200 BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT Mayer, Wer muss eine Compliance-Prüfung neuer Geschäftspartner freigeben? CB-BEITRAG Eric Mayer, RA Wer muss eine Compliance-Prüfung neuer Geschäftspartner freigeben? Im folgenden Beitrag wird untersucht, welche nationalen und internationalen Mindestanforderungen zur organisatorischen Ausgestaltung von Geschäftspartnerprüfungsprozessen zu berücksichtigen sind. Dabei stehen nicht die Inhalte derartiger Prüfungen im Vordergrund, sondern es wird insbesondere auf die hierarchische Stellung und die funktionale Verantwortung bei Entscheidungen und Freigaben von Geschäftspartnern eingegangen. I. Einleitung Die gerade aktuell erschienene OECD-Studie zu Auslandsbestechung1 hat einmal mehr wiederholt, was im Compliance-Geschäft seit langen Jahren als immer wiederkehrendes Problem wohlbekannt ist: in drei von vier Auslandsbestechungsfällen sind Intermediäre wie Vertriebsmittler, Zwischenhändler, Makler oder Offshore-Mantelgesellschaften beteiligt. Die Gefahrenquellen solcher Compliance-Verstöße lassen sich also nicht auf die Grenzen eines Unternehmens beschränken, vielmehr lauern nicht unerhebliche Compliance-Risiken in der Zusammenarbeit mit externen Geschäftspartnern. Damit wird klar, dass Geschäftspartnerprüfungen höchste Priorität beim Aufbau und Betrieb moderner Compliance-Management-Systeme („CMS“) genießen müssen. Bereits seit langem lässt sich eine deutliche internationale Tendenz in Gesetzgebung und Rechtsprechung beobachten, die Geschäftspartnerprüfungen als global einzuhaltenden Standard und wesentlichen Bestandteil eines CMS vorschreibt.2 Durch die zunehmend intensivierte grenzüberschreitende Zusammenarbeit von ausländischen Strafverfolgungsbehörden auf dem Feld der Korruptionsbekämpfung ist einer Verbreitung und verstärkten Einforderung dieses Standards bereits der Weg gebahnt: Die neuere Geschichtsschreibung zur Multijurisdictional Cooperation as the „New Normal“ beginnt mit der erfolgreichen Zusammenarbeit US amerikanischer und deutscher Strafverfolgungsbehörden im Fall Siemens und setzt sich fort bis zur kürzlich von Kanada und den USA gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich und Australien gegründeten International Foreign Bribery Taskforce („IFBT“) zur verbesserten Kooperation in der internationalen Korruptionsbekämpfung und Unterstützung der OECD- und UN-Konventionen.3 Im Lichte dieser Entwicklungen wird der vorliegende Beitrag die Frage nach dem „Ob“ der Verpflichtung zu Geschäftspartnerprüfungen als eindeutig beantwortet voraussetzen. Solche Prüfungen stellen unstreitig einen mittlerweile absolut notwendigen Bestandteil eines modernen CMS dar. Im Folgenden soll vielmehr das „Wie“ solcher Prüfungen untersucht werden, d. h. welche nationalen und internationalen Mindestanforderungen zur organisatorischen Ausgestaltung von Geschäftspartnerprüfungsprozessen zu berücksichtigen sind. II. Organisatorische Mindestanforderungen an die Ausgestaltung von Geschäftspartnerprüfungen 1. Nationales Recht a) Deutsches Gesellschaftsrecht Ausdrückliche Regelungen zu Geschäftspartnerprozessen sind im deutschen Gesellschaftsrecht nicht zu finden. § 91 Abs. 2 AktG konstituiert die unmittelbare Verpflichtung des Vorstands, ein auf systematische Schadensvermeidung und frühzeitige Risikokontrolle ausgerichtete Unternehmensorganisation einzurichten.4 Zudem hat der Vorstand gem. §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG im Rahmen der allgemeinen Leistungssorgfalt eine Legalitätspflicht, der gemäß er sich in allen Belangen gesetzestreu zu verhalten hat. In Verbindung mit den weitgehenden Führungsbefugnissen und -pflichten des Vorstandes im Hinblick auf Unternehmen und Mitarbeiter ergibt sich daraus nach ganz herrschender Meinung die Legalitätskontrollpflicht: der Vorstand hat auch die Rechtsbefolgung durch die nachgeordneten Mitarbeiter sicher zu stellen. Um dieser gesellschaftsrechtlichen Überwachungspflicht zu genügen, sind Compliance-Maßnahmen unumgänglich und daher laut Rechtsprechung und Literatur zwingend 1 2 3 4 Compliance-Berater | 6/2015 | 2.6.2015 OECD Foreign Bribery Report – An Analysis of the Crime of Bribery of Foreign Public Officials vom 2.12.2014, abrufbar unter www.fcpablog.com/ blog/2014/12/2/oecd-most-bribes-are-paid-by-big-companes-with-seniormanage.html (Abruf: 7.5.2015). Vgl. Becker/Ulrich/Ries, ZRFC 2014, 54; als wesentliche Maßnahme zur Reduktion von Compliance-Risiken bezeichnet Ghazvinian, Der Schweizer Treuhänder 2012, 968. Zusätzliche Fundstellen zur besonderen Bedeutung der sorgfältigen Auswahl und Überprüfung von Geschäftspartnern in Moosmayer, Compliance – Praxisleitfaden für Unternehmen, 2012, S. 29, 73; Mössner/ Kerner, CCZ 2011, 182; Görling/Inderst/Banneburg, Compliance – Aufbau, Management, Risikobereiche, 2010, S. 425 ff.; Markfort, GeschäftspartnerCompliance, in: Korruptionsprävention – Ein Leitfaden für Unternehmen, 2014, S. 67 ff. Der im Mai 2013 gegründeten IFBT gehören Experten der Royal Canadian Mounted Police („RCMP“), des US Federal Bureau of Investigation („FBI“), der City of London Police’s Overseas Anti-Corruption Unit und der Australian Federal Police an; vgl. RCMP, New international taskforce combats foreign bribery, 11.6.2013; abrufbar unter www.rcmp-grc.gc.ca/ottawa/ne-no/prcp/2013/0611-ifbt-gtice-eng.htm (Abruf: 7.5.2015). Markfort, ZRFC 2014, 180. Mayer, Wer muss eine Compliance-Prüfung neuer Geschäftspartner freigeben? forderlich.5 Der Deutsche Corporate Governance Kodex greift diese Pflicht in Ziff. 4.1.3. DCGK auf.6 Einen weiteren Ermessensspielraum hat der Vorstand gemäß deutschem Gesellschaftsrecht hingegen bei der Frage, wie Compliance im Unternehmen umzusetzen ist und welche Maßnahmen getroffen werden müssen.7 Hierbei ist die Business Judgement Rule anwendbar, d. h. der Vorstand kann sich vor einer persönlichen Haftung schützen, wenn die getroffenen Entscheidungen – hier die Ausgestaltung des CMS – sogfältig vorbereitet und am Interesse des Unternehmens ausgerichtet sind. Nichtsdestotrotz wird inzwischen auch bezüglich konkreter Compliance-Maßnahmen eine „Ermessensreduktion auf null“ angenommen, wenn ein entsprechendes Risikoprofil – etwa bei international tätigen Großkonzernen – vorliegt.8 In diesem Zusammenhang wird überwiegend vertreten, dass als präventive Pflichtmaßnahme und Grundstein eines jeden CMS eine unternehmensweite Compliance-Risikoanalyse durchgeführt werden muss.9 Bei ganzheitlichem Verständnis muss ein Geschäftspartnerprüfungsprozess, der in der Literatur zu Recht als maßgeblich für die Vermeidung von Compliance-Verstößen angesehen wird,10 die logische Implementierungsfolge sein. Da aber ausdrückliche gesellschaftsrechtliche Vorschriften zu seiner konkreten Ausgestaltung fehlen, muss auf Gerichtsentscheidungen und auf internationale Richtlinien und Best Practices zurückgegriffen werden. b) Die „Neubürger“-Entscheidung des LG München I11 Diese Entscheidung des LG München I vom 10.12.2013 wurde in der Literatur intensiv besprochen, äußerte sich doch damit erstmals ein deutsches Gericht detailliert zu den gesellschaftsrechtlichen Compliance-Pflichten eines Unternehmensleitungsorgans. Streitgegenstand war der Vorwurf an einen ehemaligen Finanzvorstand eines großen Technolgiekonzerns, bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters verletzt zu haben. Insbesondere habe er es unterlassen, das Unternehmen so zu organisieren und zu überwachen, dass systematische Gesetzesverletzungen unterbunden werden können. Im Kern stellte das LG München I. hierzu folgendes fest: Im Rahmen seiner Leitungsaufgabe muss jedes einzelne Vorstandsmitglied dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass systematische Gesetzesverstöße wie z. B. Schmiergeldzahlungen nicht entstehen können.12 Diesbezüglich sind auch internationale rechtliche Bestimmungen zu berücksichtigen.13 Ist das Risikoprofil entsprechend ausgeprägt, erfüllt ein Vorstandsmitglied seine Organisationspflicht nur dann, wenn es eine auf die Vermeidung von Schaden und die Kontrolle von Risiko ausgerichtete Compliance-Organisation implementiert und deren Tauglichkeit auch fortlaufend überwacht. Mit der bloßen Einrichtung eines CMS ist es hingegen nicht getan. Das Gericht betont, dass die Wahrnehmung der Compliance-Aufgabe – ein Begriff, der aufgrund seines operativen Bezugs viel weiter geht als derjenige der Compliance-Verantwortung – eine Daueraufgabe des Vorstands ist. Er muss die Angemessenheit und Wirksamkeit eines CMS kontinuierlich überwachen und sich hierzu regelmäßig Bericht erstatten lassen. Gesteigerte Sorgfaltspflichten gelten bei konkret vorliegenden Verdachtsmomenten zu Compliance-Verstößen. In solchen Fällen hat ein Vorstandsmitglied unverzüglich „den Dingen auf den Grund“ zu gehen, etwaige Verstöße abzustellen und zu sanktionieren. Versäumt er dies, so liegt ein pflichtwidriges Unterlassen vor. Neben dieser allgemeinen Verpflichtung zu Aufbau und Kontrolle eines tauglichen CMS behandelt die Entscheidung im Einzelnen auch die Prüfung von Geschäftspartnern und die damit zusammenhängenden BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT 201 Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten des obersten Unternehmensleitungsorgans und dessen Mitglieder. Den Antrag auf Klageabweisung begründete der Beklagte bspw. damit, dass ein Finanzvorstand eines global operierenden Konzerns nicht jede „Berechtigung einer einzelnen Forderung“ kennen müsse und dass durch die Delegation der Compliance-Aufgaben die korrespondierende Verantwortung auf die zuständigen Ressorts übergegangen sei. Dem folgte das Gericht nicht: Ein funktionierendes Kontrollsystem muss sehr wohl auch gewährleisten, dass jeder individuelle Zahlungsvorgang – auch an einen Geschäftspartner – dauerhaft nachvollziehbar bleibt.14 Dies gelte gerade auch für Zahlungen auf der Grundlage von Beraterverträgen,15 die bekanntermaßen ein beliebtes und geeignetes Mittel zur Verschleierung von Korruptionszahlungen sind. Eine geeignete Maßnahme im Rahmen eines CMS, um dies zu verhindern, wäre die „zentrale Erfassung sämtlicher Beraterverträge mit Dritten“ gewesen. Die Ausführungen des Beklagten, dass er selbst ebenso wenig wie die mit der Überwachung von Compliance-Vorgaben beauftragten Personen keine ausreichenden Weisungsbefugnisse gegenüber Einzelpersonen und Konzerneinheiten gehabt hätte, waren zur Entlastung nicht geeignet. Im Gegenteil sei dies wiederum nur ein weiteres Anzeichen für „das Fehlen eines funktionierenden Compliance-Systems, das der Vorstand im Rahmen seiner Gesamtverantwortung für die Einhaltung des Legalitätsprinzips hätte einrichten“ und wirksam kontrollieren müssen. Mithin bestimmt diese Entscheidung deutliche Delegationsgrenzen, sowohl was die Verantwortung für die Einrichtung eines effizienten und effektiven CMS als Ganzen angeht, als auch zur Erfüllung der 5 Bicker, AG 2012, 543 mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 6 Teilweise wird zur Begründung der Legalitätskontrollpflicht des Vorstands auch auf die ordnungswidrigkeitenrechtliche Norm des § 130 OWIG rekurriert. Diese Vorschrift des öffentlichen Rechts postuliert jedoch eo ipse keine im Innenverhältnis einer Aktiengesellschaft greifende Vorstandspflicht, vgl. Bicker, ZWH 2013, 474. 7 Kort, in: Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 91, Rn. 65; Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2005, § 91, Rn. 36. 8 Bicker, ZWH 2013,474 mit vielen weiteren Quellenangaben. 9 Bicker, ZWH 2013, 475. 10 Bicker, ZWH 2013, 477. 11 LG München I, 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, BB 2014, 850 Ls m. BB-Komm. Grützner, CB 2014, 167 m. CB-Komm. Kränzlin/Weller; Späth/Weidmann, CB 2015, 8 ff; AG 2014, 332 ff. 12 AG 2014, 333. 13 LG München I, 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, BB 2014, 850 Ls m. BB-Komm. Grützner, CB 2014, 167 m. CB-Komm. Kränzlin/Weller; Entscheidungsgründe, Abschn. I. Ziff. 1. A. (1), S. 22; „Dabei gilt dies auch in Bezug auf die Einhaltung ausländischer Rechtsvorschriften, zu denen jedenfalls seit der auch im innerstaatlichen Recht gültigen Vorgaben des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997 gehört. Namentlich seit der Umsetzung in innerstaatliches Recht durch Art. 2 § 1 EUBestG und Art. 2 § 2 IntBestG sind Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates ebenso unter Strafe gestellt wie Schmiergeldzahlungen an ausländische Privatpersonen, für die § 299 III. StGB gilt. Demgemäß bedeuten grenzüberschreitende Schmiergeldzahlungen eine Gesetzesverletzung, die sich auch nicht aus der Erwägung heraus rechtfertigen lässt, anderenfalls seien wirtschaftliche Erfolge auf korruptiven Auslandsmärkten nicht mehr möglich.“; Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93, Rn. 27; Bürgers/Israel, in: Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 93, Rn. 7; Bicker, AG 2012, 542, 543. 14 LG München I, 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, BB 2014, 850 Ls m. BB-Komm. Grützner, CB 2014, 167 m. CB-Komm. Kränzlin/Weller; Entscheidungsgründe, Abschn. I. Ziff. 1. A. (2) (b), S. 27. 15 LG München I, 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, BB 2014, 850 Ls m. BB-Komm. Grützner, CB 2014, 167 m. CB-Komm. Kränzlin/Weller; Entscheidungsgründe, Abschn. I. Ziff. 1. A. (2) (b), S. 28. Compliance-Berater | 6/2015 | 2.6.2015 202 BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT damit zusammenhängenden Aufgaben.16 Diese können sogar die zentrale Gestaltung, regelmäßiger Information und ständige Verbesserung von Geschäftspartnerprüfungsprozessen auch in weit entlegenen ausländischen Tochtergesellschaften umfassen, wobei das erkennende Gericht ausdrücklich nicht auf unternehmens-spezifische Management-Strukturen (wie z. B. einen „Bereichsvorstand“) abstellt, sondern den aktienrechtlichen Vorstand selbst in die Pflicht nimmt. Die Verantwortung für Compliance darf nicht zu weit auf nachgeordnete Führungsebenen delegiert werden; ganz besonders nicht, wenn bereits konkrete Gesetzesverstöße bekannt sind. 2. Internationales Recht a) US Foreign Corrupt Practices Act Die erste Gesetzgebung mit extraterritorialer Anwendbarkeit17 und Relevanz für Geschäftspartnerprüfungen ist der US Foreign Corrupt Practices Act („FCPA“) aus dem Jahr 1977.18 Dem vom US Justizministerium (Department of Justice/„DoJ“) gemeinsam mit der US Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission/„SEC“) am 14.11.2012 herausgegebenen FCPA Ressource Guide („FCPA Guide“)19 lassen sich weitere Hinweise entnehmen. Explizit wird formuliert, dass Geschäftspartnerprüfungsprozesse als solche ein besonderes Bewertungskriterium bei der Beurteilung der CMS-Tauglichkeit bei einer Strafverfolgung auf Grundlage des FCPA darstellen. 20 Selbst wenn das Ausmaß von Geschäftspartnerprüfungen in Unternehmen unterschiedlicher Industriezugehörigkeiten, Größenordnungen oder Ländern variieren kann, so beanspruchen die folgenden Prinzipien doch allgemeine Anwendbarkeit: – Implementierung eines risiko-basierten Geschäftspartnerprüfungsprozesses – Kenntnis des konkreten Beauftragungsbedarfs – Festlegung von Zahlungsbedingungen – Vergleich mit Marktüblichkeit – Zeitlicher Bezug der Involvierung des Geschäftspartners – Überwachung – Kommunikation der eigenen Compliance-Anstrengungen an den Geschäftspartner Der FCPA Guide schreibt explizit keine hierarchischen Mindestanforderungen im speziellen Zusammenhang von Geschäftspartnerprüfungen vor. Aus den allgemeinen Ausführungen zur notwendigen Behandlung von Zahlungen an dritte Parteien jedoch lassen sich wertvolle Angaben entnehmen.21 Nach dem FCPA ist Wissen zuzurechnen, wenn sich jemand darüber bewusst ist oder daran glaubt, dass verdächtige Umstände vorliegen oder eine Bestechung mit einem hohen Grad an Vorhersehbarkeit stattfindet.22 Der US-Gesetzgeber will mit diesem weiten Kenntnis-Begriff nicht nur eine Strafbarkeit für tatsächliches Wissen erreichen, sondern ganz gezielt auch diejenigen bestrafen, die bereits die Kenntniserlangung bewusst vermeiden wollen.23 Daraus folgt, dass ein robuster, FCPA-tauglicher Geschäftspartnerprüfungsprozess nur dann ein Unternehmen, dessen Leitungsorgane und Mitarbeiter von einer strafrechtlichen Verantwortung enthaftet, wenn eine zuverlässige Kenntniserlangung des Top-Managements bereits bei Verdacht auf Fehlverhalten bei einzelnen fragwürdigen Geschäftspartnern gewährleistet werden kann. b) US Sentencing Guidelines Bei den US Federal Sentencing Guidelines („Sentencing Guidelines“) handelt es sich um umfangreiche Strafzumessungsvorschriften in Ergänzung zum materiellen US-Strafrecht. Sie stellen unmissverständlich klar, dass Organisationen – bspw. Wirtschaftsunternehmen –, Compliance-Berater | 6/2015 | 2.6.2015 Mayer, Wer muss eine Compliance-Prüfung neuer Geschäftspartner freigeben? insofern sie durch Vertreter agieren, genau wie Individuen strafbar sein können und daher ggf. auch strafrechtlich für das Fremdverschulden Dritter haften.24 Zugleich sieht das Sanktionsinstrumentarium der Sentencing Guidelines aber ausdrücklich Anreize für Organisationen vor, interne Mechanismen zur Vermeidung, Entdeckung und Anzeige kriminellen Verhaltens zu implementieren. Diese Mechanismen müssen allerdings geeignet sein, die genannten Funktionen zu erfüllen. So müssen gem. § 8 B 2.1. (a) (1) der Sentencing Guidelines effektive Compliance-Programme ganz grundsätzlich regelmäßige Due-Diligence-Prüfungen vorsehen, um kriminelles Verhalten zu vermeiden bzw. zu entdecken. § 8 B 2.1. (b) schreibt expressis verbis Mindeststandards vor, wie solche Due-Diligence-Prüfungen zu gestalten sind. Zunächst müssen Unternehmen verbindliche Standards festlegen und geeignete Prozesse definieren, § 8 B 2.1. (b) (1). Sodann muss das Unternehmen diese Standards und Prozesse auch befolgen, überwachen und regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen, § 8 B 2.1. (b) (5). Standards und Prozesse in diesem Zusammenhang müssen Verhaltensvorschriften und interne Kontrollen darstellen, die nach vernünftigen Maßstäben auch schlechterdings tauglich sind, die Eintrittswahrscheinlichkeit kriminellen Verhaltens zu mindern.25 Darüber hinaus fordert § 8 B 2.1. (b) (2) (A) unmissverständlich, dass das Leitungsorgan des Unternehmens über den Inhalt und den Betrieb des Compliance-Programms gut unterrichtet sein muss und die tatsächliche Einführung und Wirksamkeit des Compliance-Programms zu beaufsichtigen hat.26 Dabei bezeichnet der Begriff „Leitungsorgan“ das höchste Organ des Unternehmens, also entweder das Board of Directors oder – falls nicht vorhanden – das ansonsten höchste Leitungsgremium.27 Weiter wird in § 8 B 2.1. 16 LG München I, 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, BB 2014, 850 Ls m. BB-Komm. Grützner, CB 2014, 167 m. CB-Komm. Kränzlin/Weller; Entscheidungsgründe, Abschn. I. Ziff. 1. A. (2) (b), S. 31. 17 Zur Notwendigkeit der Beachtung ausländischen Rechts s. oben Fn. 13 mit weiteren Nachweisen. 18 Abrufbar unter www.justice.gov/criminal/fraud/fcpa/docs/fcpa-english. pdf (Abruf: 7.5.2015). 19 Abrufbar unter www.justice.gov/criminal/fraud/fcpa/guidance/guide.pdf (Abruf: 7.5.2015); vgl. auch allgemein zur FCPA-Anwendbarkeit außerhalb der USA: Spehl/Grützner, CCZ 2013, 198 ff. 20 FCPA Guide (Fn. 19), S. 60: Third Party Due Diligence and Payments. 21 FCPA Guide (Fn. 19), S. 21 ff. 22 Der FCPA Guide (Fn. 19), S. 22, spricht von „substantially certain“. 23 Das ominöse Vogel-Strauß-Syndrom bzw. „Kopf-in-den-Sand“ stecken – von US DoJ und SEC abwechselnd als bewusste Vernachlässigung – „„conscious disregard“, vorsätzliche Blindheit – „willful blindness“ oder absichtliche Ahnungslosigkeit – „deliberate ignorance“ – bezeichnet – soll als mögliche Einwendung zu Gunsten einer Unternehmensleitung umfassend bekämpft werden gerade dann, wenn nach vernünftigen Maßstäben klar erkennbare Alarmsignale wie „Rote Flaggen“ wie unmäßig hohe Kommissionszahlungen an einen Geschäftspartner oder dessen Verlangen nach Bezahlung auf ein Bankkonto in einem Offshore-Finanzplatz vorliegen. Vgl. FCPA Guide (Fn. 19), S. 22. 24 Sentencing Guidelines i. d. F. vom 1.11.2014; Chapter 8, Introductory Comment, P. 495; abrufbar unter www.ussc.gov/sites/default/files/pdf/guidelines-manual/2014/CHAPTER_8.pdf (Abruf: 7.5.2015). 25 Sentencing Guidelines, Commentary § 8 B 2.1, Application Notes, 1. Definitions, „Standards and procedures“. 26 „The organization’s governing authority shall be knowledgeable about the content and operation of the compliance and ethics program and shall exercise reasonable oversight with respect to the implementation and effectiveness of the compliance and ethics program.“ 27 Sentencing Guidelines, Commentary § 8 B 2.1, Application Notes, 1. Definitions, „Governing authority“ Mayer, Wer muss eine Compliance-Prüfung neuer Geschäftspartner freigeben? (b) (2) (B) oberen Führungskräften die Pflicht auferlegt, das tatsächliche Vorhandensein eines wirksamen Compliance Programms im Unternehmen sicherzustellen. Besondere Mitarbeiter innerhalb dieses Kreises der oberen Führungskräfte sollen mit der Verantwortung für das Compliance-Programm betraut werden.28 Schließlich soll nach § 8 B 2.1. (b) (2) (C) einzelnen Mitarbeitern außerhalb des o. g. Personenkreises – d. h. nicht notwendigerweise obere Führungskräfte – die operative Verantwortung für den Betrieb des Compliance-Programms übertragen werden. Allerdings haben die derart Beauftragten in regelmäßigen Abständen an die jeweiligen oberen Führungskräfte und, falls notwendig, auch an das oberste Leitungsgremium oder eine geeignete Untergruppierung davon zu berichten. Um diese operative Verantwortung auch tatsächlich wahrnehmen zu können, müssen diese besonderen Mitarbeitern über angemessene Mittel, ausreichende Entscheidungskompetenz und einen direkten Zugang zum obersten Leitungsorgan (oder einer geeigneten Untergruppierung davon) verfügen.29 Mitarbeiter mit bekannt rechtswidrigen Vorverhalten dürfen gem. § 8 B 2.1. (b) (3) nicht in den Personenkreis der genannten oberen Führungskräfte oder besonderen Mitarbeiter berufen werden. Auffällig ist der hohe Detaillierungsgrad, mit dem die Sentencing Guidelines in der Kommentierung zu § 8 A 1.2 die betroffenen Mitarbeiterkreise näher bestimmen.30 Der „obere Führungskreis“ i. S. d. Vorschrift zeichnet sich durch eine weitreichende Kontrolle über die Unternehmensorganisation aus oder verfügt über maßgeblichen Einfluss zur Vorgabe verbindlicher Vorschriften innerhalb des gesamten Unternehmens. Beispielhaft werden Direktoren, Vorstände oder die Leiter von Geschäftseinheiten/Unternehmensfunktionen (z. B. Vertrieb oder Finanzen) aufgeführt. Gleichermaßen in diesen Kreis gehören Eigentümer größerer Unternehmensanteile. Die Sentencing Guidelines führen diese Definitionen bis hin zur Beschreibung des oberen Führungskreises in Unternehmenseinheiten aus, wobei durchgehend auf Kontrollvermögen und Vorschriftenerlass – ggf. im Wirkungsbereich der jeweiligen Unternehmenseinheit – abgestellt wird. 31 Im Rahmen der Sanktionierung eines beschuldigten Unternehmens wird dem Vorhandensein und der Ausformung eines CMS durch ein Punkte-basiertes System Rechnung getragen: Verfügt das Unternehmen über ein tatsächlich wirkungsvolles Compliance-Programm, so werden in strafmildernder Weise drei Punkte von der Gesamtwertung nach § 8 C 2.5 (f) (1), die Maßstab für die Schuld des Unternehmens ist, abgezogen. Im Falle einer Beteiligung eines Leiters einer Unternehmenseinheit an einer Rechtsverletzung werden drei Punkte zur Strafverschärfung aufgeschlagen. Gehört der gleiche Leiter einer Unternehmenseinheit gleichzeitig dem oberen Führungskreis des Gesamtunternehmens an, werden sogar vier (Straf-)Punkte addiert. Daraus wird ersichtlich, dass – ähnlich wie bei FCPA und der Neubürger-Entscheidung – auch hier ein Unterlassen der oberen Führungskreisangehörigen („strategisches Wegschauen“) letztendlich eine schärfere Sanktionierung nach sich zieht als der gleiche Vorwurf gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern. Deshalb sollten sich gerade auch die Mitglieder des obersten Führungskreises um eine möglichst unmittelbare Kontrolle über Compliance-Prozesse (wie eben Geschäftspartnerprüfungen) auch in nachgeordneten ausländischen Unternehmenseinheiten bemühen. c) UK Bribery Act Am 1.7.2011 trat der UK Bribery Act 201032 in Kraft, der ähnlich wie der US-FCPA über eine große exterritoriale Reichweite verfügt. BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT 203 Ergänzend zum Gesetzestext hat das britische Justizministerium (Ministry of Justice) eine Bribery Act 2010 Guidance herausgegeben, worin u. a. auch auf die Notwendigkeit von Geschäftspartnerprüfungen eingegangen wird.33 Insbesondere wird klargestellt, dass Unternehmen ganz allgemein einen beträchtlichen Vorsorgeaufwand betreiben müssen, bevor sie in neue Geschäftsbeziehungen eintreten. Einer sorgfältigen Due Diligence und Risikokontrolle kommt bei jeder neuen rechtsverbindlichen Verpflichtung hohe Bedeutung zu. Dementsprechend kann das Vorhandensein eines tatsächlich im Unternehmen implementierten Compliance-Programms – einschließlich Due Diligence- bzw. Geschäftspartnerprüfungsprozessen – gem. Section 7. II. des UK Bribery Acts von einer strafrechtlichen Zurechnung des korrupten Verhaltens Dritter enthaften. In Ermangelung konkreter weiterer Vorgaben ist bei der Gestaltung solcher Geschäftspartnerprüfungsprozesse auf den allgemeinen Grundsatz der Risiko-Angemessenheit anzuknüpfen. 28 „High-level personnel of the organization shall ensure that the organization has an effective compliance and ethics program, as described in this guideline. Specific individual(s) within high-level personnel shall be assigned overall responsibility for the compliance and ethics program.“ (3) The organization shall use reasonable efforts not to include within the substantial authority personnel of the organization any individual whom the organization knew, or should have known through the exercise of due diligence, has engaged in illegal activities or other conduct inconsistent with an effective compliance and ethics program. 29 „Specific individual(s) within the organization shall be delegated day-to-day operational responsibility for the compliance and ethics program. Individual(s) with operational responsibility shall report periodically to high-level personnel and, as appropriate, to the governing authority, or an appropriate subgroup of the governing authority, on the effectiveness of the compliance and ethics program. To carry out such operational responsibility, such individual(s) shall be given adequate resources, appropriate authority, and direct access to the governing authority or an appropriate subgroup of the governing authority.“ 30 Sentencing Guidelines, § 8 A 1.2., Commentary, Application Notes 3. (B): „High-level personnel of the organization“ means individuals who have substantial control over the organization or who have a substantial role in the making of policy within the organization. The term includes: a director; an executive officer; an individual in charge of a major business or functional unit of the organization, such as sales, administration, or finance; and an individual with a substantial ownership interest. (…) 31 Sentencing Guidelines, § 8 C 2.5., Commentary, Application Notes 2. und 3.: 2. „For purposes of subsection (b), „unit of the organization“ means any reasonably distinct operational component of the organization. For example, a large organization may have several large units such as divisions or subsidiaries, as well as many smaller units such as specialized manufacturing, marketing, or accounting operations within these larger units. For purposes of this definition, all of these types of units are encompassed within the term „unit of the organization.“ 3. „High-level personnel of the organization“ is defined in the Commentary to § 8A1.2 (Application Instructions – Organizations). With respect to a unit with 200 or more employees, „high-level personnel of a unit of the organization“ means agents within the unit who set the policy for or control that unit. For example, if the managing agent of a unit with 200 employees participated in an offense, three points would be added under subsection (b) (3); if that organization had 1,000 employees and the managing agent of the unit with 200 employees were also within high-level personnel of the organization in its entirety, four points (rather than three) would be added under subsection (b)(2).“ 32 Vgl. www.legislation.gov.uk/ukpga/2010/23/contents (Abruf: 7.5.2015). 33 Vgl. The UK Bribery Act 2010 Guidance, S. 27, Principle 4: Due Diligence; abrufbar unter www.justice.gov.uk/downloads/legislation/bribery-act2010-guidance.pdf (Abruf: 7.5.2015). Compliance-Berater | 6/2015 | 2.6.2015 204 BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT 3. Internationale Richtlinien a) OECD Richtlinie Typologies on the Role of Intermediaries in International Business Transactions Nicht nur die internationale Gesetzgebung, sondern auch die Richtlinien internationaler Organisationen sind als Erkenntnisquellen zu berücksichtigen. 2009 hat die Arbeitsgruppe für internationale Korruptionsbekämpfung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Cooperation and Development, „OECD“) eine Richtlinie zu Intermediären in internationalen Geschäftsvorgängen herausgegeben34. Ziff. 87 dieser OECDRichtlinie bietet Hinweise zu den Anforderungen an die Auswertung und Freigabe von Geschäftspartnerprüfungen.35 Dabei werden drei funktionsfähige Modelle unterschieden: Bei einem zentralisierten Konzept ist der Chief Compliance Officer der letzte Entscheider zur Freigabe eines Geschäftspartners; Geschäftseinheiten können dazu Empfehlungen machen. Anders liegt bei einem dezentralen Ansatz die letzte Entscheidungskompetenz bei den einzelnen Geschäftseinheiten. Zwischen diesen beiden Extremen besteht die Möglichkeit eines Mischmodells. In jedem Fall sind gemäß dieser OECD-Vermittler-Richtlinie bei der Freigabe von Geschäftspartnern mit erkennbar höherem Risiko weitreichendere Untersuchungen durchzuführen und die Freigabe durch eine Compliance-Abteilung oder sogar den Chief Compliance Officer zu erteilen.36 b) ICC Guidelines on Agents, Intermediaries and Other Third Parties Die Internationale Handelskammer (International Chamber of Commerce/„ICC“) hat im Jahr 2010 Richtlinien zu Agenten, Intermediären und anderen dritten Parteien formuliert.37 In Abschn. III. wird Konzeption eines Geschäftspartnerprüfungsprozesses als Notwendigkeit beschrieben.38 Da es allerdings keine einheitliche Lösung für alle Unternehmen geben könne, müssen spezifische Konzepte für die jeweilige Sondersituation des einzelnen Unternehmens entworfen werden und zwar in Abhängigkeit von Unternehmensgröße, Ressourcen und einschlägigem Risikoprofil. Als Grundsatz empfiehlt die ICC-Richtlinie aber eine klare Funktionstrennung in Form eines Bewertungs- und eines Freigabeprozesses, welcher verbindlich die Einschaltung einer unabhängigen Unternehmensfunktion vorschreibt. Neben der „unterstützenden Abteilung“ mit einem Eigeninteresse an der Beauftragung eines Geschäftspartners soll als Gegenpol eine „beaufsichtigende Abteilung“ – z. B. eine Rechts- oder ComplianceAbteilung – bei der Freigabe involviert werden. 39 Zur Vermeidung von Interessenskollisionen wird in Abschn. VII. dazu weiter ausgeführt,40 dass Mitarbeiter mit Freigabeverantwortung außerhalb von unterstützenden Abteilungen über einen direkten Zugang zum Vorstandsvorsitzenden oder dem Unternehmensleitungsgremium („Board of Directors“) verfügen sollten, um ihre Unabhängigkeit zu stärken. Es kann sogar empfehlenswert erscheinen, dass die beaufsichtigenden Abteilungen im Unternehmen für alle Geschäftspartnerprüfungen und -freigaben allein zuständig sind. Als Alternative dazu kann ein Unternehmensausschuss aus unabhängigen Mitgliedern mit der Freigabeentscheidung betraut werden. In diesem Fall muss laut den ICC-Guidelines ein solcher Ausschuss mindestens mit Vertretern aus Finanz-, Rechts- und Compliance-Abteilungen besetzt sein. Welchen Führungskreisen oder Managementebenen diese Mitglieder angehören sollten bleibt allerdings offen. Zusammenfassend ergibt sich aus der Analyse dieser ICC-Guidelines die explizit genannte Notwendigkeit einer funktionalen Trennung der Abteilung, welche die Geschäftspartnerprüfung beaufsichtigen sollte, von den operativ betroffenen Compliance-Berater | 6/2015 | 2.6.2015 Mayer, Wer muss eine Compliance-Prüfung neuer Geschäftspartner freigeben? Abteilungen. Implizit fordert die Richtlinie darüber hinaus eine angemessene Hierarchiestufe der beaufsichtigenden Abteilung, sodass ein unmittelbarer Zugang zum Vorstandsvorsitzenden oder zum Unternehmensleitungsorgan sichergestellt ist. c) WEF/PACI Good Practice Guidelines on Conducting Third Party Due Diligence und PACI Principles for Countering Bribery Die Partnering Against Corruption Initiative („PACI“) des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum, „WEF“) hat im Jahr 2013 Richtlinien zur Durchführung von Geschäftspartnerprüfungen41 veröffentlicht, welche die schon seit 2009 eingeführten PACI-Prinzipien zur Korruptionsbekämpfung42 konkretisieren. Dort schreibt insbesondere das PACI-Prinzip 5.2 Unternehmen vor, eigene ComplianceProgramme auch auf alle externen Geschäftsbeziehungen auszudehnen. In diesem Zusammenhang sind Geschäftspartnerprüfungen von 34 Richtlinie der OECD Workinig Group on Bribery in Internation Business Transactions vom 9.10.2009. 35 Vgl. www.oecd.org/investment/anti-bribery/anti-briberyconvention/ 43879503.pdf (Abruf: 7.5.2015); Ziff. 87, S. 19: „As for who will assess a potential intermediary and make the decision to hire, there are three different models. Some companies use a strictly centralised system: the chief compliance officer assesses the candidates and makes the final hiring decision, though a business unit may make a recommendation. Other companies use a decentralised system in which business units have the final say. Lastly, some companies use a hybrid model. Intermediaries that prima facie have higher risk may be subject to closer scrutiny and approval by the company’s compliance department or even the chief compliance officer.“ 36 Nota bene: hier wird nicht exakt definiert, ob es sich um „eine“ ComplianceAbteilung oder „die“ (einzige, weil zentralisierte?) Compliance-Abteilung eines Unternehmens handeln soll. 37 ICC-Guidelines vom 19.11.2010. 38 Document 195-11 Rev2 Final EN VS/zse, S. 2, III. Selecting a Due Diligence Process; abrufbar unter www.iccwbo.org/Advocacy-Codes-and-Rules/Document-centre/2010/ICC-Guidelines-on-Agents,-Intermediaries-and-OtherThird-Parties/ (Abruf: 7.5.2015). 39 ICC Guidelines (Fn. 37), S. 3: „Additionally, an enterprise might – at least where a certain risk for bribery is feared – establish a process for the due diligence review and approval of Third party transactions that requires the participation of a designated function independent from the business unit that may have an interest in engaging the Third party („the Sponsoring Department“), e.g. Compliance or Legal („the Reviewing Departments“) (see chapter VII below). For small to medium sized enterprises that do not have the internal resources to support an independent Compliance or Legal organization, the due diligence review and approval process could be managed by individuals who are independent of the Sponsoring Department. Some enterprises may consider involving outside legal or compliance or accounting experts in the due diligence process.“ 40 ICC Guidelines (Fn. 37), S. 6, VII. Approval of Third Party Transactions: „Because of the potential for conflicts of interest described above, persons with responsibility or accountability for approving relationships with Third parties may need to be situated outside of the Sponsoring Department because of the potential for conflicts of interest as described above in chapter V.1. In addition, it may be useful for persons with this type of responsibility to have direct access to the CEO or the Board of Directors to ensure their independence and accountability. As a result, enterprises may want to nominate Reviewing Departments to be responsible or accountable for all decisions regarding the approval of Third parties that present bribery risks. Alternatively, enterprises could appoint a committee of individuals who are independent of the sponsoring entity or employee and, at minimum, comprised of representatives from e.g. the finance and legal/compliance departments.“ 41 Abrufbar unter www3.weforum.org/docs/WEF_PACI_ConductingThirdParty DueDiligence_Guidelines_2013.pdf (Abruf: 7.5.2015). 42 Abrufbar unter www3.weforum.org/docs/WEF_PACI_Principles_2009.pdf (Abruf: 7.5.2015). Mayer, Wer muss eine Compliance-Prüfung neuer Geschäftspartner freigeben? maßgeblicher Bedeutung und erfordern einen besonderen Prozess sowohl für das Stadium der Freigabe als auch die Phase einer Geschäftsbeziehung nach der Freigabe.43 Für beide Phasen empfiehlt die WEF/PACI Geschäftspartnerprüfungs-Richtlinie in Abschn. 4. eine starke Partnerschaft zwischen der Geschäftseinheit, die einen Geschäftspartner beauftragen will und der zuständigen ComplianceAbteilung – wiederholt damit aber implizit auch das bereits oben beschriebene Prinzip einer funktionalen Trennung. Detaillierte Ausführungen in Abschn. 4. A. beschreiben die erforderliche Unterscheidung von Geschäftspartnern mit niedriger Risikoausprägung und solchen mit mittlerer- oder hoher Risikoneigung. Ein klar definierter Freigabe-Prozess trägt einer solchen Differenzierung in abgestufter Weise Rechnung. Während es genügen soll, dass Geschäftspartner mit niedrigem Risiko von der Leitung der für die beabsichtige Geschäftsbeziehung zuständigen Geschäftseinheit selbst freigegeben werden, sind in Fällen von mittlerer oder hoher Risikoausprägung die Leitungsebenen von mindestens zwei Geschäftseinheiten am Freigabe-Prozess zu beteiligen. Dabei soll es sich neben der potentiell beauftragenden Abteilung auch um eine Geschäftseinheit handeln, die keine Vorteile aus der geplanten Geschäftspartnerbeziehung ziehen kann, z. B. eine Compliance-Abteilung.44 Ergänzend ist ein Rückgriff auf die PACI-Prinzipien von 2009 hilfreich. Diese stellen klar, dass neben einer funktionalen Trennung mehrerer freigebender Unternehmenseinheiten auch höchstmögliche Seniorität – i. S. d. hierarchischen Stellung – des Compliance Managements zu gewährleisten ist.45 Das PACI-Prinzip 5.1.1 weist dem höchsten Unternehmensleitungsorgan – hier als Board of Directors bezeichnet – nicht nur die Aufsichtspflicht für die Entwicklung und Einführung eines wirkungsvollen Compliance-Programmes zu. Gemäß 5.1.2 wird vielmehr auch der Vorstandsvorsitzende expressis verbis in die Pflicht genommen, für die nachhaltige Ausführung des Compliance-Programms und klare Befugnisse Sorge zu tragen. Die Übertragung der Aufgabe, ein Compliance-Programm – einschließlich eines Geschäftspartnerprüfungs- und -freigabeprozesses – zu implementieren, kann folglich nur an einen Angehörigen des oberen Führungskreises mit direkter Berichtslinie zum Vorstandsvorsitzenden ergehen.46 III. Ergebnis Nach der Auswertung der beschriebenen Quellen kann zunächst zusammengefasst werden, dass derzeit (noch) kein weltweit einheitlicher Rechtsstandard zur konkreten Beschreibung von Mindestanforderungen an die Freigabe von Geschäftspartnerprüfungen besteht. Aus den Ausführungen zur zivilrechtlichen Verantwortung von Vorständen für Compliance-Programme im Allgemeinen und für Geschäftspartnerprüfungsprozesse im Speziellen in der „Neubürger“Entscheidung des LG München I, den granularen Legaldefinitionen der für den Betrieb eines wirkungsvollen Compliance Programms erforderlichen Unternehmenshierarchieebenen im 8. Kapitel der US Sentencing Guidelines sowie den ausdrücklichen Vorgaben zu der Leitungsverantwortung von Geschäftseinheiten im Geschäftspartnerprüfungs- und Freigabeprozess der WEF/PACI-Richtlinie folgt jedoch, dass die Verantwortung wie auch die Aufgabe der Durchführung bzw. Freigabe von Geschäftspartnerprüfungsprozessen in international tätigen Unternehmen nicht beliebig weit delegiert werden kann. Die obersten Organe der Unternehmensleitung – also der aktienrechtliche Vorstand oder die Geschäftsführung einer GmbH – haben BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT 205 die unmittelbare Verantwortung für Aufbau, Überwachung, Betrieb und konsequente Weiterentwicklung eines wirkungsvollen CMS inne und können diese nicht mit befreiender Wirkung abgeben. Unter Berücksichtigung bestimmter Bedingungen kann allerdings eine Delegation der Aufgabenerfüllung in gewissen Grenzen vorgenommen werden. Wenn keine konkreten Hinweise zu wiederholten Rechtsverstößen gegen nationales oder internationales Recht vorliegen, kann die Übertragung von Freigaben für Geschäftspartnerprüfungen bspw. auf die Leitung von Landesgesellschaften zulässig sein. Geschäftspartnerprüfungsprozesse können schließlich unter Einhaltung des bspw. in den ICC- und WEF/PACI-Richtlinien formulierten Grundsatzes einer funktionalen Trennung zwischen einer potentiell beauftragenden Geschäftseinheit und einer unabhängigen Compliance-Abteilung sowie mit dem Konzept einer risiko-orientierten Abstufung unterschiedlicher Freigabe-Erfordernisse unter notwendiger Beteiligung der Compliance-Abteilung bei Geschäftspartnern mit höherer Risikoausprägung so ausgestaltet werden, dass sie ein optimales (zivil- wie straf-)rechtliches Enthaftungspotential für das Unternehmen und dessen Leitungsorganmitglieder bieten. Konsequent im ganzen Unternehmen implementiert und kontinuierlich fortentwickelt ermöglichen derart gestaltete Geschäftspartnerprüfungsprozesse darüber hinaus auch handfeste betriebswirtschaftliche Vorteile in der täglichen Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Geschäftspartnern dank deutlich verbesserter Transparenz und Kontrolle der jeweiligen Geschäftsbeziehung. AUTOR Eric Mayer, RA, ist Partner bei Pohlmann & Company in München. Er berät internationale Unternehmen bei Konzeption, Aufbau und Betrieb von Compliance-Management-Systemen. Den Schwerpunkt seiner Beratung bildet die Implementierung von geschäftsbezogenen, risikobasierten Compliance Prozessen, -Kontrollen und -Tools. Dabei ist er spezialisiert auf Geschäftspartnerprüfungen und M&A-Compliance-Due-Diligences. 43 WEF/PACI-Richtlinie, S. 13, 4. Approval Process and Post-Approval Risk Mitigation. 44 WEF/PACI Richtlinie (Fn. 43), 4. a. Approval Process. „Once the risk assessment and due diligence processes are complete, the organization should apply a clear system of approval for determining whether or not to move forward with the third party: – For low-risk third parties, it is appropriate for the management of the business unit to be responsible for approving the business relationship. – For medium- to high-risk third parties, there should be a minimum of two business units involved in the approval process: – the management of the business unit, and – another level of management which has nothing to gain from the selection of the third party (e.g. the compliance or legal department).“ 45 PACI-Prinzipien (Fn. 42), S. 14, 5.1. 46 Zusätzlich nimmt das PACI Prinzip 5.1.3. das Board of Directors, den Vorstandsvorsitzenden (CEO) und das gesamte Senior Management in die Verantwortung für ein klar erkennbares und aktives Bekenntnis zur Implementierung aller PASCI-Prinzipien zur Korruptionsbekämpfung. Compliance-Berater | 6/2015 | 2.6.2015