie Luthers. Er lehnt diesen Widerstand nicht rundweg ab, doch ist es nötig, zuvor Buße zu tun, um zunächst gleichsam den „inneren Türken“ aus dem eigenen Herzen zu treiben.863 Entschieden wendet sich Franck gegen eine gewaltsame Missionierung der Osmanen, das hieße für ihn, es den „Türken“ gleich zu tun, wobei Franck hier offensichtlich militärische Eroberung mit Mission verwechselt. Ein Tatbestand der falsch ist, weil die Osmanen von einer gewaltsamen Missionierung in ihrem Herrschaftsbereich absahen. Mission kann für Franck nur in der freiwilligen Annahme Christi bestehen, etwas, das letztlich allein auch nur Christus bewirken kann. Die Christen können lediglich dazu beitragen, in dem sie beispielhaft wirken mit „unschuldigem leben/ wolthat/ gebet / demuot/ gedult ...“864. Francks Äußerungen atmen eine Weite in der Auffassung menschlicher Religiosität, die die Wittenberger Reformation so nicht kennt. Markantester Unterschied ist dabei die Stellung zur Bibel, die dem inneren Geistzeugnis deutlich untergeordnet ist. So wird die Bibel für Franck auch nicht zum Schlüssel einer Geschichtstheologie. Die Konzentration auf den Heiligen Geist als dem Medium des Wirkens 862 863 864 Miyamoto, Influence, 136. Schimansky, Kirche, 115f. Franck, Kriegsbüchlein, zit. in Barber, Toleranz, 151. 191 Gottes schafft darüber universalistisches hinaus bei Franck Menschenbild, das nicht Ansätze primär an für ein einem theologischen Exklusivitätsschema orientiert ist, sondern nach dem Wirken des Geistes unter allen Menschen fragt. Die „TürkenProblematik“ ist deshalb stark von der spiritualistischen Anschauung Francks geprägt, politische Erwägungen kommen allenfalls am Rande seiner Ausführungen vor. Andererseits bleibt die apokalyptische Grundhaltung, die der Tractatus des Georg von Ungarn vertritt, bei Franck beibehalten. Dass es sich bei den Osmanen trotz allen auch unter ihnen vorhandenen latent-verborgenen „wahren“ Frommen um apokalyptische Gestalten handelt, wird von Franck nicht bestritten. Insofern verlässt auch der Spiritualist und „radikale Reformator“ Franck den apokalyptischen Interpretationsrahmen der Reformation nicht.865 Überwiegend ist jedoch in Francks Ansatz die dogmatisch entgrenzende spiritualistische Interpretation. 5.4.2. „Der Türke“ als der jeweils andere: Paracelsus Für den Arzt, Sozialkritiker und Spiritualisten Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493/94-1541), ist der „Der Krieg als Sünde, insbesondere der weltanschauliche Krieg“866 anzusehen. Um 1533 hat er ausgehend vom biblischen Tötungsverbot den Krieg grundsätzlich und heftig verurteilt: „Was ist’s: man hat Orden mit Landsknechten, den Türken zu überwinden, zu erschlagen. Was ist das anderes als Mörderei und vermessentliche Mörderei? ... Der Feind Christi soll überwunden werden, aber mit der Lehr, nicht mit Mörderei;... . Denn das wissen sie: so der Glaube verkündet würde von Bischöfen etc. Pfaffen, Mönchen etc. mit solchem Ernst als sie den Wein aussaufen und den Huren warten – es wäre längst kein Türken mehr. Aber es ist ihnen nicht angelegen hinzugehen, sondern wollens mit dem Schwert erobern, heißen arme Leut wider’n Türken ziehen. Sie aber bleiben sitzen, geben dieweil Ablass aus und wollen doch selbst nicht des Ablasses 865 866 Miyamoto, Influence, 136. Wollgast, Friedensidee, 55ff. 192 teilhaftig werden. ... So wir Christus ... folgen, so haben wir Fried, Ruhe und Einigkeit. Der Türke wäre nicht nach Ungarn gekommen, hätte Kaiser (!) Ferdinand dem Woiwoden [Zápolya M.K.] das gelassen, das er mit Recht beanspruchte, und hätte dem Evangelium, dem Rat Christi gefolgt, als er sollt getan haben.“867 Der Paracelsus-Forscher Kurt Goldammmer hat die Einstellung des Paracelsus auf die Formel gebracht: „Alles Gewaltsame ist dem biologisch denkenden und pazifistischen Mediziner fremd und verhaßt.“868 Dies gilt insbesondere für den Glaubenskrieg, wie die zitierten Stellen zeigen. Das ist um so aufschlussreicher, als Paracelsus in seiner Jugend in Kärnten noch die verheerenden Folgen osmanischer Einfälle vor Augen hatte. Deshalb lehnte Paracelsus zwar durchaus und entschieden den Glaubenskrieg ab, schloss aber eine militärische Notwehr gegen die Osmanen nicht aus. Mit Luther verbindet sich Paracelsus hier in der gemeinsamen Ablehnung, den Krieg gegen die „Türken“ zu einer Glaubenssache zu machen, aber er unterscheidet sich von ihm darin, dass er auch die christliche Obrigkeit in der Gestalt des Kaiserbruders Ferdinand deutlich kritisiert. Fragen über die Rechtmäßigkeit des habsburgischen Anspruches auf Ungarn, wie Paracelsus sie hier behandelt, sind Luther oder Melanchthon nie gekommen. Indem sich Paracelsus so kritisch mit der habsburgischen Ungarn-Politik auseinandersetzt, kritisiert er direkt auch deren „TürkenPropaganda“: Nicht „raubgierige“ Osmanen wollten nach Ungarn, sondern das „imperialistische“ Streben der Habsburger hat deren Eingreifen in Ungarn provoziert. Die theologische Einschätzung der Osmanen ist bei Paracelsus insgesamt ambivalent. Grundsätzlich beharrt er auf seiner spiritualistischen Auffassung, dass „aus der ordnung gottes seindt vil weg zu got“869: Paracelsus sieht beide, Muslime und Christen auf diesem Weg. Das entscheidende Kriterium ihrer Erwählung ist dabei nicht der Glaube, sondern die Liebe, tätige Philanthropologie. Doch finden sich bei ihm auch kritische Bemerkungen, wenn er die „iustitia 867 868 869 Paracelsus, Krieg, 62. Goldammer, Friedensidee, 21. Zit. in ebd., Paracelsus, 33. 193 civilis“ der Völker ähnlich wie Luther als Götzendienst ablehnt.870 Wie der Wittenberger Reformator kann er diesen Götzendienst jedoch ebenfalls in der christlichen Religion entdecken,871 doch kann er eben nicht finden, dass mit der evangelischen Kirche eine bessere Alternative zu den bisherigen kirchlichen Sozialgestalten entwickelt worden sei. Die Frage nach der apokalyptischen „Funktion“ der Osmanen stellt sich auch bei Paracelsus. Er selbst war neben seiner ärztlichen Tätigkeit auch Astrologe. Dabei hat Paracelsus sich u.a. mit den Vorhersagen Johannes Lichtenbergers beschäftigt, so dass die Frage interessant ist, wie er aus dieser Perspektive die Osmanen einschätzte. Waren sie ihm ebenfalls Gestalten der Endzeit? Paracelsus’ Äußerungen sind offensichtlich nicht bloße Prophezeiungen künftiger apokalyptischer Ereignisse, sondern auch hier schlägt seine spiritualistische Auffassung durch: „Was nützte es der Seele, daß ein vom Mars begünstigter Christ mit glücklicher Konstellation den Türken und alle Sarazenen erschlüge? Nichts, denn das ist der Seele verhaßt. Denn stets wollen wir nach der Weisheit der Herzens handeln und wandeln und nichts von dem Himmel annehmen.“872 Weiter heißt es: „Nun sehet wiederum, wie der Himmel sein Glück und Unglück zuschickt. Wie oft hat er Ungarn vom Türken einnehmen lassen! Wie oft hat er den Ungarn den Sieg verliehen, so daß sie dem Türken ihre Niederlagen vergolten haben! So war stets eines nach dem andern. Das wir auch immerdar so sein, bis der Himmel diese Konstellation ändert.“873 Für Paracelsus geht es also weniger um die Entdeckung eines göttlichen Heilsplanes in der Geschichte, denn um die Akzeptanz der astrologisch gewonnenen Erkenntniss. Erst wenn die Gestirne ihre Konstellation ändern, kann die Geschichte einen neuen Verlauf nehmen. 870 871 872 873 Ebd., 33ff. Vgl. seine Schrift De septem punctis idolatriae christanae. Dazu Gause, Paracelsus. Paracelsus, Auslegung, 1046f. Ebd. 194 Die eigentliche fundamentale Bedeutung der Auslegung des Paracelsus jedoch liegt darin, dass er die Auseinandersetzung mit den Osmanen vollständig spiritualisiert und dabei den Begriff „Türke“ als innerchristlichen Kampfbegriff entlarvt, indem er das hohe polemische Potential des Begriffes thematisiert. Der „Türken-Diskurs“ wird nach seiner Meinung hauptsächlich als Mittel zum Zweck der Verunglimpfung des Gegners geführt, um die Osmanen geht es dabei nur am Rande. Zwar nimmt auch Paracelsus an, dass es zu einer Endschlacht bei Köln kommen werde, wie es Lichtenberger vorausgesagt habe, doch ist keineswegs sicher, dass die Osmanen darin involviert sind. Er sagt voraus, diese Schlacht sei vielmehr ein Kampf, in dem der letztliche Sieger, wer auch immer es sei, behaupten werde, der Unterlegene sei „der Türke“ gewesen. „Der Türke“ ist sozusagen immer der andere: Dem Besitzenden der Arme, dem Armen der Reiche usw. Indem Paracelsus den Konflikt seiner Zeit nicht mehr entscheidend auf dem Gebiet der Religion sich abspielen sieht, sondern ihn im Bereich des Sozialen ansiedelt, gibt er der Lichtenberger’schen Pronosticatio eine völlig neue Auslegung.874 In seiner Sozialkritik ist er dabei mit Luther verbunden, wenn auch Luther den Konflikt nicht wie Paracelsus in den sozialen Bereich transformiert. Bei Paracelsus ist andererseits auch das Fehlen eines „klassischen“ apokalyptischen Interpretationsmodells bezüglich der Osmanen festzustellen. Seine Anschauungen sind ebenfalls so spiritualisiert, dass „der Türke“ nur noch zu einer Chiffre wird. Die dogmatische Interpretation verurteilt schließlich Christentum und Islam gleichermaßen bzw. sieht beide noch nicht als in ihrer gegenwärtigen Gestalt vollendete Religionen an. 5.4.3. Die Türken im Endkampf: Melchior Hoffmann Zu den profilierten Vertretern einer gewaltlosen Täuferkirche gehört Melchior Hoffmann.875 Hoffmann, ein gelernter Kürschnergeselle aus Schwäbisch-Hall, wirkte zunächst ab 1523 als Laienprediger im 874 875 Vgl. auch Kurze, Lichtenberger, 64ff. Zu Hoffmann vgl. besonders, Deppermanns Biographie. 195 baltischen Livland. Hoffmann verkörpert dabei typisch Eigenschaften der „Laienprädikanten der frühen Reformationszeit“ die 876 : Nach anfänglicher Duldung wurde bald von den Magistraten und den Reformatoren die „Gefährlichkeit“ der frei berufenen Prediger, dieser ‚unruhigen, saturnischen, melancholischen, fanatischen Menschen, die herumschweifen’877, erkannt. Wandten sich diese doch nicht nur gegen das Papsttum, sondern bald auch gegen die evangelisch- landeskirchliche Reformation. Dies gilt auch für Hoffmann. 1526 wurde er aus Livland ausgewiesen. Ein unruhiges Wanderleben begann, was wiederum nicht ungewöhnlich für die sich am Beispiel des Apostels Paulus, der seinen Lebensunterhalt bekanntlich als Handwerker verdiente, orientierenden Prediger war. Der Hoffmann-Biograph Deppermann schreibt.: „Häufig gehörten sie [die Laienprediger M.K.] dem Stand der wandernden Handwerksgesellen an, der auf Grund seiner sozialen Situation zur Unzufriedenheit und zum Protest neigte, gleichzeitig aber auch über ein ungewöhnliches Maß an Mobilität, Risikobereitschaft, Kontaktfähigkeit und Weltkenntnis verfügte.“878 Hoffmanns Predigt war von Anbeginn an apokalyptisch geprägt. Dabei dürfte Hoffmann auch von Johannes Hilten, der in Dorpat gewirkt hatte,879 zumindest indirekt beeinflußt worden sein. Hoffmann lehrte, der „jüngste Tag“ stehe unmittelbar bevor.880 Das Buch Daniel war ihm dabei wie so vielen anderen in dieser Zeit Inspirationsquelle. 1526, also mehrere Jahre vor den entsprechenden Arbeiten Luthers und Melanchthons, gab er einen eigenen Daniel-Kommentar heraus, der das Ende der Welt für das Jahr 1533 voraussagte.881 Zunächst sollte ab 1526 für dreieinhalb Jahre das Evangelium dem ganzen Erdkreis verkündet werden, bevor dann mit kaiserlicher Unterstützung der Papst, der für Hoffmann der Antichrist war, seine Macht zurückgewinne. 876 877 878 879 880 881 Deppermann, Art.: Hoffmann, 323. Zit. in ebd., 323. Ebd., 323. Deppermann, Hoffmann, 70. Vgl. ebd., 65ff. Ebd., 67ff. 196 Danach würden die „Türken“ die Herrschaft übernehmen und dann Christus das Endgericht heraufführen. Nach Aufenthalten in Stockholm und im norddeutschen Raum kam Hoffmann 1529 nach Straßburg, „dem Treffpunkt der europäischen Nonkonformisten“882, das er bald für das neue „himmlische Jerusalem“ hielt und deshalb als Zentrum der zukünftigen apokalyptischen Ereignisse und eines neuen chiliastischen Reiches ansah. Sich selbst hielt Hoffmann nun für den in seinem Daniel-Kommentar geweissagten wiederkommenden Propheten Elia.883 Hoffmann fand in Straßburg, wo es schon verschiedene Täufergruppen gab, 884 zahlreiche Anhänger. Mit dem Näherrücken der osmanischen Machtsphäre ab 1526/1529 wurde dann auch die „Türkenfrage“ virulent. Ursula Jost, eine der treusten Anhängerinnen Hoffmanns, die sich selbst als Prophetin verstand, schaute in einer Vision „den Türken“ als eine schwarze Gestalt, von der jedoch paradoxerweise Licht ausging. Ihr wurde offenbart, dass es sich dabei um die „Kraft Gottes“ handle, durch die dieser mittels der Osmanen sein Strafgereicht an der Christenheit vollziehe.885 Dass Hoffmann sich mit diesen Visionen identifizierte, lässt sich daraus erschließen, dass er für ihren Druck sorgte.886 Auch Ursula Josts Ehemann Lienhard verkündete Visionen, die Hoffmann ebenfalls in den Druck gab. Hier wurden die endzeitlichen Ereignisse, in denen der „Türke“ eine gewichtige Rolle spielte, noch deutlicher. Nach Lienhard Jost sollten die Osmanen sowohl den Papst, Priester und Mönche, wie überhaupt alle Unbußfertigen vernichten, ebenso auch König Ferdinand, während Kaiser Karl V. von den Osmanen gefangen genommen werde. Danach erscheine ein „Pastor Angelikus“, der die ganze Welt mitsamt den „Türken“ bekehren werde. 1530 verließ Hoffmann Straßburg, um seiner drohenden Gefangennahme durch die örtlichen Behörden, die die täuferischapokalyptischen Umtriebe nicht duldeten, zu entgehen. Er wirkte für drei Jahre in Ostfriesland und den Niederlanden. 882 883 884 885 886 Deppermann, Art.: Hoffmann, 329. Ebd., 140. Ebd., 174ff.; 185f. Ebd., 183. Ebd., 180. 197 In der 1529 erschienenen “Weissagung usz heiliger götlicher geschrifft. Von den truebsalen dieser letsten zeit. Von der schweren hand vnf straff gottes über alles gottloß wesen. Von der zukunfft des Türckischen Thirannen vnd seines gantzen anhangs. Wie er sein reiß thun vnnd volbringen wirt vns zu einer straff vnnd ruten. Wie er durch Gottes gwalt sein niderlegung vnnd straff entpfahen wirt“887 sowie der 1530 dem dänischen König Friedrich I. gewidmeten Auslegung der biblischen Apokalypse „Auslegung der heimlichen Offenbarung“888 wird dann auch von Hoffmann selbst die Rolle der Osmanen stärker profiliert, wie überhaupt die endzeitlichen Ereignisse stärker präzisiert werden. Von einer „höllischen Dreifaltigkeit“ aus Papst, Kaiser und Mönchtum ist die Rede, die sich zum Ziel setzt, den durch die täuferische Predigt erneuerten Tempel Gottes zu zerstören. Dagegen wendet sich ein Heer frommer Könige und Gläubiger. Doch zuvor erscheinen Gog und Magog, die als die „Türken“ verstanden werden. Sie besiegen die Gottlosen, vernichten jedoch auch die Frommen. Auf dem Höhepunkt der Ereignisse bricht der „Jüngste Tag“ an. 1533 ging Hoffmann nach Straßburg zurück, wo er den Anbeginn der endzeitlichen Ereignisse sich nun vollziehen glaubte. Hier schloß er sich offensichtlich unter dem Einfluss der täuferischen Kreise chiliastischen Vorstellungen an.889 Nicht mehr den wahrhaft Frommen stand nun das Martyrium vor dem Endgericht bevor, sondern vielmehr sollten jetzt allein die „Ungläubigen“ vernichtet werden, bevor das Friedensreich Christi anbreche. Seine jetzt durch den Magistrat erfolgte Verhaftung begrüßte Hoffmann freudig als Beginn dieses Geschehens. Als jedoch die geweissagten Ereignisse ausblieben, hoffte er auf eine endzeitliche Reformation, die von den freien Reichsstädten ausgehen sollte. Die Bewegung der sog. Melchioriten zerbrach mit dem Ausbleiben der endzeitlichen Katastrophe von 1533 bald in eine radikale gewaltbereite Richtung, die dann im Täuferreich von Münster ihre Gestalt und ihr 887 888 889 Zitiert wird hier der ausführliche Titel, um die hervorgehobene Bedeutung der Osmanen aufzuzeigen; vgl. Deppermann, Hoffmann, 346. Ebd., 217. Deppermann, Art.: Hoffmann, 330. 198 Ende fand, und in eine weiterhin von Hoffmann indirekt geführte Straßburger Gruppe, die ohne eigene Gewaltanwendung das Ende der Welt ersehnte. Hoffmann selbst starb 1543 nach zehn Jahren Kerkerhaft. Im Wiedertäuferreich zu Münster spielte dann die Gefahr der Osmanen keine nennenswerte Rolle. Sie wurden faktisch zum symbolischen Begriff, gemeint war jetzt der „eigene ‚Türke’“, der im Inneren Deutschlands auch das „Königreich der letzten Tage“ bedrohte.890 Wenn sich auch die chiliastischen Hoffnungen nicht erfüllt hatten, so war die Betonung der Apokalyptik bei den radikalen reformatorischen Gruppen ein Merkmal gewesen, das allerdings ohne das chiliastische Element erst später von der Wittenberger Reformation übernommen wurde. Die Osmanen spielten in beiden Gruppen im Sinne des apokalyptischen Modells eine Rolle. Während sie jedoch bei den Täufern eher weiter als Gottesgeißel gegenüber allen „Ungläubigen“, d.h. allen Nicht-Wiedergetauften, fungierten, blieben sie Luther die Helfershelfer des päpstlichen Antichrist. 5.5. Zwischenbilanz War die apokalyptische Grundhaltung bisher die Angelegenheit der radikal-reformatorischen Kreise, so gewann ab 1529 diese Grundstimmung auch bei Luther eindeutig die Oberhand. Dabei geschah dies nicht wegen des Beispiels der „Schwärmer“, sondern eher trotz deren apokalyptischen Anschauungen. Vermittelt wurden diese Auffassungen Luther ganz offensichtlich durch Melanchthon, der zusammen mit diesem die am biblischen Buch Daniel orientierte VierMonarchien-Lehre zur gleichsam normativen Geschichtsauffassung der lutherischen Konfession machte. Luther und Melanchthon lassen damit den breiten Strom apokalyptischer Anschauungen weiter anschwellen, doch bleiben signifikante Unterschiede zur radikalen Reformation weiter bestehen, die besonders in der Ablehnung chiliastischer Auffassungen, wie sie in dieser Zeit etwa Melchior Hoffmann übernahm, durch die lutherische Reformation deutlich werden. 890 Rommé, Königreich, 34. 199 Völlig von diesen Annahmen getrennt entwickelte sich die schweizerische Reformation durch Zwingli, der in einem hohen Maß politischer Rationalität dass „Türkenproblem“ einzuordnen versuchte, während bei Johannes Brenz eine deutliche Nähe zu Luther festzustellen ist, ohne dass dieser wie der Wittenberger Reformator die apokalyptische Grundhaltung zu einer Auffassung vom unmittelbar bevorstehenden Ende steigert. Einen spezifischen Neuansatz versuchten die Spiritualisten, die unter grundsätzlicher Beibehaltung des apokalyptischen Schemas, dass allerdings bei ihnen zurück tritt, jenseits dogmatischer Kriterien nach den wahrhaft Frommen in allen Religionen suchten. Bei unbestrittener Verurteilung des Islam als Religion entstand unter ihnen doch eine am gemeinsamen Humanum bzw. potentiell vorhandenen Geistbesitz aller Menschen orientierte Sicht der Dinge, die kritisch zu allen handelnden politischen wie religiösen Kräften stand. Die bleibende Pluralität der Auffassungen gegenüber den Osmanen innerhalb der Reformation und darüber hinaus überhaupt im Abendland ist signifikant für das Entstehen einer differenzierten Meinungskultur in der frühen Neuzeit. 6. Luthers verstärkte theologische Auseinandersetzung mit dem Islam ab Mitte der 1530iger Jahre 6.1. Der islamische Schöpfungsglaube als Ergebnis der Rationalität In den 1530iger Auseinandersetzungen Jahren, mit den in denen Osmanen die militärischen zumindest an der Reichsgrenze geringer wurden, vertiefte Luther seine theologische Auseinandersetzung mit dem Islam. Dies geschah auch nach der neuerlichen Bedrohung ab 1540 weiter, doch wurde diese Beschäftigung dann wieder von politisch begründeten Stellungnahmen und später zusätzlich noch von einer scharfen Anti-Islam-Polemik überformt. Den Rahmen, in dem Luther seine Auseinandersetzung vornahm, bildeten besonders die Große Genesis-Vorlesung, die Luther von 1535 bis 1545 hielt, sowie die zahlreichen Promotionsdisputationen 200 in dieser Zeit. In diesen Zusammenhängen sind die Osmanen bzw. der Islam jedoch immer ein Thema unter anderen. Eine eigene systematisch-theologische Schrift zum Islam hat Luther nie verfasst. Trotzdem lassen sich klare theologische Grundlinien in der Stellung Luthers zu der Religion der Muslime herausarbeiten. Diese Haltung wird unter zwei grundsätzlichen Aspekten, die jedoch kaum säuberlich voneinander getrennt werden können, deutlich. Einmal erörtert Luther die Religion der Muslime unter dem Gesichtspunkt des Schöpfungsglaubens zum anderen unter der Frage der Stellung des Islams zum Evangelium. Luther bestreitet den „Heiden“, in diesem Zusammenhang ist dann auch von den „Türken“ die Rede, grundsätzlich nicht die Annahme der Existenz eines Gottes. Im Anschluss an Cicero hält er die Postulierung einer Gottheit als Konstitutivum für Kultur und Menschlichkeit schlechterdings für unerlässlich:891 „Die natur gibt, das man Gott sol anrufen, Das zeygen auch die Heyden an, ...“892. Luther kann dabei durchaus zu einer bedingten positiven Einschätzung dieser wesentlich in der Rationalität des Menschen begründeten Gotteserkenntnis kommen: „Divinitas est naturaliter cognita.“893 Grundsätzlich ist die Rationalität des Menschen, wie er besonders in der Disputatio „De homine“ 1536 betont, die größte Gottesgabe an den Menschen.894 In ihr lag vor dem Sündenfall die Gottebenbildlichkeit des Menschen und die „vera notitia Dei“895 begründet. Dass also zur Religiosität der Muslime wie eben aller Menschen und Religionen auch die Annahme eines Gottes gehört, ist Luther selbstverständlich, weil dies eben schlicht ein menschliches Grunddatum ist. Hier ist eine gemeinsame Grunderkenntnis fast aller Religionen angesprochen, die zum Ausgangspunkt einer positiven Auseinandersetzung zwischen den Religionen gemacht werden kann. Luther hat jedoch eine positive Möglichkeit der Anknüpfung grundsätzlich ausgeschlossen. Dies ist für ihn der Irrweg der 891 892 893 894 895 Vgl. Ratschow, Religionen, 16; Blöchle, Heidentum, 194. WA 9, 24f. WA 40 I, 607. WA 39 I, 175; vgl. auch Maurer, Luther, 128ff. WA 42, 47; vgl. Lohse, Theologie, 215. 201 „scholasticis“896, mundo“ 898 und „speculationes „Philosophi“ 899 theologorum“897, „sapientissimi in und immer auch der der „Papisten“, Juden und „Türken“. Die Gründe für diese Ablehnung liegen in den Spezifika seines Gottesverständnisses. Um dies zu erläutern, muss zunächst kurz Luthers allgemeine Auffassung von der Schöpfung verdeutlicht werden: Für Luther ist das Schöpfersein Gottes zutiefst Bestandteil seiner Gottheit.900 Dabei ist die Schöpfung kein abgeschlossener Vorgang, der in der Vergangenheit liegt, sondern ein dauerndes Ereignis. Zwar hat Gott zu einem bestimmten Zeitpunkt die Welt ins Sein gerufen, trotzdem aber ist seine fortwährende Erhaltung ebenfalls als jeweils aktuale Schöpfung zu verstehen: „Gott schaffts doch teglich.“901 In diesem Sinne ist dann etwa auch die bekannte KatechismusAuslegung zum Ersten Gebot zu lesen: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen ... und noch erhält; ...“902. Schöpfungs- und Erhaltungswirken sind also für Luther gleichsam zwei Aspekte eines Handelns, das durch sein Wort (Joh 1,1) geschieht.903 Im Wortbegriff kommt es dann zu einer Verbindung mit der Christologie, wenn Christus als „Wort Gottes“ somit zum Schöpfungsmittler wird.904 Gott als der Schöpfer kann also abseits der Christologie nicht sachgemäß erfasst werden. Ein Sachverhalt, der dann für die Beurteilung der muslimischen Gotteserkenntnis aus der Schöpfung von Bedeutung ist. Die fortwährende Aktualisierung der Schöpfung, die von einem deistischen Gottesverständnis von Gott als dem „ersten Beweger“, der die Welt dann sich selbst überlässt, weit entfernt ist, schafft einen außerordentlich engen „existentiellen Bezug“.905 Schöpfung ist nicht nur ein allgemeines, sondern auch ein persönliches Ereignis, wie es in 896 897 898 899 900 901 902 903 904 905 WA 40 III, 78. Ebd., 335. WA 31 I, 307. WA 41,551 Vgl. dazu etwa Althaus, Theologie, 99. WA Tr 5,17 (1540). Luther, Kleiner Katechismus, 6. WA 42,27. Ebd., 14f. Lohse, Theologie, 258. 202 der schon genannten Katechismus-Auslegung auch heißt: „Ich glaube, dass Gott mich geschaffen hat, ...“. Das rechte Verständnis der Schöpfung ist dabei eine wesentliche Grundbedingung für den rechten Glauben, zumal hier schon eine Verbindung zu der für Luther schlechterdings zentralen Rechtfertigungslehre hergestellt wird, wenn es in der Katechismus-Auslegung dann weiter heißt „... und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohne all mein Verdienst und Würdigkeit.“906 Die Verzahnung der Gottesvorstellung mit der Christologie und damit zusammenhängend mit der Rechtfertigungslehre macht nun eine positive Anknüpfung an die Gottesannahme aller Religionen und eben damit auch der Muslime grundsätzlich unmöglich, da diese weder eine Christologie noch die Rechtfertigungslehre kennen. Nur mit Hilfe jener Voraussetzungen entscheidet sich aber, ob das Gottesverhältnis des Menschen wirklich gelingt; denn Luther ist weniger an gewissen ontischen Voraussetzungen und Gegebenheiten interessiert, als an der voluntativen Seite des Gottesbildes und damit auch des Schöpfungsverständnisses. Die Welt ist aus Gottes Willen geschaffen und sie existiert nur durch diesen. Dieser Wille aber ist Heilswille, der im Christusgeschehen sein Zentrum findet. Doch gerade dieses Zentrum wird von den Muslimen und mit ihnen den anderen „Heiden“ nicht erkannt. So heißt es 1542 in der Promotionsdisputation für Heinrich Schmedenstedte: „Frustra Turcae et gentes aliae credunt in creatorem mundi, ... imo blaphemant, eum non esse patrem Christi ungeniti filii. Frustra credunt papistae et sophistae Deum patem et omes articulos alios fidei nostrae, dum respuunt opus Christi pro nobis impletum. Negant enim, sola fide seu, quod idem est, solius Christi opere impleto nos iustificari.“907 So ist zwar die Annahme eines Schöpfergottes durch die „Heiden“ grundsätzlich richtig, es „geht jedoch der eigentliche Gewinn dieser Einsicht dadurch verloren, daß es an der rechten Erkenntnis des Heilswillen Gottes gebricht.“908 906 907 908 Luther, Kleiner Katechismus, 6. WA 39 II, 188. Gerhard Ebeling, Lutherstudien II, 424. 203 In der Auslegung des Glaubensbekenntnisses im „Großen Katechismus“ heißt es dazu: „Darum unterscheiden und sondern diese Glaubensartikel uns Christen von allen andern Leuten auf Erden. Denn die außerhalb der Christenheit sind, seien es „Heiden“, Türken, Juden oder falsche Christen und Heuchler, mögen zwar nur einen wahrhaftigen Gott glauben und anbeten, aber sie wissen doch nicht, wie er gegen sie gesinnt ist.“909 In scharfer Abgrenzung gegen die scholastische Theologie ist somit von der rationalen Gotteserkenntnis her der Glaube an den Gott Jesu Christi keine Konsequenz vernünftigen Denkens. Zwar weiß die menschliche Vernunft um Gott, doch weiß sie nicht, wer dieser Gott ist: „Die Vernunft spielt Blindekuh mit Gott und tut eitel Fehlgriffe und schlägt immer neben hin ...“910 . In der letzten von Luther durchgeführten Promotionsdisputation911 1545 fasst er deshalb nochmals zusammen: „Totus mundus est contrarius huic propositioni, quia Turcae, gentes et alii omnes fatentur et credunt, Deum omnio condidisse coelum et terram, sed incarnationis articulum Iesu Christi non credunt. Ergo articulus incarnationis est difficilior creditu quam articulus creationis.“912 Diese aus Luthers Sicht mangelnde Gotteserkenntnis ist jedoch nicht nur eine Defizitbeschreibung, sondern letztlich eine radikale Verkehrung des richtigen Glaubens, deren Ursprung diabolisch ist.913 Deshalb aber ist der Gottglaube der „Heiden“ „Abegoetterey“914: „Extra Christum idolatria.“915 Dieser Irrglaube ist vom Teufel bewirkt, was Luther dann auch auf den Islam bezieht.916 Paradoxerweise aber schließt diese Abgötterei, wie oben dargestellt, gewisse Grundlagen der Ethik nicht aus: „Und derhalben ist es natuerlich, Gott ehren, nicht stelen, nicht ehebrechen, nicht falsch 909 910 911 912 913 914 915 916 Luther, Großer Katechismus, 98. WA 19, 207. Brecht, Luther III, 137. WA 39 I, 388. WA 19, 207, WA 24,9f. WA 40 I, 611. WA 31 II, 345; WA 30 II, 129. 204 gezeugnis geben, nicht todschlagen ...“917. Deshalb kann Luther durchaus eine Form bürgerlicher Gerechtigkeit unter den „Heiden“ anerkennen. Von der islamisch vorhandenen Kenntnis über Jesus, bzw. seiner Einschätzung als Prophet kann Luther gelegentlich auch auf die von Johannes Damascenus u.a. her bekannte Linie einschwenken, der Islam sei eine ursprüngliche Häresie des Christentums. Dabei geht Luther teils davon aus, dass der Islam sich von dem frühchristlichen Ketzer Arius ableitet, bzw. auch Macedonius und Nestorius zu den frühen (Irr-)Lehrern des Propheten Mohammed gehört haben.918 Trotz dieser gelegentlich vorkommenden historischen Reminiszenzen rechnet Luther den Islam aber grundsätzlich wie die Scholastik zum Heidentum.919 6.2. Der „usus politicus legis“ bei den Osmanen Oben wurde schon angedeutet, dass Luther paradoxerweise, obwohl er den Glauben der nichtchristlichen Religionen als Abgötterei ansah, doch auch eine gewisse bürgerliche Zivilisationsleistung den nichtchristlichen Kulturen keineswegs absprach. Dies geschieht bei Luthers theologischer Auseinandersetzung mit dem Islam und anderen 917 918 919 WA 24,9f. WA 50, 575; 54, 160 u.ö. Der später als „Erzketzer“ verurteilte alexandrinische Presbyter Arius (gest. 336) bewirkte den ersten großen dogmatischen Streit innerhalb der konstantinischen Reichskirche. Er betonte die Unterordnung Jesu Christi als geschaffenen Logos unter Gott. Diese Auffassung minderte nach Auffassung der Gegner des Arius das Heilswirken Christi, weil es seine Göttlichkeit herabstufte. Arius ging es eher um die Betonung der vollen Transzendenz Gottes. Sein subordinatarisches Christusverständnis wurde auf Synoden 318 in Alexandrien und 324 od. 325 in Antiochia als häretisch verurteilt. Die erste Reichssynode in Nicäa lehnte den Arianismus ebenfalls ab. Historische Bedeutung erlangte diese Lehre u.a. dadurch, dass die ostgermanischen Reiche bei ihrem Übertritt zum Christentum eine dem Arianimus ähnelnde Christusauffassung übernommen hatten, vgl. Hauschild, Kirchen- und Dogmengeschichte I, 28ff; 168, 357. Der Patriarch von Konstantinopel, Nestorius (gest. 451), betonte gegenüber seinem Gegenspieler, Bischof Cyrill von Alexandrien, innerhalb der Person Jesu Christi die strikte Trennung von göttlicher und menschlicher Natur. Der Streit war in wesentlichen Teilen auch kirchenpolitisch motiviert. Nestorius wurde 435 in die Verbannung geschickt. Als ostsyrisch-persische Kirche haben die Anhänger der Lehren des Nestorius als Missionskirche dessen Auffassungen sowohl im persischen Sassanidenreich wie dann auch unter der Herrschaft der Muslime weit, bis hin nach China, verbreitet. Hauschild, Dogmengeschichte I, 180ff., 213. Blöchle, Heidentum, 156. 205 Religionen meist auf dem Hintergrund des theologischen Topos von „Gesetz und Evangelium“, den Luther gerade in den dreißiger Jahren ausführlich entfaltet hat. Hintergrund dafür war der sog. Antinomistische Streit mit Luthers ursprünglich engem Weggefährten Johann Agricola (1492/94-1566) und dessen Anhängern.920 Im Kern ging es hier um die Frage nach der Heilsnotwendigkeit des göttlichen Gesetzes, die von den sog. Antinomern abgelehnt wurde. Ausgangspunkt dieses Streites war zunächst einmal Luthers Distinktion von „Gesetz und Evangelium“, die von ihm und anderen Reformatoren als „Feldzeichen rechter reformatorischer Lehre“ aufgerichtet wurde.921 Luther unterschied dabei das Wort Gottes, wie es in der Bibel zur Sprache kommt, in die beiden gegensätzlichen Weisen des Gesetzes als bindende Bekundung des Gotteswillens und der Überführung des Menschen als Sünders sowie des Evangeliums als Frohe Botschaft von der Erlösung des Menschen im Heilstod Jesu Christi. Dabei war diese Unterscheidung nun keineswegs so zu verstehen, dass das Gesetz identisch sei mit dem Alten und das Evangelium mit dem Neuen Testament. Vielmehr handelt es sich für Luther um eine existentielle Dialektik, die den Menschen entsprechend Luthers Verständnis der menschlichen Existenz als „semper iustus et peccator“ lebenslang begleitet, ja angreift. Während nun das Evangelium seinen Inhalt in Jesus Christus hat, ja dieser selber es ist, hat das Gesetz unterschiedliche Gestalt. Es begegnet u.a. als Torah des Judentums, wobei Luther die Zeremonialgebote als der „Juden Sachsenspiegel“922 als für die Christen abgetan ansah, während der Dekalog von ihm mit der Scholastik als Naturgesetz des Menschen angesehen wurde.923 Dieses ist dem Menschen „von Natur eingepflanzet, ... und Mose allein gleich mit der Natur übereinstimmet.“924 Die Bedeutung des Gesetzes ist aber auch für Luther nicht nur in dieser theologisch-religiösen Hinsicht zu verstehen. Daneben gibt es auch 920 921 922 923 924 Vgl. Brecht, Luther III, 158ff. Vgl. Albrecht Peters, Gesetz und Evangelium, 30; Maurer, Luther, 51ff. WA 18,81. Peters, Gesetz, 34. WA 16, 380. 206 noch einen usus civilis legis, der dazu dient, unter den Menschen die weltliche Ordnung aufrecht zu erhalten.925 Darüber hinaus dient das Gesetz auch dem an Christus Glaubenden als Mahnung und freundliche Weisung, da dieser nun im Glauben die von Jesus in seiner Bergpredigt offen gelegte Intention des Gesetzes zu erfüllen versucht, ohne dass er hierbei noch eine eigene Gerechtigkeit aus diesen Werken aufrichten muss bzw. kann.926 Dadurch, dass die Antinomer diesen letzten Gebrauch des Gesetzes an den Gläubigen ablehnten, sah sich Luther zu einer grundsätzlichen Erörterung des Themas veranlasst, die besonders in mehreren Disputationen zum tragen kam. Dabei kam Luther im grundsätzlichen Zusammenhang Bedeutung seiner des usus Ausführungen civilis, also auch die mehrfach allgemeine auf die gleichsam ordnungspolitische Funktion des Gesetzes, zu sprechen. Oben war schon deutlich gemacht worden, dass Luther diese Funktion auch den nichtchristlichen Religionen zusprechen konnte, das galt insbesondere für die Osmanen. An zahlreichen Stellen finden sich überaus positive Einschätzungen Luthers des osmanischen Gemeinwesens: Schon in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ bezog Luther sich darauf: „Man sagt, das kein feyner weltlich regiment yrgend sey, dan bey dem Turcken, ...“927. Eine Feststellung, die er in der Schrift „Zwei kaiserliche uneinige und widerwärtige Gebote den Luther betreffend“ 1524 ausdrücklich aufnahm, wenn er die Osmanen als „zehen mal klüger und frummer“928 bezeichnete als das Reichsregiment. Noch in seiner späten großen Genesis-Vorlesung konnte er die Osmanen als „homines honestissimi, sapientissimi et religosissimi, rerum magnis laboribus partum serverissima disciplina retinent“929 bezeichnen. Und er schlußfolgerte weiter: 925 926 927 928 929 WA 2, 43. Peters, Gesetz, 47ff. WA 6, 459. WA 15,277. WA 43, 385. 207 „Si itaque talis esset populus Dei, qualis Turcius populus est, nihil ampius requirendum esset. Insuper a Deo ornantur opulentia, sapientia, gloria, ratione et clarissimis victoriis.“930 In Heerpredigt gegen die Türken 1528 bezeichnete Luther die Osmanen als „untereinander trew und freundlich und die warheit zu sagen sich befleissigen“931. Etwas später bescheinigte er ihnen in dieser Predigt „nach dem eusserlichen wandel ein dapfer strenge und ehrbarlich wesen: ... Und haben yhr regiment eusserlich gefasset und ym schwanck, wie wirs gerne haben wollten ynn Deudschen landen.“932 Vollends positiv waren die Aussagen in dieser Hinsicht dann 1530 in der Vorrede zum „Libellus de ritu et moribus Turcorum“ des Georgius de Hungaria, 933 eben jenes Werk, das wenig später auch Sebastian Franck als „Chronica“ ins Deutsche übertragen sollte. Das „Libellus“ war ursprünglich ein Anhang zu der schon genannten Schrift „Contra legem sarracenorum“ des Ricoldus des Monte Crucis, die nach einer verworrenen Textgeschichte als Rückübersetzung aus dem Griechischen jetzt als „Confutatio Alcorani“ erschienen war.934 Luther kannte beide Schriften. Er nahm jedoch damals von der Veröffentlichung der Hauptschrift ebenso wie von der „Cribratio Alcorani“ des Cusanus mit dem ausdrücklichen Hinweis Abstand, dass ihm diese zu polemisch erschienen. Anders schätzte er das „Libellus“ ein. So hieß es denn im Vorwort: „Man sah freilich, dass sowohl jener ‚Widerleger’ als auch der Verfasser der ‚Auswahl’ (Cribrator) aus einem gottseligen Bestreben die einfältigeren Christen von Mahomet abschrecken und im Glauben an Christum erhalten wollte, aber da sie sich allzu sehr befleißigen, alles, was überaus schändlich und ungereimt ist, aus dem Alkoran auszulesen, was Hass erregt und den gemeinen Mann zur Gehässigkeit bewegen kann, und das Gute, das in demselben ist, entweder übergehen, ohne es widerlegt zu haben, oder es verhehlen, 930 931 932 933 934 WA 43, 385. WA 30 II, 127. Ebd., 189f. Ebd., 205ff. Vgl. die Einführung von Ehmann in Ricoldus, Confutatio. 208 so ist es geschehen, daß sie gar wenig Glauben und Ansehen gefunden haben“.935 Luther entschloss sich also, ohne genauere Kenntnis des Islam, nur den „Libellus“ herauszugeben, aus dem deutlich würde, dass auf dem Gebiet der Sitten und Gebräuche die Muslime dem Christentum weit überlegen wären, dass es aber darauf eben aus seiner Sicht auch nicht primär ankomme, weil „die christliche Religion etwas weit anderes sei als gute Sitten oder gute Werke“.936 Im übrigen aber sei deutlich, dass hier der Verfasser die Darstellung des Islam „mit der größten Treue zu behandeln“ unternommen habe.937 Allerdings ging es Luther mit der Herausgabe des „Libellus“ nun keineswegs darum, eine Darstellung des Islam zu liefern, aufgrund derer konstruktiv nach Gemeinsamkeiten, die dann wiederum ein interreligiöses Gespräch im Sinne eines Raimundus Lullus oder Nicolaus Cusanus ermöglichten, gesucht werden sollte. Dies war allein schon aufgrund seiner geschilderten Schöpfungstheologie unmöglich. Luther wollte vielmehr möglichst objektiv über den Islam aufklären. Gerade das Papsttum hatte nach Luthers Meinung die Auseinandersetzung mit dem Islam durch eine verzerrte Darstellung verhindert, damit eine abgewogene Schilderung des Islam nicht die überraschenden Parallelen zum Katholizismus (Werkfrömmigkeit, Prachtentfaltung usw.) deutlich mache. Wiederum also war das vermeintlich antichristliche Papsttum der entscheidende Faktor, dem sich alles andere zuzuordnen hatte. Nicht dem Islam gleichsam Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, war für Luther das Ziel - das negative Urteil über den Islam blieb bestehen -, sondern die bisher verborgenen Gemeinsamkeiten von Papsttum und islamischer Religion aufzudecken. „Es mögen die Türken, es mögen die Papisten in diesen Dingen herrlich sein, aber zugleich ermangeln sie des rechten Glaubens und sind dabei 935 936 937 Walch 14, 301. Ebd., 302. Ebd., 300 209 voll anderer Laster und vor Gott ein Greuel und den Menschen hassenswerth.“938 Deutlich wird die Absicht Luthers, die Frömmigkeit der Muslime lediglich als in äußeren Dingen beeindruckend, als „schönen Schein“ zu identifizieren. Er nimmt faktisch damit den Gedankengang des Kirchenvaters Augustin auf, der die heidnische Frömmigkeit und ihre guten Werke als „glänzende Laster“939 bezeichnete. Deshalb ist ihre Frömmigkeit für Luther ein Gräuel. Trotz dieser negativen Aussagen hat Luther zu einem neuzeitlichen Verständnis von „Religion“ hier beigetragen. Almuth Höfert hat darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zu dem Befund von Ernst Feil, der den Religionsbegriff im Sinne einer „alle Vorstellungen, Einstellungen und Handlungen“940 gegenüber einer transzendenten Wirklichkeit umfassenden Sinndeutung erst ab 1620 sich im Unterschied zur bisherigen Vorstellung von „Gottesverehrung“ entwickeln sieht, diese Tendenzen auch schon in den frühneuzeitlichen Reisebeschreibungen gegeben waren.941 Zwar konstatiert Feil den Religionsbegriff bei Luther auch im Blick auf die „Türken“, doch nur im Sinne einer Abwertung falscher Gottesverehrung.942 Er unterschätzt die Dynamik, die darin bestand, dass Religiosität, christliche wie außerchristliche, nun prinzipiell vergleichbar wurde. Dies wird auch darin deutlich, dass bei Luther die „Turcorum seu Mahometum religionem“943 zwar als falsche, wenn auch überaus eindrückliche Form der Gottesverehrung dargestellt und mit der päpstlich-katholischen Religiosität verglichen wird, er sich aber darauf nicht beschränkt. Luther gebraucht auch den bis dahin, wie Feil annimmt, nur für das Christentum gebräuchlichen Begriff „fides“,944 wenn er ausdrücklich auch vom „fidem Mahometi“945 spricht und damit noch vor dem Reiseschriftsteller Luigi Bassano, den Höfert als den 938 939 940 941 942 943 944 945 Walch, 305. Augustin, Contra Julianum IV, 3, 25, 25, 32. Feil, Religio I, 29. Höfert, Türkenfurcht, 328. Feil, Religio I, 241f. WA 30 II, 206. Feil, Religio, 147. WA 30 II, 207. 210 Vorreiter in dieser Hinsicht ansieht,946 diesen „Glauben Mohammeds“ hier sogar inhaltlich beschreibt. Die „Etablierung des Feldes der Religion“947 in neuzeitlicher Sicht geschieht auch schon bei Luther! Was allerdings hier im muslimischen Glauben für Luther fehlt, ist die Einsicht in die Rechtfertigungslehre. Wenn diese Einsicht aber nicht vorhanden ist, wird die äußere Frömmigkeit geradezu zur Gefahr, weil der Mensch meint, auf diesem Wege sich seine Gerechtigkeit vor Gott selbst schaffen zu können. Selbst Luther ist nach eigener Auskunft von diesen Gefährdungen nicht frei gewesen: „Und wen es geluestet, der dencke mein bey diesem Exempel, das ich hiemit bekennen will. Es hat mich der Teuffel etliche mal erwisscht, da ich an dies heubtstück nicht gedacht, und mit spruechen der schrifft also zu plagt, das mir himel und erden zu enge ward. ... Auch were mir bey nahent der schendliche Mahomet zum Propheten und beide, Türcken und Jüden, eitel heiligen geworden.“948 Unter diesem von Luther hier eingeschärften Gesichtspunkt ist dann trotz allem die ganze Kulturleistung und Frömmigkeit der Muslime hinfällig und zu verurteilen, so dass Luther hinsichtlich derselben auch zu scheinbar völlig entgegengesetzten Urteilen kommen kann. So wird in der „Heerpredigt wider die Türken“ ihr Regiment als „unchristlich und wuest“949 bezeichnet. Etwas zuvor kann es sogar heißen: „Zum andern leret des Turcken Alkoran odder glaube nicht allein den Christlichen glauben verstoeren, sondern auch das gantz weltlich Regiment.“950 Zwar ist zu beachten, dass diese Äußerungen aus einer Kriegspredigt stammen und die zerstörerischen Wirkungen sich natürlich auch auf die unmittelbaren Folgen kriegerischer Handlungen beziehen, aber es wäre falsch, die negativen Urteile lediglich darin begründet zu sehen. Hermeneutischer Schlüssel ist für Luther tatsächlich die Rechtfertigungslehre. Aus dieser Perspektive muss alles andere – und sei es auch noch so glänzend – trügerisch und letztlich destruktiv sein, 946 947 948 949 950 Höfert, Türkenfurcht, 329. Ebd., 325. WA 31 I, 255f WA 30 II, 144. WA 30 II, 123. 211 so dass Luther sagen kann: „Non est differentiae inter Iudaeum, Papistam, Turcam“.951 Indem alle diese Genannten nach Luthers Meinung durch Werke, durch äußere Frömmigkeit und Kulturleistungen leben wollen, stehen sie in theologisch-religiöser Sicht unter dem Gesetz: „Papa, Monachi, Turca volunt per opera satisfacere.“952 Dies ist aber nun kein lediglich bedauernswerter Irrtum, sondern eine Herausforderung Gottes. So heißt es in in der Zweiten AntinomerDisputation: „Omnes, qui docent legem, tentant Deum. ... Arguit enim hoc, quod papistae, Turcae et omnes, qui docent legem opinione iustitiae, sint tentatores Dei.“953 Die Annahme, gute Werke seien zur Seligkeit notwendig, ist deshalb ein „argumentum papistarum, sophistarum, Turcarum.“954 Deutlich wird in der Form der Argumentation, dass der Hauptgegner für Luther wiederum weniger der Islam, denn die Papstkirche ist. Luthers scharfe Abgrenzung gegen die katholische Werkfrömmigkeit, wie sie sich schon in den „95 Thesen“ äußerte, und seine Betonung der Rechtfertigung allein aus Glauben ist auch in den 1530iger und 1540iger Jahren sein entscheidender Bezugspunkt. Aus dieser Perspektive werden dann auch wieder die „Türken“ betrachtet. Waren sie in der stärker apokalyptisch geprägten Sichtweise der frühen Auseinandersetzung mit dem Papstum und der akuten politischen Bedrohungen die Hilfstruppen des päpstlichen Antichrist, sind sie nun wie die Papstkirche im falschen Wahn der Gesetzesfrömmigkeit befangen. Die entscheidende Scheidelinie geht also nicht zwischen dem Christentum und anderen Religionen, etwa Judentum und Islam, hindurch, sondern mitten durch das Christentum. Nicht in erster Linie die Religion ist Luthers Kritikpunkt, sondern die Religiosität der falschen Gesetzesfrömmigkeit. Luther verwendet also hinsichtlich der Osmanen hier ein dogmatisches Interpretationsmodell, doch wendet er es genauso gegen das Christentum. Das verbindet ihn mit Männern wie 951 952 953 954 WA 40 I , 603. WA 31 I, 269. WA 39 I, 480. Ebd., 255. 212 Franck oder Paracelsus. Sein hermeneutischer Schlüssel ist aber nicht das „innere Wort“ oder die „Liebe“, sondern die Rechtfertigung allein aus Glauben. 6.3. Die Frage der „Abrahams-Kindschaft“ der Osmanen Ist auch die Rede von „Gesetz und Evangelium“ dem Islam fremd, sieht es mit der Frage der Erwählung Gottes, wie sie sich im Thema Abrahams-Kindschaft äußert, anders aus. Hier ist der Islam der Meinung, er besitze diese. Luther lehnt das aufgrund seiner Bibelexegese rundweg ab. Als hermeneutisches Kriterium dient ihm die von Paulus übernommene Unterscheidung zwischen „nativitate“ und „vocatio“955, zwischen Geburt und Berufung, die er als „firmissimam Dialecticam“956 fasst. Luther führt allerdings sofort einen dritten Begriff, „sanguis“, das Geblüt, bzw. Geschlecht, ein, den Paulus in Röm 9,7 mit Bezug auf Gen 21,12 ebenfalls verwendet. Dort heißt es, nur was von Isaak abstamme, sei das eigentliche abrahamitische Geschlecht. Luther bestreitet deshalb nicht, dass die Muslime durch Ismael selbstverständlich von Abraham herkommen, aber das nützt ihnen nichts, da es sich hier lediglich um eine rein fleischliche Abstammung handelt und ihnen das Geblüt,957 die Zugehörigkeit zu einer Geschlechterfolge, die erst durch die Erzväter insgesamt vermittelt wird, fehlt. Deshalb gilt dem Islam für Luther auch keine Berufung. Luther scheint diese Tatsache in diesem Zusammenhang ehrlich zu bedauern, wenn hier das schon erwähnte Zitat von den Türken als „äußerst ehrenhaften, weisen und frommen Menschen“958 folgt. Doch gerade in diesen Dingen äußerlicher Gerechtigkeit ist für Luther der Weg in die Verdammung vorgezeichnet. Dies gilt nun im übrigen wiederum nicht allein für die „Türken“, sondern auch für die Juden, obwohl sie zwar die „Geburt“ und das „Geblüt“ haben. Doch auch sie haben ihre „Berufung“ ebenso wie das Papsttum durch ihr Vertrauen auf die Werkgerechtigkeit verspielt. Wem aber gilt nun die „vocatio“? 955 956 957 958 WA 43, 385. Ebd. Ebd. Ebd. 213 Denen, die die „regeneratio“, die Wiedergeburt durch Jesus Christus haben. Diese Menschen haben das „Wort“ Christus und damit auch die wahre Berufung. Deutlich wird wiederum, dass für Luther nicht die Frage nach der wahren oder falschen Religion im phänomenologischen Sinne entscheidend ist, sondern die nach der wahren oder falschen Religiosität. Diese findet sich aber durchaus auch im Christentum selbst. Somit ist der Unterschied zwischen „Papisten“, Juden und „Türken“ allein gradueller Art. Dass die Mitglieder der wahren Religion jedoch allein innerhalb des Christentums zu finden sind, bzw. in der Annahme der Rechtfertigungslehre sich wahres Christentum von falschem trennt, ist Luther selbstverständlich. Den Schritt, das Wirken Gottes in den wahrhaft Frommen aller Religionen zu finden, wie etwa Sebastian Franck dies tut, oder wie Paracelsus alle Religionen auf dem Weg zu Gott zu sehen, kann Luther nicht mitgehen. 6.4. Zwischenbilanz: Nach dem Abklingen der unmittelbar als apokalyptisch angesehenen Bedrohung durch die Osmanen, entwickelte Luther eine verstärkte dogmatische Interpretation des Islam. Im Übereinklang mit der traditionellen Theologie sah er die Religion der Muslime als eine falsche Lehre an, die ursprünglich von christlichen Häretikern beeinflusst worden war. Wechselweise konnte er dann auch einfach „Heiden“ in den Muslimen sehen. Deutlich wird jedoch, dass Luthers dogmatische Interpretation metareligiös war. Es ging ihm nicht darum, das „wahre“ Christentum gegen den „falschen“ Islam zu verteidigen. Dies verbindet ihn mit den Spiritualisten. Die Frage der religiösen Wahrheit ging für ihn wie bei diesen quer durch die vorhandenen Religionen hindurch. Maßstab war für Luther allerdings die Stellung zur Rechtfertigungslehre. Diese trennte den wahrhaften Christen von „Juden, Türken und Papisten“. 214 7. Letzte politische Stellungnahmen und verschärfte Anti-Islam-Polemik Luthers ab 1539 bis zu seinem Tode 1546 7.1. Luthers politische Stellungnahmen 7.1.1. Die politischen Ereignisse seit 1539 Janos Zápolya war es durch die 1530iger Jahre hindurch gelungen, sich in seinem ungarischen Teilreich Siebenbürgen mit osmanischer Protektion an der Macht zu halten. Der alternde König dachte nun daran, dieses Reich auch nach seinem Tode zu sichern. Im Vertrag von Großwardein 1538 akzeptierte er Ferdinand als seinen Nachfolger.959 Nachdem ihm aber neun Tage vor seinem Tod ein Sohn, Johann Sigismund, geboren wurde, widerrief er die Vereinbarung. Ferdinand beharrte jedoch auf dem Vertrag und versuchte nach Zápolyas Tod dessen Reich unter seine Herrschaft zu bringen. Gleichzeitig unternahmen es die ungarischen Magnaten nun ihrerseits, die Osmanen zur Protektion gegen die Habsburger zu bewegen. Suleiman zog mit einer Heeresmacht heran, nahm die Hauptstadt Ofen ein, verwandelte die Hauptkirche in eine Moschee und gliederte das Gebiet um Ofen 1541 als „Paschalik Buda“ dem Osmanischen Reich ein. Der Ostteil Ungarns wurde als späteres Fürstentum Siebenbürgen unter der Regentschaft für den unmündigen Johann Sigismund, formal nun ein Adoptivsohn Suleimans,960 den Osmanen tributpflichtig.961 Zwischenzeitlich war man in Regensburg 1541 zu einem neuen Reichstag zusammengekommen, der nach Vorgesprächen in Hagenau und Worms eine theologische Einigung der verschiedenen Konfessionsparteien im Reich bringen sollte. Doch scheiterte das „Regensburger Religionsgespräch“ ebenfalls. Um nun die nötige militärische Unterstützung gegen die erneut heraufgezogenen osmanischen Heere zu erhalten, machte Karl in Geheimdeklarationen beiden Seiten Zugeständnisse. Tatsächlich erreichte er die notwendige Militärhilfe von Katholiken und Protestanten.962 Der im Jahr 1542 959 960 961 962 Fischer-Galati, Imperialism, 68. Majoros/Rill, Osmanische Reich, 229. Dzambo, Zäsur, 35. Seibt, Karl, 145ff. 215 durchgeführte Heereszug gegen die Osmanen sollte jedoch erfolglos verlaufen. 7.1.2. „Eine Vermanung D. Martini an alle Pfarrhern“ Über die Vorgänge im Südosten Europas dürfte Luther recht gut informiert gewesen sein. Mit steigenden Zahlen waren Studenten aus Ungarn und Siebenbürgen in Wittenberg immatrikuliert963 und sicherlich erhielt Luther auch von Melanchthon, dessen Haus schon an anderer Stelle als „Nachrichtenzentrale“ bezeichnet wurde, jeweils neue Informationen. So sandte Melanchthon Luther noch im Februar 1546 einen Brief eines ungarischen Humanisten über gute Fortschritte der Verbreitung der reformatorischen Lehre – sogar unter osmanischer Oberherrschaft – nach Eisleben nach.964 Darüber hinaus wohnte der Pfarrer von Kaschau, Matthias Devay, dreimal (1537, 1541, 1543) während seiner Aufenthalte in Wittenberg in Luthers Haus.965 Diese Nachrichten haben Luthers Meinungsbildung allerdings auch kaum beeinflusst. Er blieb bei der theologischen Deutung der Osmanen. Allerdings kam es nun auch zu einer nun zunehmen resignativen Einschätzung der Reformation. Noch in die Zeit vor der erneuten Zuspitzung der politischen Ereignisse im Verhältnis zu den Osmanen fällt eine kurze Vermahnung Luthers aus dem Jahr 1539, die jedoch zunächst nur als handschriftliches Rundschreiben verbreitet wurde. Sie sollte erst – gleichsam als Vermächtnis – nach Luthers Tod 1546 gedruckt werden.966 Der historische Hintergrund ist folgender: Nachdem sich zahlreiche katholische Stände 1538 im „Nürnberger Bund“ als Pendant zum protestantischen „Schmalkaldischen Bund“ zusammengeschlossen hatten, waren die Protestanten sich darüber im Unklaren, ob die von Ferdinands Seite wiederholt propagierten Rüstungsbestrebungen wirklich gegen die Osmanen oder nicht vielmehr gegen sie selbst gerichtet waren. 1538 sandte deshalb Kurfürst Johann Friedrich von 963 964 965 966 Fabiny, Ungarn, 643. Dieser Brief sollte den zwischenzeitlich verstorbenen Luther aber nicht mehr erreichen, vgl. Fabiny, Ungarn, 646. Ebd. Mau, Luther, 658, 963 A. 192. 216 Sachsen einen Kundschafter nach Polen und Ungarn, um bessere Informationen über die „Türkengefahr“ zu erhalten. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen der Stände auf dem Frankfurter Reichstag 1539, der dann zum sog. „Frankfurter Anstand“, einem weiteren Moratorium in den religionspolitischen Auseinandersetzungen, führte, wird wohl auch die Vermahnung Luthers erschienen sein.967 Der kurze Text beginnt zunächst damit, das die wiedersprüchlichen Nachrichten über eine vermeintlich bevorstehende osmanische Invasion Luther „endlich jrre gemacht“968 hätten. Trotz der Unsicherheit über eine Invasion sei es, meint Luther, unverantwortlich, über den vielen Gerüchten letztlich sorglos zu werden. Deshalb erscheint nun diese „Vermahnung“. In ihr klingen auch protestanten-kritische Töne an, wenn Luther in bekannter Manier zwar die „Papisten“ angreift, die Gottes Zorn heraufbeschwören, er aber andererseits die „Sünde zu beiden teilen“969, also auch bei den Protestanten, sieht. Besonders das soziale Versagen als Folge nicht wirklich reformatorischen Glaubens kritisiert Luther. Zu den Verfehlungen des protestantischen Lagers zählt er „undanckbarkeit, verachtung Göttlichs worts, geitz und viel mutwillen“. Ee resümiert: „... der teuffel schlefft nicht, der Türck seumet nicht, die Papisten rugen nicht.“970 Luther warnt vor den zwei Ruten, mit denen im Zusammenhang Altgläubige und besonders die Osmanen gemeint sind. Wenn sich die Menschen nicht bessern, wird die Strafe mit diesen Ruten über sie kommen: „... mir grauet ubel fur unseren Sunden, Bin auch nicht gern Prophet, Denn es pfleget zu kommen gemeiniglich, was ich weissage.“971 War aufgrund der lediglich handschriftlichen Verbreitung der Vermahnung die Wirkung von Luthers sozialer Kritik noch lokal begrenzt, sollte sich die mit der nächsten Vermahnung ändern 967 968 969 970 971 WA 50, 478ff. Ebd., 485. Ebd., 486. Ebd. Ebd., 485. 217 7.1.3. Die „Vermanung zum Gebet wider den Türcken“ 1541 Abermals wuchs dann nach den Ereignissen um die Nachfolge Johann Zápolyas in Deutschland die „Türkenfurcht“. Auf Anweisung seines Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, der Luther zu einer Schrift wider die „Türken“ aufforderte, verfasste Luther eine „Vermanung zum Gebet Wider den Türcken“972. Der Grundton war nun dezidiert anders als in den vorigen Schriften. Verurteilenswert waren nicht nur die Osmanen, sondern auch die Deutschen, die die Möglichkeit zur Buße nicht ergriffen hatten, was mit anderen Worten bedeutete, dass die Reformation sich nicht wirklich durchgesetzt hatte. Anschaulich wird die Problematik am Geiz und dem Wucherunwesen, einem Thema, dem in den letzten Lebensjahren Luthers besondere Aufmerksamkeit galt.973 Schon 1539 hatte er eine Vermahnung an die Pfarrer, gegen den Geiz zu predigen, herausgehen lassen. Luther hatte damals die Geistlichen aufgefordert, Obrigkeiten, die nicht gegen den Wucher vorgingen, als Teufel und Werwölfe zu brandmarken.974 Gegen Ende seines Lebens war der Reformator so verärgert über die Zustände, dass er in den Predigtstreik wegzuzuiehen. trat 975 und Anstände machte, von Wittenberg So beginnt nun auch die Vermahnung gleich mit vorwurfsvollen Worten: „Man spricht, Wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helffen. Wir Deudschen haben nu vile jar her das liebe wort Gottes gehört, Da durch uns Gott, der Vater aller barmherzigkeit, erleuchtet und von den grewlichen grweln der Bepstlichen finsternis und Abgötterey geruffen in sein heiliges liecht und Reich. Aber wie dankbarlich und ehrlich wir haben das angenomen und gehalten, ist schrecklich gnug zu sehen.“976 Nicht die reformatorische Botschaft wurde ergriffen, sondern nun „ist komen der grosse Gott Mammon oder Geitz, Wie hat der nicht allein Baurn und Bürger, sondern recht gröblich Adel, Graven, Fürsten und Herren besessen, ... . Der Adel wils alles haben, was Baur und Bürger hat, Ja sie wollen Fürsten sein, Der Baur steigert neben dem Adel Korn, 972 973 974 975 976 WA 51, 585ff. Vgl. Brecht, Luther III, 257ff. Ebd., 259. Ebd., 261. WA 51, 585. 218 Gersten und alles, und machen muthwillige Theuerunge, da sonst Gott genug hat wachsen lassen.“977 In einer Art Lasterspiegel werden weitere Gruppen – und insgesamt alle Stände - angeklagt: ungehorsame Knechte und Mägde, die „untrew [sind] und allerley bosheit ... treiben“978, ungerechte Juristen, die die Menschen um ihr gutes Recht bringen, das Kaiserliche Kammergericht, das als „Teuffelshure“979 bezeichnet wird, die Wucherer, der sicher lebet unf wütet ..., als were Er selber Gott und herr in allen landen“980. Besonders verdrießt es Luther in diesem zusammenhang, dass seine Schriften gegen die Wucherer981 von diesen lächerlich gemacht worden sind. Hinzu kommt nun, dass Adel, Städte, „ ja auch kleine drekstedtlin, Dörfer dazu“982, ihren Pfarren nicht nur die nötige Aufmerksamkeit zur Predigt, sondern auch den notwendigen Unterhalt verweigern. Luther ruft allen zu, dass „Bruder Veit“ (die Landsknechte) sie strafen werde. „Ursach, jr stelets den Armen und dürfftigen, welcher geschrey in Himel rufft, Und Gott nicht rugen lesst, bis er sie erhöre und euch Geitzhelse straffe.“983 Die Pfarrer werden jetzt ausdrücklich aufgefordert, den Menschen ihre Vergehen vorzuhalten, um vielleicht doch noch eine Sinnesänderung bei ihnen zu erreichen. Auf die imaginäre Frage, ob denn angesichts solcher Zustände Widerstand gegen den „Türken“, der jetzt wieder primär wie zu Beginn der Reformation „unser Schulmeister“, der die Deutschen „steupen“984 müsse, ist, nicht zwecklos sei, antwortet Luther, Gott sei eine defätistische Grundhaltung ebenso zuwider wie die o.g. Verhaltensweisen,985 vielmehr gebühre es einem jeden, „sich zu wehren und zu thun, was er kann, bis auff den letzten odem.“986 Vielleicht, meint Luther, gebe es ja noch Rettung wie einst für die Niniviten, fügt Luther hinzu, von denen im biblischen Buch Jona erzählt 977 978 979 980 981 982 983 984 985 986 Ebd., 587f. Ebd., 588. Ebd., 589. Ebd. WA 15, 279ff. WA 51, 590. Ebd., 592. Ebd., 594. Ebd., 593. Ebd., 597. 219 wird. Die „Papisten“ wurden in diese Aufforderung ausdrücklich mit einbezogen, denn es gab für Luther nur zwei Möglichkeiten: „Und mussen entweder sie unsers Gebets geniessen, oder wir jrer Sünde entgelten.“987 Wiederholt schärfte er die geistliche Dimension des Kampfes ein. Gerade die Heerprediger sollen sich darüber im Klaren sein, „das wir nicht wider fleisch und blut, sondern wider die Teufel in der helle streiten“.988 Luther betonte dann dem Thema des Sendschreibens entsprechend die Bedeutung des Gebetes und entwarf eine ausführliche Liturgie, für Bittgottesdienste gegen die Osmanen.989 Er gab jedoch auch Selbstzweifel an dem Sinn der Gebete zu erkennen.990 Lediglich deshalb, weil er nicht wie manche alttestamentliche Propheten das fürbittende Gebet von Gott verboten bekommen habe, halte er weiter daran fest. Die Auffassung, dass das Ende der Zeiten nahe sei, behielt Luther nach wie vor bei,991 doch trat die Dringlichkeit dieser Gedanken jetzt zurück. „Und, O selig weren wir, wenn wir mit diesem Gebet das mal an den Türcken feilen müsten, Und darauff den Jüngsten tag dafur bald hernach erworben hetten, Welcher doch nicht ferne sein kann, Und der Türcken auch (wie der Babst) seinem ende sein muss, daran ich nicht zweivele.“992 Abermals betonte Luther deshalb auch, dass der Kampf gegen die Osmanen nicht gegen Menschen geführt werde, sondern gegen „ein gros heer Teuffel“.993 Danach folgte wieder eine anti-türkische Polemik, die die Folgen osmanischer Herrschaft vor Augen malte. Jetzt wird wieder ein deutlich resignativer Ton hörbar. Deutschland hat sich dem göttlichen Angebot der Reformation gegenüber nicht als würdig erwiesen, immer noch sind Kräfte da, die „viele ehe wider uns selbst Türcken würden“994, anstatt die reformatorische Lehre anzunehmen. 987 988 989 990 991 992 993 994 Ebd., 598. Ebd., 602. Ebd., 606ff. Ebd., 612. Ebd., 614, 620. Ebd., 614. Ebd., 617. Ebd., 622. 220 Wie ernst es Luther mit seiner Ständekritik war, zeigt ein Nachtrag, in dem er ausdrücklich „Meintz (Kurfürst Albrecht von Mainz) und Heintz (Heinrich von Braunschweig) und, wer sie mehr sind, die verzweivelten Meucheler, Verretter, Mordbrenner und Böswichter“995 aus seinem Trost innerhalb der Vermahnung ausnahm. Dann wandte sich Luther gegen den Adel, den er mit den „Nephilim“, den riesenhaften Halbgöttern der Bibel (Gen. 6,4) verglich: „Des gleichen will ich und kann auch nicht getröstet haben unsere Niphilim. Die Tyrannen und Wucherer und Schelmen unter dem Adel, die sich lassen düncken, Gott habe unds das Evangelion darumb gegeben und vom Bepstlichen gefengnis erloset, das sie mügen geitzen, Schinden und allen mutwillen treiben, jre Fürsten pochen, Land und Leute drücken und alles in allem sein wollen, das jnen nicht befolhen, sondern verbotten ist. Die sinds, so dazu helffen, das Gottes zorn den Türcken zum Dresscher uber uns, uber sie selbs auch schicket, wo sie nicht busse thun werden.“996 Vergleicht man diese Äußerungen mit der Anrede an den Adel in seiner Adelsschrift gut zwanzig Jahre zuvor, wird die ganze Resignation des Reformators deutlich. Das Konzept der evangelischen Landeskirchen, wie es sich im Zuge der Reformation entwickelt hatte, war auch Luther in seiner ganzen Fragwürdigkeit bewusst, dies zeigen solche Stellen. Der neuzeitliche territoriale Fürstenstaat, in dem die Herrscher „alles in allem“ (s.o.) sein wollten und die Kirche zur Behörde wurde, war auch für Luther ein Irrweg. Trotz alledem blieb es für Luther dabei: Widerstand gegen die Osmanen zu leisten war geboten, und die Christen sollten wissen, sie führten einen „Gottseligen krieg wider den Türken und sind heilige Christen und streben seliglich.“997 Luthers Schrift hat rasch mehrere Auflagen erlebt und erfreute sich offensichtlich einer Verbreitung, die über das Kurfürstentum hinaus 995 996 997 Ebd., 622. Ebd., 623f. Ebd., 620. 221 ging, jedenfalls wurde ein Exemplar bald schon nach Preußen gesandt.998 Wie prekär die Situation angesichts der drohenden „Türkengefahr“ angesehen wurde, zeigt auch die Tatsache, dass Luthers eigentliches „Türkengebet“ in der Vermahnung auch in die Ausgabe des Kleinen Katechismus von 1543 aufgenommen wurde.999 7.1.4. Die Vermahnung an die Pfarrherrn in der Superattendenz der Kirchen zu Wittenberg 1543 Noch resignativer wird der Ton Luthers in seiner letzten Türkenschrift, der „Vermahnung an die Pfarrherrn in der Superattendenz der Kirchen zu Wittenberg“ aus dem Jahre 1543, die er zusammen mit Bugenhagen auf kurfüstlichen Befehl verfasste. Luther geht zunächst auf den von Kurfürst Joachim II. angeführten und gescheiterten Feldzug gegen die Osmanen im Vorjahr ein. 1542 war ein Reichsheer unter der Führung des brandenburgischen Kurfürsten gegen die Osmanen gezogen, ohne jedoch irgend etwas auszurichten. Dass der Luther seit Kindertagen bekannte Kurfürst, der immer wieder als Vermittler in Religionsfragen aufgetreten war, und dessen Ansehen nun erheblich gelitten hatte,1000 nach Luthers Meinung von König Ferdinand im Stich gelassen wurde, wird aus persönlichen Briefen des Reformators deutlich.1001 Zwar hatte Joachim Luther und Melanchthon um ihre Fürbitte für den Kriegszug ersucht, doch hatte gerade Luther in einem Schrieben an Joachim zu erkennen gegeben, dass er den Erfolg seiner Gebete bezweifle, da die so oft geforderte Umkehr der Deutschen nicht erfolgt sei. An Joachim schrieb er damals, „unseres deutschen landes vorige und Itzige sunde, Als Gottes wortt lestern und seine diener verfolgen, Ist so uber macht eingewurtzeltt, das mir offt mein Gebett dadurch geschwecht ist worden.“1002 Ähnlich ist es auch hier: Nicht nur, dass die Türkensteuer umsonst gewesen sei und viele Soldaten den Tod gefunden hätten, beklagt 998 999 1000 1001 1002 Ebd., 576. Ebd., 582. Mast, Hohenzollern, 37. WA 50, 553. WA Br 10, 65f. 222 Luther nun in der Vermahnung, noch schlimmer erscheint ihm, dass nicht alle Fürsten, gemeint ist der nicht namentlich angesprochene König Ferdinand,1003 ihre Unterstützung gewährt hätten. Jedenfalls, so fügt Luther hinzu, werde dies kolportiert.1004 Luthers Vorwürfe erscheinen allerdings wenigstens in dieser Hinsicht unberechtigt. Der Grund für Joachims Scheitern dürfte nicht in der mangelnden habsburgischen Unterstützung gelegen haben. Tatsächlich war es dem Kurfürsten eher gelungen, wie es Karl Brandi formuliert, „seinen Mangel an Feldherrentalent in Ungarn zu beweisen.“1005 Offensichtlich hatte Joachim seine Aufgabe auch nicht mit dem nötigen Ernst ergriffen, denn schon Luther war es aufgefallen, dass sein Heer eher einem Festzug geglichen habe.1006 In der Vermahnung benennt Luther wieder die schon in seiner letzten Mahnung vorgebrachten ständekritischen Beschwerden, „weil nicht allein kein Busse gefolget ist, Sondern wuchern, stelen, ubersetzten (übervorteilen), allerley mutwill in allen Stenden, hohen und niddern, immer fort bleiben, wo nicht gewachsen ist“.1007 Den gegen die Osmanen kämpfenden Soldaten ist teilweise der Sold sogar nicht ausgezahlt worden: „Solchs, sage ich, bewegt uns warlich auch, neben andern vielen fromen Leuten, das es scheinet, als wolle Gottes zorn und straffe nicht zubitten sein, sondern dem Turcken und seinen Verrethern raum geben.“1008 Trotzdem hält Luther am Gebet gegen die Türken fest; es möge sich jedoch auch gegen die wenden, die unbußfertig sind. Besonders die Kinder sollen zum Gebet ermahnt werden, denn „uns Alten ist nicht so viel dran gelegen, die wir dahin faren“.1009 Zuletzt fordert Luther auf, des gerade eröffneten Reichstages in Nürnberg zu gedenken, damit endlich einmal eine Einigkeit unter den Fürsten im Kampf gegen die Osmanen zustande komme. 1003 1004 1005 1006 1007 1008 1009 WA 50, 558 A. 5 Ebd., 558. Brandi, Reformation, 248. WA 50, 553. Ebd., 558f. Ebd., 559. Ebd. 223 Trotz dem hegt er auch gegenüber den eigenen Fürsten in dieser Zeit tiefen Pessimismus. An Wenzeslaus Linck schreibt er am 20.6.1543, zwar werde er gegen die Osmanen beten, doch habe er hinsichtlich des Erfolges seiner Gebete erheblich Zweifel, seien doch die eigenen Herrscher, schlimmer als die Osmanen.1010 Am Schluss seines Lebens ist Luther dann offensichtlich von seiner früheren Auffassung einer unmittelbar bevorstehenden Apokalpyse abgerückt und hat das Ende der Welt auf das Jahr 1600 datiert.1011 Es war aber für ihn trotz dieser Verzögerung die „Endzeit“, in der er lebte, auch wenn er wohl das Ende nicht mehr selbst zu erleben glaubte. In all diesen Vermahnungen bleibt es bei der apokalyptischen Interpretation der Osmanen und der Verurteilung des Papsttums, die ebenfalls nach wie vor apokalyptisch geprägt ist. Doch es tritt noch ein weiterer „Gegner“ Gottes auf, der Protestantismus selbst. Dieser hat nach Luthers Auffassung das Wort Gottes neu gehört und sich doch nicht darnach gerichtet. Die bekannte Resignation, Verbitterung und manches mal auch unkontrollierte Wut des alternden Reformators hat auch hierin ihre Wurzeln. 7.2. Luthers verstärkte Anti-Islam-Polemik 7.2.1. Die „Verlegung des Alkoran Bruder Richardi“ 1542 Schon lange hatte Luther bedauert, dass er noch keinen vollständigen Koran zur Lektüre bekommen habe. An Fastnacht 1542 kam es dazu, und gleichzeitig bedingte dies eine dramatische Verschärfung in Luthers Türkenbild. Hartmut Bobzin hat in seiner Schrift „Der Koran im Zeitalter der Reformation“ Luthers Beschäftigung mit der Confutatio ausführlich behandelt,1012 so dass hier darauf ausdrücklich verwiesen werden soll. Luther las eine lateinische Ausgabe des Koran, die schon erwähnte Koranübersetzung des Robert von Ketton. Der Eindruck, den sie auf ihn machte, war verheerend. Hatte er bisher die Kritik von Ricoldus de 1010 1011 1012 WA Br 10, 335. Mau, Stellung, 661. Bobzin, Koran, 95ff. Dies gilt insbesondere für die textkritischen Aspekte 224 Monte Crucis und Nicolaus Cusanus für polemisch überzogen gehalten, sah er deren Anwürfe nun für vollständig zutreffend an. „Das Buch Bruder Richards, prediger ordens, Confutatio Alcoran genant, hab ich vormals mehr gelesen, Aber nicht gleuben können, das vernünftige Menschen auff erden weren, die der Teufel sollte bereden, solch schendlich ding zugleuben...“1013. Waren bisher die Osmanen eher als Vertreter einer Gesetzesreligion wie die des Papsttums dessen apokalyptisch gesehene Gehilfen, deren bürgerliche Gerechtigkeit schwerlich bestritten werden konnte, entlarvten sie sich nun für Luther als Anhänger einer solch wirren Lehre, dass er nur bewusste teuflische Bosheit unterstellen konnte. Luther machte sich nun daran, Ricoldus de Monte Crucis Werk doch ins Deutsche zu übersetzten, „das doch bey uns deudschen auch erkand werde, wie ein schendlicher Glaube des Mahmets Glaube ist“1014. Schon im April 1542 erschien seine „Verlegung (Widerlegung) des Alcoran Bruder Richardi“ im Druck. Luther ging allerdings mit dem Text sehr frei um. Dazu war er auch aufgrund seiner Theologie gezwungen. Während es Ricoldus unter Zugrundelegung eines positiven Gesetzesbegriffes in scholastischer Weise darum ging, den Koran von der menschlichen Vernunft ausgehend als widervernünftig zu desavouieren, konnte Luther diesen Ansatz nicht durchhalten. Als Kritiker der Scholastik1015 kämpfte er „gegen die aristotelisch abgesicherten Denkvoraussetzungen der scholastischen Theologie“1016 und deren Hochschätzung menschlicher Vernunft. Luther stand deshalb vor der Schwierigkeit, den Denkansatz Ricolduss nicht teilen zu können. Er musste den Koran nicht nur als im scholastischen Sinne unvernünftig, sondern überhaupt als dem menschlichen Verstand radikal widersprechend darstellen. Während also für Ricoldus der Koran „irrationalis“ bzw. „non secundum rationem“1017 war, wurde er bei Luther „viehisch und Sewisch“1018. 1013 1014 1015 1016 1017 1018 WA 53, 272. Ebd. Vgl. Schwarz, Luther, 44ff. Ebd., WA 53, 311. Ebd., 312. 225 An einigen Beispielen soll dies veranschaulicht werden: In einem ersten Kapitel der Verlegung werden die zentralen Lehren des Islam dargestellt. Dabei schliesst sich Luther in seiner Übertragung weitgehend an Ricolduss dogmatische Interpretation des Islam an, wenn er wie dieser in Mohammeds Lehre eine Ableitung aus christlichen Häresien sieht.1019 Die göttliche Inspiration des Koran wurde dann bestritten, seine Ausführungen als grob und unvernünftig abgetan bzw. als Lügen verurteilt. In Randglossen bestätigte Luther immer wieder Ricolduss‘ Kritik an Mohammed, wenn er etwa hinzufügte „Das hat er [sc. Mohammed] von den Arianern“, „Das hat er von den Jüden ...“.1020 In zahlreichen Kritikpunkten versuchten nun Ricoldus und mit ihm Luther die Fehlerhaftigkeit und Unglaubwürdigkeit des Koran und mit ihm Mohammeds ja des Islam überhaupt gleichsam zu beweisen. Die Übereinstimmung mit der Bibel wurde trotz vieler Parallelen bestritten und zudem auf eigene Widersprüche im Koran hingewiesen. Dabei nahm diese Schrift auch die antichristliche Polemik des Islam auf, wenn die Behauptung, Juden und Christen hätten Gottes Wort bewusst verfälscht, zurückgewiesen und gleichsam nun gegen den Islam selbst gewendet wurde.1021 Die Schrift hatte also polemischen Charakter, der nun allerdings von Luther noch verstärkt wurde. Jetzt wurden die einstmals von ihm selbst schon für Überzeichnungen gehaltenen Ausführungen des Ricoldus noch weiter gesteigert. Dabei kam es wieder zu einer Vermischung mit der anderen Frontstellung gegen den Katholizismus und gelegentlich auch gegen das Schwärmertum. Besonders seine Randbemerkungen zum lateinischen Text des Ricoldus machen dies deutlich: Während Ricoldus z.B. über die islamischen Reinigungsriten und über die Anweisung, sich bei Ermangelung von Wasser notfalls mit Sand zu reinigen, nur die doch offensichtliche Unvernünftigkeit dieses Hinweises heraushob, schlug Luther sofort die Verbindung zum Katholizismus. An den Rand des Textes von Ricoldus notierte er ironisch „O Weiwasser 1019 1020 1021 Ebd., 278ff. Ebd., 278. Ebd., 286ff.; 326ff. 226 wo bistu“1022. An der Stelle, an der Ricoldus eine altchristlichpolemische Legende weitergab, Mohammed sei ein letztlich neureicher Straßenräuber gewesen, der, nachdem es ihm nicht gelungen sei, König von Arabien zu werden, sich als Prophet ausgegeben habe, setzte Luther in seiner Übertragung als Randbemerkung „Münster“ hinzu, womit er auf die Vorkommnisse im sogenannten „Königreich der letzten Tage“ der Täufer in Münster 1534/35 hinwies.1023 Aus den Sarazenen, die bei Ricoldus die Möglichkeit, das Evangelium einzuhalten, als unmöglich bezeichneten, wurden bei Luther nun „geistliche und zenkische“ Sarazenen, offensichtlich nach dem Vorbild der Gelehrten der Pariser Sorbonne, fügte Luther doch an den Rand des lateinischen Textes „O Parisia similis Turce“ und an den deutschen Text seiner Übertragung „Da ligts Parisiense hoc est“1024ein. Luther spielt damit auf die Verwerfungssätze der Sorbonne bezüglich seiner Theologie an.1025 Abgesehen von diesen von Luther vorgenommenen Veränderungen und Zuspitzungen muss noch einmal besonders darauf hingewiesen werden, dass Ricoldus die koranischen bzw. islamischen Überlieferungen oft verfälscht und so auch irreführend wiedergab. Ein Beispiel möge dies hier kurz belegen: Eine islamische Hadith (Überlieferung) erzählt von Abu Darr,1026 der Mohammed in einer Nacht begleitet und indirekt Zeuge einer an den Propheten ergangenen Offenbarung wird. Als Mohammed aus der Einsamkeit, in der er die Offenbarung empfangen hat, zurückkommt, erzählt er Abu Darr den Inhalt. Er besteht darin, dass der, der die „shahada“, das islamische Glaubensbekenntnis spricht, nach seinem Tod ins Paradies aufgenommen wird. Auf die Frage Abu Darrs, ob dies auch für Ehebrecher und Räuber gelte, bejaht Mohammed dies. Bei Ricoldus wurde diese Hadith nun auf Ehebruch, Räuberei, Mord und Weingenuss erweitert. Zur Bekräftigung seiner Aussage zog 1022 1023 1024 1025 1026 Ebd., 320. Vgl. Rommé, Königreich. WA 53, 384f. Sie begannen jeweils mit der Formulierung: „Haec proposito est haeretica, haec proposito est falsa, haec proposito est temeraria.“ Vgl. WA 53, 384 A. 6. Zu Abu Dharr al-Ghifari vgl. Khoury, Koran, 503f. 227 Mohammed bei Ricoldus dann noch ein Schwert. Es wundert kaum, dass Luther an den Rand schrieb: „Id est, Diabolum est etiam deus“.1027 Im Hintergrund dieses Hadith steht allerdings die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Werk im Gericht. Eine Fragestellung, die Luther ja ebenfalls zentral beschäftigte. Luther erkannte dies hier nicht, aber man muss wohl hinzufügen, er konnte es in der von Ricoldus gebotenen Übersetzung auch nicht erkennen. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass Ricolduss Polemik von Luther noch maßlos überzeichnet wurde und diese kaum nur als „temperamentvolle Anmerkungen“1028 zu bezeichnen sind. Besonders der Prophet Mohammed, der bei Ricoldus unter Aufnahme der bekannten Topoi christlicher Polemik, die sich besonders auf sein Verhältnis zu Frauen bezogen, schon äußerst heftig attackiert wurde, wurde bei Luther noch schärfer angegriffen.1029 Luthers Ausführungen sind beklemmend zu lesen und sie erinnern an seine späten Judenschriften, die ebenfalls in dieser Zeit entstanden.1030 Hier suchte weder ein Scholastiker noch ein Humanist nach einer gemeinsamen Gesprächsbasis, hier sah vielmehr jemand den Teufel am Werk, dem gegenüber es keine Zurückhaltung geben durfte. Offensichtlich wollte Luther mit dieser Schrift die Menschen nach seinem Verständnis über den Charakter des Koran als einem geradezu widerchristlichen Dokument aufklären. Seinen früheren Grundsatz, Polemik könne dabei nicht helfen, behielt er nicht bei. Dies war wiederum eine Tat mit apokalyptischen Hintergrund. Denn der Antichrist bzw. sein Helfer konnte nach christlichem Verständnis nicht militärisch besiegt, sondern nur von den Gläubigen entlarvt werden. Doch noch in der Schrift selbst wird wieder deutlich, dass der eigentliche Gegner nicht der Islam sondern das Papsttum war, wenn Luther wiederum beide Größen parallelisierte. „Und zwar ists nicht vile besser bey uns Christen auch gangen, Denn da sind so vile Lügen in unsern Alcoranen, Decretalen, Lügenden, 1027 1028 1029 1030 WA 53, 310. Brecht, Luther, 20. WA 30 II, 294, 296, 334, 352, 376 u.ö. Vgl. Lohse, Theologie, 362ff. 228 Summen und unzelichen Büchern, ... Aber Gott hat seinen letzten Endlichen zorn also lassen gehen, das der Teuffel all sein vermügen und bosheit hat sollen ausschütten, bis er nichts mehr noch ergeres hat könnnen thun, Nemlich, das er dort gegen Morgen durch Mahmets regiment und hie gegen abent durch Babsts regiment eitel wisentliche lügen ... gestiftet"1031 Hier nun greift Luther explizit die Frage auf, ob denn der „Türke“ der Antichrist sei. Luther lehnt diese Auffassung ab. „Und ich halt den Mahmet nicht fur den Endechrist, Er machts zu grob und hat einen kendlichen schwartzen Teuffel, der weder Glauben noch vernunfft betriegen kan. ... Aber der Bapst bey uns ist der rechte Endechrist, der hat den hohen, subtilen, schönen, gleissenden Teuffel, Der sitzt inwendig in der Christenheit ...“1032. Luthers auch in seiner letzten Türkenschrift vorgenommene Verbindung von Papsttum und Osmanen unter dem Begriff des Antichrists sollte weit über dessen Tod im Luthertum hinauswirken. Noch in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges war diese Verbindung geläufig.1033 7.2.2. Weitere Polemik Auf derselben vermeintlich „aufklärerischen“ Ebene wie in der Herausgabe der Schrift des Ricoldus bewegte sich auch Luthers letzte größere Aktion in der „Türkenfrage“, die Hilfe für den Zürcher Theologen, Sprachwissenschaftler und Humanisten Theodor Bibliander. Biblianders Arbeit wird in einem eigenen Kapitel noch dargestellt, doch soll Luthers Stellungnahme dazu hier schon geschildert werden.1034 Als Bibliander 1543 die Koranübertragung Robert von Kettons mit weiteren Beiträgen zum Verständnis des Islam in den Druck geben wollte, konfiszierte der Rat der Stadt Basel den Erstdruck. Erst nach einer schriftlichen Intervention Luthers, der einer von mehreren Gutachtern in dieser Sache war,1035 entschied man sich zur 1031 1032 1033 1034 1035 Ebd., 392. Ebd., 394. Leppin, Antichrist, 238. Vgl. bes. Bobzin, Koran, 153ff. Hagenbach, Koran 295. 229 Druckgenehmigung.1036 Luther, obwohl in der humanistisch geprägten, religionsgeschichtlich bedingten Einschätzung von Bibliander grundsätzlich verschieden, setzte sich für den Druck ein, weil er meinte, man könne dem Islam gar nicht mehr schaden, als seine für ihn unvernünftige Lehre allen Menschen zugänglich zu machen. In seinem Brief hieß es: „Mich hat das bewogen, das man den Mahmet oder Turcken nichts verdrieslichers thun, noch mehr schaden zu fugen kann (mehr denn mit allen waffen), denn das man yhren Alcoran bey den Christen an den tag bringe, darinnen sie sehen mugen, wie gar ein verflucht, schendlich, verzweifelt Buch es sey, voller lugen, fabeln ...“. Zur dann doch veröffentlichten Koranausgabe Biblianders steuerte Luther ein kurzes Vorwort bei.1037 Dieses konnte allerdings nur noch einem Teil der Drucke beigebunden werden. Nachdem sich die lutherische und die reformierte Reformation weiter von einander entfernt hatten, fiel das Vorwort ganz weg. Erst im 20. Jahrhundert wurde die Vorrede „wiederentdeckt“.1038 Hartmut Bobzin bilanziert: „Luther gebührt in jedem Fall das Verdienst, für die Kenntnis des Korans im Europa des 16. Jahrhunderts einen wichtigen Beitrag geleistet zu haben.“1039 Offensichtlich zu keiner literarischen Stellungnahme hat Luther das Treffen mit Bartholomäus Georgejevic veranlasst, den er zusammen mit Melanchthon 1544 kennen lernen sollte.1040 Durch ihn konnten beide Informationen über das Osmanische Reich und die Religion der Muslime aus erster Hand erhalten. Georgejevic, der zwischen 1505 und 1510 entweder in Ungarn oder Kroatien geboren wurde,1041 war in der Schlacht von Mohács von den Osmanen gefangen genommen worden. Als Gefangener bzw. als Flüchtling lebte er in Istanbul, Damaskus und Jerusalem. 1538 kehrte er nach Europa zurück. Ab 1544 legte er seine Erfahrungen im Osmanischen Reich in einer Reihe von Büchern nieder 1036 1037 1038 1039 1040 1041 Ebd., 296. WA 53, 569ff. Vgl. Bobzin, Koran, 154. Abgedruckt in: Luther 64 (1993), 4 – 7. Ebd., 156. Vgl. Höfert, Türkengefahr, 221. Zur Vita vgl. Kidric, Gjorgejevic. 230 und lebte seither als Literat. Georgejevics Schriften waren im 16. Jahrhundert die „unangefochtenen Bestseller unter den Turcia.“1042 Zu Georgejevics Schriften verfasste Melanchthon später ein Vorwort,1043 allerdings ließ dieser sich (trotzdem) nicht für die Reformation gewinnen.1044 7.3. Andere Stimmen 7.3.1. Der Islam aus religionsgeschichtlicher Sicht: Theodor Bibliander Theodor Bibliander (1504/1509-1564)1045 studierte in Basel, um nach einer Lehrtätigkeit im schlesischen Liegnitz nach Zwinglis Tod „Leser“, also öffentlicher Ausleger, der Septuaginta in Zürich zu werden. Er übernahm mit der Professur für die Septuaginta neben Konrad Pellikan und Leo Jud die theologische Vorlesungsarbeit des in der Schlacht von Kappel umgekommenen Reformators, während Bullinger mit der Kirchenleitung der Zürcher Kirche dessen kirchenpolitische Funktionen auf sich vereinigte. Bibliander hat sein Amt bis kurz vor seinem Tod ausgeübt. Seine Vorlesungen, die als solche nicht gedruckt wurden,1046 sind von einem humanistisch-universalistischen Geist durchdrungen: Zwar hat Gott nach Bibliander besonders das jüdische Volk erwählt, doch hat er sich keinem Volk unbezeugt gelassen.1047 Von dieser „weiten“ Einstellung her verwundert es nicht, dass Bibliander an einer genaueren Kenntnis des Koran ebenfalls Interesse hatte. Dieses bestand seit seiner Zeit in Schlesien und den Ereignissen um die Belagerung Wiens 1529.1048 Dabei war seine Absicht allerdings von Anfang an die, den Koran als die „muhametische Verführung“1049 zu entlarven und ihn deshalb auch im Druck herauszugeben. Religiöse Offenheit besteht also für Bibliander darin, auch außerhalb der Christenheit Gottes Offenbarungen zu finden, bzw. im positiven Sinne 1042 1043 1044 1045 1046 1047 1048 1049 Höfert, Türkengefahr, 222. Ebd. Miyamoto, Influence, 142. Zu den verschiedenen Geburtsdaten wie überhaupt zur Biographie vgl. Egli, Bibliander und auch Bobzin, Koran, 159ff. Egli, Bibliander, 40. Ebd., 20f. Bobzin, Koran 177. Bibliander in einem Brief an Oporin, zit. in Egli, Bibliander, 51. 231 religiöse Menschen zu entdecken. Eine Wertung des Koran in Gänze als eine religiöse Offenbarung ist ihm allerdings jedoch wie allen anderen Reformatoren völlig ausgeschlossen gewesen. Trotzdem unterstellt Bibliander Mohammed, dass auch er sich in einigen Aussagen als Zeuge der Wahrheit Christi erwiesen habe.1050 Die „Wahrheiten“ über Christus, die im Koran stehen, gilt es nun für Bibliander herauszuarbeiten und so von den „Verführungen“, die der Koran enthält, zu befreien. Bibliander war neben seiner universalistischen Auffassung, die den Islam im Rahmen des dogmatischen Modells interpretierte, ein Anhänger der apokalyptischen Grundhaltung innerhalb der Reformation, womit er allerdings in Zürich eine eher singuläre Erscheinung war. Die militärischen Ereignisse als Folge des Todes von Janos Zápolya 1540/1541 deutete er als Zeichen der Endzeit. Nicht zuletzt deshalb forcierte Bibliander die Koran-Ausgabe.1051 Zunächst erschien im Frühjahr 1542 eine vorbereitende Schrift unter dem Titel „Ad nominis christiani socios consulatio, quanam ratione Turcarum dira potentia repelli possit ac debeat a populo Christiano“1052, in der also über geeignete Mittel zum Schutz vor den Osmanen nachgesonnen wurde, wobei die entscheidende Überlegung bei Bibliander wie auch bei so vielen anderen Reformatoren darin bestand, das es besonders wichtig sei, dass die Christen ihren Lebenswandel besserten, um so in Namen und Tat Christus zu entsprechen. Bibilander schließt sich hier also dem konventionellen straftheologischen Bußmotiv, das die Osmanen als göttliche „Zuchtrute“ begreift, an. Die nach der vorbereitenden Schrift folgende Ausgabe des Korans mitsamt einer Widerlegung Biblianders sollte dann ausdrücklich dem Zweck dienen, „List und Betrug des Antichrists auf[zu]decken“.1053 Der Druck mitsamt einem Vorwort Melanchthons wurde von Johannes Oporin 1050 1051 1052 1053 in Basel besorgt, der allerdings die notwendigen Holsten, Reformation, 24. Egli, Bibliander, 51. Holsten, Reformation, sieht bei Bibliander keine apokalyptische Grundhaltung, kann alerdings nicht erklären, warum dann gerade Bibliander der Auslegung der Apokalyse solches Interesse geschenkt hat. Ebd., 52 A. 1; Vgl. Bobzin, Koran, 179. Zit. in ebd., 53. 232 Zensurbestimmungen umging. Der Rat der Stadt konfiszierte, als das Unternehmen bei ihm anrüchig wurde, die gedruckten Exemplare und Oporin kam in Haft. Der darauf folgende Einsatz Luthers für die Verbreitung der Koranausgabe wurde schon geschildert. Neben Luthers Gutachten hatte der Rat jedoch noch eine Reihe anderer Stellungnahmen angefordert.1054 Im Spiegel dieser Gutachten wird die Haltung von einer Reihe weiterer Reformatoren zum Islam ebenfalls deutlich. So äußerte sich u.a. Oswald Myconius, der frühere Lehrer Biblianders. Er setzte sich für eine Veröffentlichung ein. Myconius’ Urteil über den Koran war ebenfalls vernichtend. Er fasste seine Kritik zusammen: „Summa, es ist ein buch, wer es lißet, der muß erkennen, daß es ein straf Gottes ist, sunst hädte es nit mögen so vyl lüdt betriegen.“1055 Um so schlimmer erschien es Myconius, dass zahlreiche „christlich monarchen und völcker“1056 mit den Osmanen gar militärische Bündnisse eingingen. Ein großer Abfall der Christen hin zur muslimischen Religion sei nicht auszuschließen. Deshalb, so folgerte Myconius mit ausdrücklichem Bezug auf Daniel 7,24f., sei es nützlich, den Koran herauszugeben, da so die Menschen erkennen würden, dass es sich bei Mohammed um den geweissagten falschen Propheten handle. Schließlich und endlich, so fügte er hinzu, werde dem Werk, dessen Veröffentlichung ihm eben aus diesen Gründen geboten erschien, ja auch Luthers „Fürwarnung“ vorangestellt, so dass keine Gefahr drohe, das ganze Projekt misszuverstehen. Innerlich zeigen sich aber auch hier die Spannungen der besonders im reformierten Bereich sich ausbildenden Prädestinationslehre, nach der über Erwählung und Verwerfung des Einzelnen nach seinem Tode schon vor dessen Existenz entschieden ist. Myconius folgert pragmatisch daraus, dass einer eventuellen Konversion zum Islam durch die Koranlektüre in der Bibliander’schen Ausgabe nicht gewehrt werden könne. Den so Verworfenen sei dies allerdings schon 1054 1055 1056 Vgl. Bobzin, Koran, 183ff. Zit. in Hagenbach, Koran, 303f. Zit. in ebd., 233 vorherbestimmt, so dass ein solches Argument ebenfalls nicht gegen die Veröffentlichung ins Feld geführt werden könne. Gegen Myconius Auffassung und gegen eine Veröffentlichung des Korans stellten sich in einem Separatgutachten u.a. der Humanist und Kartograph Sebastian Münster. Dass der Koran „ein schantlich, schädlich, ergerlich, verfürisch und nit allein kätzerisch, sunders ein gruoben und kisten aller kätzereien“1057 sei, war ihm gewiss. Zwar ehre der Koran Christus, „doch allein wie einen puren Menschen“1058. Er bekenne die Geburt durch Maria als Jungfrau usw., doch sei es aufgrund des Gesamtduktus des Buches „gefärlich (unseres bedunckens), das es vilen und iederman in die händ“1059 käme. Den Schwachen werde dadurch im Glauben ein Ärgernis gegeben, wovor Christus bekanntlich ernstlich warne. Und schließlich fordere Gott schon im Alten Testament, dass man die falschen Propheten ausrotten solle. Also könne man, so folgerte Münster, doch wohl kaum die Lehre statt dessen mit dem Druck des Koran „pflantzen“ und „under die lüth uspreiten“.1060 Heinrich Bullinger, der nicht um ein Gutachten gebeten worden war, hielt mit seiner Meinung aber ebenfalls nicht zurück. Er lobte Biblianders Werk und bezeichnete die Gegner des Drucks als „asini“1061. Ein besonders ausführliches Gutachten lieferten Reformatoren und Ratsherren aus Straßburg ab. Zu dieser Gruppe gehörten u.a. Martin Bucer und Caspar Hedio. Dass der zeitgenössische „Türken-Diskurs“, besonders wenn er in Form der „Türkenfurcht“ propagiert wurde, schon damals auf Skepsis in Teilen der Bevölkerung stieß, wird hier nochmals deutlich. Dieser Zurückhaltung unter den Menschen gegenüber den Warnungen vor den Osmanen sollte nun für die Straßburger Gutachter die Drucklegung Straßburger ist wechselseitiges 1057 1058 1059 1060 1061 des Koran zugleich ein Spannungs- Zit. in ebd., 310. Zit. in ebd., 311. Zit. in ebd., 311. Zit. in ebd., 312. Zit. in Egli, Bibliander, 58 A. 5. wehren. Hinweis und Die Stellungnahme darauf, wie Zuordnungsverhältnis sich der ein zwischen 234 veröffentlicher und öffentlicher Meinung zu entwickeln begann. Bucer, Hedio u.a. konstatierten zunächst, dass „die menschen dieser zeit gern inn allen sachen ein grund zü sehen und zu wissen begeren“.1062 Schließlich würden sogar viele Leute meinen, der muslimische Glaube sei gar nicht so verwerflich, wie immer gesagt werde, eher sei „den Türcken zü leid allein das unfügest aus irem alcoran gezogen“ worden.1063 Deshalb könne man nun hier leider nicht mit dem Koran so umgehen wie mit Büchern von christlichen Ketzern, die man besser unterdrücke, schließlich bleibe diese Schrift ja bei den Muslimen erhalten. Deshalb sei es besser, den Koran in Gänze - „nachdem die leut nunmehr wie gemeldet, ein grund wöllen wissen und sich mit auszigen nicht vergnügen lassen“1064 – zu drucken. Den Lesern werde, so hoffte man in Straßburg, nochmals der verurteilenswerte Charakter des Koran deutlich und die „armen leut damit wider die Turckische tyranney desto hertzhaffter und getroster“1065 gemacht. Um alle Missverständnisse auszuschließen, schlugen die Straßburger vor, Luther solle der Ausgabe ein schärferes Vorwort voranschicken, damit den Osmanen auf keinen Fall „fürschub“1066 getan werde. Die sich überwiegend für Biblianders Projekt aussprechenden Gutachter bewogen den Basler Magistrat dann, die Veröffentlichung des Koran-Druckes, bzw. seiner „Islam-Enzyklopädie“, innerhalb derer die Koran-Übertragung ja nur ein Teil war,1067 doch zu erlauben. 1543 konnte die erste, 1550 die zweite Auflage der Koranausgabe erfolgen, allerdings durfte der Druckort nicht genannt werden.1068 Die Analyse des Korandruckes ist in erschöpfender Weise von Hartmut Bobzin vorgenommen worden, so dass an dieser Stelle hier darauf nur verwiesen werden soll.1069 Biblianders Interesse am Islam und seine gleichzeitige apokalyptische Weltsicht verstärkten sich in der Folgezeit, wofür seine Vorlesungen 1062 1063 1064 1065 1066 1067 1068 1069 Zit. in Hagenbach, Koran, 316. Zit. in ebd. Zit. in ebd., 317. Zit. in ebd., 318. Zit. in ebd., 319. Vgl. Bobzin, Koran, 215. Egli, Bibliander, 60. Bobzin, Koran, 215ff. 235 über den Propheten Daniel und die Offenbarung des Johannes, letztere war die einzige neutestamentliche Schrift, die er ausgelegt hat, sprechen.1070 Trotzdem blieb Bibliander aber auch seinem religiös-universalistischen Ansatz treu. Er fasste um 1545 den Plan, unter den Muslimen zu missionieren. Wegen der zu erwartenden Gefahren für Leib und Leben Biblianders gelang es Bullinger mit einigen wohlmeinenden Rankünen diesen von seinem Plan abzubringen.1071 Bibliander trat in der Folgezeit dann mit Schriften hervor, die von einem universalistischen Heilsverständnis geprägt waren. 1548 vertrat er in einem „Kommentar über die gemeinsame Art und Weise aller Sprachen und Literaturen nebst einer kurzen Erklärung der Lehre vom sittlichen Leben und der Religion aller Völker“ die potentielle Berufung der Andersgläubigen, die aber nicht durch Gewalt, sondern durch den Geist Jesu Christi verwirklicht werden könne. Bibliander glaubte, dass sich alle Völker auf religiöse Grundwahrheiten zu einigen vermöchten und so die falsche Lehre des Antichrist von alleine entlarvt werde. Gerade die Kenntnis der unterschiedlichen Sprachen sollte für Bibliander diese Mission fördern. Die religiösen Missverständnisse lagen für ihn weitgehend auf der sprachlichen Ebene begründet, so dass hier der Ansatz für das religiöse Gespräch zu suchen sei. Noch einmal sollte deshalb auch für Bibliander das Evangelium unter den einst christlichen Völkern verkündet werden, die durch Mohammeds „Sophistik“1072 davon abgefallen seien. Bibliander meinte, so könne es dann zu einer Einigung der Menschheit kommen, wobei die Grundlage für diese Einheitsreligion wie bei Cusanus allerdings selbstverständllich der christliche Glaube war.1073 1553 gab Bibliander in „De monarchia totius orbis suprema legitima et semiterna“ eine Auslegung verschiedenster biblischer Weissagungen auf Christus heraus, die allerdings wie die meisten seiner Werke nicht 1070 1071 1072 1073 Egli, Bibliander, 61ff. Egli, Missionsgedanken, 48. Holsten, Reformation, 30. Egli, Bibliander, 80ff. 236 im Druck erschien. Welch anderer Ton hier herrschte als bei Luther, macht die Praefatio des Werkes deutlich: „Allen Christen, Juden und mohammedanischen Muselmännern wünscht Theodor Bibliander Gnade, Frieden und jegliches Heil von Gott dem Herrn.“1074 Das Werk ist der Versuch einer Mission auf schriftlichem Wege. Bibliander will in dieser Schrift alle drei monotheistischen Religionen als gleichwertig ansprechen, ein Versuch, der zuletzt von Nicolaus Cusanus unternommen worden war. Er beklagt den religiösen Hass und die Kriege der Menschen untereinander, wo doch Einigkeit in so vielen Grundanschauungen bestünde. Die Verbindung aus taktischer Freundlichkeit und religiös irenischer Überzeugung bleibt wie bei Cusanus im Einzelnen nicht vollständig analysierbar. Klar ist jedoch, dass der Koran als religiöse Urkunde für Bibliander ebenfalls nicht diskussionsfähig war. Dies zeigen seine chronologischen Berechnungen. Das Jahr 1553 war für ihn das 1000. Mondjahr nach dem ersten prophetischen Auftreten Mohammeds und in diesem Jahr sollte nach einer alten Weissagung der Koran und damit auch der Islam untergehen. Gleichzeitig fanden sich in dieser Berechnung Bezüge auf den Untergang Israels und den Verfall der Papstkirche.1075 Es war wohl gerade die apokalyptische Grundanschauung Biblianders, die ihn zur Mission trieb. Sein Biograph Emil Egli hat es so formuliert: „Gewiss ist es kein Zufall, dass der Mann, der sich so eingehend, wie mit dem Koran so mit der Apokalypsis beschäftigt hat, auf den Missionsgedanken gekommen ist; diese Arbeiten haben ihn auf solchem Wege gefördert.“1076 Wie so in keinem anderen Falle bei einem Reformator finden sich bei Bibliander in einer Verbindung apokalyptisches und dogmatisches Interpretationsmodell, Missionsgedanke und religiöser Universalismus. 7.3.2. Warnung vor dem „Türgg“: Heinrich Bullinger 1074 1075 1076 Zit. in Egli, Missionsgedanke, 49. Egli, Bibliander,93. Ebd., 95. 237 Nach dem Tode Huldrych Zwinglis erwuchs der Zürcher Kirche, der als frühem Zentrum des reformierten Flügels der reformatorischen Bewegung eine hohe Bedeutung zukam, in Heinrich Bullinger (15041575) ein langjährig wirkender Nachfolger. Er ist der eigentliche Organisator der Zürcher Reformation geworden.1077 Bullinger verfügte durch seinen Schriftwechsel über ein weitreichendes Informations- und Verbindungsnetz, ca. 12000 Briefe sind erhalten geblieben.1078 Darüber hinaus stellte er sog. „Neue Zeitungen“ her, in denen allgemein interessierende Nachrichten aus seiner Korrespondenz, von ihm mit Kommentaren versehen, einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurden. In der Korrespondenz Bullingers findet sich auch ein ausgedehnter Briefwechsel mit ungarischen Kirchenmännern.1079 Hier hatte sich nach lutherischen Anfängen die reformierte Variante des evangelischen Glaubens immer mehr ausgebreitet. Nach Luthers Tod wurde die Verbindung zur Zürcher Reformation noch stärker. Bullinger schickte auf Anfrage des Sekretärs in der ungarischen Staatskanzlei in Wien, Johann Fejérthóy, ein Sendschreiben seelsorgerlichen Inhalts an die ungarischen Christen, in dem in 50 Kapiteln der christliche Glaube zusammengefasst und praktische Ratschläge gegeben wurden.1080 Das Werk wurde zunächst in Abschriften weitergereicht, bevor es 1559 in Klausenburg gedruckt wurde. Mehrfach nahm Bullinger auch auf die „Türken-Problematik“ Bezug, die jedoch eher den äußeren Rahmen seiner sonst allgemein gehaltenen Ausführungen darstellt. Schon in der Einleitung begründete er sein Schreiben damit, dass er gehörte habe, wie in ganz Ungarn, auch in den osmanischen Teilen, ja (protestantisch verstandene) Evangelium sogar in verkündet Istanbul das werde. Er, Bullinger, wolle nun die Christen mit dieser Schrift auf ihrem Weg stärken. Ausführlich ging er im vorletzten Kapitel auf die Frage ein, ob 1077 1078 1079 1080 Vgl. Gäbler, Bullinger, 197ff.; Blanke/Leuschner, Bullinger. Gäbler, Bullinger, 206. Zu Bullingers Beziehungen nach Ungarn vergleiche auch Bryner, Ausstrahlungen. Eine Zusammenfassung der Schrift „Brevis ac pia institutio Christianae religionis ad dispersos in Hungaria ...“ bietet Schlegl, Bullinger, 25ff. 238 die Christen unter der Herrschaft der „Ungläubigen“, mit denen offensichtlich neben den Osmanen auch die „Papisten“ gemeint waren, leben dürften. Bullinger beantwortete diese Frage positiv. Schließlich hätten auch die Juden in der babylonischen Gefangenschaft gelebt und die ersten Christen unter römischer Bedrängnis ihren Glauben praktiziert. Andererseits stellte sich die grundsätzliche Frage, warum es wieder zu einer solchen Bedrägnis gekommen sei. In der Antwort tritt bei Bullinger ebenfalls das straftheologische Bußmotiv auf: Da die Christen in ihrem Glauben lasch wurden, haben die Osmanen die von Gott gegebene Aufgabe zu erfüllen, diese für ihren Glaubensschwund zu strafen. Über Fejérthóy u.a. erfuhr Bullinger auch, dass die evangelische Konfession von den Osmanen durchaus milder behandelt wurde, als der Katholizismus.1081 Ein Mitteilung, die durchaus den historischen Tatbestand zu treffen scheint. Tatsächlich konnte sich der Protestantismus in den osmanisch besetzten ungarischen Gebieten relativ stark verbreiten. Eine gewisse Duldung der Osmanen, die den als Oppositionskraft zu Papst- und Kaisertum wahrgenommenen Protestantismus wohl eher akzeptierten als den Katholizismus, spielt hier eine Rolle.1082 Letztlich blieb aber das Verhältnis der Osmanen auch den Protestanten gegenüber unberechenbar und von Willkür geprägt.1083 Bullinger hat ebenfalls eine „Türken-Chronik“ verfasst, die er unter dem Namen seines Freundes Matthias Erb, der ihn um diese Schrift gebeten hatte, 1566 erscheinen ließ.1084 Diese Chronik zeigt die signifikanten Unterschiede im Geschichtsbild der Zürcher Reformation zu dem Martin Luthers: Zunächst erscheint es jedoch so, als vertrete das Werk „Der Türgg. Von Anfang und ursprung des Türggischen Gloubens ...“ das apokalyptische Geschichtsbild Luthers und Melanchthons, da schon auf der Titelseite aus der Johannes-Apokalypse zitiert wird. 1081 1082 1083 1084 Schlegl, Bullinger, 34f. Gragger, Kulturbeziehungen, 7f. Ebd., 14f. Staedtke, Bullinger, 556. 239 Offensichtlich sollen die Osmanen in diesem Zusammenhang als eine apokalyptische Plage dargestellt werden, doch ist von einer apokalyptischen Grundhaltung in der Schrift dann keine Rede. Bullinger selbst hat im Unterschied zu Calvin und Zwingli aber in Gemeinsamkeit mit seinem Kollegen Bibliander der Apokalyptik-Thematik durchaus seine Aufmerksamkeit gewidmet. 1555/1556 hielt er 100 Predigten zur Apokalypse, die im Jahr darauf gedruckt und in mehrere Sprachen übersetzt wurden.1085 Bullingers Akzent liegt aber keinesfalls auf einer akuten Apokalyptik, die sich noch dazu in äußeren Ereignissen, wie etwa einer osmanischen Invasion, vollzieht. Vielmehr deutet er seine Zeit als letzte Zeit, die durch die Reformation und die Widerstände des als antichristlich verstandenen Papsttums gekennzeichnet ist,1086 wenn auch die „Türken“ gelegentlich als endzeitliche Gegner bezeichnet werden können.1087 Mehr geht es jedoch darum, die Osmanen als eine widerchristliche Kraft zu charakterisieren, mit der es keine Verständigung geben kann. Zu dieser Befürchtung war offensichtlich auch für Bullinger aller Anlass gegeben. Schon die Vorrede macht deutlich, dass es in der Bevölkerung an einem wirklichen Widerstandswillen gegen die Osmanen fehlte, wenn als weit verbreitete Meinung widergegeben wurde, dass die Menschen „fry heruß sagen/ ich wöllte lieber under dem Türggen syn/ dann under yetziger Christenlicher Oberkeit.“1088 Wer so redet, das macht die Bibelstelle auf dem Titelblatt deutlich, der begibt sich unwissend und freiwillig unter eine apokalyptische Plage, da er offensichtlich von „schwerer ja vihischer dienstbarkeit/ an seel lyb und gut/ den armen gefangenen Christen“ nichts weiß.1089 Da die Osmanen bisher außerordentlichen militärischen Erfolg gehabt haben, besteht für Bullinger nun auch die Gefahr, dass Deutschland von ihnen erobert wird, wenn sich die Christen in ihrem Leben und Glauben nicht bessern. Diese Besserung zu befördern, ist das Ziel der 1085 1086 1087 1088 1089 Cunningham/ Grell, Horsemen, 52; vgl. auch Petersen, Preaching, 120ff. Vgl. Neddemeyer, Mittelalter, 49. Vgl. Seifert, Rückzug, 27. Bullinger, Türgg, A II. Ebd., A III. 240 Schrift Bullingers. Erreicht soll dies durch eine „aufklärende“ Information über die Osmanen werden. Die Geschichtschronik verarbeitet dann verschiedenste Vorbilder, wie Bullinger deutlich macht. Er nennt ausdrücklich u.a. Johannes Damascenus, Philipp Melanchthon, Johannes Nauclerus, Johannes Sleidan und Johannes Aventinus. Innerhalb des Textes wird Aventinus, der 1531 ein Werk zur deutschen Geschichte herausgegeben hatte,1090 am häufigsten als Referenzstelle angegeben. Die Chronik beginnt zunächst einmal damit, den Ursprung des muslimischen Glaubens zu erläutern. Mit einer Fülle richtiger Detailkenntnisse wird Mohammed als Stifter der Religion dargestellt. Letztlich bleibt aber für Bullinger nur, zu konstatieren, dieser habe einen „geselligen glouben“1091 erfunden, dass heißt eine Religion, die die hohen Anforderungen des Christentums, besonders was die dogmatischen Glaubenssätze angeht, nicht teilt. So ist auch der Koran für Bullinger aus allen möglichen frühchristlichen Häresien, besonders auch wieder der des Arius und der des Nestorius, „zamen geflickt“.1092 Das allerdings ist für Bullinger ein klarer Hinweis auf die Endzeit, wenn ausdrücklich das 2. Kapitel des 2. Thessalonicherbriefes genannt wird, wo vom Antichristen inmitten des Tempels die Rede ist. Diese Stelle, die Luther auf das Papsttum bezog, wird hier von Bullinger mit den Osmanen in Verbindung gebracht. Dies zeigt einmal, wie die heftigen und erschütternden Auseinandersetzungen mit dem Papsttum, die Luthers Türkenbild so charakterisieren, zwanzig Jahre nach dessen Tod in dieser Intensität der Vergangenheit angehören und wie andererseits bei Bullinger eindeutig die dogmatische Interpretation der Türkengefahr überwiegt. Zwar sind die Osmanen Gestalten der Endzeit, die aber nicht näher qualifiziert wird, doch sind sie es deshalb, weil sie eine falsche Lehre vertreten, nicht weil sie der äußere Diener des „päpstlichen Antichrists“ sind. Die falschen Lehren der Osmanen, Ablehnung der Dreifaltigkeit, der Gottheit Jesu Christi, seines Heilstodes, der Gerechtigkeit aus Glauben, Ablehnung der Taufe und 1090 1091 1092 Joachimsen, Geschichtsauffassung, 187. Bullinger, Türgg, A IIII. Ebd., A V. 241 des Abendmahles werden dann von Bullinger dargestellt. Als Ergebnis stellt er deshalb fest, dass allein der christliche Glaube der wahre Glaube ist, so dass alle Christen „disen Türggischen glouben/ als eine nüwe erdichte von unreinen wüsten lüten verderpliche verfürung“1093 durchschauen sollen. An dieser Stelle wird dann auch kurz die Hoffnung geäußert, dass sich doch auch viele Osmanen zum christlichen Glauben bekehren mögen. Bullinger geht dann der Frage nach, warum denn die „häretischen“ Osmanen so viele Erfolge erlangt haben. Dabei bezieht er sich ausdrücklich auf Daniel 7. Doch die Interpretation ist hier rein historisch! Schon immer hat es große Mächte mit falschem Glauben gegeben, führt Bullinger aus, doch Gott hat ihnen allen ihre Zeitspanne herrschaftlicher Macht bemessen. Das gilt auch für das danielische Vierte Reich, das Römische Reich, das Bullinger als historisches Phänomen interpretiert. Ausdrücklich qualifiziert Bullinger dabei in seinen Predigten zur Apokalypse dieses Römische Reich als widerchristlich und sieht im Papsttum dessen Nachfolger.1094 An dieser Stelle ist auch ein Blick auf Bullingers Auslegung des Buches Daniel hilfreich. Zwar teilt Bullinger die übliche Auffassung der Reformatoren von den vier Weltreichen, von denen das römische das letzte sei, doch sieht er eben wie Calvin das Imperium Romanum schon als vergangen an. Der Stein, der in Daniel 2 den „Koloss auf tönernen Füßen“ zerstört, ist dahingegen das Reich Christi, das als „Reich der Gnade auf Erden, dass sich in gestalt der Kirche über die ganze Welt ausgebreitet hat.“1095 Dieses Reich Christi ist aber für Bullinger nun keineswegs eine rein apokalyptisch qualifizierte Größe. Weltliche Legitimität kann neben ihm durchaus bestehen. Nur gottwidrige Reiche wird dieses Gottesreich zerstören. Grundsätzlich gilt jedoch: „Christus imperia non sustulit sed stabiliuit.“1096 Dass nun der Islam aufkommen konnte, sieht Bullinger in der Schrift „Der Türgg“ als Ergebnis der Uneinigkeit unter den Christen an. Dies ist 1093 1094 1095 1096 Ebd., A VIII. Zur Thematik vgl. Büsser, Predigten und Mäder, Papam. Vgl. Krüger, Ausleger, 101. Zit in ebd., 102. Vgl. auch Campi, Ende 242 dann das Leitmotiv der folgenden Ausführungen: Immer dann, wenn die Christen uneinig waren, konnten „unchristliche“ Mächte groß werden. Das gilt eben auch für die Entstehung und Ausbreitung des Islam, wo doch in dieser Zeit „vil spans und zangs in der kyrchen/ von dem Herren Christo/ sinder unzertrenten einigen person/ und beiden underscheidnen naturen/ der göttlichen unnd menschlichen/ item von den bildern“1097 war. Bullinger fasst hier also die frühchristlichen dogmatischen Auseinandersetzungen, besonders den christologischen Streit und den Bilderstreit zusammen und sieht in ihnen und der dadurch bedingten inneren Schwäche des Christentums eine Wurzel der frühen muslimischen militärischen Erfolge. Die weitere Entstehung und Ausbreitung des muslimischen Weltmacht wird nun geschildert, dabei wird die Herleitung des Namens „Sarazenen“ im Sinne einer manipulierten Genealogie der Agareni (Hagar/Sarah) lediglich als eine denkbare Möglichkeit beschrieben, von irgendwelchen Bezügen gar zur Alexandersage oder den Weissagungen des Pseudo-Methodius von der Endschlacht mit den Agareni ist keine Rede. Die Herkunft der Türken aus Zentralasien wird ebenfalls erwähnt und in ihnen das biblische Volk Magog gesehen. Doch wieder fehlt jeglicher apokalyptischer Ton, denn der MagogBezug wird aus der Völkertafel von Gen. 10,2 hergeleitet, von den „apokalyptischen“ Bibelstellen ist keine Rede. Wie das Aufkommen der muslimischen Araber eine Folge innerchristlichen Streites war, so auch die Machtstellung der Osmanen, die mit dem Jahre 1300 einsetzt. Bullinger sieht darin eine Folge des päpstlichen Weltmachtanspruch durch Papst Bonifaz VIII., wie er sich in der Bulle „Unam Sanctam“ 1302 äußerte, sowie in der Ausrufung des Jubeljahres für 1300 und dem damit verbundenen Ablass, der das Heilswerk Christi nach evangelischer Auffassung entwertete. Ebenso ist das Fußfassen der Osmanen in Europa für Bullinger ein Ergebnis des Streites unter den Christen in Byzanz, wobei er auf den Bürgerkrieg im Byzantinischen Reich 1321-1354 anspielt, in dem die politische Rolle der Osmanen, die in die Rolle von „Kaisermachern“ kamen, eine 1097 Bullinger, Türgg, B. 243 enorme Aufwertung erfuhr. Sultan Orhan war der Schwiegersohn des byzantinischen Kaisers Johannes Kantakuzenos. Nach dem Fall von Adrianopel 1363 geriet Kaiser Johannes V. dann in osmanische Abhängigkeit.1098 Der Siegszug der Osmanen durch Europa wird nun detailliert und im Wesentlichen historisch zutreffend geschildert, wobei jeweils die einzelnen Sultane, als türkische „Könige“ und zusätzlich ab Mohammed II., dem Eroberer Konstantinopels, auch als türkische Kaiser“ charakterisiert werden. Während die Eroberung Konstantinopels nur kurz erwähnt wird, offensichtlich ist sie nur der logische Schlußpunkt der geschilderten Auseinandersetzungen, ist der sukzessive Machtverlust der Christen in Ungarn wiederum ein Ergebnis christlicher Uneinigkeit. Am Verlust Belgrads tragen für Bullinger die Bischöfe und der Adel Ungarns Schuld, weil sie König Ludwig falsch beraten haben. Der Untergang des ungarischen Heeres 1526 in der Schlacht von Mohács ist schließlich ein Ergebnis der Uneinigkeit des Reichstages von Speyer und besonders des Heerführers Pal Tomori (Paulus Comerey) der König Ludwig „fräfentlich“1099 zur Schlacht aufgestachelt habe. Schließlich geht der innerchristliche Streit zwischen Ferdinand und Zápolya weiter: „Und diese zwytracht dieser Christen Fürsten hat zum teyl den Türggen gebracht in Tütschland oder Osterrych.“1100 Die Schilderung schließt mit der aktuellen Situation 1566. Nach dem Reichstag von Regensburg 1566 wurde eine beträchtliche Türkenhilfe genehmigt.1101 Allerdings blieb dieses Unternehmen weitgehend erfolglos. Der Heereszug der Osmanen hingegen war mit der Einnahme der Städte Güns und Sziget erfolgreicher. Gerade die Einnahme von Sziget wird von Bullinger hier als voller Erfolg der Osmanen beschrieben. Dies war jedoch nur teilweise der Fall. Tatsächlich war es dem ungarischen Feldherrn Miklos Zrinyi lange Zeit gelungen, Sziget zu 1098 1099 1100 1101 Vgl. bes. 369ff. Bullinger, Türgg, D IIII. Ebd., D IIIIf. Höfert, Türkenhilfe, 111. 244 halten.1102 Sultan Suleiman verstarb während der Belagerung, was Bullinger auch kurz erwähnt. Mit dem Tod des expansionsfreudigen Herrschers endete langfristig gesehen das erfolgreiche Vordringen der Osmanen in Europa,1103 Zrinyi wurde zum ungarischen Nationalhelden. In einem an die Schrift anschließenden Gebet bittet Bullinger dann um Verschonung von der Herrschaft des osmanischen „Züchtigers“1104, um Vergebung der innerchristlichen Streitigkeiten, „die sich aeben nit wöllend gütlich riechten lassen“1105 und um die Bekehrung der Osmanen. Der Unterschied zu Luther und Melanchthon wird auch hier wieder deutlich: Bullinger hofft auf die Bekehrung der Osmanen, aber er erwartet nicht das Ende der Zeiten. Zwar finden sich gelegentliche apokalyptische Anspielungen, doch sind diese eher wie bei Zwingli als inkohative Eschatologie zu verstehen. Das dogmatische Interpretationsschema dominiert bei Bullinger eindeutig. War Bullingers Vorgänger Zwingli hinsichtlich apokalyptischer Vorstellungen schon zurückhaltend, fehlen sie bei Bullinger ganz. Dies verbindet ihn mit Calvin und lässt die fehlende Apokalyptik zu einem Unterscheidungsmerkmal der reformierten Form der Reformation im Unterschied zu der lutherischen werden. 7.3.3. Weiterwirken der apokalyptischen Grundhaltung: Andreas Osiander Nicht nur Luther wurde zu Beginn der 1540iger Jahre erneut literarisch mit dem Ziel tätig, die Bevölkerungen und auch die kämpfenden Truppen für die Auseinandersetzungen mit den Osmanen geistlich zuzurüsten. An vielen Orten forderte die Obrigkeit zum Gebet für die Abwendung der Gefahr auf. Damit waren die Geistlichen natürlich in besonderer Weise angesprochen. Die Prediger reagierten auf diese Anordnungen mit gesonderten Vermahnungen und selbstverständlich auch mit Bezugnahmen im Rahmen anderer Predigten. In Nürnberg 1102 1103 1104 1105 Majoros/ Rill, Reich, 244f. Vgl. Höfert, Türkengefahr, 112f. Bullinger, Türgg, D VIII. Ebd., D VIII. 245 übernahm diese Aufgabe nachweislich der Prediger an der SebaldusKirche, Veit Deitrich, und der Pfarrerr an St. Lorenz, Andreas Osiander. Andreas Osiander (1496/1498 -1552) war seit 1522 Prediger an St. Lorenz, einer der beiden Pfarrkirchen Nürnbergs, das damals zu den herausragendsten Städten Deutschlands zählte. Hier fanden in diesen Jahren mehrere Reichstage statt und hier saß das „Reichsregiment“. Osiander kam so immer wieder mit der „großen Politik“ in Berührung. Königin Isabella von Dänemark, einer Schwester der Habsburger Karl, Ferdinand und Maria, reichte er das Abendmahl in beiderlei Gestalt, was faktisch als Übertritt zum Protestantismus gewertet werden konnte, den Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht von Brandenburg gewann er - und damit Preußen - für die Reformation.1106 In Osianders Persönlichkeit verbinden sich mittelalterliche und in die Neuzeit weisende Elemente: Als 1524 der päpstliche Legat Campeggio in Nürnberg war, predigte Osiander über den Papst als Antichristen. 1527 veröffentlichte er sowohl Weissagungen des Joachim von Fiore wie auch der Hildegard von Bingen.1107 Wenige Jahre später gab er die Schriften des Nikolaus Kopernikus mit einem Vorwort versehen heraus.1108 1548 trat Osiander in die Dienste Albrechts von Brandenburg und ging nach Königsberg. Auf seine letzten Lebensjahre fällt der Schatten des innerprotestantischen „osiandrischen Streites“.1109 Osianders Beschäftigung mit der „Türken-Problematik“ fällt noch in die Nürnberger Zeit. Neben einer Vermahnung, die als „Unterricht wider den Türken“1110 herauskam, und einer Predigtreihe über die „Zehn Gebote“, die das „Türken-Thema“ mehrfach aufnahm,1111 predigte Osiander um den Jahreswechsel 1542/43 auch über den Propheten Daniel, was sicherlich in dieser besonderen politischen Situation kein Zufall war. Erneut wurde hier also die Frage der Wahrnehmung der eigenen Zeit im Lichte biblischer Deutung, insbesondere durch das 1106 1107 1108 1109 1110 1111 Vgl. Müller, Osiander, 59ff. Barnes, Prophecy, 56. Ebd., 63,70. Hier ging es um die Frage der Einwohnung der Natur Christi in den im Glauben Gerechtfertigten, eine Lehre, die von den übrigen Reformatoren deutlich abgelehnt wurde; vgl. Hägglund, Geschichte, 212. Osiander, Schriften VII, 469ff. Ebd., 343ff. 246 Danielbuch, aufgegriffen. Dabei konnte Osiander auf Vorarbeiten zurück greifen. Schon 1524 hatte er seine Auffassung vom Papst als dem Antichristen u.a. anhand des Daniel-Buches entwickelt.1112 Zunächst soll hier auf den „Unterricht“ eingegangen werden, der offensichtlich aus einer Predigt heraus entstanden ist, und der wohl im Vorfeld des im Juli 1542 in Nürnberg tagenden Reichstages, dessen Thema ebenfalls die „Türkengefahr“ war,1113 erschien. Osianders Ausführungen beginnen mit einer heftigen Polemik gegen „Machmeds verfuerische, gotßlesterliche, teufflische greul und luegen“, die „alle gesetz und recht, alle politey und gute siten“1114 verderben. Gezielt greift er die Frage auf, worin denn die schier unfaßlichen Erfolge der Osmanen begründet seien. Die Antwort findet Osiander mit vielen anderen Reformatoren darin, dass es sich hier um eine zugelassene Strafe Gottes handelt, die in der Sündhaftigkeit der Christen ihren Grund hat. Eine Aufzählung dieser Sünden erweist, dass damit insbesondere die Verachtung der reformatorischen Lehre gemeint ist. „Die suend aber, umb welcher willen Gott also uber uns erzuernet ist, seind ungeferlich diese: Verachtung, verfelschung und verfolgung seines heyligen goettlichen worts, misprauch seiner heyligen sacrament, falsche, erdichte menschenleer in goetlichen und des glaubens sachen, gewaltige vertaidigung derselben mit vergiesung unschuldig bluts, abgoetterey, ketzerey, symoney, zauberey und das haidnisch, epicurisch leben deren, die nach Gott nichts fratgen, nichts glauben, kein predigt hoeren ...“1115. Diese Dinge sind für Osiander zweifelsohne ein Zeichen der Endzeit, so dass er den Kampf gegen die Osmanen nicht lediglich als militärische Auseinandersetzung begreift. Deshalb ist der „Türke“ auch für Osiander eine „scharpfe, starcke, eysene ruten“1116, mit der Gott gegen die Christen vorgeht. Sollten nun die Osmanen militärisch die Oberhand behalten, ist das noch nicht das Ende. Ausgehend von seiner apokalyptischen Geschichtsdeutung bricht für Osiander die eigentliche 1112 1113 1114 1115 1116 Seifert, Rückzug, 11. Osiander, Schriften VII, 470. Ebd., 473. Ebd., 478. Ebd., 481. 247 Katastrophe erst an. Denn nun werden die Osmanen und die ungläubigen Christen vernichtet. Sollten die Christen jedoch Buße tun „und alle obgemelte mißpreuch, so vil an uns ist, abstellen“1117, wird Gott von seinem Strafgericht ablassen und das Ende der Zeiten aufhalten. Dann ist auch „der Türck nichts anders mer dann ein loser, laerer, unsinniger, wuetiger tyrann und moerder, der von Gott kein hilf und beystand mer hat“1118. Von diesen Voraussetzungen ausgehend ist also der Kampf gegen die Osmanen geboten. Diejengen, die im Kampf gegen die Osmanen sterben, tun dies wegen der „beschützung des vatterlands“ und „umb Christus namen willen“1119. Man kann also bei Osiander von einem bedingt-apokalyptischen Interpretationsmodell hinsichtlich der „Türkengefahr“ sprechen. Zwar handelt es sich bei den Osmanen um Gestalten der Endzeit, aber der „Jüngste Tag“ ist für Osiander doch nicht eine so sichere Gegebenheit wie etwa für Luther. Die Möglichkeit des „kat’echon“, des Aufhaltens, die bis dahin dem Römisch-deutschen Kaiserreich zugeschrieben wurde, liegt nun bei den Christen selbst. Dass diese Funktion nun den Christen selbst zufiel, lag auch daran, dass Osiander, die Lehre von der translatio imperii nicht teilte. Für ihn war das deutsche Reich eines wie alle anderen auch, die Bezeichung als „Römisches Reich“ bedeutete ihm nur eine päpstliche List, um dadurch den Anspruch auf Weltherrschaft durchzusetzen.1120 Da um den Jahreswechsel 1542/43 die „Türkengefahr“ noch immer nicht gebannt schien, schloss Osiander eine Reihenpredigt über das Buch Daniel an, von der allerdings nur die Predigten zu Kapitel 1 und 2 (bis Vers 11) erhalten sind. Da in der Reihenpredigt die Auslegung zum im Rahmen dieser Fragestellung besonders wichtigen Kapitel 7 und 2,31ff. fehlen, sind Osianders Ausführungen hier notwendigerweise fragmentarisch. Trotzdem wird in den wenigen erhaltenen Passagen schon deutlich, wie sehr ihn das „Türken-Thema“ beschäftigte. Die Thematik des Daniel-Buches wird allerdings in diesem Zusammenhang 1117 1118 1119 1120 Ebd., 482. Ebd., 483. Ebd., 484. Vgl. dazu Seifert, Rückzug, 50. 248 wiederum wie schon das „kat’ echon“ personalistisch interpretiert. Die Beständigkeit des nach Babylon exilierten Daniel wird für Osiander zum Beispiel für seine Zeit. „Und da leret man abermals, wie wir uns hallten sollen, wan es und dahin kumpt, das uns der Turck erobert, nemlich das man vom wort nit abfall, sondern vest pleib wie hie Daniel.“1121 Während also Luther zwar für die in osmanische Gefangenschaft geratenen oder in Gefangenschaft zu geraten drohenden Christen einige Hinweise und Ermahnungen zur Beständigkeit im christlichen Glauben gab, erörtert Osiander hier die Frage einer möglichen Besetzung des Reiches durch die Osmanen. Zwingli hielt dies auch für möglich, schien aber eine Unterweisung in diesem Falle nicht für ausdrücklich nötig zu halten, während Luther sich diesen Fall offensichtlich nur als Beginn der dann unaufhaltsam ablaufenden Endzeitereignisse vorstellen konnte. 1544 berechnete Osiander in den „Coniecturae de ultimis temporibus“1122 das Ende der Welt für das Jahr 1672. Nach dem Augsburger Interim 1548, dass die Protestanten nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 akzeptieren mussten, hielt er dann einen rascheren Einbruch der Endzeit doch für wahrscheinlicher.1123 In den „Coniecturae“ spielten die Danielweissagungen ebenfalls wieder eine wichtige Rolle. Allerdings wurden dessen Prophezeiungen nun so historisiert, dass Osiander „das kleine Horn“ aus Dan 7 als Julius Caesar interpretierte und den Niedergang des (West)-Römischen Reiches als das Ende der vierten Monarchie.1124 Osiander ähnelt Luther besonders darin, dass seine Vorhersagen stark von den allgemeinen politischen Ereignissen abhängig sind. Grundsätzlich bleibt bei ihm die apoklayptische Weltsicht beibehalten und insofern kann Osiander, der dogmatisch ein Einzelgänger war (s.o.), hier als typischer Vertreter konfessionellen Luthertums gelten. 1121 1122 1123 1124 Ebd., 536. Osiander, Schriften VII, 470. Barnes, Prophecy, 116. Ebd., 129. des sich verfestigenden 249 7.3.4. Veränderte lutherische Sicht der Rolle des Papsttums in der Auseinandersetzung mit den Osmanen: Veit Dietrich Osianders Nürnberger Amtsbruder an der St. Sebaldus-Kirche war Veit Dietrich (1506-1549), der als langjähriger Famulus Luthers zahlreiche von dessen Schriften herausgegeben hat und mit diesem 1530 auch auf der Coburg war. Seit 1535 amtierte Dietrich in Nürnberg. Seine Abhängigkeit von Luther ist in der nachfolgend dargestellten Auslegung des 20. Psalms teilweise bis in die Wortwahl hinein deutlich, doch gibt es auch signifikante Unterschiede. Die Auslegung erschien im September 1542 als „Der XX. Psalm Davids, Wie man für unser Kriegsvolck recht betten, und sie sich Christlich wider den Türcken schicken, und glücklich kriegen sollen.“ Auslöser für Dietrichs Auslegung war offensichtlich eine Kriegspredigt des Bischofs von Wien, Johannes Nauseus.1125 Dietrichs Grundargumentation wird sehr schnell deutlich: Wer den „falschen“ - für Dietrich den katholischen - Glauben hat, der kann auch nicht recht zum Beten anleiten und dessen Gebet kann offensichtlich auch keinen Erfolg haben. Dietrich unternimmt es dann, seine eigenen Auffassungen darzustellen: Der „Türke“ ist für ihn der Teufel. „Nun aber ist es unmüglich/ das man dem Teuffel mit wehr und waffen abbrechen oder begegnen könnte.“1126 Dietrich übernimmt also Luthers Teufelsglaube, besonders was den Bezug zu den Osmanen angeht, aber vom päpstlichen Antichrist ist an keiner Stelle mehr die Rede. Überhaupt fehlt trotz der Diabolik in der Charakterisierung der Osmanen die apokalyptische Perspektive. Stattdessen geht es um eine dogmatische Interpretation der Osmanen, die Luther wohl auch, wie gesehen, bietet, die aber für ihn nicht vorrangig ist. Dietrich bestreitet den Osmanen mit derselben Argumentationslinie den rechten Glauben wie Luther. Das Gebet von „Türcken/ Juden [und] Papisten“1127 ist sinnlos, da sie Gott nicht kennen. Zwar glauben sie an einen Schöpfergott, aber der „Türke“ 1125 1126 1127 Dietrich, XX. Pslam, A 2. Ebd., B. Ebd., B 4. 250 „wayß ... doch nit was für ein Gott er sey/ und sonderlich wayß er das fürnemste nit/ ob er gnedig und barmherzig sey.“1128 Schließlich trifft dann noch besonders Juden und „Papisten“ der Vorwurf, sie verließen sich auf die „guten Werke“ und damit einen äußerlichen Gottesdienst. Die Osmanen werden hier im Unterschied zu Luther nicht in die Kritik einbezogen, dies folgt an einer späteren Stelle.1129 Der Grund dürfte einfach darin liegen, dass Dietrich folgert, dass solcher äußerlicher Gottesdienst keinen Nutzen gegen die Osmanen verspricht. Ausdrücklich wird wieder Nauseas Kriegspredigt genannt.1130 Es folgt dann eine lange Auseinandersetzung mit dieser Predigt. Deutlich wird: Die „Papisten“ sind jetzt nicht mehr eine Gestalt des Antichrist, sondern sie sind die, die durch ihren „falschen“ Glauben, verhindern, dass das christliche Heer gegen die Osmanen siegt. „Denn die vergangene zeyt hat uns gelernet/ was die ausrichten und für glück haben/ so nichts können/ denn wunden und martern/ Gottes wort verachten/ und lestern ...“1131 Möglicherweise ist damit eine indirekte Kritik an Kurfürst Joachim II. von Brandenburg intendiert, der, obwohl er – wie schon gezeigt – dem Protestantismus nahe stand und mit dem Empfang des Abendmahls in beiderlei Gestalt 1539 deutliche Zeichen gesetzt hatte,1132 „am Dekor des katholischen Gottesdienstes festhalten ließ“1133 und erst 1563 offen zum Protestantismus übertrat. Der von ihm angeführte Feldzug gegen die Osmanen war bekanntlich ein Misserfolg. Wer so unentschieden ist, könnte Dietrich hier andeuten, kann nicht gewinnen, bei demjenigen jedoch, der sich offen zu Gottes Wort (in evangelischer Auslegung) bekennt, „da ist gute hoffnung/ Gott werde mit seinem segen auch dabey sein und gnedig wider seine und unsere feinde helffen“.1134 Dietrich rechnet also auch hier mit der Möglichkeit eines Sieges gegen die Osmanen und nicht mit dem Weltende. Dafür spricht auch, dass er an einer Stelle in der Predigt indirekt auf die vier Reiche aus dem 7. 1128 1129 1130 1131 1132 1133 1134 Ebd., C 2. Ebd., G 3. Ebd., C 2. Ebd., F 2. Brandi, Reformation, 240. Mast, Hohenzollern, 35. Dietrich, XX. Psalm, F 3. 251 Kapitel des Danielbuches zu sprechen kommt, allerdings alle vier Reiche, also auch das Römische Reich als vergangene Größen ansieht. Wenn so – so folgert Dietrich – ein Erfolg gegen die Osmanen erzielt werden soll, muss erst die „abgötterey/ so wider das wort [Gottes M.K.] vom Bapst und seim hauffen/ auffbracht“1135 gestritten werden, sonst bleibt der „Türke“ der, der diesen Ungehorsam straft. 7.3.6. Jenseits einer „Reichstheologie“: Jean Calvin Das Verhältnis der Reformation zur osmanischen Expansion wäre unvollständig dargestellt, fehlte Jean Calvin (1509-1564), der wohl zum herausragendsten Reformator der reformierten Kirche geworden ist und neben Zwingli, Melanchthon und Luther zum Quartett der wichtigsten Reformatoren gehört. Der in der Picardie geborene Calvin wurde während seines juristischen Studiums zunächst besonders durch den französischen Humanismus geprägt, bevor er sich zunehmend der Reformation zuwandte und in einer dramatischen Begegnung durch den Reformator Guillaume Farel 1536 für eine Tätigkeit in Genf gewonnen werden konnte. Seine prägenden Jahre verbrachte Calvin in Frankreich, teilweise in Paris. Dabei nahm er sicher auch an den französischen Debatten über eine vermeintliche „Türkengefahr“ teil. Für den französischen König Franz I. war das Osmanische Reich aber bekanntlich keine apokalyptische Macht, sondern ein potentieller Bündnispartner gegen die Habsburger. Diese Politik der Verständigung und der teilweisen Kooperation konnte auch in Frankreich nur in einem Klima durchgeführt werden, das durch den Humanismus vorbereitet war. Zwar konnte dem König Zusammenarbeit mit einem „enemy de nostre foy“1136 zum Vorwurf gemacht werden, nicht jedoch wurde die Anklage erhoben, Franz I. mache sich zu einem Helfer des Antichrist. Franz konnte sich darüber hinaus auch auf publizistische Unterstützung verlassen. Zur Verteidigung der Politik des Königs zog man sogar den 1135 1136 Ebd., I 3. Diese Charakterisierung gebrauchte Franz allerdings gelegentlich selbst, vgl. zit. in Malettke, Vorstöße, 379, 252 Vergleich mit dem bekanntlich „ungläubigen“ Samariter (Lk 10,25ff.) heran. Dieser sei der osmanische Sultan, der dem unter die Räuber (Habsburger!) gefallenen Franz I. beistehen würde.1137 Für ein apokalyptisches Klima fand sich kein Nährboden. Nach einer Exilszeit in Straßburg wurde Genf für den in Frankreich als Protestanten verfolgten Calvin ab 1541 endgültig zur Heimat. Er sollte den Stadtstaat zunehmend geistlich prägen und darüber hinaus zum Zentrum der reformierten Kirche machen. Calvin selbst ist ein Reformator der zweiten Generation. Als er 1536 erstmals mit seiner maßgeblich wirkenden Glaubenslehre, der „Institutio Religionis Christianae“, hervortrat, zeigte sich, wie distanziert er der „Türkengefahr“ gegenüberstand. Lediglich in einer Randbemerkung wurde deutlich, dass sich Calvin gegen die gewaltsame Missionierung der Osmanen und anderer „Feinde der wahren Religion“1138 aussprach, wobei er in Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse von „Türken und Sarazenen“1139 redete. In den späteren Ausgaben findet sich selbst dieser Bezug nicht mehr. Insgesamt hat bei Calvin die „Türkenproblematik“ bei weitem nicht die Dramatik und Intensität wie etwa bei Luther. Dies mag neben seiner Prägung in Frankreich auch daran liegen, dass der Stadtstaat Genf, von den Osmanen militärisch nicht bedroht war und statt dessen sogar Handelsverbindungen nach Istanbul unterhielt.1140 Calvin konnte die Osmanen zwar auch gelegentlich als „perpétuels ennemis du christianisme“1141 bezeichnen, doch fehlte bei ihm diesbezüglich jegliche apokalyptische Zuspitzung. Einen Kommentar zur Johannes-Apokalypse herauszugeben, hat sich Calvin immer gescheut.1142 Die vier Reiche der Danielweissagung sind für ihn längst Vergangenheit.1143 Jetzt regiert Christus mit den Seinen ein spirituelles Reich. Calvins anti-apokalyptische Interpretation wird in seinem Kommentar zum Propheten Daniel, die 1561 erstmals im Druck 1137 1138 1139 1140 1141 1142 1143 Höfert, Türkenfurcht, 100. Calvin, Glaubenslehre, 90. Ebd. Pannier, Turcs, 282. Zit. in Pannier, Turcs, 275. Wendel, Calvin, 252. Vgl. auch Seifert, Rückzug, 52ff. 253 erschien, deutlich. Die Weissagungen des Propheten sind wie alle anderen alttestamentlichen Prophezeiungen für ihn im Kommen Christi erfüllt. Zu dem mit Mohammed bzw. dem Islam interpretierten kleinen Horn des vierten Tieres im 7. Kapitel des Buches Daniel heißt es bei Calvin: „Das beziehen die einen auf den Türken, die anderen auf den Papst, aber beide Meinungen sind falsch. Sie meinen, hier werde der Gang des Reiches Christi beschreiben, während Gott seinem Propheten doch nur die Zukunft bis zum ersten Erscheinen Christi hat zeigen wollen. Der Zweck dieser Vision war doch der: alle Kinder Gottes sollten wissen, was ihnen vor der Ankunft Christi noch für schwere Kämpfe bevorständen. Zweifellos sind unter dem kleinen Horn Julius Caesar und seine Nachfolger zu verstehen, Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, Nero und andere. ...“1144 Calvin steht damit – wohl dank seiner humanistischen Prägung – im Kontext des „modernen“ Geschichtsdenkens des 16. Jahrhunderts, wie es sich gerade in Frankreich entfaltete.1145 Jean Bodin sollte das VierMonarchien-Schema mit seiner Konzentration auf das RömischDeutsche Reich wenige Jahre später als „Ausgeburt deutscher Ruhmsucht“1146 ablehnen.1147 Calvins Auslegung war auch hier nicht nur anti-apokalyptisch, sondern auch anti-monarchianisch. Für den Bewohner Genfs spielte die Staatsform der Monarchie eine völlig andere Rolle als für Martin Luther, der gleichsam in Sichtweite seines kurfürstlichen Herrn wohnte. Calvin ist damit ein Exponent der präteritischen Daniel-Auslegung, die die Prophezeiungen mit dem Kommen Jesu erfüllt sah.1148 Hinzu kam, dass Calvins Ausführungen auch einen seelsorglichen Charakter hatten. Sie sollten seine französischen Landsleute, die sich zur Reformation bekannten, stärken.1149 Calvin macht hier deutlich, dass die Monarchie als Staatsform kein Wert an sich ist. Die sog. 1144 1145 1146 1147 1148 1149 Calvin, Auslegung, 478f. Miegge, Regnum, 245. Koch, Europa, 111. Vgl. Seifert, Rückzug, 65ff. Seifert, Rückzug, 49ff. Calvin, Auslegung, 354. 254 Monarchomachen sollten dann später als reformierte Christen die theoretische Grundlegung gegen jeden fürstlichen Absolutismus entwerfen.1150 Von einer „Reichstheologie“, die gar dem römischdeutschen Kaiserreich eine besondere Bedeutung zusprach, ist an keiner Stelle die Rede. Im Zuge der innerfranzösischen Religionsauseinandersetzungen wurde dann analog den deutschen Verhältnisses „le turque“ zum Begriff für den jeweiligen innerchristlichen religiösen Gegner.1151 Doch war dies eher eine interne Polemik, denn in irgendeiner Weise ein geschichtstheologisches Konzept. 7.4. Zwischenbilanz Luthers später „Türken-Diskurs“ war von Resignation und Polemik geprägt. Darin ähneln diese Äußerungen den anderen „expressions of frustration“1152, etwa seinen zeitgleichen Stellungnahmen zu den Juden. War hier die ausgebliebene erfolgreiche Missionierung der Juden zum (reformatorischen) Christentum der Auslöser seiner Haltung, war es im Blick auf die Osmanen die Enttäuschung über eine wahrhafte Bekehrung der Christen selbst. Das Angebot der Gnade Gottes, wie es für Luther in seiner Wiederentdeckung des reformatorischen Wortes geschah, war ausgeschlagen worden. Luthers zunehmende Sozialkritik macht dies deutlich. Die Rolle der Osmanen als „Gottesgeißel“ wurde von ihm aktualisiert und nun auf Altgläubige und Protestanten bezogen. Das Ende der Zeiten schien ihm immer noch nahe, wenn auch nicht unbedingt unmittelbar bevorstehend. Die „Entdeckung“ des vollständigen Koran ließ Luthers Haltung in maßlose Polemik umschlagen, so diabolisch erschien ihm nun der Islam. Während Osiander und Dietrich mit gewissen Abweichungen im Rahmen der apokalyptischen Interpretation der Osmanen verblieben, findet sich bei Bullinger trotz aller apokalyptischer Auffassungen diesbezüglich kaum ein Bezug auf die „Türken“. Calvin schließlich 1150 1151 1152 Vgl. Miegge, Regnum, 246. Höfert, Türkengefahr, 102. Barnes, Prophecy, 50. 255 historisierte die danielischen Weissagungen völlig und entkleidete sie jeglichen Bezuges auf die Osmanen. Theodor Bibliander stellte mit seinem Versuch, mit den Muslimen in dieser Zeit in einen wirklichen Dialog einzutreten, eine singuläre Erscheinung dar. Unter grundsätzlicher Beibehaltung eines Monopolanspruchs christlicher Wahrheit nahm er den seit Nicolaus Cusanus fallengelassenen Gesprächsfaden wieder auf, ohne das es in dieser Zeit militärischer Dauerkonfrontation zu einem Dialog der Religionen kommen konnte. 8. Schluss Martin Luthers Meinungs- und Wissensbildung zu den „Türken“ ist auf dem Hintergrund der Beziehungen zwischen der lateinischen Christenheit und dem Islam ambivalent. Dies zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit. Dabei ist eine Erkenntnis deutlich: Luther hat sich zwar vielfach zu den „Türken“, die für ihn die zeitgenössischen Vertreter der islamischen Religion waren, geäußert, aber nur sehr selten kommen die Osmanen per se, als die „realen Türken“1153 in den Blick. Seine theologische, historische und politische Sichtweise war fast vollständig geprägt von seiner Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Papsttum. Diese aus der theologischen Sichtweise entstandene Fronstellung überformte alle anderen Konflikte. Luther sah sich und die von ihm angestoßene Reformation als ein Signum der biblisch angekündigten Endzeit, so dass für eine innerweltliche Interpretation der politischen Ereignisse für ihn kein Platz war. Damit wurden die Osmanen jenseits ihrer tatsächlichen politischen Rolle zu einem religiösen und historisch bzw. geschichtstheologisch zu interpretierenden Symbol. Sie waren für ihn Boten der Endzeit und als solche Helfer des als „Antichrist“ verstandenen Papsttums. Luther gelang damit zwar eine Verobjektivierung der Ereignisse, allerdings in einem Zusammenhang, nämlich der geschichtssymbolistischen Interpretation der Historie, der heute fremd wirkt und auch in damaliger Zeit seinen Höhepunkt schon überschritten hatte. Bald nach Luthers 1153 Cardini, Europa, 199. 256 Tod setzte mit Jean Bodins „Methodus ad facilem historiarum cognitionem“ 1566 ein Neuanfang säkularer Geschichtsinterpretation ein. Vertiefte geschichtliche Kenntnisse der christlich-islamischen Beziehungen hat Luther offensichtlich nicht besessen. Von Karl des Großen freundlichen Kontakten zu Harun-al-Raschid oder den „Märtyrern von Cordoba“ und ihrer Deutung des Danielbuches wusste Luther scheinbar nichts. Die tatsächliche Rolle der Osmanen im politischen Geschehen dürfte darauf hinauslaufen, dass sie tatsächlich - aber ungewollt - mit die stärksten Förderer der Reformation waren. Indem Karl V. durch die Auseinandersetzung mit den Osmanen immer wieder Kräfte binden musste, ja sogar die protestantischen Reichsstände als Bündnispartner benötigte, kam er nicht dazu, die „protestantische“ Frage mit militärisch geballter Macht nach innen „zu lösen“. Das Zerbrechen des corpus christianum im mittelalterlichen Sinne ist dem Islam zwar nicht militärisch aber unbeabsichtigt in geistiger Hinsicht durch die indirekte Stützung der Reformation mit gelungen. Dass Luther und Sultan Suleiman auf einer meta-politischen Ebene durchaus Bündnispartner waren, ist Luther nie deutlich geworden und er hätte eine solche Interpretation im Unterschied zu Zwingli auch weit von sich gewiesen. Er blieb dem „lieben Keiser Karolus“ treu, obwohl dieser auf politischer Ebene neben den Papsttum sein mächtigster Feind war. Luthers schwankende Stellung zur translatio imperii an die Deutschen lief letztlich doch auf eine Stärkung der Reichstradition hinaus, was dazu führte, dass den politischen Gegnern der Reformation eine heilsgeschichtliche Stellung zugebilligt wurde, was einem konsequenten politischen Handeln des „politischen Protestantismus“ gegen das Kaisertum die Kraft nahm. Die eigentümliche politische Naivität des Luthertums, die geradezu zu seinem Signum geworden ist, hat in dieser rein theologischen Sichtweise politischer Dinge und in der faktisch oftmals zu einer strikten Trennung der beiden „Reiche“ führenden Interpretation von Luthers Lehre ihre Wurzeln. 257 In den wenigen Stellungnahmen zu den Osmanen „an sich“ war Luther hingegen von einem bemerkenswerten Pragmatismus, wenn er den in osmanische Gefangenschaft geratenen Christen riet, die „Türken“ als für sie nun legitime Obrigkeit anzuerkennen und wenn er durchaus lobende Worte für das osmanische Gemeinwesen fand. Den Tatbestand, dass die Reformation im Rahmen der geschilderten duldenden Toleranz unter türkischer Herrschaft relativ gegenüber den Katholiken bevorzugt wurde, registrierte Luther aber offenbar nicht, bzw. blieb sie in heilsgeschichtlicher Perspektive letztlich unerheblich. Die Trennung der Bereiche Politik und Kirche wurde durch Luthers vehemente Ablehnung des Kreuzzugsgedankens forciert. Luther stand damit einerseits in der abendländischen Tradition der dialektischen Zuordnung der Bereiche von „Imperium“ und „Sacerdotium“, in dem er dem päpstlich-unilateralen Dominanzanspruch wehrte und einen Eigenwert des Politischen behauptete, andererseits wurde die Durchdringung des Politischen mit dem Religiösen bei ihm aufgehoben, was ein Signum der Moderne werden sollte. Allerdings muss auch gesehen werden, dass diese Entwicklung nicht allein auf Luther und die Reformation zurückzuführen ist. Die Humanisten wandten sich ebenfalls gegen diese Kriegsform, und das Nichtzustandekommen eines Kreuzzuges trotz dem Falls Konstantinopels und der vehementen Propaganda der Päpste, macht deutlich, dass die allgemeinpolitische Entwicklung in diese von Luther mit forcierte Richtung ging. Das islamisch-christliche Gespräch konnte unter den apokalyptisch geprägten Denkvoraussetzungen Luthers keinen Eigenwert besitzen. Bedingt durch seine Kritik an der scholastischen Theologie und ihrer Rezeption des aristotelischen Vernunftbegriffes war der hochmittelalterliche Versuch eines christlich-islamischen Dialoges bei ihm nicht im Blick. Thomas’ und anderer Theologen Anstrengungen, auf Basis der Vernunft ein Gespräch, sei es auch durchaus ein Missionsgespräch, zu führen, oder Lullus’ und Cusanus’ Hoffnung auf eine Einheitsreligion konnten nur seine scharfe Ablehnung finden. Die stets gefährdete Verständigungsbereitschaft, das zeigte die 258 Entwicklung von Lullus und Cusanus, war bei Luther überhaupt nicht mehr vorhanden. Ohne der an Schablonen gebundenen Überlegung, ob Luther denn dem Mittelalter oder der Neuzeit angehörte, zu viel Bedeutung beizumessen, kann doch mit dem Mut zu einer gewissen plakativen Darstellung gesagt werden: In seiner Ablehnung der Kreuzzüge und der klaren Zuordnung eines Krieges gegen die Osmanen zum Bereich des Politischen war symbolistischen Luther Bestandteil Geschichtsdeutung der und Neuzeit, der mit seiner Aufnahme der „Antichristvorstellung“ sowie des danielischen Geschichtsschemas befand er sich im Rahmen mittelalterlichen Denkens, mit seiner völligen Ausblendung christlich-islamischen Dialoges fiel er noch hinter dieses zurück. Besonders beeinflusst wurde durch die osmanische Expansion das Geschichtsverständnis der Reformation, allerdings in unterschiedlichem Maße. Sowohl dass dogmatische wie das apokalyptische Interpretationsmodell wurde durch die Reformatoren aufgegriffen. Dabei lassen sich teilweise erhebliche Unterschiede feststellen. Klar beherrscht von einer apokalyptischen Interpretation des Islam ist Martin Luther. Dies gilt ebenso für Melanchthon, Osiander, Dietrich und – mit Abstrichen – Brenz. Es kann deshalb auch vom Grundmodell der lutherischen Reformation gesprochen werden. Die radikalen Reformatoren wie Müntzer, Hut und Hoffmann interpretieren wie Luther den Islam ebenfalls apokalyptisch, doch kommt hier ein in der lutherischen Reformation vollständig fehlendes chiliastisches Element hinzu. Dogmatisch-spiritualistisch ist die Interpretation bei Franck und des Paracelsus, deren universalistischen Ansatz auch Bibliander teilte, dogmatisch-historisch schließlich die Interpretation der schweizerischen Reformatoren Zwingli, Bullinger und Calvin. Hier kann vom Interpretationsmodell der reformierten Reformation gesprochen werden. Die schweizerische Reformation um Zwingli, Bullinger und Calvin schließlich verlässt über eine historische apokalyptischen Referenzstellen der apokalyptischen Geschichtsanschauung Bibel und Interpretation den ebnet Rahmen damit der der einer 259 historisch-kritischen Einschätzung der biblischen Texte den Weg1154, während die lutherische Reformation im Gegenzug dazu noch einmal die teilweise in der Scholastik überwundenen Geschichtsmythen, besonders den vom „Antichrist“, neu belebt. Dieses „modernste“ Modell ist am deutlichsten von Luther geschieden. Geschichtstheologie wird hier nicht mehr betrieben. In seinen sozialen Auffassungen wird Luthers Kritik an den konkreten Verhältnissen im Reich zunehmend stärker. Das die Reformation so wenig ethische Auswirkungen gehabt hat, enttäuscht ihn. Trotzdem bleibt durch all die Jahrzehnte Luthers Grundhaltung unverändert. Er kritisiert soziale Mißstände, doch er solidarisiert sich mit keiner Gruppe. Dies unterscheidet ihn natürlich von den radikalen Reformatoren, die – wie etwa Müntzer – die soziale Unzufriedenheit für ihre chilisatischen Zwecke instrumentalisierten oder gar – wie etwa Hoffmann und Hut – selbst aus den sozial gefährdeten Schichten kamen. Auffällig ist, dass mit Ausnahme Biblianders kein Reformator an einem Gespräch mit dem Islam interessiert war. Natürlich sind hier die politischen Hintergründe zu bedenken. Konfrontationsphasen, wie die osmanische Expansion unter Suleiman nun einmal auch eine war, machen Gespräche zwischen Gegnern schwer. Trotzdem bleibt zu beobachten, dass über die grundsätzliche Möglichkeit eines Gespräches, etwa zu einem späteren Zeitpunkt oder unter anderen Bedingungen, zwischen beiden Religionen nicht nachgedacht wurde. Zum christlich-islamischen Dialog hat die Reformation nichts beigetragen, selbst dort, wo die apokalyptische Interpretation auf reformatorischer Seite fehlte und eine stärker dogmatische Interpretation zumindest Möglichkeiten eröffnet hätte. Maßgeblich bleibt das stärker geschichtstheologische Interesse der Reformatoren, wenn es um die Osmanen ging. Allen diesen hier aufgezeigten Modellen eignet jedoch, dass sie nicht mehr umfassend wirksam werden konnten, nachdem die Reformation selbst die Einheit von Religion und Gesellschaft, in der sich die frühere Auseinandersetzung mit dem Islam noch bewegt hatte, zerbrach. Die 1154 Vgl. Seifert, Rückzug, 54. 260 Grundtypen waren konfessionellen nun nur Subsystems noch im relevant Rahmen und des eigenen kommunizierbar. Übergreifend gesellschaftlich sinnstiftend zu wirken, gelang keiner Auffassung mehr. Statt dessen mussten diese Konzepte mit anderen Anschauungen konkurrieren, etwa der universalistischen Geschichtskonzeption des Habsburgers Karl V., für den die Osmanen ein zu bezwingender Gegner seiner „monarchia universalis“ waren, oder der pragmatischen Geschichtsauffassung der RenaissancePäpste, die die Osmanen allenfalls unter polemischen Aspekten als „antichristlich“ deklarierten. ausgetragene konkurrierende Die innerhalb Interpretation der der Reformation osmanischen Expansion und damit der Geschichte überhaupt war im Kleinen die Wiederspiegelung der konkurrierenden Interpretations- und Geschichtsmodelle, die sich nun herausbildeten. Die Osmanen waren nicht nur indirekt Stabilisatoren der Reformation und Zertrümmerer des mittelalterlichen Corpus Christianum, sie waren auch Katalysatoren einer pluriformen Geschichtsdeutung im abendländischen Europa. 261 Quellen: Adso von Montier-en-Der: De ortu et tempore Antichristi (Corpus Christianum : Cont. Med. Bd. 45), hg. v. D. 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Es ist mir bekannt, dass wegen einer falschen Versicherung bereits erfolgte Promotionsleistungen für ungültig erklärt werden und eine bereits verliehende Doktorwürde entzogen wird. Hamm, 01.02.2004 gez. Dr. Michael Klein