landmedizin Patienten in Not Landmedizin in Gefahr Podiumsdiskussion der NÖ Ärztekammer – Immer mehr Landgemeinden erkennen die Bedrohung des Hausapothekensterbens E twa 200 Teilnehmer fanden Ende April den Weg nach Paudorf zu einer Podiumsdiskussion über die Zukunft und die Probleme der Landmedizin. Hintergrund ist unter anderem eine Novelle des Apothekengesetzes aus 2006, wonach bei Übergabe von Kassenstellen in Einarztgemeinden bei Unterschreitung eines Abstandes von sechs Kilometern zur nächsten öffentlichen Apotheke keine Hausapotheke mehr bewilligt wird. Mit fatalen Folgen: Ohne Hausapotheke werden sich viele ohnehin schon schwierig zu besetzende Kassenstellen in Zukunft noch schwerer besetzen lassen. Unter den Besuchern waren zahlreiche Bürgermeister aus Niederösterreichischen Landgemeinden, denen in den kommen- Dr. Harald Schlögel: „Ich fordere alle Parteien auf, sich Dr. Wolfgang Geppert: „Es gibt bereits Stellen bei denen an einen Tisch zu setzen. Ich fordere auch die Politik es Monate dauert, bis sich ein Bewerber den Jahren dieses bedauerliche Schicksal auf, sich zu bekennen, ob sie eine zentrale oder eine einfindet. Für manche Stellen interessiert sich dezentrale Medizin will.“ überhaupt niemand.“ droht. Auch das Podium war hochgradig besetzt: Neben Kurienobmann-Stellvertreter Dr. Harald Schlögel, Medikamentenreferent Dr. Wolfgang Geppert und Hausapothekenreferent Dr. sucht, der eine Hausapotheke hat.“ Gerhard Imb (alle NÖ Ärztekammer) diskutierten die Natio- Höllerer nahm besonderen Bezug auf die hoch betagten Mennalratsabgeordnete Anna Höllerer, die Gesundheitssprecherin schen, denen die Situation besondere Probleme bereitet: des Pensionistenverbandes Dr. Elisabeth Pittermann, der Be- „Diesen fällt es sehr schwer, längere Wegstrecken zurückzulezirksobmann des Seniorenbundes Franz Traunfellner sowie der gen. Wenn man sich schlecht bewegen kann, braucht man jePräsident der Pensionistenverbandes Karl Blecha mit. manden, der einen fährt. Das ist oft nicht einfach oder kostet zusätzlich Geld. Daher haben sich alle Bürgerinnen und Bürger Wenn so viele Menschen so großes Interesse am für den Erhalt der Hausapotheke im Rahmen der BürgerinitiatiErhalt der Hausapotheke haben, darf man die ve ausgesprochen. Wenn so viele Menschen so großes Interesse Problematik auch aufzeigen am Erhalt der Hausapotheke haben, darf man die Problematik auch aufzeigen.“ Anna Höllerer berichtete von der Situation in ihrem Wohnort. Sie kommt aus einer Einarzt-Gemeinde, wo sich die von der Wo liegt das Problem, wenn Ärztinnen und Ärzte Ärztekammer kritisierte Gesetzeslage unmittelbar auswirkt. Dort Medikamente abgeben? ging ein Arzt in Pension und sein Nachfolger bekam keine Hausapotheke mehr. Denn der Abstand zur nächsten öffentlichen Höllerer motivierte die anwesende Landbevölkerung, die zuApotheke beträgt 5,8 Kilometer. „Es war ein großes Problem, ständigen Abgeordneten direkt anzusprechen: „Das Problem ist diese Stelle überhaupt zu besetzen und einen Nachfolger zu fin- allen bewusst, das können alle spüren. Was noch nicht allen den. Es hat Ausschreibungen gegeben und es hat lange gedau- bewusst ist, ist die Tatsache, dass es dabei nicht um Ärztinnen ert, bis ein Arzt gefunden werden konnte. Die Weitergabe der und Ärzte geht, sondern um die Zukunft der Landbevölkerung. Hausapotheke war nicht möglich. Für den jungen Arzt war es Mich freut der Zuspruch der Organisationen, die die älteren sehr schwer Fuß zu fassen. Nicht weil ihm das Einkommen aus Mitbürger vertreten. Denn diese sind diejenigen Menschen, die der Hausapotheke fehlt, sondern weil sich ein Teil der mobilen am meisten unter der Situation leiden.“ Bürger in Nachbargemeinden begibt und sich dort einen Arzt 18 CONSILIUM 05/11 landmedizin Nationalratsabgeordnete Anna Höllerer: „Wenn so viele Menschen so großes Interesse am Erhalt der Hausapotheke haben, darf man die Problematik auch aufzeigen.“ Dr. Gerhard Imb: „Ich denke, dass wir dieses einzigartige, sehr positive System der Hausapotheken schützen sollten. Wo liegt das Problem, wenn Ärztinnen und Ärzte Medikamente abgeben?“ Dr. Gerhard Imb entkräftete die Mär der reichen Ärzte, die aus seiner Sicht den Ursprung weit in der Vergangenheit hat. „Wir haben in den letzten Jahren bei unseren Honorarverhandlungen immer deutlich unter der Inflationsrate abgeschlossen, daher mussten wir in den vergangenen zehn Jahren einen Kaufkraftverlust von 25 Prozent hinnehmen.“ Dies ist aus Sicht von Dr. Imb ein Problem, was ganz Österreich betrifft: „Ich denke, dass wir dieses einzigartige, sehr positive System der Hausapotheken schützen sollten. Wir Ärztinnen und Ärzte tragen die volle Verantwortung für die Medikamente, die wir verordnen. Der Apotheker kann an unserer Verordnung nichts ändern. Wo liegt das Problem, wenn Ärztinnen und Ärzte Medikamente abgeben?“ Er wies auch auf spezielle Probleme, beispielsweise bei Impfungen hin: „Wenn der Patient zum Arzt muss und dann in die Apotheke, wird die Kühlkette unterbrochen, dann wieder zurück zum Arzt, der Arzt muss impfen, obwohl er gar nicht mehr weiß, ob der Impfstoff noch in Ordnung ist.“ Die Vielfalt in einer Apotheke kommt nur dadurch zustande, dass mehrere Ärzte verschreiben Dr. Elisabeth Pittermann äußerte ebenfalls großes Verständnis für die Landbevölkerung, obwohl sie sich als ausgeprägten Großstadtmenschen bezeichnet. „Wir müssen die Struktur für die Präsident Karl Blecha: „Eine Einarztgemeinde braucht einen Arzt, egal wie weit die nächste Apotheke entfernt ist. Das ist klar, das kann man jedem erklären und auch vertreten.“ ländliche Bevölkerung unbedingt erhalten, dazu gehört auch die medizinische Struktur. Schon vor vielen Jahren war es schwieriger, Ärztinnen und Ärzte für die Landmedizin zu begeistern als für Medizin in die Stadt. Damals wurde den Ärztinnen und Ärzten auch einiges dafür geboten.“ Aus ihrer Sicht würde es ohne Ärztinnen und Ärzte auf dem Land eine noch viel stärkere Landflucht geben als dies ohnehin der Fall ist. Und Österreich steuert auf allen Ebenen in einen massiven Ärztemangel hinein. „Im Zuge der Hausapothekendiskussion wird immer wieder angeführt, dass die Apotheken im Vergleich zu ärztlichen Hausapotheken ein deutlich größeres Sortiment hätten und dies ein Vorteil sei. Das ist kein gutes Argument. Jeder Arzt benutzt nur ein bestimmtes Repertoire an Medikamenten. Er benutzt nur die Medikamente, mit denen er Erfahrung hat. Er würde also auch ohne Hausapotheke nur dieses gleiche Spektrum an Medikamenten verschreiben. Die Vielfalt in einer Apotheke kommt nur dadurch zustande, dass mehrere Ärzte verschreiben und je größer die Anzahl der Ärzte, desto größer die Vielfalt. Daher kommen auch die Klagen, dass Patienten das benötigte Medikament gerade am Land oft nicht gleich in der Apotheke bekommen.“ Dr. Pittermann hält es für möglich, dass eine Gesetzesänderung kommt: „Was wäre, wenn die Abgeordneten aus den ländlichen Regionen in ihren Klubs darauf drängen, dass eine Mehrheit CONSILIUM 05/11 19 landmedizin im Parlament erreicht werden kann? Ich halte eine Initiative für möglich, dass eine Gesetzesänderung kommt.“ Es gibt Stellen, bei denen es Monate dauert, bis sich ein Bewerber findet Franz Traunfellner berichtete von der Situation in seiner Umgebung: „Im Kamptal gibt es kaum öffentlichen Apotheken. Wenn dort die Hausapotheken zusperren müssen, frage ich mich, wie das speziell die Seniorinnen und Senioren machen werden. Wenn man kaum gehen kann ist die Bahnfahrt schon schwierig. Wenn man schon einen halben Tag damit verbracht hat, zum Arzt und zurück zu kommen, wird der Weg zur Apotheke noch schwieriger. Die Jungen sind in der Arbeit, wenn diese zeit hätten die benötigten Medikamente zu holen, hat die Apotheke schon zu.“ Was dann folgt sind weite Fahrten zu Nachtdienstapotheken, was Kilometer, Zeit und Geld kostet. „Eine Unzumutbare Situation“, so Traunfellner. Dr. Elisabeth Pittermann: „Die Vielfalt in einer Apotheke kommt nur dadurch zustande, dass mehrere Ärzte verschreiben und je größer die Anzahl der Ärzte, desto größer die Vielfalt.“ Franz Traunfellner: „Die Jungen sind in der Arbeit, wenn diese Zeit hätten die benötigten Medikamente zu holen, hat die Apotheke schon zu.“ Dr. Wolfgang Geppert stellte die zunehmende Problematik klar, Nachfolger für Kassenplanstellen zu finden: „Es gibt bereits Stellen, bei denen es Monate dauert, bis sich ein Bewerber einfindet. Für manche Stellen interessiert sich überhaupt niemand. Es besteht die Gefahr, dass es große Probleme geben wird, die Landarztpraxen zu besetzen. In den kommenden zehn Jahren muss ungefähr die Hälfte der derzeit aktiven Ärztinnen und Ärzte aus Pensions- Etwa 200 Teilnehmer fanden Ende April den Weg nach Paudorf zu einer Podiumsdiskussion über die Zukunft und die Probleme der Landmedizin. gründen ersetzt werden. Ich werde immer als der große Panikmacher dargestellt. Ich noch gedacht, dass all unsere Aktionen ins Leere gehen. Seit sehe aus heutiger Sicht trotzdem nicht, wo unter diesen Bedingungen die Nachfolger herkommen sollen.“ einigen Woche sehe ich vor allem in Form der zahlreichen Resolutionen, dass das Bewusstsein der Bevölkerung und auch der Aus Sicht von Dr. Geppert sind Gemeinden wie Paudorf maß- Lokalpolitik für unser gemeinsames Anliegen schnell wächst. geblich daran beteiligt, dass die Probleme aufgezeigt werden kön- Ich bin nun überzeugt, dass wir uns irgendwann wieder einmal nen: „Die Unterstützung der Bevölkerung, was unsere Aktionen treffen – nachdem dieses unselige Gesetz geändert wurde.“ angeht, ist schon sehr beachtenswert. Bis vor kurzem habe ich 20 CONSILIUM 05/11 landmedizin die Politik auf, sich zu bekennen, ob sie eine zentrale oder eine dezentrale Medizin will. Zur dezentralen Medizin gehören jedoch auch die ärztlichen Hausapotheken.“ Eine Einarztgemeinde braucht einen Arzt, egal wie weit die nächste Apotheke entfernt ist Karl Blecha begeisterte die anwesenden Menschen durch sein unverkennbares Engagement im Sinne der Sache: „Ich spreche als Vertreter des Österreichischen Pensionistenverbandes sowie als Vertreter des Österreichischen Seniorenrates, der offiziellen Interessensvertretung von 2,5 Millionen Seniorinnen V.l.n.r.: Dr. Gerhard Imb, Dr. Harald Schlögel, Karl Blecha, Anna Höllerer, Dr. Wolfgang Geppert, Franz Traunfellner, und Senioren, meine Unterstützung Dr. Elisabeth Pittermann, Leopold Prohaska (Bürgermeister Paudorf) dieses Anliegens aus. Es ist unmöglich, dass wir in Österreich zulassen können, dass die Landärzte sterben, dass die flächendeckende Versorgung nicht Paudorf ist ein Synonym für Politik, die ein Gesetz mehr möglich wäre. Wir werden alles tun, dass die zu Recht geschaffen hat, das am Wohle der Bevölkerung verlangten Forderungen von heute umgesetzt werden. Wir sind vorbei geht für die Älteren da. Wir müssen alles tun, um die Hausapotheken zu erhalten.“ Blecha versprach, sehr rasch gemeinsam mit allen Dr. Harald Schlögel bestätigte die Problematik der Nachbeset- Parteien Initiativen im Parlament zu setzen, damit die Probleme zung von Kassenstellen unter dem Titel „Landflucht“. „Die Po- gelöst werden können. litik ist hier gefordert, neue Anreize für Ärztinnen und Ärzte zu schaffen. Paudorf ist für mich ein Synonym einer kleinen „Ich gehe reich aus dieser großartigen Veranstaltung nach HauGemeinde, in der massiv demonstriert wird. Paudorf ist für se. Der Bürgermeister von Grafenegg hat die Forderung am mich ein Synonym für Politik, die ein Gesetz geschaffen hat, klarsten formuliert und die werde ich verwenden: Eine Einarztwelches am Wohle der Bevölkerung vorbeigeht. Diese Regelung gemeinde braucht einen Arzt, egal wie weit die nächste Apoist durch ein massives Lobbying zugunsten der Apotheker ausge- theke entfernt ist. Das ist klar, das kann man jedem erklären gangen. In vielen Gemeiden geht die Post weg, der Greißler geht und auch vertreten. Ich setze allerdings keinen Cent auf einen weg. Wenn die Hausapotheke wegfällt, geht vielleicht auch der Konsens zwischen Ärztekammer und Apothekerkammer. Daher Arzt weg. Das kann keiner wollen“. müssen wir uns verbünden und Verbündete suchen. Was das Aussterben der Landärzte und ihrer Hausapotheken für die PflePaudorf ist für Dr. Schlögel auch ein Synonym für den ständig ge und Betreuung bedeutet, muss jedem klar sein.“ schwelenden Kampf der Ärztekammer gegen die Apothekerkammer. „Wir haben eine unzufriedene Bevölkerung, eine unzufriedene Apotheke, einen unzufriedenen Arzt und eine Politik, die sich ständig rechtfertigen muss. Ich denke, dass wir aufgefordert sind, diesen Dauerkonflikt zu lösen und einen Dialog aufzubauen, statt sich ständig gegenseitig etwas vorzuwerfen. Ich fordere alle Parteien auf, sich an einen Tisch zu setzen. Ich fordere auch CONSILIUM 05/11 21