Das LHCb-Experiment – Materie, Antimaterie, Dunkle Materie und B

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Jahrbuch 2010/2011 | Schmelling, Michael | Das LHCb-Experiment – Materie, Antimaterie, Dunkle Materie und
B-Physik
Das LHCb-Experiment – Materie, Antimaterie, Dunkle Materie und BPhysik
The LHCb experiment – matter, antimatter, dark matter and Bphysics
Schmelling, Michael
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Am Large Hadron Collider (LHC) des CERN untersucht das LHCb-Experiment seltene Zerfälle spezieller schw erer
Elementarteilchen, sogenannter B-Mesonen. Das Ziel ist es, in Präzisionsmessungen die Grenzen des heutigen
Standardmodells der Teilchenphysik auszuloten und Antw orten auf die Fragen zu finden, w arum vom Urknall
keine Antimaterie im Universum übrig geblieben ist und w as die Natur der Dunklen Materie ist.
Summary
At the CERN Large Hadron Collider (LHC) the LHCb experiment is studying rare decays of B-mesons, i.e., a
special kind of heavy elementary particles. It w ill perform precision measurements in order to find deviations
from the Standard Model of particle physics w ith the goal to understand w hy there is no antimatter left over
from the big bang and w hat is the nature of dark matter.
Mit der Inbetriebnahme des Large Hadron Colliders (LHC) am CERN steht der Teilchenphysik seit Ende 2009 ein
Instrument zur Verfügung, w elches einen neuen Energiebereich erschließt und damit beste Voraussetzungen
schafft,
Antw orten
auf
zentrale
Fragen
zur
Struktur
unseres
Universums
und
der
fundamentalen
W echselw irkungen zu finden.
Offene Fragen der Teilchenphysik
Zu jedem Elementarteilchen gibt es ein Antiteilchen, w elches die gleiche Masse und den gleichen
Eigendrehimpuls, aber die entgegengesetzte Ladung hat. Treffen Teilchen und Antiteilchen aufeinander, so
zerstrahlen sie zum Beispiel in zw ei Gammaquanten (energiereiche Lichtteilchen). Umgekehrt kann man aus
Energie aber auch w ieder Teilchen-Antiteilchen-Paare erzeugen.
© 2011 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
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A bb. 1: Kollision de r Spira lga la x ie n NGC 2207 und IC 2163,
ca . 114 Millione n Lichtja hre von de r Erde e ntfe rnt.
© Hubble Spa ce Te le scope
Eines der zentralen Probleme der Teilchenphysik ist die Frage, w arum vom Urknall her keine Antimaterie übrig
geblieben ist, denn nach allem w as man bisher w eiß, w urden aus der anfangs vorhandenen Energie zunächst
gleiche Mengen Materie und Antimaterie erzeugt. Da sich Materie und Antimaterie bei Kontakt gegenseitig
zerstrahlen, müssten diese im heutigen Universum räumlich getrennt sein. Man könnte sich zum Beispiel
vorstellen, dass es Galaxien aus Materie und solche aus Antimaterie gibt. Allerdings müsste man dann bei
Kollisionen von Galaxien, w ie zum Beispiel in Abbildung 1, in der Hälfte aller Fälle Vernichtungsstrahlung
sehen. In der Tat w ird diese in keinem Fall beobachtet. Auch sonst gibt es keine Hinw eise darauf, dass
irgendw o im Universum nennensw erte Mengen von Antimaterie existieren.
Die Voraussetzungen zur Erklärung dieser Beobachtung w urden erstmals von A. Sakharov [1] formuliert. Einer
der Schlüssel dabei ist die
sogenannte
CP-Verletzung, d.h. ein Unterschied in den fundamentalen
Wechselw irkungen unter Austausch von Teilchen und Antiteilchen (C) bei gleichzeitiger Raumspiegelung (P).
Das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik kennt zw ar CP-Verletzung und kann prinzipiell einen
Materieüberschuss des Universums erklären, es reicht aber nicht aus, die Beobachtungen quantitativ zu
beschreiben. In unserem Universum gibt es etw a 100 Milliarden Galaxien, aber w enn die Physik durch das
Standardmodell vollständig beschrieben w äre, dann gäbe es nur Materie für 100 Galaxien. Man nimmt daher
an, dass es Physik jenseits des Standardmodells gibt, sogenannte Neue Physik.
Besonders interessant sind hier schw ere Elementarteilchen, sogenannte B-Mesonen, die etw a fünfmal so
schw er sind w ie ein Wasserstoffatom, aber einen hunderttausend Mal kleineren Durchmesser haben. Es sind
zusammengesetzte Teilchen, deren Masse zu 99% aus Antimaterie besteht, w ährend die Masse ihrer
Antiteilchen praktisch gänzlich Materie ist. Diese schw eren Teilchen sind nicht stabil und zerfallen in
Tochterteilchen, in denen Materie und Antimaterie gleich stark vertreten sind. Interessanterw eise zerfallen
nun B-Mesonen schneller in bestimmte Endzustände als ihre Antiteilchen, d.h. es gibt Prozesse, w o die
Antimaterie schneller verschw indet als die Materie. Durch detaillierte Untersuchungen solcher Phänomene hofft
man, den Grund für den Materieüberschuss des Universums zu verstehen und Evidenz für Neue Physik zu
finden.
Darüber hinaus w eiß man heute, dass nur ca. 4% der Masse des Universums aus normaler Materie bestehen.
Daneben muss es noch einen fast sechsmal größeren Anteil von sogenannter dunkler Materie geben, deren
Natur gegenw ärtig völlig ungeklärt ist. Es gibt begründete Vermutungen, dass es sich bei dieser dunklen
Materie
um bisher unentdeckte
Elementarteilchen
handelt. Falls
dies
zutrifft, dann
müssten
diese
Elementarteilchen die Zerfälle von B-Mesonen beeinflussen. Besonders sensitiv sind hier seltene Zerfälle, d.h.
Zerfallskanäle, die im Standardmodell stark unterdrückt sind, sodass ansonsten kleine Beiträge von Neuer
Physik hier stärker zum Tragen kommen.
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Das LHCb-Experiment
LHCb ist ein Experiment am Large Hadron Collider (LHC) des CERN. Der LHC-Speicherring hat einen Umfang von
27 km, liegt ca. 100 m unter der Erde und erlaubt es in vier Wechselw irkungszonen, Protonenstrahlen mit
hoher Energie zur Kollision zu bringen. Dabei w ird ein Teil der Bew egungsenergie in neue Teilchen, unter
anderem auch B-Mesonen umgew andelt. LHCb ist optimiert zur Untersuchung dieser Teilchen. Der Nachw eis
erfolgt mit einem komplexen Detektorsystem, w elches es gestattet, die Zerfallsprodukte der B-Mesonen aus
dem Untergrund der nicht interessierenden Teilchen heraus zu selektieren und daraus die Mutterteilchen zu
rekonstruieren.
A bb. 2: Insta lla tion de s LHC b-Ex pe rim e nts in de r Ka ve rne .
De r De te k tor ist ca . 20 m la ng und 10 m hoch.
© C ER N
Eine Seitenansicht des ca. 20 m langen und 10 m hohen LHCb-Detektors ist in Abbildung 2 zu sehen, Aufbau
und Funktionsw eise sind in Referenz [2] beschrieben. Der Kollisionspunkt innerhalb des Speicherringes liegt
am rechten Rand der Halle. In der Reaktion entstehende geladene Teilchen w erden mithilfe eines
Magnetspektrometers
registriert, neutrale
Teilchen
mithilfe
von
Kalorimetern
nachgew iesen. Weitere
Detektorkomponenten (Tscherenkow -Detektoren und Muon-System) dienen der Teilchenidentifizierung. Der
Detektor kann Ereignisraten bis zu 40 MHz verarbeiten. Ein aufw endiges Filtersystem sucht dabei aus der
Menge aller Wechselw irkungen jene seltenen Ereignisse heraus, w elche Information über die bei LHCb
untersuchten physikalischen Fragestellungen enthalten. Pro Sekunde w erden dabei bis zu 2.000 Ereignisse für
die w eitere Analyse gespeichert. Der Rest w ird verw orfen. Dennoch bedeutet dies pro Jahr ein Datenvolumen
von etw a 1 Petabyte. Die Analyse dieser Daten geschieht im w eltw eiten Computing-Grid auf Tausenden von
vernetzten CPUs und Speichersystemen.
Beiträge des MPI für Kernphysik zum LHCb-Detektor
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A bb. 3: De ta il e ine r Kom pone nte de s Spurfindungssyste m s
von LHC b. Von link s na ch re chts e rk e nnt m a n
Silizium stre ife nzä hle r, Ve rdra htungsträ ge r und Ausle se chip.
© LHC b
Das gesamte Experiment w ird in internationaler Zusammenarbeit von mehr als 730 W issenschaftlern aus über
50 Instituten in 15 Ländern betrieben. Der LHCb-Detektor hat ca. 1,1 Million Auslesekanäle, w ovon etw a 40%
mit Siliziumsensoren bestückt sind. Die Gruppe des MPI für Kernphysik hat Auslesechips und Elektronik für
diese, sow ie einen Teil der Sensoren beigesteuert. Die Chips sind Spezialentw icklungen, da kommerzielle
Elektronik in der Nähe des LHC-Strahls nur w enige Stunden überleben w ürde. Abbildung 3 ist die
Detailaufnahme einer Detektorkomponente, bei der das MPI für Kernphysik maßgeblich beteiligt ist. Man
erkennt einen Siliziumstreifenzähler, von dem die Signale über einen Verdrahtungsträger zum Auslesechip
geführt w erden. Der Chip hat eine Fläche von 5,1 mm x 6,4 mm. Der Streifenabstand auf dem Sensor von
knapp 200 Mikrometern erlaubt eine präzise Rekonstruktion von Teilchenspuren in LHCb.
Erste Ergebnisse
A bb. 4: Visua lisie rung e ine r P roton-P roton-Kollision in LHC b.
Da s Bild ze igt die re k onstruie rte n Tra je k torie n ge la de ne r
Te ilche n.
© LHC b
Die Komplexität der Physikanalyse bei LHCb w ird durch Abbildung 4 illustriert. Sie zeigt den Endzustand einer
Proton-Proton-Kollision, w ie er aus den Rohdaten des Detektors rekonstruiert w erden konnte. In w eniger als
1% solcher Kollisionen w erden B-Mesonen erzeugt, und auch dann stammen nur etw a 10% aller Spuren aus
Zerfällen dieser Teilchen.
Beim Start im November 2009 brachte der LHC Protonen mit einer Schw erpunktsenergie von 0,9 TeV (TeraElektronenvolt) zur Kollision. W ürde man diese Energie vollständig in Materie umw andeln, so könnte man
daraus z.B. 480 Wasserstoffatome und die gleiche Anzahl von Antiw asserstoffatomen erzeugen. Obw ohl
höhere Energien schon in Proton-Antiproton-Kollisionen erreicht w urden, w ar dies das erste Mal, dass die TeVSkala in Proton-Proton-Wechselw irkungen zugänglich w ar. Im Jahr 2010 lief die Maschine bei einer
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Kollisionsenergie von 7 TeV, etw a 3,5-mal mehr als die höchsten bis dahin mit Teilchenbeschleunigern
erreichten Energien. Unter diesen Bedingungen haben die Protonen im Speicherring eine Geschw indigkeit von
99,9999964% der Lichtgeschw indigkeit. Zudem gelang es die Strahlintensität sow eit zu steigern, dass das
Experiment bis Jahresende etw a 2.400 Milliarden Kollisionen gesehen hatte. Über 99% der fast 1,1 Millionen
Auslesekanäle des LHCb-Detektors w aren in dieser Zeit voll funktionsfähig, und die Kalibration des überaus
komplexen Gesamtsystems erreichte fast die anvisierten Designw erte.
Die ersten Physikstudien w aren Messungen zur Produktion von Teilchen, die Quarks enthalten, w elche nicht
als Konstituenten des Protons vorliegen und damit in der Kollision erzeugt w erden müssen. Es zeigte sich,
dass die Wahrscheinlichkeit zur Erzeugung schw erer Quarks durch die Theorie gut beschrieben w ird [3], dass
die gängigen phänomenologischen Modelle aber Schw ierigkeiten haben, die Produktion von leichten Quarks zu
beschreiben [4]. Damit liefern bereits die ersten Daten von LHCb w ichtige Information zum Verständnis der
Teilchenproduktion bei den hohen Energien.
Es ist bemerkensw ert, dass bereits im ersten Jahr, mit nur 2% der unter nominellen Bedingungen erw arteten
Ereigniszahl, viele der w ichtigsten B-Meson-Zerfälle nachgew iesen w erden konnten. Darunter sind auch
Prozesse, die bei den derzeit das Feld noch dominierenden B-Fabriken nicht zugänglich sind. Zudem gelang es,
erste Evidenz für CP-Verletzung zu sehen. Ab 2011 w ird LHCb in der Lage sein, sein volles Physikprogramm
anzugehen, w obei die bis Jahresende erw artete Sensitivität auf Neue Physik vergleichbar oder besser als die
bisheriger Experimente ist. Im Idealfall könnte LHCb damit schon Anfang 2012 erste Hinw eise auf Physik
jenseits des Standardmodells finden.
[1] A. D. Sakharov:
Violation of CP Symmetry, C-Asymmetry and Baryon Asymmetry of the Universe.
Pisma v Zhurnal Eksperimentalnoi i Teoreticheskoi Fiziki 5, 32-35 (1967); Übersetzung in JETP Letters 5, 24-27
(1967).
[2] A. Augusto Alves Jr. et al. (LHCb Collaboration):
The LHCb detector at the LHC.
Journal of Instrumentation (JINST) 3, S08005, doi: 10.1088/1748-0221/3/08/S08005 (2008).
[3] R. Aaij et al. (LHCb Collaboration):
Measurement of sigma(pp -> b anti-b X) at sqrt(s)=7 TeV in the forward region.
Physics Letters B 694, 209-216, doi: 10.1016/j.physletb.2010.10.010 (2010).
[4] R. Aaij et al. (LHCb Collaboration):
Prompt K0s production in pp collisions at sqrt(s)=0.9 TeV.
Physics Letters B 693, 69-80, doi:10.1016/j.physletb.2010.08.055 (2010).
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