Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit Kurzfassung für Freier Kurzfassung aus: „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ http://freepdfhosting.com/9d0efc57cc.pdf mit Fokussierung auf die Risikoreduktion aufseiten der männlichen Kundschaft von Sexarbeiterinnen (Heterosex) Zusätzlich gibt es eine Checkliste zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit speziell für Freier: http://freepdfhosting.com/dc3a6c94a9.pdf -2- Inhaltsverzeichnis Vorwort I - Kondompflicht in Deutschland ….. 4 Vorwort II …… 8 Abkürzungsverzeichnis ….. 14 Wichtiger Hinweis zum Oralverkehr …… 15 Welchen STD-Risiken setzen sich Freier in Deutschland aus? …… 17 Genitale STDs bzw. STD-Risiken bei FSW …… 30 STD-Risiken im Mund-Rachen-Raum von FSW …… 34 Zwangsuntersuchungen von FSW? …… 36 Empfehlungen für Freier ….. 38 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 Allgemeine Aspekte ….. 38 Impfungen (Hepatitis B, Humane Papilloma Viren HPV) ….. 38 Rauchen ….. 49 Untersuchungen (Freier) …... 49 Sexuelles Selbstbestimmungsrecht …… 54 Freier oder FSW, die einen negativen HIV-Test vorlegen ….. 55 (► ANLAGE 6 ….. 163) Auswahl risikoarmer Settings …… 56 2 Sexpraktikenbezogene Aspekte ….. 57 2.1 Gesundheitszustand der FSW ….. 57 2.2 Kundenhygiene (vor dem Sex) ….. 57 2.3 Richtige Kondomanwendung ….. 59 (► ANLAGE 1: ….. 102) 2.4 GV, AV (Vaginalverkehr, Analverkehr) ….. 63 2.5 Kondomversagen beim GV ….. 69 2.6 Besonderheiten beim AV ….. 72 2.7 Kondomversagen beim AV .…. 73 2.8 Postexpositionsprophylaxe (PEP) (HIV, Syphilis) ….. 73 2.9 Fellatio beim Mann: Risiko für den Mann …… 75 2.9.1 Mit Kondom (FM) …… 76 2.9.2 Ohne Kondom (FO) …… 77 2.10 Freier leckt ungeschützt bei FSW – Cunnilingus …… 82 (► ANLAGEN 2, 3 und 5) 2.11 Routinemäßige Penisantisepsis nach dem Sex …… 84 (► ANLAGE 4 ….. 127) 2.12 Sexspielzeug (Toys) …… 95 2.13 Fingern (bei FSW) …… 95 2.14 Anale Fingerspiele ….. 96 2.15 Zungenküsse (ZK) …… 96 2.16 Zungenanal (Rimming) …… 98 2.17 informell: Gesichtsbesamung …… 98 2.18 Body-to-body-Massage, Pussy Sliding („Schlittenfahrt”) …… 98 -3- Quellenangaben, Internetlinks ….. 100 + 171 ANLAGEN: 1 2 3 4 5 6 7 8 Vermeidung von Kondomfehlern / Hinweise zum Umgang mit Kondomen ….. 101 Infektionsrisiken beim ungeschützten Lecken (Kunden lecken bei FSW) …… 103 STD-Wirksamkeit antiseptischer Mundspül- und Gurgellösungen ….. 110 Theorie und Praxis der Penisantisepsis ….. 127 Wirksamkeit der Antiseptika …… 134 Vorgehen bei der Penisantisepsis …... 137 und 146 Anlässe der Penisantisepsis …… 138 Große Penisantisepsis ….. 146 Erweiterte Penisantisepsis ….. 148 Kleine Penisantisepsis / HPV-Prophylaxe ….. 150 Zusammenfassende kritische Würdigung der Penisantisepsis 152 Hinweise zur Penisantisepsis unter Aspekten der Mikrobiomforschung ….. 154 HIV-Risiko (für Freier) bei ungeschütztem Oralverkehr ….. 157 Neue Testsystematik der HIV-Testung …… 163 Begriffsdefinitionen „HPV-Prophylaxe“ und „Carrageen-Verfahren“ …… 165 Mögliches Ablaufschema eines HPV-16-E6-Antikörper-basierten Screenings für Personengruppen mit erhöhtem Risiko für ein HPV-bedingtes Oropharynx-Karzinom ….. 169 -4- VORWORT I Kondompflicht in Deutschland (Prostituiertenschutzgesetz, ab 1.7.2017) Mit Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) besteht in Deutschland Kondompflicht im Paysex. Diese erstreckt sich nicht nur auf Vaginalverkehr (GV) und Analverkehr (AV), sondern auch auf Oralverkehr (OV), und betrifft alle Erscheinungsformen von Paysex, die im ProstSchG sehr breit umfassend definiert sind (z.B. auch gelegentliche EscortTätigkeit). Auch beim Blasen (Fellatio beim Mann) ist daher zwingend ein Kondom zu benutzen (FM). „Einfaches“ Blasen ohne Kondom (FO) ist damit ebenso verboten wie Blasen mit Aufnahme (FA) oder mit Schlucken (FT). Selbst kondomfreies Anblasen zum Erzielen einer Erektion, um leichter das Kondom aufziehen zu können, ist damit in Deutschland untersagt. Der Gesetzestext selbst spricht zwar von einer Kondompflicht „beim Geschlechtsverkehr“, in der Begründung zum Gesetz wird aber präzisiert, dass auch „oraler und analer Geschlechtsverkehr“ unter den Begriff „Geschlechtsverkehr“ fallen. Damit gibt es keinen Ermessensspielraum für die Auslegung von „Geschlechtsverkehr“. Bei Verstößen gegen die Kondompflicht werden die Kunden bzw. Kundinnen bestraft, nicht der/die Prostituierte. Bestraft würde beispielsweise auch die Kundin eines Callboys (nicht der Callboy selbst). Es kommt also nicht auf das Geschlecht an, sondern auf den Status als Kunde/Kundin. Dabei unterliegen nicht nur die Kunden/Kundinnen, sondern auch die Anbieter (also die Prostituierten) der Kondompflicht (z.B. indem sie Sorge tragen müssen, dass der Kunde ein Kondom benutzt) – aber der Verstoß gegen die Kondompflicht ist nur für den Kunden/die Kundin bußgeldbewehrt, nicht für die Anbieterseite. Rechtlich gesehen handelt es sich bei einem „Kondomverstoß“ um eine Ordnungswidrigkeit, die beim Kunden/der Kundin mit einem Bußgeld geahndet werden kann (wie man das z.B. als Autofahrer bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung kennt). Das Bußgeld kann im Falle eines Kondomverstoßes allerdings bis zu 50.000 Euro (in Worten: fünfzigtausend Euro) betragen. Wichtig ist: der „Kondomverstoß“ stellt immer eine Ordnungswidrigkeit dar. Die Bußgeld-Festsetzung beruht dagegen auf einer Kann-Regelung. Die zuständigen Behörden haben also im Falle eines Kondomverstoßes einen weiten Ermessensspielraum, was das Bußgeld für die Freier betrifft, von 0 bis 50.000 Euro. Dies zeigt, für wie schwerwiegend und gefährlich der Gesetzgeber in Deutschland einen Kondomverstoß hält. Er begründet den hohen Bußgeldrahmen mit den gesundheitlichen Risiken, die einer/einem SW im Falle eines Kondomverstoßes drohen. Aber auch die Prostituierten sind in der Kondomfrage nicht ganz sicher vor Bußgeldforderungen geschützt. Sie können zwar nicht direkt aus einem Verstoß gegen die Kondompflicht nach § 32 (1) ProstSchG mit einem Bußgeld belegt werden, weil sich dieser Paragraf nur auf die Kundenseite bezieht. Falls eine Behörde einer Prostituierten aber bereits konkret („vollziehbar“) gemäß § 11 (3) ProstSchG angeordnet hat, Kondome zu verwenden („…. zum -5- Schutz der Kundinnen und Kunden“), und sie sich dieser Anordnung widersetzt, kann sie mit einem Bußgeld bis zu 1000 Euro belegt werden. Der Unterschied zwischen den Bußgeldforderungen in Sachen Kondompflicht besteht also darin, dass Freier unmittelbar (d.h. auch bei „Ersttäterschaft“) mit einem Bußgeld belegt werden können, das bis zu 50.000 Euro betragen kann, während Prostituierte erst dann ein Bußgeld riskieren, wenn sie sich der vollziehbaren Anordnung zur Kondomnutzung (nach § 11 Abs. 3) widersetzen, und das Bußgeld beträgt dann maximal 1000 Euro. Femidome genügen der Kondompflicht nach dem ProstSchG nicht. Während sie mit dem Gesetzestext in § 32 (1) selbst (der nur undifferenziert von „Kondomen“ spricht) im Sinne eines „Kondoms für die Frau“ durchaus vereinbar wären, definiert die amtliche Begründung zu § 32 Abs. 1 ProstSchG das Kondom ausdrücklich über seine Anwendung „am Körper des Mannes“. Es wird nicht begründet, weshalb das Femidom nicht als gleichwertige Alternative zum „Kondom für den Mann“ akzeptiert wird. Der Schutzgedanke des ProstSchG (im Sinne des Gesundheitsschutzes für FSW) dürfte bei einer im Umgang mit Femidomen erfahrenen Frau auch mit dem Femidom erfüllt sein. Theoretische Überlegungen zu Infektionswegen sprechen sogar dafür, dass bei korrekter und professioneller Anwendung von Femidomen die Infektionsrisiken für beide Seiten noch geringer ausfallen als bei Männerkondomen, da Schleimhaut- und Sekret-Kontakte durch Femidome effektiver vermieden werden als mit Männerkondomen, bei denen es zum ungeschützten Kontakt zwischen basalen (nicht vom Kondom geschützten) Penisabschnitten und weiblichen Genitalschleimhäuten, z.B. Schamlippen und Scheideneingang, kommen kann. Diese Schleimhautkontakte gelten als mit verantwortlich dafür, dass Kondome das Infektionsrisiko für HPV nur um 50 bis 70 % und für Herpes simplex Typ 2 einer großen Metaanalyse zufolge sogar nur um 30 % absenken. Auch SyphilisTreponemen können so übertragen werden. Es gibt daher keinen nachvollziehbaren Grund, das Femidom unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes für FSW nicht als gleichwertige Alternative zum Männerkondom zu bewerten, sofern die FSW in der Handhabung des Femidoms erfahren ist und dies auch aus Eigeninitiative bzw. im Sinne ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts wünscht oder akzeptiert. Man kann nur spekulieren, dass der Gesetzgeber das Femidom nicht als Kondom-Alternative zuließ, weil er vielleicht befürchtete, dass dann in der Femidom-Anwendung unerfahrene Frauen zum Femidom gedrängt werden könnten. Da die Femidom-Nutzung für Unerfahrene aber recht fehleranfällig ist, könnte in so einem Fall tatsächlich das Infektionsrisiko für die FSW steigen (wegen der Fehlerquote). Möglicherweise hatte der Gesetzgeber eine solche Konstellation im Sinn, als er ausdrücklich die Anwendung des Kondoms „am Körper des Mannes“ forderte. Nichtsdestotrotz stellt die Nicht-Akzeptanz des Femidoms als „legale“ Kondom-Alternative eine bedenkliche Einschränkung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts der FSW dar. Bei in der Femidom-Anwendung erfahrenen FSW könnten Femidome nämlich eine wertvolle Alternative im Umgang mit Kunden bieten, bei denen Kondome zu Erektionsschwierigkeiten führen (gerade -6- da ein kondomfreies „Anblasen“ – also FO – als erektionsfördernde Maßnahme nicht mehr zulässig ist), und Femidome bieten unübersehbare Vorteile bei Dreiern (zwei FSW mit einem Kunden), wenn der Kunde beim GV zwischen beiden Frauen hin- und herwechseln möchte, ohne jedes Mal das Kondom wechseln zu müssen. Die Formulierung der Kondompflicht im Prostituiertenschutzgesetz lässt immerhin die Interpretation zu, dass ungeschütztes Lecken (Cunnilingus) von männlichen oder weiblichen Kunden bei FSW von diesem Verbot nicht erfasst ist, denn Lecktücher oder ähnliche Schutzvorrichtungen sind keine Kondome. (Auch wenn die relativ größeren Risiken beim Cunnilingus eher aufseiten des Kunden liegen, ist ungeschütztes Lecken auch für FSW nicht risikofrei, wobei aber eher Störungen des genitalen Mikrobioms wie bakterielle Vaginose, Mischflora oder Pilzinfektionen (Candidiasis) im Vordergrund stehen. Vaginose und Mischflora gehen dann allerdings mit erhöhter Anfälligkeit für STI-Keime einher). In der Begründung zum Gesetz heißt es außerdem, dass auch weibliche Prostituierte und Kundinnen (offenbar von männlichen Prostituierten; Anmerkung) dafür Sorge tragen müssen, „dass beim Geschlechtsverkehr ein Kondom am Körper des männlichen Prostituierten oder Kunden zum Einsatz kommt“. Es gibt dagegen keine Hinweise im Gesetzestext oder seiner Begründung, die dafür sprechen, dass das Gesetz auch den Einsatz von Barrieremethoden beim Cunnilingus vorschreibt. Die „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ befassen sich schwerpunktmäßig unter anderem eingehend mit den Infektionsrisiken beim ungeschützten Oralverkehr, sowie mit Maßnahmen, um diese Risiken zu verkleinern. Unter den Rahmenbedingungen des ProstSchG stellen sich diese Fragen in Deutschland aber gar nicht mehr – jedenfalls was das Blasen beim Kunden in jedweder Erscheinungsform des Paysex angeht, denn FO, FA und FT sind ab 1.7.2017 nicht mehr zulässig. Diese Leistungen dürfen FSW nicht mehr erbringen, und Kunden dürfen sie nicht mehr einfordern oder annehmen. Mit einem Bußgeld belegt werden aber nur die Kunden. Damit stellt sich die Frage, wieso Sextechniken wie FO, FA und FT hier überhaupt noch über den 1.7.2017 hinaus besprochen werden, obwohl sie in Deutschland im Paysex ausnahmslos verboten sind. Selbstverständlich ist dem Prostituiertenschutzgesetz in Deutschland Folge zu leisten – ob das den Beteiligten (SW, Kunden und Betreibern) nun passt oder nicht. Gesetz ist Gesetz, Bundestag und Bundesrat und letztendlich auch der Bundespräsident haben so entschieden. Es sind Fakten geschaffen, an denen innerhalb Deutschlands nichts mehr zu ändern ist. Dennoch können Sextechniken wie FO, FA und FT in einer deutschsprachigen Abhandlung nicht völlig ignoriert und als inexistent betrachtet werden: -7- ● Die „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ sind auch in anderen deutschsprachigen Ländern wie in Österreich und in der Schweiz zugänglich, wo die Kondompflicht des deutschen ProstSchG nicht greift. ● Die Kondompflicht aus dem ProstSchG gilt nur in den Grenzen von Deutschland. ● FSW, die hauptsächlich in Deutschland arbeiten, vorübergehend aber auch im Ausland in der Sexarbeit tätig werden (z.B. in der Schweiz oder in den Niederlanden), müssen davon ausgehen, im Ausland mit Kundenwünschen nach ungeschütztem Blasen (FO) und ggf. sich daraus ableitenden weiteren Leistungen (wie FA, FT) konfrontiert zu werden. Sie sollten sich daher auf diese Wünsche sowie die damit verbundenen Risiken vorbereiten können. Falls sie im Ausland auf diese Wünsche eingehen (was dort ja nicht verboten wäre), sollten sie Maßnahmen zur Risikoreduktion kennen. Vor allem das zeitlich befristete (legale) Arbeiten in der Schweiz gilt wegen des wesentlich höheren Honorarniveaus für manche FSW als attraktiv. ● Es ist nicht auszuschließen, dass sich nach Inkrafttreten des ProstSchG Angebot und Nachfrage nach Sexarbeit vor allem aus den grenznahen Regionen Deutschlands verstärkt in die Grenzregionen des Auslands verschieben, im Westen beispielsweise in grenznahe Gebiete der Niederlande und nach Belgien, im Osten nach Polen und Tschechien und im Süden nach Österreich und (sofern das hohe Preisniveau die Kunden nicht abschreckt) auch in die Schweiz. Ähnlich, wie das Verbot der Nachfrage nach Prostitutionsleistungen (Freierbestrafung) in Frankreich zu einem Paysexboom auf der deutschen Seite der Grenze geführt hat (z.B. im Saarland und im Raum Trier), könnte das deutsche ProstSchG eine Verschiebung von Angebot und Nachfrage in die Grenzregionen jener Nachbarländer auslösen, in denen Sexarbeit legal und nicht so stark reglementiert ist wie in Deutschland (die also z.B. keine Zwangsregistrierung und keine Kondompflicht beim Oralverkehr kennen). Daher ist es auch für Freier in Deutschland wichtig, die Risiken von ungeschütztem Oralverkehr (im Sinne von FO) sowie die darauf bezogenen risikoreduzierenden Maßnahmen zu kennen, beispielsweise falls sie zukünftig vermehrt als „Sextouristen“ im Ausland Paysex-Leistungen in Anspruch nehmen. Das Prostituiertenschutzgesetz könnte durchaus einem gewissen Sextourismus aus (!) Deutschland Vorschub leisten, indem deutsche Freier im Ausland, auch in Nachbarländern, Sexleistungen legal in Anspruch nehmen können, die in Deutschland seit 1.7.2017 untersagt und für die Kunden bußgeldbedroht sind (bis 50.000 Euro). ● Hinzu tritt der klassische, schon lange etablierte internationale Sextourismus (über den „kleinen Grenzverkehr“ hinaus, den das ProstSchG auslösen könnte). In vielen bei Sextouristen beliebten Ländern sind STDs bei FSW stärker verbreitet als in West- und Mitteleuropa, so dass die Kunden dort wesentlich höhere Risiken eingehen und Kenntnisse im Infektionsschutz daher von besonderer Bedeutung sind. Dies alles sind Gründe, weshalb der ungeschützte Oralverkehr – auch im Sinne des ungeschützten Blasens – weiterhin in einer deutschsprachigen Abhandlung besprochen werden muss, auch wenn ungeschütztes Blasen innerhalb Deutschlands ab 1.7.2017 in jeglicher Erscheinungs- und Ausführungsform des Paysex ausnahmslos verboten ist. -8- Vorwort II Die Vermeidung von sexuell übertragbaren Infektionen bei Inanspruchnahme von Sexdienstleistungen ist nicht nur für die Sexarbeiterinnen (FSW) selbst, sondern auch für die Kunden (Freier) aus mehreren Gründen von großer, unter Umständen sogar existenzieller Bedeutung. Einerseits wollen sie nicht selbst erkranken, andererseits müssen sie auf jeden Fall vermeiden, die private Partnerin anzustecken, die auf diese Weise die Paysex-Aktivitäten ihres Partners erahnen könnte, oder – für den Mann wohl noch viel schlimmer – eine private Affäre oder Geliebte unterstellen würde. Und außerdem möchte der Freier auch keine anderen FSW anstecken. Das STD-Risiko für den Freier hat somit vier Dimensionen: ● den Eigenschutz (vor eigener Erkrankung/Symptomen), ● den Schutz der privaten Partnerin (um der Partnerin selbst willen) ● sowie um keinen Verdacht auf außerhäusliche sexuelle Beziehungen oder Untreue zu erregen ● und den Schutz anderer FSW. Zu bedenken ist, dass bei vielen STDs auch eine Partnerinformation bzw. -behandlung erforderlich ist, was einen Freier ebenfalls in erhebliche Erklärungsnöte bringen kann. Außerdem können STD-Infektionen der Harnwege vor allem beim Mann sehr schmerzhaft und unangenehm sein (Forenjargon: „Feuer pissen“), die Berufstätigkeit beeinträchtigen oder schmerzhafte Untersuchungsprozeduren (z.B. Abstriche aus der ohnehin schon gereizten, schmerzenden Harnröhre) erfordern. Chronische, ggf. unbemerkt verlaufende und daher unbehandelte STD-Infektionen der Prostata erhöhen auch (je nach Erregertyp) in moderatem Umfang das Risiko für Prostatakrebs – und das, obwohl sexuelle Aktivität im mittleren und höheren Alter einigen wenigen Studien zufolge sogar eher als (prostata-)krebspräventiv gilt, möglicherweise aufgrund einer „reinigenden“ Wirkung von Orgasmen auf die Prostata. Infektionen der Prostata führen aber zu chronischen Entzündungen – und diese fördern Krebs. Dies gilt nach neuesten Studien wohl auch für Hochrisiko-HPV-Typen, für die sich statistische Zusammenhänge vor allem mit aggressiveren Prostatakrebsformen finden ließen. -9- Motive der Freier Es gibt ein breites Spektrum von Gründen, aus denen Männer Sexarbeit, also bezahlten Sex, in Anspruch nehmen. In ihrer grundlegenden Studie aus dem Zeitraum um 1990 (Westdeutschland und Berlin) konnten KLEIBER und VELTEN drei unterschiedliche Anlässe (und Freiertypen) herausarbeiten, wobei aber auch Übergänge (Mischtypen) vertreten sind: ● den hedonistisch orientierten Genießer und Erfolgsmenschen, der seine Erfolgssträhne im Beruf- und Privatleben durch die Inanspruchnahme von Paysex ergänzt, fortsetzt und bereichert; ● den schüchternen Familienvater, der sexuelle Wünsche hat, die er mit seiner Partnerin, der „heiligen Mutter seiner Kinder“, sich nicht auszuleben bzw. anzusprechen traut, und ● den defizitär orientierten Freier, in seinem privaten (Sex?-)Leben (sofern er überhaupt eines hat) sexuell frustriert oder unterversorgt, z.B. echter Single, depressiv, gescheiterte oder zwar bestehende, aber schlechte/schwierige Beziehung usw., vielleicht auch mit sexuellem Nachholbedarf oder Problemen mit der eigenen Altersidentifikation … Frau Prof. DÖRING klassifizierte im Jahr 2014 die Freier motivbezogen in fünf Gruppen (DÖRING N, Zeitschrift für Sexualforschung 2014; 27: 99 – 137), hier verkürzt wiedergegeben: ● sexuelles Motiv (Wunsch nach konkreten sexuellen Praktiken oder körperlichen Merkmalen der Prostituierten) ● soziales Motiv I: Wunsch nach sozialer Nähe; der Freier sucht Verständnis, Bestätigung und Wärme bei der Prostituierten ● soziales Motiv II: Dominanzwunsch: Wunsch, die Prostituierte zu „benutzen“, zu unterwerfen, zu demütigen (Anmerkung: das muss nicht den gegen den Willen der Prostituierten geschehen, sondern kann auch aktiv angeboten werden und einvernehmlich ablaufen, z.B. im SM-Bereich) ● psychisches Motiv: der Kontakt mit einer Prostituierten soll psychische Probleme wie z.B. Depressionen, Ängste, innere Leere bekämpfen ● milieubezogenes Motiv: Rotlichtmilieu als faszinierende antibürgerliche Subkultur, an der der Kunde partizipieren möchte Analysiert man diese fünf Motive, so sind das zweite und vierte eindeutig defizitorientiert bzw. defizit-kompensierend. Aber auch beim ersten und dritten Motiv spielen Defizite insofern eine Rolle, als die Kunden offensichtlich nicht in der Lage sind, diese Wünsche, Sehnsüchte oder Ansprüche im Privatbereich bzw. „kostenlos“ umzusetzen. -10- Dies zeigt die wichtige Kompensationsfunktion der Sexarbeit auf, und ihre Inanspruchnahme kann das Ergebnis eines rationalen (keinesfalls pathologischen) Abwägungsprozesses sein, wie DÖRING in einem bemerkenswerten Satz zusammenfasst: „Unter bestimmten Bedingungen sind sexuelle Dienstleistungen im Vergleich zu den Alternativen (z.B. langwierige und erfolgsunsichere – bei bestimmten Bevölkerungsgruppen sogar praktisch aussichtlose – Suche nach privaten Sexkontakten; dauerhafter Verzicht auf bestimmte sexuelle Wünsche in der bestehenden Partnerschaft) die beste Option“. (Dieser bemerkenswerte Satz stammt von einer Frau und Wissenschaftlerin, Frau Prof. Dr. N. Döring, Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Illmenau !). Auch Studien in anderen entwickelten Ländern lassen – neben Mischformen und speziellen Situationen – zwei Grundanlässe für die Inanspruchnahme von Paysex erkennen: der lustbetonte Ansatz (Vergnügen, Spaß, Erlebnis, Abenteuer) und der defizitorientierte oder kompensatorische Ansatz, mit Mischformen und gleitenden Übergängen zwischen diesen „Extremen“. Für die letztgenannte Gruppe von Freiern hat die Sexarbeit eine wichtige Ersatz- und Kompensationsfunktion und dürfte daher in manchen oder vielen Fällen zur psychosozialen und psychosexuellen Gesundheit oder Wohlbefinden beitragen, und sei es nur durch Linderung von negativ besetzten oder gar depressiven Empfindungen aufgrund der (objektiv oder subjektiv) als sexuell defizitär empfundenen Situation im Leben außerhalb des Paysex. Die Inanspruchnahme von Paysex kann die Ursachen dieser Defizite nicht heilen, aber die Auswirkungen für den Betroffenen mindern und erträglicher machen. Dass Paysex selbst nicht „heilen“ kann, macht die so erzielten Effekte nicht wertlos – auch in der Medizin zielen die meisten und langfristig gesehen oft kostenträchtigsten Maßnahmen auf Linderung und Kompensation, nicht auf Heilung von chronischen Zuständen (Krankheiten) ab. Die FSW nimmt für diese Kunden dann auch die Funktion einer Männer- oder Sextherapeutin ein und befriedigt Bedürfnisse, die über das rein Sexuelle bzw. eine pure Orgasmusorientiertheit weit hinausgehen. Sie erfüllt Sehnsüchte, die im realen Leben draußen nicht (mehr) realisierbar sind. Und Frau Prof. Döring, die die Situation der Sexarbeit in Deutschland im Jahr 2014 – in der Vorbereitungsphase des Prostituiertenschutzgesetzes – umfassend analysierte, schrieb sogar: „Sexarbeit ist zu einem nennenswerten Teil deswegen auch als Emotionsarbeit zu kennzeichnen“. Sexarbeit kann Männer (Väter) davon abhalten, außereheliche Affären oder andere Alternativen zu suchen, die den Bestand der Partnerschaft oder Familie gefährden könnten. Bei sexuell oder emotional frustrierten Männern/Vätern dient Inanspruchnahme von Sexarbeit daher auch dem Ziel, Schaden von der Familie abzuwenden, der ansonsten eintreten würde, wenn sie ihren Frust oder Defizite anderweitig kompensieren würden. -11- Auch die Wissenschaft hat anerkannt, dass Sexarbeit auch positive Auswirkungen hat. So weist der Leipziger Sexualwissenschaftler Prof. Kurt Starke in einem Artikel für eine an Männer gerichtete Internetseite www.pflege-deinen-schwanz.de u.a. darauf hin, dass die Inanspruchnahme von Sexdienstleistungen ۰ dazu dienen kann, Zweierbeziehungen (besonders Ehe) erträglicher zu machen („Ausgleichsfunktion“), ohne die eigene Beziehung zu gefährden ۰ manchen Männern überhaupt erst ein Sexualleben ermöglicht (z.B. „vereinsamte, behinderte, kontaktschwache, bindungsunfähige ... Männer“) ۰ für ältere Männer die unstillbare Sehnsucht nach Jugend erfülle ۰ Männern die Bestätigung von Männlichkeit, Attraktivität, sexueller Potenz verleihe ۰ Männern das Gefühl gebe, „als Mann angenommen“ zu sein ۰ sexuellen Minderheiten oft die einzige Möglichkeit biete, ihren Neigungen nachzugehen ۰ als zwischenmenschlicher Kontakt eine wichtige Ersatzfunktion z.B. durch körperliche Nähe und Gespräche einnimmt, wobei dem Mann zumindest für eine kurze Zeit Beachtung geschenkt wird Es greift daher viel zu kurz, Sexarbeit – auch auf der Seite der Freier – nur unter dem Aspekt der Gesundheitsgefährdung zu sehen; mit ihrer Inanspruchnahme können auch gesundheitsfördernde Aspekte verbunden sein. Und wie bereits oben erwähnt, ist sexuelle Aktivität für den Mann, auch für den alternden Mann, in mancherlei Hinsicht vom Prinzip her als gesundheitsfördernd einzustufen*. Wenn man berücksichtigt, wie viel Aufmerksamkeit Medizin und Gesellschaft der gesundheitsbedingten Impotenz (z.B. durch Herz-Kreislauf- oder Prostata-Erkrankungen) und ihrer Therapie schenken – bis hin zu speziellen „Männersprechstunden“ bei sog. „Männerärzten“ –, bleibt unverständlich, wieso die (psycho)soziale Impotenz (die fehlende Möglichkeit für einen aus medizinischer Sicht durchaus noch potenten Mann, sexuell befriedigende sexuelle Begegnungen zu realisieren) nicht nur ein gesellschaftliches Tabu ist, ________________ * Der bisher vielfach behauptete Nutzen sexueller Aktivität (mit fester Partnerin) für ältere Männer in Hinblick auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit wird neuerdings infrage gestellt. Möglicherweise liegt den früheren günstigen Annahmen eine Umkehrung der Ursache-Wirkungs-Beziehung zugrunde, indem gesunde/sich gesund fühlende Männer eher mit einer Partnerin sexuell aktiv sind als kränkliche Männer. Eine US-amerikanische Beobachtungsstudie über ca. 5 Jahre zeigte nämlich, dass ältere Männer, die 1 x oder öfter pro Woche Sex (mit ihrer festen Partnerin) haben, fast doppelt so häufig kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzversagen, Herzinfarkt, Schlaganfälle usw. erlitten als Männer, die sexuell inaktiv waren. Ein- bis dreimal Sex im Monat erhöhte die Risiken dagegen nicht oder kaum und wirkte sich in mancherlei Hinsicht (niedrigerer CRP-Wert, d.h. Entzündungsparameter, bei 1 x Sex im Monat) günstig aus. Offenbar macht es für die älteren Männer also die „Dosis“ aus, ob Sex (mit ihrer festen Partnerin) Herz-Kreislauf-Risiken unbeeinflusst lässt oder erhöht. Protektiv wirkt er jedenfalls nicht. Die Studie mit zu Beginn 57 – 85 Jahre alten Männern präsentierte aber keine detaillierte Auflösung nach Altersgruppen, so dass unklar blieb, ab welchem Alter häufiger Sex das kardiovaskuläre Risiko erhöht. Ältere Frauen scheinen dagegen kardiovaskulär von erfüllendem Sex zu profitieren (geringeres Risiko von Bluthochdruck). Zu beachten ist auch, dass es in der Studie nur um Sex innerhalb von Partnerschaften ging (LIU H et al., J Health and Social Behaviour 2016; 57 (3): 276 – 296). -12- sondern einvernehmliche Sexarbeit (als ein geeigneter und relativ niedrigschwelliger Ansatz, psychosoziale Impotenz zu überwinden) tabuisiert, diskriminiert und von manchen Interessengruppen sogar massiv bekämpft wird – bis hin zur Einforderung des „Schwedischen Modells“. Allerdings: ein positives Bild von Sexarbeit setzt auch einen respektvollen und wertschätzenden Umgang der Freier (und zwar aller Freier) mit den FSW sowie eine strikte Beachtung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts voraus. Jede Abweichung von diesen Grundprinzipien liefert den Befürwortern des Schwedischen oder Französischen Modells neue Legitimation. In vielen Fällen sind FSW auch Schauspielerinnen, die Illusionen verkaufen. Die Bewertung des Illusionsfaktors spielt daher in Freierforen eine sehr wichtige Rolle bei der Beurteilung der Qualität von Sexdienstleistungen. Viele Freier sind sich dessen sehr bewusst. Es sind unter anderem auch diese Illusionen, die Freier suchen. In gewisser Hinsicht ist Sexarbeit, richtig praktiziert und von beiden Seiten richtig verstanden, auch eine Form von Kunst, und FSW sind in gewisser Hinsicht damit auch Künstlerinnen. Die vorliegende Abhandlung beschränkt sich auf die Prävention, strenggenommen allerdings nur Risikoreduktion, von STDs (sexuell übertragbaren Krankheiten) im Rahmen der Sexarbeit vor allem aufseiten der Freier. Restrisiken bleiben; einen 100%-Schutz vor STDs gibt es bei der Sexarbeit nicht und wird es auch nie geben, selbst bei konsequenter Anwendung von Kondomen, die allerdings die wichtigste Maßnahme der Risikoreduktion darstellen. Es kann in der Sexarbeit daher nur darum gehen, Risiken so klein wie möglich zu halten, und Schäden zu begrenzen, zum Beispiel durch rechtzeitige Diagnose (Entdeckung) und Behandlung von Infektionen. Dass dies erfolgreich möglich ist, zeigen Erfahrungen aus Australien, wo man Sexarbeit schon seit langem als legale Tätigkeit und Beruf betrachtet und respektiert und sich um die Gesundheit der Sexarbeiterinnen auch in Sachen STD-Aufklärung sehr bemüht. Wie die Australian Federation of AIDS Organizations (AFAO) schon 2003 feststellte, verfügen die meisten Sexarbeiterinnen in Australien über eine bessere sexuelle Gesundheit als die Allgemeinbevölkerung. Und auch eine neue Studie aus dem Jahr 2012 bestätigte dies („the prevalence of four common STIs is now equal to or lower than rates for the general population“). Safer Sex, fast ausnahmslose Kondomnutzung und freiwillig entwickelte hohe Standards in Sachen sexueller Gesundheit bildeten die Grundlage dieser Erfolgsgeschichte. Weltweit zeigten zahlreiche Studien, dass auch ihre privaten Partner einen erheblichen Einfluss auf die STD-Häufigkeit bei FSW haben. Wenn FSW private Partner haben, sollten sie diese mit in ihre Überlegungen zur Infektionsprävention einbeziehen. Und wenn man Statistiken zur STDHäufigkeit bei FSW betrachtet, sollte man berücksichtigen, dass nicht unbedingt alle angetroffenen Infektionen unmittelbar beruflich erlangt worden sein müssen. -13- Diese Abhandlung stellt nur eine kompakte Zusammenfassung der Empfehlungen zur Risikoverringerung von STDs im Rahmen der Sexarbeit dar. Aus Platzgründen wird auf detaillierte Begründungen für die einzelnen Empfehlungen verzichtet. Eine viel ausführlichere und begründete Aufarbeitung des Themas (mit Hunderten von Literaturnachweisen) findet sich unter folgender URL: http://freepdfhosting.com/9d0efc57cc.pdf Die vorliegende Arbeit stellt zugleich das „männliche“ Gegenstück zu den „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit - Kurzfassung für Sexarbeiterinnen“ dar, die unter der URL http://freepdfhosting.com/f2aa6824cb.pdf abrufbar sind. Für Freier gibt es außerdem eine Checkliste in Form eines Fragebogens, mit Hilfe derer man sein Risikoverhalten einschätzen und eventuelle risikomindernde Maßnahmen überprüfen kann: http://freepdfhosting.com/dc3a6c94a9.pdf Die Verfügbarmachung der „Kurzfassung für Sexarbeiterinnen“ machte die Entwicklung einer Fassung für die Freier geradezu zwingend notwendig, denn es ist nicht hinnehmbar, die Verantwortung für den Infektionsschutz allein den FSW aufzuerlegen. Ihren Kunden kommt in dieser Frage ebenfalls eine tragende Rolle zu, und auch die Kunden müssen Verantwortung übernehmen – für sich selbst, für die FSW als ihre (zeitweilige) Sexpartnerin, für andere FSW, die sie womöglich später noch aufsuchen möchten, und – nicht zu vergessen – für ihre private(n) Sexpartnerin(nen), ihre Familie. Auf beiden Seiten – FSW und Kunde – lastet also jeweils eine hohe Verantwortung, der sich beide Seiten stellen müssen. Effizienter Infektionsschutz, sichere Sexarbeit für beide Seiten, kann nur funktionieren, wenn sich beide Seiten ihrer Verantwortung bewusst sind und diese aktiv leben – stets das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Anderen vor Augen. Dies setzt voraus, dass beide Seiten (und nicht nur die FSW) Kenntnisse in der Infektionsprävention haben und in der Lage sind, diese auch praktisch umzusetzen. Daher ergab es sich als ein absolutes MUSS, der „Kurzfassung für die Sexarbeiterinnen“ eine mehr oder weniger spiegelbildlich gefasste „Kurzfassung für Freier“ gegenüberzustellen. -14- Die Abhandlung bezieht sich außerdem ausschließlich auf heterosexuelle Sexarbeit unter den epidemiologischen Bedingungen, wie sie in Deutschland und nahem Ausland herrschen. SM und andere über die Standardtechniken der Sexarbeit hinausgehende Sex- oder sexähnliche Praktiken sind ebenfalls nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Verwendete Abkürzungen: AV = Analverkehr FM = Fellatio mit = Französisch mit Kondom = Blasen mit Kondom FO = Fellatio ohne = Französisch ohne Kondom = Blasen ohne Kondom FA = Französisch mit Spermaaufnahme = Blasen mit Spermaaufnahme FT = Französisch total = Blasen mit Spermaaufnahme und Spermaschlucken (der Begriff „FT“ bzw. „Französisch total“ wird unterschiedlich interpretiert; er sei aber hier so definiert, dass er das Schlucken ausdrücklich mit einschließt) GV = vaginaler Geschlechtsverkehr FSW = Sexarbeiterin (female sex worker), Einzahl und Plural HPV = Humanes Papilloma Virus MSM = Männer, die Sex mit Männern haben (homo- oder bisexuell) OV = Oralverkehr (als Überbegriff) SLPI = Sekretorischer Leukozyten-Protease-Hemmer STD = sexually transmitted diseases = Geschlechtskrankheiten STI = sexually transmitted infections = sexuell übertragbare Infektionen -15- Wichtiger Hinweis zum Oralverkehr (OV) Auch wenn in dieser Abhandlung Empfehlungen zur Risikoreduktion beim ungeschützten Oralverkehr gegeben werden, bedeutet dies nicht, dass ungeschützter OV unterstützt wird oder als unproblematisch gilt. Es gilt uneingeschränkt die offizielle Empfehlung, OV im Rahmen von Sexarbeit ausnahmslos geschützt zu betreiben. In Deutschland ist die Kondomnutzung beim Blasen ab 1.7.2017 sogar Pflicht! Sieht man einmal von Risiken ab, die mittelbar mit Sexarbeit verbunden sein können (wie starkes Rauchen, ggf. Drogenkonsum, ggf. Gewalterfahrung aufseiten der FSW), so stellt aber der ungeschützte GV (und noch mehr der ungeschützte AV) das mit Abstand größte Gesundheitsrisiko für FSW und Kunden, nicht der ungeschützte OV. Gleichzeitig nahm die Nachfrage nach ungeschütztem GV (oder sogar AV) seitens der Freier zu, und manche FSW oder ganze Settings (Clubs, Partys) boten das vor Inkrafttreten des ProstSchG in Deutschland offen an. Dies verlangte es, Prioritäten zu setzen und die korrekte und regelmäßige Kondomnutzung beim GV/AV als wichtigstes Gesundheits- und Präventionsziel im Rahmen von Sexarbeit zu vermitteln, dem sich alle weiteren Ziele notgedrungen unterzuordnen haben. Vor dem Hintergrund dieses „höchsten Zieles“ und der gelebten Realität ist es wenig hilfreich, beim Oralverkehr Dogmen zu vertreten. Wenn es dem Ziel dient, FSW von dem diesbezüglichen Druck bzw. Kunden von dem dringenden Wunsch nach ungeschütztem GV/AV zu entlasten, kann die grundsätzliche Akzeptanz von ungeschütztem OV letztendlich im Sinne eines Kompromisses hilfreich sein (besser ein „schlechter“ Kompromiss als gar keiner!), wenn der ungeschützte OV in Kenntnis der Risiken und risikoreduzierenden Maßnahmen risikobewusst, risikoorientiert und risikoreduziert erfolgt (diese Aussage gilt in Deutschland mit Inkrafttreten des ProstSchG nicht mehr). Wenn hier also Empfehlungen zur Risikoreduktion beim ungeschützten OV gegeben werden, dann nicht um diesen zu verharmlosen, sondern sich an die Realität anzupassen und die Sexarbeit dort abzuholen, wo sie steht – also auch jenen zu helfen, für die geschützter OV (statt ungeschütztem OV) ohnehin (aus welchen Gründen auch immer) nicht infrage kommt (diese Aussage gilt in Deutschland mit Inkrafttreten des ProstSchG nicht mehr). Der Respekt vor FSW als Person schließt auch den Respekt vor dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht mit ein. Es mag durchaus sein, dass eine FSW bei Abwägung aller Vorund Nachteile für sich zu dem Ergebnis kommt, dass sie doch eine Sexpraktik anbieten möchte, die nicht als risikofrei oder von vernachlässigbarem Risiko zu bewerten ist. Es ist wichtig, dass diese Entscheidungen auf der Basis eingehender Informationen gefällt werden. Sinngemäß dasselbe gilt für Freier, die sich ebenfalls entscheiden müssen, ob und unter welchen Umständen sie bestimmte Praktiken wie z.B. ungeschützten Cunnilingus betreiben wollen. Umfragen unter Freiern zeigten, dass es für viele Freier selbstverständlich ist, bei FSW zu lecken (Cunnilingus), und fast ausnahmslos ohne Schutz (Lecktuch). Dies entspricht nicht den verbreiteten Vorurteilen vom egoistischen Freier, der bei einem vermeintlich hochgradig -16- asymmetrischen Kontakt (den manche Gutmenschen als Machtausübung, Gewalt oder gar Täter-Opfer-Beziehung betrachten, was sich auch in Gesetzen wie z.B. in Schweden [„Schwedisches Modell“] und Frankreich manifestiert) nur schnellstmöglich seine eigene Befriedigung sucht und die FSW dafür „rücksichtslos ausbeute“, wie gelegentlich von sexarbeitsfeindlichen Kreisen behauptet wird – auch wenn die Wissenschaft das schon längst widerlegt hat (siehe z.B. GERHEIM 2012). Bei Bedarf oder weitergehenden Fragen kann daher auf die wesentlich detailliertere Fassung der „Empfehlungen zur Infektionsprävention der Sexarbeit“ zurückgegriffen werden. Dort sind auch Literaturnachweise (Referenzen) für weitergehende Recherchen angegeben, auf die hier verzichtet wird. -17- Welchen STD-Risiken setzen sich Freier in Deutschland aus? (Die nachfolgende Aufzählung ist nicht abschließend, es wird nur auf die wichtigsten STDRisiken eingegangen) HIV Sexarbeiterinnen gelten in Deutschland nicht als Risikogruppe für HIV, sofern nicht Risiken bestehen, die außerhalb der unmittelbaren Sexarbeit liegen (z.B. Drogenspritzen, drogensüchtiger privater Partner, Herkunft aus einem Heimatland mit starker heterosexueller HIV-Durchseuchung usw.). In einer großen Studie des Robert-Koch-Instituts (2010/2011) erwiesen sich 0,2 % der untersuchten FSW als HIV-positiv, in einer Studie aus NordrheinWestfalen (2012) 0,14 %, in den Niederlanden (2006-2013) 0,13 % (bei ca. 34000 Untersuchungen). Dabei ist nicht bekannt, ob und wie viele dieser Infektionen bei der Sexarbeit erworben wurden, und wie viele auf andere Ursachen zurückgehen. Die niederländische Studie berücksichtigte auch die Herkunft der Frauen; die HIV-PositivenQuote reichte von 0,05 % (osteuropäische FSW) und 0,07 % (niederländische FSW) bis zu 2,0 % (FSW aus Subsahara-Afrika) und spricht dafür, dass ein Teil der diagnostizierten Infektionen „eingeschleppt“ und nicht durch Sexarbeit in den Niederlanden erworben wurde. Allerdings sind die Zahlen aus den Studien nicht ganz repräsentativ, weil in diesen Studien (die auf freiwilligen Untersuchungen beruhen) Frauen mit erhöhten Risiken (wie z.B. Drogenspritzen, Herkunft aus Mittel- und Südafrika usw.) teilweise unterrepräsentiert waren. Die günstigen Daten aus Deutschland und den Niederlanden besagen aber keinesfalls, dass Sexarbeit grundsätzlich frei von HIV-Risiken ist. Eine im Jahr 2013 veröffentlichte Studie der Weltbank mit fast 100.000 FSW ergab, dass die HIV-Quote bei FSW in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen weltweit bei 11,8 % liegt – und damit beim 13,5-Fachen der weiblichen Allgemeinbevölkerung (15 bis 49 Jahre) der in dieser Studie erfassten Länder. Auch bei dieser Quote ist allerdings davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Infektionen auf unsterile Drogenspritzen zurückgeht. Europäische Länder waren in dieser Studie allerdings nur marginal vertreten (einige Länder Ost-/Südosteuropas). In einer kleineren Studie aus den Niederlanden (Rotterdam, Amsterdam, Den Haag) lag das Risiko eines Freiers, auf eine HIV-positive FSW zu treffen (ohne Transsexuelle), bei mindestens 3,8 % („mindestens“ deshalb, weil 10 FSW mit fraglich-positivem HIV-Test, der aus Methodengründen/Anonymität auch nicht weiter abgeklärt werden konnte, als „HIV-negativ“ in die Auswertung eingingen). Auch hier waren wieder i.v.-Drogenkonsum und Herkunft aus einem Land mit starker heterosexueller HIV-Verbreitung statistisch eng mit dem positiven HIVStatus verknüpft, und es blieb offen, ob sich auch nur eine einzige der nicht-transsexuellen HIVinfizierten FSW durch Sexarbeit in den Niederlanden angesteckt hatte. Die HIV-Quote war stark von der Location abhängig: am höchsten auf dem Straßenstrich, am geringsten in Clubs. Auch dies legt wieder einen Zusammenhang mit Drogenkonsum nahe. Die meisten FSW wussten -18- nichts von ihrer HIV-Infektion. Nimmt man alle Locations zusammen, lag die Wahrscheinlichkeit eines Freiers, auf eine HIV-positive FSW zu treffen (ohne Transsexuelle), bei mindestens 1 : 26, einschl. Transsexuelle bei mindestens 1 : 18 und maximal 1 : 13. Für einen Kunden spielt es aber letztlich keine Rolle, wo sich die FSW ihre HIV-Infektion geholt hat – ob bei der Sexarbeit (eher unwahrscheinlich) oder außerhalb. Er kann die HIV-Infektion ihr nicht ansehen (allenfalls für kurze Zeit in der Phase des akuten Infektionssyndroms). Manche Risikofaktoren (Herkunft aus einem Land mit hoher HIV-Verbreitung; i.v.-Drogenkonsum) kann der Kunde im Einzelfall erahnen, andere nicht (z.B. Risiken durch private Partner). Daher sollte sich bei der Sexarbeit jeder so verhalten, als könnte der Partner – auch unwissend und nichtsahnend – mit einer STD infiziert sein, und entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen. Um es aber noch einmal zu betonen: nicht Sexarbeit als solche stellt bislang in Deutschland und Nachbarländern ein HIV-Risiko dar, sondern Begleitumstände, die im Einzelfall mittelbar mit der Sexarbeit in Verbindung stehen können. Es ist daher für die Freier ein Balanceakt erforderlich, FSW (außerhalb von Spezialsituationen, die ein HIV-Risiko nahe legen) nicht als HIV-Risikogruppe zu sehen, so zu behandeln oder gar zu diskriminieren, gleichzeitig sich aber dennoch so zu verhalten, als könnte man selbst oder der Paysex-Partner mit einer STD infiziert sein (das muss ja nicht unbedingt HIV sein). Dies erfordert einen schwierigen Spagat des Denkens und Handelns, der aber erforderlich ist, damit der bisherige Zustand in Deutschland und Umgebung, dass Sexarbeit nicht oder allenfalls sehr marginal und dann eher mittelbar (indirekt) mit HIV assoziiert ist, aufrechterhalten werden kann. Dass HIV bei FSW in Deutschland bisher so selten ist, dürfte mehrere Gründe haben: ● Heterosexuelle Männer sind in Deutschland nur vergleichsweise selten von HIV betroffen, und über 80 % aller HIV-Infektionen sind in Deutschland bereits diagnostiziert (und meist auch unter Therapie) ● HIV-Testangebote sind niederschwellig bzw. kostenlos und anonym (z.B. beim Gesundheitsamt), so dass sich Gefährdete unstigmatisiert testen lassen können und dann auch rechtzeitig Therapien zugeführt werden – was das Infektionsrisiko für sexuelle Kontaktpersonen stark senkt ● Ein erheblicher Anteil der FSW war sich schon immer des HIV-Risikos bewusst und verhielt sich hygienebewusst, nutzte also zumindest beim GV und AV Kondome und vermied in unterschiedlich großem Umfang auch andere nicht völlig risikofreie Praktiken wie z.B. FA/FT -19- ● Sterile Spritzbestecke für Drogensüchtige sind in Deutschland problemlos bzw. niederschwellig erhältlich, die HIV-Durchseuchung der nachwachsenden Generation von i.v.Drogensüchtigen hat im Vergleich zu den 80er und frühen 90er Jahren deutlich abgenommen ● FSW aus HIV-Risikogruppen gelten bei den freiwilligen HIV-Tests in Deutschland eher als unterrepräsentiert Wie die Studie der Weltbank zeigt, ist eine so niedrige HIV-Quote, wie sie bei FSW in Deutschland und seinen Nachbarländern angetroffen wird, also keinesfalls selbstverständlich, sondern weltweit gesehen eher die Ausnahme. Es ist daher weiterhin erforderlich, dass FSW und Freier sich der Infektionsrisiken in Bezug auf HIV bewusst sind, und Safer Sex betreiben bzw. von ihren Paysex-Partnern einfordern. Im Jahr 2017 zeigte ein Vergleich der HIV-Quoten von FSW aus 27 Ländern Europas und Westasiens, dass FSW in den Ländern, in denen Sexarbeit verboten ist und kriminalisiert wird, ein mehrfach höheres HIV-Risiko haben als in Ländern, in denen Sexarbeit legal ist. Näheres zu dieser Studie: REEVES A et al., Lancet HIV 2017 http://dx.doi.org/10.1016/52352-3018(16)30217-X Weiteres zu dieser Studie auch in: “Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit”, dort im „Vorwort II“ oder aber „REEVES“ in die Wort-Suchfunktion eingeben. Aufgrund der Internationalität des Paysex-Business müssen Kunden auch mit FSW rechnen, die aus Ländern stammen, in denen „heterosexuelles“ HIV weiter verbreitet ist als in Deutschland, in denen weniger auf HIV getestet wird bzw. die Testhürden höher sind, und in denen HIVInfizierte seltener oder weniger effektiv behandelt werden. Freier können nicht davon ausgehen, dass sich alle FSW regelmäßig auf HIV testen lassen. Zwangstestungen sind in Deutschland nicht zulässig, von extremen juristisch definierten Ausnahmesituationen abgesehen. Und nach vorherrschender Auffassung rechtfertigt ein positiver HIV-Test jedenfalls in Deutschland kein Berufsverbot für eine betroffene FSW. HIV ist nach wie vor nicht heilbar, und es sieht auch nicht so aus, dass in absehbarer Zeit eine echte Heilung möglich sein wird. Zwar wird mit effektiver antiviraler Therapie heute nahezu eine normale Lebenserwartung erreicht, aber um den Preis lebenslanger Medikamenteneinnahme, deren Nebenwirkungen und auch mancher möglicher Begleiterkrankungen/-erscheinungen. Auch fehlen Langzeiterfahrungen über 30, 40 oder mehr Jahre hochwirksamer antiviraler Therapie (HAART) – sie existiert ja erst seit Mitte der 90er Jahre. Die Behandlung ist außerdem sehr teuer und ohne Krankenversicherung nicht realisierbar. -20- Syphilis Nach den Daten des Robert-Koch-Instituts (2010/2011; KAPB-Surv-STI-Studie) ist davon auszugehen, dass etwa 1 % aller FSW eine infektiöse Syphilis aufweisen, also eine Syphilis in einem Stadium, das (noch) mehr oder weniger ansteckend ist. Dies entspricht auch umfangreichen Daten aus Nordrhein-Westfalen (2012). Diese recht hohen Quoten stehen aber im Widerspruch zu den insgesamt nur 421 Syphilismeldungen bei Frauen in Deutschland im Jahr 2015, darunter nur wenige Anbieter/innen heterosexueller Sexarbeit (N = 27). Seronarben sind in diesen Fallzahlen nicht berücksichtigt. Aus den Niederlanden wurden dagegen nur 0,2 % infektiöse Syphilis (Stadium I bis Frühlatenz) bei FSW berichtet (2006 – 2013, über 35000 Untersuchungen), aus England 0,12 % (2011; 2380 FSW). Möglicherweise sind die Quoten um 1 % aus Deutschland im Rahmen der Studien mit FSW nach oben verzerrt, weil sich FSW mit syphilisverdächtigen Symptomen eher veranlasst sahen, freiwillig ein Gesundheitsamt aufzusuchen, und dadurch unter den Probandinnen überrepräsentiert wären („anlassbezogene Untersuchungen“). Andererseits wird bei den anonymen Meldungen nach dem Infektionsschutzgesetz offenbar das Risiko „heterosexuell/Sexarbeit“ von FSW häufig verschwiegen oder nicht ans Robert-KochInstitut übermittelt. Nur 3,5 % aller heterosexuellen Infektionen in Deutschland entfielen laut Meldedaten im Jahr 2015 auf die Anbieterseite heterosexueller Sexarbeit (also ganz überwiegend FSW), im Jahr 2014 sogar nur 2,1 %, während immerhin 11 % der heterosexuellen Infektionen 2014/2015 die Kundenseite der Sexarbeit (also Freier) betrafen. Für beide Seiten geht man von einer erheblichen Untererfassung der Rolle der Sexarbeit im heterosexuellen Übertragungsgeschehen aus. In Anlehnung an die Daten aus den Niederlanden (0,2 %) und aus England (0,12 %) ist daher anzunehmen, dass die „Wahrheit“, also die tatsächliche Quote syphilis-infektiöser FSW in Deutschland, irgendwo zwischen diesen beiden Grenzwerten liegt: ● den sehr niedrigen Fallzahlen von anonymen Meldungen von infektiöser Syphilis bei FSW nach dem Infektionsschutzgesetz, die auf eine Quote infektiöser Syphilis um lediglich 0,01 % schließen lassen, was völlig unrealistisch ist (Untererfassung durch Verschweigen oder Nicht-Übermitteln des Risikos „Anbieter heterosexueller Sexarbeit“) ● den relativ hohen Syphilis-Quoten im Rahmen von Studien unter Beteiligung der Beratungsstellen der Gesundheitsämter (um 1 %), die aber nach oben verzerrt sein könnten, wenn sich bevorzugt FSW mit Beschwerden, z.B. Geschwüren, anlassbezogen dort vorstellen. Im Vergleich zu den Niederlanden und England ist allerdings der sehr hohe Anteil von FSW aus dem östlichen Mitteleuropa und Osteuropa in Deutschland zu bedenken – Gebiete, in denen heterosexuell übertragene Syphilis traditionell eine größere Rolle spielt als in Deutschland und -21- direkt angrenzenden Ländern, so dass auch mit aus dem Heimatland eingeschleppten Infektionen bei FSW zu rechnen ist. Das plausibelste Szenario ist daher, dass die Quote der tatsächlich mehr oder weniger infektiösen FSW irgendwo in der Spanne zwischen 0,2 % (nach der niederländischen Studie) und 1,0 % (nach den RKI-Daten 2010/2011 sowie NRW-Daten 2012, die möglicherweise überproportional anlass-/symptombezogene Untersuchungen enthalten und dadurch nach oben verzerrt sind) liegt. Dass Syphilis bei FSW nicht so selten sein kann, zeigen serologische Untersuchungen auf Antikörper. Diese decken auch Seronarben (Antikörpertiter) nach ausgeheilter Syphilis auf. Syphilis kann in manchen Fällen spontan ausheilen, in anderen Fällen kann eine unentdeckte Syphilis durch eine aus anderen Gründen erforderliche Antibiotika-Gabe (bei FSW ja nicht ungewöhnlich) zur Ausheilung gebracht werden. Untersucht man FSW, findet man bei den über 30-Jährigen in knapp 10 % der Fälle Antikörper gegen Syphilis, d.h. knapp 10 % waren schon einmal in ihrem Leben mit Syphilis infiziert gewesen – und damit auch eine Zeitlang infektiös (es bleibt keine lebenslange Immunität, d.h. auch diese Frauen können sich wieder infizieren). Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Infektionen im Rahmen der Sexarbeit erworben wurden. In östlichen und südlichen Ländern ist die Syphilis auch in der heterosexuellen Allgemeinbevölkerung stärker verbreitet als bei uns, so dass ein Teil der frischen (aktiven) Infektionen, aber auch ein Teil der Seronarben bereits nach Deutschland mitgebracht worden sein könnten, wofür es auch einige Hinweise gibt (Häufigkeit des Syphilis-Antikörpernachweises bei FSW stark vom Herkunftsland abhängig). Die niederländischen Daten zeigen auch für die Häufigkeit (noch) infektiöser Syphilisfälle eine starke Abhängigkeit vom Herkunftsland. Da der Primäraffekt einer Syphilis schmerzlos ist und nur wenige Wochen besteht, kann er aber auch leicht übersehen werden. Viele FSW mit Seronarben dürften ihre Infektion daher nie bemerkt haben. Nicht alle Primäraffekte sind lehrbuchhaft ausgebildet (schmerzloses oder schmerzarmes Geschwür mit derbem Randwall); Verwechslungen mit Herpes-simplex-Läsionen sind möglich. Dabei bestehen Unterschiede in der Inkubationszeit: für eine Erstinfektion mit Herpes simplex (auch Herpes genitalis) beträgt diese 2 – 12 Tage (oft 4 – 7), für Syphilis meistens 14 – 24 Tage (allerdings mit breiter Spanne zwischen 10 und 90 Tagen in Ausnahmefällen). Syphilis betrifft in Deutschland ganz überwiegend (ca. 90 %) die schwule Szene. Wenn es aber zu lokalen heterosexuellen Syphilis-Ausbrüchen kommt, ist Sexarbeit typischerweise mit involviert – sei es als Auslöser, sei es indem sie dazu beiträgt, Infektionsketten mit aufrechtzuerhalten. Zu beachten ist, dass Kondome keinen absoluten Schutz vor Syphilis bieten, da eine Übertragung auch z.B. über die basale, nicht vom Kondom geschützte Penishaut oder Eintrittspforten in der Leistenregion erfolgen kann, ebenso bei ungeschütztem Oralverkehr. Studien in der Schwulenszene zeigten, dass gerade letzterer ein wichtiger Infektionsweg für Syphilis ist. -22- Fazit Obwohl Syphilis nach wie vor gut behandelbar ist und Resistenzprobleme gegen Antibiotika im Gegensatz zu Gonokokken und (in geringerem Umfang) auch Chlamydien bisher keine Rolle spielen, stellt sie für Freier doch ein nicht unerhebliches Problem dar: ● mindestens 11 % aller heterosexuellen Syphilisinfektionen in Deutschland gingen 2014/2015 auf Inanspruchnahme heterosexueller Sexarbeit (Kundenseite) zurück – bei wahrscheinlich ausgeprägter Untererfassung, wenn sich betroffene Freier nicht als solche zu erkennen geben ● Syphilis ist in bestimmten Stadien (z.B. als Primäraffekt oder unmittelbar nach Generalisierung) hoch infektiös und kann auch beim Safer Sex übertragen werden (z.B. über die nicht vom Kondom geschützten basalen Penisabschnitte – einer der Gründe, weshalb in dieser Abhandlung die „kleine“ oder „erweiterte Penisantisepsis“ nach GV mit Kondom empfohlen wird), außerdem bei ungeschütztem Oralverkehr und sogar bei Küssen. Auch ein „vorsichtiger“ Freier oder eine „vorsichtige“ FSW sind daher nicht völlig sicher, sich keine Syphilis einfangen zu können. ● Viele Syphilisinfektionen werden nicht frühzeitig bemerkt, weil sie entweder keinen sichtbaren Primäraffekt entwickeln oder dieser nicht bemerkt (schmerzlos!) oder fehlgedeutet wird (z.B. als „Herpes“). ● Wegen der hohen Infektiosität früher Syphilisstadien ergibt sich daraus dann ein hohes Infektionsrisiko für die private Partnerin von Freiern, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen (das Pro-Akt-Übertragungsrisiko bei ungeschütztem GV wird für Syphilis auf 30 bis 60 % eingeschätzt, das ist mehr als das Hundertfache im Vergleich zu HIV). ● Selbst wenn die Partnerin nicht sichtbar erkrankt, muss sie informiert, untersucht und bei Bedarf auch behandelt werden (Partnerbehandlung), womit das Sexverhalten des Freiers gegenüber seiner Partnerin aufgedeckt würde ● Es besteht nach einer Behandlung manchmal Unklarheit, ob der Erreger vollständig beseitigt wurde oder eine Restinfektiosität bzw. Reaktivierung besteht (auch Neuinfektionen sind möglich). Notwendigkeit von regelmäßigen Kontrolluntersuchungen (Labor) nach einem definierten Zeitschema und ggf. erneuten Antibiotikabehandlungen bei Unsicherheit über den Infektionsstatus auch noch nach Jahren. ● Auch das Robert-Koch-Institut rückte im Jahr 2016 neben Männern, die Sex mit Männern haben, die Freier heterosexueller Sexarbeit in den Fokus als eine Gruppe, der vermehrt Beratungs- und Testangebote in Sachen Syphilis zur Verfügung gestellt werden sollten, wobei sogar Schnelltests bzw. Heim-/Selbsttests (in Bezug auf Syphilis) als hilfreich bewertet wurden, wobei diese aber nicht zwischen aktiver Infektion und ausgeheilter Infektion/Seronarbe unterscheiden können und im Falle eines positiven Ergebnisses daher immer eine weitere (d.h. ärztlich-labormedizinische) Diagnostik erforderlich wird. -23- Gonokokken (Tripper-Erreger) In einer großen Studie des Robert-Koch-Instituts (2010/2011) fanden sich Gonokokken bei 3,2 % der FSW. Dies entspricht auch der Quote, die beispielsweise die Gesundheitsämter Köln, Bremen und Lübeck für die dort betreuten FSW ermittelten (3,3 %, 2,8 % und 3,6 %). Aus den Niederlanden wurden 2,6 % berichtet, mit steigender Tendenz (2,1 % in 2006 und 3,1 % in 2013). Allerdings sinkt die Gonokokken-Quote der FSW durch regelmäßige Untersuchungen und ggf. daraus resultierende Behandlungen deutlich ab. Die obigen Daten (sowohl aus Deutschland wie aus den Niederlanden) enthalten aber vor allem FSW, die sich regelmäßig oder zumindest gelegentlich untersuchen lassen, und könnten daher die Gonokokken-Belastung in der Gesamtpopulation der FSW eher unterschätzen. Testet man nämlich FSW, die üblicherweise kein Gesundheitsamt aufsuchen und sich bisher nicht mehr oder weniger regelmäßig untersuchen ließen, vor Ort (d.h. im Club), so liegen die Quoten höher („Outreach-Studie“ Deutschland: 5,3 % in 2012/13 und 4,3 % in 2014). Regelmäßige Untersuchungen tragen zur Senkung der Gonokokken-Belastung der FSW bei. FSW sind um ein Mehrfaches häufiger von Gonokokken betroffen als gleich alte Frauen der Allgemeinbevölkerung. Und im Rachenraum von FSW finden sich Gonokokken mehr als doppelt so häufig als im Genitalbereich (2- bis 2,5-faches Risiko), wobei dies sehr eng mit ungeschütztem Oralverkehr korreliert ist. Daher sind Quoten zwischen 5 und 10 % plausibel, wenn FSW oral überwiegend unsafe arbeiten. Die Racheninfektionen sind meist asymptomatisch, werden in der Regel nicht bemerkt, heilen nach Wochen oder Monaten meist spontan wieder aus, und sind schwieriger antibiotisch zu behandeln als genitale Infektionen. Der Rachenraum gilt als wichtiges Reservoir für Gonokokken und auch für die Herausbildung von antibiotikaresistenten Gonokokkenstämmen. Für die infizierten FSW selbst hat die Racheninfektion in der Regel keinen Krankheitswert. Eine Übertragung durch Zungenküsse gilt als grundsätzlich möglich. Das Risiko liegt aber vor allem aufseiten des Kunden, der sich beim FO (und wahrscheinlich in erhöhtem Umfang beim Deep Throat) eine Gonokokkeninfektion am Harnröhrenausgang einfangen kann, die innerhalb weniger Tage zu einer Harnröhrenentzündung führt. FO ist ein wichtiger Übertragungsweg von Gonokokken auf den Mann. Chlamydien Chlamydien werden bei FSW häufiger angetroffen als Gonokokken; in der großen Studie des Robert-Koch-Instituts (2010/11) lag die Quote bei etwa 7 %, wobei aber ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass darin auch FSW enthalten sind, die sich wiederholt und regelmäßig untersuchen lassen. Aus Lübeck wurden 8,3 %, aus Köln 12,2 % (mit Migrationshintergrund) bzw. 10,3 % (deutsche FSW), aus Nürnberg 12,7 %, aus Bremen aber nur 4,7 % berichtet. Die deutschen Outreach-Studien (Selbstabnahme von Proben durch FSW am Arbeitsplatz) -24- berichteten 10,4 % und 10,2 % - bei Frauen, die sich überwiegend zuvor nicht regelmäßig hatten untersuchen lassen. In den Niederlanden fanden sich Chlamydien zu 7,1 %, wobei sich in den letzten Jahren ein leichter Rückgang abzeichnete (2006: 8,0 %; 2013: 6,5 %). Regelmäßige Untersuchungen scheinen in Bezug auf die Häufigkeit von Chlamydien keinen so großen Effekt zu haben wie hinsichtlich Gonokokken. Allerdings sind Chlamydien auch bei jungen Frauen der Allgemeinbevölkerung nicht selten – deshalb zahlen die gesetzlichen Krankenkassen auch bis zum Alter von 25 Jahren ein Chlamydienscreening für alle dort versicherten Frauen. Im Gegensatz zu Gonokokken und (auf viel niedrigerem Niveau) Syphilis stellt Sexarbeit für Chlamydien nur eine moderate Risikoerhöhung dar (unterhalb des Risikos einer Verdoppelung im Vergleich zu gleich alten Frauen ohne Sexarbeit). Im Rachenraum von FSW siedeln Chlamydien seltener als genital; im niedrigen einstelligen Prozentbereich ist aber mit einem Chlamydienbefall im Rachen von oral unsafe arbeitenden FSW zu rechnen (in den Niederlanden 2,0 %). Nach Studien an schwulen Männern scheint die Übertragung von Chlamydien in den Rachen bevorzugt durch Spermaaufnahme (FA, FT) zu erfolgen, während dies bei Gonokokken weniger eine Rolle spielt und schon „einfaches“ FO einen sehr effizienten Übertragungsweg für Gonokokken darstellt. Die Chlamydien können dann beim FO aus dem Mund/Rachen der FSW auf den Penis (Harnröhrenausgang) übertragen werden und dort zu einer Infektion führen, die allerdings nur in etwa der Hälfte der Fälle zu Symptomen führt. Aber auch ohne Symptome sind die Männer infektiös und können beispielsweise beim ungeschützten GV ihre private Partnerin anstecken – gerade diese häufige Symptomfreiheit ist besonders tückisch an Chlamydien. Mykoplasmen Belastbare Zahlen zur Häufigkeit von Mykoplasmen und Ureaplasma bei FSW aus großen Studien liegen aus Deutschland nicht vor, und in kleineren Studien weichen die Daten weit voneinander ab, was damit zusammenhängen dürfte, dass diese kleinen, membranlosen Bakterien schwer nachweisbar sind. Genau genommen ist ihr Nachweis sehr methodensensibel. Es gibt mehrere Arten mit teilweise mehreren Genotypen, und im Falle von Ureaplasma gelten nur manche Genotypen als krankmachend, während andere als Bestandteil der normalen Urogenitalflora angesehen werden. Dementsprechend schwanken Häufigkeitsangaben zum Vorkommen im Genitaltrakt von FSW extrem. In den wenigen Studien, wo mit gleicher Methodik auch Frauen der Allgemeinbevölkerung beprobt wurden, waren die FSW aber stets häufiger betroffen. Genitale Infektionen können aber auch wieder spontan ausheilen. Von ihrem biologischen Verhalten her sowie pathogenetisch sind diese Keime am ehesten mit Chlamydien vergleichbar; viele Infektionen sind asymptomatisch, aber sie können auch verschiedene Entzündungen im Urogenitalbereich einschl. aller damit verbundenen Komplikationen hervorrufen, ähnlich Chlamydien. -25- Auch wenn sie im Kontext von Sexarbeit vor allem die Harnröhre befallen, spielen sie auch beim Oralverkehr eine Rolle. Sie können beim OV auf den Rachen übertragen werden, wo sie symptomlos siedeln. Beim FO (vor allem Deep Throat) können sie dann auf die Harnröhre übertragen werden und beim Mann eine schmerzhafte Harnröhrenentzündung (Urethritis) auslösen, ohne dass Gonokokken oder Chlamydien nachweisbar sind. Sind bei einer mikrobiell verursachten Urethritis weder Gonokokken noch Chlamydien zu finden, sind meistens, aber nicht immer, Mykoplasmen die Ursache. Allerdings gibt es in solchen Fällen gelegentlich noch andere Kandidaten wie Herpes simplex, Adenoviren, Pilze (Candida), Meningokokken, Haemophilus influenzae und parainfluenzae. Ungeschützter Oralsex mit FSW ist ein wichtiger Risikofaktor für Harnröhrenentzündungen, die weder durch Gonokokken noch Chlamydien verursacht sind. Hinsichtlich Schweregrad (Symptome: Ausfluss, Brennen) und der Inkubationszeit liegen solche Infektionen zwischen jenen durch Gonokokken (sehr heftig, sehr schnell) und Chlamydien (längere Inkubationszeit, weniger häufig schwere Symptome). Zur Belastung des Rachenraumes von FSW mit Mykoplasmen liegen nur wenige Daten vor; rechnet man alle Arten dieser Gruppe zusammen, ist von einer Häufigkeit auszugehen, die etwa derjenigen von Chlamydien entspricht. Trichomonaden (Geißeltierchen) Die Studie des Robert-Koch-Instituts weist für FSW eine Quote von 3 % Trichomonadennachweis aus, was etwa auch den Kölner Daten entspricht (mit Migrationshintergrund: 2,5 %; deutsche FSW: 4,7 %). Bremen meldete dagegen nur eine Quote von 1,5 %. Abweichend davon ergaben die Outreach-Studien aber Quoten von 12 % (2012/13) und 10,9 % (2014). Bei Diagnostik durch Sofort-Mikroskopie können viele Infektionen übersehen werden; viel empfindlicher ist der teurere Nukleinsäurenachweis. Eine massive Risikoerhöhung gegenüber der sexuell aktiven Allgemeinbevölkerung scheint hier jedenfalls bei den FSW, die sich regelmäßig untersuchen lassen, nicht zu bestehen, und für die Freier selbst sind diese Infektionen von eher geringer Relevanz, weil sie bei ihnen meistens symptomlos verlaufen. Selten kommt es zu Entzündungen der Harnröhre und einem weiteren Aufstieg in den Harn- und Genitalwegen (z.B. mit Nebenhoden- oder Prostata-Entzündung). Männer fungieren aber als Keimreservoir und Überträger, da die Infektionen bei ihnen aufgrund der häufigen Symptomlosigkeit (70 bis 85 %) nicht entdeckt und behandelt werden. Unbehandelt kann die Infektion mehrere Jahre persistieren. So können Männer unbemerkt andere FSW oder ihre private Partnerin anstecken. Außerdem soll das Risiko für Prostatakrebs steigen. Beim Oralverkehr spielen die Trichomonaden keine relevante Rolle, weil Mundhöhle und Rachen kein geeigneter Lebensraum für diese Einzeller sind. -26- Pilzinfektionen (Candida) Pilzinfektionen des Penis betreffen in der Regel Vorhaut und Eichel; der Erreger ist derselbe wie beim Scheidenpilz der Frau. Da Hefepilze bei vielen Personen auch im Mund siedeln (ohne dort Symptome zu machen), ist eine Übertragung auch durch Oralverkehr möglich. Allerdings sind solche Pilzinfektionen keine klassischen STDs, denn Pilze gehören in gewissem Umfang zur normalen Flora der Genitalien und bei vielen Menschen auch im Mund-RachenRaum. Erst wenn das biologische Gleichgewicht der genitalen oder oralen Mikroflora (Mikrobiom) gestört wird, nehmen sie überhand und führen dann zu Beschwerden und Krankheitserscheinungen. Ursachen für solche Entgleisungen können beim Mann Immunschwächen, Diabetes mellitus, Antibiotika- oder Kortison-Behandlungen, aber auch Störungen der Hautflora des Penis und vieles andere sein; bei Frauen (die viel stärker zu genitalen Pilzerkrankungen neigen als Männer) gibt es noch zahlreiche andere Ursachen vor allem im Kontext von Intimhygiene und Auswahl/Umgang mit Wäsche. Beim Mann spielt auch mangelnde Reinigungsmöglichkeit des Penis durch Vorhautverengung eine Rolle. Und auch über Bett-, Bade- und Unterwäsche sowie Handtücher ist eine Übertragung möglich. Daher ist der Wechsel der „Betttücher“ in Clubs und Massagestudios nach jedem Kunden so wichtig. Dies unterscheidet also die Pilzinfektionen (besser: Pilzerkrankungen) von anderen STDs: nicht allein die Kontamination mit dem Erreger bzw. die sexuelle Übertragung des Erregers machen krank, sondern es müssen andere Umstände hinzutreten, die das biologische Gleichgewicht der lokalen Mikroflora zugunsten der Pilze verschieben – bei Frauen kann das häufiger Cunnilingus sein. HPV (Humanes Papilloma Virus) Europaweit ist davon auszugehen, dass ca. 15 % der FSW aktuell mit HPV 16 und/oder 18 genital infiziert sind, d.h. eine aktive, virus-ausschüttende Infektion mit Infektionspotenzial für Sexpartner vorliegt. Bei jungen FSW (unter 25 Jahren) dürfte das Risiko tendenziell höher, bei älteren FSW eher niedriger sein. Zum Befall des Rachenraums mit dem dort relevanten Typ HPV 16 liegen keine belastbaren Daten aus Deutschland vor. Nach bisherigen Erkenntnissen liegt diese Quote bei FSW im einstelligen Prozentbereich, tendenziell eher im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Allerdings gibt es keine Daten von FSW, von denen man weiß, dass sie OV immer oder überwiegend ungeschützt betreiben, so dass nicht auszuschließen ist, dass bei diesen FSW die Quote auch deutlich höher ausfallen könnte. Andererseits kommt extrem exponierten Frauen auch eine gewisse Immunkompetenz zugute, die sich im Laufe von (genitalen) Kontaminationen/Expositionen entwickelt und offenbar nicht (nur) über die antikörpergebundene, sondern (auch) über die zelluläre Immunität vermittelt -27- wird und dazu beiträgt, dass die theoretisch zu erwartende exzessive orale HPV-16-Belastung von oral unsafe arbeitenden FSW vermieden werden kann – was in Einklang mit den wenigen Studiendaten steht, die bisher maximal 6 % HPV 16 im Mund-Rachen-Raum von FSW fanden (Pecs/Ungarn). Das ist aber immerhin das Zwanzigfache der Frauen der Allgemeinbevölkerung in den USA (0,3 %). Männer entwickeln keine vergleichbar ausgeprägte natürliche Immunkompetenz nach genitalen HPV-Kontakten, darum geht die HPV-Belastung der Männer mit steigendem Alter auch nicht zurück. Unter den Männern gelten deshalb Freier auch in der wissenschaftlichen Literatur als eine der wichtigsten Hochrisikogruppen für HPV-Infektionen (z.B. CASTELLAGUE 2008). Auch gibt es Hinweise, dass das HPV-Übertragungsrisiko in Mund und Rachen beim Lecken (Cunnilingus) ohnehin größer ist als bei Fellatio – möglicherweise wegen höherer Viruslast auf weiblichen Genitalschleimhäuten. Hinzu tritt bei den Männern eine erhöhte Empfänglichkeit für HPV mangels erworbener Immunkompetenz im Vergleich zu Frauen, die, wie oben erwähnt, durch genitale HPV-Kontakte/-Kontaminationen eine moderate Widerstandsfähigkeit gegenüber länger anhaltenden HPV-Infektionen im Mund-Rachen-Raum entwickeln, besonders auch gegenüber dem besonders kritischen HPV 16. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass ungeimpfte Freier, die ungeschützt bei (ungeimpften) FSW lecken, ein überdurchschnittliches Risiko haben, nach vielen Jahren oder Jahrzehnten einen HPV-bedingten Krebs im Rachenraum (vor allem Mandeln oder Zungengrund) zu entwickeln – verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung, für die das Lebenszeitrisiko für einen solchen Krebs bei lediglich 0,3 % (Männer und Frauen zusammen betrachtet) liegt, bezogen auf die Region des Mundrachen (Oropharynx). Hepatitis B Eine ältere Studie aus Deutschland (aus der Zeit, als die Hepatitis-B-Impfung noch nicht sehr verbreitet war) zeigte, dass sich etwa 6 % aller FSW im Laufe eines Jahres mit Hepatitis B anstecken. Nach neueren Daten ist davon auszugehen, dass etwa 1 bis 2,5 % der FSW an einer akuten oder chronischen Hepatitis B leiden und damit zumindest potenziell infektiös sind. Auch wenn in Deutschland inzwischen die meisten Kinder (und ggf. nachträglich auch Jugendliche) gegen Hepatitis B geimpft werden, können Freier keinesfalls davon ausgehen, dass dies auch für die Generation der FSW, besonders jene aus dem Ausland, zutrifft. In einer Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2010/2011 waren gerade einmal 39 % der befragten FSW vollständig und weitere 7 % unvollständig geimpft. Viele STD-Beratungsstellen bieten daher Impfungen gegen Hepatitis B (gegen Kostenerstattung für den Impfstoff) an. In den Niederländen, wo die Impfung für FSW wohl intensiver beworben wird, lag die Quote infektiöser Hepatitis B bei 1,0 % (2006 – 2013), allerdings stark abhängig von der Herkunft der FSW, wobei die Spanne von 0,13 % für einheimische FSW über 2,2 % bei osteuropäischen und 2,3 % bei asiatischen bis zu 5,4 % bei subsaharischen FSW reichte. -28- Herpes simplex Typ 1 (HSV-1) HSV-1 ist hoch infektiös, wird leicht durch oral-orale Kontakte (schon Küsse auf die Lippen reichen) übertragen, so dass die Allgemeinbevölkerung meist schon im Kleinkindalter, spätestens in der Pubertät oder nach Aufnahme erster sexueller Kontakte infiziert ist. Die überwiegende Mehrzahl der FSW wird bei Eintritt in die Sexarbeit also bereits infiziert sein, wie die Mehrzahl ihrer Freier. Sexarbeit stellt damit kein spezielles HSV-1-Risiko dar, abgesehen davon, dass diejenigen, die bisher noch nicht infiziert waren, jetzt ihre Infektion nachholen werden, was ihnen aber im Privatleben hätte ebenso passieren können. Herpes simplex Typ 2 (HSV-2) HSV-2 wird überwiegend durch Genitalsekrete übertragen (auch wenn der genital-orale Weg auch infrage kommt) und ist daher viel stärker vom Sexverhalten und der Partnerzahl abhängig, und Kondome schützen nur bedingt. HSV-2 ist daher eng mit der Sexualanamnese verknüpft – enger sogar als HPV, weil HSV-2 im Gegensatz zu HPV nicht spontan ausheilen kann, sondern lebenslang persistiert. Bei HPV kommt es dagegen ab etwa der Mitte des dritten Lebensjahrzehnts zu einem Zeitpunkt, ab dem die Anzahl der ausheilenden Infektionen die Anzahl der Neuinfektionen bei den Frauen übersteigt – und im Saldo geht die HPV-Belastung dann mit steigendem Alter zurück (gilt nicht für Männer). Bei HSV-2 ist dieser Effekt wegen lebenslanger Persistenz des Virus nicht möglich, und mit jedem neuen Sexkontakt steigt das HSV-2-Risiko weiter an (im Sinne einer Sättigungscharakteristik). Frauen sind häufiger betroffen als Männer; etwa 14 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland weisen Antikörper gegen HSV-2 auf und sind damit permanent infiziert und – bei Reaktivierung – zeitweise ansteckend, wobei diese Reaktivierungen meist unbemerkt bleiben. HSV-2 hat in der Sexarbeit Relevanz, weil es ● die häufigste Ursache für geschwürige Erkrankungen im Genitalbereich darstellt ● die meisten Infektionen aber unerkannt bleiben, weil sie nicht zu Geschwüren führen oder diese nicht bemerkt werden ● Reaktivierungen mit Virusausschüttung (und damit Infektiosität) jederzeit möglich sind, wobei diese häufig asymptomatisch verlaufen und daher nicht bemerkt werden ● die Übertragung auf das Kind im Rahmen der Schwangerschaft möglich ist (häufiger als bei HSV-1), mit ggf. gravierenden Schäden, so dass diesem Aspekt in der Schwangerschaftsvorsorge und Geburtsvorbereitung bei FSW oder Frauen mit Sexarbeit in der Vorgeschichte unbedingt Beachtung zu schenken ist -29- ● einen sehr wichtigen Schrittmacher für HIV-Infektionen darstellt. In Ländern mit hoher HSV-2Verbreitung in der Allgemeinbevölkerung geht man davon aus, dass bis zu 50 % aller HIVInfektionen durch HSV-2 vermittelt werden und in Abwesenheit von HSV-2 nicht stattgefunden hätten, und es wird inzwischen intensiv an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen HSV-2 gearbeitet, weil dieser die Infektionszahlen an HIV in den davon stark betroffenen Ländern stärker zurückführen könnte, als der einzige bisher mit nur sehr eingeschränktem Erfolg getestete und nicht auf den Markt gebrachte Impfstoff direkt gegen HIV (RV 144: 31 % Risikoreduktion in einem Zeitraum von 42 Monaten bei im Zeitverlauf abfallendem Schutzeffekt). ● Kunden können sich anstecken, was für die Kunden selbst – abgesehen von einer möglichen vorübergehenden Geschwürsbildung am Penis - weniger problematisch ist als für ihre privaten Partnerinnen, auf die sie dann HSV-2 früher oder später übertragen werden, was zu den oben genannten Symptomen bei der Partnerin führen kann. Auch an die Auswirkungen im Falle einer späteren Schwangerschaft der Partnerin ist zu denken. Da die HSV-2-Belastung mit der Sexualanamnese eng verbunden ist, ergibt es sich, dass FSW ein hohes HSV-2-Risiko haben und das Risiko mit der Dauer der Sexarbeit und Anzahl der Sexualkontakte im Lebenslauf ansteigt. FSW müssen davon ausgehen, dass mindestens 10 bis 12 % ihrer Freier HSV-2-infiziert und damit potenziell infektiös sind, ohne es zu wissen bzw. ohne dass die FSW es „erkennen“ kann. Die genannten Prozentsätze entsprechen der männlichen Durchschnittsbevölkerung in Deutschland – Freier dürften auch angesichts der recht bescheidenen Schutzwirkung von Kondomen deutlich öfter betroffen sein. Insofern ist es nicht überraschend, dass in manchen Regionen der Welt bis zu 95 % der FSW mit HSV-2 infiziert sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine noch nicht mit HSV-2 infizierte FSW im Verlauf eines Jahres ansteckt, liegt bei durchschnittlich etwa 10 bis 20 % (pro Jahr!); bei jungen FSW und zu Beginn der Sexarbeit ist es höher, bei älteren FSW und nach mehr als 5 Jahren Sexarbeit deutlich niedriger. Besonders problematisch ist, dass Kondome nur einen recht geringen Schutz vor HSV-2Infektionen bieten. Einer großen Metaanalyse zufolge senken sie das Risiko sowohl für die Männer wie für die Frauen nur um etwa 30 %. Auch konsequent safer arbeitende FSW sind somit hochgradig HSV-2-gefährdet. Ein Impfstoff gegen HSV-2 wäre daher für junge FSW/Berufseinsteigerinnen sehr wünschenswert, wird aber so schnell nicht verfügbar sein. Infizierten FSW oder Freiern, die immer wieder Reaktivierungen erleiden, bleibt daher nur die Option einer Langzeittherapie als Dauer- oder Intervalltherapie mit antiviralen Medikamenten wie Aciclovir, Valaciclovir oder Famciclovir. Wenn die auslösenden Faktoren für einen Ausbruch von Herpes genitalis bekannt und ihr Eintreten absehbar ist, kann auch eine episodische Prophylaxe (statt Dauertherapie) in den betreffenden Zeitphasen erwogen werden. Die Unterbindung von Herpes-Reaktivierungen durch Dauertherapie oder situationsbezogene prophylaktische Therapie dient auch dem Schutz noch nicht infizierter Sexpartner, gerade auch angesichts des beschränkten Schutzeffekts von Kondomen. -30- Genitale STDs bzw. STD-Risiken bei FSW Insgesamt ist in Deutschland und näherer Umgebung von folgender Abstufung auszugehen, was die Häufigkeit (Prävalenz) von STDs im Genitalbereich (bzw. über den Genitalbereich übertragbarer STDs) bei FSW betrifft: HSV 1/HSV 2 > HPV (alle Typen) > krebserregendes HPV (Hochrisiko-HPV) > Chlamydien > Gonokokken > infektiöse Hepatitis B > infektiöse Syphilis > HIV Hepatitis C wurde hier nicht eingeordnet, weil die Übertragung bei „normaler“ Sexarbeit keine relevante Rolle spielt (von „Unfällen“ mit Blutkontakt abgesehen) und HCV-Infektionen bei FSW eher mit Drogenspritzen, aber auch anderen Umständen (gemeinsame Nutzung von scharfen Instrumenten wie Rasierern oder Nagelclips mit infizierten Kolleginnen, unter unhygienischen Bedingungen durchgeführte Piercings, Tatoos usw.) in Verbindung zu bringen sind. Trichomonaden wurden hier nicht eingeordnet, weil die Datenlage weniger klar ist und sie für die Kunden von geringer Relevanz sind (allenfalls als Überträger). Von der Häufigkeit her wären sie in der Nähe der Gonokokken oder knapp darüber anzusiedeln. Mykoplasmen (einschl. Ureaplasma) wurden ebenfalls nicht eingeordnet, weil die Datenlage sehr divers ist, was auch mit dem schwierigen Nachweis bzw. unterschiedlichen Nachweismethoden zusammenhängt; ob alle Arten untersucht wurden oder nur nach bestimmten Arten dieser Bakteriengruppe gefahndet wurde, und weil die krankheitserregende Wirkung teilweise noch unklar ist. So wird angenommen, dass nur manche Genotypen von Ureaplasma urealyticum krankmachend sind, während andere als Bestandteil der normalen Mikroflora im Urogenitalbereich angesehen werden können. Mycoplasma gilt als kritischer, wobei aber auch Unterschiede in der „Gefährlichkeit“ bei den einzelnen Arten bestehen. Die Einordnung des Hepatitis-B-Risikos hängt stark vom Herkunftsland und der Durchimpfungsquote ab. Auch bei infektiöser Syphilis kann das Herkunftsland eine Rolle spielen, da in manchen Ländern Osteuropas Syphilis in der heterosexuellen Bevölkerung weiter verbreitet ist als bei uns. Ähnliches wird auch für Chlamydien angenommen. Bei HIV ist ebenfalls an Risiken außerhalb der Sexarbeit sowie einen Einfluss des Herkunftslandes zu denken. Wie viele internationale Studien zeigen, haben außerdem private Partnerschaften einen erheblichen Einfluss auf den Infektionsstatus von FSW. Wie an anderer Stelle beschrieben, unterliegen FSW aufgrund verschiedener Einflussfaktoren einer erhöhten genitalen Anfälligkeit für STDs (Mikrotraumen – auch durch Toys oder Fingern –, Reizung der Genitalschleimhäute durch bestimmte Gleitmittel, Kondombeschichtungen, Speichel/häufiger Cunnilingus, Störungen der vaginalen Mikroflora wie bakterielle Vaginose, Mischflora usw.), was sie auch -31- einer erhöhten Empfänglichkeit bei ungeschütztem Sex in privaten Partnerschaften aussetzt, ganz abgesehen davon, dass manche privaten Partner von FSW ebenfalls Verhaltensweisen zeigen könnten, die mit einem erhöhten STD-Risiko einhergehen. Wenn also erhöhte STD-Prävalenzen bei FSW zu finden sind, so sind diese nicht zwangsläufig und vollständig unmittelbar auf Kundenkontakte zurückzuführen, sondern können auch je nach Erreger, Umständen, Herkunfts- und geographischer Untersuchungsregion (weltweit gesehen) von privaten Partnern beeinflusst sein, wobei das Risiko durch private Partner dann nur mittelbar durch Sexarbeit moduliert würde, da Sexarbeit die Anfälligkeit für STDs erhöht – jedenfalls im jungen Alter und zu Beginn der Sexarbeit. Dieses Exzess-Risiko kann – je nach Erreger – dann im weiteren Zeitverlauf und mit zunehmender Berufserfahrung durch Mechanismen der lokalen oder systemischen Immunantwort wieder abnehmen. Ein mögliches Problem stellen auch asymptomatisch infizierte private Partner, bei denen sich die FSW dann immer wieder neu infizieren (z.B. anlässlich eines Heimaturlaubes), nachdem die Infektion der FSW durch Antibiose erfolgreich behandelt worden war (Ping-Pong-Effekt). So mag sich erklären, wenn FSW trotz Behandlung immer wieder mit denselben STI-Infektionen diagnostiziert werden. Die oben dargelegte Reihenfolge der Infektionsquoten bezieht sich auf FSW im Allgemeinen und erlaubt keine Differenzierung zwischen FSW, die GV (AV) konsequent und ausnahmslos – auch privat – mit Kondom betreiben, und solchen, die dazu nicht immer ein Kondom nutzen. Die Datenlage reicht nicht aus, um zwischen beiden Gruppen konsequent unterscheiden zu können und Unterschiede in der Reihenfolge der Prävalenzen herauszuarbeiten, zumal Aussagen zur Kondomanwendung nicht immer verlässlich sind, wie Studien im Ausland zeigten, wo man die Angaben zur Kondomanwendung der FSW (in den letzten zwei Tagen vor der Befragung) mit dem PSA-Nachweis in Genitalsekreten (als sicheren Beweis für ungeschützten GV) verglich. Um allerdings das STD-Risiko zu ermitteln, das konkret der Sexarbeit zuzuordnen ist, sind Vergleiche mit dem Infektionsstatus der weiblichen Allgemeinbevölkerung erforderlich. Da dieser aber stark altersabhängig ist und aus einer Vielzahl von Gründen zu Beginn der sexuellen Aktivität bzw. im jungen Erwachsenenalter am höchsten ausfällt (häufigere Partnerwechsel, immunologische Unreife des Genitaltrakts, daher erhöhte Infektanfälligkeit, d.h. Unreife des lokalen Immunsystems; fehlende systemische Immunantwort bei Erstexposition; Häufigkeit und Ausdehnung zervikaler Ektopien als besonders infektionsanfällige Regionen), darf man den Infektionsstatus von FSW eigentlich nur mit ihren Altersgenossinnen vergleichen. Übersieht man dies, ergibt sich schon zwangsläufig aufgrund der (jungen) Altersstruktur der FSW, wie man sie heutzutage in Deutschland und Nachbarländern antrifft, eine Überschätzung des beruflich mittelbar und unmittelbar bedingten STD-Risikos von FSW im Vergleich zu Frauen der Allgemeinbevölkerung. -32- Nach Abgleich mit der Altersstruktur ergeben sich für FSW: ● ausgeprägt erhöhte Risiken (mehrfach erhöhtes Risiko) --- für HSV-2, für das der Anteil der Infizierten mit der Dauer der Sexarbeit und Anzahl der Sexkontakte ansteigt, da die Infektion lebenslang persistiert, und Kondome nur bedingt schützen (Risikoreduktion durch Kondome nur ca. 30 %). Jährliches Infektionsrisiko für eine noch nicht infizierte FSW: ca. 10 bis 20 %. Das 1-Jahres-Infektionsrisiko einer FSW entspricht damit etwa dem Lebenszeit-Infektionsrisiko einer Frau der Durchschnittsbevölkerung. --- für HPV (insgesamt) sowie krebserregendes HPV, wobei der Anteil der Infizierten (mit nachweisbarer Virus-DNS, d.h. aktiv infiziert, virusausschüttend und damit auch infektiös) aber mit steigendem Alter schon im Verlauf des 3. Lebensjahrzehnts abnimmt, weil die meisten Infektionen entweder völlig ausheilen oder latent werden (und dann keine Viren mehr ausschütten, ggf. aber reaktivierbar sein könnten). FSW haben daher ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko für höhergradige Cervixdysplasien – also Krebsvorstufen, die sich allerdings in unterschiedlich großem Umfang auch wieder spontan zurückbilden können --- für Gonokokken – die in der heterosexuellen Allgemeinbevölkerung selten sind (genital, aber vor allem auch im Rachen) --- für aktive/frühe (infektiöse) Syphilis, allerdings auf sehr niedrigem absoluten Niveau. Antikörperuntersuchungen bei Frauen, die schon länger in der Sexarbeit aktiv sind, deuten aber darauf, dass viele Fälle aktiver (frischer) Syphilis nicht erkannt wurden. Ungeschützter Oralverkehr muss als ein wesentliches Infektionsrisiko für FSW angesehen werden. Die starke Abhängigkeit der Seroprävalenz (Seronarben) vom Heimatland deutet allerdings darauf, dass ein Teil dieser Infektionen außerhalb der Sexarbeit in Deutschland, z.B. bei privatem Sex im Heimatland, erworben sein könnte. --- ggf. Hepatitis B, stark abhängig von Herkunftsland und Durchimpfungsrate --- ggf. HIV auf sehr niedrigem Niveau, abhängig vom Herkunftsland und Risikofaktoren außerhalb der Sexarbeit ● moderat erhöhte Risiken --- für Chlamydien, die bei jungen Frauen ohnehin recht weit verbreitet sind, so dass Sexarbeit nur mit einer leichten Risikoerhöhung (meistens weniger als doppeltes Risiko im Vergleich zu gleich alten Frauen) verbunden ist, auch abhängig von vorausgehenden Untersuchungen (Chlamydien-Screening), aber auch Herkunftsland (häufiger in Osteuropa) -33- Auch für Trichomonaden und besonders für Mykoplasmen/Ureaplasma ist von einem erhöhten Risiko für FSW im Vergleich zu gleich alten Geschlechtsgenossinnen auszugehen, dessen Ausmaß sich aber nicht näher einordnen lässt, weil die Datenlage für FSW und altersgematchte Kontrollgruppen unzulänglich ist, bzw. die positive Nachweisquote auch stark methodenabhängig oder von der Teilnahme an regelmäßigen Untersuchungen beeinflusst wird. --- für mikrobielle Entgleisungen (bakterielle Vaginose, Mischflora, Candidiasis). Die Datenlage zu FSW aus Deutschland und Nachbarländern im Vergleich zu Frauen der Allgemeinbevölkerung ist höchst unzureichend und uneinheitlich; jüngere Studien zeigen eher eine deutliche Risikoerhöhung für mikrobielle Störungen bei FSW als ältere Studien. In der weiblichen Allgemeinbevölkerung schätzt man die Häufigkeit der bakteriellen Vaginose (gemäß AmselKriterien oder Nugent-Score) auf 5 %, bei Schwangeren häufiger. Es kann aber nur als eine Hypothese formuliert werden, dass mikrobielle Entgleisungen bei FSW in jüngerer Zeit zunahmen. Möglicherweise spielen veränderte Hygienepraktiken („falsche“ oder übermäßige Intimhygiene) und vor allem Verhaltensweisen (wie häufigerer Cunnilingus z.B. im Rahmen von „Girl Friend Sex“, der früher eher unüblich war; Lesbenspiele mit gemeinsamem Dildogebrauch usw.) eine Rolle. So gibt es starke Hinweise darauf, dass bakterielle Vaginosen durch verschiedene lesbische Praktiken wie eine Infektionskrankheit „übertragen“ werden können, wenn es zu einem direkten oder indirekten Kontakt (z.B. über kontaminierte Dildos oder Finger) mit dem „fremden“ genitalen Mikrobiom einer von Vaginose befallenen Frau kommt (was oft nicht erkannt wird, da etwa die Hälfte der bakteriellen Vaginosen symptomlos bleibt). Cunnilingus ist ein Risikofaktor für bakterielle Vaginosen, Mischfloren und Candidiasis nicht unbedingt für alle Frauen, aber jene Frauen, die ohnehin zu Entgleisungen des genitalen Mikrobioms neigen. Die Empfänglichkeit für solche Störungen des Mikrobioms ist offenbar sehr unterschiedlich, d.h. die Stabilität bzw. Störanfälligkeit des (normalen, gesunden) Mikrobioms unterscheidet sich von Frau zu Frau. Für Freier bedeutet dies, dass es gute Gründe geben kann, wenn sich eine FSW nicht „lecken“ lässt, und dass dies keinesfalls bedeutet, dass die FSW befürchtet, dass der Freier „nicht gesund“ sei. Das Problem liegt nicht beim Freier, sondern bei der FSW selbst begründet. ● minimal erhöhte Risiken --- für HSV 1, weil die Bevölkerung spätestens nach Aufnahme sexueller Aktivität in so einem hohen Ausmaß bereits durchseucht ist, dass zum Zeitpunkt des Eintritts in die Sexarbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit schon eine Infektion vorliegt (die lebenslang persistiert und reaktivierbar ist), oder ansonsten auch durch nicht-berufliche Kontakte früher oder später nachgeholt worden wäre. -34- STD-Risiko im Mund-Rachen-Raum von FSW Für Kunden, die FO betreiben lassen, in weitaus geringerem Umfang auch für jene, die gern Zungenküsse praktizieren, ist auch das Risiko von Interesse, in welchem Umfang eine FO betreibende FSW im Mund-Rachen-Raum mit STD-Keimen infiziert sein könnte, zumal vor allem der Rachenraum als Keimreservoir eine wichtige Rolle spielt (was es wahrscheinlich macht, dass Deep Throat mit erhöhtem Infektionsrisiko für eine Übertragung von Rachenkeimen auf den Penis/Harnröhrenausgang verbunden ist). Hier ist folgende Risikoabstufung anzunehmen: HSV 1 + 2 (zusammen betrachtet) > HPV (alle Typen zusammen) > HPV 16 > Gonokokken > Chlamydien / Mykoplasmen > infektiöse Syphilis / Hepatitis B > HIV Bei den krebserregenden HPV-Typen wird hier nur auf den Typ HPV 16 fokussiert, weil dieser im Mund-Rachen-Raum der gefährlichste ist und auch eine besondere Affinität zum Rachen hat. Aber auch genitalwarzenauslösende HPV-Typen (6, 11) können im Mund-Rachen-Raum vorkommen, und gelegentlich finden sich auch dort „Genitalwarzen“. Die HPV-16-Belastung von FSW im Rachenraum ist bisher ungenügend untersucht und dürfte entscheidend von der Häufigkeit von FO sowie Cunnilingus bei Kolleginnen geprägt sein. Bei häufigem ungeschützten OV dürfte sie höher sein als Gonokokken, oder im Bereich der Gonokokken-Belastung liegen. Gonokokken finden sich im Rachen von FSW etwa 2- bis 3-mal so häufig wie im Genitalbereich, Chlamydien dagegen seltener als im Genitalbereich. Die Belastung mit Gonokokken im Rachen von FSW könnte dennoch erheblich unterschätzt sein, weil die Anzucht in Kultur bei Rachengonorrhoe wenig empfindlich ist (Sensitivität < 50 %) und daher viele Infektionen übersehen werden. Methode der Wahl ist der teurere Nukleinsäurenachweis (NAAT, Nukleinsäurenamplifikation). Für Mykoplasmen ist die Datenlage bei FSW sehr unzureichend, insgesamt scheinen sie aber im Mund-Rachenraum viel seltener aufzutreten als genital. Es kommt dann auch darauf an, nach welchen konkreten Arten dieser Bakteriengruppe man sucht. Nimmt man alle Arten zusammen, dürfte die Häufigkeit im Rachenraum ungefähr derjenigen von Chlamydien entsprechen. Ein Syphilis-Ansteckungsrisiko über den Mund-Rachen-Raum als Infektionsquelle (FO, Cunnilingus, Zungenküsse) dürfte angesichts der Seltenheit infektiöser Syphilis bei FSW in Deutschland (unter 1 %) sehr selten sein. Da Syphilis aber häufig auch durch Oralverkehr akquiriert wird, sind hoch infektiöse Primäraffekte durchaus im Mund denkbar (selbst Zungenküsse sind dann riskant), und nach Generalisierung der Infektion einige Wochen später -35- kommt selbst nach genitaler Infektion (als Ort des Erregereintritts) der Mund-Rachen-Raum als Infektionsquelle für Sexpartner infrage. Die Infektiosität von Hepatitis B über den Speichel hängt dagegen von der Viruslast im Speichel (und daher mittelbar auch der Viruslast im Blut) ab, die Häufigkeit von infektiöser Hepatitis B bei FSW insgesamt gesehen von Herkunftsland und Durchimpfungsrate. Daher erfolgt keine Festlegung der Häufigkeitsreihenfolge im Vergleich zu aktiver Syphilis, was die oralen Risiken anbelangt. HIV steht an letzter Stelle, erstens wegen der extremen Seltenheit von HIV bei FSW in Deutschland, West- und Mitteleuropa, zweitens weil effektive antivirale Therapie die Virusausschüttung in den Mund-Rachen-Raum in den allermeisten Fällen (aber nicht in jedem Fall) hoch effektiv unterdrückt, und drittens, weil selbst im Falle einer Virusausschüttung in den Speichel das HIV von Eigenschaften und Bestandteilen des Speichels meistens sofort inaktiviert wird, also seine Infektiosität verliert, und nur bei einem kleinen Teil der HIV-Infizierten, selbst in Abwesenheit von Therapie, infektionsfähiges HIV im Speichel nachweisbar ist, das dann allerdings auch tatsächlich zu Infektionen beim (Geschlechts-)Partner führen kann, wenn dieser empfängliche Eintrittspforten bietet. Vergleicht man das Übertragungsrisiko beim Oralverkehr zwischen Fellatio (Blasen) und Cunnilingus (Lecken), so zeichnet sich ab, dass für Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen das Risiko der Übertragung bei Fellatio höher zu sein scheint als bei Cunnilingus; für Mykoplasmen spielt Cunnilingus wahrscheinlich gar keine Rolle. Das Risiko für eine Chlamydieninfektion im Rachen scheint bei Fellatio mit Aufnahme oder Schlucken viel höher zu sein als bei Fellatio ohne Aufnahme; für Gonokokken gilt diese Differenzierung aber nicht. Ein erhöhtes Übertragungsrisiko für Fellatio im Vergleich zu Cunnilingus gilt ebenso für HIV im Falle von Fellatio mit Aufnahme (FA) bzw. Schlucken (FT) für den aufnehmenden Partner. Für HPV zeichnet sich dagegen ein deutlich höheres Risiko für den aktiv leckenden Partner beim Cunnilingus (im Vergleich zu Fellatio) ab. Männer sind dabei generell wesentlich anfälliger als Frauen, da Frauen durch genitale HPV-Kontakte eine gewisse Immunkompetenz erwerben, die Männern fehlt. Da HPV auch im Sperma vorkommt, dürften bei Fellatio FA und besonders FT graduell riskanter sein als Deep Throat oder „einfaches“ Blasen ohne Aufnahme. Auch ist zwischen der Übertragung konkreter STI-Keime und den Auswirkungen auf das lokale Mikrobiom zu unterscheiden. So scheint „Geleckt-Werden“ für die FSW als relativ wenig gefährlich, was die gängigen STD-Keime anbetrifft (z.B. im Vergleich mit Fellatio), aber häufiger Cunnilingus kann bei Frauen zu Störungen im genitalen/vaginalen Mikrobiom führen, also zu einer Störung des mikrobiologischen Gleichgewichts zwischen verschiedenen Keimen. Daraus resultiert dann ein erhöhtes Risiko für Pilzinfektionen oder für bakterielle Vaginosen. Letztere gehen dann wiederum mit einer erhöhten Anfälligkeit für „echte“ STI-Keime (auch HPV) einher. Man kann also nicht generell sagen, ob Blasen oder Lecken „gefährlicher“ sei; es bestehen erregerspezifische Präferenzen für den einen oder anderen Übertragungsweg. -36- Zwangsuntersuchungen von FSW? Manche gesellschaftlichen Kreise, aber auch gelegentlich Freier fordern die Wiedereinführung von Zwangs- (Pflicht-) Untersuchungen für FSW. Im Gegensatz zu Österreich wurde jedoch aus gutem Grund selbst im Rahmen des Prostituiertenschutzgesetzes auf die Etablierung von Zwangsuntersuchungen in Deutschland verzichtet. Wer Zwangsuntersuchungen fordert, übersieht, dass die infektionsepidemiologische Lage von FSW in Deutschland solche gravierenden Eingriffe in Persönlichkeitsrechte keinesfalls rechtfertigen könnte. Die typischerweise bei diesen Untersuchungen erfassten bakteriellen oder durch Einzeller (wie Geißeltierchen: Trichomonas) verursachten STDs sind mit Antibiotika zu heilen – wenn auch das möglicherweise inzwischen manchmal etwas langwieriger geworden ist aufgrund von Antibiotikaresistenzen (speziell Gonorrhoe). Potenziell lebensbedrohliche STDs wie krebserregendes HPV oder HIV werden bei diesen Untersuchungen entweder nicht (HPV) oder verspätet (wie HIV – nach der Phase der maximalen Infektiosität bei frischer Infektion) erfasst – ganz abgesehen davon, dass FSW in Deutschland keine Risikogruppe für HIV darstellen und ohnehin keine Zwangstests auf HIV zulässig sind. Und im Falle des Nachweises von krebserregendem HPV hätte dies ohnehin keine unmittelbaren Konsequenzen, da keine direkte Therapieoption besteht und die Infektion meist spontan wieder abheilt – also gar kein unmittelbarer Therapiebedarf erkennbar wäre. Betrachtet man die Risikolage und beschränkt sich auf die bei potenziellen Zwangsuntersuchungen erfassbaren Infektionen, so haben FSW – vor allem junge FSW als Berufsanfängerinnen – gegenüber gleichalten Geschlechtsgenossinnen der Allgemeinbevölkerung ein stark erhöhtes Risiko für Gonokokken und (auf einem absolut gesehen aber sehr niedrigen Niveau) Syphilis. Trichomonaden und Chlamydien sind tendenziell bei FSW nur leicht bis moderat erhöht, für Mykoplasmen liegen keine belastbaren Vergleichsdaten vor, ihr Nachweis ist aufwendig und die pathogenetische Bedeutung mancher Genotypen/Arten aus dieser Gruppe unklar. HIV wird in der Phase der höchsten Infektiosität durch routinemäßige Screenings noch nicht erfasst, sondern erst „verspätet“. Und auch in der weiblichen Allgemeinbevölkerung ist das STD-Risiko in der Altersgruppe zwischen 18 und 25 Jahren (also in dem Alter, in dem die meisten FSW in ihre Arbeit einsteigen) am höchsten. Niemand käme auf die Idee, deshalb für diese Altersgruppe Zwangstests einzuführen. Die Krankenkassen bieten für diese Frauen lediglich ein freiwilliges ChlamydienScreening an. Gründe sind höhere Partnerzahl/Partnerwechsel, Erstkontakt mit STD-Erregern, Unreife des lokalen (mukosalen) Immunsystems des Genitaltrakts, das erst durch Kontakt mit Erregern oder Fremd-Antigenen (z.B. des Partners) aktiviert wird, und die Häufigkeit und Ausdehnung cervikaler Ektopien in dieser Altersgruppe, die mit besonderer Infektionsanfälligkeit einhergehen. Zwangsuntersuchungen, für die es zur Zeit in Deutschland keine infektionsepidemiologische Rechtfertigung gibt, würden FSW erneut diskriminieren und kriminalisieren. Wer sich aus welchen Gründen auch immer nicht untersuchen lassen will, müsste „verdeckt“, „im -37- Untergrund“ arbeiten und bedürfte daher Dritter, die ihnen Kunden zuführen (und dann auch kassieren). Dies würde dem Zuhälterwesen und Zwangsprostitution neuen Auftrieb geben. Auch der niedrigschwellige Einstieg in die Sexarbeit würde erschwert. Bis zum Inkrafttreten des ProstSchG konnte eine Frau, die sich unsicher ist, ob das für sie überhaupt infrage kommt, einfach mal in einen Club einchecken, bezahlte ihren Eintritt, und konnte schon vor oder nach dem ersten Kunden wieder gehen, falls sie merkte, „dass das nichts für sie ist“. Sie hatte dann nur das Eintrittsgeld für einen Tag verloren. Erst mit dem ProstSchG wurde ihr diese Option des „unverbindlichen Ausprobierens“ – und sei es aus Neugier, Interesse oder Spaß – genommen. Zwangsuntersuchungen könnten auch ungeschütztem Sex Vorschub leisten, da sich manche Freier dann in vermeintlicher Sicherheit wiegen würden, auch wenn diese real nicht besteht (z.B. aufgrund von frischen Infektionen oder Erregern, die bei diesen Untersuchungen gar nicht erfasst würden). Damit würden Infektionsrisiken letztendlich steigen, denn die Wirksamkeit der gesetzlichen Kondompflicht auf manche Freier ist unsicher. Dies ändert nichts daran, dass regelmäßige infektionsmedizinische Untersuchungen für FSW äußerst wertvoll und sinnvoll sind – auch im Interesse der FSW selbst, da viele bakterielle STDs vor allem bei Frauen unbemerkt verlaufen und dann ohne Behandlung zu chronifizieren drohen, mit schweren Folgen bis hin zu Schwangerschaftskomplikationen, Unfruchtbarkeit, chronischen Beckenentzündungen und –schmerzen sowie Förderung mancher urogenitaler Krebserkrankungen. Durch Antibiotika könnten sie dagegen binnen weniger Tage zur Ausheilung gebracht werden. Die Untersuchungen selbst sind also sinnvoll und wünschenswert, nur der Zwangscharakter und die damit verbundene Diskriminierung und Kriminalisierung sind hochgradig kontraproduktiv. Daraus ergibt sich eine ganz einfache Botschaft: Zwangsuntersuchungen sind als kontraproduktiv, der Sexarbeit und den FSW insgesamt schädlich abzulehnen, freiwillige Untersuchungen sind zu befürworten, zu fördern und zu bewerben. -38- Empfehlungen für Freier 1. Allgemeine Aspekte 1.1 Impfungen ● Hepatitis-B-Impfung erwägen (falls noch nicht geimpft) (Falls bereits früher geimpft: Titer kontrollieren lassen: ist der Antikörper-Titer noch ausreichend? Bei Bedarf eine Auffrischungsspritze) Begründung: FSW haben ein erhöhtes Risiko, sich mit Hepatitis B zu infizieren. In einer neueren Untersuchung einer deutschen STD-Beratungsstelle wiesen 2,2 % der FSW (schwerpunktmäßig aus Osteuropa stammend) eine potenziell infektiöse Hepatitis B auf, in einer niederländischen Studie aus 2006-2013 waren es 1,0 % (Herkunft aus Osteuropa: 2,2 %, Asien: 2,3 %, SubsaharaAfrika: 5,4 %). Kondome bieten keinen völlig sicheren Schutz; auch beim ungeschützten Oralverkehr und sogar bei Zungenküssen ist unter Umständen eine Infektion möglich, auch abhängig von der Viruslast der infizierten Kontaktperson, die von ihrer Infektion vielleicht gar nichts weiß. Viele FSW stammen aus Ländern, in denen Hepatitis B weiter verbreitet ist als in Deutschland. Sie können chronisch infiziert sein, ggf. schon seit Geburt oder Kindheit, ohne dies zu wissen. Auch wenn die Impfung seit den 80er Jahren verfügbar ist, ist keinesfalls wie selbstverständlich davon auszugehen, dass alle FSW (komplett) geimpft sind und ausreichende Antikörpertiter haben. Eine akute Hepatitis B ist hoch infektiös und kann zu wochenlanger Arbeitsunfähigkeit führen, chronische Verläufe bleiben dagegen meist unbemerkt und können nach vielen Jahren Leberzirrhose und/oder Leberkrebs zur Folge haben. Sofern noch keine Infektion vorliegt, bietet die Impfung einen hervorragenden Schutz. Die offiziellen Impfempfehlungen der STIKO (Ständige Impfkommission beim Robert-KochInstitut) empfehlen die Impfung (jenseits der Routineimpfung im Kindes- und Jugendalter) unter anderem für „Personen mit einem … Sexualverhalten mit hohem Infektionsrisiko“. Dies wäre neben FSW vor allem auch für Freier zu bejahen, die sich häufig und nicht immer völlig geschützt im Paysex bewegen, beispielsweise ungeschützten Oralsex oder Zungenküsse praktizieren. Hepatitis B ist viel infektiöser als z.B. HIV und kann selbst durch enge (nichtsexuelle) Haushaltskontakte übertragen werden. Auch Speichel kann infektiös sein (wenn die -39- Viruslast im Blut hoch ist). Darum empfiehlt die STIKO sogar die Impfung von Personen, die mit Hepatitis-B-Trägern in einer Familie oder Wohngemeinschaft zusammen leben. ● HPV-Impfung ? Für bestimmte Gruppen von Freiern könnte die HPV-Impfung nützlich sein; sie sollten sich dazu eingehend beraten lassen. Dazu gehören vor allem: ● Freier, die – entgegen den offiziellen Empfehlungen – ungeschützt häufig bei FSWs lecken (Cunnilingus) (nach dem Wortlaut des Prostituiertenschutzgesetzes dürfte das nicht verboten sein!) ● bisexuelle Freier (vor allem auch wegen ihrer Risiken bei homosexuellen Kontakten) sowie ● Freier, die sehr häufig die Dienste von FSW in Anspruch nehmen und/oder auch an analen Spielen (z.B. mit Fingern oder Dildos) interessiert sind. Es ist davon auszugehen, dass in Europa ca. 15 % aller FSW genital mit den krebserregenden HPV-Typen 16 und/oder 18 infiziert sind, mehr als 10 % mit HPV 16. Das muss für die betroffenen FSWs nicht bedrohlich sein – bei jungen Frauen heilen die meisten dieser Infektionen nach meist < 6, maximal aber bis 24 Monaten wieder aus (eventuell wird aber ein Teil der Infektionen auch latent; jedenfalls ist das Virus nach diesem Zeitraum nicht mehr nachweisbar; es findet also keine Virusausschüttung mehr statt, sie sind nicht mehr infektiös). Bei jüngeren FSW (< 25 Jahre) dürfte das Risiko einer aktiven HPV-Infektion höher sein als bei älteren. Welche Risiken ergeben sich daraus für Kunden? a) am Penis Kunden können sich beim GV/AV trotz Kondom am Penis anstecken (das Kondom wirkt nur risikoreduzierend, bietet aber keinen vollständigen Schutz, da untere Abschnitte des Penisschaftes nicht geschützt sind). HPV kann auch durch Schmierinfektionen übertragen werden. Beim ungeschützten GV/AV ist das Risiko aber viel größer, weil dann die gesamte Penisoberfläche einschließlich der empfindlichen Schleimhautareale (Eichel, Vorhautinnenseite, auch Harnröhrenausgang) exponiert sind. Die riskanten, genital relevanten HPV-Typen benötigen Eintrittspforten. Diese finden sie eher an der leicht verletzlichen Schleimhaut zum Beispiel der Vorhautinnenseite, als an der intakten Haut des Penisschafts. Aber sogar an der Haut des Hodensacks können sich Genitalwarzen bilden – d.h. auch diese Haut ist für genital relevante HPV-Viren durchaus empfänglich. Als Eintrittspforten reichen nämlich bereits unsichtbare Mikrorisse und Mikroabrasionen im Epithel, durch die die Viren Kontakt zu den basalen Zellschichten der Haut oder Schleimhaut aufnehmen können. Bei dünner Schleimhaut reicht das Abschilfern einiger oberflächlicher Zellschichten (Mikroabrasion) aus, um eine Angriffsmöglichkeit für HPV zu schaffen. Sichtbare -40- oder gar blutende Wunden sind also keinesfalls erforderlich, damit sich eine HPV-Infektion erfolgreich etablieren kann. Auch beim Blasen (wohl in noch größerem Umfang beim Deep Throat) ist eine Übertragung von HPV vom Mund/Rachen der FSW auf den Penis möglich, wenn auch das Risiko im Vergleich zum GV als niedriger eingeschätzt werden muss, weil FSW Risiko-HPV eher auf ihren Genitalschleimhäuten als im Mund/Rachen haben. Die Infektion der Penishaut oder -schleimhaut heilt aber in der Regel in wenigen Monaten folgenlos ab; HPV-bedingte Peniskrebse sind sehr selten, kommen aber vor (man geht davon aus, dass in Deutschland etwa 300 Peniskrebse pro Jahre HPV-bedingt sind, das sind etwa die Hälfte aller Peniskrebse). Eine neue internationale Meta-Analyse kam nur auf einen Anteil von etwa einem Drittel der Peniskrebse – das wären dann rund 200 Fälle in Deutschland. Von einer HPV-Kontamination bzw. -Infektion des Penis geht für den Mann selbst also nur ein sehr geringes Risiko aus, wenn man nur auf das Krebsrisiko abstellt. Viel größer ist dagegen das Risiko für Genitalwarzen (= Anogenitalwarzen, Feigwarzen), die ganz überwiegend durch die HPV-Typen 6 und 11 hervorgerufen werden. Besonders unangenehm und schwierig zu behandeln sind Genitalwarzen am Harnröhrenausgang oder in der Harnröhre selbst. Statistiken über die Häufigkeit von Genitalwarzen bei Freiern gibt es selbstverständlich nicht, aber eine FSW berichtete einmal in einem Forum, bei durchschnittlich jedem 7. Kunden solche im Genitalbereich gesehen zu haben. Allerdings können auch andere Hautveränderungen Genitalwarzen vortäuschen, so dass diese Aussage zurückhaltend zu bewerten ist. Sieht man einmal von den (nicht lebensgefährlichen, aber unangenehmen) Genitalwarzen ab, die auch nach Behandlung häufig zu Rezidiven neigen, ist das Risiko durch HPV ausgelöster schwerer Erkrankungen am Penis für die Männer also eher gering. Die am Penis infizierten Männer können die Infektion aber in den Monaten bis zur spontanen Ausheilung auf ihre Sexpartnerinnen weiter übertragen. Es gibt einige Studien aus verschiedenen Regionen der Welt, die allesamt zeigten, dass (Ehe-)Partnerinnen von Männern, die die Dienste von FSW in Anspruch nahmen, ein (zum Teil mehrfach) erhöhtes Risiko für Dysplasien am Gebärmutterhals oder gar für Gebärmutterhalskrebs haben. Die Vermeidung von HPV-Infektionen am Penis dient also (neben dem Schutz vor Genitalwarzen und Schutz vor dem sehr seltenen HPV-bedingten Peniskrebs) vor allem dem Schutz Dritter (anderer Sexpartnerinnen). Auf den Punkt gebracht: sie trägt zur Vermeidung invasiver Eingriffe am Gebärmutterhals (z.B. Konisation) und zur Krebsprävention der Sexpartnerinnen des Freiers bei – also auch seiner privaten Partnerin. Dies ist auch der Grund, weshalb Freier – falls sie sich aus diesem Grund (!)* gegen HPV impfen lassen – den neuen Impfstoff Gardasil 9 bevorzugen sollten. Er ist teurer als Cervarix, bietet aber – neben dem Schutz vor Genitalwarzen, sodern dieser nicht schon zu spät kommt – auch Schutz vor fünf weiteren krebserregenden HPV-Typen, die weniger für den Freier selbst, aber für seine privaten Partnerinnen gefährlich werden könnten, darunter der vor allem in -41- Ostasien/Südostasien dominierende Typ HPV 52. (Der Vertrieb des Vierfach-Impfstoffs Gardasil wird ohnehin bald eingestellt). * Bei einer Impfung aus Gründen des Eigenschutzes des Freiers vor HPV 16 im Rachenraum bei häufigem ungeschützten Lecken bei FSW sollte dagegen eher Cervarix bevorzugt werden, weil dessen Wirksamkeit gegen HPV 16/18-Infektionen im Mund-Rachen-Raum bei Impfung im Erwachsenenalter – im Gegensatz zu Gardasil – bereits in Studien gezeigt wurde). Daneben verdichten sich in neuerer Zeit auch Hinweise auf Risiko-HPV (wie HPV 16 und 18) als Auslöser für einen kleineren Anteil der Prostata- und Harnblasenkrebse (beim Prostatakrebs tendenziell eher der aggressiveren Formen), auch wenn für beide Krebsarten HPV mit Gewissheit nicht die dominierende Ursache darstellt. b) anal Infektionen mit krebserregenden HPV-Typen, besonders HPV 16, sind die mit Abstand wichtigste Ursache für Analkrebs. Da HPV 16 nicht nur durch Analverkehr auf die Analschleimhaut übertragen werden kann, sondern alle Formen von Schmierinfektionen infrage kommen, gibt es verschiedene Übertragungsmöglichkeiten – von mit HPV kontaminiertem Sexspielzeug für anale Dildospiele bis hin zur Übertragung mit Fingern bei analen Fingerspielen. Diese Praktiken sind auch bei der heterosexuellen Sexarbeit beliebt. Analkrebs ist aber vor allem ein Risiko für HIV-positive MSM. Theoretische Überlegungen sprechen aber dafür, dass auch heterosexuelle Freier einem erhöhten Risiko für Analkrebs unterliegen dürften, vor allem, wenn sie anale Spiele (Fingern, Dildos) in Anspruch nehmen. Sehr problematisch ist dabei die Dildo-Hygiene, sofern keine eigenen Dildos benutzt werden, die ausschließlich beim Freier selbst zum Einsatz kommen. Gängige Desinfektionsmittel sind gegenüber dem sehr resistenten HPV-Virus unwirksam, selbst wenn sie als „viruzid“ deklariert sind, und auf Oberflächen bleibt HPV noch tagelang infektiös. Neben krebserregendem HPV können auf diese Weise auch genitalwarzenauslösende HPVTypen übertragen werden, weshalb man auch korrekt von „anogenitalen“ Warzen (statt „Genitalwarzen“) spricht. Die Wirksamkeit der HPV-Impfung gegen anale Krebsvorstadien wurde – auch bei Impfung erwachsener Männer – mit dem Impfstoff Gardasil in Studien gezeigt. Da Cervarix zu durchschnittlich höheren Antikörpertitern führt als Gardasil, folgert man daraus, dass Cervarix mindestens ebenso gut (wenn nicht sogar besser) vor analen HPV-Risikoinfektionen und Krebsvorstadien schützt (darauf beruht die Zulassungserweiterung von Cervarix auf Männer in 2016). -41a- c) oral (vor allem Rachen, sehr selten Mundschleimhaut) Durch Oralsex kann HPV (auch HPV 16) von den Genital(schleim)häuten in den Mund gelangen. Hier setzt sich HPV vor allem im Rachenbereich fest. Die Infektionen werden meist binnen einiger Monate (wie am Penis auch) spontan überwunden und heilen dann aus; in manchen Fällen persistiert die Infektion aber. Möglicherweise können auch Infektionen latent und dann später reaktiviert werden. Aus einer persistierenden Infektion kann sich über viele Jahre hinweg ein Krebs entwickeln, meist im Rachenraum (Mandelkrebs, Zungengrundkrebs), viel seltener an der Mundschleimhaut selbst. Fast immer ist HPV 16 dafür verantwortlich. Dieser HPV-Typ fungiert also im Mund-Rachen-Raum viel spezifischer als Krebserreger als im weiblichen Genitaltrakt, wo am Gebärmutterhals ein breites Spektrum von HPV-Typen (wenn auch ebenfalls unter Dominanz von HPV 16) als Krebserreger infrage kommt. Wichtig ist dabei, dass HPV 16 einen eigenständigen Risikofaktor für Krebs im Rachenraum darstellt, unabhängig von Rauchen und Alkohol, d.h. auch Nicht-Raucher und Nicht-Trinker können erkranken. In den USA, wo die Belastung mit HPV 16 im Mund-Rachen-Raum bisher am intensivsten untersucht wurde, geht man davon aus, dass ca. 1 % der erwachsenen Bevölkerung in Mund/ Rachen mit HPV 16 infiziert sind. Männer (1,6 - 2 %) sind häufiger betroffen als Frauen (0,3 %; NHANES-Studie). Diese Zahlen setzen sich dann zusammen aus vorübergehenden (transienten) und persistierenden Infektionen. Nur letztere sind potenziell „gefährlich“. Als dominierender Infektionsweg in den Mund und Rachen kommt nur Oralsex infrage. Ob Zungenküsse eine Rolle spielen, ist nicht abschließend geklärt, die Datenlage ist widersprüchlich. Falls ja, wäre ihr Risiko aber dennoch viel geringer als das von Oralsex. Die asymmetrische Geschlechtsverteilung deutet (neben anderen Hinweisen) darauf, dass Cunnilingus relativ noch gefährlicher ist als Fellatio. Beide Infektionswege sind effektiv, Cunnilingus aber wohl erheblich effektiver, weil auf weiblichen Genitalschleimhäuten mehr infektionsfähiges Virus ausgeschüttet wird – besonders bei Raucherinnen. Da FSW (vor allem junge FSW) besonders stark mit krebserregendem HPV (auch HPV 16) genital belastet sind, müssen Kunden, die bei FSW genital lecken, davon ausgehen, dass sie ein Risiko eingehen, mit einer Wahrscheinlichkeit von über 10 % oder (vor allem bei jüngeren FSW) auch mehr mit HPV 16 im Mund kontaminiert zu werden. Kontamination bedeutet nicht gleich Infektion. Die Viren benötigen nach einer Kontamination geeignete Eintrittspforten, damit sie eine vorübergehende oder dauerhafte Infektion der Schleimhaut auslösen können. Mit anderen Worten: nicht jede Kontamination bedeutet Infektion. (Ein extremes Beispiel hierfür ist HIV: das Risiko, dass es nach einer Kontamination mit HIV-haltigem Sperma im Mund zu einer Infektion kommt, liegt weit unter 0,1 %. Nur ein winziger Bruchteil aller HIVKontaminationen führt also auch zur Infektion. Allerdings ist das Infektionsrisiko nach Kontamination im Falle von HPV, aber auch vielen anderen STDs, weitaus höher als bei HIV. Das niedrige Infektionsrisiko von HIV ist eher die Ausnahme als die Regel, wenn man STD-Erreger vergleicht). Und wenn es zu einer HPV-Infektion kommt, heilt diese (im Gegensatz zu HIV) meist auch wieder aus. Die Persistenz von HPV 16 im Rachenraum ist daher eher der Ausnahmefall, aber nicht steuerbar (es gibt Hinweise, dass bei Rauchern das Infektions- und Persistenzrisiko größer ist, erstens weil mehr Eintrittspforten bestehen und zweitens weil die lokale Immunabwehr -42- geschwächt ist. Außerdem produzieren Raucher mehr Virus und schütten mehr Virus aus). Auch genetische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen. Daneben entwickeln sexuell aktive Frauen im Laufe der Zeit bzw. mit steigender Anzahl vaginaler Geschlechtspartner eine gewisse Immunkompetenz gegen orale HPV-Infektionen (die offenbar nicht oder nicht ausschließlich an Antikörper gebunden ist, sondern über die zelluläre Immunität vermittelt wird), die Männern fehlt. Dies ist – neben dem höheren Übertragungsrisiko bei Cunnilingus im Vergleich zu Fellatio – ein weiterer Grund, weshalb Männer relativ gesehen viel häufiger HPV 16 im Mund-Rachen-Raum haben als Frauen (ca. 2 % zu 0,3 %) und auch viel häufiger an HPV-bedingten Rachenkrebsen erkranken. Dank der sich im Laufe des Sexlebens bzw. mit steigender Partnerzahl entwickelnden moderaten Immunkompetenz sinkt das Risiko der Frauen, sich im Falle einer Kontamination mit HPV im Mund-Rachen-Raum auch tatsächlich zu infizieren, und wenn es doch zu einer Infektion im Mund-Rachen-Raum kommt, heilt diese durchschnittlich schneller ab als Männern. Dies gilt in besonderem Maße für das besonders kritische HPV 16. Auf jeden Fall setzt ungeschütztes Lecken an nicht HPV-geimpften (!) FSW die Freier unter ein Risiko, sich im Rachenraum mit dem gefährlichen HPV-Typ HPV 16 anzustecken. Da Kondome nur einen moderaten, keinesfalls vollständigen Schutz vor einer HPV-Übertragung beim GV auf weibliche Genitalschleimhäute bieten, stehen auch safer arbeitende FSW unter einem erhöhten Risiko für genitale HPV-Infektionen (wenn auch in geringerem Umfang als unsafe arbeitende Kolleginnen). Auch die Kondompflicht des Prostituiertenschutzgesetzes in Deutschland kann das HPV-Risiko für FSW daher nicht grundlegend beseitigen. Daneben kann sich der Kunde beim Lecken natürlich auch genitalwarzenauslösende HPV-Typen einfangen; Genitalwarzen können auch an den Lippen und im Mund vorkommen. -43- Schutzeffekt der HPV-Impfung Für Männer ist der Vierfach-Impfstoff (Gardasil) und seit 2016 auch der Neunfach-Impfstoff (Gardasil 9) zugelassen; beide schützen auch vor Genitalwarzen auslösenden HPV-Typen. In wieweit die Impfung dem Jugendalter entwachsener heterosexueller Männer noch einen guten Schutz für Genitalwarzen erwarten lässt, ist allerdings unklar. Seit August 2016 ist auch der Zweifach-Impfstoff (Cervarix) für Jungen und Männer ab 9 Jahre zugelassen. Er bietet keinen Schutz vor Genitalwarzen, erzeugt aber höhere Antikörpertiter als Gardasil. Die HPV-Impfung von erwachsenen Männern ist daher seit August 2016 mit jedem der drei verfügbaren Impfstoffe (von denen der Vierfach-Impfstoff aber bald vom Markt genommen wird) arzneimittelrechtlich zulässig, wird in Deutschland aber nicht offiziell empfohlen (keine STIKO-Empfehlung des Robert-Koch-Instituts; Ausnahme: Impfkommission Sachsen für Männer bis zum Alter von 26 Jahren) und daher auch von Krankenkassen nicht bezahlt. Mit selbst zu tragenden Kosten von ca. 500 bis 600 Euro für die insgesamt drei Spritzen (zusammen gerechnet) ist daher (einschl. Arzthonorar) zu rechnen. Wie bei Frauen ist von einer reduzierten Impfeffizienz auszugehen, wenn die Impfung nach Aufnahme sexueller Aktivität erfolgt. Studien zum Schutzeffekt der HPV-Impfung erwachsener Männer betrafen überwiegend schwule Männer, wobei es schwerpunktmäßig um den Schutz vor analen intraepithelialen Neoplasien ging (Vorstufen für Analkrebs, die aber auch noch spontan abheilen können, und ein Äquivalent zu den höhergradigen Dysplasien am Gebärmutterhals bei Frauen darstellen, aber noch enger mit dem impfpräventiblen HPV 16 assoziiert sind als die Cervixdysplasien bei Frauen). Hier zeigte die Impfung vergleichbare Effekte wie bei Frauen im Gebärmutterhalsbereich: die Impfung Erwachsener ist nur noch als Risikoreduktion, nicht mehr als „Vollschutz“ oder „Beinahe-Vollschutz“ zu verstehen; der Impfschutz hängt stark davon ab, dass zum Impfzeitpunkt keine Infektion mit den impfpräventiblen HPV-Typen vorliegt. Neuere Daten deuten aber auf mindestens eine Halbierung des Risikos HPV-bedingter genitaler(peniler)/analer/perianaler HPV-bedingter Veränderungen bei Impfung erwachsener Männer mit einem Durchschnittsalter von ca. 40 Jahren (zum Zeitpunkt der Impfung), wenn der HPV-Status zum Impfzeitpunkt unberücksichtigt bleibt bzw. unbekannt ist. Interessanter ist da für die heterosexuellen Freier schon der Schutzeffekt vor HPV-16Infektionen im Mund-Rachen-Raum, die sich Kunden beim ungeschützten Lecken zuziehen können (angesichts von über 10 % HPV-16-Nachweis bei FSWs in Europa) und die, wenn sie nicht spontan ausheilen, nach vielen Jahren (auch bei Nichtrauchern!) zu Krebs im Rachenraum (vor allem Mandeln, Zungengrund) führen können. Entsprechende Untersuchungen zu erwachsenen Männern liegen zwar noch nicht vor, aber von Frauen weiß man, dass die Impfung mit Cervarix auch dann noch hoch effektiv gegen HPV-16-/18-Infektionen im MundRachen-Raum schützt (über 90 % Schutzeffekt), wenn sie im frühen Erwachsenenalter (also nach Aufnahme sexueller Aktivität) verabreicht wird (Costa Rica Vaccine Trial mit „Cervarix“). Der orale Schutz durch die Impfung schien in dieser Studie auch nicht davon abzuhängen, ob die Frauen genital (cervikal) noch HPV 16/18-naiv waren, ob sie schon mal infiziert waren, aber -44- die Infektion überwunden hatte (also Virus-DNA-negativ, aber antikörper-positiv), oder ob sie zum Impfzeitpunkt genital gerade mit impfpräventiblen HPV-Typen infiziert waren (Virus-DNApositiv). D.h. die Einflussfaktoren, von denen der Nutzen der Impfung im genitalen Bereich stark abhängig ist und die diesen Nutzen ggf. stark reduzieren, scheinen oral nicht zu greifen. Mit anderen Worten: der orale Schutzeffekt der HPV-Impfung scheint unabhängig vom genitalen HPV-Status zum Zeitpunkt der Impfung zu sein. Auch wenn noch keine Studien zum unmittelbaren Schutzeffekt der Impfung vor HPV-16Infektionen im Mund-Rachen-Raum bei Männern vorliegen, konnten bei 96 % von knapp 150 Männern, die im Alter von 27 bis 45 Jahren mit Gardasil geimpft worden waren, sieben Monate nach der ersten Impfdosis Antikörper gegen HPV-16 in der Mundflüssigkeit nachgewiesen werden, wobei die Menge (Konzentration) dieser Antikörper eng mit dem Antikörpertiter im Blutserum korrelierte (allerdings durch Verdünnungseffekte viel niedriger war als im Serum). Auch wenn direkte Beweise durch Studien noch fehlen, lässt die Gesamtschau der Indizien vermuten, dass auch Freier, die gern bei FSWs ungeschützt lecken, noch von der Impfung profitieren dürften. Kritisches Fazit Der Gelegenheits-Freier, der bei FSW nicht ungeschützt leckt, wird von der „verspäteten“ Impfung wenig profitieren können. Die Übertragung von HPV von einer möglicherweise infizierten FSW auf nachfolgende Sexpartnerinnen (z.B. die private Partnerin) kann wahrscheinlich besser durch eine „HPV-Prophylaxe“ durch gründliches Abwaschen des Penis mit fließendem Wasser und Seife, vorsichtigem (!) Trockentupfen oder Luft-Trocknen des Penis und anschließendem Benetzen der nicht vom Kondom geschützten Penisareale mit CarrageenLösung reduziert werden als durch eine verspätete und daher in ihrer Wirksamkeit fragliche Impfung, zumal die Impfung nicht vor äußerlicher Kontamination, sondern vor persistierender Infektion (und deren möglichen Spätfolgen) schützt. Wenn ein Freier also geimpft ist, heißt das nicht, dass er davor geschützt ist, im Rahmen von Schmierinfektionen eine frische HPVKontamination am Penis auf eine andere Frau (z.B. seine private Partnerin) zeitnah zu übertragen. Einer der Erfolgsindikatoren für die Impfung in den Zulassungsstudien war die Vermeidung persistierender Infektion, nicht die Verhinderung von (vorübergehenden) Kontaminationen. Und selbst wenn der Gelegenheitsfreier sehr selten einmal ungeschützt leckt (wovon abzuraten ist), kann er in diesen seltenen Fällen auf das weiter unten beschriebene Carrageen-Verfahren zurückgreifen - als experimentelles Verfahren im Sinne einer „Periexpositionsprophylaxe“ zum Schutz des Mund-Rachen-Raumes vor HPV (und auch anderen Viren). Mundspüllösungen, aber auch Alkoholspülungen dürften dagegen gegenüber HPV wirkungslos sein, HPV ist sehr desinfektionsmittel-resistent. -45- Interessanter ist die Impfung für Freier, die häufig ungeschützt bei FSW lecken (das CarrageenVerfahren ist für die häufige Anwendung zu lästig, störend und umständlich), um ihr Infektionsrisiko im Rachenraum angesichts von über 10 % HPV-16-Belastung bei FSW zu senken. Auch bisexuelle Freier oder heterosexuelle Freier, die gern „anale Spiele“ bei sich vollziehen lassen, könnten profitieren, da die rechtzeitige Impfung vor HPV-bedingten Gewebsveränderungen im Analbereich schützt, aus denen sich Analkrebs entwickeln kann. Allerdings gilt insoweit wieder (wie bei Frauen) eine verminderte Wirksamkeit der Impfung, wenn diese nach Aufnahme sexueller Aktivität erfolgt, vor allem wenn zum Impfzeitpunkt bereits eine anale Infektion mit einem impfpräventiblen HPV-Typ vorliegt. Werden Analkrebs und dessen Vorstufen üblicherweise mit Analverkehr in Verbindung gebracht, ist inzwischen klar, dass bei heterosexuellen Männern und Frauen, die keinen Analverkehr betreiben, das Risiko für solche Gewebsveränderungen und Analkrebs mit der Anzahl der Sexpartner steigt. Während dies bei Frauen noch mit der Nähe des Genitaltrakts zur Analregion und dadurch bedingte Virusübertragungen durch Schmierinfektionen erklärbar ist, ist ein solcher Zusammenhang beim Mann unplausibel. Daher müssen hier andere Gründe als GV dafür verantwortlich gemacht werden, dass mit steigender Partnerzahl (und damit steigender sexueller Aktivität) das Risiko für Analkrebs zunimmt, z.B. Keimverschleppung/Schmierinfektionen durch anale Fingerspiele, Sexspielzeug, vielleicht auch Zungenanal. Dies spricht dafür, dass auch manche hoch aktiven rein heterosexuellen Freier mit häufigen Kontakten mit FSW noch von einer Impfung im Sinne von Risikoreduktion auch im Analbereich profitieren könnten (bei Gardasil auch in Hinblick auf Anogenitalwarzen). Da die sexuelle Vorerfahrung bei dem Schutz der Impfung vor oralen Infektionen offenbar keine so große Rolle spielt (vgl. Costa Rica Vaccine Trial), könnten wohl wahrscheinlich jene Freier am meisten von einer Impfung profitieren, die häufig bei FSW ungeschützt lecken. Kunden sollten nämlich nicht davon ausgehen, dass FSW HPV-geimpft sind. Bei sehr jungen FSW aus Deutschland oder Westeuropa ist dies in höchstens einem Drittel bis der Hälfte aller Fälle zu vermuten, bei FSW aus Osteuropa dürfte das eher die Ausnahme sein. Sollte eine FSW HPV-geimpft sein, dürfte das HPV-Risiko beim ungeschützten Lecken für die Männer sehr gering sein. Höchstwahrscheinlich ist sie dann nicht mit HPV 16 infiziert. Sollte sie dennoch mit HPV 16 infiziert sein (was dann denkbar wäre, wenn die Impfung zu einem Zeitpunkt erfolgte, als diese Infektion schon vorlag), ist aber eine stark verminderte Infektiosität anzunehmen, da ausgeschüttete Viren dann durch neutralisierende Antikörper in den Genitalflüssigkeiten unschädlich gemacht werden dürften. Das Lecken bei einer geimpften FSW dürfte daher selbst dann mit einem viel geringeren HPV-16-Infektionsrisiko für den Kunden einhergehen (sofern dann überhaupt noch ein solches Risiko besteht), wenn sie „zu spät“ (d.h. nach genitaler Infektion) geimpft wurde. -46- Gardasil 9 oder Cervarix ? Die Datenlage reicht zur Zeit nicht aus, um eindeutige Empfehlungen für erwachsene heterosexuelle Männer abgeben zu können, welcher Impfstoff ihnen einen größeren Nutzen bietet. Die Studien zum Nutzen der Impfungen bei Männern erfolgten überwiegend mit schwulen Männern und fokussierten auf Vorstadien von Analkrebs (anale intraepitheliale Neoplasien) unter Verwendung von Gardasil. Für heterosexuelle Männer, die Sexarbeit in Anspruch nehmen, ist die HPV-Impfung aber vor allem dann interessant, wenn sie gern bei FSW ungeschützt lecken. Wie beim Analkrebs interessiert beim Schutz vor HPV-bedingtem Rachenkrebs aber überwiegend HPV 16; andere HPV-Typen spielen anal eine geringe und im Rachen fast gar keine Rolle als Krebsauslöser. Sieht man einmal von dem Schutz vor genitalwarzenauslösenden HPV-Typen 6 und 11 ab, bietet das breite Schutzspektrum von Gardasil 9 für die Männer selbst kaum einen Zusatznutzen, zumal auch Cervarix gewisse kreuzprotektive Effekte entfaltet. Gardasil 9 orientiert sich (abgesehen von Genitalwarzen) an den HPV-Typen, die beim Gebärmutterhalskrebs eine mehr oder weniger große Rolle spielen. Für Männer, egal ob hetero-, bi- oder homosexuell, steht dagegen HPV 16 ganz im Vordergrund, gefolgt von HPV 18. Cervarix bietet, wie erwähnt, keinen Schutz vor Genitalwarzen. Allerdings führt es aufgrund eines zusätzlichen Begleitstoffes zu höheren Antikörpertitern. Ob diese höheren Titer vor allem bei der Impfung älterer Männer einen Zusatznutzen im Vergleich zu den mit Gardasil erreichbaren Titern bieten, ist nicht bekannt, weil man nicht weiß, welcher Mindesttiter erforderlich ist, um den maximal möglichen Schutzeffekt der Impfung auszuschöpfen (der ja von der HPV-Vorerfahrung und ganz besonders vom HPV-Status zum Zeitpunkt der Impfung abhängig ist). Die Titerhöhe dürfte vor allem bei der Dauer des Impfschutzes eine Rolle spielen. Ein Impfstoff, der höhere Antikörpertiter erzeugte, dürfte (auf viele Jahre gesehen) länger die individuell maximal mögliche Wirksamkeit entfalten. Zugunsten von Cervarix bei heterosexuellen Freiern spricht, dass seine sehr gute Wirksamkeit gegen HPV 16/18-Infektionen im Mund-Rachen-Raum (> 90 %) bei „verspäteter“ Impfung (im jungen Erwachsenenalter, 18 bis 26 Jahre) immerhin schon nachgewiesen wurde, jedenfalls bei Frauen (Costa Rica Vaccine Trial). Für Gardasil liegen keine vergleichbaren Daten vor. Es ist zwar plausibel, aber eben nicht ganz sicher, dass Gardasil (auch bei „verspäteter“ Impfung) ebenfalls gegen HPV-Infektionen im Rachenraum wirkt; aber immerhin sind die Antikörpertiter gegenüber HPV 16 nach Gardasil-Impfung niedriger als nach Cervarix. Umgekehrt liegen für Cervarix (im Gegensatz zu Gardasil) keine Studien zum Schutz vor Vorstadien von Analkrebs bei Männern vor. Da aber Gardasil entsprechende Effekte zeigt, und Cervarix sogar zu höheren Antikörpertitern führt, ist auch für Cervarix von einem Schutz vor analen HPV 16/18-Infektionen und daraus resultierenden Folgeerkrankungen auszugehen – in mindestens demselben Umfang wie im Falle von Gardasil. Somit bleibt bei der Wahl des Impfstoffs für heterosexuelle Freier zur Zeit eine Unsicherheit, die sich nicht auflösen lässt. Provisorisch könnte man folgende Überlegungen für heterosexuelle Männer mit PaysexAktivitäten anstellen: -47- Wer vor allem auf ungeschütztes Lecken wert legt und kein Interesse an analen Spielen oder Sexvarianten (Fingern, Dildos/Strapons, ggf. bisexuellen Praktiken) hat, könnte Cervarix den Vorzug geben. Bei diesen Freiern geht es vor allem um den Schutz vor HPV-16-Infektionen im Mund-Rachen-Raum, und dieser ist für Cervarix nachgewiesen (Costa Rica Vaccine Trial), für Gardasil nur zu vermuten. Auch die höheren Antikörpertiter sprechen zumindest theoretisch für Cervarix. Ein Schutz vor Genitalwarzen ist damit dann aber nicht verbunden. Diese können auch im Mund auftreten (z.B. nach ungeschütztem Lecken), sind aber dort recht selten, nicht gefährlich und leichter zugänglich und behandelbar als im Analbereich, der für die meisten heterosexuellen Männer zudem extrem schambesetzt sein dürfte, jedenfalls wenn es um Arztbesuche und nicht um FSW-Kontakte geht. Wer dagegen auch seinen eigenen Analbereich in die sexuellen Aktivitäten einbezieht/einbeziehen lässt, setzt sich dort dann auch einem höheren Risiko von Genitalwarzen aus (darum heißen diese auch „anogenitale Warzen“). Dies spricht dann eher für eine Impfung mit Gardasil 9, auch wenn der Schutz vor HPV 16/18-Infektionen im Rachenraum bei Gardasil 9 noch nicht so gut gesichert ist wie für Cervarix. Dabei ist zu bedenken, dass auch Gardasil 9 keinen sicheren Schutz vor Genitalwarzen bieten kann, denn es mag sein, dass man zum Zeitpunkt der Impfung schon mit den betreffenden HPV-Typen infiziert ist, ohne das zu merken. Da bei Analkrebs auch häufiger als bei Rachenkrebs (wenn auch seltener als beim Gebärmutterhalskrebs der Frauen) andere HPV-Typen als HPV 16/18 beteiligt sind, kann auch insofern das breitere Typspektrum von Gardasil 9 von Nutzen sein. Ein weiterer Aspekt ist aber auch der Schutz der privaten Partnerin – Kondome schützen bekanntlich nur bedingt vor HPV. Männer, die als Freier unterwegs sind, müssen damit rechnen, dass sie sich auch mit seltenen oder „exotischeren“ HPV-Typen anstecken können – zum Beispiel als Schmierinfektionen sogar beim kondomgeschützten GV oder AV. Sei es, weil sie FSW aufsuchen, die selbst aus Ost- oder Südostasien stammen, wo regional HPV 52 (statt HPV 16) den häufigsten krebserregenden HPV-Typ darstellt, sei es, weil sie mit einer europäischen FSW verkehrten, die Kundschaft aus Ost-/Südostasien hat oder viele deutsche Sextouristen, die auch in Asien verkehren. Freier könnten also ihre privaten Partnerinnen durch diese (in Europa) seltenen krebserregenden HPV-Typen gefährden, falls sie sich im Paysex daran infizieren. Auch wenn also heterosexuelle Freier persönlich wenig von dem breiteren Impfspektrum von Gardasil 9 (einmal abgesehen vom Schutz vor Genitalwarzen) im Vergleich zu Cervarix profitieren können, könnte eine Impfung der Freier mit Gardasil 9 deren Partnerinnen ein klein wenig mehr nutzen als die Impfung mit Cervarix. -48- Pro Cervarix: ● höhere Antikörpertiter gegen HPV 16 und 18; damit verbundener Zusatznutzen aber unklar (ggf. auf viele Jahre gesehen länger anhaltender Impfschutz) ● da die Antikörpertiter in der Mundflüssigkeit eng mit den Antikörpertitern im Serum korrelieren (laut einer Studie mit Gardasil bei mittelalten Männern), ist anzunehmen, dass die Cervarix-Impfung zu durchschnittlich höheren Antikörperkonzentrationen in der Mundflüssigkeit führt, was – angesichts der durch Verdünnungseffekte im Vergleich zum Serum viel geringeren Antikörperkonzentrationen auf der Mundschleimhaut bzw. in der Mundflüssigkeit – für das Ausmaß des Schutzeffektes im Mund-Rachen-Raum durchaus von Relevanz sein könnte ● die hohe Wirksamkeit gegen HPV 16/18-Infektionen im Mund-Rachen-Raum auch bei „verspäteter“ Impfung ist durch eine Studie mit jungen erwachsenen Frauen (Costa Rica Vaccine Trial) bereits gesichert (im Gegensatz zu Gardasil, wo entsprechende Daten fehlen) --bedeutsam vor allem bei ungeschütztem Lecken (Cunnilingus) von Freiern bei FSW Pro Gardasil 9: ● Schutzeffekt gegenüber Genitalwarzen (sofern noch nicht infiziert); Risiko bei Freiern am Penis (vor allem den basalen, nicht kondomgeschützten Anteilen), am Hodensack und ggf. anal; seltener (aber möglich) im Mundraum ● sexuelle Praktiken im Analbereich des Freiers sprechen eher zugunsten von Gardasil 9 ● wegen des verminderten Risikos für anale Anogenitalwarzen ● wegen des breiteren Typspektrums, das allerdings anal keine so große Rolle spielt, da Analkrebs stark von HPV 16/18 dominiert wird (besonders HPV 16) ● etwas höherer Schutzeffekt für die private(n) Partnerin(nen) vor allem cervikal/genital gegenüber „aus dem Paysex mitgebrachten HPV-Infektionen“ wegen des etwas breiteren und „internationaleren“ Wirkungsspektrums von Gardasil 9 (einschl. Genitalwarzen) Bei erwachsenen Männern sind immer drei Impfdosen erforderlich! Die dritte Impfdosis dient dabei aber vor allem der langfristigen Sicherung des Impferfolges. Spätestens 2 Wochen nach der zweiten Impfdosis kann die Mehrzahl der geimpften Männer davon ausgehen, im Serum so gute Antikörpertiter entwickelt zu haben, dass sie z.B. beim Cunnilingus bei FSW dann gut geschützt sind. Wie bereits in einer Studie mit Gardasil an mittelalten Männern gezeigt, korrelieren die Antikörpertiter in der Mundflüssigkeit eng mit jenen im Serum, wenn auch – durch Verdünnungseffekte – auf einem erheblich niedrigeren absoluten Niveau. -49- 1.2 Rauchen Rauchen erhöht das Risiko für viele Krankheiten, darunter mehrere Krebsarten (besonders Lungenkrebs, Mund-Rachen-Krebs, aber auch viele andere Krebse, z.B. der Niere, Harnblase, Harnwege), Lungen- und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Lebenslanges starkes Rauchen kostet bis zu 10 Jahre Lebenserwartung. Die gesundheitlichen Schäden durch Rauchen sind im Durchschnitt also weitaus höher als die Risiken durch STDs, die FSW oder Kunden unter den gesundheitlichen (infektionsepidemiologischen) Rahmenbedingungen in Deutschland zu erwarten haben. Rauchen ist so gesehen eigentlich der mit Abstand gefährlichste Aspekt der Sexarbeit in Deutschland, vor allem auch für FSW selbst, da Sexarbeit viele bisher nichtrauchende Frauen zum Rauchen animiert und den Zigarettenkonsum von ohnehin schon rauchenden Frauen weiter steigert und sie damit immer tiefer in die Nikotinsucht treibt. Auch elektrische Zigaretten sind nicht risikolos (Krebsrisiko durch eingeatmete Giftstoffe), aber wohl immerhin deutlich risikoärmer. Und die Luftqualität in manchen Clubs zwingt die Nichtraucher unter den FSW und Kunden zum Passivrauchen. Rauchen erhöht aber auch das Risiko für Harnwegsinfekte und STDs: es schwächt die lokale und allgemeine Immunabwehr und erhöht damit direkt das Risiko bzw. die Infektanfälligkeit für verschiedene bakterielle STDs (wie Chlamydien und Gonorrhoe), aber auch für HPV, sowohl genital, anal und im Mund-Rachen-Raum. Es verringert auch die Chance, dass eine HPVInfektion durch die eigene Abwehr überwunden werden kann (HPV-Clearance), und erhöht damit auch die Risiken für HPV-bedingten Krebs. Daher wird beispielsweise Frauen mit cervikalen Dysplasien empfohlen, das Rauchen einzustellen, um die Chancen auf eine spontane Abheilung der Dysplasie (zur Vermeidung einer Konisation) zu erhöhen. Analoges ist für die HPV-Risiken anzunehmen, denen Männer unterliegen. Bei HPV-Infizierten erhöht Rauchen die Virusausschüttung (d.h. Virusmenge) und damit das Infektionsrisiko für Sexualpartner. Das gilt für alle von HPV befallene Körperstellen. Wenn FSW rauchen, erhöht sich dadurch beispielsweise das Risiko, dass sich Freier durch ungeschützten Cunnilingus in ihrem Mund-Rachen-Raum mit HPV 16 infizieren können. Rauchen fördert außerdem Zahnfleischentzündungen und Zahnbetterkrankungen im Mund – und erhöht daher Infektionsrisiken bei ungeschütztem Oralverkehr, weil auf diese Weise die natürliche Schleimhautbarriere geschwächt wird und im Extremfall (bei Aufnahme HIV-haltiger Körperflüssigkeiten, z.B. beim Lecken bei einer HIV-infizierten Frau während der Menstruation) mehr Zielzellen vor Ort wären, die HIV direkt infizieren könnte. 1.3 Untersuchungen (Freier) ● Kritische Eigenuntersuchung der eigenen Genitalregion, auch angrenzenden Haut (sowohl vor dem Besuch bei einer FSW sowie in den Tagen/Wochen danach). Bei verdächtigen Veränderungen, Schmerzen oder Ausfluss zum Arzt! -50- ● Kritische Eigenuntersuchung der Mundregion vor allem wenn ungeschütztes Lecken bei FSW betrieben wurde (bei verdächtigen, z.B. geschwürigen Veränderungen an der Mundschleimhaut zum Arzt). Ggf. muss dann ein syphilitischer Primäraffekt ausgeschlossen werden (am wahrscheinlichsten ist aber Herpes). ● Sollte ein Mann einige Tage nach Sex mit einer FSW (auch wenn dieser safer erfolgte) Beschwerden im Bereich der Harnröhre verspüren (Brennen, Stechen, Schmerzen beim Wasserlassen/starken Pinkelreiz, womöglich weißlicher, gelblicher oder eitriger Ausfluss oder starke Rötung und Schwellung am Harnröhrenausgang), sollte er auf jeglichen Sex verzichten (Ansteckungsgefahr für Partnerin!) und zu einem Arzt (Hausarzt, Urologen, auch Hautarzt/Venerologen) gehen. Es könnte sich um eine Infektion mit Gonokokken, Chlamydien, aber auch Mykoplasmen, eventuell aber auch unspezifischen Erregern handeln, die sich an die Schleimhaut des Harnröhrenausgangs geheftet und diese Region besiedelt hatten, und dann in der Harnröhre aufgestiegen sind und diese entzündet haben. Auch Pilzinfektionen sind möglich. Dies gilt auch dann, wenn der GV geschützt erfolgte. Die Infektionserreger können auch unabhängig vom GV an den Harnröhrenausgang gelangt sein, z.B. durch Schmierinfektionen beim Vor- oder Nachspiel, durch Berührung der Region nach dem Abziehen des Kondoms mit kontaminierten Fingern, und vor allem beim ungeschützten Oralverkehr, da diese Keime auch (völlig unbemerkt) im Rachen siedeln können und man davon ausgehen muss, dass jedenfalls einige Prozent der FSW solche Keime wie Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen im Rachen tragen, wenn sie häufig ungeschützt Fellatio betreiben oder im Rahmen von Lesbenspielen bei Kolleginnen lecken. Dabei ist in absteigender Reihenfolge von Gonokokken (am häufigsten), Mykoplasmen/Ureaplasma, Chlamydien und (sehr selten) Syphilis auszugehen. Für die FSW sind diese Keime (mit Ausnahme von Syphilis) im Rachenraum eigentlich belanglos (weil meist asymptomatisch und oft nach Wochen oder Monaten spontan ausheilend), sie können aber beim Oralverkehr auf den Penis, konkret auf die Schleimhaut des Harnröhrenausgangs, übertragen werden. In einer Studie aus Japan galt ungeschützter OV mit FSW als häufigste Ursache für solche Infektionen beim Mann. Da die Keime vor allem den Rachen besiedeln, ist zu vermuten, dass Deep Throat mit einem größeren Risiko für die Männer verbunden ist als sanftes Anblasen mit Lippen oder Zunge. In einer Umfrage in einem Freierforum gaben ein Viertel bis ein Drittel aller Teilnehmer an, schon mindestens einmal nach FO mit einer FSW solche Probleme/Beschwerden gehabt zu haben. Wenn man nun berücksichtigt, dass nach den sehr spärlichen hierzu vorhandenen Daten davon auszugehen ist, dass 5 bis 10 % (und eventuell sogar mehr) derjenigen FSW, die FO betreiben, STI-Keime (wie Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen) im Mund-Rachen-Raum tragen (mit primärem Sitz der Infektion im Rachen), die beim Freier zu akuten oder chronischen Harnwegsinfektionen führen können, so scheint das Pro-Akt-Infektionsrisiko (pro einzelnes FO) für den Freier allerdings nicht sehr hoch zu sein, d.h. der Infektionsweg scheint nicht sehr effektiv zu sein. Anderenfalls hätten schon mehr als ein Viertel bis ein Drittel der Freier davon betroffen sein müssen (ausgehend von der Annahme, dass Freier, die in Freierforen aktiv sind und dort auch an Umfragen teilnehmen, häufige Kontakte mit FSW haben). Aber das Risiko besteht, und theoretische Überlegungen sprechen dafür, dass dieses Risiko beim Deep Throat besonders hoch ausfällt. -51- Kunden sollten sich auch nicht sicher fühlen, wenn die FSW regelmäßig untersucht werden (es besteht keine Pflicht zur Untersuchung!). Nur manche Untersuchungsabläufe umfassen auch Rachenabstriche oder Spül-Gurgel-Proben, und auch dann weiß der Kunde nicht, ob in diesen Fällen auf alle relevanten Keime untersucht wurde. Problematisch ist auch, dass nicht alle Infektionen beim Mann symptomatisch werden. Gonokokken führen zwar beim Mann zu mehr als 90 %, Chlamydien aber nur in ca. 50 % der Fälle zu akuten Symptomen, Mykoplasmen/Ureaplasmen eher noch seltener. Chronische Infektionen werden nicht bemerkt, der Mann kann aber seine private Partnerin anstecken und dann in Erklärungsnöte kommen, vor allem drohen aber Spätfolgen von nicht erkannten und nicht behandelten Infektionen bis hin zur Unfruchtbarkeit und möglicherweise langfristig gesehen auch Prostatitis und Prostatakrebs, wenn die Prostata von den Erregern befallen wird und sich chronisch entzündet. Kritisch für Freier ist auch, dass in vielen Infektionsfällen (je nach Erreger) die private Partnerin eigentlich mitbehandelt (und insofern auch informiert) werden muss, sofern es seit dem vermuteten Infektionsereignis (bei einer FSW) zu risikobehafteten sexuellen Handlungen zwischen Kunde und privater Partnerin kam, und für einige Tage Sexkarenz einzuhalten ist. Die Probleme derartiger Infektionen liegen somit für die Freier weniger im rein medizinischen Bereich (wo die Infektionen, mal abgesehen von zunehmenden Antibiotikaresistenzen insbesondere bei Gonokokken, eigentlich gut beherrschbar sind) als im außermedizinischen Bereich (Sexkarenz, Partnerinformation, Partnerbehandlung). ● HIV-Tests (► ANLAGE 6) Die Frage, ob sich Freier regelmäßig auf HIV testen lassen sollten, ist nicht pauschal zu beantworten. Der Freierstatus an sich stellt für sich alleingenommen in Deutschland kein spezielles HIV-Risiko dar, wenn die Prinzipien des Safer Sex effektiv eingehalten werden, abgesehen davon, dass auch FSW ihrerseits in Deutschland keine HIV-Risikogruppe repräsentieren, es sei denn, es gibt (ggf. für den Kunden nicht erkenn- oder vermutbare) Risiken vor allem außerhalb der unmittelbaren Sexarbeit. Aktuelle Leitlinie zu HIV-Tests: http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/HIVDiagnostik_Bundesgesundheitsblatt_2015.pdf;jsessionid=5A707B46D880FCE8F2B585B7AA715 BAD.2_cid390?__blob=publicationFile Von HIV-Heimtests (mit einem Tropfen Blut oder Speichel) ist abzuraten. Die Abgabe solcher Tests an Privatpersonen war bis vor kurzem in Deutschland nicht zugelassen (inzwischen aufgehobener § 11 Absatz 3a Medizinproduktegesetz); sie waren und sind aber über das Ausland erhältlich. Risiken sind Anwendungsfehler, unklare und auch „falsche“ Ergebnisse, zum Beispiel falsch-positive Ergebnisse, die eine Infektion vortäuschen, auch wenn gar keine besteht – also „Fehlalarm“. -52- In jedem Fall sind die Resultate eines solchen Tests aber mit Vorsicht zu betrachten und durch einen offiziellen (ärztlichen) Test zu überprüfen. Die Empfindlichkeit dieser Tests ist so eingestellt, dass sie eher „zu viele“ als „zu wenig“ HIV-Infektionen entdecken, d.h. es ist eher mit „Fehlalarm“ zu rechnen, der die Anwender unnötig in Panik versetzt. Wer dennoch solche Tests nutzt, sollte sich bereits vor Testdurchführung informiert haben, wo er ein eventuelles positives oder unklares Testergebnis rasch und ohne Wartezeiten überprüfen lassen kann, um schnell Klarheit zu bekommen und lange Phasen der Unsicherheit zu vermeiden (es gibt auch „ärztliche“ Schnelltests, wo man ein zuverlässiges Ergebnis in einer halben Stunde oder schneller erhält). ● HPV-Tests (wegen HPV-16-Infektionen im Rachen) Wer häufig ungeschützt bei FSW geleckt hat, könnte ein erhöhtes Risiko für HPV-bedingten Rachenkrebs aufweisen (z.B. an den Mandeln oder am Zungengrund). Einem solchen Krebs geht eine persistierende HPV-Infektion (typischerweise HPV 16) im Mund-Rachen-Raum voraus. Auf diesen HPV-16-Befall kann man sich testen lassen (Spül-Gurgel-Probe und/oder Abstrich), anschließend Untersuchung der Probe in einem medizinischen Labor (wobei aber nur manche Labore solche Untersuchungen anbieten). Von einem persistierenden Befall kann man aber erst ausgehen, wenn das Virus mindestens ein Jahr später immer noch nachweisbar ist. Dies bedeutet dann immer noch nicht, dass man Krebs bekommt – man gehört dann aber zu einer Risikogruppe. Es befinden sich Antikörpertests in Entwicklung, mit denen sich die Personen, die ein hohes Risiko haben, in den nächsten Jahren einen solchen Krebs zu entwickeln, frühzeitig identifizieren lassen werden. Ein solcher Test steht bereits zur Verfügung (PrevO-Check), der Vorhersagewert des dort erfassten Antikörpers (HPV-16-L1) in Bezug auf die zukünftige Entwicklung eines Mund-Rachen-Krebses ist allerdings noch recht niedrig (für Männer dürfte er aber höher ausfallen als für Frauen). Wesentlich spezifischer werden Tests auf HPV-16-E6-Antikörper oder eine Kombination mehrerer Antikörper sein, die allerdings zur Zeit noch nicht auf dem Markt sind. Wer zu einer Risikogruppe gehört (d.h. Nachweis einer persistierenden HPV-16-Infektion im Rachen und zusätzlich Antikörper-Nachweis im Blut, vor allem gegen HPV-16-E6), sollte sich in regelmäßigen Zeitabständen von einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt untersuchen lassen (Inspektion von Rachen, Mandeln, Zungengrund), um Veränderungen rechtzeitig zu erkennen. Es wäre auch hilfreich, das Rauchen einzustellen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass bei sehr starken Rauchern ein solcher Antikörpertest einen schwächeren Vorhersagewert haben könnte als bei Nichtrauchern oder weniger starken Rauchern, weil starkes Rauchen aufgrund seiner Auswirkungen auf die Immunkompetenz die Ausbildung von E6Antikörpern unterdrücken könnte. Mit anderen Worten: obwohl die Infektion zum Krebs fortschreitet und das E6-Gen des HPV-Virus abgelesen und in Proteine umgewandelt wird, bilden sich aufgrund der geschwächten Immunkompetenz keine Antikörper gegen E6, und ein E6-Antikörpertest kann in diesen Fällen dann nicht aufdecken, dass sich im Körper eine kritische HPV-Infektion befindet, die sich in Richtung Krebs entwickelt. Das erhöhte Risiko, dem die betreffende Person unterliegt, wird übersehen und sie wird nicht in ein HNO-ärztliches Früherkennungsprogramm integriert. -52a- Eine ausführlichere Diskussion dieser Testverfahren und eventueller Konsequenzen findet sich hier: http://freepdfhosting.com/f2aa6824cb.pdf sowie ein Ablaufschema hier in der Anlage 8 dort: Anlage 12 -53- ● Syphilis-Test Freier unterliegen einem leicht erhöhten Risiko für Syphilis-Infektionen. Nach einer umfangreichen Studie des Robert-Koch-Instituts weisen 1 % aller FSW eine potenziell infektiöse Syphilisinfektion auf (KABP-Surv-STI-Studie 2010/2011). Die Quote ist möglicherweise zu hoch gegriffen, was den Anteil tatsächlich infektiöser FSW anbelangt, denn in vielen Fällen ist nicht ganz klar, ob die betreffende FSW (noch) infektiös ist oder nicht. Viele FSW bemerken ihre Syphilisinfektion nicht, bis sie zufällig durch einen Bluttest festgestellt wird. Dasselbe gilt für Freier; es findet sich keinesfalls immer ein typischer Primäraffekt am Penis oder (z.B. nach ungeschütztem Lecken) an Lippen oder Zunge, oder der Primäraffekt kann Herpes oder eine einseitige Mundwinkelrhagade vortäuschen. Jedenfalls werden viele frische Syphilisinfektionen nicht als solche erkannt, weil sie entweder gar keinen sichtbaren Primäraffekt entwickeln, oder dieser vom Betroffenen fehlgedeutet wird. Kondome bieten keinen sicheren Schutz, da die Infektion auch über Haut-zu-Haut- oder Hautzu-Schleimhaut-Kontakte an der Penisbasis oder gar in seiner Umgebung (z.B. Leistengegend) erfolgen kann (einer der Gründe für die „kleine“ oder „erweiterte Penisantisepsis“ auch nach kondomgeschütztem GV). Auch ungeschütztes Lecken und sogar Zungenküsse bieten Infektionsrisiken; Primäraffekte sind hoch infektiös. Auch wenn das Syphilis-Infektionsrisiko für Freier in Deutschland, West- und Mitteleuropa absolut gesehen gering ist, ist es doch real und wesentlich größer als das HIV-Risiko. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes infizierten sich im Jahr 2015 etwas mehr als 100 Männer in Deutschland bei FSW. Die Zahl könnte unterschätzt sein, falls nicht alle Männer, die sich wahrscheinlich bei einer FSW infiziert hatten, dies auch so angaben. Auch bemerken viele Männer die Infektion gar nicht, und ohne gezielte Bluttests wird sie nie oder erst, wenn schon Spätsymptome vorhanden sind, diagnostiziert. Nach vielen Jahren oder Jahrzehnten ist es dann schwierig, den Infektionszeitraum und die Infektionsquelle zu eruieren. Mit anderen Worten: wenn über 100 Infektionen bei heterosexuellen Freiern gemeldet wurden (anonyme Labormeldepflicht, also keine Angst! Die Meldung erfolgt anonym durch das Labor!), dann ist von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen. Syphilis spielt also in der heterosexuellen Sexarbeit in einer vergleichsweise deutlich höheren Risikoliga als HIV. Hoch aktive Freier sollten sich daher – je nach Häufigkeit und Ausmaß der Risikoexposition – gelegentlich auf Syphilis testen lassen. Es gibt inzwischen auch sehr zuverlässige Schnelltests und (ggf. über das Ausland beziehbare) Heimtests. Diese gelten als weit weniger problematisch als HIV-Heimtests. Allerdings können Schnelltests nicht zwischen aktiven, behandlungsbedürftigen Infektionen und Seronarben ohne Handlungsbedarf unterscheiden, so dass sich bei einem positiven Schnell- oder Heimtest in jedem Fall unbedingt eine ärztliche Routine-Labordiagnostik anschließen muss. Wer damit nicht zum Hausarzt gehen will, kann die STD-Beratungsstelle eines Gesundheitsamtes hierfür (auch anonym!) aufsuchen. -54- ● Helicobacter-Test Wer ungeschützt Zungenanal betreibt oder in Analnähe leckt, sollte sich auch mal auf Helicobacter pylori testen lassen – ein Erreger von Magenschleimhautentzündungen, Zwölffingerdarmentzündungen, aber auch Magen- und möglicherweise auch Darmkrebs. Durch eine Kombination aus Antibiotika und Protonenpumpenhemmern lässt sich der Keim meistens eradizieren, die gleichzeitig Einnahme von Probiotika kann dabei unterstützend helfen. Auch Zungenküsse (Speichel) werden als Übertragungsweg für Helicobacter für wahrscheinlich gehalten. ● STD-Beratungsstellen der Gesundheitsämter Auch wenn sie eine klassische Anlaufstelle für FSW darstellen, sind die STD-Beratungsstellen der Gesundheitsämter üblicherweise auch für die Allgemeinbevölkerung und damit auch für Freier zugänglich, um sich beraten oder ggf. untersuchen zu lassen – z.B. falls sie sich nicht ihrem Hausarzt offenbaren wollen. Informationen zu Angebot und Zeiten der Beratungsstellen (und eventuellen Kosten für Zusatzleistungen) können telefonisch oder auf den Internetseiten der jeweiligen Gesundheitsämter / Städte / Kreisverwaltungen eingeholt werden. Auch andere Institutionen bieten Beratungen und Informationsmaterial an (z.B. AIDS-Hilfen). Dieses Angebot ist aber von Ort zu Ort eher unterschiedlich. Eine erste Anlaufstelle in der Region ist daher immer das Gesundheitsamt, bei dem man sich auch über alternative Untersuchungs- oder Beratungsmöglichkeiten informieren kann, zumal Gesundheitsämter in der Region gut vernetzt sind. 1.4 Sexuelles Selbstbestimmungsrecht Kunden sollten sich des sexuellen Selbstbestimmungsrechts der FSW bewusst sein. FSW können und dürfen jederzeit Freier oder auch bestimmte Sexualpraktiken ablehnen. Dazu gehört auch, Schutzmaßnahmen einzufordern (z.B. Kondome). Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht gilt auch für FSW in jeder Situation und findet nur dort seine Grenzen, wo andere gefährdet werden und nicht ausdrücklich in ein erkennbares Risiko einwilligen. Niemand, auch kein „Vorgesetzter“/Clubbesitzer, darf eine FSW zu bestimmten Sexpraktiken (oder z.B. zum Verzicht auf Kondome) zwingen. Wenn es um Sexpraktiken geht, haben die Betreiber also kein Weisungsrecht. Rechtliche Informationen finden sich in der Broschüre: -55- „Gute Geschäfte – Rechtliches ABC der Prostitution“ http://www.highlights-berlin.de/gg_05.pdf (oder über Google suchen) 1.5 Freier oder FSW, die einen negativen HIV-Test vorlegen Ein negativer HIV-Test sagt nichts Aktuelles aus, da er den Infektionsstatus (je nach verwendetem Testverfahren) 6 Wochen bis 3 Monate vor Testdurchführung abbildet. Nur ein Teil der Infektionen wird auch schon früher (d.h. unter 3 Monaten) erfasst – wie groß dieser Anteil ist, hängt von Details der Testmethodik ab. Bei modernsten Kombinationstests der 4. Generation (und bei Bedarf Verifizierung mit PCR-Test) kann schon nach 6 Wochen ein fast sicheres Ergebnis erzielt werden – aber eben nicht mit Schnelltest. 100%ig sicher verlassen kann man sich auf die „frühe Entdeckung“ jedenfalls nicht, auch abhängig vom Vorliegen in Europa sehr seltener HIV-Subtypen, die erst später entdeckt werden können. Allerdings geht man inzwischen davon aus, dass man die Wartezeit nach einem Risikoereignis von bisher 12 auf 6 Wochen verkürzen kann, wenn hochwertige ärztliche Kombinationstests zum Einsatz kommen (minimale Restrisiken für ein falschnegatives Ergebnis bleiben dann aber). Von frisch Infizierten, die noch keine Antikörper gebildet haben und bei denen ein frischer konventioneller HIV-Test daher negativ ausfallen würde, geht sogar ein 10 bis 100 mal höheres Infektionsrisiko aus als von Personen mit positivem HIV-Test (aber ohne Therapie) und ein 100 bis 1000 mal höheres Risiko als von Personen mit positivem HIV-Test und effektiver antiretroviraler Therapie. Die Vorlage eines negativen HIV-Tests ist daher kein Grund auf Kondome zu verzichten. Sexparties (z.B. AO-Gangbangs, „Tabulos“-Parties), auf denen Männer mit negativem HIV-Test (eventuell frisch vor Ort durchgeführt) ohne Kondom GV/AV praktizieren dürfen, sind für alle Seiten (FSW, Kunden) als hoch riskant einzustufen, da hier Personen mit hohen Risiken und hoher Risikobereitschaft aufeinander treffen und miteinander interagieren. Wobei man annehmen kann, dass manche Beteiligte öfters solche Veranstaltungen aufsuchen. Daher ist davon auszugehen, dass regelmäßige Teilnehmer solcher Gangbangs auch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit (bemerkt oder unbemerkt) mit Herpes simplex Typ 2 (HSV-2) infiziert sind, was die Empfänglichkeit für STIs wie z.B. HIV um ein Mehrfaches erhöht, bei bereits HIVInfizierten aber auch deren Infektiosität (Virusausschüttung) verstärkt. Tests, die schon sehr früh anschlagen (Nukleinsäure-Nachweise wie PCR-Tests), sind aufwendig und teurer, das Ergebnis ist nicht sofort verfügbar, und kommen daher weder als Heimtests noch bei solchen Veranstaltungen zum Einsatz. Auch auf sie ist aber nicht 100%ig Verlass (diagnostische Lücken sind sogar bei Kombination von zwei grundlegend unterschiedlichen Testverfahren immer noch möglich, wenn auch weniger wahrscheinlich) (► ANLAGE 6). -56- Um Diskriminierungen oder unangemessenes Verhalten von Freiern gegenüber FSW zu vermeiden: FSW gelten (als solche) zur Zeit in Deutschland nicht als eine Risikogruppe für HIV! Überdurchschnittliche HIV-Risiken bei FSW können sich aber aus Risiken ergeben, die nicht direkt mit der Sexarbeit zu tun haben, wie z.B. eigene i.v.-Drogensucht oder eine solche Sucht beim privaten Partner, sei er nun in Deutschland oder im Heimatland; Herkunft (selbst oder Partner) aus einem Land mit hoher heterosexuellen HIV-Verbreitung. Das sind alles Faktoren, die der Freier selbst nicht immer erkennen kann. 1.6 Auswahl risikoarmer Settings Freier sollten sich Settings/Locations aussuchen, von denen bekannt ist, dass dort (weitgehend) safe gearbeitet wird (ggf. Internet recherchieren, Freierforen usw.). Auch die Angebotsprofile (Sedcards) der FSW in Internetportalen oder auf Homepages von Clubs können Hinweise auf deren Risikobereitschaft geben. Da Kondome keinen 100%-Schutz bieten, sondern – je nach Art des STD-Keimes – nur eine mehr oder weniger große Risikoreduktion, geht ein Freier in Settings, in denen kondomfreier Sex häufig oder üblich ist, selbst dann ein höheres Risiko ein, wenn er selbst Kondome benutzt (die trotz Kondomnutzung verbleibenden Restrisiken sind dann einfach größer). Mit Inkrafttreten des ProstSchG in Deutschland wird allerdings diese Auswahl erschwert. Offiziell darf dann kein ungeschützter GV, AV oder Oralverkehr mehr betrieben werden. Es darf nach § 32 (3) auch keine Werbung mehr für ungeschützte Praktiken (einschließlich FO) erfolgen. Auch in Internetforen werden entsprechende Berichte dann nicht mehr erlaubt sein, bzw. umgehend gelöscht werden. Der Markt wird damit wesentlich intransparenter, womit bezweckt wird, dass Freier nicht mehr so einfach Zugang zu ungeschützten Sexpraktiken finden. Im Umkehrschluss können sich dann aber auch Freier, die solche Settings, an denen ungeschützter Sex weiterhin inoffiziell (und illegal) betrieben wird, gezielt meiden wollen, nicht mehr informieren. Für sie kann das Risiko (in Form des Restrisikos, das auch bei Verwendung von Kondomen besteht) daher sogar steigen. Auch wenn sich die FSW regelmäßig freiwilligen Untersuchungen unterziehen, ist dies eine Maßnahme der Risikoreduktion, die auch einem auf safer Sex orientierten Freier zugute kommt, da Schmierinfektionen mancher typischer STD-Keime zum Beispiel beim Vor- oder Nachspiel, versehentlichen genitalen Berührungen oder im Extremfall sogar über Bettwäsche/Tücher usw. denkbar sind. Clubs oder andere Settings, die ihren FSW solche Untersuchungsmöglichkeiten anbieten, sind somit von Vorteil für risikoorientierte Freier. -57- 2 Sexpraktikenbezogene Aspekte 2.1 Gesundheitszustand der FSW ● Sollte dem Kunden in der Genitalregion der FSW etwas Ungewöhnliches auffallen (Ausfluss ohne erkennbare Ursache dafür; Geschwüre, Entzündungen, Wunden, Eiter, Genitalwarzen, unangenehmer Geruch usw.), sollte er an die Möglichkeit einer STD denken und besondere Vorsicht walten lassen (z.B. Verzicht auf ungeschütztes Lecken; Vermeidung von Schmierinfektionen durch Keimübertragungen z.B. mit den Fingern usw.) oder ganz auf Sex verzichten. Nicht jeder unangenehme genitale Geruch ist allerdings gleich ein Zeichen für eine echte STD (eher Dysbiose oder Pilzinfektion). ● Abschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands: fiebrig, krank, Husten, Hautausschläge, geschwollene Lymphknoten? (muss nicht STD-bedingt sein, als Kunde will man sich aber auch nicht an anderen Krankheiten anstecken). Erschöpfung und Mattigkeit können aber auch ein Zeichen für Überarbeitung und Schlafmangel sein. 2.2 Kundenhygiene (vor dem Sex) (Die nachfolgend erwähnten Maßnahmen liegen primär im Interesse der FSW): Im Idealfall sollte der Kunde vor dem sexuellen Kontakt mit der FSW duschen oder wenigstens Penis und angrenzende Genitalregion mit pH-neutraler Seife/Duschlotion unter fließendem Wasser waschen. Die basalen Penisabschnitte und deren Umgebung werden schließlich nicht vom Kondom geschützt. Möglicherweise kommt es zu ungeschütztem Oralverkehr (in Deutschland ab 1.7.2017 aber untersagt). Waschen mit Seife und fließendem Wasser führt bereits zu einer erheblichen Keimreduktion. Wichtig ist dabei auch das vorsichtige, aber gründliche Waschen der Innenseite der Vorhaut, die ein erhebliches Keimreservoir darstellt. Smegma Besondere Aufmerksamkeit ist dem Smegma zu widmen, einer käsigen oder seifigen Substanz unter der Vorhaut, besonders zwischen Vorhaut und Eichelansatz. Sie besteht aus Talg aus Talgdrüsen, abgestorbenen Epithelzellen, Urin- und ggf. Spermaresten und wird im Laufe der Zeit bakteriell zersetzt, was zu einem sehr unangenehmen, strengen und üblen Geruch und Geschmack führt. Vor allem wer FO plant (in Deutschland ab 1.7.2017 untersagt), sollte peinlich genau darauf achten, dass es keine Smegmareste gibt. Hierzu müssen vor dem Sex die Vorhautinnenseite, Vorhautansatz und Eichel mindestens mit lauwarmem Wasser, besser auch mit Seife bzw. einer Seifen- und Duschlotion gründlich gewaschen werden (Vorhaut zurückziehen). -58- Die Seifen-/Duschlotion sollte schonend und hautfreundlich, also pH-neutral sein (pH-Wert 5,5 – 6,5), um den natürlichen Säureschutzmantel nicht zu zerstören. Als ideal gelten unparfümierte Präparate, die auch für die Säuglingspflege eingesetzt werden, da sie wegen der empfindlichen Säuglingshaut besonders hautschonend sind. (Wenn nach dem Sex „aggressivere“ Mittel wie Schleimhautantiseptika hier zum Einsatz kommen, ist das zwar für den Hautschutz ebenfalls nicht günstig, aber dann hat die Antisepsis zur Deaktivierung von STD-relevanten Bakterien und Viren Priorität vor dem Hautschutz. Vor dem Sex ist ein so „aggressives“ Vorgehen aber nicht nötig und kontraproduktiv – hier sollte dem Hautschutz Priorität eingeräumt werden, und daher mit milden, pH-neutralen, möglichst auch unparfümierten Seifen-/Duschlotionen gearbeitet werden. Wegen der schleimhaut-/hautreizenden Wirkung eventueller antiseptischer Maßnahmen nach dem Sex ist dann später – wenn kein Sex mit Kondom mehr erfolgt – auch eine Rückfettung erforderlich – mit möglichst unparfümierten oder wenig parfürmierten Mitteln, z.B. mit Babyöl). Erfolgte nach dem Sex nur eine HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung, ist eine Rückfettung nicht erforderlich. Wurde längere Zeit (mehrere Tage) keine ausreichende Intimhygiene in diesem Bereich betrieben, kann das Smegma so hart oder klebrig werden, dass ein kurzes Waschen/Abduschen nicht mehr ausreicht, alle Smegmareste zu entfernen. Dann kann auch ein weicher (nicht scheuernder!) Waschlappen helfen. Daher sollten Freier, die nicht sowieso regelmäßig „Penishygiene“ betreiben, schon in den letzten Tagen vor einem geplanten Besuch bei einer FSW (ganz besonders falls sie FO planen) mit der täglichen Penisreinigung beginnen, oder aber ein Vollbad nehmen, wodurch sich die alten Smegmareste (die ja eine käsige oder seifige Konsistenz haben) allmählich aufweichen und dann nach dem Vollbad unter fließendem Wasser mit neutraler Seifen-/Duschlotion abgewaschen werden können. Alternativ (wenn Waschen nicht möglich ist) oder ergänzend kann die FSW Hautreinigungsoder Hautdesinfektionstücher verwenden, um den Penis zu säubern und die Keimbelastung zu reduzieren. Wundermittel sind dies aber nicht, und eine Wirksamkeit gegen HPV kann von diesen Tüchern schon gar nicht erwartet werden. Ansonsten bieten aber vor allem die Desinfektionstücher durchaus ein Potenzial im Sinne einer möglichen Risikoreduktion – allerdings nicht gegen Lusttropfen oder entzündliche Sekrete, die später aus der Harnröhre tröpfeln. Gerade von diesen gehen aber die höchsten Infektionsrisiken für FSW aus. Auch wird sie mit den Tüchern nicht in der Lage sein, alle Smegmareste effektiv zu beseitigen. Dies ist also nur eine kurzfristig orientierte Reinigungsmaßnahme, die die Männer nicht von der Pflicht befreit, zuvor für einen smegmafreien Penis zu sorgen. Smegma – vor allem altes, sich zersetzendes Smegma – löst auch Entzündungen der Vorhaut, im Eichelbereich und Harnröhre aus, die dann ihrerseits das Infektionsrisiko erhöhen und langfristig auch zu Peniskrebs führen können. Die regelmäßige Beseitigung des Smegmas dient -59- also auch der STD- und Krebsprävention. Bei beschnittenem Penis wird die Bildung von Smegma dagegen weitgehend unterdrückt; auch er bedarf aber regelmäßiger Hygiene. Eine FSW sollte niemals Haut-/Händedesinfektionsmittel auf den Penis kippen (brennt extrem am Harnröhrenausgang) (So etwas kam schon vor, daher wird hier darauf eingegangen). Grundsätzlich ist zwar eine Penisantisepsis durch die kombinierte Verwendung von viruziden Hautdesinfektionsmitteln oder Octenisept (an den Hautanteilen des Penis) und Schleimhautantiseptika wie Chlorhexidin-Lösung oder ebenfalls Octenisept (an den Schleimhautanteilen) möglich (► ANLAGE 4). Das Verfahren ist aber komplex und sollte von dem Mann selbst angewandt werden, und zwar wegen möglichen vorübergehenden brennenden Gefühls am Harnröhreneingang und der Schädigung des natürlichen Säureschutzmantels der ortsständigen Mikroflora erst nach dem Sex. 2.3 Richtige Kondomanwendung Im Routinefall wird der Kunde das Kondom von der FSW applizieren lassen, da sie über mehr Routine verfügt, das geschickt in das Sexspiel einbauen kann und die Anwendung des Kondoms damit für den Kunden nicht so belastend wirkt, als wenn er dies selbst übernehmen müsste. Dies gibt der FSW auch die Sicherheit, es „selbst und richtig“ gemacht zu haben. 1. Prüfung der Verpackung: ist ein kleines Luftpolster zu spüren? Ablaufdatum? Passende Größe? Jedes Kondom wird mit einer kleinen Menge Luft eingeschweißt. Ist kein Luftpolster mehr tastbar, könnte die Verpackung und damit auch das Kondom beschädigt sein. Ein Kondom aus einer luftleeren Verpackung sollte daher nicht mehr verwendet werden! 2. Verpackung vorsichtig öffnen, um das Kondom nicht zu beschädigen (an der gezackten Kante vorsichtig einreißen). 3. Kondom aus der Folie herausschieben/-drücken (nicht ziehen oder zerren – Beschädigung mit Fingernägeln möglich) 4. Der Penis sollte zum Aufsetzen des Kondoms möglichst bereits steif sein 5. Vorhaut (sofern vorhanden) zurückstreifen, Eichel muss freiliegen 6. Die Rolle des Kondoms muss nach außen zeigen. 7. Wurde das Kondom versehentlich falsch herum aufgesetzt (es lässt sich dann nicht abrollen), darf es nicht mehr herumgedreht, sondern muss verworfen werden (es könnten sich bereits Lusttropfen und Krankheitserreger an seiner Außenseite befinden) -60- 8. Den Zipfel des Kondoms (Reservoir) mit zwei Fingern zusammendrücken, um die Luft herauszudrücken, und so zugedrückt auf den steifen Penis setzen. Im Reservoir darf kein Luftpolster entstehen (sonst Risiko des Platzens während der Ejakulation) 9. Das Kondom über den ganzen Penis nach unten abrollen, wobei es oben weiterhin festgehalten werden muss. Nicht ziehen oder zerren. Kondom nicht schon vor dem Aufziehen auf den Penis entrollen! 10. Ggf. Gleitmittel (öl- und fettfrei; wasser- oder silikonbasiert) applizieren 11. Nach der Ejakulation: Penis aus der Scheide herausziehen, bevor er erschlafft. Dabei muss das Kondom am Ring (Penisansatz) festgehalten werden, um zu vermeiden, dass es abrutscht, in der Scheide bleibt und Sperma in die Scheide fließt. 12. Danach Hände und Penis waschen. Manche FSW sind in der Lage, das Kondom mit dem Mund (Lippen) überzuziehen, ohne dass der Kunde das meist wahrnimmt. Der Vorgang kann in das „Blasen“ eingebaut werden. Kunden, bei denen das Kondomaufsetzen oft zu Problemen führt (z.B. Verlust der Erektion), sollten die FSW darauf ansprechen, ob sie das kann und macht. Allerdings müssen diese Techniken eingeübt werden; ggf. sollten sich SW das von erfahrenen Kolleginnen vorführen lassen. Das Verfahren eignet sich auch bei nicht voll erigiertem Penis (in diesem Fall mit dem oval angespitzten Mund – nicht mit den Zähnen (!) – das Kondom aufsetzen, das Kondom mit dem Mund an der Penisspitze festhalten, mit den Fingern sanft abrollen). Wichtige Anwendungsregeln für Kondome ● Kondome sollten der Penisgröße angepasst sein (falsche Kondomgröße erhöht Risiko für Kondomversagen stark), wobei die Penisdicke eine größere Rolle spielt als die Länge. Männer mit vom Durchschnitt weit abweichenden Penisdimensionen (vor allem was die Dicke betrifft) sollten für sie passende Kondome selbst mitbringen, für den Fall, dass die FSW in ihrem Kondomsortiment nicht darauf eingerichtet ist. Besonders dünne und vorn spitz zulaufende Penisse gelten für Standardkondome als problematisch. (Falls die FSW aber selbst die „passenden“ Kondome dabei hat, sollte sie ihren eigenen Kondomen den Vorzug geben, da sie nicht sicher sein kann, ob der Kunde die Kondome korrekt gelagert hat). (Standardkondom: 52 mm „breit“. Individuelle Ermittlung der passenden Kondomgröße: z.B. im Internet unter Suchstichwort „Kondometer“) -61- ● Trockene Vagina erhöht das Risiko von Kondomversagen; routinemäßig oder wenigstens bei Trockenheit Gleitmittel verwenden, die aber unbedingt öl- und fettfrei sein müssen, also entweder wasserbasiert oder silikonbasiert (abgestimmt auf das Kondom; Packungsbeilage zum Kondom beachten!) ● Massageöle gefährden die Sicherheit von Kondomen (nach der Massage vor dem Anfassen von Kondomen die Hände waschen); mit Massageöl eingeriebene Körperabschnitte dürfen nicht mit Kondomen in Berührung kommen. Wenn eine Massage und danach GV beabsichtigt ist: es gibt kondomverträgliche Gleitmittel, die sich auch zur Massage eignen, so dass man auf spezielle Massageöle verzichten kann. ● GV/AV immer und von vornherein kondomgeschützt; nicht „erstmal ohne“ mit nachträglicher Kondomapplikation; kein Coitus interruptus. (auch Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakte oder gar Schleimhaut-Haut-Kontakte sind - je nach Erreger - potenziell infektiös, STD-Übertragung ist nicht an Ejakulation gebunden). ● Bei Wechsel vaginal-anal oder anal-vaginal Kondom wechseln! ● Bei Dreiern (mit zwei Frauen) ebenfalls immer Kondom wechseln! ● Niemals zwei Kondome übereinander anwenden (erhöht Risiko von Kondomversagen) ● Kondome nicht vor dem Aufsetzen auf den Penis entrollen ● Kontakt zwischen ungeschütztem Penis und externen Genitalschleimhäuten der FSW bzw. Genitalsekreten meiden (Schmierinfektionen von STD-Keimen möglich, auch wenn bei solchen Kontakten kein realistisches HIV-Risiko darstellbar ist). (Extrem-Beispiel: „Schlittenfahrt“ ohne Kondom). Vor allem der Harnröhrenausgang ist besonders empfänglich für Gonokokken und Chlamydien und andere Keime, die unangenehme Harnröhrenentzündungen auslösen können. Als Risikofaktoren für Kondomrisse/-abrutschen/-versagen im Rahmen von Paysex-Aktivitäten stellten sich (u.a. in Studien mit Befragung von FSW) heraus: ● Unerfahrenheit der FSW im Umgang mit Kondomen (junges Alter; Berufsanfängerin; niemals an einer Vorführung der richtigen Kondomanwendung teilgenommen; unregelmäßige Kondomanwendung) ● unpassende Kondomgröße (Penis zu groß, Penis zu klein, vor allem zu dünn oder vorn spitz zulaufend; individuelle Ermittlung der passenden Kondomgröße: z.B. im Internet unter Suchstichwort „Kondometer“) ● Kondom entrollt, bevor es auf den Penis gesetzt wird ● roher, wilder oder gewaltsamer Sex, aber auch lange anhaltender GV ● kein Kondomwechsel zwischen Anal- und Vaginalverkehr oder umgekehrt -62● kein Kondomwechsel, obwohl das Kondom innen aufgrund großer Mengen Lusttropfen und/ oder Prostatasekret sehr feucht ist (Risiko des Abrutschens des Kondoms vom Penis) ● keine oder ungenügende Gleitmittelnutzung ● öl-/fettbasierte Gleitmittel ● wenn der Freier versucht, nach der Ejakulation noch in der Scheide zu bleiben und den GV ohne Pause, ohne Herausziehen und ohne Kondomwechsel fortzusetzen (sehr riskant, unbedingt vermeiden!) ● Kondom beim Herausziehen des Penis aus der Scheide nicht am Ring festgehalten ● „kondomunwillige“ Freier (Kondomverwendung gegen ihren Wunsch oder gegen ihre innere Überzeugung) (da diese Kundengruppe weniger eigenmotiviert ist, auf eine korrekte Kondomfunktion zu achten) ● Alkoholkonsum Gründe für Kondomversagen in einer Studie mit FSW aus Singapur (Mehrfachnennungen möglich; 1885 GV-Akte): Kondomriss (1,2 % aller GV-Akte): Grober Geschlechtsverkehr: 81,5 % Langanhaltender Geschlechtsverkehr: 55,6 % Trockene Vagina: 37,0 % Kondome zu klein: 11,1 % Abrutschen des Kondoms (2,1 % aller GV-Akte): Langanhaltender Geschlechtsverkehr: 60 % Kondome zu groß (Penis zu klein/zu dünn): 59,1 % Penis zu spät aus der Scheide gezogen (nach Verlust der Erektion): 40 % Anfängerinnen -63- 2.4 GV, AV GV und AV sollten im Rahmen des Paysex ausnahmslos kondomgeschützt erfolgen, selbst wenn der Kunde einen aktuellen negativen HIV-Test oder ein Gesundheitszeugnis vorlegt (siehe oben: „Kunden, die einen negativen HIV-Test vorlegen“) Wichtig: Ab 1.7.2017 muss überall in Deutschland beim Paysex bei GV, AV und Fellatio (Blasen) ein Kondom zur Anwendung kommen. (Vor dem 1.7.2017 gab es eine Kondompflicht nur in Bayern und im Saarland). Es liegt in der Verantwortung des Kunden, sich über die rechtliche Situation zu informieren. Nichtwissen schützt vor Strafe (Bußgeld bis 50.000 Euro) nicht. Beim GV und besonders beim AV sollte Latexkondomen der Vorzug gegeben werden. Nach einem COCHRANE-Review aus dem Jahr 2006 ist das Risiko von Kondomrissen bei latexfreien Kondomen 2,5- bis 5-mal höher. Bei Latexallergie kommt man aber um latexfreie Kondome nicht herum. Mitverantwortung des Freiers Kondome dienen dem beiderseitigen Schutz und stellen die mit Abstand wichtigste Präventionsmaßnahme in der Sexarbeit. Auch Freier sollten über den richtigen Umgang mit Kondomen informiert sein, auch wenn es zweckmäßig sein kann, die Applikation des Kondoms der FSW zu überlassen, die damit mehr Erfahrung und Routine hat. Der Prozess der Kondomanwendung stört dann das Geschehen weniger, als wenn der Freier das selbst übernimmt. Dennoch liegt die Verantwortung für die korrekte Kondomanwendung auch beim Freier: er kann besser als die FSW sehen, fühlen und überprüfen, ob das Kondom noch richtig sitzt, und er trägt eine Mitverantwortung dafür, dass der Penis nach dem Orgasmus rechtzeitig, vor dem Erschlaffen, aus der Scheide herausgezogen wird und dass das Kondom dabei nicht abrutscht (am Ring festhalten, falls der Kunde und nicht die FSW selbst den Penis herauszieht). „Wissenschaftliche“ Kondom-Kritiker Kondom-Kritiker wenden gern ein, dass Kondome keinen vollständigen Schutz vor STDs bieten. Dies ist grundsätzlich richtig. Kondome sind nur als Risikoreduktion zu verstehen, nicht als absoluter Schutz. Deshalb werden hier auch weitere Schutzmaßnahmen für FSW (wie -64- Impfungen gegen Hepatitis B und HPV, freiwillige infektionsmedizinische Untersuchungen, symptombezogene Untersuchungen, Penisinspektion usw.) und Kunden (z.B. „erweiterte Penisantisepsis“ nach GV, FO usw.) empfohlen. Gründe für den eingeschränkten Schutzeffekt von Kondomen sind: ● nur bedingt vermeidbare (aber modulierbare) Kondomfehler (z.B. Kondomriss, -platzer; nicht ganz vermeidbar, aber modulierbar z.B. durch Gleitmittel/feuchte Vagina, Auswahl der richtigen Kondomgröße, Kondomwechsel bei sehr langem GV usw.) ● vermeidbare Anwendungsfehler (falsche Handhabung, Reservoir beim Aufsetzen des Kondoms nicht zugedrückt; Beschädigung des Kondoms beim Aufreißen der Packung oder bei der Applikation z.B. wegen scharfer Fingernägel; Kontakt mit Öl/Fett; falsche Kondomgröße; Abrutschen des Kondoms beim Herausziehen des erschlafften Penis usw., aber auch: kein Kondomwechsel beim Dreier beim Sex mit zwei Frauen; kein Kondomwechsel beim Wechsel vom GV zum AV und umgekehrt bzw. beim Übergang vom FM zum GV oder AV usw.) ● Erreger, die vor oder nach der Kondomanwendung durch Schmierinfektionen übertragen werden können, z.B. über Finger, Gegenstände (Sexspielzeug), Bettwäsche/Tücher/Handtücher, (versehentliche) Berührung des nicht kondomgeschützten Penis mit feuchten Schamlippen, die mit Genitalsekreten benetzt sind, aber auch durch ungeschützten Oralverkehr (ab 1.7.2017 in Deutschland untersagt) ● Erreger, die durch Haut-/Schleimhaut-Kontakt auch beim korrekt kondomierten GV übertragen werden können, vor allem durch Kontakt der nicht kondomierten Penisbasis mit weiblichen Genitalschleimhäuten oder –sekreten. Betrachtet man die Infektionswege, ist vor allem bei Herpes simplex Typ 2, HPV, aber auch Syphilis und dem in Europa sehr seltenen weichen Schanker eine Infektion trotz korrekter Kondomanwendung über die basalen, ungeschützten Penisabschnitte denkbar, während zumindest theoretisch eine sehr hohe Schutzwirkung von Kondomen vor HIV, Hepatitis B, Chlamydien, Gonokokken und Trichomonaden zu erwarten ist. Für HSV-2 wird der Schutzeffekt von Kondomen nur auf etwa 30 % geschätzt (sowohl für Männer wie für Frauen). Allerdings ist es bisher noch nicht gelungen, den Schutzeffekt von Kondomen für die einzelnen STD-Erreger zuverlässig mit Prozenten zu hinterlegen. Am besten ist die Datenlage noch für HIV, wo der Schutzeffekt auf 80 bis 95 % eingeschätzt wird, was aber immer noch eine Unterschätzung darstellen könnte, da man nicht weiß, ob das Kondom immer rechtzeitig aufgesetzt wurde (bereits der Lusttropfen enthält HIV!). Bei korrekter Kondomnutzung („von Anfang an“) sind daher Schutzeffekte von weit über 80 % zu erwarten. Neuere Übersichtsarbeiten, die sich vor allem mit methodischen Fragen von Kondomstudien beschäftigten, kamen zu dem Ergebnis, dass alle bisherigen Studien erhebliche Mängel -65- aufwiesen, die allesamt dazu führen, dass der Schutzeffekt von Kondomen methodenbedingt erheblich unterschätzt wird (das gilt in kleinerem Umfang sogar für die qualitativ eigentlich hochwertigen HIV-Studien). Man geht daher heute von einem nahezu 100 %-Schutzeffekt von korrekt angewandten Kondomen beim GV in Bezug auf HIV aus. Auch über HIV hinaus gesehen ist aber anzunehmen, dass der Schutzeffekt von Kondomen viel besser ist als sein Ruf aus den meisten „Kondomstudien“ – mit den oben genannten Einschränkungen. Auch sind viele Beteiligte an Befragungen zur Kondomnutzung nicht immer ehrlich und geben „sozial erwünschte“ Antworten. Untersuchungen auf PSA (das nur aus männlichen Lusttropfen oder Sperma stammen kann) im weiblichen Genitalsekret zeigen in diesen Fällen dann Diskrepanzen zu den persönlichen Angaben zur Kondomnutzung – selbst bei FSW. Deutlich wurde in den kritischen Übersichtsarbeiten zu Kondomstudien aber auch, dass Regelmäßigkeit und Korrektheit der Kondomanwendung von entscheidender Bedeutung sind, und dass Abstriche bei diesen Kriterien den Schutzeffekt deutlich absenken. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass der Geschlechtsverkehr von vornherein kondomgeschützt erfolgt und nicht erstmal „ohne“ „probiert“ wird. Studien an schwulen Männern ergaben, dass diejenigen, die beim rezeptiven Analverkehr erst vor der Ejakulation den Partner ein Kondom aufsetzen ließen, ein etwa ebenso hohes HIV-Infektionsrisiko hatten wie diejenigen, die rezeptiven Analverkehr völlig ungeschützt betrieben. Neue Kondomtechnologien Zur Zeit befinden sich Kondome aus völlig neuem Material (sehr strapazierfähigem Hydrogel) in Entwicklung, die nicht nur viel reißfester, anatomisch anpassungsfähiger und „selbstschmierend“ sein werden, sondern auch viel gefühlsechter als die derzeitigen Latexoder Polyurethan-Kondome (letztere für Latexallergiker), und damit die Akzeptanz des Kondoms wesentlich erleichtern dürften, wenn sie auf dem Markt sind. Ein weiteres vielversprechendes Material für Kondome ist Graphen. Übergangsweise könnten Flügelkondome etwas Abhilfe schaffen. Dies sind klassische Kondome, die aufgrund einer abnehmbaren Abrollhilfe („Flügel“) verschiedene Anwendungsfehler vermeiden, also eine höhere Anwendungssicherheit bieten. Da sie dank der Abrollhilfe nicht mit den Fingernägeln in Berührung kommen, können sie etwas dünner gestaltet werden als die übrigen Kondome, was die Gefühlsechtheit etwas verbessern soll. -66- Kein gelegentlicher Kondomverzicht (z.B. bei Stammkunden oder gegen Extrahonorar) (Dieser Abschnitt betrifft eigentlich die FSW; aber wegen der Kenntnis der Hintergründe, warum eine FSW vielleicht ein „finanziell lukratives Angebot“ ablehnt – einmal ganz abgesehen von gesetzlicher Verpflichtung zur Kondomnutzung –, kann dieser Abschnitt auch für Freier von Interesse sein) Kondome bzw. deren Beschichtungen, aber auch Gleitmittel können zu unbemerkten Reizungen der Genitalschleimhäute führen. Manche Gleitmittel enthalten Substanzen, die ein kühles Gefühl auf der Haut vermeiden sollen (wie Glycerin oder Propylenglykol). Solche Gleitmittel enthalten mehr gelöste Teilchen pro Volumeneinheit als die Körperzellen. Zum Ausgleich des Konzentrationsunterschiedes geben die Epithelzellen der Schleimhautauskleidung des Genitaltraktes dann Flüssigkeit ab und schrumpfen. Auch dadurch steigen Infektionsrisiken (Eintrittspforten für Infektionserreger). Manche Gleitmittel, aber auch Speichel (den manche FSW als Gleitmittel einsetzen, der aber auch vom vorausgehenden FM noch am Kondom kleben kann) enthalten antimikrobiell wirksame Substanzen. Dadurch kann sich die Vaginalflora verschieben, z.B. die „guten“ Lactobazillen gehen zurück, es entwickelt sich eine Tendenz zu einer bakteriellen Vaginose oder das Risiko für Pilzinfektionen steigt. Auch diese Situationen führen zu einer erhöhten Empfänglichkeit für STD-Infektionen – vor allem bei Vaginose oder Mischflora. FSW müssen daher – auch wenn sie konsequent safe arbeiten – davon ausgehen, dass ihre Genitalschleimhäute durch den häufigen Sex (Mikroverletzungen, auch durch Toys oder Fingernägel), die häufige Verwendung von Kondomen, Gleitmitteln, übermäßige oder „falsch“ Intimhygiene oder auch (eigenem oder fremden) Speichel insgesamt gesehen gereizter, anfälliger oder empfänglicher für STD-Infektionen sind als in der weiblichen Allgemeinbevölkerung. Dadurch ist auch die Wahrscheinlichkeit bei ihnen größer, dass eine Störung des genitalen Mikrobioms wie Mischflora oder Vaginose vorliegt, die ihrerseits STDInfektionsrisiken erhöhen. Solange sie genital safe arbeiten, ist das kein wirkliches Problem. Wenn sie aber in Einzelfällen bereit sind, sich auf kondomlosen GV einzulassen, müssen sie mit Infektionsrisiken rechnen, die deutlich höher sind, als man sie in Studien an monogamen Paaren ermittelt hat. Das gelegentliche Weglassen von Kondomen liegt also in einer ganz anderen (höheren) Risikoklasse für die FSW (und im Endeffekt dann auch für den Kunden), als dies außerhalb der Sexarbeit gilt. Daran sollten FSW auch außerhalb der Sexarbeit bei privaten (unbezahlten) Sexkontakten denken. Weltweit zeigten viele Studien, dass der STD-Infektionsstatus von FSW in erheblichem Umfang – manchmal sogar dominierend – von privaten Partnerschaften bzw. nichtkommerziellen Sexkontakten beeinflusst wird. Dabei mag eine Rolle spielen, (1) dass manche Partner von FSW ihrerseits einem erhöhten STD-Risiko unterliegen, (2) dass bei nichtprofessionellen Sexkontakten ganz bewusst auf Kondome verzichtet wird, um diese damit auch symbolisch und emotional von kommerziellen Kontakten abzugrenzen, (3) und die oben beschriebene erhöhte Empfänglichkeit von FSW für STDs, ganz besonders in jungen Jahren und zu Beginn ihrer FSW-Karriere, wenn die Immunkompetenz gegenüber STI-Erregern noch schwach ausfällt. -67- Freier sollten beim ungeschützten GV mit einer FSW auch bedenken, dass sie möglicherweise nicht der einzige Kunde sind, dem kondomfreier Sex gestattet wird. So könnten sie sich durch den intensiven Kontakt mit Spermaresten der Vorgänger (Forenjargon: „Schlammschieben“) mit einer durch Sperma übertragbaren STD infizieren, selbst wenn die FSW selbst nicht damit infiziert ist, und sich auch nicht selbst infiziert. Dies trifft auch für HIV zu. Wenn auch in Deutschland statistisch unwahrscheinlich, ist es prinzipiell möglich, dass sich ein Kunde bei einer nicht HIV-infizierten FSW mit HIV infiziert, indem sein Penis mit dem Sperma eines HIV-infizierten „Vorgängers“ beim „Schlammschieben“ in intensiven Kontakt gerät. Infektionsmöglichkeiten gibt es dabei genug: HIV-empfängliche Zellen an der Vorhautinnenseite oder am Harnröhrenausgang, Mikroverletzungen oder Herpesläsionen der Penishaut oder -schleimhaut. Auch in diesem Fall gilt, dass sich dabei nicht auch zwangsläufig die FSW mit HIV infizieren muss. Das Pro-Akt-Infektionsrisiko liegt für HIV im Rahmen von GV schließlich im Promillebereich. Kondomwechsel nach FM vor GV oder AV? Wenn – was in vielen Paysexkontakten der Standard sein dürfte – nach dem FM zum GV übergegangen wird, sollte idealerweise das Kondom vor dem GV gewechselt werden. Dafür gibt es mehrere Gründe: ● Das Risiko für ein Kondomversagen, vor allem ein Reißen des Kondoms, ist höher, wenn zuvor mit diesem Kondom schon eine andere Sexpraktik – also in diesem Fall Oralverkehr – betrieben wurde. Das Risiko steigt mit der Dauer oder Intensität des Blasens (z.B. Zahneinsatz). Ein intensives Deep Throat spielt natürlich in einer anderen Risikoliga als ein vorsichtiges „Anlutschen“ mit Zunge und Lippen. Grundsätzlich gilt: je länger und intensiver das FM, umso wichtiger ein anschließender Kondomwechsel. ● Ein weiterer Grund dafür ist, dass das Kondom beim Blasen mit Speichel benetzt wurde. Das hätte dann einerseits den Vorteil, dass dieser Speichel gleich ein wenig die Funktion eines Gleitmittels übernehmen kann – es gibt aber aus Studien vorsichtige Hinweise, dass Speichel das Risiko von Kondomversagen beim GV erhöht. Ganz sicher sind diese Fragen aber noch nicht geklärt; sollten FSW aber selbst solche Erfahrungen machen, sollten sie nicht annehmen, dass es Zufall oder Pech ist, sondern dies steht dann durchaus in Einklang mit Erfahrungen aus wissenschaftlichen Studien, und mahnt zur Vorsicht. Das gilt dann natürlich ebenso für die Nutzung von Speichel als Gleitmittelersatz. ● Wenn man zum Blasen ein latexfreies Kondom genommen hat, ist dies auch ein Anlass für einen Kondomwechsel, da das Risiko für ein Kondomversagen bei GV mit latexfreien Kondomen höher ist. GV und AV sollten besser mit Latexkondomen vorgenommen werden. ● Folgt auf FM nicht GV, sondern AV, ist ein Kondomwechsel natürlich noch wichtiger, weil das Risiko eines Kondomversagens (Reißen, Abrutschen) beim AV ohnehin höher ausfällt als -68- beim GV. Man sollte daher zum AV keinesfalls ein Kondom verwenden, das schon durch FM „vorstrapaziert“ ist. Die Empfehlung eines Kondomwechsels zwischen FM und GV kann allerdings nur für den typischen Standardfall ausgesprochen werden. FSW sollten in dieser Frage flexibel sein und in Ausnahmefällen auch einmal anders entscheiden. Bei Kunden mit Erektionsproblemen kann der Kondomwechsel zu einem Erektionsverlust führen. Dann kann es sinnvoll sein, mit dem neuen Kondom erstmal wieder kurz und vorsichtig (so lange wie unbedingt nötig) anzublasen, um dann ohne erneuten Kondomwechsel zum GV überzugehen. Die Regel, nach jedem FM das Kondom zu wechseln, macht nämlich keinen Sinn, wenn das im konkreten Einzelfall dazu führt, dass anschließend GV mit zu schlaffem Penis durchgeführt wird, weil dann das Risiko eines Abrutschen des Kondoms besonders hoch ist. Das zentrale Ziel des Kondomwechsels zwischen FM und GV besteht ja darin, ein Kondomversagen beim GV zu vermeiden. Wenn im Einzelfall der Kondomwechsel infolge der damit verbundenen Erektionsschwierigkeiten das Risiko eines Kondomversagens (hier besonders des Abrutschens) erhöht, bringt ein Kondomwechsel natürlich keinen Vorteil. Strenger sollte man dies beim AV sehen, wo ein Kondomwechsel nach FM unbedingt eingebaut werden sollte. FSW sollten Techniken oder Strategien einüben, die dazu beitragen, dass ein Kondomwechsel möglichst nicht zum Erektionsverlust führt. Der hochprofessionelle Umgang mit Kondomen – auch beim Abziehen des benutzten Kondoms – ist dafür eine Grundvoraussetzung. Hinweis zu Dreiern (Kunde mit 2 FSW) ● unbedingt Kondomwechsel beim Übergang vom GV mit einer FSW zur anderen ● alternativ: Verwendung von Femidomen, um den Kondomwechsel zu ersparen (aber nur, wenn beide FSW im Umgang mit Femidomen wirklich erfahren sind!). Dann kann das Kondom für den Mann ganz entfallen. (Hinweis für Deutschland: während der Gesetzestext des Prostituiertenschutzgesetzes neutral von „Kondomen“ spricht, worunter man auch ein Femidom im Sinne der Begrifflichkeit „Kondom für die Frau“ subsummieren könnte, stellt die amtliche Begründung zu § 32 Absatz 1 klar, dass der „Begriff des Kondomes“ die „Anwendung am Körper des Mannes“ impliziert. Der amtlichen Begründung zufolge würde die Kondompflicht nach dem ProstSchG durch die alleinige Anwendung eines Femidoms unter Verzicht auf ein Kondom für den Mann nicht erfüllt. Praktisch bedeutet dies, dass im Falle eines Dreiers, bei dem der Kunde auf Kondomwechsel zwischendurch verzichten möchte, Femidom und Kondom gemeinsam benutzt werden müssten, was aus mehreren Gründen als ungünstig zu bewerten ist). -69● basale Penisabschnitte (die nicht kondomgeschützt waren) mindestens mit einem Reinigungstuch, idealerweise einem Desinfektionstuch, reinigen, bevor das neue Kondom aufgesetzt wird (ein Waschen mit Seife und das übliche Hygieneprozedere nach GV ist in einer Dreiersituation realistischerweise nicht möglich, aber dieses Minimalszenario mit den Tüchern ist angesichts des ohnehin erforderlichen Kondomwechsels durchaus machbar). HPVWirksamkeit kann davon allerdings nicht erwartet werden (Empfehlung: HPV-Impfung für FSW). 2.5 Kondomversagen beim GV Ein Kondomversagen beim GV setzt die FSW – vor allem wenn es zur Ejakulation kam – unter größeres Risiko als den Kunden, zumal der Kunde sein Infektionsrisiko für die verschiedenen STD-Erreger durch Penisantisepsis – also Inaktivierung oder Abtötung von eventuell eingefangenen STD-Keimen durch antiseptische Mittel – stark verringern kann; dies ist eine Option, die die FSW nicht hat. Grundsätzlich gilt, dass der Penisschaft mit Haut bedeckt ist; hier können Hautdesinfektionsmittel zum Einsatz kommen. Der Harnröhrenausgang ist mit Schleimhaut ausgekleidet, die Eichel (abhängig vom Grad der Vorhautbedeckung) mit einer Mischform zwischen Haut und Schleimhaut bedeckt (Schleimhaut mit individuell unterschiedlichem Verhornungsgrad), und die Innenseite der Vorhaut ist wiederum mit Schleimhaut ausgekleidet. Daher gilt für die „Penisantisepsis“ im Grundprinzip, dass Harnröhrenausgang, Eichel und Vorhautinnenseite nur mir Schleimhautantiseptikum (wie Octenisept oder Chlorhexidin 0,2 %, als Mundspüllösung erhältlich, aber auch in manchen urologischen Präparaten zwecks Antisepsis enthalten) benetzt werden sollten, die Penishaut dagegen als äußere Haut viruzide Hautdesinfektionsmittel verträgt. Die Vorhautinnenseite ist besonders infektionsanfällig. Die Schleimhaut ist hier sehr dünn und empfindlich, unbemerkte Mikroverletzungen sind leicht möglich, dadurch entstehen Eintrittspforten für verschiedene Erreger. Hier setzen feine Bändchen an, die besonders leicht Mikroverletzungen erleiden können. Außerdem sitzen hier recht viele Zielzellen, die direkt von HIV infiziert werden könnten – wenn der Penis mit HIV-haltigen Körpersekreten benetzt würde (ein in der Sexarbeit in Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa sehr unwahrscheinliches, aber grundsätzlich mögliches Szenario). Nach einem Kondomversagen, das ungeschütztem GV gleich kommt, ist es daher empfehlenswert, auch den Bereich der Vorhautinnenseite und Bändchen so weitgehend wie möglich zu desinfizieren. Da viruzides Hautdesinfektionsmittel viel stärker wirksam ist als Chlorhexidin, macht es Sinn, in dieser extremen Ausnahmesituation auch Eichel und Vorhautinnenseite ausnahmsweise mit dem dafür eigentlich nicht vorgesehenen viruziden Hautdesinfektionsmittel zu benetzen, und nur die Eichelspitze mit dem Harnröhrenausgang dabei auszulassen (die werden dann mit Octenisept oder Chlorhexidin benetzt). Im Grunde genommen ist dies eine „offiziell nicht vorgesehene Anwendung“ für eine Situation, die es „offiziell ja auch gar nicht geben sollte“. -70- Im Bereich des Harnröhrenausgangs/Eichelspitze brennt das Hautdesinfektionsmittel aber so stark (wenn auch nur vorübergehend), dass man in diesem Bereich auf Octenisept oder Chlorhexidin 0,2 % ausweichen sollte. Auch der Harnröhrenausgang ist eine besonders infektionsgefährdete Stelle, können sich hier doch Erreger von Harnröhrenentzündungen (wie Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen, Ureaplasmen), aber auch HIV und HPV festsetzen. Daher ist eine gründliche Antisepsis mit Octenisept oder Chlorhexidin auch am Harnröhrenausgang erforderlich (dazu etwas aufspreizen); zusätzlich urinieren, um bereits in die Harnröhre eingedrungene Keime wieder auszuspülen. Das Aufspreizen sollte sehr vorsichtig und passiv durch Druck auf die Seitenflächen im vorderen Eichelbereich erfolgen; auf keinen Fall den Harnröhrenausgang in irgendeiner Weise „aufreißen“, da durch feine Einrisse in der Schleimhaut zusätzliche Eintrittspforten (Mikrorisse) geschaffen werden können. -71- Vorgehensweise der „großen Penisantisepsis“ nach Kondomversagen: ● Penis und Genitalregion nach dem GV vorsichtig (druck-/reibungsfrei), aber gründlich mit Seifenlösung/Duschgel unter fließendem Wasser abwaschen; Vorhaut vorsichtig zurückstreifen (auch Vorhautinnenseite waschen!) ● Vorsichtiges Abtrocknen (nicht Rubbeln), Trockentupfen ● Urinieren (Keime aus Harnröhrenausgang herausschwemmen) ● Einige Minuten warten (bis Penisoberfläche durch Verdampfen von Restfeuchte ausgetrocknet ist) ● (ausnahmsweise!) gesamten Penis mit Ausnahme der Eichelspitze/Harnröhrenausgang mit viruzidem Hautdesinfektionsmittel benetzen, danach antrocknen lassen (nicht abwaschen) (Auf der intakten Vorhautinnenseite brennt dies in der Regel ebenso wenig wie an der Eichelbasis; erst wenn dieses Mittel in die Nähe des Harnröhrenausgangs gelangt, beginnt dieser, stark zu brennen, und der Harnröhrenausgang sollte daher auf keinen Fall mit Hautdesinfektionsmittel in Berührung kommen. Da gerade auch die Vorhautinnenseite eine Region mit vielen Eintrittspforten für Infektionserreger ist, macht es in einer solchen Situation ausnahmsweise Sinn, diese mit dem hier grundsätzlich ja erträglichen Hautdesinfektionsmittel zu benetzen). ● Harnröhrenausgang / Eichelspitze mit Octenisept oder 0,2 % Chlorhexidin benetzen oder (besser) in Octenisept oder Chlorhexidin baden; Harnröhrenausgang etwas aufspreizen, damit Octenisept bzw. Chlorhexidin hineinlaufen kann. Ebenfalls antrocknen lassen, nicht abtrocknen. (Harnröhrenausgang durch Druck auf die vorderen Eichelseiten vorsichtig und rein passiv etwas aufspreizen; im Idealfall Eichelspitze mit aufgespreiztem Harnröhrenausgang in der antiseptischen Lösung „baden“, z.B. indem man den Deckel der CHX-Flasche mit etwas CHX füllt und die Penisspitze dort hineinsteckt. Die gründliche Antisepsis am oberflächlich aufgespreizten Harnröhrenausgang ist besonders wichtig, da sich an den Epithelien des Harnröhrenausgangs viele typische STD-Keime anheften, die dann die Harnröhre besiedeln und weiter in den Harnund Genitalwegen aufsteigen können. Das Urinieren trägt dazu bei, eingedrungene Keime von innen auszuspülen). ● Wichtig: später (abends), wenn kein Sex mehr erfolgt, ist eine fettende, hautschonende Creme/Salbe, Babyöl oder Ähnliches am Penis erforderlich, um Hautschäden zu vermeiden (danach kein Kondom mehr benutzen). -72- Nach aktuellem Kenntnisstand ist von diesem Prozedere keine Wirksamkeit gegen HPV zu erwarten, abgesehen davon, dass gründliches Abwaschen mit fließendem Wasser und Seife rein mechanisch die Belastung mit HPV-Viren (die wahrscheinlich an Epithelzellen sitzen, die vom Geschlechtspartner mit übertragen wurden) reduziert. Wer das HPV-Risiko weiter absenken möchte (z.B. mit Rücksicht auf weitere Geschlechtspartner), sollte daher den Penis einige Minuten nach dem antiseptischen Prozedere noch mit Carrageen-Lösung benetzen. Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man sich mit diesem Prozedere außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereiches des viruziden Hautdesinfektionsmittels befindet. Dies ist also nichts für die „Routine“ (also keine Option für häufigen ungeschützten GV mit der privaten Partnerin), sondern eine Notlösung für extreme Ausnahmefälle, die eigentlich im Paysex angesichts des professionellen Umgangs mit Kondomen gar nicht vorkommen dürften. Von einer routinemäßigen Anwendung von Hautdesinfektionsmitteln auf Schleimhaut ist unbedingt abzuraten, zumal nicht absehbar ist, ob bei häufiger Anwendung an der Schleimhaut irgendwelche Schleimhautschäden drohen – denn Hautdesinfektionsmittel sind für Schleimhäute nicht gedacht und nicht getestet. Die „große Penisantisepsis“ ist daher eine Ausnahmelösung für seltene Ausnahmesituationen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Da die Infektionsrisiken beim AV als noch größer einzuschätzen sind als beim GV, ist diese „aggressive“ Vorgehensweise der Penisantisepsis auch beim Kondomversagen beim AV zu empfehlen. Da die massive Entkeimung im Rahmen der „großen Penisantisepsis“ die normale Bakterienflora der Penishaut und -schleimhaut (die beispielsweise über den Säureschutzmantel der Haut auch einen gewissen Schutzeffekt vor Infektionen bieten dürfte) schädigt, könnte das Infektionsrisiko am Penis in den ersten Tagen nach einer „großen Penisantisepsis“ sogar ansteigen – bis sich die normale Flora regeneriert hat. Genau weiß man das nicht – aber denkbar ist das. Daher sollten (erneute) sexuelle Risikosituationen in den ersten Tagen nach einer „großen Penisantisepsis“ sicherheitshalber gemieden werden. Die „große Penisantisepsis“ sollte daher nicht zur Routine werden, sondern nur risiko-/anlassbezogen zum Einsatz kommen. 2.6 Besonderheiten beim AV Bei Verzicht auf Kondome oder Kondomversagen vergleichsweise höheres Infektionsrisiko als beim GV, u.a. wegen der sehr empfindlichen, zu Mikrorissen neigenden Analschleimhaut. Wie Studien an schwulen Männern zeigten, betrifft das erhöhte Infektionsrisiko nicht nur den rezeptiven, sondern auch den insertiven Partner. So ist beispielsweise das HIV-Infektionsrisiko beim AV für den rezeptiven Partner 10 bis 20 x höher als beim GV, für den insertiven Partner aber immerhin 2 bis 3 x höher. Da die Analregion kein „eigenes Schmiermittel“ produziert, ist die Verwendung von größeren Mengen fett- und ölfreien Gleitmittels hier besonders wichtig, um Kondomversagen zu -73- vermeiden. Das Gleitmittel sollte sowohl auf das Kondom wie in den Anus appliziert werden, niemals aber in das Kondom. Die besonders dicken Analverkehr-Kondome sollen gemäß den englischen Safer-SexEmpfehlungen aus dem Jahr 2012 keine Vorteile (aber auch keine Nachteile) gegenüber normalen Latexkondomen bieten. Wegen des höheren Risikos von Kondomrissen sollten latexfreie Kondome zum AV nicht verwendet werden. 2.7 Kondomversagen beim AV wie bei Kondomversagen bei GV; „große Penisantisepsis“ empfehlenswert (► 2.5) 2.8 Postexpositionsprophylaxe (PEP) (HIV) Die PEP kommt wegen Risiken und Kosten nur in extremen Risikosituationen infrage, wie sie bei normaler Sexarbeit in Deutschland kaum zu erwarten sind (z.B. für die FSW bei Kondomversagen mit Ejakulation bei einem bekanntermaßen oder wahrscheinlich HIVpositiven Freier ohne effektive antiretrovirale Therapie). Bei analer Ejakulation kann wegen der höheren Risiken die Indikation etwas großzügiger gestellt werden; dennoch wird die FSW auch in diesem Fall bei einem risiko-unauffälligen Mann kaum eine PEP erhalten oder anempfohlen bekommen. Für einen Kunden kommt eine PEP nach Kondomversagen bei GV und auch selbst bei AV normalerweise nicht infrage, es sei denn, er wüsste, dass die FSW HIV-infiziert ist und nicht unter effektiver antiviraler Therapie steht – ein extrem unwahrscheinliches Szenario angesichts der sehr niedrigen HIV-Durchseuchung von FSW in Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa. Denkbar wäre eine PEP im Falle von unbekanntem HIV-Status, wenn ein deutlich erhöhtes HIVRisiko vorliegt (z.B. Herkunft aus einem Gebiet mit sehr hoher heterosexueller HIV-Verbreitung wie Subsahara-Afrika). Die aktuellen Leitlinien zur PEP (aus 2013) sehen ungeschützten GV oder AV mit einer Sexarbeiterin von unbekanntem HIV-Status nicht als Indikation für eine PEP. Eine Ausnahme besteht bei ungeschütztem GV oder AV mit Personen mit unbekanntem HIV-Status aus Hochprävalenzregionen wie Subsahara-Afrika, wo eine PEP angeboten werden kann (übrigens unabhängig davon, ob es sich um eine FSW handelt oder nicht – was deutlich macht, dass es gar nicht auf den FSW-Status ankommt, sondern auf das Herkunftsland). -74- FA/FT gilt nicht (auch nicht fakultativ!) als Indikation für eine PEP, selbst wenn der ejakulierende Partner bekanntermaßen HIV-positiv ist. Allerdings wird in den Leitlinien auf lokale Maßnahmen (wie Mundspülungen) verwiesen. Auch angesichts von Nebenwirkungen (bis zur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit) und Kosten ist jeder Fall (auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Leitlinien) individuell und eingehend mit einem in der PEP erfahrenen Arzt abzuwägen – Pro und Kontra. Am besten HIVAmbulanz oder Klinik aufsuchen. Enges Zeitfenster für die Einleitung der PEP beachten: bis 2 Stunden nach Ereignis = ideal bis 24 Stunden = auch noch okay; danach sich rasch vermindernde Chancen auf einen Erfolg der PEP ab 72 Stunden = völlig sinnlos Da die Infektion des Mannes bei Kondomversagen beim GV/AV nur über die Penisaußenseite oder den Harnröhrenausgang erfolgen kann, stehen dem Mann (im Gegensatz zur FSW) die oben beschriebenen lokalen Maßnahmen bis hin zur „großen Penisantisepsis“ als unkomplizierte, kostengünstige und sofort selbst umsetzbare, nebenbei risikoarme Risikoreduktionsmaßnahme (allenfalls vorübergehendes brennendes Gefühl am Harnröhrenausgang) zur Verfügung. Diese gehen bereits weit über das hinaus, was die Leitlinien für solche Situationen an lokalen Maßnahmen empfehlen (Waschen). Leitlinie unter folgender URL abrufbar: http://www.aidshilfe.de/sites/default/files/DeutschOsterreichische%20Leitlinien%20zur%20Postexpositionellen%20Prophylaxe%20der%20HIVInfektion.pdf Syphilis Auch in Hinblick auf Syphilis ist eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) möglich. Diese erfolgt im Regelfall durch eine einmalige Gabe eines langwirksamen Penicillins als Spritze (intramuskulär), ggf. aber auch ein Antibiotikum als Tablette. Im Rahmen der Sexarbeit könnte sich eine Situation für eine Syphilis-PEP ergeben, wenn ein Kunde plötzlich den sehr konkreten Verdacht hat, dass eine FSW an einer bisher nicht erkannten Syphilis leiden könnte, z.B. wenn er beim Lecken ein Geschwür entdeckt, das sehr nach einem syphilitischen Primäraffekt aussieht. -75- 2.9 Fellatio (Blasen) beim Mann: Risiko für den Mann Ungeschützte Fellatio (FO) ist für den Mann (= insertiven Partner) keinesfalls so risikoarm, wie dies allgemein angenommen wird. Auch wenn unter normalen Voraussetzungen (kein Blut oder verdünntes Blut, kein Sperma des Vorgängers im Mund, keine offenen Wunden / Herpes usw. im Mund der FSW) für den Mann kein HIV-Risiko besteht (selbst wenn die Frau HIV-infiziert wäre), ist OV für den Mann nicht risikofrei. Gonorrhoe-Erreger oder Chlamydien finden sich nicht so selten auch im Rachenraum von FSW; sie sind aber dort meist symptomfrei oder führen allenfalls selten zu leichten, unspezifischen Beschwerden. Meist Spontanheilung im Rachen der FSW nach Wochen oder Monaten. Allerdings kann die Infektion im Rachen der FSW bei ungeschütztem OV an Freier und Kolleginnen weitergegeben werden und dort dann zu symptomatischen urogenitalen Beschwerden führen, z.B. klassischen Tripper beim Mann, obwohl der Freier nur ungeschützten OV und gar keinen GV hatte. Fellatio gilt als sehr effektiver Übertragungsweg für Gonokokken und Chlamydien. STD-Erreger wie Gonorrhoe, Chlamydien, Mykoplasmen, Herpes können bei FO (und wahrscheinlich verstärkt bei Deep Throat) auf den Harnröhrenausgang übertragen werden und dort zu aufsteigenden Infektionen führen; Syphilis, Herpes und HPV auch auf die äußere Schleimhaut oder Haut des Penis; auch ihre Übertragung auf den Penis ist also nicht zwangsläufig an GV gebunden! Ungeschützter Oralverkehr mit FSW (Fellatio) gilt als häufige Ursache für die Übertragung von Gonokokken und anderen STD-Keimen auf männliche Harn- und Genitalwege (mit dem Harnröhrenausgang als primärem Angriffspunkt). Leider gibt es nur wenige systematische Untersuchungen dazu. 70 % von 414 männlichen Patienten mit Urethritis (Harnröhrenentzündung) in einer Klinik in Japan hatten sich die Infektion durch Kontakt zu einer FSW geholt. In 241 Fällen war der Infektionsweg bekannt: 199 dieser Fälle (82,6 %) gingen auf Oralsex zurück. Von den insgesamt 414 Urethritis-Patienten waren 49,8 % von GonorrhoeErregern betroffen, 11,3 % von Chlamydien und 11,1 % von beiden Keimen. Das Risiko, sich als Freier beim FO mit Chlamydien zu infizieren, könnte bei FSW, die FA/FT betreiben, höher ausfallen als bei FSW, die sich auf FO ohne FA/FT beschränken, da die Infektion des Rachens mit Chlamydien vor allem mit Spermaaufnahme in Zusammenhang zu stehen scheint. Werden bei einer Harnröhrenentzündung nach FO bei einem Freier keine Gonokokken oder Chlamydien gefunden, kommen vor allem auch Mykoplasmen/Ureaplasma, seltener Meningokokken, Herpes simplex, Adenoviren, Pilze (Candida), möglicherweise sogar der „Magenkeim“ Helicobacter pylori als Erreger der durch Oralsex (Fellatio) ausgelösten Harnröhrenentzündung infrage. Meningokokken siedeln nicht selten völlig symptomlos im Rachen; bestimmte Untertypen/Mutanten können aber auch die Harnröhrenschleimhaut besiedeln und dann zu gonorrhoe-artigen Beschwerden führen, wenn sie durch Fellatio (vor allem wohl Deep Throat) dorthin übertragen werden. -76- Außerdem kann Fellatio zu Eichelentzündungen führen (Balanoposthitis). Verantwortlich hierfür sind zum Beispiel Erreger, die auch Mandelentzündungen oder Scharlach verursachen (Streptococcus pyogenes), aber auch Pilze (Candida). In einer japanischen Studie hatten die meisten der Männer, die an einer Eichelentzündung mit Streptococcus pyogenes litten, ungeschützte Fellatio mit einer FSW gehabt. Mikroverletzungen der Eichel oder Vorhaut (z.B. durch Blasen „mit Zahneinsatz“) erleichtern das Zustandekommen solcher Infektionen. Die effektivste Schutzmaßnahme ist daher die Verwendung eines Kondoms auch beim „Blasen“ – also FM statt FO. Wenn es doch zum ungeschützten FO kommt (in Deutschland ab 1.7.2017 untersagt): ● Vorher präzise Absprache, was man genau machen will, ggf. wohin abspritzen. Aufnahme in den Mund ist keine Safer-Sex-Praktik und daher kritisch zu sehen, ebenso sollte auf jeden Fall vermieden werden, dass Sperma ins Auge gelangt. ● Niemals gegen den Willen der FSW in den Mund oder ins Gesicht (Augen!) spritzen (sexuelles Selbstbestimmungsrecht beachten). ● Sperma im Auge brennt und geht mit verschiedenen Infektionsrisiken (z.B. Hepatitis B, HIV, Chlamydien, Gonorrhoe) einher (die Infektion erfolgt dabei über die Schleimhaut der Bindehäute) 2.9.1 Blasen mit Kondom (FM) Mit Kondom: kein Risiko erkennbar, sofern sich das Blasen auf den kondomierten Penisabschnitt beschränkt und das Kondom intakt bleibt. Werden nicht kondomierte Hautabschnitte (oder die Haut des Hodensacks) mit Speichel benetzt, ist dies für den Mann ebenfalls als sehr risikoarme Praktik anzusehen, auch wenn Übertragungen von Herpesviren, HPV oder gar Syphilis grundsätzlich denkbar sind. Bei HPV sind vor allem genitalwarzen-auslösende Typen relevant, so können sich auch am Hodensack Genitalwarzen bilden. Anogenitalwarzen bzw. die sie auslösenden HPV-Typen (6, 11) kommen auch im Mund vor und könnten daher beim Blasen/Lecken auf Penishaut oder auch die Haut des Hodensacks übertragen werden. -77- 2.9.2 Blasen ohne Kondom (FO) Achtung! Innerhalb Deutschlands besteht ab dem 1.7.2017 auch beim Oralverkehr beim Mann (Fellatio am Mann; Blasen) Kondompflicht! (Prostituiertenschutzgesetz). Im Falle des Nichteinhaltens der Kondompflicht liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, deretwegen der Kunde (ggf. auch die Kundin eines Callboys) mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro belegt werden kann (Details s. VORWORT I). Auch wenn Speichel ein erhebliches antivirales und antimikrobielles Potenzial hat (dessen Ausmaß allerdings auch starken individuellen Schwankungen unterliegt), ist FO (für den Mann) nicht als risikolos zu werten (siehe oben). Umfangreiche Zahlen aus Deutschland existieren hierzu nicht, aber man kann davon ausgehen, dass wohl einige Prozent der oral unsafe arbeitenden FSW im Rachen mit Gonokokken, Chlamydien und/oder Mykoplasmen (vorübergehend) infiziert sind, und weiterhin einige Prozent mit dem krebserregenden HPV 16. In den wenigen publizierten Studien aus dem Ausland lagen die Infektionsquoten für die einzelnen Erreger fast immer im einstelligen Prozentbereich, allerdings wurde FO meist nicht so routinemäßig und selbstverständlich praktiziert, wie das in Deutschland bis zum Inkrafttreten des ProstSchG in vielen Settings offiziell und fast selbstverständlich der Fall war. Hinzu tritt das Risiko von reaktiviertem (nicht unbedingt sichtbarem) Herpes und – sehr selten – Syphilis oder Hepatitis B im infektiösen Stadium. Wenn auch wissenschaftlich empfohlen, werden Rachenabstriche oder Spül-Gurgel-Proben keinesfalls immer bei routinemäßigen Check-ups von FSW vorgenommen, und der Nachweis mancher Erreger in diesen Proben ist auch stark von labortechnischen Methoden (Kultur oder PCR/NAAT?) abhängig, was auch eine Kostenfrage darstellt. Die Gonokokkenbelastung im Rachenraum von Risikopersonen (wie FSW oder MSM) wird erheblich unterschätzt, wenn der Erregernachweis durch Kultur erfolgt (Sensitivität unter 50 %). In der Gesamtschau dürfte das Risiko von oral mehr oder weniger ungeschützt arbeitenden FSW, mindestens einen Keim aus der Gruppe Gonokokken / Chlamydien / Mykoplasmen / HPV 6/11/16 im Rachenbereich zu tragen, daher mit 10 % oder darüber einzuschätzen zu sein, abhängig von vielen Einzelfaktoren. Da alle diese Infektionen auch wieder spontan abheilen können, und die bakteriellen Infektionen auch im Rahmen einer aus anderen Gründen verordneten antibiotischen Therapie eliminiert werden können, ist nicht anzunehmen, dass die Gesamtbelastung mit diesen STD-Keimen im Rachen mit dem Alter oder der Dauer der Sexarbeit zwangsläufig ansteigt. Manche Indizien sprechen sogar für ein erhöhtes Risiko bei jungen FSW, u.a. aufgrund ihrer noch geringen Immunkompetenz gegenüber diesen Keimen. -78- Die drei genannten Bakterienarten/-gruppen befallen bevorzugt das Epithel des Harnröhreneingangs und können daher beim Blasen auf diesen übertragen werden. Da sie hauptsächlich im Rachen siedeln, ist anzunehmen, dass das Risiko beim tiefen Blasen oder Deep Throat, wenn der Harnröhrenausgang in Kontakt mit der Rachenschleimhaut gerät, wahrscheinlich größer ausfällt, als wenn der Penis nur mit Lippen und Zunge berührt wird. Die betreffenden Keime setzen sich dann zunächst an der Schleimhaut des Harnröhrenausgangs fest, vermehren sich und steigen dann in den Harn- und Genitalwegen auf. Es resultiert oft eine schmerzhafte Harnröhrenentzündung mit je nach Erreger etwas unterschiedlichen Symptomen (Ausfluss, Brennen, Pinkelreiz usw.). Die Infektionen sind nicht immer symptomatisch; bei Gonokokken zu über 90 %, bei Chlamydien aber nur zu ca. 50 %. Dies bedeutet, dass der Mann andere Geschlechtspartnerinnen (z.B. die heimische Partnerin) anstecken kann, ohne selbst etwas von der Infektion zu bemerken. Ohne Behandlung kann die Infektion auch chronifizieren und zu chronischen Entzündungen z.B. der Prostata oder Nebenhoden führen, bis hin zur Unfruchtbarkeit, oder – über anhaltende chronische Entzündungsreize in der Prostata – einem leicht bis mittelgradig erhöhten Risiko für Prostatakrebs (offenbar abhängig vom konkreten Erreger). Dies bedeutet, dass selbst Männer, die nur safe GV betreiben und darauf achten, dass auch beim Vor- und Nachspiel keine Schmierinfektionen erfolgen, dennoch ein Risiko haben, an Harnröhrenentzündungen bzw. im Urogenitaltrakt aufsteigenden Infektionen durch Gonokokken, Chlamydien oder Mykoplasmen zu erkranken, wenn sie lediglich FO haben praktizieren lassen, wobei nochmals zu betonen ist, dass es biologisch plausibel ist, dass tiefes FO/Deep Throat riskanter sind als feuchte Berührungen mit Lippe und Zunge (das sind aber nur Vermutungen, Studien existieren dazu nicht). In einer Umfrage in einem Freierforum gaben ein Viertel bis ein Drittel der Männer an, nach FO mit einer FSW schon einmal entsprechende Beschwerden verspürt zu haben, und es liegen auch Fallberichte von Freiern vor, aus denen hervorgeht, dass in den konkreten Fällen nur FO mit einer FSW als Ursache z.B. für eine ärztlich diagnostizierte Gonorrhoe beim Mann infrage kam. Wie schon erwähnt, erwies sich in einer Studie aus Japan OV mit FSW als häufigste Ursache für Harnröhrenentzündungen (Urethritis) beim Mann. ● Andere Erreger, die gelegentlich durch FO aus dem Mund bzw. Rachen der Frau auf die männliche Harnröhrenschleimhaut übertragen werden und dort zu einer unangenehmen Harnröhrenentzündung führen können, sind Meningokokken oder verschiedene Viren wie Herpes simplex (siehe auch weiter unten) oder Adenoviren. An solche Keime ist zu denken, wenn keine Gonokokken, Chlamydien oder Mykoplasmen als „die üblichen Verdächtigen“ nachweisbar sind. ● Auch Pilzinfektionen (Candida) an Eichel und Vorhaut wurden nach FO schon berichtet. -79- ● Syphilis kann im Mund zu einem Primäraffekt führen, der mangels Schmerzen leicht unbemerkt bleiben kann, so dass eine Behandlung unterbleibt und die Krankheit als generalisierte Infektion fortschreitet. Ein Primäraffekt kann auch eine vermeintlich harmlose einseitige Mundwinkelrhagade oder eine Herpesläsion vortäuschen. Bei der Fellatio ist eine Übertragung auf den Penis möglich. Im Primärstadium besteht Infektiosität beim FO (aber auch bei Zungenküssen) nur, wenn sich der Primäraffekt im MundRachen-Raum befindet, weil die Infektion zu diesem Zeitpunkt noch auf den Primäraffekt beschränkt ist. Einige Wochen später, wenn sich die Infektion im Körper ausgebreitet hat, ist eine Infektion über den Mund-Rachen-Raum auch dann möglich, wenn die Eintrittspforte für die Erreger im Genital- oder Analbereich lag. ● Bei akuter Hepatitis B oder chronischer/latenter Hepatitis-B-Infektion mit hoher Viruslast im Blut findet sich Hepatitis-B-Virus auch im Speichel. Aufgrund der hohen Infektiosität von Hepatitis B ist eine Übertragung dann auch durch Fellatio denkbar (z.B. über die Harnröhrenschleimhaut oder Mikroverletzungen der Vorhaut). ● Herpes simplex (Typ 1 oder 2) ist selbstverständlich ebenfalls auf diesem Weg übertragbar. Zwar wird HSV-1 bevorzugt durch oral-orale Kontakte und HSV-2 durch genital-genitale Kontakte übertragen, aber auch oral-genitale Übertragungen (und umgekehrt) sind möglich. Herpes-Reaktivierungen sind häufig asymptomatisch, d.h. obwohl keine Beschwerden bestehen, werden Viren ausgeschüttet und der Betreffende ist dann genital und/oder oral infektiös, „obwohl man nichts sieht“. ● HIV: Eine Übertragung von HIV durch Fellatio von einer infizierten Frau auf den Mann muss als sehr unwahrscheinlich, aber nicht völlig unmöglich bewertet werden. Erstens stellen FSW in Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa keine Risikogruppe für HIV dar (es sei denn, es bestehen Risiken außerhalb der eigentlichen Sexarbeit), zweitens findet sich infektiöses HIV im Speichel nur bei wenigen Prozent aller HIV-Infizierten (die nicht diagnostiziert sind bzw. nicht unter Therapie stehen). Zwar wird HIV in die Mundhöhle Infizierter ausgeschüttet, in den meisten Fällen aber vom Speichel sofort deaktiviert, so dass es nicht mehr infektionsfähig ist. Nur wenige Prozent der HIV-Infizierten weisen „infektiösen“ Speichel auf. In diesen Fällen ist allerdings eine Übertragung von HIV bei der Fellatio denkbar, und es gibt einige (wenige) Einzelfälle, in denen solche Infektionen dokumentiert sind, z.B. bei einem impotenten Diabetiker, dem von einer HIV-infizierten Frau geblasen worden war. HIV kann bevorzugt sowohl an die Epithelzellen am Harnröhrenausgang andocken, wie an bestimmte empfängliche Zellen auf der sehr empfindlichen Vorhautinnenseite, wo auch Mikroverletzungen beim Blasen (z.B. durch Zahnkontakt) möglich sind. Wahrscheinlich bedarf es besonderer lokaler Risikofaktoren auf mindestens einer Seite (also im Mund/Rachen der Frau und/oder am Penis des Mannes), oder gar gleichzeitig auf beiden Seiten, damit es auf diesem Wege zu einer HIV-Infektion kommen kann. Ob solche Risikofaktoren vorliegen, ist für den jeweils anderen Partner aber nicht immer erkennbar. -80- Von einem deutlich erhöhten Risiko für den Mann ist auszugehen, wenn der Speichel aus irgendwelchen Gründen bluthaltig ist. Insofern kann man nicht sagen, dass FO in Bezug auf HIV (für den Mann) absolut risikolos wäre. Das Risiko ist aber extrem gering (einmal ganz abgesehen von der sehr geringen HIVDurchseuchung von FSW in Deutschland und West-/Mitteleuropa) und wird dabei durch das Fehlen oder Vorhandensein von lokalen Risikofaktoren wie Wunden und Geschwüren (z.B. durch Herpes) an/in Lippe/Mund/Rachen der Frau oder am Penis des Mannes moduliert – aber auf einem nach wie vor extrem niedrigen Risikoniveau. ● HPV: HPV siedelt besonders im Rachenraum, kann aber auch die Mundschleimhaut besiedeln, und lässt sich bei Infizierten z.B. durch Spül-Gurgel-Proben nachweisen. Daher ist eine Übertragung von HPV aus dem Mund-Rachen-Raum einer infizierten FSW auf den Penis grundsätzlich möglich. Sofern bisher Daten vorliegen, sind nur wenige Prozent (ca. 1 bis 6 %) der FSW mit dem besonders gefährlichen HPV 16 im Mund-Rachen-Raum infiziert. Allerdings gibt es keine statistisch soliden Daten von FSW, von denen konkret bekannt ist, dass sie routinemäßig FO betreiben, und sich daher möglicherweise höheren Infektionsrisiken aussetzen. Fellatio stellt grundsätzlich einen Weg dar, wie HPV auf den Penis gelangen kann. Da es bevorzugt im Rachenraum siedelt, ist tiefes Blasen/Deep Throat wahrscheinlich riskanter. HPV-Übertragungen auf die Schleimhaut oder Haut des Penis sind für den Mann selbst in den meisten Fällen unproblematisch, denn sie heilen nach einigen Monaten wieder ab. HPVbedingter Peniskrebs ist sehr selten. Kritischer ist aber das Infektionsrisiko für weitere Partnerinnen zu sehen, auf die dann HPV vom Penis beim ungeschützten GV (und in reduziertem Umfang auch beim geschützten GV) übertragen werden kann. Es gibt weltweit mehrere Studien, die darauf hinweisen, dass private Partnerinnen/Ehefrauen von Freiern ein doppelt oder sogar mehrfach höheres Risiko für cervikale Dysplasien und Gebärmutterhalskrebs haben als die Partnerinnen von Männern, die keine Sexarbeit in Anspruch nahmen. Da auch genitalwarzenauslösende HPV-Typen im Mund-Rachen-Raum vorkommen, kann FO auch zu Genitalwarzen führen, z.B. am Penis, aber auch am Hodensack. Besonders unangenehm sind Genitalwarzen am Harnröhrenausgang, da sie dort schwer zu behandeln sind und auch in der Harnröhre weiter aufsteigen können, was erhebliche Beschwerden und unangenehme Behandlungen nach sich zieht. Fazit: trotz der hohen antibakteriellen und antiviralen Wirksamkeit von Speichel ist FO mit einer FSW für den Mann nicht risikolos und auch nicht risikoarm, wie dies gelegentlich dargestellt wird, wenn man sich auf die Betrachtung des HIV-Risikos beschränkt, das – sofern Penisschleimhaut/-haut unauffällig und unverletzt sind – außerhalb von Sondersituationen (wie z.B. Blut im Mund/bluthaltiger Speichel) tatsächlich als extrem gering einzuschätzen ist. -81- Praktische Konsequenzen ● Verzicht auf FO und die Verwendung von Kondomen beim Blasen bieten daher einen idealen Schutz (= FM) (in Deutschland ab 1.7.2017 verpflichtend). ● Deep Throat dürfte (wegen der höheren Infektionsrisiken bei Kontakt mit den Rachenbereichen) mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergehen. ● Alternativ kommt nach FO eine Risikoreduktion durch die „erweiterte Penisantisepsis“ infrage, bei der, wie an anderer Stelle ausführlich beschrieben, die Hautabschnitte des Penis mit einem viruziden Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept benetzt werden, und die Schleimhautabschnitte des Penis (aufgespreizter Harnröhrenausgang, Eichel, Innenseite der zurückgestreiften Vorhaut) mit 0,2 % CHX oder Octenisept (0,1 % Octenidin). ● Außerdem Urinieren (Herausspülen von Keimen, die in die Harnröhre gelangt sind) (► Anlage 4). Ein Schutz vor HPV ist bei diesem Prozedere allerdings nicht zu erwarten, da Schleimhautantiseptika, aber auch die in Deutschland auch für Laien gängigen Hautdesinfektionsmittel wahrscheinlich gegenüber HPV wirksam sind. HPV-Infektionen im Schleimhaut- und Hautbereich (sowohl krebserregende HPV-Typen wie auch Genitalwarzen) bleiben daher nach dem oben beschriebenen Prozedere weiterhin möglich. Dieses Risiko lässt sich nur verringern entweder durch HPV-Impfung oder möglicherweise (experimentell) durch Benetzung der Schleimhaut- und Hautareale des Penis mit einer carrageen-haltigen Lösung, die dann zeitlich getrennt (mindestens einige Minuten Zeitabstand von Hautdesinfektionsmittel bzw. Octenisept oder CHX) anzuwenden wäre. -82- 2.10 Freier leckt ungeschützt bei FSW – Cunnilingus: Risiko für den Mann (► Anlage 2) Freier, die bei FSW ungeschützt lecken (z.B. 69er), gehen (pro Akt gesehen) sogar ein höheres STD-Risiko ein als FSW, die bei Männern (ohne Aufnahme) „blasen“; Grund ist die höhere STIBelastung der genitalen Schleimhäute bei FSW. Bei jungen Berufsanfängerinnen sind die Risiken besonders hoch, da diese in noch größerem Umfang genital mit HPV und bakteriellen STDs besiedelt sind. HPV kann nach vielen Jahren – unterstützt durch Rauchen, auch Alkohol, aber auch bei Nichtrauchern und Nichttrinkern – zu Krebs vor allem im Rachenraum führen. Daher dringende Empfehlung: lecken nur geschützt (Lecktuch, Dental Dam, Femidom, notfalls Plastikfolie = Barrieremethoden). Wenn entgegen diesem dringenden Rat doch ungeschützt geleckt wird/werden soll: ● man sollte nichts tun, wovor man Bedenken oder Angst hat oder sich nicht dabei wohl fühlt (dann besser ganz sein lassen oder mit Schutz/Barrieremethode lecken) ● es ist keinesfalls selbstverständlich, dass FSW vom Kunden Cunnilingus erwarten oder dies auch selbst wirklich genießen (wie der Kunde wahrscheinlich vermutet); manche FSW tolerieren es, manche lehnen es auch konsequent ab. Manche FSW wünschen und genießen es aber auch wirklich. In diesem Punkt besteht eine erhebliche Heterogenität aufseiten der FSW. ● HPV-Impfung erwägen (hohes HPV-Risiko auf Genitalschleimhäuten von FSW; ganz besonders bei jungen FSW); Hepatitis-B-geimpft? ● genitale Schleimhäute anschauen: unauffällig, kein krankhaft wirkender Ausfluss? ● kein ungeschützter OV bei Geschwüren, Wunden, Allergien, Herpes an Lippen, im Mund oder im Rachen des Kunden sowie nach zahnärztlicher Behandlung (Eintrittspforten!; aber auch Ansteckungsrisiko für die FSW, z.B. bei Herpes an den Lippen) ● safer arbeitende FSW? (sonst womöglich Spermaspuren der Vorgänger!) (daran denken, dass auch bei safe arbeitenden FSW Spermareste vom privaten Partner vorhanden sein könnten – es sei denn die FSW ist Single oder nur besuchsweise in Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa) ● lässt sich die FSW (freiwillig) regelmäßig auf STDs untersuchen? ● mindestens in den Tagen vor einem geplanten Besuch bei einer FSW tägliche antiseptische Mund-/Rachen-Spülung; dadurch sinkt die Entzündlichkeit im Mund und Rachen, deshalb wohl weniger Eintrittspforten für verschiedene STD-Erreger; das Infektionsrisiko im Mund-RachenRaum sinkt (auch für HPV) ● kein Zähneputzen oder Zahnseide-Fädeln in der Zeit vor und nach dem ungeschützten Oralverkehr (mindestens eine Stunde Karenzzeit, besser noch größerer Zeitabstand) (Grund: -83- Mikroverletzungen, dadurch Schaffen von Eintrittspforten für Krankheitserreger; Auslösen von Zahnfleischbluten). ● bei nächster Gelegenheit nach dem Lecken: Mund ausspucken, mit Wasser ausspülen, dann Spülen und Gurgeln mit 0,2 % Chlorhexidin, PVP-Jod (Betaisodona Mund Antiseptikum) oder hochprozentigem Alkohol; nachrangig kommen auch alkoholhaltige Spüllösungen mit ätherischen Ölen infrage. Octenisept und PVP-Jod sind wahrscheinlich noch stärker und schneller gegenüber STD-Erregern wirksam als 0,2 % CHX; wegen des über Stunden anhaltenden bitteren Geschmacks ist Octenisept in seiner Anwendung aber unangenehmer als CHX oder PVP-Jod, und für die Daueranwendung ist Octenisept nicht vorgesehen (nur kurzfristig). PVP-Jod ist auch geschmacksintensiv, selbst in der vom Hersteller vorgesehenen Verdünnung (1 : 4), schmeckt allerdings eher wie ein Kräuterschnaps, und der Nachgeschmack hält nicht so lange an wie im Falle von Octenisept. Auch wird der Geschmack bei späterem Essen nicht beeinträchtigt. Entgegen den Erwartungen erfolgt keine anhaltende Verfärbung im Mund (die direkt nach dem Spülen leicht gelblich gefärbte Zunge entfärbt sich innerhalb von einer Minute). ● nicht während der Periode lecken; Blutgeschmack? (Lecken sofort abbrechen, Ausspucken, Ausspülen, antiseptisches Spülen und Gurgeln mit hoch wirksamen Präparaten wie PVPJod/Betaisodona, Octenisept oder hochprozentigem Alkohol, notfalls 0,2 % CHX). Weder Chlorhexidin 0,2 %, PVP-Jod, Octenisept oder hochprozentiger Alkohol sind zur Daueranwendung (täglich) geeignet, bei gelegentlichem ungeschützten Lecken stellen sie aber Mittel der Wahl dar, um eine mögliche Belastung mit STD-Keimen im Mund und Rachen nach dem Lecken eventuell abzumildern. Weder von CHX, Octenisept noch von Alkohol kann ein direkter Effekt gegen HPV erwartet werden (daher Empfehlung, die HPV-Impfung in Betracht zu ziehen, oder die unten beschriebene Carrageen-Periexpositionsprophylaxe als experimentelles Verfahren zu erwägen; vgl. Anlage 2). Im Falle von PVP-Jod gibt es dagegen gute Indizien für eine HPV-Wirksamkeit, dies ist aber nicht so gut untersucht wie für Carrageen. Wer selten bei FSW leckt, kann auch eine Periexpositionsprophylaxe mit 0,2 % CHX erwägen. Da CHX aufgrund seiner guten Haftkraft einen mehrstündigen Depoteffekt auf der Mund- und Rachenschleimhaut entwickelt, würde man vor dem Date, bei dem Lecken geplant ist, mit CHX spülen und gurgeln, um ein CHX-Depot aufzubauen, und nach dem Date erneut mit CHX oder alternativ mit Octenisept, PVP-Jod oder hochprozentigem Alkohol spülen und gurgeln (die Reihenfolge ist wichtig: kein Alkohol vor dem Oralsex, da die Empfänglichkeit der Mundschleimhautzellen für manche Krankheitserreger nach Alkoholwirkung vorübergehend für einige Stunden ansteigt). Eine Anwendung von Octenisept vor dem Date ist nicht zu empfehlen, weil der bittere Geschmack beim Küssen irritieren dürfte. Auch Octenisept hat aber – wie CHX – eine Depotwirkung auf der Schleimhaut. PVP-Jod hat den Nachteil des hohen Alkoholgehaltes. Dies alles spricht dafür, bei der Periexpositionsprophylaxe lediglich Chlorhexidin 0,2 % vor dem Lecken anzuwenden, während man nach dem Lecken zwischen stärker wirksamen Antiseptika wählen kann, wobei – bei gelegentlicher Anwendung – PVP-Jod wegen seiner exzellenten Wirksamkeit, guten Schleimhautverträglichkeit und des akzeptablen Geschmacks und Nachgeschmacks Mittel der ersten Wahl wäre (Octenisept und Alkohol überlegen), sofern man -84- sich mit einem sehr starken Antiseptikum „absichern“ und nicht auf CHX 0,2 % beschränken möchte. Aufgrund des karzinogenen Potenzials von hochprozentigem Alkohol (besonders bei Rauchern) kommt dieses Prozedere (CHX vor dem Lecken, Alkohol oder PVP-Jod danach) aber nur für Freier infrage, die nicht täglich bei FSW lecken. In Sachen HPV-Prävention bleibt aber neben der Impfung nur noch die Möglichkeit der experimentellen Periexpositionsprophylaxe mit Carrageen, das nicht nur im Labor, sondern auch in klinischen Tests HPV-inaktivierend wirkt (► Anlage 2). 2.11 Routinemäßige Penisantisepsis nach dem Sex („kleine/erweiterte Penisantisepsis“) Kondome bieten einen guten, aber unvollständigen Schutz vor STDs, auch abhängig von den jeweiligen Keimen. Ein nahezu perfekter Schutzeffekt gegenüber HIV steht ein immer noch effektiv vorhandener, aber doch eingeschränkter Schutzeffekt vor allem gegenüber HPV (krebsund genitalwarzenerregendem HPV), Herpes simplex Typ 2 (HSV-2) und Syphilis gegenüber, und die anderen STD-Keime liegen zwischen diesen Extremen. Genau beziffern lässt sich die Risikoreduktion durch Kondome bis heute nicht. Besonders gegenüber HSV-2 gilt der Effekt aber als vergleichsweise schwach (ca. 30 % Risikoreduktion). Und Kondome können natürlich keinerlei Schutzeffekt bieten, wenn sie nicht angewandt werden – wie beim FO, aber auch Anwendungsfehler und daraus ggf. resultierendes Kondomversagen reduzieren den Schutzeffekt. Daneben bestehen Infektionsrisiken am Penis auch außerhalb des eigentlichen GV, z.B. beim Pussy Sliding ohne Kondom. Gründe für den eingeschränkten Schutzeffekt von Kondomen (wobei hier nur die Kundenseite, also das Risiko für Freier, betrachtet wird): ● unterlassene Kondomanwendung bei bestimmten Sexpraktiken wie z.B. FO, Pussy Sliding ● Fehler in der Kondomanwendung, Kondomversagen, Kondomriss, Kondomverlust (Abrutschen des Kondoms) ● Hochrutschen des Kondoms beim GV, dadurch großflächiger Kontakt ungeschützter Penishaut mit weiblichen Genitalschleimhäuten/-sekreten ● Benetzung der basalen, nicht kondomgeschützten Penisabschnitte mit weiblichen Genitalsekreten während des GV (je nach Eindringtiefe, GV-Position, Ausmaß der Produktion von Genitalsekreten) ● Kontamination der Penishaut oder -schleimhaut beim Abziehen des Kondoms (Genitalsekret von der Kondomaußenseite wird auf Penishaut/-schleimhaut übertragen) ● Berührung (auch versehentlich) der weiblichen Genitalschleimhäute mit dem unkondomierten Penis beim Vor- oder Nachspiel (Extremfall: „Schlittenfahrt“ – Pussy Sliding). ● Berührung des unkondomierten Penis mit Händen, die mit weiblichem Genitalsekret benetzt sind (z.B. nach dem Fingern; z.B. beim Aufsetzen des Kondoms) -85- ● (nur für manche Keime relevant): Schmierinfektionen über Textilien, Tücher usw. Es gibt also mehrere Möglichkeiten, wie sich der Kunde sogar trotz korrekter (!) Kondomanwendung während des GV oder AV, sowie zeitlich auch davor oder danach, mit einer STI anstecken kann. Auf das Risiko von FO wurde oben schon separat eingegangen, aber selbst GVM bietet ein Restrisiko. Dabei ist vor allem der Harnröhrenausgang besonders empfänglich für manche typischen STDKeime wie Gonokokken, Chlamydien, Trichomonaden und Mykoplasmen, da diese auf dem Epithel der Harnröhre ideale Lebens- und Vermehrungsbedingungen finden, und zu aufsteigenden Infektionen (Harnröhrenentzündung, ggf. sich weiter in die Samenwege oder Prostata ausbreitend) führen können. Der Harnröhrenausgang ist damit ein besonders kritischer Infektionsort. Die basalen, nicht geschützten Penisabschnitte sind dagegen vor allem unter dem Aspekt von HPV und HSV-2 zu sehen. Diese Infektionen werden meist (HSV-2) oder in der Regel (HPV, außer im Falle von Genitalwarzen) gar nicht bemerkt, können dann aber auf weitere Partnerinnen übertragen werden – mit moderatem Risiko beim kondomierten Sex und größerem Risiko beim ungeschützten Sex. Betrachtet man das „Gesamtpaket“ der hier zur Diskussion stehenden STDs, gewichtet nach ihrer krankmachenden Relevanz für den Freier, so ergibt sich folgende Risikoabstufung für eine Infektionsübertragung von den Genitalien und/oder aus dem Mund-Rachen-Raum der FSW auf den Penis: AV ungeschützt >>> GV ungeschützt >>> GV mit Kondomversagen >>> GV geschützt + Deep Throat >>> nur Deep Throat >>> GV geschützt + FO >>> nur FO >>> GV geschützt mit oder ohne FM >>> nur FM (nahezu risikolos) „FO“ und „geschützter GV“ stellen insofern verringerte Risiken im Vergleich zum ungeschützten GV (oder AV) dar, wobei das Risiko von FO für sich allein genommen aber höher einzuschätzen ist als das von geschütztem GV allein. Allerdings dürfte dabei auch eine Rolle spielen, ob die FSW häufig oder selten FO betreibt, ob sie sich regelmäßigen Untersuchungen unterzieht, ob diese auch Rachenabstriche/spülproben umfassen usw. Insofern kann man diese Rangfolge nur als eine grobe Orientierung sehen, die von vielen Einflussfaktoren abhängig ist. Von FM dürfte kein Risiko ausgehen, sofern das Kondom intakt bleibt. Ein indirektes Risiko könnte von FM allerdings dann ausgehen, wenn nach heftigem FM das Kondom strapaziert ist und vor GV oder AV nicht gewechselt wird und dann beim GV oder AV reißt. „GV mit Kondomversagen“ wird als günstiger eingestuft als von vornherein ungeschützter GV, da Expositionsdauer und –menge beim GV mit Kondomversagen geringer sind. Deep Throat muss als deutlich höheres Risiko angesehen werden als „normales“ FO mit Einsatz von Zunge und Lippen. -86- Diese Sachlage macht es sinnvoll, zum Eigenschutz und/oder Schutz der privaten Partnerin zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen über die Kondomnutzung beim GV hinaus zu ergreifen, um Restrisiken, die sich auch aus kondomgeschütztem GV und vor allem auch aus FO (besonders Deep Throat) ergeben, weiter zu reduzieren (FO ist ab 1.7.2017 in Deutschland untersagt). Das Standardverfahren nach sexuellem Kontakt ist das Abwaschen der Genitalien mit fließendem Wasser und Seife. Dies wird auch in den Empfehlungen zur PEP so beschrieben. Die Vorhaut muss dazu zurückgezogen werden und auch die Vorhautinnenseite vorsichtig, also drucklos, gewaschen werden. Die Benutzung von Seife (oder Seifenlösung/Duschlotion) ist dabei wesentlich, da auf diese Weise mehr Keime entfernt oder auch direkt inaktiviert werden, als mit reinem Wasser. Allerdings gibt es Hinweise, dass das Waschen allein nicht ausreicht bzw. nicht das erreichbare Optimum darstellt. Bei Frauen (FSW) erwies sich in vielen Studien das Scheidenwaschen nach dem GV sogar als nachteilhaft (erhöhte Infektionsrisiken, bakterielle Vaginosen), was sich aber so direkt nicht auf die Männer bzw. den Penis übertragen lässt, da in der Scheide ein spezielles mikrobielles Milieu herrscht (in dem Laktobazillen, besonders wasserstoffperoxid-bildende, überwiegen sollen und durch die von ihnen gebildete Säure und Wasserstoffperoxid virale und bakterielle STD-Keime sowie Pilze abtöten bzw. „kleinhalten“ sollen). Dieses Milieu sollte durch Waschen, besonders aber auch durch Seifen oder Antiseptika nicht gestört werden – sonst entwickelt sich die natürliche Flora in eine „ungünstige Richtung“ (z.B. bakterielle Vaginose oder Mischflora), und die Infektionsrisiken steigen. Das ist aber eine Spezialsituation, die sich nicht 1 : 1 auf Männer übertragen lässt, aber davor warnt, den Wert des Waschens mit Wasser und Seife als zu hoch einzuschätzen. Durch das Waschen werden Lipide (Fette) aus der Haut geschwemmt und weggespült, die Haut wird fettärmer und anfälliger, auch für Mikrodefekte. Studien in Afrika zeigten sogar, dass Männer, die in den ersten drei Minuten nach ungeschütztem GV mit sicher oder wahrscheinlich HIVpositiven Frauen die Genitalien wuschen, ein höheres HIV-Risiko hatten als jene Männer, die sich gar nicht oder erst nach 10 Minuten wuschen. Waschen mit reinem Wasser war dabei wiederum ungünstiger als Waschen mit Wasser und Seife. Man vermutet, dass das saure Vaginalsekret aufgrund des pH-Wertes HIV offenbar recht effektiv inaktiviert, und wenn dieses zu schnell abgespült wird, geht dieser antimikrobielle Effekt des Vaginalsekrets verloren. Wasser (ohne Seife) könnte aufgrund seiner pH-Neutralität das Überleben von HIV sogar fördern (im Vergleich zum sauren Vaginalsekret, aber auch zu Seifenlösungen). Diese Erkenntnisse spielen jetzt für die Sexarbeit in Deutschland keine unmittelbare Rolle, weil das HIV-Risiko hier so gering ist, dass für die Freier die Risiken ganz anderer Keime (wie Gonokokken, Chlamydien, HPV, HSV-2 usw.) im Vordergrund stehen. Daher kann man aus den afrikanischen Studien, die sich konkret auf HIV bezogen, nicht die Empfehlung ableiten, man müsse nach Abschluss des GV noch 10 Minuten oder länger bis zum Duschen/Waschen warten. In der Realität der Sexarbeit wird es aber ohnehin meistens so laufen, dass nach dem Ende des GV noch einige Minuten vergehen, bis der Kunde zur Penisreinigung kommt. Auf der anderen Seite legen diese Daten aus Afrika eine gezielte Penisantisepsis geradezu nahe: wenn schon Vaginalsekret (allein aufgrund seines pH-Wertes und einiger antimikrobieller Stoffe) auf dem Penis antiseptisch wirkt (obwohl dies doch gerade eine der Körperflüssigkeiten -87- ist, vor denen man sich „hüten“ sollte!) – wie viel wirksamer werden dann Hautdesinfektionsmittel auf der Penishaut und Schleimhautantiseptika auf der Penisschleimhaut und am Harnröhrenausgang sein? Die „große Penisantisepsis“ nach Kondomversagen (Riss, Abrutschen, dadurch mehr oder weniger funktionell ungeschützter GV oder AV) wurde bereits oben beschrieben. Dies ist ein Extremszenario für seltene Ausnahmefälle (nicht für die Routine!), wo der gesamte Penis einschließlich der ebenfalls sehr infektionsanfälligen Vorhautinnenseite mit einem begrenzt viruziden Hautdesinfektionsmittel benetzt wird, und nur die Eichelspitze und der Harnröhrenausgang (die für die Anwendung eines solchen Mittels zu empfindlich sind: Schmerzen, Brennen) werden dabei ausgelassen; stattdessen wird die Eichelspitze mit dem etwas aufgespreizten Harnröhrenausgang mit einem Schleimhautantiseptikum (Octenisept oder 0,2 % CHX) benetzt oder – besser – in der Kappe (Deckel) der Spüllösungsflasche „gebadet“. Für die Routine außerhalb von besonderen Risikosituationen (die es ja eigentlich gar nicht geben sollte oder dürfte) ist dieses Verfahren aber zu aggressiv und auch unangenehm, da der in der Nähe des Harnröhrenausgangs verdampfende Alkohol des Hautdesinfektionsmittels dort ein vorübergehendes brennendes Gefühl hinterlässt. Für die „Routine“ nach geschütztem GV und/oder FO mit FSW eignen sich die „kleine“ bzw. „erweiterte“ Penisantisepsis und die „HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung“. Dabei werden die „offiziellen“ Anwendungsbereiche der dabei eingesetzten Mittel nicht überschritten: das begrenzt viruzide Hautdesinfektionsmittel benetzt die äußere Penishaut, und das Schleimhautantiseptikum die Penisschleimhaut (Eichel, Penisfurche, Vorhautinnenseite, Harnröhrenausgang). Als Mittel für die Hautdesinfektion sollten „begrenzt viruzide“ Hautdesinfektionsmittel zum Einsatz kommen. Da nach derzeitigem Kenntnisstand die handelsüblichen Hautdesinfektionsmittel, die auch durch Laien angewandt werden können, ohnehin nicht gegen HPV wirken (selbst wenn sie als „viruzid“ deklariert sind), reichen grundsätzlich auch „begrenzt“ viruzide Hautdesinfektionsmittel, die behüllte Viren wie HIV, Hepatitis B, Herpes simplex abtöten. „Viruzide“ Mittel bieten allerdings weitere Vorteile, wirken sie z.B. auch gegen Durchfallerreger wie Noro-Viren. Im STD-Kontext wären „viruzide“ Mittel dann interessant, wenn sie auch gegen HPV wirken wären. Dies scheint aber nach neuen Untersuchungen aus dem Jahr 2014 nicht der Fall zu sein. Bis vor wenigen Jahren konnte man HPV-Viren nicht züchten. Man hat daher andere unbehüllte Viren, die man züchten konnte und von denen man annahm, dass sie sich biologisch ähnlich verhalten wie HPV, als „Ersatz“ genommen und in Versuchen mit Desinfektionsmitteln getestet. Wurden die „Ersatzviren“ inaktiviert, ging man davon aus, dass auch HPV abgetötet würde. Schließlich gelang es aber, in dreidimensionalen, komplexen Zellkulturen aus Epithelzellen, die die normale Struktur eines Epithels nachbauen, HPV 16 und HPV 18 anzuzüchten und die Virionen auch „reifen“ zu lassen. Als man diese dann gegen Desinfektionsmittel testete, war man erstaunt, wie resistent diese Viren selbst gegenüber Desinfektionsmitteln sind, die man üblicherweise als „voll-viruzid“ annahm. Selbst 95 % Alkohol wirkte nicht. Man fand zwar zwei -88- Desinfektionsmittel, die hoch wirksam gegen HPV sind, diese sind aber nicht als Hautdesinfektionsmittel verfügbar. Die Unwirksamkeit gängiger Desinfektionsmittel gegen HPV stellt ein Problem für die Medizin dar, so dass mittelfristig damit zu rechnen ist, dass Mittel auf den Markt kommen, die auch HPV inaktivieren, oder bereits marktgängige Mittel auf ihre Wirksamkeit gegen HPV nun direkt getestet werden (bisher wurden sie ja an „Ersatzviren“ getestet). Früher oder später wird es wohl Hautdesinfektionsmittel geben, von denen man sicher weiß, dass sie HPV-wirksam sind. Solange dies aber nicht der Fall ist, sollte man sicherheitshalber davon ausgehen, dass Hautdesinfektionsmittel nicht gegen HPV wirken. Und wenn es irgendwann HPV-wirksame Hautdesinfektionsmittel gibt, die auch für Laien nutzbar sind, wird sich dann immer noch die Frage stellen, ob diese dann wahrscheinlich sehr aggressiven Mittel auch am Penis, in Schleimhautnähe oder mit Schleimhautkontakt angewandt werden dürfen? PVP-Jod scheint aufgrund mehrerer Indizien gegen HPV wirksam zu sein, eignet sich aber aus verschiedenen Gründen nicht für die Penisantisepsis im Rahmen der Sexarbeit (starkes Brennen am Harnröhrenausgang wegen des Alkoholgehaltes; Problem der Braunfärbung/Handhabung der Lösung, hohe Kosten). Carrageen (als Algenextrakt) ist kein Desinfektionsmittel, aber ein Stoff, der (am besten in der Form von iota-Carrageen) die Infektiosität von HPV hemmt, ohne das Virus selbst zu zerstören. Seine Wirksamkeit ist also mehr „biologisch“ als „chemisch-toxisch“. Dabei wirkt es auch noch gegen andere Viren (wie HIV und Herpes simplex), wenn auch nicht so stark wie ein Desinfektionsmittel bzw. konzentrationsabhängig. Die Wirksamkeit von Carrageen, besonders iota-Carrageen, gegen HPV ist nicht nur im Labor bestätigt, sondern auch in klinischen Studien z.B. mit vaginalen Mikrobiziden und einem carrageen-haltigen Gleitmittel (Divine 9). Solange es kein anerkanntes Hautdesinfektionsmittel gegen HPV gibt, erscheint die Anwendung von Carrageen-Lösung oder –Spray als die einzige auch für Laien umsetzbare Möglichkeit (außer der HPV-Impfung), HPV-bedingte Risiken zu verringern bzw. das Übertragungsrisiko auf Geschlechtspartner zu minimieren. Da Carrageen nicht gegen Bakterien wirkt, greift man mit der Carrageen-Anwendung beispielsweise auf intakter Penishaut nicht in die schützende Hautflora auf dem Penis ein, schädigt also auch nicht den natürlichen Säureschutzmantel der Haut, kann aber dennoch von antiviralen Effekten ausgehen, die auch (konzentrationsabhängig) über HPV hinaus reichen. Da das in Österreich hergestellte Nasenspray Coldamaris prophylactic etwa 0,12 % iotaCarrageen enthält, stellen diese 0,12 % einen Referenzwert dar, wie viel iota-Carrageen man mindestens nehmen sollte, wenn man sich eine Carrageen-Lösung herstellt (bei kappaCarrageen müsste man etwa die 10-fache Menge nehmen, um Laborversuchen zufolge dieselbe Wirksamkeit gegen HPV zu erreichen). Als Schleimhautantiseptikum eignet sich Octenisept oder Chlorhexidinlösung (CHX) in der höchsten in Deutschland als Mundspüllösung erhältlichen Dosierung (0,2 % CHX). CHX wird -89- auch in manchen Präparaten im Urogenitalbereich eingesetzt, man befindet sich also damit nicht außerhalb seines prinzipiellen Anwendungsbereiches; die Mundspüllösung ist aber am einfachsten zu erhalten (apothekenpflichtig). CHX besitzt ein weites Spektrum der Wirksamkeit gegen STD-Keime (HIV, Herpes simplex, Gonokokken, Chlamydien; Hepatitis B), nicht aber gegen HPV. Octenisept wirkt ebenfalls gegen alle genannten STD-Keime (außer HPV), auch gegen Pilze (Candida albicans). Im direkten Vergleich mit CHX erwies sich Octenisept gegenüber der überwiegenden Mehrzahl der getesteten bakteriellen Krankheitserreger (leider wurden keine STD-Keime in den Vergleichstest einbezogen) als überlegen, sowohl was die Stärke wie die Schnelligkeit der bakteriziden Wirkung betraf. Dies galt auch in Bezug auf den Pilz Candida. Es ist daher zu vermuten, dass Octenisept auch gegenüber STD-Erregern stärker und schneller wirksam ist als CHX 0,2 %, und der Ano-/Urogenitalbereich ist einer der offiziellen Haupteinsatzgebiete für Octenisept, und es verursacht dort auch keine Beschwerden (z.B. kein brennendes Gefühl). Octenisept ist sogar als Vaginaltherapeutikum zur Behandlung von Vaginalinfektionen verfügbar. Dies spricht stark dafür, Octenisept als Mittel der ersten Wahl für die Schleimhautantisepsis im Penisbereich anzunehmen (vor CHX 0,2 %). Da es allerdings (im Gegensatz zu CHX 0,2 %) aufgrund des anhaltenden bitteren Geschmacks weniger zum Gurgeln geeignet ist, kann es für den Freier praktischer sein, auf CHX 0,2 % zurückzugreifen, weil er dies sowohl für die Antisepsis der Penisschleimhaut wie zum Mundspülen/Gurgeln im Falle von ungeschütztem Oralsex (Lecken) einsetzen kann. Andererseits bietet Octenisept den Vorteil, dass es auch zur Antisepsis der Hautanteile des Penis geeignet ist, während CHX 0,2 % hierfür „zu schwach“ sein dürfte (wenn auch nicht völlig nutzlos). Schließlich ist CHX in 0,2%-iger Lösung kein Hautantiseptikum (dazu wären viel höhere Konzentrationen erforderlich) (Details s. Anlage 4). Bei der „kleinen“ Penisantisepsis kommt nur das Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept zum Einsatz. Es werden nur die basalen Penisabschnitte damit benetzt, die beim GV nicht kondomgeschützt waren, für den Fall, dass sie beim GV/AV mit Genitalsekreten oder – schleimhäuten in Kontakt getreten sind. Eine Beschränkung der Penisantisepsis auf den Penisschaft macht dagegen keinen Sinn nach FO, und sie kann auch Risiken nicht ausschließen, die durch Kontamination der vorderen, schleimhautbedeckten Penisabschnitte beim Abziehen des Kondoms oder beim Vor- oder Nachspiel z.B. im Rahmen von Schmierinfektionen verursacht wurden. Zielsetzung der „kleinen Penisantisepsis“ ist unter anderem der Schutz der privaten oder anderer Partnerinnen vor einer Übertragung vor allem von HSV-2. Eine Wirksamkeit gegen HPV ist nicht zu erwarten, so dass ergänzend (mit einigen Minuten Zeitabstand) oder alternativ die „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung (statt Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept) praktiziert werden sollte, die neben HPV auch gegen andere Viren wirkt (wenn auch nicht so stark wie ein Hautdesinfektionsmittel), aber den Vorteil bietet, die normale Hautflora auf dem Penis zu schonen. Je nach Situation kann die „erweiterte“ Penisantisepsis zweckmäßiger sein, bei der – zusätzlich zur Anwendung des Hautdesinfektionsmittels oder von Octenisept auf den Hautarealen des -90- Penis – die vorderen Penisabschnitte (Eichel, Penisfurche, Vorhautinnenseite) mit Octenisept oder 0,2 % CHX benetzt werden, und der aufgespreizte Harnröhrenausgang ebenfalls intensiv mit Octenisept oder CHX 0,2 % benetzt, besprüht oder darin gebadet wird. Wie bei der „großen“ Penisantisepsis gehört auch das Urinieren dazu, um evtl. schon in die Harnröhre eingedrungene Keime auszuspülen – so wie auch Frauen empfohlen wird, nach dem Sex zu urinieren (bei ihnen ist das Risiko des Aufsteigens von Keimen in die Harnblase durch die kurze Harnröhre größer). Nach FO ist die kleine Penisantisepsis nicht ausreichend; wenn schon „Penisantisepsis“, dann sollte auf jeden Fall nach FO die „erweiterte Penisantisepsis“ zum Einsatz kommen. Auch nach kondomiertem GV macht die „erweiterte Penisantisepsis“ mehr Sinn als die „kleine Penisantisepsis“, wenn das Kondom hochrutschte oder aus anderen Gründen der Eindruck entstand, dass vom Kondom nicht geschützte Penishaut in Kontakt mit weiblichen Genitalflüssigkeiten gekommen ist. Auch nach ungeschütztem Pussy Sliding oder anderen Situationen, die Schmierinfektionen mit Genitalkeimen auf die vorderen Penisabschnitte, besonders den Harnröhrenausgang, nicht ausschließen lassen, macht eine „erweiterte Penisantisepsis“ Sinn (z.B. „zufällige“, unbeabsichtigte Kontakte zwischen den Genitalien, Übertragung durch Finger, ggf. sogar über Tücher oder Bettwäsche – je nach Keimart). -90a- Wichtig ist die Einhaltung der richtigen Reihenfolge: ● Erst waschen mit fließendem Wasser und Seife/Seifen-/Duschlotion Vorhautinnenseite); vorsichtig vorgehen, nicht drücken oder reiben (auch ● dann vorsichtiges, tupfendes Abtrocknen (nicht reiben oder rubbeln) oder luft-trocknen ● urinieren ● Einige Minuten warten, damit Restfeuchte aus den oberen Zellschichten der Penishaut verdunstet und die Penisoberfläche absolut trocken ist (bei Restfeuchte würden die antiseptischen Mittel verdünnt und damit in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt!) ● Benetzen der Penishaut mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept; Benetzen des vorderen Penis einschließlich der Vorhaut mit Octenisept oder 0,2 % CHX; Harnröhrenausgang durch Druck auf die vordere Eichel passiv etwas aufspreizen und idealerweise in einem mit etwas Octenisept oder CHX gefüllten Deckel „baden“ oder Antiseptikum hineinsprühen Manipulationen am Harnröhrenausgang unbedingt vermeiden, damit keine Mikroverletzungen, Abschürfungen oder Schleimhauteinrisse entstehen ● Die Antiseptika einziehen lassen, für mindestens einige Minuten nicht mehr waschen! ● Einige Minuten später Benetzen des Penis mit Carrageen-Lösung oder –Spray zur HPVProphylaxe ● Nach Beendigung der sexuellen Aktivität/am Tagesende (wenn kein geschützter Sex mehr erfolgt und kein Kondom mehr benötigt wird) Penis mit einer Hautpflege-Lotion, Babyöl oder Ähnlichem einfetten (zwecks Rückfettung), um Hautschäden durch das ggf. mehrfache Waschen und „Desinfizieren“ zu vermeiden. Vor allem wer häufiger Penisantisepsis betreibt, sollte auf regelmäßige Hautpflege und Hautschutz am Penis achten. Details s. (► ANLAGE 4) -91- Zusammenfassung der antiseptischen Maßnahmen am Penis (► ANLAGE 4) Wann? Einige Minuten nach dem Waschen der Genitalen mit fließendem Wasser und Seife / Seifen/Duschlotion; danach vorsichtig abtrocken/trockentupfen oder lufttrocknen, dann einige Minuten warten, bis die Restfeuchte in der Penishaut verdunstet ist. Wo und womit? Penisschaft – bedeckt mit Haut: begrenzt viruzides Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept (Achtung: wirkt nicht gegen HPV!) Intakte Haut ist wenig empfänglich für STD-Erreger; Ausnahmen: Syphilis, HPV (auch Genitalwarzen sowie Übertragung auf Partnerinnen), Herpes simplex (Typ 2) Wenn kein Hochrutschen des Kondoms und kein Kontakt mit weiblichen Genitalsekreten erfolgt ist: alternativ nur HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung ohne Einsatz eines Hautdesinfektionsmittels/Octenisept. Das schont auch die normale Bakterienflora auf der Penishaut, da Carrageen nur gegen Viren, nicht aber gegen Bakterien wirkt. Vorhautinnenseite, Bändchen, Penisfurche – bedeckt mit Schleimhaut: im Routinefall daher nur mit Schleimhautantiseptikum (Octenisept oder 0,2 % CHX) benetzen, nicht (!) routinemäßig mit Hautdesinfektionsmittel Besonders empfänglich für STDs wie HIV, HPV, Herpes, Syphilis; aber auch Gonokokken finden sich hier bei Infizierten, ferner eitererregende Streptokokken oder Candida-Pilze. Häufige Lokalisation von Genitalwarzen. In seltenen Hochrisikosituationen daher ausnahmsweise mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel benetzen, was aber Ausnahme bleiben sollte. Keine HPV-Wirksamkeit der oben genannten Mittel. Zur HPV-Prophylaxe daher nach einigen Minuten Abstand noch mit Carrageen-Lösung benetzen Eichel – bedeckt mit Schleimhaut, die in einem individuell unterschiedlichen Maß verhornt ist und damit einen Übergang zur Haut zeigt. Behandlung wie Vorhautinnenseite. -92- Harnröhrenausgang – mit Schleimhaut ausgekleidet, sehr empfindlich (Hautdesinfektionsmittel würde sehr stark brennen, Octenisept oder alkoholfreies Chlorhexidin werden aber auch am Harnröhrenausgang gut toleriert, allenfalls kurzfristig schwaches Brennen) Angriffspunkt zahlreicher STD-Keime wie Chlamydien, Gonokokken, Mykoplasmen, Ureaplasmen, die aufsteigende Harnröhreninfektionen verursachen mit ggf. gonorrhoeartigen Beschwerden; kritische Streptokokkenarten; Trichomonaden (bei Männern meist asymptomatisch, können aber auf Partnerinnen übertragen werden) Angriffspunkt für HIV Angriffspunkt für HPV (besonders unangenehm und schwer behandelbar: Genitalwarzen am Harnröhrenausgang und in der Harnröhre) Urinieren (zum Herausspülen von Keimen von der Harnröhrenschleimhaut) Intensives Benetzen (besser: Baden) in Octenisept oder 0,2 % Chlorhexidin (Harnröhrenausgang dazu passiv und sehr vorsichtig etwas aufspreizen); evtl. Spray verwenden Keine HPV-Wirksamkeit der oben genannten Mittel. Zur HPV-Prophylaxe daher nach einigen Minuten Abstand noch mit Carrageen-Lösung benetzen Wichtig: da CHX und Octenisept nicht HPV-wirksam sind, können sie beispielsweise keine Infektion mit genitalwarzenauslösenden HPV-Viren im vorderen Penisabschnitt oder die besonders gefürchteten Genitalwarzen am Harnröhrenausgang verhindern. Hiervor können sich Freier nur (sofern sie nicht schon bereits infiziert sind) durch HPV-Impfung mit Gardasil schützen, oder aber durch konsequente Nutzung von Kondomen (auch beim Oralverkehr), abgesehen von der als nur experimentell zu bezeichnenden Möglichkeit der CarrageenAnwendung. Diese Carrageen-Anwendung könnte im Rahmen einer „HPV-Prophylaxe“ erfolgen, die sich, wie oben beschrieben, zeitlich an die normale Penisantisepsis anschließt. Bei komplikationslosem kondomiertem GV ohne vorausgehendem FO kann sie auch die Penisantisepsis ersetzen, da bakterielle Infektionsrisiken in dieser Situation sehr gering sind (geringes Syphilis-Risiko) und iota-Carrageen auch typische behüllte STD-Viren inaktiviert. -93- Abschließende Hinweise zur Penisantisepsis (► ANLAGE 4) Manche werden den Vorschlag der „Penisantisepsis“ nach sexuellem Kontakt mit FSW vielleicht als „diskriminierend“ gegenüber den FSW sehen, so als würde suggeriert, man müsse sich vor FSW schützen, weil sie besonders „krankmachend“ seien – im Sinne eines antiquierten Seuchendenkens. Dazu ist anzumerken: ● es gibt bestimmte STD-Erreger, die sich tatsächlich bei FSW häufiger finden als in der weiblichen Allgemeinbevölkerung (z.B. HPV, HSV-2, Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen, auf sehr viel niedrigerem Niveau auch Syphilis), in erhöhtem Maße bei sehr jungen FSW/Berufsanfängerinnen. Dies ist ein Fakt, der sich im Moment nicht ändern lässt, der aber nicht den FSW angelastet werden kann, sondern alle diese Infektionen haben sie sich ja von Männern – sei es Kunden, sei es privaten Partnern – geholt. Die FSW sind in dieser Hinsicht also tatsächlich selbst „Opfer“! Und wenn die Männer sich z.B. durch solche Maßnahmen wie die „Penisantisepsis“ schützen (wobei man nicht von Schutz, sondern nur einer weiteren Risikoreduktionsstufe sprechen sollte), dann letztendlich vor den Keimen ihrer männlichen Kollegen, die diese Keime auf die FSW übertragen haben. ● die beschriebene Maßnahme ist nichts weiter als eine Weiterentwicklung der bei manchen FSW routinemäßig angewandten Technik der Reinigung des Penis mit Reinigungs- oder Desinfektionstüchern vor dem FO oder vor der Kondomapplikation ● der Mann würde seinerseits ja auch erwarten, dass Toys, die z.B. bei ihm zum Einsatz kämen, ordnungsgemäß desinfiziert sind ● die „Penisantisepsis“ dient vor allem auch dem Schutz weiterer Sexpartnerinnen des Mannes – das können auch Kolleginnen der FSW sein. Die „Penisantisepsis“ nach Sex mit einer FSW ist damit Ausdrucks des Respekts vor der/den „nächsten“ FSW, die der Freier erwählt. ● damit liegt dieses Verfahren im eigenen Schutzinteresse der FSW. Es ist zwar durch Studien kaum beweisbar (welcher Freier würde an einer solchen Studie teilnehmen?), aber plausibel, dass die berufsbezogenen Infektionsrisiken für FSW geringer wären, wenn alle Klienten diese Verfahren konsequent anwenden würden. ● da die massive Entkeimung im Rahmen der „großen Penisantisepsis“ die normale Bakterienflora der Penishaut und –schleimhaut (die auch einen gewissen Schutzeffekt vor Infektionen bieten mag) schädigt, könnte das Infektionsrisiko am Penis in den ersten Tagen nach einer „großen Penisantisepsis“ sogar ansteigen – bis sich die normale Flora regeneriert hat. Genau weiß man das nicht – aber denkbar ist das. -94- ● auch im Falle der „kleinen“ oder „erweiterten Penisantisepsis“ ist davon auszugehen, dass die normale Bakterienflora der Penishaut bzw. -schleimhaut vorübergehend reduziert wird. Selbst Waschungen beeinträchtigen den sauren pH-Wert der Haut (und damit den sog. „Säureschutzmantel“), der allerdings binnen weniger Stunden wiederhergestellt wird. Die Anwendung von Antiseptika und Desinfektionsmitteln kann dazu führen, dass das Infektionsrisiko nach Penisantisepsis vorübergehend (für einige Stunden) ansteigt. Daher ist die Penisantisepsis bei weiteren Sexkontakten am gleichen Tag konsequent weiterzuführen: wenn man einmal damit angefangen hat, sollte man eventuelle weitere Sexkontakte am gleichen Tag ebenfalls auf diese Weise „antimikrobiell absichern“, da Penishaut bzw. -schleimhaut nach antiseptischen Maßnahmen und gründlicher Waschung vorübergehend empfänglicher für manche STI-Keime geworden sein könnten. Wenn also Penisantisepsis im Zusammenhang mit Paysex betrieben wird, sollte dieses nicht nach Belieben, sondern dann auch konsequent erfolgen, damit sie sich nicht bei weiteren Paysex-Kontakten am gleichen Tag als kontraproduktiv erweist. Es ist davon auszugehen, dass am Folgetag sowohl der pH-Wert der Haut wieder auf das übliche Niveau zurückgekehrt ist, als auch dass sich die Haut- und Schleimhautflora wieder sehr schnell regeneriert (z.B. über Hautkeime aus der umgebenden Haut, aber auch aus der Unterwäsche usw.). Wie Studien zeigten, ist die Hautflora beim Menschen sehr stabil und regeneriert sich schnell. Eine Wiederbesiedlung „entkeimter“ Penisareale dürfte allein schon auf dem Nachhauseweg durch die ja schon zuvor getragene Unterwäsche erfolgen. ● nach unkompliziertem GV ohne besondere Vorkommnisse wird der Einsatz von Hautdesinfektionsmitteln am Penisschaft daher nicht als unbedingt notwendig erachtet, vor allem, da von diesen keine HPV-Wirksamkeit erwartet werden kann. Stattdessen könnte eine „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung erfolgen, die gleichzeitig auch noch moderat (wenn auch nicht so effektiv wie ein Desinfektionsmittel) gegen andere Viren wirkt und vor allem dem Zweck dient, die Übertragung von HPV auf weitere Geschlechtspartnerinnen zu unterdrücken. Vorteil ist, dass Carrageen die normale Bakterienflora der Penishaut schont. -95- 2.12 Sexspielzeug (Toys) ● Sexspielzeug: idealerweise nur bei sich selbst verwenden. ● Freier, die Analdildo-Spiele wünschen, sollten ihre eigenen Dildos für die Anwendung an ihnen selbst mitbringen. ● Bei Fremdbenutzung von Toys diese mit Kondom überziehen. Wegen des Risikos von Schmierinfektionen dennoch hinterher sehr gründlich mit Wasser und Seife abwaschen. Wenn sie nicht mit einem Kondom überzogen sind, müssten sie mit einem geeigneten (materialverträglichen) Desinfektionsmittel behandelt werden, das auch gegen HPV wirken müsste (Vermeidung analer HPV-Infektionen: Risiko für Analkrebs). Das ist problematisch, da die üblichen für Laien verfügbaren Desinfektionsmittel nicht HPV-wirksam sind, selbst wenn sie als „viruzid“ deklariert sind. Sogar 95 % Alkohol oder 95%-aldehydbasierte Präparate sind wirkungslos. ● Toys mit rauen Oberflächen, Schweißnähten, aus Holz oder Plastik vermeiden; Gefahr von Mikroverletzungen der Genital- bzw. Analschleimhäute und ungenügende Desinfizierbarkeit. Toys aus Silikon nicht mit Silikon-Gleitgel zusammen verwenden – macht die Oberfläche rau. 2.13 Fingern (vaginal bei FSW) Nicht alle FSW lassen Fingern zu (Risiko von Schmierinfektionen; Mikroverletzungen der Schleimhäute durch scharfe Fingernägel, die die Schleimhäute anfälliger für Infektionen machen; Keimreservoir unter Fingernägeln; Schmerzen). Wer als Kunde fingern will, sollte schon rechtzeitig vorher auf runde, glatte Fingernägel achten. Ganz frisch geschnittene Fingernägel sind oft scharf. Auf jeden Fall vorher die FSW fragen, ob ihr das recht ist! Empfehlung: Fingerlinge, medizinische Handschuhe, auch als Schutz vor Mikroverletzungen durch Fingernägel; oder, wenn nichts anderes vorhanden, Kondom über den betreffenden Finger ziehen. Wenn doch ungeschützt, dann mit sauberen Händen (am besten nach Anwendung eines Händedesinfektionsmittels, danach aber mindestens eine Minute warten – es muss erst gut verdunsten, da Desinfektionsmittel nicht auf die Genitalschleimhäute übertragen werden sollte). -96- 2.14 Anale Fingerspiele Anale Fingerspiele idealerweise geschützt durch Fingerlinge, Handschuhe (notfalls Kondom nehmen). HIV kann zwar über intakte Haut nicht übertragen werden, aber verschiedene andere Schmierinfektionen (STD- oder Darmkeime, auch HPV) sind möglich, und die Nische unter den Fingernägeln bietet ein der Reinigung schwer zugängliches Keimreservoir. Beim Übergang von vaginalen zu analen Fingerspielen oder umgekehrt sollten Fingerlinge/Handschuh/Kondom gewechselt werden, um Keimverschleppungen zu vermeiden. Dies gilt auch, wenn sich die Freier von der FSW anal fingern lassen: So steigt selbst bei heterosexuellen Männern das anale HPV-Risiko und Analkrebsrisiko mit der Anzahl der Sexpartnerinnen an, selbst wenn die Männer niemals passiven Analverkehr hatten (auch wenn Analkrebs, nach absoluten Fallzahlen betrachtet, bei heterosexuellen Männern viel seltener ist als bei Männern, die Sex mit Männern haben). Schmierinfektionen durch anale Fingerspiele oder unhygienische Anal-Toys könnten bei heterosexuellen Männern eine wichtige Rolle bei der HPV-Übertragung in den Analkanal spielen. So können auch anale Feigwarzen (Anogenitalwarzen) entstehen. 2.15 Zungenküsse (ZK) Freier, die ZK praktizieren wollen, sollten vor dem Date antiseptische Mundspülungen durchführen, um eine Keimreduktion zu erreichen. Es gibt auch Spül-/Gurgellösungen mit mehrstündiger nachgewiesener Wirksamkeit gegen Mundgeruch. Auch Zungenreiniger können Mundgeruch reduzieren. Auch nach Dates mit Zungenküssen ist Mundspülen/Gurgeln angeraten, da auch dabei verschiedene Keime übertragen werden können. Zwar kein HIV-Risiko und insgesamt gesehen vergleichsweise geringes STD-Risiko (aber möglich, z.B. bei Syphilis-Primäraffekt an Zunge; Herpes; Hepatitis B bei hoher Viruslast; Pfeiffersches Drüsenfieber und – eher für werdende Mütter relevant – Zytomegalievirus; fraglich: HPV), aber z.B. Erreger von banalen, nicht als STD zu wertenden Halsinfekten oder möglicherweise auch von chronischen Zahnfleischinfektionen (Parodontalkeime). Die erfolgreiche Übertragung von Gonokokken aus dem Rachenraum bei Rachengonorrhoe durch Zungenküsse gilt als grundsätzlich möglich, da sich Gonokokken aus dem Speichel des vorderen Mundbereichs anzüchten ließen. Wie effektiv und wahrscheinlich dieser potenzielle Übertragungsweg aber ist, ist unbekannt. Insgesamt gesehen ist das Gesamtrisiko von Zungenküssen aber erheblich geringer als beim Blasen ohne Kondom und noch viel geringer als beim ungeschützten Lecken. Da Freier – anders als FSW – nicht täglich in solche Situationen kommen werden, können sie sogar die stärker wirksamen Mundspüllösungen wie 0,2 % CHX hierzu verwenden. Auch wenn -97- es noch nicht ganz klar ist, ob HPV auch durch Zungenküsse erfolgreich übertragen werden kann, sollten Freier bedenken, dass FSW, die viel ungeschützten Oralsex betreiben, ein Risiko von mehreren Prozent (wahrscheinlich im höheren einstelligen Prozentbereich) haben, im Mund/Rachen mit HPV 16 infiziert zu sein. Ob das bei ZK ein Risiko darstellt, ist unklar. Wer vorsichtshalber sein Risiko reduzieren möchte, könnte auf das experimentelle CarrageenVerfahren zurückgreifen und so vorgehen, wie es beim Lecken (Cunnilingus) beschrieben wird (vgl. Anlage 2), wobei allerdings klar hervorzuheben ist, dass Lecken bei FSW (relativ gesehen) ein viel größeres Infektionsrisiko für den Freier mit HPV 16 oder anderen STDs darstellt als ZK. -98- 2.16 Zungenanal (Rimming) Nur geschützt praktizieren (z.B. Lecktücher, Dental Dams)! Neben STD-Keimen tritt hier noch ein Risiko durch Darmkeime (z.B. Durchfallerreger, Helicobacter, Hepatitis A) hinzu. Auch HIVInfektionen wurden auf diesem Weg schon beschrieben, sogar vom leckenden (aktiven) Partner auf den passiven Partner. 2.17 (informell) Gesichtsbesamung Auch über die Bindehäute der Augen sind STD-Infektionen möglich – selbst HIV- und HepatitisB-Infektionen sind schon nachgewiesen, gefährlich sind auch Gonorrhoe, Chlamydien und Herpes. Falls Sperma ins Auge gelangt: ● Reichliches, aber druckfreies Ausspülen mit Wasser. ● Alkohol, Chlorhexidin- oder andere Mundspüllösungen usw. können am Auge nicht angewandt werden. Gesichtsbesamung sollte wegen des unkalkulierbaren Risikos der Augenbenetzung vermieden werden, besser Körperbesamung, sofern unverletzte Haut (ohne Wunden, ohne Ekzeme) vorliegt. Notfalls rechtzeitig Auge schließen und erst nach äußerer Reinigung mit reichlich Wasser wieder öffnen (was unter den Bedingungen der Sexarbeit oft schwierig sein dürfte). Spermabenetzung intakter Haut stellt kein HIV-Risiko dar. 2.18 Body-to-body-Massage, Pussy Sliding („Schlittenfahrt”) Abgesehen von extrem konstruierten Fällen ist infektionsmedizinisch (was STDs betrifft) unproblematisch, die Body-to-Body-Massage ● sofern der Penis dabei nicht die weiblichen Genitalschleimhäute oder den unmittelbaren Analbereich berührt oder diesem sehr nahe kommt (Risiko von Schmierinfektionen) ● Wer auf diese „Grenzen“ nicht achten will, sollte ein Kondom verwenden. Das „Pussy Sliding“ (manchmal auch als „französische Schlittenfahrt“ bezeichnet, im Gegensatz zur „chinesischen Schlittenfahrt“, die eine spezielle GV-Stellung darstellt) ohne Kondom stellt wegen der intensiven Berührung zwischen Penis-Schleimhaut/Penis-Haut und den Schamlippen keine Safer-Sex-Technik dar. -99- Vor allem bei starker Feuchtigkeit durch Gleitmittel oder Scheidensekret kann der Penis spontan eindringen und es damit zu einem beginnenden GV kommen. Auch ohne unwillentliches Eindringen bestehen zusätzlich erhöhte Infektionsrisiken für die FSW bei Lusttropfen aus dem Penis auf ihren Schamlippen, und für den Mann bei Kontakt von Scheidensekret mit Penisschleimhaut, -haut und Harnröhreneingang. Das ungeschützte „Pussy Sliding“ ist daher vom Infektionsrisiko für beide Seiten (also FSW und Kunde) – je nach Intensität und Auftreten von Lusttropfen oder Scheidensekret – irgendwo zwischen GVM und Coitus interruptus ohne Kondom einzustufen, d.h. riskanter als GVM, aber nicht so riskant wie Coitus interruptus ohne Kondom. Pussy Sliding mit Kondom ist dagegen weitgehend unproblematisch bis auf die Restrisiken, die sich auch beim GVM durch mögliche Kontakte zwischen nicht kondomgeschützten basalen Penisabschnitten und weiblichen Genitalschleimhäuten/-sekreten ergeben. -100- Quellenangabe: „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ (über Google abrufbar) http://freepdfhosting.com/9d0efc57cc.pdf Hier Internetempfehlungen für Kunden: www.sexsicher.de www.pflege-deinen-Schwanz.de www.don-juan.ch Wichtige Seite zum Erkennen, Handeln und Hilfe in Sachen Zwangsprostitution: http://www.stoppt-zwangsprostitution.de/hallo_freier/ (mit Telefonnummern!) Sehr informativ in Sachen STDs (nicht nur HIV!): http://www.aidshilfe.de/de/shop/archiv/sexuell-uebertragbare-infektionen-2012 http://www.gib-aids-keinechance.de/materialien/fremdsprachig/praeventionsmappe.php?sid=01d646e56a697068b3ac30 f01687e630 -101- ANLAGE 1 Vermeidung von Kondomfehlern / Weitere Hinweise zum Umgang mit Kondomen ● Markenkondome verwenden (Aufdruck DIN EN ISO 4074 : 2002) ● keine abgelaufenen Kondome! ● richtige Lagerung der Kondome (keine Hitze, Sonne, große Kälte); ideal: kühl, bis 22 Grad; wichtig: trockene Lagerung! ● FSW sollten auf eigenen Kondomen bestehen, da sie nicht wissen, ob ihr Kunde die Kondome in der Vergangenheit richtig gelagert hat ● bei Bedarf (ungewöhnliche Penisgrößen) Sondergrößen dabei haben und verwenden; dies gilt vor allem bei abweichender Penisdicke (Länge ist nicht so relevant wie der Penisumfang) Unpassende Kondomgrößen erhöhen das Risiko für Reißen, Abrutschen, Erektionsprobleme, Penis-Irritationen, reduzierten Genuss usw. ● bei Latexallergie Kondome aus Polyurethan verwenden; kleines Depot von Polyurethan-Kondomen für Männer, die vorgeben, gegen Latex allergisch zu sein ● im Routinefall sollten zum GV aber Latexkondome verwendet werden, da sie höhere Sicherheit bieten (geringes Risiko von Kondomrissen). Das gilt erst recht für AV. ● keine Milchsäurezäpfchen oder anderen Medikamente kurz vor dem GV vaginal einführen (Vaginalcremes usw.) ● Kondom vorsichtig aus der Packung nehmen, ohne sie zu beschädigen (keine Schere, nicht mit den Zähnen aufreißen); nicht mit scharfkantigem Schmuck oder Fingernägeln beschädigen ● nie 2 Kondome übereinander ● Kondom auf keinen Fall vor dem Aufsetzen auf den Penis entrollen! ● Vorhaut beim Aufsetzen des Kondoms zurückziehen (sofern unbeschnitten) ● Penis sollte möglichst steif sein; falls notwendig, Vorhaut zurückziehen (wenn nicht steif: beim Blasen mit dem Mund aufsetzen, sofern man diese Technik beherrscht) ● beim Aufsetzen des Kondoms mit dem Mund keine Zähne dazu einsetzen (Gefahr der Beschädigung des Kondoms!) ● Reservoir (Spitze des Kondoms) mit zwei Fingern zusammendrücken, Gummiring nach außen, vorsichtig abrollen, nicht ziehen! ● darauf achten, dass das Reservoir schlaff ist und keine Luft enthält, sonst kann das Kondom später platzen (deshalb muss das Reservoir beim Aufsetzen zusammengedrückt werden) ● nicht mit Fett oder Öl berühren (auch nicht Sonnencreme!) ● trockene Scheide vermeiden; Gleitgel nutzen, dies muss aber öl- und fettfrei sein, d.h. auf Wasser- oder Silikonbasis. Trockene Scheide ist ein Risikofaktor für einen Kondomriss! Vor allem kurz nach der Menstruation kann die Scheide trockener sein als sonst üblich. -102- ● niemals Gleitmittel innen ins Kondoms; niemals Penis vor dem Aufsetzen des Kondoms mit Gleitmittel anfassen oder einreiben! ● neues Kondom nehmen zum GV, wenn vorher intensives FM (vor allem mit Einsatz der Zähne) ● idealerweise sollte ein Kondom immer nur bei einer Sexpraktik angewandt und danach gewechselt werden (z.B. zwischen FM und GV). Im besonderen Maß gilt das, wenn für FM latexfreie Kondome verwendet werden, weil diese ohnehin ein höheres Risiko von Reißen/Kondomversagen aufweisen. ● viel „Handarbeit“ zwischen GV-Phasen vermeiden, oder Kondom wechseln ● richtigen Sitz des Kondoms während des GVs mit der Hand prüfen (ggf. durch FSW) ● bei langem oder besonders intensivem GV zwischendurch Kondom wechseln (auch die Verwendung von sexuellen Stimulanzien durch Kunden stellt einen Risikofaktor dar, weil der Sex dann länger dauert und/oder roher/heftiger erfolgt) ● Kondom wechseln, wenn dieses innen schon sehr feucht ist (Lusttropfen, Prostatasekret) ● beim Übergang von vaginal nach anal (und erst recht umgekehrt) Kondom wechseln ● wenn der Kunde merkt, dass das Kondom in der Scheide fest steckt und er sich nur noch im Kondom bewegt: GV unterbrechen, neues Kondom ● rechtzeitiges Herausziehen des Penis (zusammen mit dem Kondom, indem man dieses mit der Hand umfasst) aus der Scheide nach der Ejakulation, vor der Erschlaffung (am Ring anfassen) ● Kondome bieten keine ausreichende Sicherheit unter Wasser, z.B. beim Sex in der Badewanne oder im Whirlpool ● „Flügelkondome“ können helfen, Anwendungsfehler zu vermeiden; da sie dünner gestaltet sind als herkömmliche Kondome, bieten sie auch eine Chance auf moderat verbesserte Gefühlsechtheit *(Abweichendes Vorgehen bei Flügelkondomen: ● Flügel mit dem Logo nach oben anfassen; Reservoir nicht zusammendrücken ● beide Flügel gleichzeitig herunterbewegen; dies erfolgt ohne direkte Berührung des Kondoms ● Flügel entfernen) -103- ANLAGE 2 Infektionsrisiken beim ungeschützten Lecken (Kunden lecken bei FSW) Analog der Häufigkeitsverteilung genitaler Infektionen bei FSW ist – abgesehen von Herpes, vor allem Herpes simplex Typ 2 – der häufigste Keim, mit dem Kunden beim ungeschützten Lecken bei FSW rechnen müssen, krebserregendes HPV. Durchschnittlich 15 % aller FSW in Europa weisen HPV 16 und/oder HPV 18 auf den genitalen Schleimhäuten auf, sind also dann in diesem Körperabschnitt in Bezug auf HPV infektiös (also virusausschüttend). Für den mit großem Abstand im Rachenraum gefährlichsten HPV-Typ, HPV 16, ist mit einer Wahrscheinlichkeit von etwas mehr als 10 % im Genitalbereich von FSW zu rechnen. Bei jungen FSW (um 20 Jahre und knapp darüber) dürfte die Quote eher noch höher ausfallen, im weiteren Verlauf des dritten Lebensjahrzehnts geht dann die Belastung mit HPV auch bei FSW allmählich zurück – jedenfalls den meisten (nicht allen) Studien zufolge. Regelmäßige infektionsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen haben hierauf keinen Einfluss, weil dabei weder nach HPV bzw. einzelnen HPV-Typen gefahndet wird, und eine HPV-Infektion als solche ist auch nicht direkt therapierbar (allerdings ist die Wahrscheinlichkeit ihres spontanen Abheilens modulierbar, z.B. durch ausnahmslose Kondomnutzung – auch privat; Nichtrauchen). Junges Alter, unregelmäßige Kondomnutzung (ggf. auch nur privat unterlassene Kondomnutzung), Rauchen erhöhen das Risiko für eine nachweisbare Infektion mit den krebserregenden HPV-Typen. Eine rechtzeitige HPV-Impfung (vor dem ersten Geschlechtsverkehr) verhindert hoch effektiv Infektionen mit den im Impfstoff erfassten HPVTypen. Erfolgte die Impfung zu spät, d.h. wenn schon eine Infektion mit dem betreffenden HPVTyp vorliegt, hat die Impfung keinen Einfluss mehr auf das Schicksal dieser bereits bestehenden HPV-Infektion. Dennoch ist anzunehmen, dass die Infektiosität der geimpften Person drastisch sinkt, da die ausgeschütteten Viren durch verschiedene Immunmechanismen, vor allem neutralisierende Antikörper, abgefangen werden. Daher ist davon auszugehen, dass Lecken in Bezug auf HPV 16 (den im Mund-Rachen-Raum relevanten und gefährlichsten HPV-Typ) für den Freier ungefährlich ist, wenn die FSW rechtzeitig (vor Aufnahme sexueller Aktivität) gegen HPV geimpft wurde, und dass selbst dann von einem wesentlich verringerten Infektionsrisiko für den Freier auszugehen ist, wenn sie „verspätet“ (nach Aufnahme sexueller Aktivität bzw. nach Aufnahme ihrer Tätigkeit als FSW) geimpft wurde. Genitalwarzen Genitalwarzen können sich auch im Mund bilden. Wenn eine FSW genital mit genitalwarzenauslösenden HPV-Typen infiziert ist, kann sich der Kunde beim Lecken damit anstecken und dann Genitalwarzen auch im Mundbereich entwickeln (auch wenn dies viel seltener ist als -104- genital), es sei denn, er wäre vor dem Erstkontakt mit genitalwarzenauslösenden HPV-Typen im Mund-Rachen-Bereich durch Impfung mit dem tetra- bzw. nonavalenten Gardasil geschützt. Allerdings haben Genitalwarzen im Mund keinen eigentlichen Krankheitswert, könnten aber als indirektes Indiz gelten, dass die eigene Abwehrlage es nicht schafft, HPV-Infektionen zu überwinden – so dass Personen mit Genitalwarzen im Mund möglicherweise auch ein erhöhtes Risiko haben könnten, später an HPV-bedingtem Mund-Rachen-Krebs (aufgrund anderer HPVTypen) zu erkranken. Allgemein gilt, dass persistierende HPV-Infektionen und/oder HPVbedingte Erkrankungen an einer Körperstelle mit erhöhten Risiken für HPV-bedingte Erkrankungen an anderen Körperstellen einhergehen – als Indiz für eine eingeschränkte Immunkompetenz der betroffenen Person, HPV-Infektionen rasch zur Ausheilung zu bringen. Gonorrhoe (Tripper) und Chlamydien Auch wenn es sich um biologisch gesehen sehr unterschiedliche Bakterien handelt, werden sie hier zusammen betrachtet, weil die Konsequenzen für den leckenden Mann dieselben sind. Die Wahrscheinlichkeit einer genitalen Gonokokken- bzw. Chlamydienbesiedlung der FSW hängt vom Alter der FSW ab (je jünger, desto höher das Risiko), aber auch von regelmäßiger Kondomnutzung (auch privat, z.B. Ping-Pong-Effekte und Reinfektionsmöglichkeit durch private Partner). Die Wahrscheinlichkeit, dass eine FSW genital mit Gonokokken und/oder Chlamydien besiedelt ist, reicht von nahe 0 %, wenn sie gerade infektionsmedizinisch untersucht wurde und kein Hinweis auf diese Erreger dabei festgestellt wurde (wobei man sich auch nicht immer darauf verlassen kann, dass wirklich alle Infektionen immer erkannt werden – auch abhängig von der labortechnischen Nachweismethodik), bis über 20 %, wie eine Studie aus NordrheinWestfalen zeigte, in der FSW in Clubs beprobt wurden (bzw. bei sich selbst Proben nahmen), von denen die meisten nicht regelmäßig an Untersuchungen teilgenommen hatten; Chlamydien finden sich bei FSW regelmäßig häufiger als Gonokokken. Der Kunde kann sich dann beim Lecken diese Keime einfangen; sie können sich bei ihm im Rachen ansiedeln und dort einen Rachentripper oder Chlamydieninfekt hervorrufen, die aber meist symptomlos verlaufen oder so unspezifische, milde Zeichen einer Racheninfektion verursachen, dass sie als solche nicht bemerkt und behandelt werden. Die Infektionen heilen nach Wochen oder Monaten meist von selbst wieder ab. Abgesehen davon, dass sie Infektionsrisiken z.B. für HIV im Rachenraum erhöhen könnten (sofern der betreffende Mann überhaupt solche Risiken eingeht, was ja eher unwahrscheinlich ist), haben sie daher keinen wirklichen Krankheitswert für den infizierten Mann. Das Problem für den Freier besteht darin, dass die unbemerkte Racheninfektion ein Keimreservoir darstellt, das er selbst durch OV weiter verbreiten kann, z.B. beim Lecken auf seine private Partnerin. Während Zungenküsse als mögliche, aber nicht sehr effektive Übertragungswege gelten, ist beim Lecken eine Übertragung von Gonokokken oder Chlamydien auf den weiblichen Urogenitaltrakt plausibel, z.B. auf die Schleimhaut des Harnröhrenausgangs, die eine typische Zielregion für diese Bakterien darstellt. -105- Der umgekehrte Weg, die Übertragung von Gonokokken und Chlamydien aus dem MundRachen-Raum der FSW auf den Penis, konkret das Epithel der Harnröhre, bei der Fellatio ist wissenschaftlich gut dokumentiert und ein häufiger Übertragungsweg. Daher ist davon auszugehen, dass der spiegelbildliche Infektionsweg, vom Mund-Rachen-Raum des Mannes auf die Urogenitalregion der Frau beim Lecken, grundsätzlich auch funktioniert. Damit besteht das Risiko, dass ein Mann, der bei einer FSW ungeschützt geleckt hat, später (auch nach Wochen oder Monaten) andere Frauen, z.B. seine private Partnerin, beim Lecken genital ansteckt. Zwar sind genitale Infektionen mit diesen Keimen bei Frauen nicht selten asymptomatisch. Auch zunächst symptomlose Infektionen können aber im Genitaltrakt aufsteigen und im Verlauf zu akuten oder chronischen Entzündungen des kleinen Beckens führen. Sind die Infektionen aber symptomatisch oder auch durch Zufall entdeckt worden, gerät der Freier (als zu vermutende Infektionsquelle) privat in massive Erklärungsnöte. Und nachdem er beim Lecken seine private Partnerin abgesteckt hat, kann er sich dann wiederum beim ungeschützten GV selbst anstecken – und zwar jetzt am Penis, und wird dann mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit eine symptomatische Infektion der Harn- und ggf. Genitalwege (Gonorrhoe: 90 % symptomatisch; Chlamydien: 50 % symptomatisch) entwickeln. Mykoplasmen/Ureaplasmen Hier gilt prinzipiell dasselbe wie für Gonokokken und Chlamydien, wobei auch diese Infektionen im Rachenbereich normalerweise asymptomatisch bleiben, also überhaupt nicht bemerkt werden. Nach Übertragung z.B. beim Lecken auf den weiblichen Urogenitalbereich z.B. der privaten Partnerin sind Mykoplasmen aber auch dort oft symptomlos. Der Mann kann sich dann über den Umweg der von ihm infizierten Partnerin beim ungeschützten GV am Penis anstecken und eine ggf. symptomatische Harnröhrenentzündung entwickeln. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Mykoplasmen nicht unbedingt zum Routinespektrum der infektionsmedizinischen Untersuchungen von FSW gehören; anders als in Bezug auf Gonorrhoe und Chlamydien kann sich also ein Freier nicht sicher sein, dass eine FSW mit an Sicherheit annähernder Wahrscheinlichkeit frei von Mykoplasmen ist, auch wenn sie frisch untersucht ist und „nichts“ festgestellt wurde. Allerdings ist der Krankheitswert der verschiedenen Arten bzw. Stämme (Genotypen) dieser Bakterien unterschiedlich zu bewerten; manche gelten auch als harmlos. Im Rachen siedeln sie sich vergleichsweise selten an; das Epithel der Harnwege und der Genitalbereich sind ihre bevorzugten Lebensräume. Syphilis Selbstverständlich kann sich ein Kunde beim Lecken auch an Syphilis anstecken, wenn die FSW an Syphilis im ersten oder zweiten Stadium leidet und z.B. einen Primäraffekt an den Genitalschleimhäuten hat. Der Kunde würde dann einen ggf. nicht bemerkten (da schmerzlosen) oder fehlgedeuteten Primäraffekt an den Lippen oder im Mund (vor allem der -106- Zunge) erleiden und könnte damit dann auch seine private Partnerin anstecken. Das Risiko für das Vorliegen einer infektiösen Syphilis ist bei FSW in Deutschland auf höchstens 1 % oder niedriger einzuschätzen (Niederlande: 0,2 %). Hepatitis B Da Hepatitis B schon durch enge Haushaltskontakte oder Zungenküsse übertragen wird, ist eine Infektion beim Lecken ebenfalls möglich. Erhöhtes Risiko während der Menstruation bzw. bei Blutbeimischung. Impfung der FSW oder des Freiers schützen vor Hepatitis-B-Ansteckung. Pilze (Candida) Angesichts der Häufigkeit von Pilzen im weiblichen Genitaltrakt kann man sich beim Lecken natürlich auch Candida im Mund einfangen. Allerdings sind ohnehin viele Menschen mit Candida im Mund infiziert, so dass es letztlich nicht darauf ankommt, ob beim Lecken weitere Individuen eingefangen werden. Solange das Immunsystem nicht gestört ist, die Abwehrlage und das biologische Gleichgewicht stimmen, bleiben die Pilze im Mund asymptomatisch und verursachen kein Problem. Umgekehrt kann häufiges Lecken aber Pilzinfektionen bei Frauen fördern, wobei dieser Effekt weniger auf die Übertragung von Pilzen aus dem Mund des Leckenden auf die Genitalschleimhäute zurückgeführt wird, sondern eher auf die Störung des biologischen Gleichgewichts im weiblichen Genitaltrakt durch die häufige Exposition gegenüber Speichel mit seinen natürlichen antibakteriellen Stoffen, die je nach Empfindlichkeit der Frau und individuellem genitalen Mikrobiom zu Keimverschiebungen führen können, die (ähnlich wie Antibiotika) Pilzinfektionen fördern. Es gibt FSW, die sich aufgrund dieser Erfahrungen (Pilzinfektionen, Bakterielle Vaginosen) nicht mehr genital lecken lassen. HIV FSW stellen in Deutschland keine HIV-Risikogruppe dar; erhöhte HIV-Risiken können aber aus Umständen resultieren, die außerhalb der unmittelbaren Sexarbeit liegen. Da Vaginalsekret auch außerhalb der Menstruation infektiöses HIV enthalten kann (mit gewissen Schwankungen im Monatszyklus), ist selbst außerhalb der Menstruation ein HIVInfektionsrisiko für den Leckenden plausibel, wobei aber die starke antiinfektiöse Kapazität des Speichels normalerweise dafür sorgen dürfte, dass dieses Risiko extrem gering ist. Erst bei offenen Stellen im Mund (durch Entzündungen, Wunden, Herpes usw.) kann es steigen. Bei Blutbeimischung zum Vaginalsekret, z.B. während der Menstruation oder nach Sickerblutungen durch Verletzungen z.B. durch Sextoys ist in jedem Fall mit einem erhöhten Infektionsrisiko für den Leckenden zu rechnen. Blut-Schleimhaut-Kontakt ist als infektiös einzustufen; dies gilt in erhöhtem Maße, wenn wunde Stellen im Mund oder an den Lippen hinzu treten. -107- Bei intakten Verhältnissen im Mund (einschl. Lippen und Rachen) des Leckenden und ohne Blutbeimengung ist Lecken aber als sehr geringes HIV-Risiko zu betrachten, und es sind nur wenige HIV-Infektionen durch Lesbensex dokumentiert, wobei selbst in diesen Fällen in nicht genau bezifferbarem Umfang andere Infektionswege (wie Sextoys mit Blutspuren) nicht ausgeschlossen werden können. Fazit: Berücksichtigt man die sehr niedrige HIV-Durchseuchung von FSW in Deutschland (sofern nicht besondere Risikofaktoren außerhalb der Sexarbeit vorliegen, was für den Kunden nicht immer erkennbar ist), so steht HIV nicht im Zentrum der Risiken, denen sich ein Kunde beim ungeschützten Lecken bei einer FSW ohne besondere zusätzliche Risikofaktoren unterwirft. Unabhängig davon sollte Blutkontakt (also Lecken während der Menstruation, bei sichtbarem Blut oder nach Blutgeschmack im Mund) aber vermieden werden, da auch andere Infektionskrankheiten (z.B. Hepatitis B) dann leichter übertragen werden können. Im direkten Vergleich stellt HPV (konkret HPV 16) in Deutschland das größere Gesundheitsrisiko (verglichen mit HIV) dar, wenn Freier bei FSW ungeschützt lecken. HPV 16 ist bei durchschnittlich mehr als 10 % der FSW zu erwarten (besonders bei den sehr jungen), und Lecken stellt den vermutlich effektivsten Übertragungsweg für HPV-Infektionen in den MundRachen-Raum dar (wahrscheinlich noch effizienter als die Übertragung bei Fellatio). Selbst wenn sich nur wenige Männer, die auf diese Weise HPV 16 im Mund/Rachen ausgesetzt werden, dauerhaft (persistierend) infizieren, droht einer Teilgruppe von ihnen nach vielen Jahren ein Krebs im Rachenbereich (z.B. Mandeln, Zungengrund) mit schweren Folgen wie hoch invasiver Eingriffe oder im schlimmsten Fall tödlichen Ausgang. So gesehen stellen nicht HIV, auch nicht Syphilis, und schon gar nicht andere bakterielle und damit mehr oder weniger gut antibiotisch behandelbare Infektionen wie Gonokokken, Chlamydien oder Mykoplasmen das größte Risiko für bei FSW leckende Männer, sondern HPV 16. Praktische Konsequenzen: ● Geschütztes Lecken mittels Barrieremethoden (Lecktuch/Dental Dam/Kofferdam; Plastikfolie; Femidom) ● Sofern dies für den Freier nicht infrage kommt, kann er versuchen, sein Risiko durch (a) Impfungen (HPV, Hepatitis B) und (b) antiseptische Maßnahmen im Mund-Rachen-Raum zu verringern, wobei es besonders wichtig ist, durch intensives, tiefes Gurgeln, idealerweise in Kombination mit Spray, den Rachenraum mit einzubeziehen, weil dort die Infektionsrisiken am größten sind. -108- Als Spüllösungen kommen infrage: ● Hochprozentiger Alkohol (70 % oder mehr), wobei nach neuesten Labordaten aber selbst bei dieser Konzentration keine Wirksamkeit gegen HPV erwartet werden kann (selbst 95 % Alkohol konnte „echte“, im Labor gezüchtete und „gereifte“ HPV-Viren nicht abtöten!). Abgesehen von der unangenehmen Alkoholfahne (selbst wenn man den Alkohol nach dem Spülen und Gurgeln wieder ausspuckt) bleibt das Problem, dass davon ausgegangen werden muss, dass häufige Spülungen mit hochprozentigem Alkohol das Krebsrisiko im Mund-RachenRaum erhöhen (bei Rauchern noch viel stärker als bei Nichtrauchern, weil Alkohol im MundRachen-Raum vor allem als Kofaktor zum Rauchen wirkt und dessen Krebsrisiko verstärkt). Unter diesem Gesichtspunkt kommt Spülen/Gurgeln mit hochprozentigem Alkohol (kurzfristig nach dem ungeschützten Lecken) nur für Männer infrage, die nur sehr selten/ausnahmsweise bei FSW lecken. ● Hochprozentige marktgängige alkoholische Getränke (z.B. mit 30 bis 40 % Alkohol) haben ebenfalls eine gute antiseptische Wirksamkeit (außer HPV). Ähnliches gilt für alkoholhaltige Spüllösungen mit ätherischen Ölen (wie z.B. Listerine Cool Mint), die in Laborversuchen durchaus STD-Wirksamkeit (z.B. gegen HIV und Herpes simplex) zeigten und in einer Studie mit Männern mit Rachengonorrhoe die Nachweisbarkeit von Gonokokken im Rachen vorübergehend reduzierten. Alle alkoholhaltigen Spülungen haben aber – ebenso wie alkoholische Getränke – den Nachteil, dass sie für einige Stunden die Empfänglichkeit der Mundschleimhautzellen für bestimmte HIVStämme erhöhen, so dass nach Alkoholkontakt mehrere Stunden lang keine Risiken mit potenzieller HIV-Kontamination mehr eingegangen werden sollten. Dies schränkt den Einsatz alkoholhaltiger Präparate im Rahmen von Oralsex und Sexarbeit ein. ● Chlorhexidin (CHX) hat ein breites antibakterielles und antivirales Spektrum, das auch viele STD-Keime umfasst (HIV, Hepatitis B, Herpes simplex, Gonokokken, Chlamydien); unbehüllte Viren wie HPV werden allerdings nicht inaktiviert. Die routinemäßige Mundspülung mit CHX, besonders in höheren Konzentrationen (0,1 bis 0,2 %), wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass die regelmäßige Anwendung (1 x täglich oder mehr) zu unschönen, aber reversiblen braunen Zungen- und Zahnverfärbungen führt und auch Geschmacksstörungen auslösen kann. Dies gilt aber nicht für die gelegentliche Anwendung (dann auch ggf. mehrfach am Tag, z.B. anlässlich eines Clubbesuches). CHX gilt als Goldstandard der oralen Antisepsis, aber das Verfärbungsproblem limitiert seine Anwendung vor allem in höheren Konzentrationen. Für einen Kunden, der nur gelegentlich FSW aufsucht und bei ihnen ungeschützt leckt, spielt dieses aber keine Rolle, denn er wendet CHX ja nicht täglich an. In diesem Fall ist die höchste erhältliche Konzentration (0,2 %) zu bevorzugen; möglichst alkoholfrei, denn der eigentliche Wirkstoff ist ohnehin das Chlorhexidin. -109- Chlorhexidin weist eine gute Haftkraft an der Mundschleimhaut auf und hinterlässt damit einen Depoteffekt über 12 Stunden, sofern dieser nicht durch CHX-inaktivierende Stoffe (wie Tenside in Zahnpasten, Blut, Saccharose) abgeschwächt wird. Damit eignet es sich zu einer „Periexpositionsprophylaxe“: CHX-Spülung/Gurgeln/Spray vor dem ungeschützten Lecken (um ein Depot an der Mund-/Rachenschleimhaut aufzubauen), und eine weitere Spülung/Gurgeln/Spray nach dem ungeschützten Lecken. Vor dieser zweiten Spülung empfiehlt es sich aber, auszuspucken und mit Wasser auszuspülen, da dieses schon zu einer erheblichen mechanischen Keimreduktion führt. Erst danach kommt dann die CHX-Spülung zum Einsatz. Vor dem Lecken: Spülen/Gurgeln/Spray mit 0,2 % CHX Nach dem Lecken: Ausspucken / mit Wasser spülen und ausspucken dann Spülen/Gurgeln/Spray mit 0,2 % CHX; notfalls hochprozentiger Alkohol ● Octenisept kann ebenfalls zur Mundspülung/Gurgeln angewandt werden und ist dazu offiziell zugelassen. Es ist gegen alle STD-Keime mit Ausnahme von HPV wirksam; im direkten Vergleich mit CHX in den für Mundspülungen relevanten Konzentrationen schneidet es durch stärkere Wirksamkeit und schnelleren Wirkungseintritt besser ab; allerdings wurden die betreffenden Untersuchungen an Bakterienarten vorgenommen, die keine STD-Erreger sind. Im Analogieschluss ist dann aber auch von einer besseren Wirksamkeit gegen STD-Erreger auszugehen. Hinzu tritt eine bessere Gewebeverträglichkeit als CHX im Laborversuch (allerdings sollte Octenisept nicht in tiefe Wunde geraten, aus denen es nicht abfließen kann). Allerdings ist Octenisept nicht zur langfristigen Anwendung vorgesehen, also kein Präparat für die Routine, sondern höchstens zum gelegentlichen Einsatz in Situationen mit erhöhtem oralen STD-Risiko. Auch der über mehrere Stunden anhaltende bittere, unangenehme Geschmack stellt einen Nachteil im direkten Vergleich mit CHX dar, das viel angenehmer anzuwenden ist. Es muss außerdem darauf geachtet werden, dass keine größeren Mengen verschluckt werden (dann sind Reizungen der Magen- und Darmschleimhaut möglich). Gelangen kleine Mengen des recht stark schäumenden Mittels beim Gurgeln in den Kehlkopfbereich, kann ein mehrere Stunden anhaltendes Reizgefühl im Rachenbereich mit Räusperzwang oder Hustenreiz resultieren, das aber nach einigen Stunden wieder abklingt. Octenisept ist daher nicht wirklich als „Oralsexmittel“ im Paysex empfehlenswert, stellt aber vor allem in Situationen mit überdurchschnittlichem oralen STD-Infektionsrisiko eine vermutlich effektivere Alternative zum CHX dar, wenn man die damit verbundenen Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt. ● PVP-Jod-Lösung (wie Betaisodona Mund-Antiseptikum) stellt eine interessante Alternative zur gelegentlichen (eher seltenen) Anwendung in oralen Hochrisikosituationen dar. Sehr breites antimikrobielles Wirkungsspektrum, möglicherweise sogar gegen HPV. Gute Schleimhautverträglichkeit. Empfehlenswert ist eine 1 : 4 verdünnte Lösung, mit der -109a- mindestens 30 Sekunden lang gespült und gegurgelt werden sollte; dann ausspucken, nicht nachspülen, einige Zeit nichts essen oder trinken. Nachteilig ist der hohe Alkoholgehalt (unverdünnt 36 %), die geringe Stabilität verdünnter Lösungen (die Verdünnungen sollen immer frisch hergestellt werden), die hohen Kosten bei unverdünnter oder gering verdünnter Anwendung; bei langfristiger bzw. häufiger Anwendung die Jod-Resorption mit ihren Auswirkungen auf den Spiegel des schilddrüsenstimulierenden Hormons (TSH); Kontraindikation bei Schilddrüsenerkrankungen, besonders Überfunktion und Kropf. Vorteilhaft sind in der vertretbare Geschmack (wie Kräuterschnaps), der auch nicht so lange anhält, wodurch sich PVP-Jod sehr positiv von Octenisept mit seinem anhaltend bitteren Geschmack abhebt. Allerdings hält die Wirkung von PVP-Jod auch nicht so lange an wie bei Octenisept. Ein Verfärbungsproblem im Mund besteht trotz der intensiven Farbe von PVPJod nicht: die direkt nach der Spülung etwas gelbliche Zunge ist nach einer Minute entfärbt, und danach sind keine „Spuren“ der Spülung mit PVP-Jod im Mund mehr sichtbar. Ein PVP-haltiges Rachenspray müsste man sich selbst herstellen, sollte dazu aber eventuell stärker verdünnen (in Japan gibt es Rachenspray mit 0,45 % PVP-Jod). Es soll nichts verschluckt werden. Von der routinemäßigen Anwendung bei ungeschütztem Oralsex in der Sexarbeit ist aus den oben genannten Gründen abzuraten; PVP-Jod stellt aber ein Mittel der ersten Wahl zur „Postexpositionsprophylaxe“ seltener oder gelegentlicher Hochrisikosituationen und konkurriert dabei mit hochprozentigem Alkohol (70 – 80 %) oder Octenisept. In der Gesamtschau dürfte seine Anwendung angenehmer sein als bei den beiden anderen Präparaten, sowohl unverdünnt (obwohl dies nicht offiziell für Betaisodona Mund Antiseptikum empfohlen wird) und erst recht in der vom Hersteller empfohlenen Verdünnung 1 : 4 (1 Teil Betaisodona, 4 Teile warmes Leistungswasser). Für Freier, die gelegentlich bei FSW lecken, stellt PVP-Jod somit eine interessante Option für die Postexpositionsprophylaxe dar. Vor dem Lecken sollte es wegen seines Alkoholgehalts aber besser nicht angewandt werden; für die Präexpositionsprophylaxe (und auch Keimzahlreduktion im Mund zum Schutz der FSW beim Lecken) eignet sich 0,2 % CHX. Weitere Informationen zu PVP-Jod → Anlage 3. Weder CHX noch Octenisept bieten einen Schutz vor krebs- oder genitalwarzen-erregendem HPV (wie HPV 16, 6, 11). Für PVP-Jod gibt es dagegen mehrere Indizien, die für eine HPVWirksamkeit sprechen; gesichert ist dies aber bisher nicht. Wer das HPV-Risiko beim ungeschützten Lecken verringern will und nicht HPV-geimpft ist, kann lediglich die als experimentell einzustufende Carrageen-Periexpositions-Prophylaxe ausprobieren: -110- ● Carrageen (ganz besonders iota-Carrageen) erwies sich in Laborversuchen als hochgradig wirksam gegen die gefährlichsten HPV-Typen, schon in niedrigsten Konzentrationen. Daneben besteht noch Wirksamkeit gegen andere Viren (einschließlich HIV), wozu allerdings teilweise deutlich höhere Konzentrationen erforderlich sind. Leider kann die antivirale Wirksamkeit von Carrageen durch Begleitstoffe aufgehoben werden. Man kann also nicht einfach eine CHXLösung mit Carrageen-Pulver anreichern, weil man nicht weiß, ob das Carrageen seine antivirale Wirksamkeit dann behält, oder gar womöglich noch das CHX in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt. Dies müsste erst durch Laborversuche geklärt werden, die aber nicht vorliegen. Mangels besseren Wissens bleibt also zur Zeit nichts anderes übrig, als das Carrageen isoliert anzuwenden. Kommerziell ist dazu ein Nasenspray erhältlich (Coldamaris prophylactic) mit iota-Carrageen, das man sich in Mund und Rachen sprühen könnte. Da es nicht als Arzneimittel gilt, ist es zulässig, dies aus Österreich einzuführen (z.B. über österreichische Apotheken zu bestellen); es darf im Gegensatz zu Arzneimitteln nach Deutschland geliefert werden. Aber man kann sich auch iota-Carrageen-Pulver (das z.B. als Geliermittel für den Küchenbedarf angeboten wird) direkt kaufen und sich dann vor dem Besuch bei einer FSW eine wässrige Carrageen-Lösung herstellen (gut schütteln; vor dem Mundspülen/gurgeln nochmals schütteln, bis eine gleichmäßige Trübung erreicht ist). Ein Teil der Lösung kann dann in ein Rachensprühfläschchen umgefüllt werden, um das Carrageen gezielt in den Rachen zu sprühen (siehe Anlage 3). Carrageen hinterlässt im Mund-Rachen-Raum einen Schutzfilm, so dass es – wie beim CHX – auf diese Weise möglich ist, den ungeschützten Oralverkehr, also z.B. das ungeschützte Lecken, mit Carrageen zu „umrahmen“ – im Sinne einer Periexpositionsprophylaxe. Man würde dazu sowohl vor wie nach dem ungeschütztem Lecken mit der Carrageen-Lösung spülen/gurgeln und idealerweise auch in den Rachen sprühen. Ein Problem besteht allerdings darin, dass Carrageen keine antibakterielle Wirkung hat. Carrageen kann daher die CHX-Anwendung nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Andererseits weiß man nicht, ob CHX oder Octenisept das Carrageen inaktiviert, oder sich womöglich beide Stoffe gegenseitig inaktivieren, so dass eine direkte kombinierte Anwendung nicht empfehlenswert ist. Da PVP-Jod ein starkes Oxidationsmittel ist, ist es wahrscheinlich, dass es mit Carrageen interagiert – was aber nicht so tragisch ist, weil PVP-Jod wohl selbst eine Wirksamkeit gegen HPV entfaltet. Man muss sich also entscheiden, wann und in welcher Reihenfolge man was anwendet. Da die Ausbildung einer Schutzschicht bei einer Carrageen-Lösung effizienter geschieht als bei CHX, bietet sich daher an, direkt vor dem ungeschütztem Lecken lediglich mit Carrageen zu spülen und zu gurgeln. Dann nur ausspucken, nicht mehr ausspülen, nichts mehr trinken, damit der Carrageen-Schutzfilm erhalten bleibt. Nach dem ungeschützten Lecken dann wie gewohnt ausspucken und – wenn möglich – mit Wasser ausspülen. -110a- Danach erneute Carrageen-Spülung/Gurgeln/Spray (nur ausspucken, nicht mit Wasser spülen), damit sich ein neuer Carrageen-Film auf der Mund- und Rachenschleimhaut bilden kann. Einige Minuten später dann Spülen und Gurgeln mit 0,2 % CHX, Octenisept oder PVP-Jod, um auch die Erreger zu erfassen (Bakterien), gegen die Carrageen nicht direkt wirksam ist. Diese Reihenfolge geht davon aus, dass ein irreversibles Eindringen von Viren (z.B. in Zielzellen oder durch Lücken zwischen den äußersten Zellen der Mundschleimhaut) „schneller“ geschieht als von Bakterien, und dass der antivirale Schutz durch Carrageen eine höhere Priorität hat als der breiter gestreute Schutz durch CHX. Dies berücksichtigt auch das Gesundheitsrisiko, das von den Erregern ausgeht: krebserregendes HPV und (wenn auch viel unwahrscheinlicher) HIV sind viel gefährlichere Erreger als Bakterien wie Chlamydien, Gonokokken oder Mykoplasmen, die sich zwar im Rachen festsetzen können, letztendlich dort aber keine gefährlichen Erkrankungen verursachen (meist völlig asymptomatisch) und in der Regel früher oder später wieder spontan ausheilen, und deren Problem vor allem darin besteht, dass sie durch ungeschützten Oralsex auf andere Geschlechtspartner weiterverbreitet werden könnten. Insofern liegt die Priorisierung ganz klar auf dem Virenschutz, und daher sollte die CarrageenSpülung/Gurgeln/Spray nach ungeschütztem Oralsex zeitlichen Vorrang haben vor der CHXSpülung/Gurgeln/Spray. -111- ANLAGE 3 STD-Wirksamkeit antiseptischer Mundspül- und Gurgellösungen Allgemein ist zu beachten, dass die Infektionsprävention durch Mundspülungen/Gurgeln bei ungeschütztem Oralsex grundsätzlich als experimentell einzustufen ist, da sie auf Annahmen beruht, die aus Laborversuchen stammen. Die STD-Wirksamkeit keiner dieser Maßnahmen wurde je direkt am Menschen getestet, und ist aus ethischen Gründen auch nicht testbar. Immerhin führten Listerine-Spülungen bei Männern mit Rachengonorrhoe dazu, dass vorübergehend die Häufigkeit des Gonokokkennachweises in Rachenabstrichen reduziert wurde, so dass anzunehmen ist, dass das Infektionsrisiko für Oralsex- oder Zungenkuss-Partner von Personen mit (in der Realität der Sexarbeit meist unbemerkter) Rachengonorrhoe nach einer Listerine-Spülung eine Zeitlang reduziert wird. Da man nicht einmal in der Lage ist, das HIV-Risiko der verschiedenen Oralsexpraktiken quantitativ einzuschätzen, ist es schon gar nicht möglich Aussagen zu treffen, in welchem Umfang dieses (ohnehin absolut gesehen sehr kleine) Risiko durch Mundspülungen/Gurgeln weiter verringert werden kann. Außerdem dürfte dies auch von den konkreten Umständen im Einzelfall abhängen (z.B. dem Zeitabstand zwischen der Risikoexposition und der Spül/Gurgelaktion). Das gilt ebenso für die Effekte gegenüber anderen bakteriellen oder viralen STD-Erregern. In der Gesamtschau der Erreger, die man sich im Rahmen des ungeschützten Oralsex einfangen kann, dürften geeignete Spüllösungen (vor allem solche mit CHX oder Octenidin oder PVP-Jod) aber nicht völlig nutzlos sein. Dies bedeutet aber auch: keine FSW und kein Kunde sollten sich im Vertrauen auf die Wirksamkeit von Mundspüllösungen (einschließlich CHX, PVP-Jod, Octenisept und Carrageen) auf Oralsexpraktiken einlassen, die sie/er nicht (ungeschützt) betreiben würde, wenn es diese Spüllösungen nicht gäbe. Die Spülungen bieten keine Garantie, sondern nur die Chance auf eine Risikoreduktion. Wer sich im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Mundspüllösungen zu riskanteren Praktiken hinreißen lässt, geht – trotz Mundspülung/Gurgeln – letztendlich sogar höhere Risiken ein. Daher ist aus STD-präventiver Sicht weiterhin die konsequente Anwendung von Barrieremethoden (Kondome bzw. Lecktücher) beim Oralsex dringend anzuempfehlen, sowie zur HPV-Prävention die Impfung gegen HPV. Die antiseptischen Spülungen stellen daher nur eine „Notlösung“ dar für diejenigen, die sich an diese offiziellen Empfehlungen – aus welchen Gründen auch immer – nicht halten wollen, was im Rahmen des sexuellen Selbstbestimmungsrechts und (vor allem aufseiten der FSW) in Abwägung von Vor- und Nachteilen im Sinne einer informierten Entscheidung durchaus nachvollziehbar sein kann. -112- Hochprozentiger Alkohol (70 – 80 %): sehr hohe STD-Wirksamkeit, auch gegen HIV – höchstwahrscheinlich aber nicht gegen HPV! Häufiger Kontakt von hochprozentigem Alkohol mit der Schleimhaut von Mund und Rachen stellt aber ein Krebsrisiko dar, besonders bei Rauchern. Alkoholspülungen sind daher als Routinemaßnahme zu riskant und sollten extremen, seltenen Ausnahmesituationen (Hochrisikosituationen) vorbehalten bleiben (z.B. versehentliche Aufnahme bei FSW, die keine Aufnahme anbieten; seltenes ungeschütztes Lecken eines Freiers bei einer FSW). Nach einem Alkoholkontakt sollten für mehrere Stunden alle Ereignisse mit theoretisch möglichem HIVRisiko vermieden werden, da Alkohol das Eindringen von HIV in Zellen der Mundschleimhaut für mehrere Stunden stark beschleunigt und verstärkt (das gilt auch für niedrige Alkoholkonzentrationen z.B. aus Getränken). Chlorhexidin-Lösung (0,1 % bis 0,2 %) (alkoholfrei oder niedriger Alkoholgehalt) In Laborversuchen gute STD-Wirksamkeit u.a. gegen HIV (auch noch nach mehrfacher Verdünnung), Hepatitis B, Herpes simplex, verschiedene bakterielle STDs wie z.B. Gonokokken und Chlamydien. Keine Wirksamkeit gegen HPV. Chlorhexidin kann in dieser Konzentration über einige Wochen 1 bis 2 x am Tag angewendet werden. Langfristiger Gebrauch führt aber zu zwar harmlosen, aber für FSW und auch wohl für Kunden nicht akzeptablen reversiblen Zungen- und Zahnverfärbungen, auch Geschmacksstörungen (ggf. Gefühl von „faulem Geschmack“ im Mund); selten Allergien und Erosionen. Etwa 2 % aller Anwender entwickeln Allergien. Für die Daueranwendung, ggf. mehrfach am Tag, ist CHX daher in dieser Konzentration (0,1 – 0,2 %) nicht empfehlenswert. Nur geeignet für gelegentliche (eher seltene) Hochrisikosituationen bei einer Anwendungshäufigkeit von deutlich weniger als 1 x pro Tag. Dies schließt nicht aus, dass es an Einzeltagen z.B. im Rahmen eines Clubbesuchs mehrfach angewandt werden kann, ohne dass man dann gleich Verfärbungen befürchten müsste. Chlorhexidin nicht in zeitlichem Zusammenhang mit Zähneputzen (mit Zahnpasta) anwenden, da bestimmte Stoffe in Zahnpasten die antimikrobielle Wirkung von Chlorhexidin aufheben sollen (etwas umstritten)! Auch Saccharose (also zuckerhaltige Speisen und Getränke) beeinträchtigt die antimikrobielle Wirksamkeit von Chlorhexidin. Vorteilhaft ist die sehr gute Haftkraft an der Mundschleimhaut und die damit verbundene lange Wirksamkeit (über 12 Stunden), also ein gewisser „Depoteffekt“, sofern CHX nicht zuvor durch Tenside aus Zahnpasten oder Saccharose inaktiviert wird. Alkoholfreies CHX sollte im Kontext von Paysex unbedingt bevorzugt werden (Alkohol erhöht die Aufnahmefähigkeit der Mundschleimhaut für manche STD-Erreger wie HIV). -113- Chlorhexidinreduzierte Lösungen (0,05 oder 0,06 %) (alkoholfrei) Laborversuchen zufolge ist auch bei dieser Konzentration noch mit einer guten STDWirksamkeit (jedenfalls gegen HIV) zu rechnen. Chlorhexidin erhöht die Permeabilität (Durchlässigkeit) der Zellmembran und Virushüllen, reißt also Löcher in Membranen und Hüllen, wodurch die Mikroorganismen schließlich platzen (was auch die fehlende Wirksamkeit gegen hüllenlose Viren wie HPV erklärt). Dieser Effekt kann auch bei sehr niedrigen Konzentrationen funktionieren, da es nicht darauf ankommt, ob wenige oder viele Löcher in die Hüllen gerissen werden. In jedem Fall wird das Virus zerstört. Die Chlorhexidin-Konzentration ist bei den CHX-reduzierten Mundspül- und Gurgellösungen abgesenkt mit dem Ziel, dass diese Lösungen dauerhaft täglich genutzt werden können, ohne dass die Nebenwirkungen der höher dosierten Präparate auftreten, oder dass diese Nebenwirkungen wenigstens viel schwächer ausfallen. Einzelne FSW berichten sehr gute Erfahrungen mit diesen Präparaten ohne jegliche Nebenwirkungen und ohne Probleme selbst bei häufiger Anwendung (mehrfach am Tag), obgleich diese Lösungen für eine so häufige Anwendung nicht gedacht und nicht getestet sind (denn für den eigentlichen Anwendungszweck, die Gesundheit von Zähnen und Zahnfleisch zu fördern, ist eine so häufige Anwendung nicht erforderlich). Da individuelle Unterschiede in der Empfänglichkeit gegenüber CHX-Nebenwirkungen bestehen, muss jeder selbst für sich ausprobieren, ob tägliche oder ggf. mehrfach tägliche Anwendung infrage kommt. Die Empfindlichkeit für CHX-bedingte Verfärbungen ist individuell sehr unterschiedlich und hängt auch von Ernährungs- und Zahnpflegegewohnheiten ab. Es bleibt daher nur, auszuprobieren und die individuellen Grenzen der Anwendbarkeit auszutesten. Freier, die nur gelegentlich Risikosituationen (Lecken) eingehen, in denen sie antiseptisch spülen/gurgeln wollen, sollten dann allerdings besser auf die hochdosierten Präparate (0,2 % CHX) zurückgreifen. Octenisept (mit 0,1 % Octenidin) Octenisept ist ein flüssiges (wässriges) Wund- und Schleimhautantiseptikum, das auch für Mundspülungen verwendet werden kann. Es handelt sich um ein stark wirksames Antiseptikum, das nicht zur Daueranwendung geeignet ist, sondern nur „zeitlich begrenzt“ eingesetzt werden soll, dann allerdings auch mehrfach am Tag möglich. Nach Firmenangaben liegen keine Erfahrung über eine Nutzung im Mund von mehr als > 2 Wochen vor. Denkbar ist also der Einsatz in gelegentlichen (eher seltenen) speziellen Risikosituationen. Nachteilig ist ein recht lange anhaltender bitterer Geschmack (ggf. bis zum nächsten Morgen) und ein vorübergehendes pelziges Gefühl auf Zunge und Lippen. Verfärbungsgefahr besteht aber bei zeitlich begrenzter, situativer Anwendung nicht. Der anhaltende bittere Geschmack korreliert mit der länger anhaltenden Wirkung. -114- Im Labor sehr gute Wirksamkeit gegen STD-Keime (Chlamydien, Gonokokken, Herpes simplex, HBV, HCV, HIV werden nach 30 Sekunden Einwirkzeit abgetötet, Trichomonaden nach einer Minute, Pilze nach zwei Minuten). Zu HPV werden direkt keine Aussagen getroffen; eine gute Wirksamkeit gegen HPV ist aber nicht zu erwarten, da es nur gegen lipophile Viren wirkt. Mundspülen/Gurgeln sollte 20 Sekunden lang erfolgen (Spülmenge: 20 ml), danach sollte eine weitere Einwirkzeit von einer Minute ermöglicht werden. Es sollten keine größeren Mengen verschluckt werden (Reizungen der Magen- und Darmschleimhaut möglich). Octenisept hat wie CHX eine länger anhaltende Wirkung. In einigen klinischen Vergleichsstudien erwies sich Octenisept sowohl gegenüber der oralen Bakterienflora wie auch in anderen Zusammenhängen (z.B. Vaginalflora) als wirksamer als das CHX-basierte Vergleichspräparat. In Versuchen zur Biokompatibilität (mit menschlichen Zellen) war es ebenfalls dem CHX überlegen, und das Allergierisiko ist vermutlich geringer als bei CHX, aber noch nicht so gut untersucht. Allerdings liegen keine direkten Vergleichsuntersuchungen zwischen Octenisept und CHX in Bezug auf spezielle STD-Keime vor. In Bezug auf STD-Keime ist CHX besser untersucht. Ausnahme ist der Hefepilz Candida, den man allerdings nur als STD-Keim im weiteren Sinne betrachten kann. Auch hier erwies sich Octenisept wieder überlegen. Betrachtet man die vorliegende Datenlage in der Gesamtschau, ist es aber naheliegend anzunehmen, dass Octenisept auch in Bezug auf STD-Keime dem CHX (jedenfalls in den für Mundspüllösungen maximal verfügbaren CHX-Dosierung von bis zu 0,2 %) überlegen sein dürfte. Octenisept ist aber ausdrücklich (nach Herstellerangaben) nicht zur Daueranwendung vorgesehen und primär auch gar nicht als Mundspüllösung gedacht; das ist eher ein Nebeneffekt. Octenisept ist ein apothekenpflichtiges Arzneimittel (aber rezeptfrei erhältlich, wie CHX), allerdings in Apotheken nicht mit derselben Selbstverständlichkeit vorrätig wie CHX. Nach Firmenangaben kann Octenisept auch zum Gurgeln benutzt werden; nur so wird der Rachenbereich erreicht, der bekanntlich den Hauptangriffspunkt für viele STD-Erreger im Mund-Rachen-Raum darstellt. Allein schon wegen des über Stunden anhaltenden bitteren Geschmacks kommt es aber für die routinemäßige Anwendung als Mundspül- und Gurgelmittel nicht infrage, abgesehen davon, dass es ohnehin nur für die kurzfristige bzw. gelegentliche Anwendung vorgesehen ist. Auch der Hersteller weist darauf hin, dass Octenisept „ein Wundund Schleimhautantiseptikum ist und weder eine reine Mund- noch Mund- und Gurgellösung“. Denkbar wäre daher der Einsatz als Mundspül- und Gurgelmittel in gelegentlichen (seltenen) oralen Hochrisikosituationen, sofern man sich am bitteren Geschmack nicht stört. Auch sollte beim tiefen Gurgeln nichts in den Kehlkopfbereich gelangen, weil dies zu mehrere Stunden anhaltenden Reizungen bis hin zu Räusperzwang, Hustenreiz und vorübergehenden Veränderungen des Stimmklanges führen kann; man sollte also darauf achten, dass man nicht „zu tief“ gurgelt. Octenisept sollte auch nicht angewandt werden, wenn tiefe Wunden (vor allem Stichwunden, perforierende Wunden) vorliegen. Octenisept eignet sich dagegen hervorragend zur Penisantisepsis im Schleimhautbereich des Penis, einschl. Harnröhrenausgang, ist dort problemlos tolerabel und in der mikrobiziden -115- Wirkung gegenüber STD-Erregern dem CHX (0,2 %) mit hoher Wahrscheinlichkeit überlegen. Außerdem kann man es auch zur Antisepsis im Hautbereich des Penis (statt des viruziden Hautdesinfektionsmittels) verwenden, was bei CHX 0,2 % nicht der Fall ist (für die Hautdesinfektion wird CHX in 4%-Konzentration verwendet ist, dies ist aber in Deutschland nicht verfügbar). Bei Anwendung von Octenisept reicht daher ein Präparat für die komplette Penisantisepsis, was praktikabler ist als eine Penisantisepsis mit 0,2 % CHX im Schleimhautbereich und Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept im Hautbereich. Povidon-Jod (PVP-Jod) (wie Betaisodona Mund Antiseptikum mit 7,5 % PVP-Jod) Povidon-Jod (PVP-Jod) stellt aufgrund seines breiten Wirkungsspektrums ein Mundantiseptikum der ersten Wahl und wird in der Medizin – alternativ zu hochprozentigem Alkohol – zur HIV-Prophylaxe nach Exposition gegenüber HIV-haltigen Flüssigkeiten empfohlen, also z.B. nach Blutspritzern in den Mund. Es gibt sogar Hinweise, dass es – im Gegensatz zu allen anderen Mundantiseptika – gegen HPV wirksam sein dürfte, auch wenn dies noch nicht so umfassend untersucht wurde wie im Falle von Carrageen. In Versuchen mit Säugetierzellen erwies es sich als besser zellverträglich als CHX oder Octenidin. Problematisch galt lange Zeit das Allergiepotenzial, allerdings wurde dies teilweise wohl auch überschätzt, weil Hautirritationen, die nach PVP-Jod-Anwendung an der Haut auftraten, als Allergien fehlinterpretiert wurden. Seit auch für CHX ein gewisses Allergiepotenzial nachgewiesen wurde, ist PVP-Jod nicht kritischer zu sehen als andere antiseptische Mundspüllösungen auch. Vorteilhaft sind auch antientzündliche Eigenschaften sowie die Fähigkeit, die Freisetzung von Toxinen und Enzymen aus (absterbenden) Bakterien zu unterdrücken. Der Geschmack ist angenehmer als derjenige von Octenisept (etwas süßlich wie der Nachgeschmack nach dem Trinken eines Kräuterschnapses), und trotz der tiefen Braunfärbung der Spüllösung – auch nach Verdünnung – findet sich unmittelbar nach der Mundspülung nur eine leichte Gelbfärbung der Zunge, die nach weniger als einer Minute komplett verschwindet. Auch eine unverdünnte Spülung – obwohl im Beipackzettel von Betaisodona nicht ausdrücklich empfohlen – ist tolerabel. Die Zunge ist unmittelbar danach etwas stärker gelb gefärbt als nach verdünnter Lösung (1 : 4), entfärbt sich aber innerhalb von 1 bis 2 Minuten komplett. Das Spülen mit unverdünnter Lösung fühlt sich etwas „schärfer“ an als Listerine, mit einem Kräuterschnaps vergleichbar. Ein tiefes Gurgeln des Rachens erscheint auch angesichts des Umstandes, dass man nichts verschlucken soll, bei unverdünnter Lösung aber schwierig. Nach dem unverdünnten Spülen bleibt vorübergehend ein kräuterschnapsähnlicher Nachgeschmack erhalten, der mit einem leichten Trockenheitsgefühl einhergehen kann, das sich aber bald wieder legt. Selbst das unverdünnte Spülen/Gurgeln ist in der Langzeitauswirkung wesentlich angenehmer als Octenisept mit seinem anhaltend bitteren Geschmack. Wenn man später (nach einer Wartezeit) wieder etwas isst, wird der Geschmack – im Gegensatz zu Octenisept – nicht beeinträchtigt. In Ostasien, z.B. Japan, findet PVP-Jod eine breite Anwendung auch in der Prävention vor allem von durch Tröpfcheninfektionen übertragbaren Krankheiten sowie in der Erkältungssaison. So -115a- wird unter anderem Klinikpatienten die mehrfach tägliche (viermalige) Spülung als Schutz vor Lungenentzündungen empfohlen; Klinikpersonal, das in infektionsgefährdeten Bereichen arbeitet, soll mehrfach täglich spülen und gurgeln, um nicht als Keimüberträger auf gefährdete Patienten zu fungieren, wobei man von einer vier Stunden anhaltenden antimikrobiellen Wirksamkeit ausgeht, was dann eine Anwendungsfrequenz von vier- bis fünfmal am Tag bedingt, wie sie auch Patienten mit Mucositis bei Chemo- oder Strahlentherapie empfohlen wird. Selbst Schulkindern werden in Japan Spülungen/Gurgeln mit PVP-Jod während der Erkältungssaison empfohlen, und diese führen nachweislich zu weniger Fehltagen in der Schule wegen Grippe oder Erkältung. In der Häufigkeit der Anwendung gibt es keine klar definierte Obergrenze. Während im prophylaktischen Kontext (wozu auch die Infektionsprävention bei Oralsex zählen würde) eine Spülung von 30 Sekunden als ausreichend angesehen wird, wird bei der Behandlung von Entzündungen, Halsbeschwerden oder Mucositis eine Spüldauer von 2 oder 3 Minuten empfohlen, und das „mehrmals täglich nach den Mahlzeiten“ (Betaisodona Mund Antiseptikum; bei Verdünnung 1 : 4). Auf den Tag hochgerechnet ergibt sich dann eine Spüldauer von womöglich 15 Minuten und mehr, was 30 prophylaktischen Anwendungen pro Tag äquivalent wäre. Damit stellt sich die Frage, ob sich verdünntes Betaisodona nicht als routinemäßiges Spül- und Gurgelmittel in der Sexarbeit eignet? Während die häufige Anwendung über begrenzte Zeiträume – wie sie zum Beispiel im Rahmen einer Chemo- oder Strahlentherapie erfolgt – gut etabliert ist, liegen Erfahrungen über langfristige prophylaktische Anwendung nur bei niedrigeren Spülfrequenzen vor (z.B. zur Prophylaxe während einer Erkältungssaison). Mit anderen Worten: über begrenzte Zeiträume von einigen Wochen ist eine so häufige Anwendung tolerabel – aber auf Dauer? Während die in Ostasien verfügbaren, teilweise auch niedriger dosierten Spüllösungen auch unverdünnt zum Spülen und Gurgeln verwendet werden können – auch im prophylaktischen Kontext –, soll unverdünntes Betaisodona Mund Antiseptikum bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nur lokal im Mund zur Anwendung kommen. Es soll „im Bereich des vorgesehenen Eingriffs“ angewendet werden. Eine Spülung oder gar ein Gurgeln mit unverdünntem Betaisodona wird im Beipackzettel nicht ausdrücklich empfohlen, es wird aber auch nicht davor gewarnt (lediglich vor Verschlucken wird gewarnt). Unabhängig davon sind die hohen Kosten zu bedenken, wenn man mit Betaisodona immer unverdünnt spülen würde – bei einer empfohlenen Spülmenge von 10 – 15 ml reicht dann eine 100-ml-Flasche gerade einmal für 7 bis 10 Spülungen, und eine einzige Spülung würde mehr als einen Euro kosten. Außerdem beträgt der Alkoholgehalt im unverdünnten Zustand 36 % - und damit mehr als bei klassischem Listerine. Zur (wiederholten) Spülung der Mundhöhle soll Betaisodona Mund Antiseptikum im Verhältnis 1 : 4 mit warmem Leitungswasser verdünnt werden und dann drei Minuten im Mund gehalten werden. Die Verdünnung ist jeweils frisch herzustellen und dann „alsbald“ zu verbrauchen, „da bei längerer Lagerung die Stabilität nicht in jedem Fall garantiert werden kann.“ -115b- Auf der anderen Seite gibt es auch Aussagen, dass PVP-Jod auch in starken Verdünnungen (bis zu 1 : 300 einer nicht näher bezeichneten Ausgangskonzentration, wie sie in Kliniken beschafft wird) noch antibakteriell wirksam sei. Allerdings ist nicht bekannt, wie weit man Betaisodona Mund Antiseptikum verdünnen kann, bis die Wirksamkeit gegen STD-relevante Bakterien und Viren verloren geht. Wäre dies erforscht, könnte es tatsächlich sein, dass PVP-Jod ein Mittel wäre, das einem „idealen Oralsexmittel“ nahe kommen könnte, nämlich dann, wenn es auch bei hohen Verdünnungen noch wirksam gegen alle relevanten STD-Erreger wäre, so dass angesichts der starken Verdünnungen Fragen von Kosten, Alkoholgehalt, Jod-Resorption usw. stärker in den Hintergrund treten würden. Da diese Fragen nicht geklärt sind, muss sicherheitshalber vor der routinemäßigen Anwendung von PVP-Jod als „Oralsexmittel“ abgeraten werden. Zu viele Fragen sind offen, zu viele Probleme bei routinemäßiger Daueranwendung absehbar: ● bis zu welcher Verdünnung ist PVP-Jod bzw. konkret Betaisodona Mund Antiseptikum gegen relevante STD-Erreger wirksam? ● begrenzte Haltbarkeit verdünnter Lösungen – da die Lösungen immer frisch hergestellt werden sollen, ist dies unter den Bedingungen der Sexarbeit schwierig (einschließlich des Problems der korrekten Dosierung bei der Verdünnung) ● bei häufiger/längerfristiger Anwendung sind unbedingt zuvor Schilddrüsenerkrankungen, besonders eine Überfunktion bzw. ein Kropf auszuschließen – es wäre also vor einer „Routineanwendung“ eine ärztliche Untersuchung erforderlich ● da unter langfristiger Anwendung die Konzentration des schilddrüsen-stimulierenden Hormons (TSH) im Blut ansteigt, sollten zwischendurch (z.B. nach einem halben Jahr) dreiwöchige Anwendungspausen angesetzt werden, in denen der Hormonspiegel dann wieder auf das Ausgangsniveau sinkt. Anstiege der Konzentration von „stimulierend“ wirkenden Hormonen sind aber grundsätzlich als kritisch zu bewerten, weil Eingriffe in den Hormonhaushalt immer auch Risiken beinhalten (weil dadurch zelluläre Signalwege hoch- oder herunterreguliert werden können) ● der hohe Alkoholgehalt (Betaisodona: unverdünnt 36 %). Häufiger (mehrfach täglicher) Alkoholkontakt von Mund und Rachen gilt jedenfalls bei Rauchern als Krebsrisiko (Nichtraucher sind davon nicht oder kaum betroffen) ● Alkoholkontakt der Mundschleimhautzellen erhöht für mindestens zwei Stunden die Aufnahme von HIV in die Mundschleimhautzellen, sofern es in dieser Zeit zu einer HIVExposition kommt. Dies gilt auch bei niedrigen Alkoholkonzentrationen (z.B. 4 %), wie sie bei stärkerer Verdünnung von Betaisodona (als bestimmungsgemäß vorgesehen) auftreten würden. Ob die erhöhte Aufnahme von HIV in Mundschleimhautzellen nach Alkoholkontakt mit erhöhten Infektionsrisiken einhergeht, ist unklar, da sich HIV in Mundschleimhautzellen kaum vermehrt (keine „Zielzelle“ im eigentliche Sinne), und die obersten Zellen des Mundschleimhautepithels rasch abgestoßen (abgeschilfert) werden. Eine Risikoerhöhung durch Abgabe von HIV an infizierbare Zellen in -115cder Umgebung (Transfektion) kann aber zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund sollte routinemäßiger Alkoholkontakt bei oral ungeschützter Sexarbeit vorsichtshalber vermieden werden, abgesehen von der Postexpositionsprophylaxe nach seltenen Hochrisikosituationen, wonach dann für einige Stunden aber keine weiteren Risikosituationen mit potenzieller HIVKontamination mehr eingegangen werden sollten. ● Beim Rachengurgeln ist ein Verschlucken zu vermeiden, da sonst Atembeschwerden bis hin zu Lungenentzündungen auftreten können. Beim zu vorsichtigen Gurgeln besteht aber das Risiko, dass infektionsgefährdete Rachenbereiche nicht ausreichend erreicht werden. Als Rachenspray ist PVP-Jod bei uns nicht erhältlich (im Gegensatz zu Japan, wo es eine 0,45 %-ige Spraylösung gibt). ● Probleme im Umgang mit der braunen Lösung: z.B. Flecken auf der Kleidung, wenn etwas verschüttet wird oder beim Ausspucken verspritzt, die nur mit speziellen Mitteln gereinigt werden kann In der Gesamtschau wird damit deutlich, dass PVP-Jod trotz interessanten Potenzials nicht als routinemäßiges „Oralsexmittel“ in der Sexarbeit geeignet ist. Es stellt aber eine interessante Alternative zur Postexpositionsprophylaxe in seltenen oder gelegentlichen (ggf. versehentlich eingetretenen) Hochrisikosituationen dar, insbesondere anstelle von hochprozentigem Alkohol (70 – 80 %) oder Octenisept. Octenisept hat zwar den Vorteil, dass es alkoholfrei ist, hinterlässt aber für viele Stunden, oft bis zum nächsten Morgen, einen unangenehmen bitteren Geschmack. Und gegenüber CHX 0,2 % dürfte Betaisodona selbst nach Verdünnung 1 : 4 in der Wirksamkeit überlegen sein. Angesichts seiner breiten Wirksamkeit stellt es auch eine interessante Option der Postexpositionsprophylaxe für Freier dar, die gelegentlich bei SDLs ungeschützt lecken. Die Spül- und Gurgeldauer sollte 30 Sekunden nicht unterschreiten, danach ausspucken (nicht schlucken), nicht nachspülen, für einige Zeit nichts essen oder trinken (damit PVP-Jod ungestört einwirken kann). Abschließend ist festzustellen, dass es keine Spül-/Gurgellösung gibt, die optimal auf die Belange von gelegentlichem, und schon gar nicht von regelmäßigem/häufigen ungeschützten Oralverkehr abgestellt ist. Grundsätzlich gibt es durchaus Ideen, wie solche Spüllösungen zusammengesetzt sein könnten. Ein Ansatz wäre die Kombination von Chlorhexidin in verschiedenen Dosierungen (abhängig von der Gebrauchshäufigkeit, um die typischen Chlorhexidin-Nebenwirkungen zu vermeiden) mit iota-Carrageen – wobei aber zunächst Labortests klären müssten, ob sich nicht beide Stoffe in ihrer antimikrobiellen Wirksamkeit gegenseitig behindern, und wie sich diese Kombination auf den Depoteffekt (Hafteffekt) an der Mundschleimhaut auswirkt. Eine weitere Option wäre die Kombination von Chlorhexidin mit bestimmten Dendrimeren (das sind komplexe Polymere), die ebenfalls eine gute antivirale Wirksamkeit (auch gegen HPV), aber keine antibakterielle Wirksamkeit aufweisen – daher die Notwendigkeit der Beimischung von CHX. Auch hier stellt sich dann die Frage, ob und wie sich beide Wirkstoffe hinsichtlich der antibakteriellen (CHX) und antiviralen Wirkung gegenseitig beeinflussen. -115d- Im Prinzip wäre es also schon denkbar, dass man Spüllösungen entwickeln könnte, die gezielt dazu dienen, bakterielle und virale Infektionsrisiken (einschließlich HPV!) von ungeschütztem Oralsex zu mindern. Dennoch wird damit nicht zu rechnen sein, denn der Markt für solche Produkte ist zu klein. In privaten Beziehungen dürfte Oralsex kaum mit größeren „InfektionsBedenken“ assoziiert sein. In der Sexarbeit wird offiziell ohnehin der geschützte Oralsex empfohlen und in Deutschland ab 1.7.2017 sogar gesetzlich vorgeschrieben (Kondompflicht des Prostituiertenschutzgesetzes). Die Frage nach risikoreduzierenden Mundspüllösungen im Kontext von Paysex stellt sich damit zumindest offiziell gar nicht. Aus Sicht der Hersteller dürfte es daher gar keinen Markt für ein solches Produkt geben – oder die Marktnische wäre jedenfalls viel zu klein. -116- Allgemeine ergänzende Anmerkungen zur oralen Antisepsis im Kontext von ungeschütztem Oralsex im Paysex Die Anwendung antiseptischer Spül-/Gurgel- oder Spraylösungen zur Infektionsprävention im Zusammenhang mit ungeschütztem Oralsex (sowohl aufseiten der FSW wie aufseiten des Kunden, sofern dieser ungeschützt leckt) lässt sich grundsätzlich in vier Prinzipien einteilen: Lokale Präexpositionsprophylaxe Hier geht es darum, vor dem ungeschützten Oralsex Mund- und (vor allem!) den Rachenraum mit einem vermeintlich schützenden „Film“ einer antiseptisch wirksamen Lösung zu überziehen. Hierzu eignen sich nur Präparate, die gut an der Schleimhaut haften oder eine Art „Schutzfilm“ bilden wie CHX, Octenisept (das aber nur ausnahmsweise benutzt werden sollte und für Stunden bitter schmeckt) und besonders Carrageen, das aufgrund seiner Unschädlichkeit (selbst in Babynahrung!) und Geschmacklosigkeit mehrfach/vielfach am Tag angewandt werden kann und dank seines gelierenden Effektes besonders effektiv einen Schutzfilm bildet. Carrageen hat allerdings den Nachteil, dass es nur gegen Viren wirkt, die allerdings im Kontext von Oralsex die mit Abstand „gefährlicheren“ Keime darstellen, wenn man einmal die mit viralen Infektionen verbundene Krankheitslast (z.B. Hepatitis B, HIV, krebserregendes HPV) vergleicht mit der recht geringen Krankheitslast für einen Träger, der von bakteriellen Gonokokken-, Chlamydien- oder Mykoplasmen-Infektionen im Rachenraum befallen ist, die in der Regel selbstlimitierend sind und irgendwann selbst ausheilen. Lokale Postexpositionsprophylaxe Hier geht es darum, direkt nach einem potenziell infektiösen Oralsexereignis in den Mund und (vor allem) Rachen aufgenommene Keime abzutöten bzw. zu inaktivieren, damit es erst gar nicht zu einer Infektion kommen kann. Je nach Keimart und Vorhandensein von Eintrittspforten ist das Zeitfenster, das hierfür zur Verfügung steht (wie schnell muss man spülen/gurgeln/den Rachen einsprühen?) unterschiedlich. Letztendlich ist aber auch für keinen Keim genau bekannt, wie viel Zeit man nach der Exposition hat, das Risiko einer Infektion durch Abtöten der Keime durch mikrobizide Mittel (wie Antiseptika) noch zu verringern oder zu unterbinden? Bei HIV hört man gelegentlich von einem 2-Stunden-Fenster (was lokale Maßnahmen betrifft; eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe hat ein größeres Fenster und sollte am besten innerhalb von 24 und maximal 72 Stunden erfolgt sein), aber ob das z.B. für den Infektionsweg über die Rachenschleimhaut oder eventuelle Verletzungen, Geschwüre oder andere Eintrittspforten der Mundschleimhaut so zutrifft, weiß man auch nicht genau, weil solche Fragestellungen in Studien am Menschen nicht geklärt werden können, und selbst im Affenmodell kann der zeitliche Verlauf schon wieder ein anderer sein. -117- Und, wie bereits erwähnt, kann dies auch zwischen verschiedenen Eintrittspforten variieren. Es mag ein Unterschied sein, ob HIV durch eine offene kleine Wunde oder eine Herpes-Läsion im Mund in den Körper eindringt, über entzündete Mandeln, oder – was dann nach theoretischen Überlegungen schon weniger wahrscheinlich, aber immerhin auch noch denkbar wäre – über unauffällige Mandeln. Das Zeitfenster mag – ebenso wie die Höhe des Infektionsrisikos (das absolut gesehen natürlich für HIV nur sehr klein sein ist) – daher von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen. Aus diesem allgemeinen Unwissen über die Größe des Zeitfensters im Allgemeinen und vor allem in der konkreten Situation (mit ihren konkreten Risikofaktoren im Mund und Rachen im individuellen Fall) heraus resultiert die Empfehlung, eine antiseptische Spülung/Gurgeln/Spray so schnell wie möglich nach dem potenziell infektiösen Ereignis vorzunehmen. Wie schnell das erfolgen muss, wann die Effektivität abnimmt, und ab wann die Maßnahme nutzlos wird, lässt sich nicht einschätzen. Lokale Periexpositionsprophylaxe Die Periexpositionsprophylaxe kombiniert Prä- und Postexpositionsprophylaxe, indem der ungeschützte Oralsex von der Anwendung antiseptischer Präparate „umrahmt“ wird. Die Schleimhaut wird schon im Vorfeld durch Antiseptika mit guter Haftkraft an der Schleimhaut geschützt, und nach der Oralsex-Exposition werden zusätzlich die in den Mund und Rachen aufgenommenen Keime inaktiviert. Dadurch ist zumindest theoretisch ein insgesamt höherer Schutzeffekt zu erwarten. Die Grenzen der Methode liegen darin, dass so häufige Anwendung von Antiseptika bei vielen Präparaten nicht möglich oder nicht empfohlen wird (z.B. Chlorhexidin, Octenisept, PVP-Jod, alle alkoholhaltigen Präparate), und dass man andererseits nicht weiß, wie verschiedene Präparate miteinander interagieren und sich in ihrer Wirksamkeit beeinflussen. Das gilt besonders für Carrageen, dessen antivirale Wirksamkeit durch zahlreiche Begleitstoffe gemildert oder beseitigt wird; auch Chlorhexidin ist ziemlich empfindlich. Das einzige Präparat, das für eine FSW zur Periexpositionsprophylaxe geeignet ist, ist aufgrund seiner Unschädlichkeit Carrageen-Lösung, im Idealfall in Form selbst hergestellter wässriger iota-Carrageen-Spül- und -Sprüh-Lösung. Carrageen wird selbst in Babynahrung und Milchshakes verarbeitet und ist in den Mengen, die man aufnimmt, auch wenn man mehrmals am Tag spült und sprüht, unproblematisch. Aber es wirkt eben nicht gegen Bakterien, weshalb man dann im Einzelfall entscheiden muss, ob man nach der zweiten (postexpositionellen) Carrageen-Anwendung, in einigen Minuten Abstand, noch mit einem antibakteriell wirksamen Präparat z.B. auf CHX-Basis oder einem alkoholfreien Präparat auf Basis ätherischer Öle spült / gurgelt / sprüht. Für Kunden, die gelegentlich mal bei FSW ungeschützt lecken, ist das einfacher. Da sie viel seltener in die Situation kommen, sich vor Infektionsrisiken beim Oralsex schützen zu müssen, können sie zur Periexpositionsprophylaxe auch auf Präparate zurückgreifen, die nur für seltene oder gelegentliche Anwendung im Mund-Rachen-Raum geeignet sind, wie CHX 0,2 %, Octenisept (letzteres mit der Einschränkung, dass es für mehrere Stunden einen bitteren -118- Geschmack hinterlässt, so dass man es zumindest vor dem Sexkontakt vermeiden sollte) und vor allem PVP-Jod (wie Betaisodona Mund Antiseptikum), das ebenfalls eine hervorragende Wirksamkeit gegen STD-Keime – vermutlich sogar gegen HPV – zeigt, geschmacksmäßig aber viel besser toleriert wird als Octenisept. Wer als Kunde HPV-geimpft ist, kann auf die Periexpositionsprophylaxe mit Carrageen verzichten (die sich ja am HPV-Risiko beim ungeschützten Oralsex orientiert) und CHX 0,2 % zur Periexpositionsprophylaxe bzw. PVP-Jod zur Postexpositionsprophylaxe nutzen. Octenisept ist wohl ebenfalls effektiver als CHX, schmeckt aber schlecht und bitter und sollte nur selten bzw. in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, und dann auch nur nach dem Sex (schnellerer Wirkungseintritt als CHX, aber unangenehmer bitterer Geschmack und ggf. unangenehmes Gefühl nach dem Gurgeln oder Sprühen). PVP-Jod ist insofern dem Octenisept überlegen, sofern keine Kontraindikation (Allergie, Schilddrüsenüberfunktion) besteht. Auch wird die Anwendungshäufigkeit von PVP-Jod nicht so eng gesehen wie im Falle von Octenisept, vor allem wenn man die ostasiatische (japanische) Literatur zu PVP-JOD zugrunde legt. Wer als Kunde nicht HPV-geimpft ist, sollte seine Priorität auf die HPV-Prävention legen, denn von HPV 16 (als potenziellem Krebserreger) geht für ihn das größte Gesundheitsrisiko beim ungeschützten Lecken bei FSW aus. Eine Gonokokken- oder Chlamydieninfektion im Rachen muss zwar auch nicht sein, hat aber eher einen geringen Krankheitswert und heilt meist von selbst wieder aus. Bleibt das Syphilis-Risiko, das aber im Heterosex in Deutschland ohnehin sehr gering ist. Daher sollte der nicht HPV-geimpfte Kunde die HPV-Prävention und damit die Periexpositionsprophylaxe mit Carrageen in den Vordergrund stellen, die aus den oben genannten Gründen als unbedenklich zu bewerten ist. Einige Minuten nach der postexpositionellen Carrageen-Behandlung kann er dann noch mit einer auch antibakteriell wirksamen Lösung wie CHX 0,2 %, PVP-Jod oder (selten) Octenisept spülen / gurgeln / sprühen. Reduktion von Eintrittspforten und Entzündlichkeit Lokale Prä-, Post- oder Periexpositionsprophylaxe durch antiseptische Spülungen / Gurgeln / Sprays finden konkret im zeitlichen Bezug auf ein bestimmtes (oder mehrere eng aufeinander folgende) Oralsexereignis(se) statt. Dies ergibt sich schon aus der zeitlich begrenzten Wirksamkeit und Verfügbarkeit der betreffenden Präparate an der Mund- und Rachenschleimhaut. Dies unterscheidet sich insofern von Präexpositionsprophylaxe z.B. durch Tabletten, durch die antimikrobiell oder antiviral wirksame Stoffe über den Darm ins Blut gelangen und dort für mehrere Stunden oder einen ganzen Tag lang wirken. Wie an anderer Stelle schon erwähnt, können antiseptische Spülungen / Gurgeln / Sprays auch zeitlich völlig unabhängig vom ungeschützten Oralsex noch Infektionsrisiken senken. In diesem Fall nicht durch unmittelbares Einwirken auf infektiöse Mikroorganismen (durch Abtöten oder Inaktivieren), sondern indem sie die Entzündlichkeit im Mund (die Eintrittspforten schafft) verringern. Damit werden die Anzahl und die Empfänglichkeit der Eintrittspforten für krankmachende Erreger im Mund- und Rachenraum reduziert. Auf diese Weise tragen die Spül/Gurgel-/Spraylösungen indirekt zur Senkung des Infektionsrisikos bei. -119- Da dieser Mechanismus nicht an den Infektionserregern direkt ansetzt, sondern die Empfänglichkeit und Empfindlichkeit der Schleimhaut des Mund-Rachen-Raumes für diese Erreger moduliert, funktioniert dies auch mit antiseptischen Spülungen, gegen die die betreffenden Erreger gar nicht empfindlich sind. So wurde in einer Studie aus Baltimore gezeigt, dass tägliche Mundspülungen/Gurgeln mit beliebigen handelsüblichen Spüllösungen bei jungen Leuten das Risiko für eine HPV-Infektion im Mund-Rachen-Raum verringert, obwohl diese Spüllösungen gar nicht direkt gegen HPV wirken. Und in Japan wurde sogar beobachtet, dass simples Gurgeln mit Wasser (mindestens 3 mal am Tag) das Risiko für Infekte der oberen Atemwege im Winter um etwa ein Drittel verringert – ein weiteres Indiz für indirekte Effekte von Spülen und Gurgeln gegen krankheitsrelevante Keime, auch wenn das verwendete Spülmittel die betreffenden Keime gar nicht selbst abzutöten vermag. Wenn man aber sowieso situationsbezogen im Sinne der lokalen Prä-, Peri- oder Postexpositionsprophylaxe mit antiseptischen Spülungen/Sprays arbeitet, wird ja bereits täglich dafür gesorgt, dass das Entzündungsniveau und die Anzahl der Eintrittspforten gering gehalten werden. Dann sind zusätzliche tägliche Spülungen zu dem Zweck, Entzündlichkeit und Eintrittspforten zu bekämpfen, selbstverständlich überflüssig. Das macht dann nur in Phasen Sinn, wo die Sexarbeit pausiert wird, um kurz vor dem Wiedereinstieg in die Sexarbeit bereits „günstige“ Voraussetzungen im Mund- und Rachen-Raum vorzufinden. Das ist dann auch für Kunden relevant, die zu einem bestimmten Termin planen, bei einer DL ungeschützt zu lecken, und in den Tagen zuvor dann durch eine tägliche antiseptische Spülung/Gurgeln schon mal ihr Entzündungsniveau und ihre Eintrittspforten im Mund-Rachen-Raum herunterfahren wollen. Auch kann dies dazu beitragen, Mundgeruch zu lindern. Daher ist es Kunden auch unabhängig von der Frage, ob sie ungeschützt lecken wollen, durchaus anzuempfehlen, einige Tage vor einem geplanten DL-Besuch mit antiseptischen Spülungen / Gurgeln zu beginnen. Ohne konkreten Anlass, also ohne Bezug zu irgendwelchen Risiken, muss man nicht unbedingt antiseptische Spülungen/Gurgeln vornehmen. Schließlich bedeuten diese auch immer einen Eingriff in das natürliche Mikrobiom von Mund und Rachen. Wenn es keine (zahn)medizinische Indikation gibt, und keinen Anlass in Bezug auf ungeschützten Oralsex, braucht man nicht antiseptisch zu spülen und zu gurgeln oder gar zu sprühen. Jeder Eingriff mit Antiseptika stört schließlich auch das natürliche mikrobielle Gleichgewicht im Ökosystem Mund und Rachen. Eine Ausnahme ist hier lediglich das Carrageen, da es die Bakterienflora nicht direkt beeinflusst und daher auch kein Antiseptikum im eigentlichen Sinne darstellt. Evolutionsmäßig ist der Mund-Rachen-Raum des Menschen und seine ebenfalls im Laufe der Evolution entstandene mikrobielle Besiedlung und damit das „Ökosystem Mund-Rachen“ nicht so gestaltet, dass es auf antimikrobielle Spülungen und Gurgeln „von außen“ angewiesen wäre. Der Speichel selbst ist bereits (evolutionsmäßig) zu einer körpereigenen Flüssigkeit geworden, die antimikrobiell, auch antiviral wirkt, wenn auch in individuell unterschiedlichem Umfang (z.B. SLPI-Konzentration). Der Speichel benetzt die Schleimhäute bereits im Sinne einer Periexpositionsprophylaxe, z.B. mit dem sekretorischen Leukozyten-Protease-Hemmer (SLPI), der die Anheftung von Viren an die Schleimhautzellen blockiert. -120- Die individuellen Unterschiede in der antimikrobiellen/antiviralen Kapazität des Speichels sind teilweise genetisch bedingt (genetische Polymorphismen), eventuell auch epigenetisch („genetisches Gedächtnis“), altersabhängig (z.B. altersabhängige Verschiebungen der Speichelzusammensetzung, -sekretionsrate und SLPI-Konzentration), aber auch verhaltensabhängig (z.B. Einfluss des Rauchens). Vom Grundsatz her stellt aber der Speichel bereits ein natürliches (und evolutionsmäßig adäquates) antimikrobielles Spülmittel für den Mund und Rachen dar. Von Natur aus gesehen braucht das Mund-Rachen-System also keine künstlichen Eingriffe durch Antiseptika. Antiseptika (hier im Sinne antiseptischer Spül- / Gurgellösungen oder Sprays gemeint) sollten daher nicht anlasslos genommen werden, auch wenn Resistenzbildungen gegen Antiseptika normalerweise nicht möglich sind (Ausnahme: das umstrittene Triclosan). Anlass können (zahn)medizinische Gründe sein (z.B. zahnmedizinische Gründe bei Zahnfleischentzündungen und Zahnbetterkrankungen oder zur zahnmedizinischen Prophylaxe bei erhöhten Risiken), Halsinfekte/Halsschmerzen, die Bekämpfung oder Prävention multiresistenter Keime im Rachenraum bei betroffenen Personen, ihren Kontaktpersonen oder anderen Personen unter Risiko, die Bekämpfung von Mundgeruch (generell oder anlassbezogen) oder eben die Infektionsprävention bei ungeschütztem Oralsex, soweit dieser aufgrund des Sexualverhaltens der beteiligten Personen mit erhöhten Infektionsrisiken einhergeht, wie das nun mal im Paysex auf beiden Seiten der Fall ist, wenn ungeschützter Oralsex praktiziert wird. Das Spülen und Gurgeln mit Antiseptika bedeutet also immer einen Eingriff in ein natürliches Ökosystem, von dem der Nutzer der Antiseptika in der Regel gar nicht selbst beurteilen kann, ob dieses nun in seinem Artspektrum „günstig“ oder eher „gestört“ ist. In einem solchen Ökosystem gibt es stets auch „nützliche“ Bakterien, die im Rahmen eines ökologischen Gleichgewichts dafür sorgen, dass die eher schädlichen Bakterien nicht Überhand nehmen. Dies versucht man inzwischen zum Teil schon therapeutisch auszunutzen (z.B. durch probiotische Bakterienpräparate). Darum sollte der Einsatz von antiseptischen Spül- und Gurgellösungen sowie Sprays immer begründet sein und es sollte einen Anlass dafür geben, der einen Nutzen der Anwendung dieser Lösungen nahe legt. Dieser kann medizinisch/zahnmedizinisch sein, wegen Mundgeruch oder eben zur Infektionsprävention bei ungeschütztem Oralsex. Dies bedeutet umgekehrt: wenn der Anlass wegfällt oder über längere Zeit pausiert, sollte man auch die Anwendung antiseptischer Maßnahmen im Mund-Rachen-Raum unterbrechen, und erst dann wieder damit beginnen (ggf. einige Tage zuvor), wenn wieder ein Anlass vorliegt. Dies trifft z.B. auf FSW bei längerer Unterbrechung der Sexarbeit (Urlaub, Pausieren) zu, oder auf Kunden, die nur gelegentlich die Dienste von FSW (im Sinne von ungeschütztem Lecken) in Anspruch nehmen. In der Phase, in der mit antiseptischen Spülungen / Gurgeln / Sprays pausiert wird, kann sich dann das normale Ökosystem im Mund-Rachen-Raum wieder regenerieren. -121- Fehlende Studien Die Konzepte der Prä-, Post- und Periexpositionsprophylaxe bei ungeschütztem Oralsex im Rahmen der Sexarbeit sind letztendlich nicht evidenzbasiert, sondern beruhen auf Überlegungen der biologischen / infektionsmedizinischen Plausibilität und damit letztendlich auf Arbeitshypothesen. Es gibt keine wissenschaftliche Studie aus der Sexarbeit, die belegt, dass FSW, die ungeschützten Oralsex praktizieren und antiseptische Spül-/Gurgellösungen anwenden, weniger STD-relevante Infektionen im Mund-Rachen-Raum haben, als solche, die nicht spülen/gurgeln. Dasselbe gilt für Freier, die im Paysex ungeschützt lecken. Um es ganz deutlich zu sagen: ein Schutzeffekt – im Sinne einer (relativen) Risikoreduktion – durch diese antiseptischen Maßnahmen ist plausibel und auch wahrscheinlich, aber im streng wissenschaftlichen Sinne nie bewiesen worden, denn das ginge nur durch entsprechende Studien. Möglich wären solche Studien schon: es gibt Gesundheitsämter, die bei FSW auch (freiwillig) Rachenabstriche nehmen. Es gibt auch Frauenärzte, die große Clubs betreuen und dabei ebenfalls Rachenabstriche gewinnen. Darauf aufbauend könnte man eine Studie entwickeln. Wenn man die FSW dann noch mit einem standardisierten Fragebogen (bei Bedarf in die Muttersprache übersetzt) nach ihrem Oralsexverhalten (Häufigkeit ungeschützter Fellatio; Cunnilingus bei Kolleginnen) fragt, und nach ihrem Anwendungsverhalten antiseptischer Mundspül-/Gurgel-Lösungen, wäre eine wissenschaftliche Klärung der hier angerissenen Fragestellungen grundsätzlich möglich. Da die einzelnen Keime im Rachen (wie Gonokokken, Chlamydien, HPV 16), auf die man sinnvollerweise dabei testen könnte, selbst bei FSW relativ selten sind (voraussichtlich pro Keim zwischen 1 und 10 %), und Oralsexverhalten und antiseptisches Spülverhalten auch stark variabel sein dürften, bräuchte man eine recht große Stichprobe, um statistisch solide Ergebnisse zu erhalten. Machbar wäre aber so eine Studie, solange ungeschützter Oralsex in der Sexarbeit üblich ist und man deshalb davon ausgehen kann, dass dieser auch ehrlich zugegeben wird. Mit Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes wird dieses nicht mehr möglich sein. Unabhängig davon, wie sich dann das Oralsexverhalten „auf Zimmer“ wirklich entwickelt, kann man dann jedenfalls keine ehrlichen Antworten dazu erwarten. Entsprechende Studien wären dann nur noch im Ausland durchführbar. Im Rahmen einer solchen Studie sollten dann allerdings auch sehr empfindliche Methoden zum Keimnachweis verwendet werden (wie Nukleinsäureamplifikation), um eine höhere Sensitivität und Spezifität und eine bessere Trennschärfe zwischen infizierten und nicht infizierten Probandinnen zu erhalten. Diese Methoden sind recht teuer, bieten dann aber statistisch solidere Ergebnisse bzw. die Anzahl der Probandinnen kann dann auch niedriger ausfallen. Bei hoch empfindlichen Nachweismethoden ist man auch nicht auf die für manche als unangenehm empfundenen Rachenabstriche angewiesen. Eine Spül-Gurgel-Probe reicht dann aus oder ist gar effizienter als ein Abstrich. Das könnte auch die Teilnahmebereitschaft von Probandinnen erhöhen. Grundsätzlich ist es also machbar, die Frage wissenschaftlich zu klären, ob der Einsatz von antiseptischen Spül- und Gurgellösungen im Paysex – sofern ungeschützter Oralsex praktiziert -122- wird – einen Nutzen im Sinne einer Risikoreduktion bringt, oder nicht? Man könnte sogar herausfinden, welchen Nutzen das in Bezug auf bestimmte Keime hat, realistischerweise jedenfalls in Hinblick auf Gonokokken, Chlamydien und HPV (gesamt) oder HPV-16. Aus den Erkenntnissen, die man an diesen drei „Modellkeimen“ gewonnen hat, ließen sich dann auch Schlussfolgerungen für andere STD-Keime ziehen, die im Mund-Rachen-Raum noch von Relevanz sein könnten (wie z.B. HIV, Hepatitis B, Syphilis), auch wenn sie sich aufgrund ihrer Seltenheit und Infektionswege der Untersuchbarkeit im Rahmen des oben skizzierten Studiendesigns entziehen. Es ist nicht wirklich wahrscheinlich, dass irgendwann eine solche Studie durchgeführt werden wird, und in Deutschland wird das unter den Bedingungen des Prostituiertenschutzgesetzes auch nicht mehr möglich sein, aber im Ausland wäre das weiterhin realisierbar. Vielleicht finden sich ja ein Doktorand und ein Doktorvater, die sich dieses Themas mal annehmen? Wirksamkeit im Rachenbereich: gurgeln, langsam schlucken oder sprühen ? Ein grundlegendes Problem der Mundspüllösungen im Zusammenhang mit Oralsex (also hier: dem ungeschützten Lecken bei FSW) besteht auch darin, dass sie die tieferen Rachenbereiche beim Gurgeln gar nicht richtig erreichen. Das gilt für Gaumenmandeln, den hinteren Gaumenbogen und die Rachenhinterwand. Beim Kontakt der Gurgellösung mit dem vorderen Gaumenbogen setzt der Würgereflex ein und behindert auf diese Weise die vollständige Benetzung der Schleimhaut der tieferen Rachenregionen. Gerade diese Bereiche sind aber besonders infektionsgefährdet; hier bieten sich Eintrittspforten, und hier siedeln sich bevorzugt bakterielle und virale STD-Erreger (einschließlich HPV) an. Diese Region gilt auch als wichtige Eintrittspforte für HIV in den seltenen Fällen oralsexbedingter Infektionen. Die antiseptischen Spüllösungen erreichen die kritischen Rachenregionen beim Gurgeln daher nicht oder nur in begrenztem Umfang direkt. Sie gelangen zwar über den Umweg des geschluckten Speichels in diese tieferen Rachenregionen – in denen sie sich dann aber nur noch in verdünnter Form finden. Die Ausgangskonzentration der Spüllösung ist dann weit unterschritten. Der Nutzen des Spülens und Gurgelns besteht dann vor allem darin, STD-Keime abzutöten oder zu inaktivieren, bevor sie überhaupt in den Rachen gelangen, sowie die Mundschleimhaut bis hin zum Zungengrund intensiv zu benetzen. Für Chlorhexidin ist aufgrund des Wirkmechanismus zu hoffen, dass es selbst nach Verdünnung im Speichel, der dann spontan und unbewusst geschluckt wird, noch einen gewissen antimikrobiellen Effekt aufweist; schließlich zeigten auch Verdünnungsreihen im Labor, dass handelsübliche Chlorhexidinlösungen auch nach Verdünnung 1 : 4 noch wirksam sind (z.B. gegenüber HIV). -123- Weder Chlorhexidin noch Listerine, Octenisept oder PVP-Jod sind zum Verschlucken vorgesehen, bei Betaisodona (PVP-Jod) ist dies sogar unbedingt zu vermeiden. Auch Octenisept hinterlässt beim Verschlucken ein reizendes Gefühl und soll nicht verschluckt werden. Aber gerade Verschlucken, vor allem langsames Verschlucken, wäre zur Benetzung des Rachens – einschließlich der tieferen Rachenabschnitte – hilfreich. Hier besteht somit ein echtes Problem, und die Grenzen der Mundspül-/Gurgellösungen im Rahmen der Infektionsprävention beim ungeschützten Oralsex werden deutlich. Weder für Octenisept noch für PVP-Jod ist daher ein Verschlucken selbst einer kleinen Menge als „Rachenschutz“ empfehlenswert oder vertretbar; um die tiefen Rachenbereiche zu erreichen, müsste man sich selbst ein Rachenspray herstellen, indem man die Präparate (im Falle von PVP-Jod nach Verdünnung) in ein Rachensprayfläschchen umfüllt. Viel unproblematischer ist das bewusste, möglichst langsame Schlucken einer kleinen Menge von Carrageen-Lösung, denn Carrageen wird auch in Speisen (als Geliermittel) verwendet, selbst in Babynahrung, und bei Erwachsenen gilt eine tägliche Aufnahme von 3 bis 4 Gramm (je nach Körpergewicht) als völlig unbedenklich. Es ist daher sinnvoll, im Rahmen der CarrageenSpülung (sowohl prä- wie postexpositionell) eine kleine Portion der Spüllösung langsam zu verschlucken, damit sich auch über die tiefe Rachenschleimhaut ein schützender CarrageenFilm legt. Da (abgesehen von Carrageen) das bewusste „Schlucken“ von antiseptischen Flüssigkeiten keine brauchbare Option darstellt, bietet es sich an, dass man den Rachen mit der Gurgellösung einsprüht. Dazu kann man die Spüllösung in eine Rachensprayflasche umfüllen und dann gezielt nach hinten in den Rachenraum sprühen. Während des Einsprühvorgangs sollte man ein lautes A sprechen. Dabei wird das Gaumensegel angehoben und ein Einatmen des Sprühnebels vermieden. Außerdem sollte das Einsprühen in aufrechter Körperposition erfolgen. Iota-Carrageen ist im Handel sogar als Sprühlösung erhältlich (Coldamaris prophylactic; aus Österreich zu beziehen) – eigentlich ein Nasenspray, aber man kann es sich natürlich auch in den Rachen sprühen. Da eine Nasensprayflasche dazu aber nicht richtig geeignet ist, müsste man es zuvor in eine Rachensprayflasche umfüllen. Auch Chlorhexidin ist als Spray (mit langem Sprührohr) erhältlich. Chlorhexidinspray wird beispielsweise zur „Nischendesinfektion“ im Rahmen der Full Mouth Disinfection in der Zahnmedizin eingesetzt – wobei Gaumenbogen, Rachen- und Gaumenmandeln mit 0,1 – 0,2 % CHX besprüht werden. Dies zeigt, dass die hier vorgeschlagene Verwendung von Carrageen oder Chlorhexidin als Spraylösung also keinesfalls abwegig ist, sondern in anderem Kontext in der Medizin längst Verwendung findet. Selbst Lösungen mit ätherischen Ölen sind als Rachensprays erhältlich. Man kann sich Sprühlösungen für den Eigenbedarf auch selbst herstellen – durch Umfüllen der entsprechenden Mundspül- und Gurgellösungen in geeignete Sprühfläschchen, idealerweise -124- Rachensprayflaschen (Nasensprayflaschen sind weniger geeignet, wenn man den tiefen Rachenbereich benetzen möchte – Rachensprayflaschen verfügen über ein langes Sprühröhrchen). Dies vor allem auch aus Kostengründen, da die betreffenden Lösungen als Spülflüssigkeit oft viel günstiger sind als in Sprayflaschen. Es ist daher davon auszugehen, dass das Einsprühen des Rachenraumes (in aufrechter Körperpositionen beim A-Sagen) den Nutzen antiseptischer Spül- und Gurgellösungen im Sinne der Periexpositionsprophylaxe (also vor und/oder nach Exposition) als situative Infektionsprävention vor STD-relevanten Risikokeimen erhöhen dürfte. Dies gilt besonders für Spraylösungen mit länger anhaltender Wirkung durch Ausbildung eines dünnen Schutzfilmes. Erst durch diesen Sprühvorgang wird der Mundspül– und Gurgelprozess optimiert und komplettiert. Im Falle von Carrageen kann man das Einsprühen durch langsames Verschlucken einer kleinen Menge von Spüllösung ersetzen; bei Chlorhexidin ist dies schon problematischer, weil Chlorhexidin zum Verschlucken nicht vorgesehen ist – bei einer kleinen Menge im Ausnahmefall der Hochrisikosituation erscheint es dennoch tolerabel. Bei Octenisept und PVP-Jod ist ein Verschlucken selbst einer kleinen Menge zu vermeiden. Das Einsprühen des Rachenraumes aus einem Rachensprayfläschchen ist daher dem Verschlucken kleiner Mengen antiseptischer Spül-/Gurgelflüssigkeit auf jeden Fall vorzuziehen – und dies gilt prinzipiell für jedes Präparat. Die maximal erreichbare Benetzung des Mund- und Rachenraumes („Rachenraum“ hier im Sinne von „Oropharynx“ gemeint) mit antiseptischen Mitteln oder Carrageenlösung wird allerdings durch eine Kombination aus Mundspülen/Gurgeln und Rachenspray erreicht. In der Realität wird dieser Aufwand allerdings nur in Situationen betrieben werden können, die als besonders hohes Risiko beurteilt werden. Das ungeschützte Lecken (Cunnilingus) bei einer FSW stellt aber – vor allem wegen des HPV-Risikos bei ungeimpften FSW – eine solche Situation dar. Wenn in der vorliegenden Abhandlung von „Gurgeln“ die Rede ist, schließt das grundsätzlich mit ein, dass im Idealfall der Gurgelprozess durch ein Einsprayen des tieferen Rachenbereiches (beim lauten A-Sagen) mit derselben Spülflüssigkeit aus einem Rachensprayfläschchen ergänzt werden sollte, vor allem in Situationen mit erhöhtem STDRisiko. -125- Fazit: Der Mundrachen (Oropharynx) ist in Hinblick auf beim Oralsex relevante STD-Erreger besonders kritisch, da hier für viele STD-Erreger geeignete Eintrittspforten bzw. ein für sie geeigneter „Lebensraum“ vorliegen, während eine intakte (!) Mundschleimhaut wenig Infektionsmöglichkeiten bietet. Dies gilt vor allem auch für HPV, das beim ungeschützten Lecken (Cunnilingus) bei FSW für den leckenden Kunden ein relativ hohes Risiko darstellt (verglichen mit anderen STDs), wenn die FSW nicht HPV-geimpft ist. In den Jahren 1999, 2009 und 2012 wurden drei Studien publiziert, die sich mit der Frage beschäftigten, ob man medikamentenhaltige Flüssigkeiten (z.B. bei Halsschmerzen oder Halsinfekten) besser durch Gurgeln oder durch Einsprühen des Rachens aus Rachensprühflaschen (mit langen Sprühröhrchen) in den Mundrachen (Oropharynx) befördert. In zwei Studien wurde mit gefärbten Flüssigkeiten gearbeitet, in der dritten Studie mit radioaktiv markierten (Szintigraphie). In der Gesamtschau lassen diese Studien folgende Schlussfolgerungen zu: ● Mundspülen (ohne Gurgeln) reicht nicht, um den Rachenraum zu erreichen. ● Die Mundhöhle (bis zum Zungengrund) wird durch Gurgeln (einschl. Mundspülen) möglicherweise besser erreicht als durch Rachenspray. Die Studienlage ist zu dieser Frage nicht einheitlich*. ● Der Rachenraum (Oropharynx) wird dagegen im Durchschnitt bzw. in der Mehrzahl der Fälle durch Rachenspray besser erreicht als durch Gurgeln. Dies schließt nicht aus, dass einzelne Probanden den Oropharynx mittels Gurgeln ebenso gut oder sogar besser erreichen als mit Rachenspray. Dies mag mit der Fähigkeit, tief gurgeln zu können, und mit individuellen Unterschieden in der (sehr variablen!) Anatomie (Form) des Rachenraums und im Ausmaß bzw. der Auslösung des Würgereizes zusammenhängen. ● Die umfassendste Möglichkeit, sowohl den Mund- wie den Rachenraum so vollständig wie möglich mit einer antiseptisch wirksamen Lösung oder Carrageen-Lösung zu benetzen, sei es nun im Sinne der Prä-, Peri- oder Postexpositionsprophylaxe, besteht daher in der Kombination aus Mundspülen/Gurgeln und Rachenspray. *in den Versuchen mit gefärbten Flüssigkeiten erwies sich das Gurgeln für die Mundhöhle als überlegen, in den Versuchen mit radioaktiv markierten Flüssigkeiten/Szintigraphie dagegen die Anwendung von Spray. In dieser Studie wurden die Probanden aber lediglich zum Gurgeln aufgefordert; möglicherweise erfolgte also gar keine gezielte Spülung der Mundhöhle selbst. -126- Allgemeiner Hinweis zu alkoholhaltigen Mundspüllösungen: Alkoholhaltige Mundspüllösungen sollten vor allem von Rauchern sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Da Alkohol die Aufnahme von krebserregenden Stoffen aus dem Tabakrauch in die Schleimhautzellen von Mund und Rachen steigert, müssen Raucher mit einer weiteren Zunahme des ohnehin schon aufgrund des Rauchens vorhandenen Krebsrisikos in Mund und Rachen rechnen, wenn sie regelmäßig bzw. häufig alkoholhaltige Mundspüllösungen verwenden. Nichtrauchern scheinen sie dagegen nicht zu schaden. Raucher sollten daher auf alkoholfreie Spüllösungen ausweichen. Da Mundspülen/Gurgeln die Schleimhäute von den krebserregenden Stoffen aus dem Tabakrauch reinigt, dürften alkoholfreie Mundspülungen bei Rauchern das Krebsrisiko sogar absenken, sogar im tiefen Rachen (Hypopharynx) und Kehlkopf. Auch Spülen/Gurgeln mit Leitungswasser dürfte hierzu einen Beitrag leisten. Wegen der Schaumbildung dürfte der reinigende Effekt von Mundspüllösungen aber überlegen sein. Details dazu siehe in: „Krebsrisiko von Mundspüllösungen?“ http://freepdfhosting.com/a701521dbe.pdf - -127- ANLAGE 4 Theorie und Praxis der Penisantisepsis Für die Konzeption einer Penisantisepsis ist es wichtig zu beachten, an welchen Stellen des Penis welche Kontaminations- und Infektionsrisiken drohen. Eine Kontamination bedeutet zunächst nur, dass die betreffenden Infektionserreger auf der Haut oder Schleimhaut sitzen. Dies muss nicht zwangsläufig zu einer Infektion führen. Ein Extrembeispiel ist HIV, wo die Kontamination mit infektionsfähigem HIV nur in den seltensten Fällen eine unheilbare Infektion hervorruft. Eine Kontamination als solche führt noch nicht zu einer Krankheit; hierzu bedarf es einer Infektion. Damit aus einer Kontamination eine echte Infektion wird, bedarf es für manche Erreger spezieller Eintrittspforten. Selbst wenn es aber nicht zu einer Infektion bei einer kontaminierten Person kommt, kann die Kontamination dazu führen, dass Viren oder Bakterien auf den nächsten Geschlechtspartner (z.B. vom Freier auf seine private Partnerin zuhause) übertragen werden können. Auf das Harnröhrenepithel spezialisierte Bakterien Für Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen ist das Epithel der Harnröhre das eigentliche Angriffsziel – dort ist ihr „Lebensraum“. Dies bedeutet, dass die Schleimhaut am Harnröhrenausgang für diese Keime besonders infektionsgefährdet ist, und von dort aus steigt die Infektion dann weiter auf in die Harnröhre mit den typischen Erscheinungen einer akuten oder chronischen Harnröhrenentzündung, evtl. auch weiter übergreifend auf Samenwege oder Prostata beim Mann oder die Harnblase bei der Frau. Die normale, gesunde Haut ist kein Lebensraum für diese Keime. Aber sie können im vorderen Penisbereich auch hin- und her verschmiert werden und dadurch sekundär auf die Harnröhrenschleimhaut gelangen. Vor allem bei Gonokokkeninfektionen finden sich Erreger auch fast immer im Eichel- und Vorhautbereich. Das Risiko von Schmierinfektionen bzw. Keimverschmierungen ist also zu beachten. Eine gegen diese Keime gerichtete Antisepsis hat also vor allem am Harnröhrenausgang stattzufinden, sollte aber wegen des Verschmierens der Keime auch den gesamten vorderen Penisbereich erfassen. Dabei sind zwei Kernpunkte relevant: ● Das Urinieren, um in die Harnröhre bereits schon eingedrungene Keime auszuspülen ● Das Einbringen von Antiseptikum in die Öffnung des Harnröhrenausganges soweit wie möglich, aber absolut atraumatisch. Es muss unbedingt vermieden werden, dass durch Manipulationen am Harnröhrenausgang Mikrorisse im Epithel oder Mikroabrasionen -128- entstehen, denn diese dienen als Eintrittspforten für Keime – besonders für HPV, gegen das kein gängiges Antiseptikum oder Hautdesinfektionsmittel wirksam ist. Die Schleimhaut des Harnröhrenausgangs sollte daher im Rahmen eines antiseptischen Prozedere nicht mit Fingernägeln oder Gegenständen berührt werden. Der Harnröhrenausgang lässt sich durch Druck mit zwei Fingern auf die Seiten der Eichelspitze passiv aufspreizen, und dann sollte das Antiseptikum vorsichtig appliziert werden, ggf. als Spray (wie Octenisept-Spray). Syphilis Syphiliserreger können über Schleimhäute, aber auch über die Penishaut eindringen und eine Primärinfektion (Primäraffekt) auslösen. Mikroverletzungen, die nicht immer sichtbar sein müssen, erhöhen das Risiko. Darum finden sich Primäraffekte bevorzugt im Schleimhautbereich des Penis (Eichel/Eichelrand, Penisfurche, Vorhaut, besonders Vorhautbändchen), sind aber auch am Penisschaft möglich. Syphilis gehört daher – auch angesichts der hohen Infektiosität in bestimmten Stadien der Infektion – zu den STDs, vor denen Kondome keinen kompletten Schutz bieten: auch der Kontakt basaler, nicht vom Kondom geschützter Penisabschnitte mit weiblichen Genitalschleimhäuten oder –sekreten kann daher zu einer Infektion führen. Eine Syphilis-Prävention würde daher die antiseptische Behandlung des gesamten Penis erfordern, einschließlich des Penisschafts (also auch der hautbedeckten Abschnitte in Richtung auf die Penisbasis). Glücklicherweise ist infektiöse Syphilis bei FSW in Deutschland und Mittel/Westeuropa selten (maximal 1 %, ggf. aber auch viel weniger – Datenlage inkonsistent). Sofern GV mit Kondom betrieben wurde und es dabei nicht zu Kondom-Komplikationen kam, dürfte das Risiko sehr gering sein, da die für Syphilis besonders empfänglichen Schleimhautareale des Penis ja geschützt waren. Dennoch ist, wie oben dargelegt, ein Restrisiko am Penisschaft unterhalb des Kondomansatzes oder durch Keimverschmierung beim Abnehmen des Kondoms denkbar. Das Syphilis-Risiko erscheint aber nicht so groß, dass es allein eine Antisepsis der Penishaut nach unkompliziertem kondomgeschützten GV rechtfertigen würde. Da die Wirksamkeit von 0,2 % Chlorhexidin gegenüber Syphiliserregern unbekannt ist, wären zu diesem Zweck stärker wirksame Mittel wie Octenisept oder bakterizide Hautdesinfektionsmittel einzusetzen. HIV Auch das HIV-Risiko ist im Rahmen der heterosexuellen Sexarbeit in West- und Mitteleuropa eher theoretischer Natur, da heterosexuelle Sexarbeit als solche in diesen Regionen kaum ein eigenständiges HIV-Risiko darstellt. Nicht auszuschließen sind aber HIV-Risiken, denen die FSW außerhalb der Sexarbeit unterliegen, oder die nur mittelbar mit ihrem Engagement in der Sexarbeit zusammen hängen wie z.B. i.v.-Drogenkonsum, drogensüchtige private Partner, Herkunft (selbst oder des Partners) aus einem Land mit weiter heterosexueller HIV-Verbreitung usw. Daher sollte eine Penisantisepsis auch ein hypothetisches HIV-Risiko mit berücksichtigen. -129- HIV benötigt Eintrittspforten. Gesunde Haut kann von HIV nicht infiziert werden, wirklich intakte und reizfreie Schleimhaut nur in extremen Ausnahmefällen wie z.B. Blutkontakt. Das höchste Risiko besteht, wenn das Virus direkten Zugang zum Blutkreislauf erhält (z.B. Mikroverletzungen mit Eröffnung von Kapillaren); darum kalkuliert man das Infektionsrisiko bei Stichverletzungen mit blutkontaminierten Nadeln oder Kanülen nach umfangreichen Studien bei knapp 0,3 %. Dennoch funktioniert eine Infektion auch ohne Blutkontakt; anderenfalls könnten sich Männer beim GV nicht anstecken, was aber offensichtlich der Fall ist, wenn auch nur halb so häufig wie die weibliche Seite beim GV, die aber schließlich auch dem Sperma exponiert wird. Damit ist klargestellt, dass auch ohne direkten Blut- oder Spermakontakt Infektionen über die Oberfläche des Penis möglich sind. Dabei können (ggf. unbemerkte) Mikroverletzungen als Eintrittspforten eine Rolle spielen, vor allem aber das Vorhandensein infizierbarer Zellen wie bestimmter Zielzellen (z.B. bestimmte Typen von Lymphzellen oder dendritische Zellen), die passende Rezeptoren haben, an die HIV andocken kann und von denen dann eine generalisierte Infektion des Körpers ausgeht. Zellen mit solchen Rezeptoren befinden sich besonders auf oder im Epithel der Harnröhre, aber auch auf der Innenseite der Vorhaut. Die Beschneidung reduziert das HIV-Risiko um die Hälfte, was beweist, dass etwa die Hälfte aller HIV-Infektionen bei Männern konkret über die Vorhaut laufen. Die Vorhaut ist damit die riskanteste Region am Penis in Bezug auf HIV. Berücksichtigt man, dass auch nach Beschneidung noch Vorhautreste übrig bleiben, deuten diese Zahlen sogar darauf, dass mehr als die Hälfte aller HIV-Infektionen bei Männern über die Vorhaut stattfinden. Im Zentrum einer HIV-orientierten Penisantisepsis müssen also die Vorhaut und der Harnröhrenausgang stehen, letztlich also der gesamte vordere Penisabschnitt – wie schon für Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen, aber auch Syphilis-Treponemen erwähnt. Für die praktische Umsetzung der Penisantisepsis spielt dabei keine Rolle, dass für die drei erstgenannten Bakterien der Harnröhrenausgang den Ort des größten Risikos stellt, für HIV und Syphilis dagegen vor allem die Innenseite der Vorhaut, da auch in Sachen HIV-Prävention der Harnröhrenausgang als potenzieller Infektionsort nicht völlig vernachlässigt werden darf. Allerdings kann auch die Haut des Penisschafts Eintrittspforten für HIV bieten. Dies ist zwar relativ unwahrscheinlich, denn über intakte Haut kann keine HIV-Infektion erfolgen. Wenn aber am Penis Verletzungen sind (z.B. auch versehentlich zuvor durch Oralverkehr entstanden), offene Wunden/Geschwüre oder Herpesläsionen mit ihrer Vielzahl an infizierbaren Zielzellen, ist eine Infektion auch auf diesem Weg möglich. Zum Beispiel kann eine reaktivierte Herpes-simplex-2-Läsion vorliegen, die keine Symptome macht, also als solche nicht wahrgenommen wird. Auch wenn sie keine offene Wunde darstellt und auch keine Bläschen oder kleine Erosionen zu sehen sind, befinden sich in diesem Hautabschnitt viele von HIV infizierbare Lymphozyten. In Ländern der dritten Welt, wo HSV-2 auch in der Allgemeinbevölkerung sehr verbreitet ist, geht man davon aus, dass bis zu der Hälfte aller HIV-Infektionen über HSV-2 vermittelt wird. -130- Der Freier weiß also niemals wirklich, ob die Penishaut immer und überall gesund und damit gegenüber HIV resistent ist, oder ob es vielleicht doch die eine oder andere Stelle an der Penishaupt gibt, die als Eintrittspforte für HIV grundsätzlich geeignet wäre? HIV kann ebenso wie andere STD-Keime nicht „durch die Luft“ übertragen werden. Beim kondomierten GV besteht ein theoretisches Risiko also nur dann, wenn unkondomierte Penisabschnitte mit weiblichen Genitalsekreten in Kontakt kommen. Bei HIV-Infizierten Frauen ohne Therapie enthalten diese zwar nicht immer, aber eben manchmal infektiöses HIV (Details s. Anlage „HIV-Risiko bei ungeschütztem Oralverkehr“). Ein Kontakt der ungeschützten Penishaut mit weiblichen Genitalsekreten ist aber selbst beim kondomierten GV grundsätzlich möglich, je nach Sitz des Kondoms, Größe und Eindringtiefe des Penis (je nach GV-Stellung), Ausmaß der Produktion von Genitalsekreten bei der Frau. Selbstverständlich ist das Risiko viel kleiner als bei ungeschütztem GV (wo der Penis in weiblichen Genitalsekreten „badet“), aber ein kleines, zumindest theoretisches Restrisiko für eine Kontamination der basalen, nicht kondomgeschützten Abschnitte des Penisschafts bleibt, und dies steigt, falls das Kondom beim GV hochrutscht. Noch größer sind die Risiken beim AV, wo sehr leicht ggf. unbemerkte Mikroblutungen der Analschleimhaut ausgelöst werden können, so dass die basalen, nicht kondomgeschützten Penisabschnitte sogar mit feinen Blutspuren benetzt werden können, von denen ein viel größeres Infektionsrisiko ausgehen würde als von Vaginalsekret. Dies sind Argumente für eine Antisepsis basaler Penisabschnitte selbst nach kondomiertem GV, auf jedem Fall aber nach kondomiertem AV, wobei aber anzumerken ist, dass dieses Risiko angesichts der sehr niedrigen HIV-Prävalenz der FSW in West- und Mitteleuropa auch schon an der Grenze zum Theoretisch-Hypothetischen liegt. Anders ist die Situation bei sichtbaren Läsionen am Penisschaft zu beurteilen; dann sollte die Penisantisepsis auf jeden Fall den gesamten Penis erfassen. Auch beim Sextourismus in Länder, in denen HIV bei FSW viel verbreiteter ist als bei uns, ist eine antiseptische Behandlung des gesamten Penis – auch nach Kondomverwendung – anzuraten. Die HIV-orientierte Penisantisepsis unterscheidet sich also von den Maßnahmen gegen Gonokokken usw. nur insofern, dass sie sicherheitshalber auch die Haut des Penisschafts mit einbeziehen sollte (ganz besonders nach AV!); sie sollte das unbedingt (!), ● wenn diese Haut irgendwelche Vorschäden hat (mit denen man ggf. aber Sexarbeit womöglich gar nicht erst in Anspruch nehmen sollte), aber auch ohne Vorschäden besteht ein minimales Restrisiko z.B. durch nicht erkannte Infektionen oder Reaktivierungen von Herpes simplex (vor allem HSV-2) ● in jedem Fall nach AV, da ein Kontakt der vom Kondom nicht geschützten basalen Penishaut mit analen Blutspuren nicht ausgeschlossen werden kann. (Vor allem das Risiko eines Kontaktes mit Blutspuren aus beim AV ausgelösten Mikroblutungen dürfte mit einer der Gründe sein, weshalb das Risiko für den insertiven Partner beim AV höher -131- ausfällt als beim GV, abgesehen davon, dass Vaginalschleim auch HIV-hemmende Eigenschaften hat wie z.B. der niedrige pH-Wert, solange die Vaginalflora gesund ist und den Säuregrad hoch hält. Bei Verwendung von Kondomen sind diese Risiken zwar grundlegend geringer, aber das Restrisiko über die nicht vom Kondom geschützte Penisbasis bleibt. Es bestehen keine Zweifel, dass beim AV mit Mikroblutungen durch Haut-/Schleimhautrisse zu rechnen ist, die ein deutlich höheres Infektionspotential bieten als Spuren von Vaginalschleim – dies alles natürlich auf einem absolut gesehen sehr viel niedrigeren Risikolevel bei Verwendung von Kondomen. Ein weiteres Risiko stellen die nicht seltenen Analekzeme dar, die nässen und dabei eine Flüssigkeit freisetzen, die viele Lymphozyten enthält, von denen bei HIV-Infizierten ein erhebliches Infektionspotenzial ausgeht. Analverkehr mit untherapierten HIV-Infizierten spielt also selbst bei Kondomnutzung in einer höheren Risikoliga als GV, jedenfalls bei tiefem analen Eindringen. Von Blutspuren mit HIV auf wirklich intakter Penishaut dürfte zwar kaum ein Risiko ausgehen, aber niemand kann sich sicher sein, ob die dünne Penishaut wirklich überall intakt ist (z.B. keine asymptomatische HSV2-Reaktivierung oder Mikroverletzung vorliegt). Es ist also immer zu denken an ● die Möglichkeit des Hochrutschens des Kondoms, wodurch ungeschützte Penishaut in größerem Umfang mit Vaginalsekret oder (bei AV) Blutspuren in Kontakt geraten kann ● die Möglichkeit nicht als solche erkennbarer Eintrittspforten in die vermeintlich intakte Penishaut z.B. infolge asymptomatischer HSV-2-Infektion oder –Reaktivierung Diese Aspekte sprechen zugunsten einer Penisantisepsis nach kondomiertem AV (jedenfalls bei tiefem Eindringen). Die an den Bedürfnissen der HIV-Prävention orientierten antiseptischen Maßnahmen eignen sich auch zur Risikominderung von Hepatitis-B-Infektionen, für die grundsätzlich ähnliche Infektionswege im Rahmen sexueller Kontakte anzunehmen sind wie für HIV. Allerdings ist Hepatitis B viel infektiöser, und das Risiko, auf eine mit Hepatitis B infektiöse FSW zu treffen, ist in Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa höher als auf eine FSW mit unbehandelter HIVInfektion (wobei FSW mit Hepatitis B häufig Migrationshintergrund aufweisen). Die ideale Prävention vor Hepatitis-B-Infektionen stellen aber nicht antiseptische Maßnahmen, sondern die Impfung! Herpes simplex (vor allem HSV-2, prinzipiell aber auch HSV-1) Herpes simplex kann sowohl Schleimhaut wie Haut befallen; auch die Übergangszonen zwischen Haut und Schleimhaut sind besonders gefährdet (wie z.B. Lippenherpes zeigt). Auch an anderen Hautstellen sind Herpesinfektionen grundsätzlich möglich, allerdings viel seltener und nicht so auffällig. Grundsätzlich unterliegt also der gesamte Penis einem Infektionsrisiko für -132- HSV, einschließlich der basalen, beim GV nicht kondomgeschützten Penisabschnitte. HSV ist sehr infektiös, und man kann davon ausgehen, dass sich FSW im Laufe der Sexarbeit früher oder später mit HSV-2 infizieren werden, mit Raten bis zu 20 % p.a. Dies bedeutet auch ein großes Infektionsrisiko für Kunden, sofern sie nicht ohnehin schon infiziert sind. Das Risiko steigt, je stärker der Penis exponiert ist (z.B. Hochrutschen des Kondoms), aber auch beim komplikationslosen GV stehen die basalen Penisanteile unter Risiko. HSV-2 stellt somit ein vergleichsweise großes Risiko für Freier dar, auch angesichts der hohen Durchseuchung der FSW und der oft unbemerkten Reaktivierungen, die dann immer wieder zu Virusausschüttung – also infektiösen Phasen – führen. Eine große Metaanalyse zeigte, dass Kondomnutzung das Infektionsrisiko mit HSV-2 nur um 30 % senken soll. HSV-2 ist damit einer der wichtigsten Gründe für die Penisantisepsis; hierzu ist der gesamte Penis, einschließlich der basalen, nicht vom Kondom geschützten Penisanteile, mit einem begrenzt viruziden Antiseptikum (auch Octenisept ist geeignet) zu benetzen oder zu besprühen. Nicht alle Herpesläsionen, die ein Freier in den Tagen nach Kontakt mit einer FSW bemerkt, beruhen aber auf frischen Infektionen. Schon mechanischer Druck/Reizung (z.B. durch den Druck beim GV mit Kondom, bzw. beim Aufsetzen oder Abziehen des Kondoms) kann dazu führen, dass eine vorbestehende Herpesinfektion reaktiviert. Wie beim Lippenherpes sind auch beim genitalen Herpes die Anlässe für eine Reaktivierung oft minimal oder nicht einmal nachvollziehbar. HPV Bei HPV ist zu unterscheiden zwischen ● genitalwarzen-erregendem HPV (HPV 6,11), das auch für die Freier erheblichen Krankheitswert hat, ● und krebserregendem HPV (wie vor allem HPV 16, 18, aber abgestuft auch viele anderen Typen), die für den Freier selbst am Penis nur einen sehr geringen Krankheitswert haben, weil diese Infektionen meist wieder spontan ausheilen und HPV-bedingte Peniskrebse sehr selten sind. Aber die am Penis mit HPV kontaminierten oder vorübergehend infizierten Freier können ihre weiteren Geschlechtspartnerinnen (wie andere FSW oder die private Partnerin) mit HPV infizieren. Ehefrauen von Freiern haben, wie mehrere Studien einheitlich belegten, ein erhöhtes Risiko für Dysplasien am Gebärmutterhals oder Gebärmutterhalskrebs. Bei HPV sind also Eigengefährdung des Freiers (bevorzugt durch Genitalwarzen) und die Fremdgefährdung (durch Übertragen von HPV vom Penis in die Genitalregion oder den Rachen weiterer Geschlechtspartnerinnen) zu unterscheiden, also die Rolle des Freiers als Überträger -133- von HPV im Rahmen einer Infektionskette vom Genitaltrakt der FSW auf den Genitaltrakt der anderen Sexpartnerinnen des Freiers, wobei die größte Gefahr für die private Partnerin besteht, da der (vorübergehend, meist für einige Monate) am Penis infizierte und daher auch Virus ausschüttende Freier wohl öfters und ungeschützt GV mit seiner Partnerin haben wird, so dass für diese ein reales Risiko besteht, sich bei diesen Gelegenheiten einmal oder auch mehrfach (im Sinne eines „Nachladens“) mit HPV zu infizieren (dieser „Reload“ reduziert die Chance auf eine spontane Virus-Clearance bei der Partnerin und erhöht das Risiko für Persistenz der Infektion). HPV kann sowohl die Schleimhaut wie die Haut infizieren, mit etwas unterschiedlichen Präferenzen je nach HPV-Typ. Wichtig zu wissen ist, dass HPV über eine völlig intakte Haut oder Schleimhaut aber nicht eindringen kann. Es braucht Eintrittspforten, dafür reichen aber schon minimale Mikroabrasionen aus, die dafür sorgen, dass HPV Zugang zu den basalen Zellschichten des Epithels erlangt, die seine eigentlichen Zielzellen darstellen und die dann mit HPV infiziert werden. Im Bereich dünner Schleimhäute reicht es daher schon aus, dass wenige Zellschichten abgekratzt werden, um die Basalschicht des Epithels zugänglich zu machen („Mikroabrasionen“); auch Mikrorisse im Epithel wären ausreichend. Es geht hier also nicht um sichtbare Wunden oder gar „blutige“ Verletzungen, es reichen völlig unbemerkbare Abrasionen der oberen Zellschichten, wie sie durch mechanische Belastungen ohne Weiteres unbemerkt ausgelöst werden können (das blutet dann nicht). Dies ist einer der Gründe, weshalb nach dem Peniswaschen nach GV, AV oder FO sehr vorsichtig abgetrocknet werden soll und auf keinen Fall „gerubbelt“, sondern nur vorsichtig trockengetupft. Die Häufigkeitsverteilung von Genitalwarzen am Penis gibt eine Vorstellung, welche Regionen des Penis besonders anfällig für HPV sind. Dies sind vor allem die Vorhaut mit ihren Bändchen und Falten, an denen sehr leicht allein schon durch Ziehen oder Reißen Mikroverletzungen entstehen (daher sitzen auch viele Genitalwarzen direkt auf den Bändchen), daneben aber auch der Außenrand der Eichel, die Penisfurche, ferner aber auch der Harnröhrenausgang. Genitalwarzen an letzterem sind sehr unangenehm, weil sie sich von dort aus in die Harnröhre ausbreiten können, wo sie nur sehr schwer und schmerzhaft zu behandeln sind. Letztendlich sind also die gesamte Eichel und Vorhaut bevorzugte Stellen für HPV-Infektionen. Eine sehr typische Stelle, an der sich bei HPV-befallenen Penissen fast immer HPV nachweisen lässt, ist der koronale Sulkus unter dem Eichelrand (Penisfurche). Bei wissenschaftlichen Studien zum HPV-Nachweis am Penis wird daher empfohlen, die Penisfurche auf jeden Fall zu beproben; dort gelingt ein HPV-Nachweis bei infizierten Männern fast immer, in der Harnröhre (Abstrich) oder im Sperma ist HPV dagegen häufig, aber nicht immer nachweisbar. Aber auch die Haut des Penisschafts kann von Genitalwarzen befallen werden, was beweist, dass auch sie für HPV-Infektionen anfällig ist. Selbst am Hodensack finden sich gelegentlich Genitalwarzen. Dies bedeutet, dass sich eine HPV-orientierte Prophylaxe nicht auf die Schleimhautanteile des Penis beschränken sollte. Unter dem Aspekt der Eigengefährdung ist diese allerdings am wichtigsten, denn Genitalwarzen in den vorderen Penisabschnitten, vor allem am -134- Harnröhrenausgang, sind häufiger und auch unangenehmer zu behandeln als an der Haut des Penisschafts. Betrachtet man aber die Fremdgefährdung, dann kann man selbst bei kondomgeschütztem GV die Penisbasis mit HPV kontaminieren oder infizieren, und diese Infektion dann an spätere Sexpartnerinnen weiterreichen, mit den oben genannten Konsequenzen eines erhöhten Risikos für cervikale Dysplasien oder gar Gebärmutterhalskrebs. Kondome schützen aus diesem Grund auch nur bedingt vor HPV-Infektionen, wobei sich die Schutzquote grob in der Größenordnung um 50 bis 60 %, vielleicht bis 70 % befinden dürfte (also viel besser als bei Herpes simplex, aber viel schlechter als bei HIV). Dies bedeutet im Klartext: auch ein Freier, der auf korrekte Kondomnutzung beim GV mit einer FSW achtet, geht am Penis (vor allem an der Penisbasis) ein HPV-Risiko ein und kann später seine private Partnerin anstecken, mit all den gesundheitlichen Konsequenzen, die dieser dann im schlimmsten Fall drohen. Wie gefährdet auch der Penisschaft – also die Penishaut – gegenüber HPV-Infektionen ist, zeigte eine Dissertation aus München mit 103 Männern mit HPV-assoziierten Genitaleffloreszenzen: Bei unbeschnittenen Männern war die Vorhaut zu 91,2 % betroffen, gefolgt von Schaft (41,3 %), Eichel (30 %), Harnröhre/Harnröhrenausgang (26,3 %), intraanal/perianal (13,8 %) und Haut des Hodensacks (5,0 %). Die Zahlen zeigen, dass auch der hautbedeckte Penisschaft ein wichtiger Angriffspunkt für HPV ist, was einen der Gründe für den begrenzten Schutzeffekt von Kondomen darstellt. Daneben ist auch an die Möglichkeit von Schmierinfektionen im Umfeld des kondomgeschützten GV zu denken. HPV-Prophylaxe sollte also immer auch den Penisschaft mit einbeziehen. Hierbei entsteht aber das große Problem, dass HPV nicht durch gängige Schleimhautantiseptika und auch nicht durch für eine Anwendung durch Laien infrage kommende Hautdesinfektionsmittel inaktiviert werden kann; die einzige Chance, dem HPV seine Infektiosität zu nehmen, besteht zur Zeit in der Anwendung von Carrageen. Zusammenfassend ergeben sich folgende Infektionsgelegenheiten: Schleimhautabschnitte des Penis (vorderer Penis) einschl. Harnröhrenausgang, Eichel, Penisfurche, Vorhautinnenseite: Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen, Trichomonaden, Syphilis, Herpes simplex, HPV, HIV, Hepatitis B ____________________________________________________________________________ Hautabschnitte des Penis (einschl. vom Kondom nicht geschützter Abschnitte des Penisschafts): Herpes simplex, Syphilis, HPV, HIV (HIV nur bei Vorliegen konkreter Eintrittspforten, das kann aber auch ein reaktivierter, nicht erkannter Herpes sein), ggf. Hepatitis B (je nach Eintrittspforten) -135- Wirksamkeit der Antiseptika: Alle oben genannten Erreger außer HPV werden in jedem Fall von bakteriziden/begrenzt viruziden Hautdesinfektionsmitteln erfasst, die aber – streng genommen – nur an der Haut und eben nicht an der Schleimhaut angewandt werden sollen. Haut findet sich am Penis am Penisschaft sowie dünne Haut an der Außenseite der Vorhaut. Die Eichel ist mit Schleimhaut bedeckt, die vor allem bei dauerhaft freiliegender Eichel aber stärker verhornen und damit in gewisser Hinsicht hautähnlich werden kann. Sehr wichtig: für die Hautdesinfektion wirklich nur für die Hautdesinfektion vorgesehene/zugelassene Mittel nehmen. Keinesfalls Desinfektionsmittel, die für andere Zwecke, z.B. Flächen-, Instrumenten-, Haushalts- oder Toilettendesinfektion, aber nicht für die Anwendung an der menschlichen Haut bestimmt sind! Diese können zu schweren und schmerzhaften Schäden an der Penishaut führen, die mehrere Tage anhalten können, bis die geschädigten Hautschichten abgestoßen („abgepellt“) sind und sich die Haut regeneriert hat; möglicherweise aber auch zu dauerhaften Schäden. Octenisept ist ein Wund-/(Haut-) und Schleimhautantiseptikum und daher ideal, da es – außer HPV – den gesamten Anwendungsbereich am Penis abdeckt. Es ist auch speziell für die Antisepsis schleimhautnaher Hautpartien geeignet, aber auch für die Antisepsis von Wunden und ähnlichen Stellen. Dadurch unterscheidet es sich von den üblichen Haut/Händedesinfektionsmitteln, bei denen eine großflächige Benetzung von Wunden vermieden werden soll. Allerdings ist es kein Desinfektionsmittel, sondern nur ein Antiseptikum. Das heißt die Wirksamkeit ist als schwächer einzustufen im Vergleich zu offiziell als Haut- oder Händedesinfektionsmitteln gelisteten Präparaten. Aber es ist sehr gut haut- und schleimhautverträglich, und die bessere Verträglichkeit zeigt sich auch daran, dass es auch zur Schleimhautantisepsis und Wundantisepsis und sogar zu Mundund Rachenspülungen verwendet werden kann. Octenisept eignet sich also für den „ganzen Penis“ – vom Harnröhrenausgang bis zur Haut der Penisbasis. Leider hat es wie die oben genannten Hautdesinfektionsmittel aber keine Wirksamkeit gegenüber HPV. Chlorhexidin ist in der bei uns verfügbaren 0,2 %-Ausführung nur ein Schleimhautantiseptikum. Zur Hautdesinfektion wird es mit 4 % angewandt (ist aber bei uns nicht üblich und auch nicht verfügbar). Dies bedeutet nun nicht, dass CHX an der Haut völlig unwirksam wäre; es reicht aber nicht, um die Anforderungen einer hygienischen Händedesinfektion zu erfüllen. Kritisch ist auch das allergische Potenzial, das es nicht als sinnvoll erscheinen lässt, CHX zur Händedesinfektion zu verwenden (durch Anwendung an den Händen lässt sich viel leichter -135a- eine Allergie auslösen als durch Anwendung an Schleimhäuten, man denke nur an die vielen Allergieprobleme im Friseurgewerbe). Chlorhexidin ist immerhin der Goldstandard der Schleimhautantisepsis im Mund (auch wenn Octenisept schneller wirkt), und man kann unter Berücksichtigung des Wirkmechanismus von CHX wohl davon ausgehen, dass es selbst in 0,2%iger Konzentration auch an der Penishaut eine gewisse keimreduzierende Wirkung entfaltet, jedenfalls gegenüber den empfindlichen behüllten Viren wie z.B. HIV. Gleichwohl ist es in dieser niedrigen Konzentration kein Hautdesinfektionsmittel! Auch gegen Syphiliserreger ist CHX nie systematisch getestet worden. Wer also auf „sicher“ gehen will (wobei es „sicher“ hier sowieso nicht gibt, sondern es nur um Risikoreduktion gehen kann), sollte daher die CHX-Anwendung auf die vorderen Penisabschnitte, die von Schleimhaut ausgekleidet sind, beschränken, und die Haut des Penisschafts dann mit einem bakteriziden/begrenzt viruziden Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept benetzen (2-Schritt-Verfahren). Alternativ dazu kann man sich das Vorgehen aber auch erleichtern, wenn man stattdessen Octenisept für die Schleimhaut- und Hautanteile des Penis nimmt (1-Schritt-Verfahren) („erweiterte Penisantisepsis“). Anwendung von Chlorhexidin an der Penishaut (Penisschaft)? (abzuraten) Eine Benetzung der Hautabschnitte des Penis mit 0,2 % Chlorhexidinlösung (also im 1-Schritt-Verfahren, vergleichbar dem empfohlenen 1-Schritt-Verfahren mit OCT bei der „erweiterten Penisantisepsis“) macht wenig Sinn: Haut sollte auch von Hautdesinfektionsmitteln oder wenigstens Hautantiseptika wie Octenisept benetzt werden. Es gibt zwar auch Hautdesinfektionsmittel auf Chlorhexidin-Basis (in Europa nicht üblich, aber in den USA und Kanada) als sog. Waschpräparate, die allerdings 4 % CHX enthalten (also die zwanzigfache Menge der höchstdosierten Mundspüllösungen). Im direkten Vergleich sind diese CHX-basierten Präparate allerdings alkoholischen Hautdesinfektionsmitteln (die Einreibepräparate darstellen) unterlegen: ihr antimikrobielles Wirkungsspektrum ist kleiner, die erforderliche Einwirkzeit ist länger, und bei 4%-iger Konzentration treten häufiger Hautreizungen auf als bei alkoholbasierten Hautdesinfektionsmitteln. Gegenüber CHX sind außerdem, wenn auch selten, Allergien möglich; bei alkoholbasierten Hautdesinfektionsmitteln gibt es keine Allergien. Auch Octenisept erscheint verträglicher als CHX. Auch wenn man dies also nicht unbedingt erwartet, sind alkoholbasierte Hautdesinfektionsmittel trotz ihrer hohen Konzentrationen an Äthanol oder Propanol hautverträglicher als 4 % Chlorhexidin. Im medizinischen Bereich, wo viele Erfahrungen mit beiden Präparategruppen in der Händedesinfektion bestehen, werden die alkoholbasierten Mittel von den Anwendern als angenehmer und verträglicher empfunden. Bei alkoholischen Hautdesinfektionsmitteln treten nur selten Hautirritationen auf bzw. können durch Zugabe hautpflegender Zusätze verhindert werden. Die Wundverträglichkeit wird als akzeptabel eingestuft, und in den üblichen (in der Medizin) verwendeten Mengen bestehen keine Hinweise auf mutations-, krebserregende oder embryo-/fetusrelevante (teratogene) Risiken. Die Wirkung der Keimzahlreduktion setzt bei alkoholischen Hautdesinfektionsmitteln schneller ein als bei CHX, d.h. alkoholische Präparate haben eine bessere Sofortwirkung. Auch Octenisept wirkt schneller als CHX. -136Die Wirkung von Chlorhexidin kann durch anionische Bestandteile, wie sie z.B. in Handcremes vorhanden sind, aufgehoben werden (das ist das Äquivalent zu der Empfehlung, vor oder nach CHXSpülung im Mund nicht mit Zahnpasta die Zähne zu putzen, da Zahnpasten ebenfalls anionische Substanzen enthalten). Bei Einsatz von 4 % CHX in Waschpräparaten kann es auch zu Heilungsbeeinträchtigungen von Wunden kommen. Darum ist es schon sinnhaft, bei der Penisantisepsis die Hautabschnitte des Penis auch tatsächlich mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel oder wenigstens (stattdessen) mit Octenisept zu benetzen statt mit 0,2 % CHX, das eben nur ein Schleimhautantiseptikum ist. Wenn man sich aber aus Gründen der Praktikabilität und Vereinfachung auf ein einheitliches Mittel für die gesamte „Penisantisepsis“ (also Schleimhaut- und Hautareale) beschränken möchte, ist Octenisept wegen stärkerer und schnellerer Wirksamkeit das Mittel der Wahl. Es scheint auch besser verträglich und weniger allergieauslösend zu sein als CHX. Allerdings ist auch davon keine nachgewiesene HPVWirksamkeit zu erwarten, weshalb abschließend noch eine „HPV-Prophylaxe“ empfohlen wird. Problemfall HPV HPV wird durch keines dieser Mittel erfasst. Hier bleibt nur die Option einer „biologischen“ Inaktivierung durch eine selbst hergestellte wässrige Lösung mit iota-Carrageen-Pulver, die dann zeitlich getrennt von den anderen antiseptischen Maßnahmen zu erfolgen hätte, da Carrageen unter dem Einfluss anderer Stoffe seine Wirksamkeit verlieren kann. Umso wichtiger ist aber auch gerade in Hinblick auf HPV die vorherige „mechanische“ Reinigung des Penis durch gründliches vorsichtiges Waschen mit fließendem Wasser und Seife/Seifenlotion, wobei allerdings die sich anschließende Trocknungsprozedur besonders vorsichtig erfolgen muss, um Mikroabrasionen an der Schleimhaut oder Haut des Penis durch Rubbeln mit dem Handtuch zu vermeiden – diese würden als geeignete Eintrittspforten für HPV schon ausreichen. Man vermutet, dass HPV vor allem durch Epithelzellen übertragen wird, die von infizierten (Schleim-)Hautpartien des Geschlechtspartners abgeschilfert wurden und z.B. aus den Penis des Freiers gelangten. In und auf diesen Zellen sitzen dann infektiöse Viruspartikel. Es ist naheliegend, dass durch gründliches Waschen des Penis mit Seife/Seifenlotion solche „fremden“ Epithelzellen recht effektiv abgewaschen werden. Gerade in Abwesenheit HPVwirksamer Antiseptika kommt daher der mechanischen Reinigung des Penis durch Waschen eine besondere Bedeutung zu – ein Privileg, das Frauen nicht haben, denn sie sollen ihre Vagina nach dem Sex nicht waschen oder spülen – und würden beim Spülen potenzielle Viren bzw. mit Viren versehene „fremde“ Epithelzellen weiter im Genitaltrakt hoch befördern – so an den besonders gefährdeten und für HPV sehr empfänglichen Gebärmutterhals. Auch wenn es noch nie systematisch untersucht wurde, sprechen diese Überlegungen dafür, dass das Waschen des Penis mit Seife oder Lotion nach einer potenziellen HPV-Kontamination das Risiko für eine HPV-Infektion am Penis bereits deutlich mindern dürfte. -137- Daraus ergibt sich folgendes Vorgehen bei der Penisantisepsis: 1. Penis erst gründlich, aber vorsichtig unter fließendem Wasser mit Seife/Seifenlotion abwaschen und sehr vorsichtig (tupfend, nicht rubbelnd) abtrocknen, im Idealfall an der Luft trocknen lassen. Penisantisepsis erst beginnen, wenn der Penis gut getrocknet ist. 2. Urinieren (zur Ausspülung von Keimen aus der Harnröhre) nach FO (besonders Deep Throat), Kondomversagen bei GV/AV, Pussy Sliding ohne Kondom, anderen Kontaminationsmöglichkeiten an der Penisspitze (z.B. durch Keimverschmierung mit den Händen) 3. Vorderer Penisabschnitt (Harnröhrenausgang, Eichel, Penisfurche, Vorhaut, vor allem Vorhautinnenseite): ● Octenisept (stärker/schneller wirksam) oder 0,2 % CHX ● (nur in extremen Ausnahmefällen, wenn sehr hohes Risiko oder kein OCT/CHX zur Hand: als Notlösung (!) ausnahmsweise bakterizides/begrenzt viruzides Hautdesinfektionsmittel nehmen - brennt aber für einige Minuten sehr stark am Harnröhrenausgang, so dass dieser dabei ausgelassen werden muss, obwohl gerade die Schleimhaut des Harnröhrenausgangs vielfältige Infektionsrisiken bietet) 4. Penisschaft einschließlich basaler, nicht kondomgeschützter Penisabschnitte nach GV/AV: ● Octenisept oder bakterizides/begrenzt viruzides Hautdesinfektionsmittel ● Wenn kein Octenisept oder Hautdesinfektionsmittel zur Hand: 0,2 % CHX, aber Wirksamkeit an der Penishaut unklar, da es in dieser Konzentration „nur“ ein Schleimhautantiseptikum ist. Da aber behüllte Viren sehr empfindlich sind, dürfte CHX 0,2 % auf der Penishaut immer noch einen größeren Schutzeffekt haben, als „nichts“ zu tun 5. HPV-Prophylaxe: Einige Minuten nach dem Benetzen (oder Besprühen) mit dem Antiseptikum warten, bis die Haut/Schleimhaut wieder trocken ist. Anschließend HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder –Spray; ● als Eigenschutz vor allem vor Genitalwarzen am vorderen Penis, aber auch am Penisschaft ● als Fremdschutz zur Vermeidung von Kontaminationen oder Infektionen am Penisschaft, die auf weitere Geschlechtspartnerinnen übertragen werden könnten, mit besonderem Risiko für die private Partnerin (also zuro Unterbrechung von Infektionsketten!) -138- Anlässe für Penisantisepsis: FM Kein Bedarf für eine Penisantisepsis FO Risiko durch Übertragung von Keimen aus dem Speichel, vor allem aus dem Rachenraum der FSW auf den Penis. Erhöhtes Risiko bei Deep Throat. Besonders hohes Infektionsrisiko am Harnröhrenausgang. Penisantisepsis der vorderen und hinteren Penisabschnitte („volles Programm“ = „erweiterte Penisantisepsis“) mit besonderem Fokus auf die Schleimhautanteile des Penis und den Harnröhrenausgang (besonders nach Deep Throat) ● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder ● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich Evtl. zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray (geringes Risiko bei „normalem Blasen“, höheres Risiko nach Deep Throat) GV mit Kondom ohne Komplikationen in der Kondomanwendung Die Penisantisepsis der hinteren Penisabschnitte (Hautanteile, also Penisschaft) ist eigentlich ausreichend. Das Risiko für STD-Infektionen ist nach GV mit unproblematischer Kondomwendung vergleichsweise gering. Zu denken ist vor allem an HSV-2 (Kondomeffektivität: etwa 30 %) und HPV (Kondomeffektivität etwa 50 – 70 %). Bei HPV steht der Aspekt der Fremdgefährdung weiterer Partnerinnen im Vordergrund; für den Freier selbst wäre eine einige Monate anhaltende HPV-Infektion am Penisschaft belanglos und würde nicht bemerkt werden. Wenn kein Bedarf gesehen wird, die vorderen, kondomgeschützten Penisabschnitte in die Penisantisepsis einzubeziehen, würde ein Benetzen des Penisschafts mit bakterizidem/begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel oder (stattdessen) mit Octenisept ausreichen (= „kleine Penisantisepsis“). In Hinblick auf das Fremdgefährdungspotenzial sollte sich dann aber einige Minuten später die HPV-Prophylaxe mit Carrageen anschließen. Da Carrageen nicht nur gegen HPV, sondern auch gegen HIV und Herpes simplex wirkt, erscheint sogar ein Verzicht auf das Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept vertretbar, so -139- dass man nach unkompliziertem kondomgeschützten GV den Penisschaft lediglich mit Carrageen benetzen würde, d.h. auf eine Antisepsis im eigentlichen Sinne ganz verzichtet und sich auf die HPV-Prophylaxe beschränkt. Man hätte durch die Carrageen-Anwendung auch das Risiko durch behüllte Viren verringert – nicht unbedingt im Sinne einer Desinfektion im wörtlichen Sinne, aber im Sinne einer Risikoreduktion. Syphilis-Erreger würden von Carrageen allerdings nicht erfasst (hier ist aber auf die Seltenheit von infektiöser Syphilis bei FSW zu verweisen). Ein großer Vorteil der Beschränkung auf die Carrageen-Anwendung am Penisschaft unter Verzicht auf weitere antiseptische Maßnahmen besteht darin, dass Carrageen nicht die normale, schützende Hautflora des Penisschafts beeinträchtigt, da Carrageen gegenüber Bakterien unwirksam ist. Die gesunde Hautflora reduziert ihrerseits Infektionsrisiken. In der Gesamtabwägung von Vor- und Nachteilen erscheint es daher nach unkompliziertem, kondomgeschützten GV ausreichend, sich auf die HPV-Carrageen-Prophylaxe am Penisschaft zu beschränken und auf den Einsatz von Antiseptika am Penisschaft ganz zu verzichten. Hat dagegen vor dem kondomgeschützten GV bereits FO stattgefunden, oder kann man nicht sicher ausschließen, dass es auch z.B. durch Berührungen mit den Händen, beim Auf- oder Abziehen des Kondoms usw. zu einer Kontamination der vorderen Penisabschnitte mit Erregern z.B. aus Vaginalsekret kam – eventuell auch nur durch Verschmierung von Keimen, z.B. mit den Fingern – , dann ist es sinnvoll, das „volle“ Programm der „erweiterten Penisantisepsis“ anzuwenden, das am einfachsten umsetzbar ist, wenn man ohnehin mit Octenisept arbeitet: ● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder ● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich Zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray mindestens des Penisschafts (wenn lediglich komplikationsloser ungeschützter GV stattgefunden hat), in allen anderen Fällen Vorgehensweise wie nach FO (siehe oben). GV mit Kondom: Kondom ist aber hochgerutscht oder merklicher Kontakt mit weiblichen Genitalschleimhäuten oder –sekreten; Analverkehr mit Kondom Penisantisepsis der vorderen und hinteren Penisabschnitte („volles Programm“ im Sinne der „erweiterten Penisantisepsis): ● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder ● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich Zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray mindestens des Penisschafts oder einfachheitshalber am gesamten Penis -140- Ungeschützter Kontakt des Penis mit weiblichen Genitalschleimhäuten z.B. beim Vorspiel oder ungeschütztes Pussy Sliding (in diesen Situationen besteht ja ein vergleichsweise hohes Kontaminationsrisiko für die Penisspitze, also auch den Harnröhrenausgang) Penisantisepsis der vorderen und hinteren Penisabschnitte („volles Programm“) ● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder ● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich Besonders intensive Antisepsis mit OCT oder CHX im Bereich des Harnröhrenausgangs (→ siehe vier Seiten weiter unten: „Praktische Anwendung von Schleimhaut-Antiseptika im Bereich des Harnröhrenausgangs“) Zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray im Bereich des gesamten Penis einschließlich Harnröhrenausgang Kondomversagen bei GV oder AV Penisantisepsis der vorderen und hinteren Penisabschnitte („volles Programm“). Da dies die Situation mit den höchsten Infektionsrisiken ist, wäre es erwägenswert, das bakterizide/begrenzt viruzide Hautdesinfektionsmittel ausnahmsweise auch vorn am Penis anzuwenden, da es noch stärker wirksam sein dürfte als Octenisept. Am Harnröhrenausgang direkt ist das aber wegen des starken Brennens nicht möglich, daher muss man sich an dieser Stelle dann auf Octenisept (1. Wahl) oder CHX 0,2 % (2. Wahl) beschränken („große Penisantisepsis“). Die Anwendung von Hautdesinfektionsmitteln im Schleimhautbereich sollte aber seltenen Ausnahmen, also besonderen Risikosituationen, vorbehalten werden. Mindestens „erweiterte Penisantisepsis“: ● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder ● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich Besonders intensive Antisepsis mit OCT oder CHX im Bereich des Harnröhrenausgangs Sicherheitshalber aber besser „große Penisantisepsis“ ● OCT (oder notfalls CHX 0,2 %) am Harnröhrenausgang und im vorderen Eichelbereich ● Hautdesinfektionsmittel an der Eichelbasis, Penisfurche, Vorhautinnen- und außenseite sowie Penisschaft -141- Zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray im Bereich des gesamten Penis einschließlich Harnröhrenausgang Hautpflegemittel (SEHR WICHTIG!) Die „Penisantisepsis“ stört auch die natürliche, hautschützende, „gesunde“ physiologische Hautflora, und es dauert wohl einige Tage, bis diese wieder regeneriert. In der Zwischenzeit ist die Penishaut empfindlicher und möglicherweise infektionsgefährdeter. Auch dies verdeutlicht, dass eine „Penisantisepsis“ nicht in eine normale Beziehung gehört und keine Routinemaßnahme darstellen kann, sondern gelegentlichen sexuellen Kontakten mit erhöhtem Risiko vorbehalten werden muss. Da Desinfektionsmittel die Haut des Penis austrocknen oder auch bei wiederholter Anwendung reizen können, ist es sehr wichtig, an Tagen, an denen eine Penisantisepsis vorgenommen wurde, später (idealerweise vor dem Schlafengehen) den gesamten Penis einzufetten (Hautpflegemittel, notfalls Babyöl, Handcremes o.Ä.). Dies darf allerdings erst geschehen, wenn sicher feststeht, dass kein kondomgeschützter Sex an diesem Tag mehr erfolgen wird. -142- Prioritätenliste für die Penisantisepsis Kondomversagen bei AV (Empfehlung: „große Penisantisepsis“ + Carrageen-Prophylaxe) ˅ Kondomversagen bei GV, Hochrutschen des Kondoms bei AV (ohne Kondomversagen) FO bei Sexparties mit FM/FA (Spermakontakt mit „Vorgänger“ im Mund der FSW möglich) (Empfehlung: „große Penisantisepsis“ + Carrageen-Prophylaxe) ˅ ungeschütztes Pussy Sliding (Empfehlung: „große oder erweiterte Penisantisepsis“ + Carrageen-Prophylaxe) ˅ Hochrutschen des Kondoms bei GV (ohne Kondomversagen) GV mit Kondom bei merklicher Kontamination der Penishaut mit weiblichem Genitalsekret Möglichkeit der Kontamination des Penis beim Aufsetzen oder Abziehen des Kondoms z.B. mit den Händen oder bei anderen Gelegenheiten (Empfehlung: „erweiterte Penisantisepsis“ + Carrageen-Prophylaxe) ˅ FO mit Deep Throat (Empfehlung: „erweiterte Penisantisepsis“ + Carrageen-Prophylaxe) ˅ ausgedehntes FO ohne Deep Throat (Empfehlung: „erweiterte Penisantisepsis“; Carrageen-Prophylaxe möglich, aber nicht so wichtig) ˅ GV mit Kondom ohne besondere Vorkommnisse (Empfehlung: „kleine Penisantisepsis“ fakultativ; wichtiger ist die HPV-Prophylaxe mit Carrageen) ˅ -143- FO als kurzes Anblasen mit Lippen und Zunge (Empfehlung: „erweiterte Penisantisepsis“) ˅ FM (kein Bedarf) (Empfehlung: nichts) Dieses Schema gilt für einen intakten Penis ohne erkennbare Veränderungen, die mit erhöhten Infektionsrisiken oder Eintrittspforten einhergehen. Sollten solche Veränderungen am Penis vorhanden sein, stellt sich natürlich zunächst einmal die Frage, ob man in dieser Situation überhaupt Sexdienstleistungen in Anspruch nehmen sollte. Allerdings können sich kleine Wunden am Penis auch erst während des Sexkontaktes ergeben. In jedem Fall sollte bei in irgendeiner Weise „vorgeschädigtem“ Penis ein Verfahren einer höheren Sicherheitsstufe gewählt werden. Festlegung von Begrifflichkeiten: Benetzung der äußeren Haut der mittleren und basalen Penisabschnitte mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel oder OCT; vordere Penisanteile bleiben unbehandelt = „kleine Penisantisepsis“ Kleine Penisantisepsis und zusätzlich dazu Benetzung der Schleimhautareale (Harnröhrenausgang, Eichel, Vorhautinnenseite) mit Octenisept oder CHX 0,2 % = „erweiterte Penisantisepsis“ Benetzung des gesamten Penis mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel (abgesehen vom aufgespreizten Harnröhrenausgang und dessen unmittelbarer Umgebung, die in Octenisept oder CHX 0,2 % gebadet werden) = „große Penisantisepsis“ (nur als seltene Ausnahme nach Hochrisikoereignissen wie Kondomversagen) Benetzung des gesamten Penis oder – je nach Situation – nur der basalen, nicht vom Kondom geschützten Penisabschnitte mit Carrageen-Lösung = „HPV-Prophylaxe“ (Ziel: Inaktivierung von HPV als Eigenschutz oder ggf. auch nur als Fremdschutz) Wichtig: zwischen dem Waschen des Penis und der „Penisantisepsis“ sollte man einige Minuten abwarten, um Feuchtigkeitsreste aus den obersten Hautschichten verdampfen zu lassen. -144- Praktische Anwendung von Schleimhaut-Antiseptika im Bereich des Harnröhrenausgangs Man kann eine hohle Hand (oder besser einen breiten Deckel oder einen Becher) etwa 2 - 3 cm hoch mit Chlorhexidin 0,2 % oder Octenisept füllen und darin die Eichel mit dem Harnröhrenausgang bis etwa an die Eichelbasis „baden“, evtl. den Harnröhrenausgang dabei etwas mit den Fingern aufspreizen, damit CHX/Octenisept den Ausgang besser benetzen kann. Alternativ kann man auch Spray verwenden. Wichtig ist, den Harnröhrenausgang nicht zu verletzen, sondern ihn nur passiv aufzuziehen, z.B. durch Druck mit zwei Fingern auf die vordere Eichel. Wichtig: alle Reinigungs- und Antisepsis-Maßnahmen sollten zeitnah nach der Risikoexposition erfolgen (aber immer zuvor waschen): ● als routinemäßige Antisepsis ohne besondere Risikosituationen nach regulärer Beendigung des „Zimmers“, ● in besonderen Risikosituationen (wie Kondomversagen bei GV/AV) sofort, d.h. (bei längerem Termin) das „Zimmer“ unterbrechen (kann ja danach fortgesetzt werden). Man geht von einem 2-Stunden-Fenster aus, in dem man die Aufnahme von HIV in seine Zielzellen (also Zellen des Lymphsystems, die für HIV empfänglich sind und in denen sich HIV vermehren kann) wohl noch verhindern kann. Allerdings konnte für Zellen der Mundschleimhaut (die allerdings keine Zielzellen sind, da sich in ihnen HIV nicht oder nur minimal vermehrt; sie dienen aber als „Depot“) gezeigt werden, dass diese schon binnen weniger Minuten nach Exposition HIV aufnehmen. Vor diesem Hintergrund sollte man sich also nicht auf das klassische „2-Stunden-Fenster“ verlassen, sondern sicherheitshalber so schnell wie möglich handeln, wenn eine besondere Risikosituation wie Kondomversagen vorliegt. Auch wenn sich diese Ausführungen auf den Schutz des Kunden vor einer HIV-Infektion durch eine möglicherweise HIV-infizierte FSW beziehen, ist anzumerken, dass dies als reine Vorsichtsmaßnahme zu bewerten ist. Wie an anderer Stelle ausführlich dargestellt, gelten FSW in Deutschland nicht als Risikogruppe für HIV, und größere jüngere Studien ergaben eine HIVQuote bei FSW von nur 0,2 % (Deutschland, 2010/2011) bzw. 0,14 % (Nordrhein-Westfalen 2012). Höhere HIV-Risiken haben Kunden aber ggf. auf dem Drogenstrich, im Ausland (Sextourismus in Länder mit starker heterosexueller HIV-Verbreitung), in AO-Party-Kreisen oder bei FSW zu erwarten, die erst vor recht kurzer Zeit aus einem Land mit starker heterosexueller HIV-Verbreitung eingereist sind. Aus diesem Grund kann die HIV-Problematik (im Sinne des HIV-Risikos für Kunden von HIVinfizierten FSW) hier nicht völlig ignoriert werden, auch wenn sie in der normalen Sexarbeit in Deutschland von sehr geringer Relevanz sein dürfte. -145- Desinfektionstücher als Alternative zur Penisantisepsis mit flüssigen Antiseptika (oder Sprays)? Keine gleichwertige Alternative zur Penisantisepsis mit flüssigen Haut- bzw. Schleimhautdesinfektionsmitteln oder –Spray bzw. Octenisept stellen bereits fabrikmäßig mit Desinfektionsmittel getränkte Tücher für die Hautdesinfektion dar, die es ebenfalls in Apotheken zu kaufen gibt. Allerdings muss man davon ausgehen, dass die Wirksamkeit geringer ist als bei der direkten Benetzung der Penisoberfläche mit Flüssigkeit oder Spray, und der Harnröhrenausgang lässt sich damit auch nicht richtig erreichen, so dass eine zusätzliche Schleimhautdesinfektion dieser Region weiterhin empfehlenswert ist. Schwierig wird eine gute Reinigung und Benetzung auch im Bereich der Penisfurche und um das Vorhautbändchen herum. Mikroverletzungen im Bereich des Harnröhrenausgangs müssen ohnehin unbedingt vermieden werden, ein „Drücken“ oder Reiben mit dem Tuch ist daher zu vermeiden. Schon Mikroabrasionen von wenigen Zellschichten können an der Schleimhaut Eintrittspforten zum Beispiel für HPV bieten – gegen das die Tücher ohnehin nicht wirksam sind. Außerdem erreicht man mit Flüssigkeit oder Spray viel besser als mit einem Desinfektionstuch schwer zugängliche Stellen wie am Eichelhals (koronaler Sulkus = Penisfurche) oder die Hautund Schleimhautfalten im erschlafften Zustand. Zu bedenken ist auch, dass die Penisantisepsis nach dem Sex in der Regel am erschlafften Penis erfolgen wird. Dies ist eine ungünstigere Situation, als wenn FSW vor dem Sex einen schon mehr oder weniger steifen Penis mit einem Desinfektionstuch bearbeiten. Zwar ist auch letzteres von der antiseptischen Wirkung her suboptimal, aber besser als „gar nichts“ und vor allem an einem steifen Penis effektiver als an einem schlaffen Penis nach dem Sex. In Hinblick auf HIV (was bei „normalem“ FO normalerweise kaum relevant ist, aber im Falle eines Kondomunfalls schon eher ins Interesse rückt) ist zu bedenken, dass die Vorhautinnenseite besonders empfänglich ist, weil hier Immunzellen sitzen, an die HIV direkt andocken könnte. Eine gründliche Desinfektion aller Stellen in diesem faltigen Bereich wird man mit Flüssigkeit oder Spray besser erreichen können; außerdem sollte man Druck auf die Schleimhaut vermeiden - gründliches Abwischen mit einem Desinfektionstuch wird aber ohne einen gewissen Druck kaum funktionieren. Fazit: ein Desinfektionstuch ist der oben beschriebenen Penisantisepsis mit flüssigen Mitteln oder Spray deutlich unterlegen und nach dem Sex nicht empfehlenswert. Desinfektionstücher haben aber durchaus ihre „Berechtigung“ bei Anwendung durch FSW vor dem Sex (zum Beispiel um Smegmareste zu entfernen oder wenn der Kunde den Penis nicht frisch gewaschen hat) sowie bei Dreiern oder Gruppensex in Verbindung mit einem Kondomwechsel beim Übergang vom GV/AV mit einer Frau zum GV/AV mit einer anderen Frau. -146- Große „Penisantisepsis“ nach Hochrisiko-Situationen (Maximalverfahren) • Kondomversagen jeder Art bei GV/AV (auch starkes Hochrutschen besonders beim AV) • FO bei einer FSW, die zuvor FA/FT betrieben hat (Risiko des Kontaktes mit Sperma des Vorgängers - Partysituationen) • nach intensivem ungeschützten Kontakt der vorderen Penisabschnitte mit weiblichen Genitalschleimhäuten oder Kontamination mit Vaginalschleim oder Blut • nach intensivem, feuchten Pussy Sliding ohne Kondom Erst vorsichtig, aber gründlich mit Seife unter fließendem Wasser abwaschen, vorsichtig (tupfend, nicht reibend) abtrocknen. Wenige Minuten abwarten (Verdampfen von Restfeuchte). Dann: Rot: Benetzung mit Octenisept (1. Wahl) oder 0,2 % CHX Roter Pfeil: Urinieren; Harnröhrenausgang aufspreizen, damit Octenisept/CHX hineinfließt (am besten in einem Becher oder Deckel Penisspitze in Octenisept oder CHX baden), ggf. als Spray Blau: bedingt viruzides Hautdesinfektionsmittel, notfalls ebenfalls Octenisept Allerdings kann keine Wirkung gegen HPV erwartet wird, daher ggf. einige Minuten später „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung anschließen. Da Hautdesinfektionsmittel und häufiges Waschen die Haut trocken und rissig machen und den Säureschutzmantel der Haut schädigen, später (wenn kein Kondom mehr benötigt wird) Penis mit rückfettender Hautpflegecreme/salbe, Babyöl oder Ähnlichem einfetten! Die Anwendung von Hautdesinfektionsmitteln in Schleimhautbereichen sollte äußersten Ausnahmefällen mit hoher Risikoeinschätzung vorbehalten werden und geht über den „offiziellen Einsatzbereich“ hinaus. Die Anwendung von Octenisept ist dagegen auch an der -147- Schleimhaut unproblematisch, Schleimhautantiseptikum hat. da es eine Doppelfunktion als Wund-(Haut-)- und Und da die massive Entkeimung im Rahmen der „großen Penisantisepsis“ die normale Bakterienflora der Penishaut und –schleimhaut (die auch einen gewissen Schutzeffekt vor Infektionen bieten mag) schädigt, könnte das Infektionsrisiko am Penis in den ersten Tagen nach einer „großen Penisantisepsis“ sogar ansteigen – bis sich die normale Flora regeneriert hat. Genau weiß man das nicht – aber denkbar ist das. Daher sollten (erneute) sexuelle Hochrisiko-Situationen in den ersten Tagen nach einer „großen Penisantisepsis“ sicherheitshalber gemieden werden. -148- Erweiterte Penisantisepsis • außerhalb von Situationen mit besonders hohem Risiko • nach FO, vor allem mit Deep Throat • nach möglichem ungeschützten Kontakt der vorderen Penisabschnitte mit weiblichen Genitalschleimhäuten z.B. beim Vorspiel, nach Hochrutschen des Kondoms, nach wahrscheinlichem oder vermeintlichen Kontakt mit weiblichen Genitalsekreten beim GV trotz Kondom; nach ungeschütztem „Pussy Sliding“ • wenn eine Kontamination der vorderen Penisabschnitte beim Aufsetzen oder Abziehen des Kondoms möglich erscheint (oder z.B. eine Verschmierung mit den Fingern und Ähnliches) Erst vorsichtig, aber gründlich mit Seife unter fließendem Wasser abwaschen, vorsichtig (tupfend, nicht reibend) abtrocknen. Wenige Minuten abwarten (Verdampfen von Restfeuchte). Dann: Rot: Benetzung mit Octenisept (1. Wahl) oder 0,2 % CHX (alle Schleimhautareale) Roter Pfeil: Urinieren; Harnröhrenausgang aufspreizen, damit Octenisept/CHX hineinfließt (am besten in einem Becher oder Deckel Penisspitze in Octenisept oder CHX baden), ggf. Spray Blau: bedingt viruzides Hautdesinfektionsmittel oder ebenfalls Octenisept (alle Hautareale) Am einfachsten: 1-Schritt-Antisepsis mit Octenisept in beiden Bereichen („rot“ und „blau“, da Octenisept ein Schleimhaut- und Hautantiseptikum ist) Allerdings kann keine Wirkung gegen HPV erwartet wird, daher ggf. einige Minuten später „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung anschließen. -149- Dieses Vorgehen entspricht dem Einsatzbereich der Präparate: Octenisept oder CHX für die Schleimhaut (Eichel, Vorhautinnenseite), viruzides Hautdesinfektionsmittel für alle von äußerer Haut bedeckten Penisabschnitte. Da Octenisept zugleich ein Hautantiseptikum ist (für wunde oder schleimhautnahe Hautbereiche – was für die Penishaut zutrifft), kann Octenisept (im Gegensatz zu CHX) am gesamten Penis angewandt werden. Da Hautdesinfektionsmittel und mehrfaches Waschen die Haut trocken und rissig machen und den Säureschutzmantel der Haut schädigen, später (wenn kein Kondom mehr benötigt wird) Penis mit rückfettender Hautpflegecreme/salbe, Babyöl oder Ähnlichem einfetten! -150- Kleine Penisantisepsis • nach kondomgeschütztem GV/AV (ohne Kondomversagen) (ohne vorher/hinterher FO) Erst vorsichtig mit Seife unter fließendem Wasser abwaschen, vorsichtig (tupfend, nicht reibend) abtrocknen. Wenige Minuten abwarten (Verdampfen von Restfeuchte). Dann: Blau: begrenzt viruzides Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept Alternativ: nur HPV-Prophylaxe mit Carrageen am Penisschaft Weiß: Keine Benetzung Zielsetzung dieser Maßnahme ist, die vom Kondom nicht geschützten Penisabschnitte antiseptisch zu behandeln, die beim GV/AV unbemerkt mit weiblichen Genital/Analschleimhäuten, Sekreten oder Schmierinfektionen in Kontakt gekommen sein könnten. (Falls eine deutliche Kontamination der ungeschützten Bereiche stattgefunden hatte, sollte besser eine erweiterte Penisantisepsis vorgenommen werden). Sofern es nicht zu einem Hochrutschen oder zu einem Kontakt der vom Kondom nicht geschützten Penisabschnitte mit Genitalschleimhäuten oder –sekreten der FSW gekommen ist, dürfte der Nutzen dieses Verfahrens recht gering sein, zumal selbst von einem begrenzt viruziden Desinfektionsmittel keine Wirksamkeit gegen HPV erwartet werden kann. Eine Alternative zur „kleinen Penisantisepsis“ ist daher die „HPV-Prophylaxe“, wobei man die betreffenden Penisabschnitte mit einer Carrageen-Lösung (iota-Carrageen) benetzt. -151- Da iota-Carrageen auch (konzentrationsabhängig) gegen andere Viren wirkt (wie HIV und Herpes simplex), können von dieser „HPV-Prophylaxe“ auch Schutzeffekte erwartet werden, die sich mit der Anwendung eines Hautdesinfektionsmittels überschneiden. Carrageen zerstört diese Viren zwar nicht, wie es ein Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept tun würde, hemmt aber wenigstens ihre Infektiosität. Gegen Bakterien (wie Syphilis-Erreger) ist keine Wirksamkeit von Carrageen gegeben, was aber auch den Vorteil hat, dass die HPV-Prophylaxe mit Carrageen die normale (schützende) Bakterienflora der Penishaut (und damit den Säureschutzmantel der Haut) nicht schädigt. In der Gesamtbilanz erscheint nach unkompliziertem GV mit Kondom (ohne Kondomversagen, ohne Hochrutschen des Kondoms, ohne merklichen Kontakt von ungeschützter Penishaut mit weiblichen Genitalsekreten) die „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung daher die sinnvollere Maßnahme im Vergleich zur Anwendung von Desinfektionsmitteln an der Penishaut, auch wenn gewisse Abstriche z.B. in Hinblick auf das Syphilisrisiko oder Schmierinfektionen bakterieller Erreger zu machen sind. Das Verfahren dient vor allem auch der Verhinderung der HPV-Übertragung auf andere FSW oder die heimische Partnerin – und trägt damit zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs bei (es gibt Studien, die darauf deuten, dass Ehefrauen von Männern, die FSW aufsuchen, ein höheres Risiko für Gebärmutterhalskrebs haben). Wer besonders vorsichtig ist, kann auch beides kombinieren: erst das Hautdesinfektionsmittel (oder Octenisept), dann einige Minuten später die Carrageen-Lösung. Neben dem Eigenschutz dient die „HPV-Prophylaxe mit Carrageen“ daher vor allem dem Schutz Dritter und sollte aus Respekt vor anderen FSW und Sexualpartnerinnen durchaus routinemäßig angewandt werden. Die „HPV-Prophylaxe mit Carrageen“ allein schädigt die Haut nicht. Nur wenn zuvor die Penishaut auch antiseptisch behandelt und/oder mehrfach gewaschen wurde, sollte später (wenn kein Kondom mehr benötigt wird) der Penis mit rückfettender Hautpflegecreme/salbe, Babyöl oder Ähnlichem eingefettet werden! -152- Zusammenfassende kritische Würdigung der „Penisantisepsis“ Grundsätzlich handelt es sich bei der hier beschriebenen „Penisantisepsis“ nicht um ein wissenschaftlich erprobtes (evaluiertes) Verfahren – letztendlich ist sie also experimentell. Zwar weiß man, gegen welche Keime die betreffenden Hautdesinfektionsmittel bzw. Schleimhautantiseptika wirken und kann daher vermuten, welche (Schutz-)Effekte von der Anwendung dieser Verfahren am Penis bzw. Harnröhrenausgang zu erwarten sind – untersucht sind sie aber im sexuellen Kontext nicht. CHX wird aber beispielsweise als Antiseptikum in manchen urologischen Präparaten verwendet, Octenisept hat im ano-uro-genitalen Kontext sogar einen seiner Haupteinsatzbereiche, und es gibt sogar ein Octenisept Vaginaltherapeutikum in Form einer Lösung zur Behandlung von Scheideninfektionen. Octenisept ist gleichzeitig ein Wundantiseptikum (auch an der äußeren Haut) und kann auch zur Hautantisepsis in schleimhautnahen Hautarealen verwendet werden – das passt also sehr gut zum Penis, wo besonders die Vorhaut und die Eichel – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – eine Zwitterfunktion einnehmen; die Vorhaut, weil die Außenseite aus sehr dünner Haut, die Innenseite aber aus Schleimhaut besteht; die Eichel, weil sie aus Schleimhaut besteht, die aber mehr oder weniger stark verhornt und damit in mancher Hinsicht „hautähnliche“ Eigenschaften annimmt. Nur bei der „großen Penisantisepsis“, bei der ausnahmsweise auch Schleimhautanteile des Penis mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel benetzt werden, befindet man sich außerhalb der offiziellen Anwendungsempfehlungen dieser Mittel – sofern man sie nicht im 1Schritt-Verfahren mit Octenisept durchführt. Wenn Paysex aber so erfolgt, wie es offiziell empfohlen wird, nämlich stets kondomgeschützt (auch oral), so bleibt eigentlich gar kein Anlass für die „große Penisantisepsis“ – außer nach Kondomunfällen (nach dem gründlichen, aber vorsichtigen Waschen mit Wasser und Seife). Aus „offizieller“ Sicht ist die „große Penisantisepsis“ also eigentlich überflüssig, weil es für sie eigentlich gar keinen Anlass geben dürfte … die Realität sieht ja bekanntlich anders aus. Anders die „kleine Penisantisepsis“ bzw. die „erweiterte Penisantisepsis“: Hier geht es zunächst um die Benetzung der beim GV nicht kondomgeschützten Penisabschnitte mit einem begrenzt viruziden Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept. Je nach GV-Position und anatomischen Verhältnissen lässt sich nicht ausschließen, dass nicht vom Kondom geschützte Penishaut und weibliche Genitalschleimhaut/Vaginalschleim in Kontakt treten und Infektionserreger übertragen werden könnten. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe, weshalb Kondome keinen vollständigen Schutz vor STDs, sondern nur eine Risikominderung bieten. Besonders groß ist das Risiko dabei für Herpes simplex (HSV-2): Kondome reduzieren das HSV-2-Übertragungsrisiko nur um ca. 30 %. Auch für HPV sieht es nicht grundlegend besser aus; hier geht man von einer Risikominderung von 50 – 70 % aus. -153- Angesichts der hohen HPV-Durchseuchung von FSW können sich Männer daher trotz Kondom beim GV auf diese Weise beispielsweise an genitalwarzen-auslösenden HPV-Typen anstecken und nach einigen Wochen oder Monaten an der Penishaut Genitalwarzen entwickeln. Oder sie können sich auch mit krebserregenden HPV-Typen infizieren. Diese Infektion überwinden sie zwar meist in einigen Monaten (Peniskrebs ist sehr selten und auch nur in etwa einem Drittel aller Fälle durch HPV ausgelöst), aber sie können die Infektion in dieser Zeit auf andere Sexpartnerinnen übertragen – wie auf andere FSW, aber auch auf die heimische Partnerin, die dann ein erhöhtes Risiko für Dysplasien und Gebärmutterhalskrebs hätte. Allerdings wirken gängige Schleimhautantiseptika, für Laien verwendbare Hautdesinfektionsmittel und auch Octenisept mit seiner „Doppelfunktion“ (schleimhautnahe Haut und Schleimhaut) nicht gegen HPV. Solange nicht davon auszugehen ist, dass alle FSW (rechtzeitig) gegen HPV durchgeimpft sind (und der Impfstoff wirkt ohnehin nicht gegen alle krebserregenden HPV-Typen), ist daher vor allem an die HPV-Prophylaxe zu denken, um nicht das Virus weiterzutragen und damit andere Frauen zu infizieren (der Freier als HPV-Überträger). In diesem Sinne ist dann aber vor allem die „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung wichtig - zum eigenen Schutz, zum Schutz der anderen FSW, mit denen man in den nächsten Stunden, Tagen, Wochen Sex hat, und zum Schutz der privaten Partnerin(nen). Da Carrageen auch eine (konzentrationsabhängige) Wirksamkeit gegen andere STD-relevante Viren hat (zumindest im Sinn einer Risikoreduktion), erscheint nach unkompliziertem kondomiertem GV die „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen sogar wichtiger als die Benetzung der basalen Penisabschnitte mit Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept. Wer sehr vorsichtig ist, kann beides kombinieren: nach dem Peniswaschen und vorsichtigem Trockentupfen (besser: „Luft-Trocknen“) erst das Benetzen mit Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept, einige Minuten später dann mit Carrageen-Lösung. Aufgrund der moderaten antiviralen Kapazität von Carrageen kann man aber auch im unkomplizierten Fall den mittleren Schritt übergehen und nach Trocknung des Penis gleich die HPV-Prophylaxe mit CarrageenLösung vornehmen. Da es auch beim unvorsichtigen oder ungeschickten Abziehen des Kondoms noch zu Schmierinfektionen (von der mit Vaginalschleim kontaminierten Kondomoberfläche auf die bisher kondomgeschützte Penishaut einschließlich Vorhautinnenseite) kommen könnte, ebenso beim Vor- oder Nachspiel, ist es allerdings empfehlenswert, die vorderen Penisabschnitte (Harnröhrenausgang bis Vorhautinnenseite) dennoch mit CHX oder OCT zu benetzen, zumal das keine Beschwerden macht und als Schleimhautantiseptikum dem üblichen Anwendungsbereich dieser Mittel entspricht („erweiterte Penisantisepsis“). -154- Hinweise zur Penisantisepsis unter Aspekten der Mikrobiomforschung Da Antiseptika wie CHX 0,2 % oder Octenisept auch gegen Hefepilze (Candida albicans) wirksam sind, besteht kein Anlass für die Befürchtung, dass die gelegentliche (anlassbezogene) antiseptische Behandlung der Schleimhautareale des Penis mit diesen Präparaten Pilzinfektionen des Penis (Candida-Balanitis; „Penispilz“) Vorschub leisten könnte. Letzteres ist bei Medikamenten oder Präparaten denkbar, die sich zwar gegen Bakterien, nicht aber gegen Pilze richten und damit das natürliche Gleichgewicht zwischen Bakterien und Pilzen im Mikrobiom der Genitalschleimhäute zugunsten der Pilze verschieben, die dann überhand nehmen und zu einer symptomatischen Pilzinfektion führen können (wie das z.B. im Rahmen einer Antibiotika-Behandlung vorkommen kann). Auch Störungen der Immunabwehr (z.B. durch Kortisontherapie) können solche Situationen hervorrufen. Unabhängig davon sollte die Penisantisepsis nur anlassbezogen nach Risikosituationen, denen sich Freier aussetzen, zur Anwendung kommen. Sie ist kein Bestandteil der routinemäßigen Penishygiene z.B. in privaten Partnerschaften. Jede antiseptische Behandlung stellt schließlich eine Störung des normalen (physiologischen, gesunden) Mikrobioms dar und ist daher im Prinzip unerwünscht, es sei denn, man ist (gewollt oder ungewollt) STD-Risiken eingegangen, die man auf diese Weise reduzieren möchte. Die antiseptische Behandlung reduziert schließlich nicht nur selektiv die „unerwünschten“ STDKeime, sondern auch die gesunde, schützende Mikroflora der Haut und Schleimhaut, die dann einzige Zeit benötigt, um sich wieder zu regenerieren und in den „günstigen“, gesunden Ausgangszustand, also das ökologische Gleichgewicht, zurückzukehren. In der Phase des „gestörten“ Mikrobioms steigen auch verschiedene Infektionsrisiken an. Grundsätzlich ist die Hautflora des Menschen sehr stabil und schon kurze Zeit nach einem „antiseptischen“ Angriff regeneriert sie in den Ausgangszustand. Man denke z.B. an die massiven Hautdesinfektionsmaßnahmen im medizinischen Bereich, die nicht nur die vermeintlich sehr „belastbaren“ Hände umfassen, sondern auch die sonst weniger exponierte Haut der Unterarme. Solange die Haut zwischendurch gepflegt und rückgefettet wird, entsteht kein Hautschaden. Häufiges Waschen ist wegen der damit verbundenen Entfettung für die Haut belastender als die Anwendung geeigneter, für die Anwendung an der Haut bestimmter Desinfektionsmittel. Dies bedeutet dann aber auch: selbst wenn man keine Penisantisepsis vorgenommen hat, aber z.B. anlässlich eines längeren Clubbesuchs mehrfach geduscht bzw. den Penis öfters gewaschen hat, sollte man ihn abends einfetten. Im Falle der Penisantisepsis ist damit zu rechnen, dass die Regeneration der ursprünglichen Flora noch viel schneller funktioniert - schon auf dem Nachhauseweg vom Paysexkontakt über die (benutzte) Unterhose. Dennoch ist es grundsätzlich wichtig, Eingriffe in das Mikrobiom auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken – d.h. nur risikobezogen (also anlassbezogen) einzusetzen. Nur wenn es darum geht, real vorhandene Infektionsrisiken durch STD-Keime zu verhindern bzw. das Risiko -155- solcher Infektionen zu reduzieren, sind solche lokalen, zeitlich begrenzten Eingriffe ins Mikrobiom des Penis zu rechtfertigen (die „HPV-Prophylaxe mit Carrageen“ stellt übrigens keinen Eingriff ins Mikrobiom dar): Kommt es nämlich (bei Verzicht auf Antisepsis nach einer Risikosituation) tatsächlich zu einer Infektion mit STD-relevanten Bakterien (wie Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen am Harnröhreneingang, Syphilis an Penishaut oder -schleimhaut), wäre der sich daran anschließende Eingriff ins Mikrobiom aufgrund der dann notwendigen Antibiotikabehandlung wesentlich stärker und schwerwiegender. Er würde das Mikrobiom des gesamten Körpers schädigen, u.U. sogar nachhaltig. So gibt es beispielsweise Hinweise, dass häufige AntibiotikaTherapien langfristig das Darmkrebsrisiko erhöhen, weil sie das Mikrobiom des Darms nachhaltig verändern und in eine eher krebsfördernde Richtung verschieben. Der Schaden, der dem Mikrobiom des gesamten Körpers durch eine Antibiotika-Behandlung zugefügt würde, ist also viel größer als der Schaden für das Mikrobiom bei lokaler (z.B. am Penis), gelegentlicher, d.h. risiko-/anlassbezogener Verwendung von Antiseptika, wo sich das lokale Mikrobiom auch recht schnell wieder erholen und regenerieren kann. Vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotika-Resistenzen auch und gerade gegenüber bakteriellen STD-Keimen (vor allem Gonokokken, aber auch Mykoplasmen) und immer schwierigerer und langwierigerer antibiotischer Behandlung dieser Infektionen wird die Prävention solcher Infektionen durch den lokalen Einsatz von Antiseptika/Mikrobiziden in Zukunft ohnehin an Bedeutung gewinnen. Mit anderen Worten: wenn man den Einsatz von Antibiotika vor dem Hintergrund der zunehmenden Resistenzproblematik zurückdrängen will, dann wird man nicht umhin kommen, antibiotikapflichtige Infektionen durch verstärkten Einsatz von Antiseptika erst gar nicht entstehen zu lassen. Im Gegensatz zu Antibiotika können die Bakterien nämlich gegen Antiseptika normalerweise keine Resistenzen entwickeln (Ausnahmen sind aber möglich, vor allem im Fall von Triclosan). Antiseptika sind also – verglichen mit Antibiotika – das kleinere Übel, denn sie schädigen das Mikrobiom nur lokal (nur am direkten Ort ihres Einsatzes), und das lokale Mikrobiom kann sich durch die Flora aus der Umgebung (und wohl auch Keimen aus der benutzten Unterhose, die man nach der „Penisantisepsis“ für den Heimweg vom Paysex wieder anzieht) wieder relativ schnell regenerieren, während eine Antibiotikabehandlung das Mikrobiom des gesamten Körpers viel nachhaltiger stört. Man denke nur an die Rolle von Antiseptika in der MRSA-/MRE-Prävention z.B. in Krankenhäusern. Der gezielte (lokale) Einsatz von Antiseptika an Infektionsorten nach potenzieller Risikoexposition kann daher dazu beitragen, die Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit von antibiotikapflichtigen Infektionen zu reduzieren, und damit auch die ungünstigen Auswirkungen von Antibiotika für das Mikrobiom des gesamten Körpers zu minimieren, einschließlich des Risikos der Resistenzentwicklung. Vor diesem Hintergrund erscheint die gelegentliche „Penisantisepsis“ nach Risikosituationen (also risiko-/anlassbezogen) in der Sexarbeit trotz ihrer vorübergehenden ungünstigen Auswirkungen auf das natürliche Mikrobiom des Penis gerechtfertig, und die Sinnhaftigkeit -156- dieses Verfahrens könnte mit Zunahme von Antibiotika-Resistenzen von STD-Keimen und erweiterten Kenntnissen über die nachhaltigen ungünstigen Auswirkungen von Antibiotikatherapien auf das natürliche Mikrobiom des gesamten Körpers eher noch zunehmen. Fazit: Auch im Falle der „kleinen“ oder „erweiterten Penisantisepsis“ ist davon auszugehen, dass die normale Bakterienflora der Penishaut bzw. -schleimhaut vorübergehend reduziert wird. Auch Waschungen beeinträchtigen den sauren pH-Wert der Haut (und damit den sog. „Säureschutzmantel“), der allerdings binnen weniger Stunden wiederhergestellt wird. Dies alles kann dazu führen, dass das Infektionsrisiko nach Penisantisepsis vorübergehend (für einige Stunden) ansteigt. Daher ist die Penisantisepsis bei weiteren Sexkontakten am gleichen Tag konsequent weiterzuführen: wenn man einmal damit angefangen hat, sollte man eventuelle weitere Sexkontakte am gleichen Tag ebenfalls auf diese Weise „antimikrobiell absichern“, da Penishaut bzw. -schleimhaut nach antiseptischen Maßnahmen, aber auch allein schon durch mehrfache gründliche Waschung vorübergehend empfänglicher für manche STIKeime geworden sein können. Häufiges Waschen schädigt nicht nur den Säureschutzmantel der Haut, sondern führt auch durch Entfettung zu erhöhter Infektionsanfälligkeit. Wenn also Penisantisepsis betrieben wird, sollte dieses nicht nach Belieben, sondern dann auch an dem betreffenden Tag konsequent erfolgen, da durch mehrfaches Peniswaschen und/oder vorausgehende antiseptische Maßnahmen die Empfänglichkeit der Haut für Infektionen sogar zunehmen könnte (z.B. infolge der Entfettung durch das Waschen und den Verlust des Säureschutzmantels). Es ist davon auszugehen, dass am Folgetag sowohl der pH-Wert der Haut wieder auf das übliche Niveau zurückgekehrt ist, als auch dass sich die Haut- und Schleimhautflora wieder sehr schnell regeneriert (z.B. über Hautkeime aus der umgebenden Haut, aber auch aus der getragenen Unterwäsche). Wenn eine Penisantisepsis vorgenommen wurde, oder wenn der Penis mehrfach gründlich gewaschen wurde (auch ohne anschließende Penisantisepsis), sollte der Penis vor dem Schlafengehen (wenn anschließend kein Sex mehr erfolgt) eingefettet (rückgefettet) werden. Schließlich ist die Haut durch die vorausgehenden Belastungen ausgetrocknet und entfettet. Die Bakterienflora regeneriert dagegen von selbst – möglicherweise könnte es hilfreich sein, nicht sofort die Unterhose zu wechseln. So absurd es klingt: berücksichtigt man Säureschutzmantel und Mikrobiom, wäre es für den Freier eigentlich am günstigsten, mit ungewaschenem Penis Sex mit einer FSW zu haben. Dies ist aber für die FSW unzumutbar und inakzeptabel. Daher muss der Freier vor dem Sex den Penis gründlich (aber vorsichtig) waschen (als Schutzmaßnahme für die FSW, nicht für sich selbst!), nach dem Sex erneut waschen (als Schutzmaßnahme für sich selbst), ggf. antiseptisch behandeln (als Schutzmaßnahme für sich selbst und ggf. weitere Sexpartnerinnen), und nach Beendigung der sexuellen Aktivitäten an dem betreffenden Tag bzw. vor dem Schlafengehen den Penis einfetten (rückfetten). -157- ANLAGE 5 HIV-Risiko bei ungeschütztem Oralverkehr In Deutschland ist ungeschützte Fellatio (FO) beim Mann im Paysex ab 1.7.2017 untersagt! In Bezug auf HIV ist Oralverkehr nicht völlig risikolos. Man kann allerdings von „risikoarm“ sprechen – im Vergleich zum ungeschützten Vaginal- oder Analverkehr. Für alle relevanten Oralsexpraktiken gibt es Einzelfallberichte oder kleine Fallreihen von HIV-Infektionsfällen. Trotz intensiver Bemühungen ist es aber bisher nicht gelungen, das Risiko quantitativ zu fassen, d.h. das Pro-Akt-Infektionsrisiko für den HIV-negativen Partner beim Oralsex mit einem HIVpositiven Partner (dessen Infektion nicht bekannt oder nicht effektiv behandelt ist) abzuschätzen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Oralsex wird typischerweise nicht als alleinige Sexpraktik betrieben. Selbst bei lesbischen Frauen müssen andere Infektionswege (z.B. gemeinsame Nutzung von Sextoys, die mit Blutspuren kontaminiert sein könnten) in Erwägung gezogen werden. Die meisten Fallberichte von oralsexbedingten HIV-Infektionen stammen von schwulen Männern, die im relevanten Infektionszeitraum angeblich ausschließlich Oralsex betrieben hatten. In intensiveren und wiederholten Befragungen beider Partner unabhängig voneinander wurden in einem Teil dieser Fälle dann doch riskantere Praktiken (wie ungeschützter Analverkehr) zugegeben. Das Verschweigen riskanterer Praktiken könnte also dazu führen, das Oralsexrisiko zu überschätzen. Andererseits spielen bei den Infektionsmöglichkeiten beim Oralsex lokale Risikofaktoren (wie z.B. andere STDs) eine sehr wichtige Rolle. Studien zu heterosexuellen HIV-Übertragungsrisiken werden typischerweise an serodiskordanten monogamen Paaren durchgeführt. Bei ihnen ist das Risiko, dass lokale Risikofaktoren (wie andere STDs) vorliegen, niedriger als bei FSW, so dass diese Studien das Infektionsrisiko (übertragen auf die Verhältnisse der Sexarbeit) eher unterschätzen könnten. Außerdem erfassen diese Studien nicht die Phase der besonders hohen Infektiosität der Frischinfizierten, wenn noch keine HIV-Antikörper nachweisbar sind. Das Maximum der Virusbelastung wird in den meisten Fällen bereits in der 2. bis 4. Woche (oft schon nach 11 bis 15 Tagen) nach der Primärinfektion erreicht. Das HIV-Risiko von ungeschütztem Oralsex kann daher nicht auf der Basis von epidemiologischen Studien, sondern nur anhand von Überlegungen zur biologischen Plausibilität eingeschätzt werden. Dabei sind folgende Grundtatsachen von Bedeutung: ● Speichel von HIV-Infizierten (mit noch nicht entdeckter oder unbehandelter HIV-Infektion) enthält nur in wenigen Prozent der Betroffenen infektionsfähiges, kultivierbares Virus. Zwar wird bei vielen HIV-Infizierten Virus in den Mundraum ausgeschüttet (vor allem von den Mandeln, aber auch über die Speicheldrüsen und die Flüssigkeit der Zahnfleischfurche), dieses HIV wird aber durch eine Fülle von antiviral wirksamen Stoffen aus dem Speichel -158- inaktiviert. Andere Speichelstoffe sorgen dafür, dass die Zellen der Mundschleimhaut, wenn sie mit infektionsfähigem HIV in Berührung kommen, nicht infiziert werden können, weil sie die Anheftung des Virus blockieren. Die anti-HIV-Kapazität des Speichels ist allerdings individuell sehr unterschiedlich. In manchen Fällen reicht sie nicht aus, um das gesamte in den Mundraum ausgeschüttete HIV zu inaktivieren – aus dem Speichel lässt sich in diesen wenigen Fällen dann tatsächlich HIV anzüchten. Auch kann diese Kapazität überfordert werden, z.B. wenn der Speichel bluthaltig ist, aber auch in Anwesenheit von Sperma. Einige HIV-Infizierte (wobei von wenigen Prozent der HIV-Infizierten ohne effektive Therapie auszugehen ist) produzieren daher HIV-infektiösen Speichel, und es sind schon Infektionen beschrieben worden, die über Speichel übertragen wurden (z.B. bei Bissverletzungen; beim Zungenanal auf den passiven Partner; bei der Fellatio von der Frau auf den Mann; bei lesbischen Frauen, wobei Infektionswege über Toys aber nicht sicher ausschließbar sind). ● HIV benötigt „Eintrittspforten“, damit eine Infektion „angeht“. Dies ist besonders dort der Fall, wo die natürliche Barrierefunktion der Mundschleimhaut gestört ist, oder wo sich viele Zielzellen (wie Lymphzellen) befinden, die HIV direkt infizieren kann. Dies trifft überall zu, wo Verletzungen, Wunden (z.B. auch nach zahnärztlicher Behandlung), Entzündungen (durch STDs, im Zahnfleischbereich oder aus anderem Anlass), Herpes, Geschwüre, Aphthen usw. bestehen, aber auch Mikrowunden durch scharfe Zahnkanten, festsitzende kieferorthopädische Apparaturen, Piercings, direkt nach dem Zähneputzen u.a. Eine besondere Risikozone stellen die Mandeln dar; dort finden sich natürlicherweise viele direkt durch HIV infizierbare Zellen; die Epithelschicht (= Barrierefunktion) ist sehr dünn; ein wichtiger, die Zellen vor einer HIV-Infektion schützender Stoff aus dem Speichel (SLPI) findet sich in den Krypten der Mandeln nicht oder nur in sehr geringer Konzentration, und Mandeln sind häufig chronisch entzündet und locken dann besonders viele durch HIV infizierbare Lymphzellen an. Und aufgrund der rauen Oberfläche und Krypten können Reste von infektiösen Flüssigkeiten (wie Sperma) dort lange hängen bleiben (lange Kontaktzeit). Selbst wenn die Gaumenmandeln schon entfernt wurden, gibt es noch weitere Mandeln (Rachenmandeln, Zungengrundmandeln), die ähnliche Infektionsgelegenheiten bieten. Das Risiko dürfte weiter steigen, wenn die Mandeln entzündet sind, Halsinfekte oder STDErkrankungen (z.B. Herpes, Rachentripper, Chlamydien) im Rachenraum vorliegen. Auch der Zahnfleischsaum stellt eine plausible Eintrittspforte dar, da sich auch hier infizierbare Zellen finden; dies gilt umso mehr, wenn das Zahnfleisch entzündet ist (erhöhte Entzündungsneigung bei Rauchern!), weil es dann auch brüchiger und verletzlicher ist (daran erkennbar, dass es schneller blutet) und auf diese Weise mehr Eintrittspforten schafft. Selbst über die intakte Mundschleimhaut ist eine HIV-Infektion grundsätzlich denkbar, wenn auch viel unwahrscheinlicher als im Rachenraum mit seinen Mandeln. In der Mundschleimhaut spielt der Prozess der Transzytose und Transfektion eine Rolle: sofern der Speichel nicht genügend SLPI enthält, um die Mundschleimhautzellen vor einer Aufnahme von HIV in die Zellen zu schützen, kann HIV in die Zellen eindringen, wird dort für einige Zeit -159- deponiert (und sogar in sehr geringem Umfang auch vermehrt/repliziert), und dann an andere Zellen, darunter möglicherweise auch infizierbare Zellen des Immunsystems abgegeben, die dann im schlimmsten Fall eine Infektion des gesamten Körpers veranlassen könnten. Dieser Infektionsweg aus Transzytose/Transfektion ist zwar vergleichsweise sehr ineffektiv; Alkoholkontakt (auch in niedrigen Konzentrationen wie z.B. im Bier) erhöht aber die Aufnahme mancher HIV-Stämme (die die Fähigkeit haben, an die Zellen anzudocken) in Mundschleimhautzellen stark. Das hat Konsequenzen für die Verwendung alkoholhaltiger Mundspülungen: man kann sie zwar nach einem Risikoereignis einsetzen, um HIV zu zerstören (dann aber unverdünnt und mit möglichst hoher Alkoholkonzentration, damit kein HIV „überlebt“), sollte danach aber für mehrere Stunden auf HIV-relevante Risikoereignisse verzichten, weil nach erneuter HIVExposition die Mundschleimhautzellen das Virus dann viel schneller und stärker aufnehmen würden, so dass eine weitere Spülung womöglich schon zu spät kommt. Routinemäßige Spermaaufnahme in Kombination mit routinemäßiger alkoholhaltiger Spülung wäre daher eher eine riskante Konstellation. ● Auch Lusttropfen enthalten bereits infektionsfähiges Virus. Es ist dort vor allem an Lymphzellen gebunden. Vom Analverkehr weiß man, dass Flüssigkeiten (wie Lusttropfen), die vor der eigentlichen Ejakulation abgegeben werden, ein erhebliches Infektionspotenzial haben. Männer, die rezeptiven Analverkehr betrieben, wobei ein Kondom erst kurz vor der Ejakulation aufgesetzt wurde, hatten ein etwa ebenso großes HIV-Risiko wie Männer, die völlig ungeschützten Analverkehr mit Ejakulation betrieben. Dies spricht für ein dem Sperma vergleichbares Infektionsrisiko von Lusttropfen - jedenfalls beim Analverkehr. Im Mund vermutet man, dass Lusttropfen nicht infektiös seien. Dies sind aber Vermutungen; bei einigen MSM, die sich angeblich bei rezeptiver Fellatio infizierten und angeblich kein Sperma aufnahmen, wird der Lusttropfen als Infektionsquelle diskutiert. Vermutlich reichen die anti-HIV-wirksamen Stoffe im Speichel im Normalfall aus, HIV aus Lusttropfen zu inaktivieren, z.B. der niedrige Salzgehalt im Speichel. Ist die antivirale Kapazität des Speichels aber im Einzelfall besonders niedrig, liegen besondere Eintrittspforten wie Wunden und Geschwüre vor, oder gelangt der Lusttropfen wie beim Deep Throat direkt auf die Mandeln oder wird in die Krypten der Mandeln gepresst, ohne zuvor eine längere Kontaktzeit mit den inaktivierenden Stoffen des Speichels gehabt zu haben, so wäre eine HIV-Infektion im Mund-Rachen-Raum durch Lusttropfen durchaus biologisch plausibel. ● Sperma HIV-Infizierter (jedenfalls mit nicht effektiv behandelter HIV-Infektion, aber auch bei einem kleinen Teil der effektiv Behandelten mit Viruslast unter der Nachweisgrenze im Blut) ist prinzipiell als infektiös anzusehen. Aufgrund seiner Konsistenz, Menge und seines Salzgehaltes überfordert Sperma aber die natürliche antivirale Kapazität des Speichels. Ein wichtiger Mechanismus, mit dem Speichel normalerweise HIV inaktiviert, ist sein niedriger Salzgehalt. Schon 0,5 ml Sperma heben aufgrund ihres höheren Salzgehaltes diesen Effekt auf. Auch andere antiviral wirksame Stoffe können in das visköse oder klebrige Sperma nicht vordringen. Es ist daher anzunehmen, dass Spermaaufnahme die natürliche antivirale Kapazität des Speichels überfordert und damit selbst dann eine HIV-Infektion (vor allem über die Mandeln) zustande kommen kann, wenn keine besonderen Risikofaktoren wie Wunden, -160- Geschwüre, STDs, Entzündungen am Zahnfleisch oder andernorts vorliegen. Sind auch noch solche Risikofaktoren vorhanden, steigt das Risiko weiter. ● Vaginalsekret HIV-Infizierter (jedenfalls mit nicht effektiv behandelter HIV-Infektion) ist ebenfalls als infektiös zu bewerten, wobei das Ausmaß/die Häufigkeit der Infektiosität bisher schwer einschätzbar sind. Mit Standardmethoden lässt sich nur selten HIV aus Vaginalsekret kultivieren, mit besonders empfindlichen Methoden dagegen viel häufiger, wobei sich dann aber die Frage stellt, ob die nur mit extrem empfindlichen Methoden nachweisbaren Konzentrationen von infektionsfähigem HIV ausreichen, eine Infektion im Mund-Rachen-Raum angehen zu lassen? Im direkten Vergleich Speichel / Vaginalsekret ist letzteres aber mit Gewissheit häufiger als infektiös einzustufen. Auch die Tatsache, dass das Infektionsrisiko der Männer beim ungeschützten GV „immerhin“ etwa halb so hoch ist wie das der Frauen, die ja weitgehend über Sperma (und ggf. auch Lusttropfen) infiziert werden, spricht für ein nicht zu vernachlässigendes Infektionspotenzial von Vaginalsekret. Letztendlich kommt es beim Oralverkehr also darauf an, ob die antivirale Kapazität des Speichels nach Aufnahme von HIVhaltigem Vaginalsekret (beim Lecken) überfordert wird oder nicht. Wie erwähnt, lässt sich in vielen Fällen nur mit sehr sensiblen Methoden HIV aus Vaginalsekret (außerhalb der Menstruation) kultivieren, was es eher unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass diese minimalen Mengen infektiösen Virus die antivirale Kapazität des Speichels überfordern könnten. Anders sieht es während der Menstruation aus, wenn das Vaginalsekret mehr oder weniger Blut oder Blutspuren enthält, selbst wenn diese (z.B. infolge Schwämmcheneinlage) nicht sichtbar sein sollten. In diesen Fällen ist es durchaus möglich, dass die antivirale Kapazität des Speichels überfordert wird, und das Infektionsrisiko für den Leckenden dürfte steigen, wenn individuelle Risikofaktoren in seinem Mund-Rachen-Raum vorliegen. Blut-Schleimhaut-Kontakt stellt ein reales Infektionsrisiko dar. Daraus ergeben sich folgende Risikoeinschätzungen für einen Kunden bzw. eine FSW im Umgang mit einer FSW bzw. einem Kunden mit nicht erkannter (und daher nicht behandelter) HIV-Infektion (die Sextechniken, die die FSW und nicht den Kunden unter potenzielles Risiko setzen, werden als “informell“ gekennzeichnet. Auf sie wird kurz eingegangen, weil dies auch für Kunden interessant sein kann, z.B. damit sie verstehen, wenn eine FSW Bedenken hat oder das eine oder andere nicht praktizieren möchte): Insertiver Oralsex („der Mann, bei dem geblasen wird“) (FO, auch FA/FT) Es liegen einige Fallberichte für HIV-Infektionen nach Fellatio für den insertiven Partner vor; ein umfassender Review aus dem Jahr 1998 erwähnt 6 Fälle aus 4 Veröffentlichungen, davon 4 bei MSM und 2 im heterosexuellen Kontext, darunter ein impotenter Mann mit Diabetes, dem von einer FSW „geblasen“ worden war. Eine etwa gleich alte Literaturrecherche aus dem Jahr 1997 erwähnte keine weiteren oder anderen Fälle. -161- Sowohl am Harnröhrenausgang, an Eichel und Vorhaut (besonders an der Innenseite der Vorhaut) sitzen Zellen, an die HIV andocken kann, auch wenn sich die Infektionsmechanismen je nach Penisregion grundlegend unterscheiden. Bei infektiösem HIV im Speichel des „Blasenden“ wäre damit selbst bei intaktem Penis (ohne Wunden, Verletzungen, Geschwüre, Herpes) ein Infektionsrisiko denkbar, das ansteigt, wenn am Penis selbst Risikofaktoren vorliegen. Die meisten HIV-Infizierten besitzen allerdings kein infektiöses HIV im Speichel. Eine hohe Belastung mit infektionsfähigem HIV im Mund des „Blasenden“ ist selbst im seltenen Falle der HIV-Kultivierbarkeit aus Speichel wenig plausibel, da Speichel zahlreiche antiviral wirksame Substanzen enthält und auch sein niedriger Salzgehalt HIV inaktiviert. Es dürfte daher, wenn überhaupt, normalerweise viel zu wenig funktionstüchtiges (infektionsfähiges) Virus vorhanden sein, um eine Infektion am Penis des Mannes auszulösen. Anders ist die Situation zu bewerten, wenn der Speichel des „Blasenden“ bluthaltig ist, also verdünntes Blut enthält z.B. infolge Verletzungen, Zahnfleischentzündungen, Zustand nach Zahnbehandlung; oder auch wenn bei entzündetem und daher blutungsanfälligem Zahnfleisch kurz vor dem Oralverkehr die Zähne geputzt oder mit Zahnseide gefädelt wurde. Blutgerinnungshemmende Medikamente können ebenfalls die Blutungsneigung steigern, wenn Zahnfleischentzündungen vorhanden sind. Auch Rauchen geht mit erhöhtem Entzündungsgrad des Zahnfleisches und deshalb erhöhter Blutungsneigung einher. Auch Geschwüre oder von Herpes befallene Areale setzen vermehrt HIV frei; bei geschwürbildenden Erkrankungen im Mund ist damit die Wahrscheinlichkeit höher, dass Speichel infektiöses HIV (und ggf. in größerer Menge als ohne die geschwürbildende Erkrankung) enthalten kann. Dann ist ein Infektionsrisiko für den Mann (insertiven Partner) durchaus plausibel, und es würde steigen, wenn aufseiten des Penis auch noch Risikofaktoren bestehen, die die Empfänglichkeit erhöhen (wie Entzündungen, Wunden, Geschwüre, Herpes). Fazit: eine HIV-Infektion des insertiven Partners durch „Blasen“ ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber nicht völlig unmöglich, und hängt stark von dem Vorhandensein von Risikofaktoren auf beiden Seiten ab. Der Umstand, dass nur wenige Infektionen auf diesem Wege bisher bekannt geworden sind, ist biologisch plausibel. Es ist plausibel, dass es zu vereinzelten Infektionen auf diese Weise kam, es ist aber auch plausibel, dass dieser Infektionsweg so selten und unbedeutend blieb. Selbstverständlich besteht ein Risiko für den insertiven Partner auch in Gruppensexsituationen, wenn zuvor ein HIV-infizierter Mann in den Mund der blasenden Frau ejakuliert hat und sie (vor allem ohne auszuspucken und auszuspülen) direkt bei einer anderen Person weiter bläst. -162- Informell: kurzes Anblasen (ohne Aufnahme von Lusttropfen): Sofern weder Geschwüre, Wunden, Herpes usw. am Penis des Mannes noch im Mund der blasenden Frau bestehen (d.h. beide Seiten ohne lokale Risikofaktoren!), ist eine HIV-Infektion für die Frau oder den Freier in dieser Konstellation (auch angesichts der antiviralen Kapazität des Speichels) unplausibel. Sofern das Anblasen nur dem Zweck dient, überhaupt erst einmal eine Erektion herzustellen, damit das Kondom appliziert werden kann, ist auch kaum mit einer relevanten Lusttropfenbildung zu rechnen. Allerdings erfordert ein schlaffer Penis nicht zwangsläufig ein ungeschütztes Anblasen; es gibt auch Techniken, mit dem Mund das Kondom aufzusetzen und den Penis dabei zur Erektion zu bringen. Informell: Intensiveres Blasen (Aufnahme von Lusttropfen möglich): Sofern weder Geschwüre, Wunden, Herpes usw. am Penis des Mannes noch im Mund der blasenden Frau bestehen (d.h. beide Seiten ohne lokale Risikofaktoren!), ist eine HIV-Infektion für die Frau in dieser Konstellation (auch angesichts der antiviralen Kapazität des Speichels) extrem unwahrscheinlich, trotz der möglichen Infektiosität des Lusttropfens. Auch wenn nur auf einer der beiden Seiten Risikofaktoren bestehen, muss von einem - wenn auch sehr geringen - Risiko ausgegangen werden. Kommt es allerdings zur Freisetzung von Lusttropfen, besteht ein nicht mehr ganz zu vernachlässigendes Risiko - bei Wunden, Geschwüren, starken Zahnfleischentzündungen usw. im Mund oder Rachen - bei Deep Throat, wenn Lusttropfen direkt die Mandeln benetzen oder in die Mandeln gepresst werden, ohne dass zuvor Speichel inaktivierend einwirken konnte. Informell: Aufnahme von Sperma in den Mund Aufnahme von Sperma untherapierter HIV-Infizierter in den Mund stellt ein reales HIV-Risiko dar, auch wenn das Pro-Akt-Risiko als sehr niedrig (wohl in der Größenordnung zwischen 1 : 1000 und 1 : 5.000) gilt. Die Höhe des Risikos hängt dabei stark von den Begleitumständen ab. Bei Wunden, Geschwüren, Herpes, starken Zahnfleischentzündungen usw. ist es höher einzuschätzen, ebenso wenn Sperma in den Rachen/auf die Mandeln gelangt, weil sich dort viele Eintrittspforten für HIV befinden. Gelingt es, das Sperma vorn im Mund zu behalten und direkt auszuspucken, bevor die Mandeln benetzt werden, dürfte das Risiko eher geringer sein. Allerdings kann HIV auch über den Zahnfleischsaum und sogar die intakte Mundschleimhaut aufgenommen werden, auch wenn beide Infektionswege als wenig effektiv gelten. Vorausgehender Alkoholkontakt erhöht die Aufnahme von HIV in Mundschleimhautzellen stark. -163- informell: Aufnahme von Sperma in den Rachen (Deep Throat) und/oder Spermaschlucken Sofern nicht „offene Stellen“ (wie Geschwüre, Wunden usw.) im Mund besonders geeignete Eintrittspforten bieten, stellen die Mandeln den wichtigsten Infektionsort im Mund-RachenBereich dar. Dies gilt selbst dann, wenn sie intakt sind. Sind die Gaumenmandeln bereits entfernt, dürfte das Risiko zwar geringer sein, es gibt aber noch weitere Mandeln. Entzündungen der Mandeln (nicht selten!), Halsinfekte durch STD-Erreger oder auch banale Keime dürften das Risiko weiter erhöhen (viele infizierbare Zielzellen vorhanden!). Die großflächige Benetzung der Mandeln mit Sperma bei Aufnahme beim Deep Throat und/oder Spermaschlucken muss daher als deutlich höheres Risiko bewertet werden als eine Aufnahme, die sich auf die vordere Mundhöhle beschränkt, ohne nennenswerten Spermakontakt der Mandeln. Selbst wenn verschlucktes HIV im Magen unverzüglich inaktiviert wird, geht von den beim Schlucken an den Mandeln hängen gebliebenen Spermaresten ein Infektionsrisiko aus (auch wegen der langen Kontaktzeit). Lecken (Cunnilingus) aktiv Vaginalsekret HIV-Infizierter ohne effektive Therapie ist als potenziell infektiös einzustufen (sonst könnten sich Männer beim GV nicht an HIV anstecken), auch wenn der Nachweis infektiösen Virus nicht immer gelingt; er unterliegt auch den Schwankungen des Monatszyklus. Die höchste Infektiosität besteht aufgrund der Blutspuren während der Menstruation, auch wenn das Blut durch Schwämmcheneinlage „gefiltert“ und unsichtbar ist. Blutgeschmack im Mund des Leckenden ist ein Risikosignal. Dennoch sind nur wenige Infektionsfälle durch Lesbensex dokumentiert, und neben Lecken kommen in manchen dieser Fälle auch andere Praktiken (z.B. gemeinsame Nutzung von nicht gereinigten Toys mit möglichen Blutspuren) infrage. Bei intakten Mundverhältnissen (keine Geschwüre, Wunden, Entzündungen im Mund und Rachen) dürfte die antivirale Kapazität des Speichels im Regelfall ausreichen, mit Vaginalsekret ohne Blutanteile aufgenommenes HIV zu inaktivieren. Ausnahmen bestehen bei schweren genitalen Infektionen wie z.B. Herpes, SyphilisPrimäraffekt, die in erheblichem Umfang HIV ausschütten. Bei Blutanteilen im Vaginalsekret könnte das Schutzsystems des Speichels aber überfordert werden (siehe unten unter „Zungenküsse“); wenn bluthaltige Flüssigkeiten (wie Speichel oder Vaginalsekret mit Blut) in den Mund gelangen, ist von einem nicht zu vernachlässigenden Infektionsrisiko auszugehen. Von Blut-Schleimhaut-Kontakten geht ein reales Infektionsrisiko aus, das allerdings je nach Lokalisation der mit Blut kontaminierten Schleimhaut unterschiedlich hoch ausfällt – und bei der Mundschleimhaut offenbar viel geringer ist als bei Kontamination der Penisschleimhaut mit HIV-infiziertem Blut, was unter anderem mit den vielen Schutzstoffen im Speichel wie z.B. SLPI zusammenhängen dürft). -164- Informell: Lecken (Cunnilingus) passiv Da Speichel nur selten infektiöses HIV enthält, ist ein Infektionsrisiko für die Frau, bei der geleckt wird, extrem unwahrscheinlich, sofern nicht genitale Risikofaktoren (wie Verletzungen, Entzündungen, STDs, Geschwüre, Herpes, Erosionen) vorliegen, die konkrete Eintrittspforten bieten. Auch Risikofaktoren aufseiten des leckenden Partners, die mit einer erhöhten HIVAusschüttung einhergehen (wie z.B. Herpes an den Lippen, STDs im Mund-/Rachen) könnten das Risiko erhöhen. Fehlen Risikofaktoren auf beiden Seiten, ist eine HIV-Übertragung vom Leckenden auf die Geleckte aber sehr wenig plausibel. Immerhin gibt es einige (sehr) wenige plausible Berichte (u.a. mit einem impotenten Diabetiker, bei dem nur „geblasen“ wurde), wo sich ein Mann bei der Fellatio durch eine HIV-positive Frau ansteckte. Wenn der Infektionsweg vom Speichel einer (HIV-infizierten) Frau zum Penis (Harnröhrenausgang oder Vorhautinnenseite) des Mannes grundsätzlich möglich ist, so müsste dies plausiblerweise dann auch für den Infektionsweg vom Speichel einer HIV-infizierten leckenden Person auf die genitalen Schleimhäute (einschl. Harnröhrenausgang) einer Frau gelten. Beide Infektionswege scheinen sehr wenig effektiv, aber eben nicht völlig ausgeschlossen zu sein. Zungenanal aktiv Rektalflüssigkeit HIV-Infizierter ohne effektive Therapie enthält infektiöses HIV in vergleichsweise höheren Konzentrationen als Vaginalflüssigkeit, unter anderem weil der Darm einen großen Teil des Immunsystems beherbergt. Außerdem ist die Analschleimhaut sehr dünn und neigt zu Mikroverletzungen und -blutungen. Bei einem tiefen, eindringenden Zungenanal ist daher durch Kontakt mit rektalen/analen Flüssigkeiten, analen Entzündungen/STDs oder Blutspuren ein Infektionsrisiko für den Leckenden durchaus plausibel, vor allem wenn dieser im Lippen-, Mund- oder Zungenbereich selbst Risikofaktoren (wie Wunden, Entzündungen, Geschwüre, Herpes usw.) aufweist. Wird dagegen nur die intakte (!) Haut um den Anus herum geleckt, ist ein Infektionsrisiko unplausibel. Dies gilt nicht, wenn die Haut wund ist (z.B. Ekzem). Informell: Zungenanal passiv Es gibt mindestens einen gut dokumentierten Einzelfall, bei dem sich ein Mann, dem von einem HIV-infizierten Mann anal geleckt wurde, mit HIV infizierte. Speichel ist nur bei einem kleinen Teil der HIV-Infizierten tatsächlich HIV-infektiös. Die rektalen/analen Schleimhäute sind ihrerseits aber besonders empfänglich für HIV (empfänglicher als die Vaginalschleimhaut und viel empfänglicher als die Mundschleimhaut). Wenn HIV-infektiöser Speichel auf die Analschleimhaut gelangt, die möglicherweise noch Mikroverletzungen oder Ekzeme aufweist, ist eine Infektion daher durchaus plausibel. Gelangt dagegen nur intakte (nicht z.B. durch Ekzeme wunde) äußere Haut rund um den Anus herum mit infektiösem Speichel in Berührung, ist ein Infektionsrisiko unplausibel. -164a- Zungenküsse Ein HIV-Infektionsrisiko durch Zungenküsse ist prinzipiell unplausibel (nur selten infektiöses HIV im Speichel; hohe antivirale Kapazität des Speichels). Es gibt einen Fall, in dem eine HIVÜbertragung durch Zungenküsse plausibel, aber keinesfalls gesichert, infrage kommt. Hier wies der infektiöse Partner häufiges Zahnfleischbluten nach Zähneputzen/Zahnseidefädeln auf, und die Zungenküsse erfolgten typischerweise direkt nach dem Putzen/Fädeln. Es ist also von Speichel mit Blutspuren auszugehen. Die sich infizierende Partnerin wies Zahnfleischentzündungen auf. Es bestanden also Risikofaktoren auf beiden Seiten. Bluthaltiger Speichel ist als infektiös einzustufen. URL der Vollversion „HIV-Risiko bei ungeschütztem Oralverkehr“ http://freepdfhosting.com/f53ebeb80e.pdf -165- ANLAGE 6 Neue Testsystematik der HIV-Testung (ab Sommer 2015) ● nach potenzieller Exposition (d.h. Ereignis mit Infektionsrisiko) liegt die Wartezeit für einen HIV-Screening-Test der 4. Generation (d.h. Kombinationstest: Antikörper/p24-Antigen) jetzt nur noch bei 6 statt 12 Wochen ● für die nicht mehr üblichen Screening-Tests der 3. Generation (ohne p24-Antigen) und für Schnelltests bleibt es bei der 12-Wochen-Frist ● ein negatives Ergebnis im HIV-Screening-Test schließt nach Ablauf dieser Fristen eine HIVInfektion mit hoher Sicherheit aus, wovon es aber Ausnahmen gibt: ● wurde eine PEP durchgeführt, beginnt die 6- bzw. 12-Wochen-Frist erst nach Absetzen der PEP zu laufen (PEP = antivirale Postexpositionsprophylaxe) ● in Europa sehr seltene HIV-Varianten ● präexistierende Immun-/Antikörperbildungsstörung ● besteht ein Verdacht auf eine HIV-Infektion und liegt das letzte Risikoereignis weniger als 6 Wochen zurück, und verläuft der Screening-Test (noch?) negativ, sollte ein NukleinsäurenNachweis-Test (NAT) durchgeführt werden ● es dauert durchschnittlich ca. 11 Tage nach dem Infektionszeitpunkt, bis der HIV-1-NATNachweis positiv wird. Nach ca. 16 bis 18 Tagen erfolgt der erste Nachweis von HIV-p24Antigen (allerdings mit Einschränkungen bei bestimmten HIV-Typen), und es dauert ca. 22 Tage bis zum ersten Nachweis HIV-spezifischer Antikörper, jeweils vom Infektionszeitpunkt aus kalkuliert. ● ist der Screening-Test reaktiv (positiv) oder grenzwertig, ist eine weitere Diagnostik (Stufendiagnostik) zwingend erforderlich. Dies kann ein Antikörper-basierter Test (z.B. Immunoblot) sein, oder ein empfindlicher HIV-1-NAT-Test (mit Nachweisgrenze unter 50 RNAKopien pro ml). Beide Verfahren sind in der zweiten Ebene der Stufendiagnostik gegeneinander austauschbar. Diese Tests werden an Erstmaterial durchgeführt (d.h. keine zweite Blutprobe erforderlich). ● Bei eindeutig positivem Bestätigungstest soll zum Ausschluss von Verwechslungen oder Probenkontamination (spielt bei NAT-Tests eine Rolle) eine zweite, unabhängig gewonnene Probe untersucht werden. Eine zweite Blutprobe wird also erst erforderlich, wenn (auch) der Bestätigungstest positiv ausfällt. -166- ● bei reaktivem (positivem) Ergebnis im Screening-Test und negativem oder fraglichen Ergebnis im Antikörper-Bestätigungstest sollte ein HIV-1-NAT durchgeführt werden, wenn eine frische Infektion nicht ausgeschlossen werden kann; ansonsten Verlaufskontrolle nach 1 bis 3 Wochen bei allen unklaren Ergebnissen. ● Antikörper-Tests bzw. kombinierte Antikörper-Antigen-Tests können noch nicht routinemäßig durch NAT-Verfahren ersetzt werden, da der HIV-1-Nukleinsäuren-Nachweis (NAT) falschnegative Ergebnisse liefern kann, so bei einer Viruskopienzahl unter der Nachweisgrenze (z.B. bei Elite-Controllern oder unter PEP) und weil bestimmte HIV-1-Varianten nicht ausreichend gut von der HIV-1-NAT entdeckt werden, ebenso HIV-2. nach: RABENAU HF et al., Bundesgesundheitsblatt 2015; 58: 877 – 886 -167- ANLAGE 7 Begriffsdefinitionen „HPV-Prophylaxe“ und „Carrageen-Verfahren“ „HPV-Prophylaxe“: Anwendung von Carrageen (als Lösung oder Spray) am Penis (Schleimhaut- und Hautanteile) nach konkreten HPV-Risikosituationen zur Inaktivierung an der Penishaut oder -schleimhaut anhaftenden HPVs nach möglicher Kontamination. Es handelt sich dabei um eine Postexpositionsprophylaxe, die nach dem Peniswaschen und -trocknen entweder allein durchgeführt wird, oder nachrangig nach der Penisantisepsis Adressaten: ● vor allem nicht gegen HPV geimpfte Männer; ● da auch geimpfte Männer HPV vorübergehend am Penis tragen und weiterreichen können, kann die HPV-Prophylaxe – unter dem Aspekt des Fremdschutzes, also des Schutzes weiterer Sexpartnerinnen – auch bei geimpften Männern hilfreich sein. „Carrageen-Verfahren“: Periexpositionsprophylaxe des Mund-Rachen-Raumes mit Carrageen-Lösung oder -Spray vor und nach ungeschütztem Oralsex zur Inaktivierung aufgenommenen HPVs. Die Anwendung unmittelbar vor dem Oralsex dient dabei dazu, Mund- und Rachenregion bereits präventiv mit einem dünnen Carrageenfilm zu überziehen und auf diese Weise vor HPV zu schützen. Bei der Anwendung nach dem Oralsex soll eventuell aufgenommenes HPV direkt inaktiviert werden. Adressaten: ● bei HPV-Geimpften nicht notwendig ● wichtigster Adressat sind ungeimpfte Freier, die ungeschützt bei FSW lecken (Cinnilingus) ● an zweiter Stelle in der Rangfolge der Wichtigkeit stehen FSW, die bei Kolleginnen lecken (Lesbenspiele) ● an dritter Stelle stehen FSW, die ungeschützten Deep Throat mit FA/FT betreiben ● an vierter oder fünfter Stelle stehen FSW, die ungeschützten Deep Throat ohne FA/FT betreiben ● an vierter oder fünfter Stelle stehen FSW, die FA/FT betreiben ● an sechster Stelle stehen FSW, die FO ohne Deep Throat und ohne Aufnahme betreiben ● an siebter Stelle stehen FSW, die lediglich kurz kondomlos „anblasen“ -168- Die Reihenfolge der Prioritätenliste berücksichtigt ● das höhere Übertragungsrisiko von HPV bei Cunnilingus im Vergleich zu Fellatio ● die hohe genitale HPV-16-Belastung bei FSW (europaweit ca. 11 %) ● die deutlich höhere Anfälligkeit der Männer im Mund-Rachen-Raum für HPV 16 im Vergleich zu sexuell aktiven Frauen (die eine gewisse natürliche Immunkompetenz gegen HPV 16 im Rachen entwickeln können) ● das höhere Risiko von Deep Throat, weil potenziell HPV-freisetzende Penisanteile dabei direkt in Kontakt mit Rachen und Mandeln gelangen können ● ein höheres HPV-Risiko bei Spermaaufnahme, da bei vielen HPV-infizierten Männern auch das Sperma HPV enthält -169- ANLAGE 8 Mögliches Ablaufschema eines HPV-16-E6-Antikörper-basierten Screenings für Personengruppen mit erhöhtem Risiko für ein HPVbedingtes Oropharynx-Karzinom Potenzielle Zielgruppen: Personen mit riskantem Oralsexverhalten in der Vergangenheit* mit Priorisierung auf Männer, da Männer – im Gegensatz zu Frauen – durch eine hohe Anzahl genitaler Sexpartner keine oder weniger Immunkompetenz gegenüber oralen HPV-16-Infektionen entwickeln als sexuell aktive Frauen. *Ein Screening macht nur Sinn, wenn das riskante Verhalten seit mindestens einigen Jahren (5 bis 10 Jahren) besteht. Wird erst seit wenigen Jahren riskanter Oralsex praktiziert, sollte das Screening erst später einsetzen. Da Oropharynx-Karzinome in einem Alter unter 35 Jahren extrem selten sind, macht ein E6Screening auch für Risikopersonen erst ab einem Alter von mindestens 35 Jahren Sinn. In der Allgemeinbevölkerung mit durchschnittlichem Sexverhalten macht ein E6-Screening grundsätzlich keinen Sinn! Daraus ergeben sich folgende Zielgruppen: Männer: ● männliche Sexarbeiter ● Freier, die häufig ungeschützt bei FSW Cunnilingus betrieben haben ● MSM mit einer hohen Anzahl männlicher Partner ● ferner: heterosexuelle Männer mit umfassender Cunnilingus-Karriere bei vielen Frauen ● Partner von Frauen mit persistierender HPV-16-Infektion/CIN 2-3/Gebärmutterhalskrebs (sofern sie Cunnilingus betrieben haben) Frauen: ● FSW, die ungeschützt Oralsex bei Freiern und/oder Kolleginnen betrieben haben ● ferner: lesbische Frauen mit hoher Partnerinnen-Zahl Bei sehr starken Rauchern könnte ein E6-basiertes Screening weniger „sicher“ funktionieren als bei Nichtrauchern oder weniger starken Rauchern (d.h. das Risiko, dass ein sich entwickelnder Rachenkrebs nicht durch einen E6-positiven Befund vorhergesagt werden kann, könnte bei sehr starken Rauchern höher ausfallen) -170- -171- Quellenangaben / ausführlichere Ausarbeitungen: „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ http://freepdfhosting.com/9d0efc57cc.pdf (X) (Langfassung) „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit – Kurzfassung für Sexarbeiterinnen“ http://freepdfhosting.com/f2aa6824cb.pdf „Hepatitis C und Sexarbeit - Risikobewertung und praktische Konsequenzen“ (X) http://freepdfhosting.com/03953fff09.pdf „HIV-Risiko bei ungeschütztem Oralverkehr" http://freepdfhosting.com/f53ebeb80e.pdf (X) „HPV-Impfung für Sexarbeiterinnen?“ (X) http://freepdfhosting.com/76654add31.pdf „Krebsrisiko von Mundspüllösungen?“ (X) http://freepdfhosting.com/a701521dbe.pdf „Checkliste zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ (nur für Sexarbeiterinnen) http://freepdfhosting.com/a7f33d654f.pdf „Checkliste zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ (für Sexarbeiterinnen und Freier) http://freepdfhosting.com/2345613b01.pdf Besonders empfehlenswert: „Checkliste zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ (nur für Freier) http://freepdfhosting.com/dc3a6c94a9.pdf (X) = mit umfangreichem Literaturverzeichnis/Quellennachweis Stand 3/2017 Anonymus Kein Copyright, frei verwendbar. Übersetzung in andere Sprachen, auch auszugsweise, ausdrücklich zulässig