Wie stabil sind Schwarze Löcher? How stable are Black Holes?

Werbung
Jahrbuch 2010/2011 | Andersson, Lars | W ie stabil sind Schw arze Löcher?
Wie stabil sind Schwarze Löcher?
How stable are Black Holes?
Andersson, Lars
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Potsdam-Golm
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie kann man gravitierende Systeme w ie etw a Sterne und Schw arze
Löcher beschreiben. Für einige einfache Systeme (ein ruhendes Schw arzes Loch oder ein rotierendes
Schw arzes Loch) existieren exakte und explizite Lösungen der Einsteinschen Gleichungen. Es ist von großem
Interesse, zu untersuchen, ob diese Lösungen dynamisch stabil sind, d. h. ob kleine Veränderungen der
Anfangsbedingungen zu Lösungen mit ähnlichen Eigenschaften führen. Denn nur dann sind diese exakten und
expliziten Lösungen auch physikalisch relevant.
Summary
Einstein's theory of general relativity gives a description of gravitating systems like stars and black holes. For
simple systems such as a time-independent and rotating black hole, exact and explicit solutions to the field
equations of general relativity are know n. It is of great interest to investigate w hether these solutions are
dynamical stable, i. e., if the small changes in the initial data lead to solutions w ith similar properties, since it is
only then, that the exact and explicitly know n solutions can be said to be physically relevant.
Eines der w ichtigsten theoretischen Probleme der Physik am Anfang des 20. Jahrhunderts w ar die
Unverträglichkeit der Maxw ellschen Theorie des Elektromagnetismus mit der New tonschen Theorie der
Gravitation. Einsteins spezielle (1905) und allgemeine (1915) Relativitätstheorie bedeuteten einen radikalen
Bruch
mit
dem
New tonschen
Weltbild
und
lieferten
eine
Theorie
der
Gravitation,
die
mit
der
elektromagnetischen Theorie problemlos vereinbar w ar. In Einsteins Theorie verursachen materielle Körper
eine Krümmung der Raumzeit und dadurch eine Krümmung der Bahnen von Teilchen. Eine nicht erklärbare
Fernw irkung, w ie sie für New tons Theorie charakteristisch ist, muss Einstein nicht einführen.
Einsteins Theorie der Gravitation konnte bereits kurz nach ihrer Formulierung ein Phänomen erklären, das den
Astronomen schon lange ein Rätsel w ar: die Drehbew egung des Merkur-Perihels. W ährend sich in New tons
Theorie die Planeten auf immer gleich bleibenden Ellipsen bew egen, drehen sich die Ellipsenbahnen gemäß der
Relativitätstheorie mit jedem Umlauf etw as w eiter. Dadurch w andert auch der sonnennächste Punkt, der
"Perihel", w as mit den astronomischen Beobachtungen übereinstimmt, die w eder die New tonsche Physik noch
die Physik des 19. Jahrhunderts erklären konnten. Dabei gab es Ansätze, den Effekt mit dunkler Materie zu
erklären (Postulierung des Planeten Vulkan durch Le Verrier, 1859) und durch eine Veränderung der
© 2011 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
1/6
Jahrbuch 2010/2011 | Andersson, Lars | W ie stabil sind Schw arze Löcher?
Gravitationstheorie (modifiziertes Gravitationsgesetz von Hall, 1894).
Die Erklärung der Bew egung des Merkur-Perihels w ar somit die erste Gelegenheit, die neue Theorie in der
Praxis zu überprüfen. Einstein berechnete die Bahnen von Teilchen im Gravitationsfeld eines zentralen Körpers
mithilfe einer Näherungslösung seiner Gleichungen und konnte so die beobachtete Anomalie erklären. Eine
w eitere w ichtige Bestätigung der Theorie lieferte der britische Astrophysiker Arthur S. Eddington: Bei der
Sonnenfinsternis 1919 beobachtete Eddingtons Expedition die von Einstein vorhergesagte Ablenkung des
Lichts durch die Sonne.
Wenige Monate nachdem Einstein seine Theorie publiziert hatte, veröffentlichte der Potsdamer Astronom Karl
Schw arzschild eine exakte and explizite Lösung der Einstein-Gleichungen, die das Gravitationsfeld eines
ruhenden kugelförmigen Körpers beschreibt. Die Untersuchung von Schw arzschilds Lösung zeigt, dass w enn
dieser zentrale Körper hinreichend kompakt ist, kein Licht von seiner Oberfläche einen w eit entfernten
Beobachter erreichen kann. Dieses Phänomen hat John Archibald W heeler dazu veranlasst, den Namen "black
hole" (Schw arzes Loch) für ein solches Objekt zu prägen. Die Oberfläche des Schw arzen Lochs nennt man
"Ereignishorizont". Interessanterw eise w urde die Idee, dass ein Objekt mit hinreichend starker Gravitation
das Entkommen von Licht verhindern kann, schon am Ende des 18. Jahrhunderts von John Mitchell und von
Pierre-Simon Laplace vorgeschlagen. Laplace w ar einer der einflussreichsten Mathematiker seiner Zeit und
arbeitete ausschließlich im Rahmen der New tonschen Physik.
Das Schwarze Loch von Kerr
Dennoch sollte es bis in die späten 1950er-Jahre dauern, bis die globale Struktur der Schw arzschild-Lösung
vollständig verstanden w ar und erst in den späten 1970er- Jahren w urde die Idee, dass Schw arze Löcher in
der Natur vorkommen, von den Astrophysikern allgemein akzeptiert. Erst dann gab es nämlich nicht nur immer
mehr Beobachtungsdaten über kompakte Objekte w ie Neutronensterne und Quasare, sondern auch ein
besseres theoretisches Verständnis der Schw arzen Löcher. Zu den w ichtigsten theoretischen Entw icklungen
gehörte Roy Kerrs Entdeckung einer neuen exakten und expliziten Klasse von Lösungen der EinsteinGleichungen, die ein zeitunabhängiges rotierendes Schw arzes Loch beschreiben. Diese Klasse beinhaltet nur
zw ei Parameter, die Masse und den Drehimpuls, und enthält die Schw arzschild-Lösung als Spezialfall, in dem
der Drehimpuls verschw indet. W ährend im Allgemeinen Teilchenbahnen um ein rotierendes Objekt chaotisch
sind, gibt es für Teilchen in der Kerr-Lösung eine Erhaltungsgröße, die sogenannte Carter-Konstante, die für
allgemeine rotierende Raumzeiten nicht existiert. Brandon Carter zeigte mithilfe dieser Konstante 1968, dass
die Bew egung der Teilchen explizit durch elliptische Funktionen ausgedrückt w erden kann. Damit w urde eine
detaillierte Analyse des Verhaltens von Materie in der Nähe eines rotierenden Schw arzen Lochs möglich.
Dynamische Stabilität
Große Objekte, die im Gleichgew icht sind (w ie Planeten, Sterne, Galaxien usw .), haben die Tendenz, über sehr
lange Zeiträume tatsächlich auch in einem stabilen Gleichgew icht zu bleiben. Damit solche Objekte als Ergebnis
dynamischer Prozesse überhaupt entstehen können, ist es sogar unbedingt notw endig, dass sie stabil sind.
Stabilität bedeutet hier: Eine kleine Veränderung des Objekts und seiner Bew egung führt in einem
dynamischen Prozess zu einem Objekt und einer Bew egung ganz ähnlicher Art.
Wendet man exakte und explizite Lösungen physikalischer Gleichungen an, um Beobachtungen natürlicher
Phänomene zu interpretieren und zu modellieren, ist es von fundamentaler Bedeutung, die Aufmerksamkeit
© 2011 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
2/6
Jahrbuch 2010/2011 | Andersson, Lars | W ie stabil sind Schw arze Löcher?
auf solche Lösungen zu konzentrieren, die näherungsw eise Phänomene in der realen Welt abbilden können,
trotz der Fülle der dort vorhandenen Störungen. Aus diesem Grund ist die Analyse der Stabilität von expliziten
Lösungen der Gleichungen physikalischer Theorien mit der größtmöglichen Strenge und unter möglichst
realistischen Bedingungen ein ganz w esentlicher Aspekt dieser Theorien.
Die Einstein-Gleichungen ähneln in gew issem Sinne der Wellengleichung, die die Ausbreitung des Lichts in der
Maxw ellschen Theorie des Elektromagnetismus beschreibt. Lichtw ellen in einer flachen und leeren Raumzeit
("Minkow ski-Raum") gehorchen dem Prinzip von Huygens, das besagt, dass W ellen, die von einem Punkt in der
Raumzeit kommen, nur auf dem Lichtkegel dieses Punktes zu sehen sind. Außerdem ist die Amplitude der
Welle umgekehrt proportional zur Zeit. Da das Gravitationsfeld einer gekrümmten Raumzeit in der
Einsteinschen Theorie mit sich selbst w echselw irkt, können diese Überlegungen hier nicht direkt angew endet
w erden. Die besondere Struktur der Einstein-Gleichungen führt jedoch dazu, dass gew isse Wechselw irkungen
sich aufheben. Dadurch können sich kleine Gravitationsw ellen ausbreiten, ohne
dass es zu einem
katastrophalen Zusammenbruch der Raumzeit-Geometrie kommt. Unter Ausnutzung dieser Tatsache w urde
gezeigt [1,2], dass der Minkow ski-Raum stabil ist. Diese Aufhebung der Wechselw irkungen ist auch der Grund,
w arum es sinnvoll ist, Gravitationsw ellendetektoren zur Messung von Signalen w eit entfernter und
energiereicher Ereignisse w ie der Zusammenstöße von Schw arzen Löchern einzusetzen.
Die Stabilität der Kerr-Lösung
A bb. 1: Be i de r Ve rschm e lzung zwe ie r Schwa rze r Löche r
we rde n Gra vita tionswe lle n a bge stra hlt.
© Ma x -P la nck -Institut für Gra vita tionsphysik / R e isswig;
R e zzolla und Zuse -Institut Be rlin / Koppitz
Um die physikalische Relevanz der Lösung von Kerr nachzuw eisen ist es somit essentiell, ihre Stabilität zu
bew eisen. Idealerw eise möchte man dazu den Prozess, durch den ein Schw arzes Loch entsteht, z. B. durch
die Verschmelzung von Neutronensternen oder durch Materie, die auf einen Neutronenstern fällt und sich dort
sammelt, theoretisch verstehen. Im Fall der Schw arzschild-Lösung w urde schon 1939 eine explizite Lösung
von J. Robert Oppenheimer und Hartland Snyder gefunden [3], die den Kollaps einer Staubw olke zu einem
Schw arzen Loch beschreibt. Für die Kerr-Lösung ist nichts Entsprechendes bekannt. Allerdings erlauben es
neuere Entw icklungen in der numerischen Relativitätstheorie, die Bildung von rotierenden Schw arzen Löchern
mit hoher Genauigkeit zu simulieren. Auch die Verschmelzung von zw ei Schw arzen Löchern zu einem einzigen
kann
simuliert w erden
(Abb. 1).
© 2011 Max-Planck-Gesellschaft
In
all
diesen
Prozessen,
w w w .mpg.de
die
in
der
Abteilung Astrophysikalische
3/6
Jahrbuch 2010/2011 | Andersson, Lars | W ie stabil sind Schw arze Löcher?
kann
simuliert w erden
(Abb. 1).
In
all
diesen
Prozessen,
die
in
der
Abteilung Astrophysikalische
Relativitätstheorie am Albert-Einstein-Institut erforscht w erden, deuten die numerischen Ergebnisse darauf hin,
dass die Kerr-Lösung stabil ist.
A bb. 2: Be ispie l für Flugba hne n von Lichtte ilche n um e in
Schwa rze s Loch.
© Edwa rd Te o, Na tiona l Unive rsity of Singa pore
Untersucht man die Stabilität der Kerr-Lösung, so w ird man mit einer für Schw arze Löcher charakteristischen
Schw ierigkeit konfrontiert: Es gibt nicht nur Lichtstrahlen von Quellen innerhalb des Ereignishorizonts, die w eit
entfernte Beobachter nicht erreichen können, sondern auch solche die um das Schw arze Loch in konstanter
Entfernung kreisen (Abb. 2). Dieses "trapping" genannte Phänomen ist aus Beispielen zur Untersuchung der
Lichtausbreitung bekannt. Man betrachte z. B. die Ausbreitung von Licht im flachen Raum zw ischen zw ei
perfekt reflektierenden Kugeln. Im Grenzfall hoher Frequenzen ist die Ausbreitung des Lichts gradlinig (daher
der Name "Lichtstrahl"): Zw ischen den Kugeln kann ein gefangener ("trapped") Lichtstrahl für immer hin- und
herpendeln. Dies ist aber eine instabile Bew egung und ein Lichtsignal mit endlicher Energie, das zw ischen den
Kugeln gefangen ist, w ird
daher schließlich auseinanderlaufen. Die
im Kreis
laufenden gefangenen
Lichtstrahlen in der Schw arzschild- oder Kerr-Raumzeit sind analog zum Lichtstrahl im Beispiel mit den Kugeln
instabil und laufen im Falle endlicher Energie ebenfalls auseinander.
© 2011 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
4/6
Jahrbuch 2010/2011 | Andersson, Lars | W ie stabil sind Schw arze Löcher?
A bb. 3: Sche m a tische Da rste llung e inige r wichtige r Be re iche in
de r R a um ze it e ine s Ke rrsche n Schwa rze n Loche s. Da be i ist zu
be a chte n, da ss die P hotone nre gion im Ke rrsche n Schwa rze n
Loch de n Ere ignishorizont ga nz um schlie ßt und Um la ufba hne n
e nthä lt, we lche be lie big na he a uf die Achse zula ufe n. Ein
Be ispie l ist in Abbildung 2 da rge ste llt.
© Ma x -P la nck -Institut für Gra vita tionsphysik / Ande rsson,
Thie ne rt
Eine w eitere Schw ierigkeit bei der Analyse des Verhaltens von physikalischen Feldern in der Nähe von
Schw arzen Löchern ist die sogenannte „Ergoregion“ (Abb.3). Eine formale Analyse suggeriert, dass die
Verzerrung der Raumzeit in der Kerr-Lösung so stark ist, dass Wellen, die nahe am Schw arzen Loch
vorbeifliegen, unbegrenzt Energie gew innen könnten. Dieses Phänomen nennt man „Superlumineszenz“. Es
ist inzw ischen gezeigt w orden, dass für masselose Skalarfelder (w ie etw a das Licht) dieser Effekt nicht auftritt.
Es ist nämlich bekannt, dass hinreichend reguläre Lichtsignale im Hintergrund der Kerr-Lösung eine Dispersion
erfahren [4,5]. Dies bedeutet, dass sie auseinanderlaufen und an Intensität verlieren. Die Dispersion ist eine
zentrale Eigenschaft der Ausbreitung von Licht und verw andter physikalischer Phänomene. Obw ohl es noch
Einzelheiten gibt, die geklärt w erden müssen, liegen inzw ischen genaue Informationen über das Verhalten
von Lichtsignalen in der Kerr-Raumzeit vor. Die Existenz der schon erw ähnten Carter-Konstante spielt eine
w esentliche Rolle im Bew eis der Dispersion durch Lars Andersson und Pieter Blue [4].
Die endgültige Beantw ortung der Frage nach der Stabilität der Kerr-Lösung steht also noch aus. Es ist zu
erw arten, dass diese Frage in der nahen Zukunft ein zentraler Punkt der Forschung auf dem Gebiet der
geometrischen Analysis und der Allgemeinen Relativitätstheorie bleiben w ird.
[1] D. Christodoulou, S. Klainerman:
The global nonlinear stability of the Minkowski space.
Princeton Mathematical Series 41. Princeton University Press, Princeton, NJ, 1993.
[2] H. Lindblad, I. Rodnianski:
The global stability of Minkowski space-time in harmonic gauge.
Annals of Mathematics 171, 1401-1477 (2010).
[3] J.R. Oppenheimer, H. Snyder:
On Continued Gravitational Contraction.
Physical Review 56, 455-459 (1939).
© 2011 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
5/6
Jahrbuch 2010/2011 | Andersson, Lars | W ie stabil sind Schw arze Löcher?
[4] L. Andersson, P. Blue:
Hidden symmetries and decay for the wave equation on the Kerr spacetime.
Eprint: http://arxiv.org/abs/0908.2265 (2009).
[5] M. Dafermos, I. Rodnianski:
The black hole stability problem for linear scalar perturbations.
Eprint: http://arxiv.org/abs/1010.5137 (2010).
© 2011 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
6/6
Herunterladen