Wo die wilden Kerle wohnen

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Wo die wilden Kerle wohnen
Where the wild things are
Maurice Sendak
Ein Buch wird verfilmt
Die ersten konkreten Ideen zur Verfilmung
stammen wohl aus dem Jahr 2003, damals
noch bei Universal Pictures angesiedelt.
Inzwischen sind die Produzenten (Tom
Hanks sowie Gary Goetzman, aber auch
Maurice Sendak selbst und John Carls) und
der Regisseur Spike Jonze bei Warner Bros.
untergekommen. Immer noch nicht ganz
sicher ist, welche Anteile des Films von
Personen gespielt und welche anderen Teile
durch Puppen- oder Computer-Animation
dargestellt werden. Sicher scheint als Drehort Melbourne / Australien festzustehen, nachdem
lange Zeit Neuseeland erste Wahl war. Inhaltlich werden immer noch Geheimnisse gemacht,
aber die werden dann wohl spätestens im Frühjahr 2008 gelüftet werden (müssen).
Maurice Sendak sagte über den Stand der Planungen in der New York Times im Oktober
2006: „I’m in love with it.“ Und: Falls der Film nicht in dieser Version fertig gestellt werden
sollte, so sehe er keine Möglichkeit, je irgendeine Version seines Buches als Film zu erleben.
Worum dreht es sich? Sendaks erste Entwürfe für „Wo die wilden Kerle wohnen“ stammen
von 1956. Die „wild things“ waren damals noch „wild horses“. Sendak war jedoch nicht zufrieden – sowohl mit dem Inhalt und dem Ablauf als auch mit der Darstellung ‚seiner’ Pferde
– und griff die Idee erst 7 Jahr später wieder auf. Er entwickelt verschiedene Versionen, eine
als Alptraum, eine andere, in der der junge Max den Rest seines Lebens verbringt, um die
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wilden Pferde zu finden1. 1963 erscheint dann die endgültige Fassung, in der die wilden Pferde wilden „Wesen“ gewichen sind, die dem Vernehmen nach einigen Verwandten Sendaks
nachempfunden sein sollen2.
Das Buch wird nicht nur im englischsprachigen Raum ein enormer Erfolg. Auf Deutsch erscheint es 1967 bei Diogenes und ist dort immer noch zu erhalten. Die Gesamt-Auflage hat
die Eine-Million-Grenze überschritten.
Sendak schafft eine Rahmenhandlung, wie er es später noch häufiger machen wird, die nur
einen kurzen bis sehr kurzen Moment überbrückt. Alle Seiten dazwischen, die ganze eigentliche Geschichte also, ist ein Augenblick im Kopf der Hauptperson. Hier ist es Max, der sicher
schon eine ganze Weile mit seinem Wolfskostüm herumläuft. Es ist ein Einteiler, der eine eng
ansitzende Kapuze mit aufrecht angenähten Ohren hat, am Po einen echten (?) Wolfsschwanz
und zwei Handschuhe sowie zwei große Füßlinge, die in je vier Krallen münden. Richtig gefährlich sehen sie aus, die Krallen. Das findet Max wohl auch, denn er hat nicht nur Unfug im
Kopf, als er den Hund (wir kennen ihn aus Sendaks Higgledy Piggledy Pop) mit der vierzinkigen Gabel in der Hand die Treppe herunter jagt, er fühlt sich offensichtlich wirklich als
„Wilder Kerl“. Das muss er auch seiner Mutter gegenüber zeigen: „Ich fress dich auf“, sagte
Max. Das ist offensichtlich zu viel für seine Mutter (wer weiß, was Max zuvor schon alles
anstellte). Ihr Sohn soll zur Strafe ohne Essen ins Bett.
Lassen wir die Geschichte einmal weg, so vergeht wohl einige Zeit, bis die Mutter meint, ihr
Sohn sei jetzt wohl zur Einsicht gelangt, es tue ihm bestimmt Leid, er ist jetzt vernünftig(er)
geworden. Das Essen ist noch warm. Max darf doch noch vor dem Zu-Bett-Gehen essen.
Fertig? Mitnichten, denn dazwischen findet 14 Seiten lang eine merkwürdige Geschichte statt,
die wohl nur einem Traum entsprungen sein kann.
Sendak baut diese Frequenz sorgfältig auf. Sie beginnt mit fünf einseitigen Bildern (rechts),
denen auf der linken Seite kurze Texte gegenüber gestellt werde. Es folgen drei doppelseitige
Bilder, die unten abgesetzt Raum für den Text lassen, um sodann mit drei doppelseitigen Bildern, die keinen Platz für einen Text lassen, den Höhepunkt der Geschichte darzustellen. Gegengleich wird die Szenerie wieder abgebaut, bis sie wieder dort endet, wo wir Max zuletzt in
seiner vertrauten Umgebung sahen, bevor seine Phantasie zu blühen begann.
Und das ging so:
1
2
http://www.northern.edu/hastingsw/wildthings.html * 2007-01-31
http://en.wikipedia.org/wiki/Where_the_Wild_Things_Are * 2007-01-31
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Zunächst wachsen aus den Pfosten seines Bettes und der Türpfosten Bäume, die seine Kinderzimmerdecke in einen ein Dach aus Laub verwandeln. Der zunehmende Mond hinter dem
geöffneten Fenster beleuchtet die Szenerie, die sich bereits im nächsten Bild der Unwirklichkeit ergibt. Teppich und Bett sind nur noch als Schemen zu erkennen, weitere Pflanzen wachsen aus der Zimmerecke heraus. Im dritten Bild ist auch das Fenster verschwunden, der Mond
beleuchtet eine lichte Waldlandschaft, in die sich ein uns abgewandter Max in seinem Kostüm
mit erhobenen Vorderbeinen begibt. Das hat die Mutter jetzt davon. Dann gehe ich eben in
die weite Welt hinaus, und ich habe keine Angst, denn meine Krallen werden mich beschützen!
Den Bruch machen wir zunächst sehr ungern mit, denn wir begeben uns mit Max und seinem
Segelboot (es heißt wie er) auf weite Fahrt. Allein sein zufriedenes Gesicht mit dem fast zu
einem Lächeln verzogenen Mund lässt uns folgen. Alles wird gut!, sagt dies Gesicht. Wir fahren dorthin, wo ich mich auskenne, heim!, sagt dies Gesicht.
Kaum haben wir uns darauf eingelassen, schon werden wir mit ihm überrascht. Ein Seeungeheuer ist der erste Bote der „Wilden Kerle“, die uns gleich erwarten werden. Max empfängt
sie mit einem Gesicht, das er wohl seiner Mutter abschaute, der er noch vorhin erzählte, er sei
ein „Wilder Kerl“. Die Rollen haben sich vertauscht.
So wie Max in Wirklichkeit natürlich kein böses und wildes Biest ist, so sind es auch die wilden Kerle nicht, denn trotz der (zumeist) spitzen Zähne und der Krallen wirken sie alles in
allem rund und freundlich, eher gemütlich mit ihren großen Augen als schrecklich. Man mag
sich gern vorstellen, welches Vergnügen es Sendak bereitet haben mag, den „wild things“
nicht nur insgeheim Namen gegeben zu haben (Aaron, Bernard, Emil, Moishe und Tzippy),
sondern ihnen auch noch charakteristische äußere Merkmale einiger seiner Verwandten. Einige seiner Kerle tragen fast ein ähnliches Kostüm wie Max, der es inzwischen auf eine Krone
gebracht hat, denn er ist König der wilden.
Dennoch muss er sie nach dem großen Lärmen verlassen, nicht bevor er sie – ganz die Mutter
– zuvor ins Bett schickte. >>„Schluss jetzt!“, rief Max und schickte die wilden Kerle ohne
Essen ins Bett.<< Dabei haben sie doch nur brav seine Anweisungen befolgt, anders als er
selbst die seiner Mutter. Aber die Geschichte muss jetzt einem möglichst schellen Ende zugeführt werden.
Nach diesem Entschluss agiert Max Ziel gerichtet und ist ruck-zuck nach langer Überfahrt
(der Mond ist gerade Vollmond geworden) zurück nach Hause.
Das Essen war noch warm.
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Sendak strukturiert seine Flächen mit kleinen Strichen, schafft Karos, Schraffur und kleine
Rechtecke, und färbt sie mit blassen Farben. Das Zimmer von Max besteht ausschließlich aus
Bett und kleinem Tisch vor dem geöffnetem Fenster auf dem zunächst nur eine Grünpflanze,
auf dem letzten Bild aber das (noch warme) Essen steht. Kein Stuhl. Keine Mutter. Nur Max,
seine Fantasie und wir. Ein geöffnetes Fenster, das uns alle nach draußen ließ, und ein Mond,
der uns die Zeit anzeigte.
Maurice Sendak
Wo die wilden Kerle wohnen
Zürich, Diogenes 1963
40 Seiten, geb., 14,90
Generationen von Kindern und ebensolche von Eltern und Erziehern haben gestritten um das
Buch. Ist es nicht zu grausam? Die jungen Seelen werden Schaden nehmen, Alpträume werden sich einstellen, die Nächte grausam.
Kinder lieben dieses Buch – und wenn sie es nicht mögen, werden sie es auch nicht zu Ende
anschauen wollen. Falls Eltern überhaupt eingreifen wollen, dann sollten sie ihre Kinder immer wieder auf Max und seine Reaktionen hinweisen. Das wird den Betrachtern gefallen,
denn nicht Angst machen ist die Botschaft, sondern Angst nehmen.
Die Bildergeschichte hat in den mehr als 40 Jahren ihrer Existenz nichts an Aktualität verloren. Sendak gelang es, sowohl inhaltlich als auch formal Zeitloses zu schaffen. Weder ist der
Malstil ‚antiquiert’, noch die Sprache, weder ist das Anliegen des Erzählers noch der Ablauf
der Geschichte über die Zeit hinweg gegangen.
Das zeigen nicht nur die vielen Neuauflagen, sondern auch die vielen Zitate und Umformungen in andere Medien. Oliver Knussen hat 1980 /1984 eine Kinder-Oper gleichen Namens
geschrieben, 1997 wurde unter Mithilfe von Sendak ein Ballett aufgeführt (Randall Woolf),
2004 gab es ein Theaterstück in Chicago, zwei Jahre zuvor erschien eine Comic-Version
(Greg Kerr). Die Figuren wurden (selbstverständlich) nachgebastelt und verkauft, diverse
Pop- oder Rockmusiker bedienten sich des Themas oder zitierten es wenigstens (Metallica,
Chenard Walcker u.a.).
Sind wir also gespannt auf den Film.
Ulrich H. Baselau
2007-02-05
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