Die TECHNISCHE UNIVERSITÄT DRESDEN

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Die TECHNISCHE UNIVERSITÄT DRESDEN
verleiht unter dem Rektorat von
Professor Hermann Kokenge
auf Beschluss des Senats
und der Fakultät Wirtschaftswissenschaften
unter dem Dekanat von
Professor Dr. rer. pol. habil. Alexander Karmann
Herrn
Professor Dr. rer. h. c. Václav Klaus
die Würde
doctor rerum politicarum honoris causa
(Dr. rer. pol. h. c.)
in Anerkennung seines überaus großen persönlichen Einsatzes zur Förderung der
ökonomischen Integration zwischen der Tschechischen Republik und der
Bundesrepublik Deutschland sowie seines nachhaltigen Beitrages zur Gestaltung der
ökonomischen Transformationsprozesse und der Integration der mittel- und
osteuropäischen Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft.
Dresden, den 23. Februar 2007
Laudatio
Transformation und Globalisierung: Tschechien auf dem Marktweg in die
Europäische Union
2
Es ist für mich eine große Ehre zu Ihnen zum Thema Transformation und
Globalisierung der Republik Tschechien sprechen zu dürfen. Bei meiner Vorbereitung
zur Laudatio dachte ich vor allem daran, dass Sie, sehr geehrter Herr Professor
Klaus, und Sie, sehr geehrter Herr Professor Milbradt, Wirtschaftswissenschaftler
und Wirtschaftspolitiker sind. Daher werde ich Theorie und Empirie der
Transformation und Globalisierung miteinander verbinden. Zur Unterstützung meiner
Ausführungen werde ich Daten und Abbildungen präsentieren, um die Verdienste
von Professor Klaus im Transformationsprozess hervorzuheben und um
Besonderheiten der Volkswirtschaft Tschechiens zu veranschaulichen.
1 Transformation
Ich habe drei Stichworte als Anhaltspunkte gewählt. Diese Begriffe beziehen sich
erstens auf die Transformation Tschechiens, zweitens auf die Herausforderungen
Tschechiens durch die Globalisierung und drittens auf die Institutionen der
Europäischen Union (EU). Oder mit anderen Worten: Ich versuche wirtschaftliche
Entwicklungen aus der neuesten Geschichte und Gegenwart Tschechiens zu
verbinden.
Eine kurze Begründung für diese Auswahl Transformation, Globalisierung und EU.
Sehr geehrter Professor Klaus, Ihr Name steht wie kaum anderer Name für eine
erfolgreiche Transformation. Wirtschaftswissenschaftlich bewerten Sie die
Globalisierung positiv. Sie sehen die Entwicklung der Europäischen Institutionen
kritisch. Sie bedienen sich bei Ihrer Einschätzung der wirtschaftswissenschaftlichen
Analyse.
Ich beginne mit dem Begriff Transformation. Transformation, ein Begriff aus der
Politikwissenschaft, bedeutet den Wechsel oder kompletten Austausch eines
Wirtschaftssystems: Für Tschechien war die Transformation der Übergang von der
Planwirtschaft zur Marktwirtschaft. Die beiden US-amerikanischen
Wirtschaftswissenschaftler Jeffry Sachs und David Lipton haben für die
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Transformation im Mai 1989 einen Bauplan, im Sinne einer Prioritätenliste, mit
folgenden Punkten entworfen:
(a)
Makroökonomische Stabilisierung
(b)
Privatisierung
(c)
Institutionalisierung (Schaffung marktkonformer Institutionen).
Sie haben damit eine Sequenz von Maßnahmen vorgeschlagen.
Aber wie kann der komplette Austausch einer Wirtschaftsordnung in der Praxis
gelingen? Welches sind die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für eine
erfolgreiche Transformation?
Die Wirtschaftstheorie und -empirie zeigt, dass der Privatisierung im
Transformationsprozess eine ganz entscheidende Bedeutung zukommt. Nach allem
was wir wissen, muss jedoch zunächst der gesamtwirtschaftliche Kreislauf in
Ordnung gebracht werden. Das bedeutet, makroökonomische Ungleichgewichte
müssen abgebaut werden mit dem Ziel, die Gesamtwirtschaft der
Transformationsökonomien zu verstetigen.
Ist der Tschechischen Republik diese makroökonomische Verstetigung gelungen?
Ich möchte dies sehr kurz anhand von vier makroökonomischen Größen aufzeigen:
Wachstum, Inflation, Arbeitslosigkeit, Außenwirtschaft.
Wachstum: das Bruttoinlandsprodukt (BIP), d. h. die Wirtschaftsleistung einer
Volkswirtschaft. Der zeitliche Verlauf des BIP sieht zunächst gut aus; es fehlt jedoch
die Vergleichsbasis. Ich werde diese Vergleichsbasis etwas später aufzeigen. Auf
jeden Fall liegt ein positiver Trend vor (Bild 1).
Inflation: die Inflationsrate, d. h. die Veränderung des durchschnittlichen Preisniveaus
gemessen am Verbraucherpreisindex. Es gab eine Phase hoher Inflationsraten, was
in Tschechien sehr niedrige Reallöhne zur Folge hatte. Heute ist die
Preisentwicklung unter Kontrolle (Bild 2).
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Arbeitslosigkeit: Arbeitslosenquote, d. h. der Anteil der Arbeitnehmer in einer
Volkswirtschaft der in keinem Beschäftigungsverhältnis steht, der aber auf der
Suche nach einem Beschäftigungsverhältnis ist. Die Arbeitslosenquote verläuft
unstetig. Gegenwärtig zeigt die Arbeitslosenquote einen abnehmenden Trend (Bild
3).
Außenwirtschaft: (a) realer effektiver Wechselkurs, d. h. der Preis inländischer Güter
in Einheiten ausländischer Güter für Tschechien und Deutschland. Es ist zu
erkennen, dass eine ausgeprägte reale Aufwertung für Tschechien vorliegt (Bild 4).
Der reale Wechselkurs verändert die Nettoexporte einer Volkswirtschaft. Eine reale
Aufwertung, unter sonst gleichen Bedingungen, verschlechtert die Nettoexporte.
Gleichzeitig verbessert eine reale Aufwertung die internationalen Tauschverhältnisse
für Tschechien. Das entspricht dem dualen Charakter des realen Wechselkurses.
Ich nenne den gestiegenen realen Wechselkurs die erste mögliche Herausforderung
für die Wirtschaft Tschechiens.
(b) Außenhandel mit Deutschland. Deutschland ist mit Abstand der wichtigste
Handelspartner der Republik Tschechien. Bild 5 zeigt, dass Tschechien zunächst
Nettoimporteur war. Seit 2004 ist Tschechien Nettoexporteur im (Spezialhandel)
Außenhandel mit Deutschland.
Ich möchte noch eine Kennzahl aus dem Finanzmarkt der Tschechien Republik
ansprechen, und zwar den Finanzmarktindikator.
Eine Studie der Deutschen Bundesbank von 2006 zeigt, dass über 90 Prozent der
Bankaktiva in Tschechien ausländischen Investoren gehören (Beteiligung über
Direktinvestitionen). Diese Kennzahl für den Bankensektor Tschechiens ist
bemerkenswert. In keinem Mittel- und Osteuropäischen Land ist diese
Beteiligungsquote derart hoch. Zum Vergleich: In Slowenien und Polen sind die
Anteile geringer. Slowenien: 19,3 %; Polen: 67,3 %.
Ich interpretiere das als eine zweite mögliche Herausforderung für Tschechien.
Das Ergebnis bezüglich der makroökonomischen Stabilisierung wird in einer
Feststellung und zwei Fragen zusammengefasst:
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Die aktuelle gesamtwirtschaftliche Situation Tschechiens ist durch eine
makroökonomische Stabilität gekennzeichnet. Dies lässt auf eine kalkulierbare
Wirtschaftspolitik schließen. Die Fragen sind: Welche Rückschlüsse sind aus der
hohen ausländischen Beteiligung im Bankensektor zu ziehen (systemisches Risiko)?
Was bewirkt die reale Aufwertung der tschechischen Krone?
Entsprechend der vorher genannten Prioritätenliste - Stabilisierung, Privatisierung
und Institutionalisierung – nun zur Privatisierung:
Die zentrale Reform für eine erfolgreiche wirtschaftliche Transformation ist die
Privatisierung der Staatsbetriebe. Es geht um eine Neuordnung der
Eigentumsverhältnisse. Dies kommt im Wirtschaftsleben oft vor, aber nicht in dieser
Dimension und Tragweite.
Zunächst sind Ziele und Methoden der Privatisierung zu unterscheiden:
(1) Es kann erstrebenswert sein, die Erlöse aus dem Verkauf der Unternehmen zu
maximieren. Das bedeutet für die Praxis, es muss die Zahlungsbereitschaft des
potenziellen Käufers „Reservation value“ durch eine geschickte Form der
Ausschreibung oder Auktion ermittelt und verwirklicht werden.
(2) Die Privatisierung soll rasch durchgeführt werden.
(3) Technologisches Wissen (Know-how) soll in den privatisierten Unternehmen
rasch gebildet werden, um national und international wettbewerbsfähig zu werden.
(4) Eine möglichst hohe Akzeptanz in der Bevölkerung (d. h. bei den Wahlen) soll
erreicht werden, um die Privatisierungspolitik zu unterstützen, d. h., die „politischen
Kosten“ aus der Privatisierung sollen minimiert werden.
Es gibt verschiedene Methoden der Privatisierung:
– Outsider Privatisierung (Verkauf an inländische und ausländische Investoren)
– Insider Privatisierung (Verkauf an das Management)
– Massenprivatisierung (Gutscheinprivatisierung).
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Empirische Untersuchungen bestätigen, dass im Durchschnitt die OutsiderPrivatisierung am besten abschneidet. Zum Beispiel hat sich die Privatisierung an
Insider in den GUS-Staaten und in der Ukraine negativ auf den Unternehmenserfolg
und auf die Volkswirtschaften ausgewirkt.
Die tschechische Republik hat sich, unter dem Einfluss von Professor Klaus, primär
für eine Massenprivatisierung über Gutscheine entschieden. In verschiedenen
Stufen des Privatisierungsprozesses wurden jedoch Unternehmen auch direkt
verkauft.
Jede Privatisierung ist eine strategische Entscheidung. Zum Beispiel: Sollen zuerst
die „guten“ oder die „weniger guten“ Unternehmen privatisiert werden? Eine
andere Frage stellt sich: Können wir aus der gewählten Privatisierungsmethode
Rückschlüsse über die Ziele der Regierung ableiten?
Warum ist die Art und Weise der Privatisierung für eine Transformationsökonomie so
wichtig? Warum war die von Professor Klaus gewählte Privatisierungsform so
entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg Tschechiens?
Pfadabhängigkeit; Hysterese
Dieser Begriff soll an Bild 6 veranschaulicht werden. Es handelt sich um die
sogenannte Pfadabhängigkeit der Wirtschaft. Pfadabhängigkeit bedeutet, dass die
Geschichte für die heutige Situation eminent wichtig ist.
Ausgangspunkt sei 1989: Das BIP zu Beginn der Transformation bildet die Basis.
(100 %). Aufgrund der Liberalisierung der Märkte kommt es zu einem
(vorübergehenden) Einbruch im Einkommen. Wird jedoch eine nicht passende
(falsche) Privatisierungsmethode gewählt oder die oben genannte Sequenz ist nicht
realisierbar, kann es sein, dass der Angebots- und Nachfrageschock von 1989 ein
Beharrungsvermögen (Persistenz oder Hysterese) aufweist. Das BIP erreicht lange
Zeit nicht mehr sein Ausgangsniveau.
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Formal bedeutet Pfadabhängigkeit, dass das Einkommen der Periode t, Y(t), nicht
allein von Störungen z(t) der laufenden Periode, sondern - wie die Gleichung (1) zeigt
- auch vom Einkommen und den Schocks der Vorperioden beeinflusst wird:
Y (t ) = Y (t − 1) + z (t ) .
(1)
Selbst dann, wenn die Störung z(t + 1) in der Folge verschwindet, lässt eine Wirkung
auf alle zukünftigen Einkommen nicht mehr nach, denn es ergibt sich die Gleichung:
t −1
Y (t ) = Y (0) + ∑ z (t − i ) .
i =0
(2)
Oder in einfachen Worten: Das BIP von 2007 ist abhängig vom Ausgangswert und
von der „Geschichte“ der Volkswirtschaft seit der Transformation.
Eine Nebenbemerkung: Heinrich Barkhausen von der Technischen Hochschule
Dresden hat dieses Phänomen in den Naturwissenschaften entdeckt. Die
Naturwissenschaft spricht vom Barkhausen-Effekt.
Wir kommen damit zur Empirie. Wie hat sich die Privatisierung in Tschechien, in
Bezug auf das BIP, in der Praxis bewährt?
Privatisierung – Empirie
In der grafischen Darstellung zur Empirie für die Ukraine, Polen und die Republik
Tschechien erkennt man eine sehr unterschiedliche zeitliche Entwicklung im BIP
dieser Volkswirtschaften (Bild 7). Es ist ersichtlich, dass auch für die Tschechische
Republik eine Pfadabhängigkeit gegeben war.
Eine Interpretation bietet sich hier an. Die Privatisierung allein hat keinen
signifikanten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft. Erst wenn
ein gewisser Schwellenwert an rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen
erreicht ist, hat Privatisierung einen positiven Effekt auf das gesamtwirtschaftliche
Wachstum.
8
Nun zu einer ökonomischen Besonderheit der Republik Tschechien: Tschechien
weist eine Hauptstadt-zentrierte wirtschaftliche Entwicklung auf. Wird das Pro-KopfEinkommen der Republik auf 1 (oder 100) normiert, zeigen sich für Prag und die
übrigen Regionen des Landes erhebliche Einkommensunterschiede (Bild 8). Diese
Einkommens-Divergenz bedeutet für die Regionalpolitik des Landes eine besondere,
die dritte mögliche Herausforderung für Tschechien.
Fazit zur Privatisierung
Die Privatisierung in Tschechien war überwiegend erfolgreich. Durch die gewählte
Methode war die Akzeptanz in der Bevölkerung sehr hoch. Die Pfadabhängigkeit des
Einkommens zeigt: Die Privatisierung ist notwendig, aber nicht hinreichend für einen
wirtschaftlichen Erfolg. Erst wenn ein Schwellenwert an marktwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen erreicht ist, hat Privatisierung einen positiven Effekt auf den
Unternehmenserfolg und auf das wirtschaftliche Wachstum.
2 Herausforderung durch die Globalisierung in der Gegenwart
Die Internationalisierung der Volkswirtschaften bewirkt eine Vergrößerung der
Marktopportunitäten. Diese Markt-Opportunitäten zu nutzen verlangt von den
Marktteilnehmern Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität, besonders hinsichtlich drei
Punkten:
Erstens: Wo steht die Tschechische Republik im internationalen GlobalisierungsRanking?
Zweitens: Welche Implikationen ergeben sich aus der Globalisierung für den
Arbeitsmarkt?
Drittens möchte ich in einem Exkurs aufzeigen, wie sich die tschechischen
Exporteure gegenüber dem Wechselkursrisiko verhalten (quasi als ein Test für
marktwirtschaftliches Verhalten).
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Wie kann die Globalisierung gemessen werden?
Wir können die Globalisierung durch den internationalen Handel, die internationalen
Kapitalbewegungen, durch die Arbeitskräftewanderungen und durch die
Beschränkungen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen quantifizieren. Nach
dieser Methode misst der Globalisierungsindex vom Januar 2007 der ETH Zürich
(KOF-Index) die Globalisierung von 122 Ländern, für einen Zeitraum von 1970 bis
einschließlich 2005, mit 25 erklärenden Variablen, d. h., es liegt uns ein sehr
umfassender Globalisierungsindex vor.
Tschechien liegt bei der ökonomischen Globalisierung auf Rang 13. Deutschland auf
Platz 40. China (Rang 55) ist ökonomisch relativ wenig globalisiert, da
Beschränkungen dort nach wie vor eine große Rolle spielen. Darüber hinaus zeigt
der Globalisierungsindex 2007, dass von 122 Ländern neben Portugal, die Republik
Tschechien den größten Sprung nach oben im Globalisierungsranking gemacht hat.
Arbeitsmarktanalyse
Wie können wir aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht die Frage nach dem Einfluss
der gestiegenen Globalisierung auf den Arbeitsmarkt beantworten?
In Marktwirtschaften übertragen sich relative Kostenvorteile in relative Preisvorteile;
die relativen Preisvorteile erklären den Außenhandel. Das ist allgemein bekannt. Aber
welchen Zusammenhang gibt es zwischen den komparativen Vorteilen, dem
Außenhandel und der Arbeitslosigkeit? Arbeitslosigkeit nicht im Sinne eines
konjunkturellen Phänomens, sondern der Arbeitslosigkeit, die sich aus der Institution
des Arbeitsmarktes ergibt - die sogenannte „Natürliche Arbeitslosenquote“ im Sinne
von E. S. Phelps, dem Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft im vergangenen
Jahr.
Nach allem, was wir über den Arbeitsmarkt wissen, hat der Lohn nicht nur eine
Markträumungsfunktion, sondern auch eine Anreizfunktion. Es gibt den
Anspruchslohn (Reservationslohn); es gibt den Lohn als Anreiz zur Vertragserfüllung;
Arbeitslosigkeit führt zu Marktwertverlusten im Humankapital. Die
wirtschaftswissenschaftliche Literatur zeigt, wir können den Arbeitsmarkt als einen
Markt interpretieren, auf dem Humankapital gehandelt wird.
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Das Menschenbild der Volkswirte und Betriebswirte ist nicht überall beliebt oder
gefragt. Aber der Humankapitalansatz liefert brauchbare empirische Ergebnisse und
wichtige Informationen für die Arbeitsmarktpolitik.
Mit Hilfe der Finanzwirtschaft können wir Humankapital in Analogie zum
Finanzkapital (mit Hilfe der Bellman-Gleichung und Arbitragebedingungen, wie in
Gleichung (3) und (4) gezeigt) gedanklich so modellieren, dass wir wichtige stilisierte
Faktoren der Arbeitsmärkte herausarbeiten können:
r ⋅ Ve = w + s ⋅ (Vu − Ve ) − e + V&e
(3)
r ⋅ Vu = w + f ⋅ (Ve − Vu ) − e + V&u .
(4)
Gleichung (3) und (4) sind fundamentale Finanzmarktgleichungen mit der
Besonderheit, dass sie für das Humankapital verwendet werden.
V ist der Marktwert des Humankapitals. Im Arbitrage-Gleichgewicht muss der
alternative Zinsertrag rV, den der Arbeitnehmer verdienen würde, wenn er V zum
Zinssatz r am Kapitalmarkt anlegt, gleich dem Einkommen sein, welches das
Humankapital auf dem Arbeitsmarkt verdient, abzüglich des Verlustes aus dem
Arbeitsleid. Der Humankapitalertrag hat zwei Komponenten, den Lohn w und den
Vermögensverlust, mit dem der Arbeitnehmer rechnen muss, wenn er am Ende der
Periode arbeitslos wird. Die Kündigungswahrscheinlichkeit ist s. Plus die zeitliche
Bestandsveränderung. Ve, Vu stehen für den Marktwert eines beschäftigten und
eines nicht beschäftigten Arbeitnehmers.
Welche Relevanz und Aussagekraft hat dieser Humankapitalansatz? Der
Humankapitalansatz liefert Informationen über das Risiko, arbeitslos zu werden, die
Wahrscheinlichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden; der Ansatz erklärt Determinanten
der Dauer der Arbeitslosigkeit, den Anspruchslohn, Anreize zur Vertragserfüllung,
Marktwertverlust aus der Arbeitslosigkeit und die Institutionen des Arbeitsmarktes
spielen eine große Rolle in den Arbitragebedingungen (3) und (4).
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Der Humankapitalansatz für den Arbeitsmarkt einerseits und das sogenannte
Heckscher-Ohlin Modell zur Erklärung von komparativen Vorteilen in der Produktion
andererseits ermöglichen es, den ökonomischen Zusammenhang zwischen der
Globalisierung und der Arbeitslosigkeit zu modellieren und empirisch zu überprüfen.
Arbeitsmarkt, Außenhandel und Konvergenz
In Bild 9 werden zwei identische Volkswirtschaften betrachtet, die sich lediglich in
der relativen Ressourcenausstattung unterscheiden (etwa in der Kapitalausstattung
pro Arbeitsplatz). Aus dem Zusammenspiel von relativen Preisvorteilen,
Außenhandel (linke Seite der Abbildung) und Humankapital (AM-Kurve; rechte Seite
der Abbildung) zeigt sich im Ergebnis eine Konvergenz der Arbeitslosenquoten
(„natural rate of unemployment“).
In Punkt A (vor Handel) liegt beispielsweise Tschechien (das relativ arbeitsreich
ausgestattet ist) und in Punkt A* (vor Handel) liegt Deutschland (das relativ
kapitalreich ausgestattet ist). Der relative Preisvorteil im arbeitsintensiven Gut (P ist
der Relativpreis für das arbeitsintensiv hergestellte Gut) führt über den Außenhandel
zum Freihandelspreis Pf und zu einer Verbesserung der Beschäftigung in Tschechien
P
[die Beschäftigungsquote (1 - u) erhöht sich] und zu einer Verschlechterung der
Beschäftigung in Deutschland [(1-u) verringert sich]. Durch den freien Außenhandel
konvergiert die natürliche Arbeitslosigkeit gegen ein einheitliches Niveau: 1 – uf.
Unter anderen Voraussetzungen kann jedoch folgende Situation für Tschechien
relevant sein. Der Punkt A kann auch Bulgarien oder Rumänien repräsentieren und
Punkt A* stellt die Situation für Tschechien dar. Das heißt, der positive
Beschäftigungseffekt wirkt zugunsten von Bulgarien oder Rumänien, während der
Außenhandel die Beschäftigungsquote in der Tschechischen Republik verringert.
Dies kann als vierte mögliche Herausforderung für Tschechien bezeichnet werden.
Aus der volkswirtschaftlichen Literatur ist bekannt, dass man die natürliche
Arbeitslosenrate (die durch Geld- und Fiskalpolitik nicht nachhaltig beeinflusst
werden kann) nicht mit der sogenannten inflationsstabilen Arbeitslosenrate (NAIRU)
verwechseln darf. Aber die inflationsstabile Arbeitslosenrate (NAIRU) gibt trotzdem
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näherungsweise einen ersten empirischen Eindruck von der natürlichen
Arbeitslosenrate im Sinne von einem Zeitprofil und der Größenordnung.
Bild 10 zeigt die inflationsstabile Arbeitslosenrate für Deutschland und Österreich.
Dass die inflationsstabile Arbeitslosenrate nicht unveränderlich ist, zeigt die Kurve für
Irland.
Die inflationsstabile Arbeitslosenquote für Tschechien zeigt kein einheitliches Bild.
Das mag aber an unseren Berechnungen liegen (Bild 11).
Fazit
Tschechien ist ökonomisch stark globalisiert. Die Globalisierung kann eine
Konvergenz der Arbeitslosenquoten mit sich bringen. Das arbeitsreiche Tschechien
erfährt eine Verbesserung der Beschäftigung, das kapitalreiche Deutschland eine
Verschlechterung der natürlichen Arbeitslosenquote. Die Situation kann sich aber
auch umkehren, da sich die komparativen Vorteile in der Zeit verändern können.
Exkurs: Konvergieren die tschechischen Exporteure? Das heißt, beachten die
tschechischen Exporteure beispielsweise das Wechselkursrisiko des Euro bei ihren
Exportentscheidungen? Eine Form der Risikopolitik ist die Wahl der
Fakturierungswährung.
Welche Fakturierungswährung verwenden die tschechischen Exportunternehmen?
Welche Währung ist optimal? Welchen Rat gibt die Wirtschaftstheorie? Die
Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre gibt folgende Empfehlung: Ist der
Marktanteil am Weltmarkt relativ gering und/oder die Nachfrageelastizität nach den
Exportgütern ist relativ groß, dann sollten die tschechischen Exporteure in der
Währung des Ziellandes (Importlandes) fakturieren, also beispielsweise in Euro (und
nicht in der heimischen Währung). Dadurch kann der erwartete Marktwert aus der
Exportaktivität erhöht werden.
Bild 12 zeigt, dass die tschechischen Unternehmen den marktwirtschaftlichen
Prinzipen folgen. Sie fakturieren mehrheitlich in Fremdwährung.
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3 Die EU und ihre Institutionen
Ich komme nun zum dritten und letzten Teil meiner Ausführungen. Zwei Punkte
möchte ich ansprechen die sich mit der Europäischen Union (EU) beschäftigen. Ein
Thema, das Sie, Professor Klaus, stets mit großer Aufmerksamkeit und kritisch
verfolgen.
Für eine fundierte Analyse sind eigentlich die Politikwissenschaften zuständig. Daher
möchte ich mich auf einen ökonomischen Zusammenhang zwischen den EUInstitutionen, dem Außenhandel und der (allokativen) Effizienz demokratischer
Institutionen beschränken.
Konvergenz von Institutionen
Die wirtschaftswissenschaftliche Analyse (im Besonderen die Allokations- und
Preistheorie) zeigt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen den (formellen
und informellen) Institutionen und der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes
gibt. Vertragsfreiheit, Eigentumsrechte, funktionierendes Preissystem,
Wettbewerbsrecht sind die Grundlagen einer Marktwirtschaft.
Das ifo-Institut in Dresden hat im vergangenen Jahr eine empirische Analyse
veröffentlicht, die sich mit den Institutionen in den neuen, osteuropäischen EULändern beschäftigt. Gegenstand der Analyse ist die rechtliche Angleichung, d. h. die
Konvergenz der EU-Institutionen in den zehn Mittel- und Osteuropäischen Ländern
(MOEL).
Die vorher genannte empirische Studie zeigt: Aus der Konvergenz der Institutionen
in den MOEL ergibt sich eine beachtliche handelsschaffende Wirkung (Trade
Creation). Errechnet wird ein großes Handelspotenzial für Deutschland und die
Republik Tschechien. Im Besonderen wird ein Handelspotenzial der Nachbarländer
Tschechien und Sachsen prognostiziert.
Mit Hilfe der Gravitationsgleichung der Außenwirtschaft wird empirisch für den
deutschen Außenhandel mit Tschechien ein Handelspotenzial von durchschnittlich 7
Prozent pro Jahr geschätzt (Exporte als auch Importe) – für die Dauer von ca. 10
Jahren.
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Da Tschechien ein wichtiger Handelspartner für die Wirtschaft des Freistaates
Sachsen ist, profitiert Sachsen im Besondern von der Konvergenz der Institutionen in
Tschechien. Bild 13 soll die Bedeutung des Handels (Importe) zwischen der Republik
Tschechien und dem Freistaat Sachsen dokumentieren.
Effizienz und Demokratie
Zum Thema öffentlicher Entscheidungsfindung, etwa in der EU, hält die
Finanzwissenschaft ein Theorem bereit: das sogenannte Condorcet-Theorem. Das
Theorem beweist unter wenig strengen Annahmen die Überlegenheit der
demokratischen Mehrheitswahl.
Die Demokratie ist effizient, weil sie das Wissen aller Bürger nutzt. Das könnte
bedeuten: Je mehr Bürger sich an den Entscheidungen in der EU beteiligen, desto
größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die richtige Politik in einer
Mehrheitswahl durchsetzt. Wie der erste Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie der
Volkswirtschaftslehre beschreibt dieses Theorem eine Idealsituation. Das CondorcetTheorem kann jedoch als Referenzfall für die Überprüfung der Effizienz
demokratischer Institutionen in realistischeren Situationen dienen.
Fazit zur EU
Konvergenz der EU-Institutionen in Mittel- und Osteuropa führt zu mehr
Außenhandel (Trade Creation). Tschechien und Sachsen profitieren von dieser
rechtlichen Annäherung im besonderen Maße. Je mehr Bürger sich an EUEntscheidungen beteiligen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass die
richtige Politik in einer Mehrheitswahl gewählt wird.
Laudatio
Professor Dr. Václav Klaus hat sich im besonderen Maße um die
wirtschaftswissenschaftliche Analyse des ökonomischen Prozesses der
Transformation und der Globalisierung der mittel- und osteuropäischen Länder
verdient gemacht. Seine berufliche und politische Tätigkeit beruht auf seiner tiefen
15
Überzeugung, dass die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes zuallererst auf der
Freiheit der Märkte beruht.
Quellen
Broll, Udo; Fuchs, Frank; Wahl, Jack: Optimale Fakturierung im Außenhandel. In:
Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften. Band 57 (2006) 3, S. 273-280
Corneo, Giacomo: Öffentliche Finanzen: Ausgabepolitik. Tübingen: Mohr Siebeck,
2003
Deutsche Bundesbank: Determinanten der Leistungsbilanzentwicklung in den mittelund osteuropäischen EU-Mitgliedsländern und die Rolle deutscher
Direktinvestitionen. Monatsbericht Januar 2006. S. 17-22
Falvey, Rod; Kreickemeier, Udo: Recent Developments in International Trade Theory.
Cheltenham: Edward Elgar Publishing Limited, 2005
Husain, Aasim; Sahay, Ratna: Does Sequencing of Privatization Matter in Reforming
Planned Economies? In: IMF Staff Papers 39 (1992), S. 801-824
Rodrik, Dani: Has Globalization gone too far? Washington, DC.: Institute for
International Economics, 1994
Sachs, Jeffrey: Das Ende der Armut. Ein ökonomisches Programm für eine gerechte
Welt. München: Pantheon, 2006
Schnitzer, Monika: Privatisierung in Osteuropa: Strategien und Ergebnisse. In:
Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4 (2003), S. 359-377
o. V.: Press Release: KOF Index of Globalization 2007. In: Eidgenössische
Technische Hochschule Zürich 2007-01-19, S. 1-6
16
Fuchs, Michaela; Wohlrabe, Klaus: Das Außenhandelspotenzial in der erweiterten
Europäischen Union. In: ifo Dresden (2006) 5, S. 13-23
Bild 1. Bruttoinlandsprodukt (Tschechien), Mrd. US-Dollar [Quelle: IWF 2007]
Bild 2. Inflationsrate (CPI) [Quelle: IWF 2007]
Bild 3. Arbeitslosenquote [Quelle: Eurostat 2007]
Bild 4. Realer effektiver Wechselkurs [Quelle: IWF 2006]
Bild 5. Tschechischer Außenhandel mit Deutschland (Mrd. US-Dollar) [Quelle: IWF
2006]
Bild 6. Pfadabhängigkeit
Bild 7. Bruttoinlandsprodukt in Prozent [Quelle: OECD 2006]
Bild 8. Bruttoinlandsprodukt pro Kopf [Quelle: Eurostat 2005]
Bild 9. Arbeitsmarkt, Außenhandel und Konvergenz
Bild 10. „Natürliche“ Arbeitslosenrate [Quelle: OECD: NAIRU 2006]
Bild 11. NAIRU für Tschechien [Quelle: IMF, Czech. Statistics Office 2007]
Bild 12. Export und Fakturierung in Euro [Quelle: EZB 2006]
17
Bild 13. Sachsens wichtigste Importländer [Quelle: Statistisches Landesamt Sachsen
2007]
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