ÖKONOMISCH GESEHEN… 26. August 2014 EUROPÄISCHE ARBEITSLOSENVERSICHERUNG: TRANSFERUNION DURCH DIE HINTERTÜR von Dr. Jörn Quitzau, Berenberg Volkswirt An den Finanzmärkten ist die Euro-Vertrauenskrise vorüber. Die vergangenen Jahre wurden nicht nur genutzt, um in den von der Krise besonders betroffenen Ländern wachstumsfreundliche Reformen umzusetzen, sondern auch, um die Architektur der Währungsunion gründlich zu überarbeiten. Trotz aller Erfolge wird in Brüssel weiter über Maßnahmen nachgedacht, wie die Wirtschafts- und Währungsunion weiterentwickelt werden könnte. Gerade hat der ungarische Sozialkommissar Lászlo Andor die Forderung nach einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung für die Länder der Eurozone erneuert. Worum geht es? Befürworter einer europäischen Arbeitslosenversicherung behaupten, dass die Eurozone einen permanenten Ausgleichsmechanismus benötigt, weil sie nicht die Kriterien eines optimalen Währungsraums erfüllt. Dahinter steckt folgende Überlegung: Wenn zwei Länder mit jeweils eigener Währung unterschiedlich stark von einem ökonomischen Schock – zum Beispiel einer tiefen Rezession – getroffen werden („asymmetrische Schocks“), kann der Wechselkurs einen Teil der nötigen Anpassung übernehmen. Der Wechselkurs des Landes, dessen Wirtschaft besonders stark getroffen wird, sinkt und stellt damit die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft wieder her. Dadurch werden die Rezession und die damit verbundene Arbeitslosigkeit schneller wieder überwunden. Wenn beide Länder nun eine Währungsunion eingehen, entfällt der Wechselkurs als Anpassungsinstrument. Steigende Arbeitslosigkeit kann nicht über das Abwerten der eigenen Währung verhindert werden. Einige Beobachter aus Politik und Wissenschaft plädieren deshalb für Finanztransfers, also für Ausgleichszahlungen zwischen wirtschaftlich unterschiedlich starken Regionen innerhalb eines Währungsraums wie der Eurozone.1 Wenn eine Teilregion des Währungsraums durch einen ökonomischen Schock getroffen wird, sollten nach dieser Logik die stärkeren Regionen Transferzahlungen leisten, um die Krisenregion zu stabilisieren und um ihr aus der Rezession zu helfen. Eine gemeinsame europäische Vgl. z.B. Guntram B. Wolff, A budget for Europe’s Monetary Union, BRUEGEL Policy Contribution 22/2012. 1 Arbeitslosenversicherung würde genau dies bewirken: Länder mit hoher Arbeitslosigkeit erhalten Geldleistungen, die von Ländern mit geringer Arbeitslosigkeit finanziert werden. Bessere Alternativen Transferzahlungen und Wechselkurse sind nicht die einzigen Instrumente, mit denen sich wirtschaftliche Schocks abfedern lassen. Flexibilität in der Wirtschaft ist das beste Mittel. Gemäß Lehrbuch müssen in einer Währungsunion vor allem die Arbeitskräfte flexibel, also mobil sein. Wenn etwa in Spanien die Arbeitslosigkeit hochschnellt, während in Deutschland Arbeitskräftemangel herrscht, müssten spanische Arbeitskräfte ihr Glück in Deutschland versuchen. Ganz so weit sind wir im Euroraum allerdings noch nicht, dafür sind die Sprachbarrieren noch zu hoch und die generelle Flexibilität zu gering. Dennoch haben die Arbeitskräfte insgesamt in der Krise reagiert und damit einen Teil der Arbeitsmarktungleichgewichte abgefedert. Vor allem Bürger aus den 12 neuen EU-Mitgliedsstaaten orientieren sich innerhalb der Eurozone an den Arbeitsmarktchancen und entlasten somit die Arbeitsmärkte der Krisenländer. Flexibilität bedeutet aber nicht nur Mobilität der Arbeitskräfte. Wirtschaftliche Schocks können auch durch flexible Lohnpolitik und angebotsorientierte Wirtschaftspolitik abgefedert werden. Mit Hilfe von Strukturreformen kann eine Volkswirtschaft mittelfristig wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren. Konjunktur- oder Strukturprobleme? Die Ursachen volkswirtschaftlicher Probleme können sehr unterschiedlich – nämlich konjunktureller oder struktureller Art – sein. Das Resultat ist jedoch gleich: Arbeitslosigkeit. Eine ursachengerechte Therapie erfordert zunächst eine korrekte Diagnose. Strukturelle Probleme können nicht durch Konjunkturprogramme gelöst werden, plötzliche Konjunktureinbrüche hingegen können nicht mit langfristig wirkenden Strukturreformen bekämpft werden. Gute Wirtschaftspolitik muss über beide Instrumente verfügen – über konjunkturstabilisierende Maßnahmen und über wachstumsfreundliche Rahmenbedingungen, die eine flexible Wirtschaft gewährleistet. ÖKONOMISCH GESEHEN… Die Eurozone ist gut gerüstet Vor Ausbruch der Euro-Vertrauenskrise gab es manchen Mangel in der Eurozone. Inzwischen ist das institutionelle Gerüst der Währungsunion aber so gut weiterentwickelt, dass Krisen künftig deutlich weniger wahrscheinlich sind und dass im Ernstfall die nötigen Instrumente zur Verfügung stehen. Konjunkturelle Rückschläge konnten schon in der Vergangenheit abgefedert werden, weil der Stabilitätspakt ein Haushaltsdefizit von bis zu 3 % zuließ. Zwar wurde der Stabilitätspakt im Zuge der Krise verschärft und es wird inzwischen noch mehr wert auf ausgeglichene Staatshaushalte gelegt. Allerdings müssen die Haushalte nur strukturell, also unter Ausblendung konjunktureller Aspekte, ausgeglichen sein. Fällt ein Land in die Rezession, erlauben auch die neuen Fiskalregeln konjunkturpolitische Gegenmaßnahmen. Eine Reihe von neuen und verschärften Regeln dürfte dafür sorgen, dass die Eurozone strukturell nicht wieder in schwere Schieflage gerät. So werden die nationalen Schuldenbremsen und der verschärfte Stabilitätspakt (einschließlich quasi-automatischen Sanktionen für Regelbrecher) mehr fiskalische Disziplin bewirken. Auch gibt es inzwischen eine verbesserte makroökonomische Steuerung, so dass die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Mitgliedsländer weniger stark auseinander laufen dürfte. Und schließlich verfügt die Eurozone nun mit dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) im Ernstfall über einen „Retter in letzter Not“: Euro-Teilnehmerländer, die den Zugang zum Kapitalmarkt verlieren, haben die Möglichkeit, gegen wirtschaftspolitische Auflagen finanzielle Hilfe vom ESM zu bekommen. Die Eurozone hat also erstens alle Vorkehrungen getroffen, um die Wahrscheinlichkeit für eine neue Krise deutlich zu reduzieren; Und zweitens könnte die Eurozone – falls es trotz Prävention doch zu einer Krise kommt – diese im Notfall in Eigenregie und ohne die panische Begleitmusik der internationalen Finanzmärkte lösen. 26. August 2014 ∙ Seite 2 zug schmerzhafte wirtschaftspolitische Vorgaben aus Brüssel akzeptieren. Auch hier gibt es also für alle Länder den Anreiz, Strukturreformen aus eigenem Antrieb anzugehen, weil sonst unliebsame Vorgaben von außen drohen. Automatisch einsetzende Ausgleichszahlungen, die durch eine europäische Arbeitslosenversicherung herbeigeführt würde, bewirkten das Gegenteil. Die Anreize für wirtschaftspolitische Reformen würden geschwächt. So hat beispielsweise Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten keine guten Erfahrungen mit dem föderalen Finanzausgleich gemacht. Fazit: Europäische Arbeitslosenversicherung wäre unerwünschter Transfermechanismus Die vorgeschlagene Arbeitslosenversicherung ist der Versuch, verteilungspolitische Ziele mit konjunkturpolitischen und währungstheoretischen Argumenten zu erreichen. Letztlich kann man das Konzept als Transferunion durch die Hintertür, in gewisser Weise also als Etikettenschwindel bezeichnen. Die neuen Regeln der Währungsunion sind gut, sie müssen jetzt glaubwürdig umgesetzt werden. Ein zusätzlicher Umverteilungsmechanismus ist nicht nötig, um die Euro-Vertrauenskrise dauerhaft zu den Akten legen zu können. Die Eurozone verfolgt damit ein Konzept, bei dem die einzelnen Mitgliedsstaaten Anreize haben, wirtschaftliche Probleme durch geeignete Maßnahmen autonom auf nationaler Ebene zu lösen. Nur für den Fall, dass ein Land wegen mangelnder Reformbereitschaft in Schwierigkeiten gerät und über den ESM Hilfe von den Partnerländern benötigt, muss das betreffende Land im GegenWichtige Hinweise: Dieses Dokument stellt keine Finanzanalyse im Sinne des § 34b WpHG, keine Anlageberatung, Anlageempfehlung oder Aufforderung zum Kauf von Finanzinstrumenten dar. Es ersetzt keine rechtliche, steuerliche und finanzielle Beratung. Die in diesem Dokument enthaltenen Aussagen basieren auf allgemein zugänglichen Quellen und berücksichtigen den Stand bis zum Tag vor der Veröffentlichung. 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