16.9 Purinstoffwechselstörungen und Gicht H.-E. Schröder 1. Einleitung Purinstoffwechselstörungen und speziell die Gicht gehören wahrscheinlich mit zu den ältesten Krankheitserfahrungen der Menschheit. Die Erkrankungen traten in räumlich und zeitlich getrennten Kulturbereichen gleichzeitig auf. Seit dem Altertum zählt die Gicht zu den typischen Wohlstandskrankheiten. Hippokrates hatte bereits genaue Kenntnisse zur Vererbbarkeit, zum Wesen der Krankheit, der Klinik und zur spezifischen Wirkung von Colchicin im akuten Anfall. Viele berühmte Persönlichkeiten der Geschichte litten an einer Gicht (Übersicht bei Merz, 1987). In letzter Zeit konnte die Erkrankung bei Karl V. eindeutig gesichert werden (Ordi et al., 2006). Die in Notzeiten sehr seltene Gicht hat nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in den hochindustrialisierten Staaten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Veränderte Ernährungs- und Lebensgewohnheiten führen dazu, dass etwa 1 bis 2 % aller Erwachsenen eine Gicht aufweisen (Thiele et al., 1986; Schröder, 1993; Luk et al., 2005; Mikuls et al., 2005; Zhang et al., 2006; Annemanns et al., 2007). Zu beachten ist auch der Anstieg der Serumharnsäurespiegel (SHS) bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Da sich die Gicht nach einem Mengen-Zeit-Faktor (Höhe des SHS und Lebenszeitdauer) entwickelt, stellt dies ein zunehmendes Risikoprofil dar (Campion et al., 1987; Schröder 1993). 2. Molekulare Grundlagen der Purinstoffwechselstörungen Die Purinnukleotide entstammen auf der einen Seite aus der Neusynthese über Ribose-5-Phosphat, auf der anderen Seite aus dem wesentlich ökonomischeren Wiederverwertungsstoffwechsel aufgenommener Purinbasen (Salvage Pathway). Ausgangssubstrat für die Neusynthese von Purinen ist Ribose-5-Phosphat. Dieses wird in einem ersten Schritt durch die Phosphoribosyl-Pyrophosphat-Synthetase (PRPP-Synthetase) unter Mitwirkung von Adenosintriphosphat (ATP) in Phosphoribosyl-Pyrophosphat (PRPP) überführt. Über verschiedene Zwischenschritte entsteht Inosinmonophosphat, das das Ausgangssubstrat für alle anderen Purinnukleotide darstellt (siehe Abb. 1). Sowohl Synthese, als auch Abbau und Reutilisierung der Purine sind essentiell zur Aufrechterhaltung der wichtigsten Purinpools (ATP, GTP, DNS, RNS). Für Zellen, die Purinnukleotide auch über Recycling bilden können, wird möglicherweise der energiesparendere Weg bevorzugt. Hauptursache für die Entstehung der Gicht ist die limitierte Ausscheidungskapazität der Harnsäure über die Nieren. Es werden nur 10 % der filtrierten Menge renal ausgeschieden. Diese Exkretionsbreite wird häufig durch unterschiedlich ausgeprägte genetisch bedingte familiäre Störungen der renalen Harnsäureexkretion zusätzlich eingeengt. Bei der Aufklärung der Störungen von Urattransporten stehen wir erst am Anfang. Einige Transportsysteme konnten in letzter Zeit aufgeklärt werden (Enomotu et al., 2005; Mount et al., 2006; Graessler et al., 2006; Hagos et al., 2007; Unger et al., 2007; Vitart et al., 2008). Enzymdefekte der De-novo-Biosynthese sowie der Umwandlung der Purine, die zur Harnsäureüberproduktion führen, stellen – im Gegensatz zu renalen Störungen – seltene Ereignisse dar. Am bekanntesten ist die Aktivitätsminderung der Hypoxanthin-Guanin-PhosphoribosylTransferase (HGPR-Tase). Dadurch wird die Reutilisierung von Hypoxanthin und Guanin herabgesetzt. Der komplette Ausfall führt zum Lesh-Nyhan-Syndrom (Syndrom der zerebralen Schädigung und Hyperurikämie). Sehr selten ist 565 Buch 3.indb 565 15.10.2009 11:40:08 Kap. 16.9 H.-E. Schröder Abb. 1. Vereinfachtes Schema der De-novoBiosynthese, der Umwandlung und des Abbaus von Purinnukleotiden eine Erhöhung der Aktivität der PhosphoribosylPyrophosphat-Synthetase (PRPP-Synthetase). 3. Harnsäurepool Da Primaten das Enzym Urikase fehlt, stellt Harnsäure das Stoffwechselendprodukt dar. Der Harnsäurepool wird gebildet aus: r r r Die Leber spielt bei der De-novo-Biosynthese die entscheidende Rolle. Die Ausscheidung der schlecht wasserlöslichen Harnsäure erfolgt zum überwiegenden Teil (bis 80 %) über die Nieren. Der Rest unterliegt der bakteriellen Urikolyse im Darm (siehe Abb. 2). Normalerweise beträgt der Harnsäurepool etwa 1,2 g. Die tägliche Turnover liegt bei etwa 60 %. Bei der Gicht steigt der Harnsäurepool auf ein vielfaches an. dem endogenen Anteil aus dem Nukleotidabbau der direkten Synthese aus einfachen Stickstoffverbindungen sowie dem exogenen Anteil aus der Nahrung. 566 Buch 3.indb 566 15.10.2009 11:40:10 Purinstoffwechselstörungen und Gicht Abb. 2. Schematische Darstellung des Harnsäurestoffwechsels (nach Schröder, 1993) 4. Klinik der Gicht 4.1. Asymptomatisches Stadium Am Beginn der Stoffwechselstörung steht eine Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut (Hyperurikämie). Diese ist am Anfang nur intermittierend bei Belastungssituationen (Purinreiche Ernährung, vermehrter Alkoholzufuhr, starke ungewohnte körperliche Belastungen) nachweisbar (labile Form). Wirken diese Störfaktoren über längere Zeit, entsteht eine permanente Hyperurikämie (stabile Form). Primäre und sekundäre Ursachen einer Hyperurikämie enthält Tabelle 1. Die Hyperurikämie stellt zunächst nur eine biochemische Entgleisung dar. Erst bei einer Vergrößerung des Harnsäurepools können klinische Erscheinungen auftreten (Campion et al., 1987). Die Harnsäure kann oberhalb ihrer Löslichkeitsgrenze (über 390 μMol/l, 6,5 mg/dl, pH 7,4, Körpertemperatur 37°) a ls Uratkristalle ausfallen. 4.2. Akuter Gichtanfall (Arthritis urica) Häufig ist der akute Gichtanfall die erste klinische Manifestation der Gicht. Ausschlaggebend für die Auslösung sind örtliche Bedingungen im Gelenk (niedrige Temperatur, starke mechanische Belastungen, pH-Abfall). Beim Gichtanfall handelt es sich um eine hochakute, in kurzer Zeit sich entwickelnde Entzündung. In etwa 80 % ist das Groß-Zehengrundgelenk (Podagra) betroffen (siehe Abb. 3). Fußwurzel und Sprunggelenke folgen an zweiter Stelle (11 %). Relativ häufig ist das Daumensattel567 Buch 3.indb 567 15.10.2009 11:40:11 Kap. 16.9 H.-E. Schröder Tabelle 1. Primäre und sekundäre Ursachen einer Hyperurikämie Erniedrigte renale Harnsäure-Ausscheidung (wichtigste Form) Genetisch bedingt Häufigste Ursache Medikamenteneinfluss Thiazide!, Schleifendiuretika, Ciclosporin Renale Ursachen Hypertonie, chronische Niereninsuffizienz, Polyzystische Nierendegeneration, Sonderform: Akutes Nierenversagen bei Tumor-Lyse-Syndrom Metabolische Faktoren Laktazidose, Ketose Abb. 3. Typischer Gichtanfall im Großzehengrundgelenk (Podagra) Erhöhte Harnsäure-Produktion Genetisch bedingt Enzymdefekte (selten!) Ernährungsbedingt Purinreiche Kost (Hauptursache), Fruktosezufuhr Hämatologische Ursachen Lympho- und myeloproliferative Erkrankungen, Tumor-LyseSyndrom Kombinierte Ursachen Dehydratation, Schock, Alkohol, Metabolisches Syndrom Abb. 4. Akuter Gichtanfall im Zeigefinger gelenk betroffen (Chiragra). Es kann aber auch jedes andere Gelenk betroffen sein (Schröder, 1993). Pathophysiologisch steht im Mittelpunkt des akuten Gichtanfalls die Ausfällung von Mono-Natrium-Urat (MNU). Die MNU-Kristalle erzeugen ein entzündliches Infiltrat, das reich an Neutrophilen ist. Laborschemisch findet sich eine Leukozytose sowie eine Erhöhung der Entzündungsparameter (BSG, CRP, Serum Amyloid A). Eine entscheidende Rolle im Pathomechanismus des Gichtanfalls spielt das angeborene Immunsystem. Aus den geschädigten Zellen werden Zellprodukte freigesetzt, die zu einer Aktivierung von Phagozyten und zur Freisetzung von Zytokinen und Chemokinen führen. In der pathogenetischen Kaskade spielen auch die „Toll-like-Rezeptoren“ (TLR) eine entscheidende Rolle (Cronstein et al., 2006). Die transmembranen Rezeptoren setzen bei Bindung an extrazelluläre Liganden die Zellaktivierung und Zellproliferation in Gang. Eine weitere wichtige Rolle spielt das „Inflammasom“. MNU-Kristalle sind in der Lage eine IL-1E Freisetzung durch Wechselwirkung mit dem zytoplasmatischen Komplex auszulösen. IL-1E ist ein entscheidender Mediator der Entzündung im akuten Gichtanfall (So, 2007). Gichtanfälle sind selbst limitierend. Die Entzündung klingt nach etwa 14 Tagen spontan ab. 568 Buch 3.indb 568 15.10.2009 11:40:13 Purinstoffwechselstörungen und Gicht Abb. 5. Sonographie Abb. 6. Röntgenbild 4.3. Interkritische Phase den vorhanden sein. Erste Hinweiszeichen können eine Proteinurie, eine Mikrohämaturie oder eine Leukozyturie sein. Die Uratnephrolitiasis stellt eine Organmanifestation dar, die vor allem durch einen sauren Urin-pH-Wert als Zeichen der nephrogenen Störung hervorgerufen wird. Interessant ist, dass etwa 80 % der Kalziumoxalatsteinbildner eine Hyperurikämie aufweisen. Dadurch wird das Gleichgewicht von litholytischen und lithogenen Substanzen zur lithogenen Seite verschoben. Es fällt das am schlechtesten lösliche Kalziumoxalat zuerst aus. Daraus ergibt sich ein wichtiger Therapieansatz bei rezedivierenden Kalziumoxalatsteinbildnern. Durch Gabe von Allopurinol kann sehr wirksam neuen Kalziumoxalatsteinbildungen vorgebeugt werden (Schröder, 1993). Die morphologischen Schäden können alle Strukturen des Nierengewebes betreffen (Steele, 1991; Ruilope et al., 2001). So sind glomeruläre, tubuläre, interstitielle und vaskuläre Veränderungen bekannt, die allmählich zur Niereninsuffizienz führen können. Eine terminale Niereninsuffizienz durch eine Gichtnephropathie ist heute aber sehr selten geworden. Die akute Harnsäurenephropathie stellt eine Sonderform im Rahmen des Tumor-Lyse-Syndroms dar. Durch den massiven Zellzerfall kommt es zu einem akuten Anstieg der Harnsäurewerte mit Ausfällung von Harnsäure im Tubulussystem, so Die Zeit zwischen den Gichtanfällen wird als interkritische Phase bezeichnet. Sie kann Wochen bis Jahre dauern. Die Patienten können in dieser Zeit beschwerdefrei sein oder uncharakteristische Arthralgien aufweisen. Wichtig ist, dass auch in dieser Zeit im synovialen Milieu MNUKristalle gefunden werden. 4.4. Chronisch tophöse Gicht Diese schweren Formen einer Gicht sieht man heute nur noch selten. Die wesentliche Ursache für den Rückgang scheint die frühzeitig einsetzende medikamentöse Harnsäuresenkung zu spielen. Harnsäureablagerungen finden sich vor allem in bradytophen Geweben, so im Knorpel, in der Synovia, in Schleimbeuteln und Sehnenscheiden. Es kommt durch Anlagerungen bzw. Einbau kristalliner Urate zur Tophusbildung. Die Tophi können zur Zerstörung von Weichteilen, Knorpel- und Knochensubstanz führen (siehe Abb. 5 und 6). 4.5. Gichtnephropathie Eine Nierenbeteiligung bei Purinstoffwechselstörungen kann noch vor den Gelenkbeschwer- 569 Buch 3.indb 569 15.10.2009 11:40:16 Kap. 16.9 H.-E. Schröder dass eine Oligurie bis Anurie resultieren kann. Es kommt zu einem „Gichtanfall“ im Bereich der Nieren. 6. Therapie der Gicht 5. Diagnostik der Purinstoffwechselstörungen Grundpfeiler therapeutischer Überlegungen sollte in jedem Fall eine ausführliche Ernährungsberatung sein, die nicht nur die Purinstoffwechselstörungen, sondern gleichzeitig auch andere metabolische Entgleisungen berücksichtigt. Das setzt eine grundlegende Lebensstiländerung voraus. Hauptursache für eine Hyperurikämie ist heute die drastisch gestiegene exogene Purinzufuhr in Verbindung mit einem ständig steigenden Alkoholkonsum und mangelnder körperlicher Aktivität (Choi et al., 2004; Luk et al., 2005; Saag et al., 2006; Tausche et al., 2006). An diesen 3 Ursachen muss hauptsächlich die Lebensstiländerung vorgenommen werden. Die Senkung der Purin- bzw. Harnsäurezufuhr ist der wichtigste Baustein, wobei sich aus dem 3-fachen des Puringehaltes eines Lebensmittels der Harnsäuregehalt ergibt (Montag et al., 1989) – Beispiel: 100 g Schweinefleisch enthalten 68 mg Purine bzw. 205 mg Harnsäure. Eine harnsäurearme Kost liegt vor, wenn die Harnsäurezufuhr bis 300 mg pro Tag (unter 2000 mg pro Woche) beträgt. Diese Reduzierung wird sicher nur akut und zeitlich begrenzt eingehalten. Mit einer moderat purinreduzierten Kost (bis 500 mg Harnsäure pro Tag, bis 3000 mg pro Woche) lassen sich nach eigenen Erfahrungen die SHS bis zu 120 μMol/l (2 mg/dl) senken, so dass in vielen Fällen keine zusätzliche Pharmakotherapie erforderlich wäre (Schröder, 1993). Bei der Berechnung der über die Nahrung zugeführten Purinmenge ist unbedingt die übliche Portionsgröße zu berücksichtigen, so dass durchaus eine kleine Portion eines sehr purinreichen Nahrungsmittels im Speiseplan enthalten sein kann. Die Angaben über den Purinbzw. Harnsäuregehalt in den Lebensmitteln schwanken in der Literatur teilweise deutlich (Montag et al., 1989; Heseker et al., 1999; www. Aus der Literatur ist gegenwärtig noch kein Goldstandard für die Diagnostik und Therapie der Gicht bekannt (Zhang et al., 2006; Jordan et al., 2007; Grusch et al., 2007). Die evidenzbasierten Empfehlungen der „The European League Against Rheumatism“ zur Diagnostik der Gicht enthalten 10 Empfehlungen für die Diagnosestellung (Zhang et al., 2006). Danach spielt der Harnsäurespiegel im Serum als spezifischer Risikofaktor zwar eine wichtige Rolle, Goldstandard ist aber der Nachweis von MNU-Kristallen in der Synovialflüssigkeit oder im Tophus-Aspirat. Den höchsten Evidenzgrad besitzt nach diesen Empfehlungen aber ein klassisches Podagra, verbunden mit einer Hyperurikämie. Röntgenologisch sind in der Frühphase der Gicht oder im akuten Gichtanfall keine Veränderungen zu erwarten. Eine Überprüfung des Urinstatus sollte immer vorgenommen werden. Die Bestimmung der Harnsäure-Clearance mit Ermittlung der fraktionellen Harnsäureausscheidung deckt eine Harnsäuretransportstörung auf und ist für die Therapieentscheidung zum Einsatz eines Urikosurikums von Bedeutung. Die Überprüfung der Harn-pH-Regulation deckt eine „Säurestarre“ als eine besondere nephrogene Störung auf. Die Bildung von Uratsteinen ist immer mit einem sauren Harn-pH verbunden. Die Gicht ist häufig mit anderen metabolischen Erkrankungen vergesellschaftet (Metabolisches Syndrom). Dazu gehören vor allem: Fettstoffwechselstörungen, Diabetes mellitus, Adipositas und Hypertonie. Diese zusätzlichen metabolischen Störungen verschlechtern die Prognose der Gicht und sind besonders bei den therapeutischen Strategien von Bedeutung (Schröder, 1993; Tausche et al., 2006). 6.1. Nicht pharmakologische Maßnahmen 570 Buch 3.indb 570 15.10.2009 11:40:16 Purinstoffwechselstörungen und Gicht Lebensmittel (essbarer Anteil) Harnsäure (mg) Portion (g) in 100 g pro Portion 0 0 150 10 – 30 3 –10 30 0–6 1–7 20 –130 0 0 20 Zucker und Süßspeisen 0 – 26 0 –10 5 – 20 Obst und Obsterzeugnisse 5 – 30 10 –70 125 Kartoffeln und Kartoffelerzeugnisse 10 –18 30 – 40 200 – 250 Gemüse und Gemüseerzeugnisse 11– 46 10 –70 150 Brot und Backwaren (Weißbrot, Semmel, Mischbrot) 30 – 50 11– 22 30 – 45 Getreideerzeugnisse 4 – 50 8 – 60 20 –180 Nüsse 22 – 40 13 – 24 60 Alkoholfreie Getränke 0 –16 0 – 32 200 Bier 10 –15 30 – 50 330 Wein und Saft 0 0 100 –125 Lebensmittel (essbarer Anteil) Harnsäure (mg) Milch und Milcherzeugnisse Käse Eier und Eierspeisen Fette (Butter, Margarine) Portion (g) in 100 g pro Portion Brot und Backwaren (Roggenbrot, Weizenvollkornbrot, Salzstangen, Zwieback) 50 –100 20 – 30 45 – 50 Gemüse und Gemüseerzeugnisse (Artischocken, Brokkoli, Rosenkohl, Schwarzwurzel, Spinat) 50 –75 80 –110 100 –150 Pilze (Birkenpilze, Steinpilze, Champignons) 50 – 80 8 –160 100 – 200 Hülsenfrüchte und Sojaerzeugnisse 55 – 80 81–116 70 –150 Trockenobst 70 –120 20 – 30 25 70 70 100 Fleisch (Rindfleisch, Hammel, Kaninchen) 118 –176 148 – 300 125 – 250 Fleischerzeugnisse (Bierschinken, Bockwurst, Rostbratwurst, Corned Beef) 85 –140 41–159 30 –150 Erdnüsse (geröstet und gesalzen) Tabelle 2. Lebensmittel mit sehr geringem Harnsäuregehalt (< 40 mg Harnsäure in 100 g) Tabelle 3. Lebensmittel mit mittlerem Purin-/ Harnsäuregehalt (50 –150 mg Harnsäure in 100 g) 571 Buch 3.indb 571 15.10.2009 11:40:16 Kap. 16.9 H.-E. Schröder Lebensmittel (essbarer Anteil) Harnsäure (mg) Portion (g) in 100 g pro Portion 154 168 – 212 198 – 210 278 193 256 – 310 248 – 310 417 125 125 –150 125 –150 150 150 –155 231 150 r Geflügel (gegart, mit Haut) r Ente, Gans, Pute, Brathähnchen 160 – 254 236 – 381 150 r Innereien (gegart) Kalb, Rind, Schwein r Leber r Zunge r Niere r Herz r Lunge r Bries (Kalb) 280 – 290 158 –180 280 – 390 210 280 – 396 1468 360 124 – 200 350 – 488 263 250 – 495 1835 125 125 125 125 125 125 r Wurst r Leber, Salami 150 –190 47– 57 30 345 518 150 150 – 237 152 – 300 153 – 463 225 – 356 114 – 258 115 – 347 150 50 – 80 75 171 257 150 r Fleisch (gegart) r Rind (Filet) r Schwein r Kalb r Pferd r Wild (gegart) r Hase, Reh, Hirsch r Fisch r Forelle r Heilbutt, Hering, Karpfen, Rotbarsch, Schellfisch, Scholle, Seelachs r Fischkonserven r Räucherfisch r Hülsenfrüchte r Erbsen (grün) nutri-science.de; www.vitanet.de; www.vis.bay ern.de). Für diese Publikation wurde hauptsächlich der Bundeslebensmittelschlüssel 1999 verwendet (BGVV, 1999) und nach Lebensmitteln mit sehr geringem, mittlerem und hohem Purin-/ Harnsäuregehalt unterschieden (siehe Tabellen 2, 3 und 4). Eine Umstellung auf eine lakto-ovo-vegetabile Kost ist die beste nichtpharmakologische Maßnahme zur Senkung des Harnsäurepools. Die Zufuhr von Alkohol sollte deutlich gesenkt werden, was auch zur Gewichtreduktion von Bedeutung ist. Auf eine Flüssigkeitszufuhr von 1,5 – 2 Litern pro Tag (Wassergehalt in den Le- Tabelle 4. Lebensmittel mit hohem Purin-/Harnsäuregehalt (> 150 mg Harnsäure in 100 g) bensmitteln nicht mitgerechnet!) muss unbedingt geachtet werden. Dadurch wird die individuell (offenbar genetisch fixierte) eingeschränkte Regulationsbreite der renalen Harnsäureausscheidung entlastet. Natriumarme Mineralwasser sind zu bevorzugen (Blutdruck!). Eine regelmäßige körperliche Aktivität im aeroben Bereich trägt ebenfalls zur Harnsäuresenkung bei und beeinflusst ein begleitendes metabolisches Syndrom günstig. 6.2. Pharmakotherapie Grundpfeiler für eine langfristige harnsäuresenkende Therapie ist das Urikostatikum Al- 572 Buch 3.indb 572 15.10.2009 11:40:17 Purinstoffwechselstörungen und Gicht Substanz Anfangsdosis Therapeutische Dosis 100 mg 100 – 300 mg Benzbromaron* 25 – 50 mg 50 –100 mg Kombination: Allopurinol/Benzbromaron 100/20 mg 100/20 – 300/60 mg 250 – 600 mg 750 –1000 mg 50 –100 mg 200 – 400 mg Allopurinol Probenecid Sulfinpyrazon Tabelle 5. Dosierungsschema der wichtigsten Harnsäuresenker * in manchen Ländern nicht mehr zugelassen lopurinol. Es sollte mit einer niedrigen Dosierung begonnen werden (50 bis 100 mg/Tag), da sonst durch einen zu raschen Eingriff in den Harnsäurepool akute Gichtanfälle provoziert werden können. Bei diesem Vorgehen entfällt eine prophylaktische Gabe von Colchicin bzw. von Nicht-steroidalen-Antirheumatika (NSAR) (Schröder, 1993; Schlesinger, 2004). Nach eigenen Erfahrungen genügen durchschnittlich 100 bis 300, maximal 600 mg Allopurinol. Höhere Dosen bringen keinen zusätzlichen Nutzen, sie steigern aber die Nebenwirkungsrate (Mikuls et al., 2006; Tausche et al., 2008). Als mögliche Alternative bei Allopurinolunverträglichkeiten kann in Zukunft ein neuer Xanthinoxidasehemmer (Febuxostat) eingesetzt werden, der in randomisierten klinischen Studien mit Allopurinol verglichen wurde (Schlesinger, 2004; Becker et al., 2005). Falls Urikostatika nicht oder nur unzureichend wirken, können Urikosurika eingesetzt werden. Es stehen Benzbromaron, Probenecid und Sulfinpyrazon zur Verfügung, welche die renale Harnsäureausscheidung anregen und besonders bei einer fraktionellen Harnsäureausscheidung unter 8 % sehr effektiv sind (Schröder, 1993). Auch hier sind kleine Anfangsdosen (z. B. Benzbromaron 20 – 25 mg/Tag) zu empfehlen (siehe Tabelle 5). Liegt eine „Säurestarre“ des Urins vor, sollte zusätzlich eine Neutralisierung des Harn-pHs auf einen Wert von 6,5 bis 7,0 mit Hilfe von Zitronensäure-Zitratgemischen vorgenommen werden. Vorsicht ist beim Einsatz von Urikusurika bei eingeschränkter Nieren- funktion, bei Urolithiasis und bei Leberschäden (Benzbromaron!) erforderlich. Über die Langzeitanwendung und Compliance zur Pharmakotherapie sowie eventuelle Therapiepausen gibt es unterschiedliche Angaben in der Literatur (Mikuls et al., 2006; Mikuls, 2007; Perez-Ruiz et al., 2006). Patienten mit einer Hyperurikämie bzw. Gicht sollen lebenslang überwacht werden. Es muss aber nicht jede Hyperurikämie medikamentös behandelt werden. Das gilt besonders für ältere Patienten ohne Zeichen einer Organmanifestation! 6.3. Therapie des akuten Gichtanfalls Die Therapie muss sehr früh einsetzen, da die Wirksamkeit der Medikamente sonst abgeschwächt ist. Orales Colchicin und/oder NSRA sind wirksame Medikamente zur Bekämpfung des akuten Gichtanfalls. In schweren Fällen können oral oder intraartikulär Steroide wirksam eingesetzt werden (Schlesinger, 2004). In Einzelfällen kann bei sehr schweren Verläufen der IL-1 Antagonist Anakinra verwendet werden. 6.4. Therapie des begleitenden metabolischen Syndroms Zum Management im Rahmen der Therapie der Gicht gehört die Therapie begleitender metabolischer Erkrankungen sowie eine optimale Blutdruckeinstellung (Hoskion et al., 2006). Die Weiterführung einer diuretischen Therapie ist wegen der harnsäuresteigernden Wirkung zu 573 Buch 3.indb 573 15.10.2009 11:40:17 Kap. 16.9 H.-E. Schröder überdenken. Eine milde urikusurische Wirkung von Losartan bei Hypertonie bzw. Fenofibrat bei Fettstoffwechselstörungen kann zusätzlich ausgenutzt werden. 6.5. Differenzialdiagnostik der Gicht Bei einer akuten Entzündung im Großzehengrundgelenk muss bei normalem SHS in erster Linie an eine aktivierte Arthrose (Hallux rigidus, Hallux valgus) gedacht werden. Das gilt besonders für Frauen in jedem Alter, da die Gicht bei Frauen vor der Menopause selten ist. Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose stellen andere Kristallarthropathien dar (Choy, 2005; Winzer et al., 2007). Die zweithäufigste Form der Kristallarthropathien ist die Chondrokalzinose (Synonyme: Pyrophosphatgicht, Pseudogicht). Sie beruht auf Ablagerungen von Kalziumpyrophosphatdihydrat (CPPD) Kristallen im Knorpel. Es kommt zur Auslösung einer akuten kristallinduzierten Synovitis, wie bei einer Gicht. Die Erkrankung tritt besonders im Bereich der Kniegelenke auf. Es gibt keine spezifische Therapie. Es wird wie bei einem akuten Gichtanfall verfahren. Eine weitere Form ist die mit basischem Kalziumphosphat (BCP) assoziierte Kristallarthropathie. Sie ist genetisch bedingt. Es kommt zur Ablagerungen von Hydroxylapatit und anderen Kristallen. Auch hier ist eine kausale Therapie nicht möglich. Bei hochakuter Entzündung mit Fieber ist eine septische Arthritis auszuschließen (Entzündungsparameter, Punktionsdiagnostik mit Erregernachweis). Alle entzündlich rheumatischen Erkrankungen können mit einer Monarthritis beginnen. Das gilt speziell für die Psoriasisarthropathie aber auch die anderen Spondylarthropathien. Die Rheumatoide Arthritis kann ebenfalls im Fußbereich beginnen (besonders fünfter Strahl, Vorfußkompressionsschmerz). In der Differenzialdiagnostik spielen weiter die reaktiven Arthritiden eine große Rolle. Beim Befall der Kniegelenke ist speziell an eine Borrelien-Arthritis zu denken (Erythema migrans in der Anamnese?). Gelenksentzündungen im Sprunggelenkbereich mit Erythema nodosum sind für eine Sarkoidose charakteristisch. Häufig wird übersehen, dass entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn) nicht selten mit Gelenkentzündungen einhergehen können. Literaturverzeichnis Annemans L, Spaepen E, Gaskin M, Bonnemaire M, Malier V, Gilbert T, Nuki G (2007):Gout in the UK and Germany: Prevalence, comorbidities and management in general practice 2000 – 2005. Ann Rheum Dis 65: 1301–1311 Becker AM, Schumacher HR, Wortmann RL, MacDonald PA, Eustace D, Palo WA, Streit J, Joseph-Ridge N (2005): Febuxostat Compared with Allopurinol in Patients with Hyperuricemia and Gout. N Engl J Med 353: 2450 – 2461 BGVV (1999) Bundeslebensmittelschlüssel (BLS), version II.3. Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BGVV), Berlin Campion EW, Glynn RJ, DeLabry LO (1987) Asymtomatic hyperuricemia. Risks and consequences in the Normative Aging Study. 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