18.12.2014 1 Quasispezies Natur der Viren

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18.12.2014
Die Entstehung neuer Viren des Menschen
Der Mensch ist durch vielfältige Kontakte mit Tieren ständig einem ‚Schauer‘ von Viren ausgesetzt, die im
Tierreich in verschiedensten Ökosystemen zirkulieren. In der Regel haben solche Kontakte keinerlei
Konsequenzen, weil sich die meisten tierischen Erreger im Menschen nicht effizient vermehren können.
Manche tierische Viren sind jedoch auf den Menschen übertragbar und können schwere Erkrankungen
verursachen. Zu den bekanntesten Beispielen solcher zoonotischen Infektionen zählen die Tollwut oder die
Frühsommermeningoenzephalitis (FSME).
Trotz vielfältiger Speziesbarrieren und existierender unspezifischer und spezifischer Abwehrmechanismen, kann
es nach ursprünglicher zoonotischer Übertragung auch zu Infektionsketten im Menschen kommen. Dadurch wird
die Entstehung von Viren begünstigt, die effizient von Mensch zu Mensch übertragen werden und deren einziger
Wirt der Mensch ist. Viele der bekannten Virusinfektionen gehören in diese Kategorie, z.B. die Pocken, Masern,
Mumps, Röteln, Hepatitis B und C, sowie AIDS, deren Entstehung ursprünglich auf zoonotische Übertragungen
zurückzuführen ist.
Die Schnittstelle zwischen Tier und Mensch ist durch Änderungen von landwirtschaftlichen Technologien,
Klimaänderungen, sozioökonomischen Veränderungen sowie menschlichen Verhaltensänderungen einem
ständigen Wandel unterworfen, wodurch tierischen Viren neue Möglichkeiten erwachsen sich im menschlichen
Reservoir zu etablieren. Eine Schlüsselrolle kommt bei diesem Anpassungsprozess der hohen
Mutationsfreudigkeit der Viren zu, die es ihnen ermöglicht, biologische Eigenschaften zu verändern und sich
dadurch neue Virusreservoire zu erobern.
Durch den modernen Reiseverkehr sind der Ausbreitung eines neuen Virus des Menschen Tür und Tor geöffnet,
und eine Eindämmung ist nicht mehr (Beispiel Influenza, AIDS) oder nur unter größtmöglichen Anstrengungen
(Beispiel SARS, Ebola) möglich.
F.X. Heinz
Quasispezies Natur der Viren
Vor allem RNA Viren haben eine enorm hohe Mutationsrate, die zu Punktmutationen im
viralen Genom führen. Viren stellen daher keine homogenen Populationen dar, sondern eine
Mischung aus einer Vielzahl von Mutanten, die als Quasispezies bezeichnet wird.
Darüber hinaus können bei der Infektion einer Zelle durch zwei verschiedene, aber
verwandte Viren auch größere Teile genetischer Information neu kombiniert und dadurch
größere Evolutionssprünge ermöglicht werden.
Alle genetischen Veränderungen können zu Veränderungen der biologischen Eigenschaften
des Virus führen, wie z.B. Wirts-Spezifität, Mechanismus der Übertragung, Pathogenität,
Resistenz gegen antivirale Agenzien etc., und dadurch die Adaptierung an neue
Wirtssysteme oder geänderte Umweltbedingungen (antivirale Therapie) ermöglichen.
Da sich Viren im Zuge der Evolution üblicherweise optimal an ihre jeweiligen Wirtssysteme
angepasst haben, führen die meisten genetischen Veränderungen zu einer Verschlechterung
für das Virus und daher zum Verschwinden der meisten Mutanten. In seltenen Fällen
ermöglichen Mutationen ihnen jedoch, nicht nur Speziesbarrieren zu überspringen, sondern
sich auch als neues Virus in neuen Wirtssystemen zu etablieren.
F.X. Heinz
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Faktoren die dem Entstehen neuer Viren des Menschen
entgegenwirken
1. Spezies-spezifische Unterschiede in Wirts-Faktoren, die für die Virusvermehrung essentiell
sind (z.B. Virusrezeptoren).
2. Zelluläre Restriktionsfaktoren, die konstitutiv exprimiert werden und mit der
Virusvermehrung interferieren.
3. Das angeborene Immunsystem, das zwar nicht Antigen-spezifisch ist, aber durch
Komponenten des Virus aktiviert wird und zur Synthese einer Vielzahl antiviral wirkender
Faktoren in der infizierten Zelle führt (z.B. das Interferon System).
4. Das adaptive Immunsystem, bestehend aus B- und T-Zellen, die in hochspezifischer Weise
durch Virusantigene aktiviert werden, lösliche Faktoren wie Antikörper bzw. Cytokine
produzieren und gemeinsam zur Eliminierung des Virus aus dem Körper beitragen können.
In vielen Fällen wird dadurch ein lange anhaltender Schutz vor Reinfektion vermittelt.
Diese Immunität kann die treibende Kraft für Veränderungen im Virus werden und zur
Entstehung ‚Immunitäts-resistenter‘ Varianten führen (z.B. Antigendrift bei Influenza).
F.X. Heinz
Schnittstelle Tier-Mensch: Möglichkeiten zur Entstehung neuer Viren des Menschen
1. Virus befindet sich nur im tierischen Reservoir – keine Bedeutung als Infektionserreger
des Menschen. Z.B. Rinderpest, Schweinepest, Hundestaupe, Blauzungenkrankheit,
Myxomatose, Pseudorabies, Katzenleukämie, Newcastle Erkrankung von Geflügel etc.
2. Virus wird auf natürliche Art, aber nur sporadisch auf den Menschen übertragen.
Üblicherweise gibt es keine Mensch zu Mensch Übertragung. z.B. Tollwut.
3. Virus wird auf natürliche Weise auf den Menschen übertragen, in weiterer Folge kommt
es zu limitierten Ketten von Mensch zu Mensch Übertragungen, die aber bald
aussterben. z.B. Affenpocken, Ebola Virus, Vogelgrippe H5N1, MERS Coronavirus.
4. Nach ursprünglicher Übertragung aus einem tierischen Reservoir etabliert sich das Virus
im Menschen, der der alleinige Wirt wird. z.B. Masern, Mumps, Röteln, Pocken, SARS,
Influenza.
5. Spezialfall ARBO Viren: Vektoren (Stechmücken, Zecken) dienen als Überträger auf den
Menschen
A: Das Virus zirkuliert in einem sylvatischen Zyklus zwischen Vertebraten und
Arthropoden, der Mensch ist nur zufälliger Wirt. Z.B. FSME, Dschungel-Gelbfieber
B: Der Mensch ist der Hauptwirt für das Virus, das nur mehr zwischen Mensch und
Arthropoden zirkuliert. Z.B. Dengue, urbanes Gelbfieber, Chikungunya.
F.X. Heinz
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Ebola und andere Filoviren
• Erstes dokumentiertes Auftreten: 1967 Marburg, Behring Werke, Laborinfektionen bei der
Gewinnung von Zellkulturen aus importierten Affen.
• Seither: Mehrere sporadische Infektionen und Ausbrüche (maximal einige hundert Fälle) in
Zentral- und Westafrika (Demokratische Republik Kongo, Sudan, Uganda, Gabun, Republik
Kongo, Elfenbeinküste).
• Seit Dezember 2013 bisher nie dagewesener epidemischer Ausbruch in Westafrika, vor allem
Guinea, Sierra Leone und Liberia.
• Zahl der Fälle (Stand 3.10.2014, WHO): 7470 (3431 Todesfälle). Dunkelziffer
wahrscheinlich relativ hoch.
• Mehrere Exporte von Erkrankten in benachbarte afrikanische Länder, Europa und USA
• Ursprung und tierisches Reservoir des Virus: Fledermäuse
• Übertragung auf den Menschen: Höchstwahrscheinlich infiziertes ‚Bushmeat‘
(Fledermäuse, Affen)
• Nichthumane Primaten (Schimpansen, Gorillas) stellen kein natürliches Reservoir dar,
sondern sind genauso gefährdet wie der Mensch. Allerdings können infizierte
Tierkadaver eine Infektionsquelle für den Menschen darstellen.
• Mensch zu Mensch Übertragung: Direkter Kontakt zu Erkrankten (bei der Pflege im Haushalt
bzw. in medizinischen Einrichtungen sowie bei Begräbnisritualen).
• Derzeit keine zugelassenen spezifischen Medikamente und Impfstoffe.
• Bekämpfung durch Isolierungs- und Quarantänemaßnahmen.
F.X. Heinz
HIV und AIDS
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Entdeckung als neue Erkrankung des Menschen: 1981
Übertragung auf den Menschen: Höchstwahrscheinlich durch ‚Bushmeat‘
Adaptierung durch Faktoren, die zelluläre Abwehrmechanismen ausschalten
Beginn der AIDS Pandemie: 1910 – 1930 in Kinshasa, Demokratische Republik Kongo (damals
Leopoldville, Belgisch Kongo)
• Ursprung des Virus: Verwandte Retroviren bei Affen
HIV-1: Schimpansen (Gorillas)
HIV-2: Mangaben Affen
• Zahlreiche Varianten, die sich von unabhängigen Übertragungen von Affen herleiten:
HIV-1: M,N,O,P
M ist die dominante Variante und für die Pandemie verantwortlich
Weitere Diversifizierung des M Subtyps und Bildung rekombinanter Formen
HIV-2: A,B,C,D,E,F,G,H
• Verbreitung: HIV-1 weltweit; HIV-2 weitgehend auf Westafrika beschränkt (Guinea-Bissau,
Senegal)
• Ausmaß der Pandemie: Weltweit leben rund 35 Millionen Menschen mit HIV.
• Übertragung: sexuell, i.v. Drogen, Blut, prä- und perinatal.
• Variabilität ist großes Problem für die Impfstoffentwicklung.
• Große Erfolge in der Behandlung durch antivirale Therapie, jedoch keine Heilung.
F.X. Heinz
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Influenza
• Großes tierisches Reservoir (Wildvögel, Geflügel, Schweine, Pferde, Seehunde, Wale, etc.)
• Jährliche saisonale Epidemien (Grippewellen), verursacht durch Mutanten, die durch bereits
vorhandene neutralisierende Antikörper selektioniert werden und sich dadurch der
existierenden Immunität entziehen = Antigen-Drift
• Pandemien in unregelmäßigen Abständen, verursacht durch neue Influenza Viren, die durch
Neusortierung genetischer Elemente von tierischen Influenza Viren entstehen (AntigenShift) und die Fähigkeit besitzen, von Mensch zu Mensch übertragen zu werden. Da sie in
den meisten Fällen auf eine immunologisch naive Population treffen, können die Ausmaße
dramatisch sein, wie z.B. bei der spanischen Grippe 1918/19, die mindestens 50 Millionen
Todesopfer forderte.
• Nicht jedes für den Menschen hochpathogene Influenza Virus hat Pandemiepotenzial.
Bestes Beispiel ist das Vogelgrippe Virus H5N1, das bei direktem Kontakt auf den Menschen
übertragen werden kann (Stand 27.7.2014 laut WHO: 667 Infizierte, 393 Todesfälle) jedoch
bisher nicht die Fähigkeit einer Mensch zu Mensch Übertragung besitzt.
• Aufgrund des großen tierischen Reservoirs und der Wandlungsfähigkeit des Influenza Virus
muss jederzeit mit dem Auftreten eines neuen Pandemievirus gerechnet werden, dessen
Entstehung jedoch nicht vorausgesagt werden kann.
• Die Variabilität dieses Virus stellt ein großes Problem für die jährliche Impfstoffproduktion
dar.
F.X. Heinz
SARS
• Erstes Auftreten schwerer respiratorischer Infekte : November 2002 in Guangdong, Südchina
• Isolierung eines neuen Corona Virus, das als ‚Severe Acute Respiratory Syndrome Virus‘
(SARS) bezeichnet wurde.
• Rasche Ausbreitung in weite Teile der Welt (Ausnahme Südamerika) durch internationalen
Flugverkehr. Besonders stark betroffen: China, Hong Kong und Macao, Taiwan, Kanada,
Singapur.
• Erfolgreiche Eindämmung der Epidemie durch Isolations- und Quarantänemaßnahmen, die
zum Verschwinden des Virus im Juli 2003 geführt haben.
• Gesamtzahl der Fälle laut WHO vom 31. Dezember 2003: 8096, davon 774 Todesfälle.
• Ursprung des Virus: Fledermäuse. Die Übertragung auf den Menschen erfolgte jedoch nicht
direkt sondern über Zwischenwirte (z.B. Zibetkatzen), die auf Märkten als Spezialitäten für
den Winter verkauft wurden.
• Genetische Veränderungen führten zur Anpassung an den Menschen und zur Fähigkeit der
Mensch zu Mensch Übertragung.
F.X. Heinz
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MERS
• Erstes Auftreten: Jordanien, April 2012 und Saudi Arabien, September 2012
• Isolierung eines neuen Corona Virus, das als ‚Middle East Respiratory Syndrome‘ (MERS)
Corona virus bezeichnet wurde.
• Identifizierung von Dromedaren als wahrscheinlichste Infektionsquelle des Menschen.
• Ursprüngliches Reservoir des Virus: Fledermäuse.
• Limitierte Mensch zu Mensch Übertragungen in Familien bzw. medizinischen Einrichtungen,
jedoch im Gegensatz zu SARS bisher keine anhaltenden Infektionsketten im Menschen.
• Exporte Infizierter in zahlreiche Länder der Welt, inklusive Österreich.
• Zahl der Fälle mit Stand 30.9.2014 laut European Center for Disease Prevention and Control
(ECDC): 887, davon 352 Todesfälle.
• Obwohl das Ansteckungspotenzial im Vergleich zu SARS noch geringer ist, werden bei der
Behandlung von Erkrankten und Kontaktpersonen ähnliche Isolierungs- und
Quarantänemaßnahmen getroffen.
• Derzeit stehen keine spezifischen Medikamente oder Impfstoffe zur Verfügung.
F.X. Heinz
Chikungunya
• Übertragung durch Stechmücken: Aedes aegypti und Aedes albopictus
• Krankheitsbild: Hohes Fieber und schwere Gelenksschmerzen, die monatelang anhalten
können.
• Virus stammt aus Afrika, wo es zwischen Stechmücken und nichthumanen Primaten
zirkuliert.
• Erstmalige Beschreibung und Virusidentifizierung 1952 bei einem Ausbruch in Tansania.
• Seither zahlreiche sporadische Ausbrüche in Afrika, dem indischen Subkontinent und SüdostAsien, wobei der Mensch zum Hauptwirt und Überträger des Virus wird.
• Die Verbreitung des Virus erfolgt durch infizierte Menschen.
• Seit 2004 Millionen Erkrankungsfälle im indischen Ozean und Auftauchen in neuen Regionen,
inklusive Europa und dem Mittleren Osten. 2013 erstmaliges Auftreten autochthoner Fälle in
der westlichen Hemisphäre (Karibik) und seither massive Ausbreitung in der Karibik, Zentralund Südamerika.
• Im Zuge von Ausbrüchen in La Reunion und Mauritius (2005/2006) sowie Indien 2007 kam es
zu Mutationen, die eine Übertragung durch Aedes albopictus begünstigten.
• Im Gegensatz zu Aedes aegypti ist Aedes albopictus in vielen Regionen Südeuropas
endemisch, und diese Stechmücke war auch für den Chikungunya Ausbruch in Italien (2007)
verantwortlich.
• Auch Dengue Virus kann durch Aedes albopictus übertragen werden – damit besteht die
Gefahr der Etablierung sowohl von Dengue als auch Chikungunya in Europa.
F.X. Heinz
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