Empfehlungen zur Infektions- prävention bei der

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Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit
Kurzfassung für Freier
Kurzfassung aus:
„Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“
http://freepdfhosting.com/9d0efc57cc.pdf
mit Fokussierung auf die Risikoreduktion aufseiten der männlichen Kundschaft
von Sexarbeiterinnen (Heterosex)
Zusätzlich gibt es eine
Checkliste zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit
speziell für Freier:
http://freepdfhosting.com/dc3a6c94a9.pdf
-2-
Inhaltsverzeichnis
Vorwort I - Kondompflicht in Deutschland ….. 4
Vorwort II …… 8
Abkürzungsverzeichnis ….. 14
Wichtiger Hinweis zum Oralverkehr …… 15
Welchen STD-Risiken setzen sich Freier in Deutschland aus? …… 17
Genitale STDs bzw. STD-Risiken bei FSW …… 30
STD-Risiken im Mund-Rachen-Raum von FSW …… 34
Zwangsuntersuchungen von FSW? …… 36
Empfehlungen für Freier ….. 38
1
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
Allgemeine Aspekte ….. 38
Impfungen (Hepatitis B, Humane Papilloma Viren HPV) ….. 38
Rauchen ….. 49
Untersuchungen (Freier) …... 49
Sexuelles Selbstbestimmungsrecht …… 54
Freier oder FSW, die einen negativen HIV-Test vorlegen ….. 55 (► ANLAGE 6 ….. 163)
Auswahl risikoarmer Settings …… 56
2 Sexpraktikenbezogene Aspekte ….. 57
2.1 Gesundheitszustand der FSW ….. 57
2.2 Kundenhygiene (vor dem Sex) ….. 57
2.3 Richtige Kondomanwendung ….. 59
(► ANLAGE 1: ….. 102)
2.4 GV, AV (Vaginalverkehr, Analverkehr) ….. 63
2.5 Kondomversagen beim GV ….. 69
2.6 Besonderheiten beim AV ….. 72
2.7 Kondomversagen beim AV .…. 73
2.8 Postexpositionsprophylaxe (PEP) (HIV, Syphilis) ….. 73
2.9 Fellatio beim Mann: Risiko für den Mann …… 75
2.9.1 Mit Kondom (FM) …… 76
2.9.2 Ohne Kondom (FO) …… 77
2.10 Freier leckt ungeschützt bei FSW – Cunnilingus …… 82 (► ANLAGEN 2, 3 und 5)
2.11 Routinemäßige Penisantisepsis nach dem Sex …… 84 (► ANLAGE 4 ….. 127)
2.12 Sexspielzeug (Toys) …… 95
2.13 Fingern (bei FSW) …… 95
2.14 Anale Fingerspiele ….. 96
2.15 Zungenküsse (ZK) …… 96
2.16 Zungenanal (Rimming) …… 98
2.17 informell: Gesichtsbesamung …… 98
2.18 Body-to-body-Massage, Pussy Sliding („Schlittenfahrt”) …… 98
-3-
Quellenangaben, Internetlinks ….. 100 + 171
ANLAGEN:
1
2
3
4
5
6
7
8
Vermeidung von Kondomfehlern / Hinweise zum Umgang mit Kondomen ….. 101
Infektionsrisiken beim ungeschützten Lecken (Kunden lecken bei FSW) …… 103
STD-Wirksamkeit antiseptischer Mundspül- und Gurgellösungen ….. 110
Theorie und Praxis der Penisantisepsis ….. 127
Wirksamkeit der Antiseptika …… 134
Vorgehen bei der Penisantisepsis …... 137 und 146
Anlässe der Penisantisepsis …… 138
Große Penisantisepsis ….. 146
Erweiterte Penisantisepsis ….. 148
Kleine Penisantisepsis / HPV-Prophylaxe ….. 150
Zusammenfassende kritische Würdigung der Penisantisepsis 152
Hinweise zur Penisantisepsis unter Aspekten der Mikrobiomforschung ….. 154
HIV-Risiko (für Freier) bei ungeschütztem Oralverkehr ….. 157
Neue Testsystematik der HIV-Testung …… 163
Begriffsdefinitionen „HPV-Prophylaxe“ und „Carrageen-Verfahren“ …… 165
Mögliches Ablaufschema eines HPV-16-E6-Antikörper-basierten Screenings für
Personengruppen mit erhöhtem Risiko für ein HPV-bedingtes
Oropharynx-Karzinom ….. 169
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VORWORT I
Kondompflicht in Deutschland (Prostituiertenschutzgesetz, ab 1.7.2017)
Mit Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) besteht in Deutschland
Kondompflicht im Paysex. Diese erstreckt sich nicht nur auf Vaginalverkehr (GV) und
Analverkehr (AV), sondern auch auf Oralverkehr (OV), und betrifft alle Erscheinungsformen von
Paysex, die im ProstSchG sehr breit umfassend definiert sind (z.B. auch gelegentliche EscortTätigkeit).
Auch beim Blasen (Fellatio beim Mann) ist daher zwingend ein Kondom zu benutzen (FM).
„Einfaches“ Blasen ohne Kondom (FO) ist damit ebenso verboten wie Blasen mit Aufnahme (FA)
oder mit Schlucken (FT). Selbst kondomfreies Anblasen zum Erzielen einer Erektion, um leichter
das Kondom aufziehen zu können, ist damit in Deutschland untersagt.
Der Gesetzestext selbst spricht zwar von einer Kondompflicht „beim Geschlechtsverkehr“, in
der Begründung zum Gesetz wird aber präzisiert, dass auch „oraler und analer
Geschlechtsverkehr“ unter den Begriff „Geschlechtsverkehr“ fallen. Damit gibt es keinen
Ermessensspielraum für die Auslegung von „Geschlechtsverkehr“.
Bei Verstößen gegen die Kondompflicht werden die Kunden bzw. Kundinnen bestraft, nicht
der/die Prostituierte. Bestraft würde beispielsweise auch die Kundin eines Callboys (nicht der
Callboy selbst). Es kommt also nicht auf das Geschlecht an, sondern auf den Status als
Kunde/Kundin. Dabei unterliegen nicht nur die Kunden/Kundinnen, sondern auch die Anbieter
(also die Prostituierten) der Kondompflicht (z.B. indem sie Sorge tragen müssen, dass der Kunde
ein Kondom benutzt) – aber der Verstoß gegen die Kondompflicht ist nur für den Kunden/die
Kundin bußgeldbewehrt, nicht für die Anbieterseite.
Rechtlich gesehen handelt es sich bei einem „Kondomverstoß“ um eine Ordnungswidrigkeit, die
beim Kunden/der Kundin mit einem Bußgeld geahndet werden kann (wie man das z.B. als
Autofahrer bei Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung kennt). Das Bußgeld kann im Falle
eines Kondomverstoßes allerdings bis zu 50.000 Euro (in Worten: fünfzigtausend Euro)
betragen. Wichtig ist: der „Kondomverstoß“ stellt immer eine Ordnungswidrigkeit dar. Die
Bußgeld-Festsetzung beruht dagegen auf einer Kann-Regelung. Die zuständigen Behörden
haben also im Falle eines Kondomverstoßes einen weiten Ermessensspielraum, was das
Bußgeld für die Freier betrifft, von 0 bis 50.000 Euro.
Dies zeigt, für wie schwerwiegend und gefährlich der Gesetzgeber in Deutschland einen
Kondomverstoß hält. Er begründet den hohen Bußgeldrahmen mit den gesundheitlichen
Risiken, die einer/einem SW im Falle eines Kondomverstoßes drohen.
Aber auch die Prostituierten sind in der Kondomfrage nicht ganz sicher vor Bußgeldforderungen
geschützt. Sie können zwar nicht direkt aus einem Verstoß gegen die Kondompflicht nach § 32
(1) ProstSchG mit einem Bußgeld belegt werden, weil sich dieser Paragraf nur auf die
Kundenseite bezieht. Falls eine Behörde einer Prostituierten aber bereits konkret
(„vollziehbar“) gemäß § 11 (3) ProstSchG angeordnet hat, Kondome zu verwenden („…. zum
-5-
Schutz der Kundinnen und Kunden“), und sie sich dieser Anordnung widersetzt, kann sie mit
einem Bußgeld bis zu 1000 Euro belegt werden.
Der Unterschied zwischen den Bußgeldforderungen in Sachen Kondompflicht besteht also
darin, dass Freier unmittelbar (d.h. auch bei „Ersttäterschaft“) mit einem Bußgeld belegt
werden können, das bis zu 50.000 Euro betragen kann, während Prostituierte erst dann ein
Bußgeld riskieren, wenn sie sich der vollziehbaren Anordnung zur Kondomnutzung (nach § 11
Abs. 3) widersetzen, und das Bußgeld beträgt dann maximal 1000 Euro.
Femidome genügen der Kondompflicht nach dem ProstSchG nicht. Während sie mit dem
Gesetzestext in § 32 (1) selbst (der nur undifferenziert von „Kondomen“ spricht) im Sinne eines
„Kondoms für die Frau“ durchaus vereinbar wären, definiert die amtliche Begründung zu § 32
Abs. 1 ProstSchG das Kondom ausdrücklich über seine Anwendung „am Körper des Mannes“.
Es wird nicht begründet, weshalb das Femidom nicht als gleichwertige Alternative zum
„Kondom für den Mann“ akzeptiert wird. Der Schutzgedanke des ProstSchG (im Sinne des
Gesundheitsschutzes für FSW) dürfte bei einer im Umgang mit Femidomen erfahrenen Frau
auch mit dem Femidom erfüllt sein. Theoretische Überlegungen zu Infektionswegen sprechen
sogar dafür, dass bei korrekter und professioneller Anwendung von Femidomen die
Infektionsrisiken für beide Seiten noch geringer ausfallen als bei Männerkondomen, da
Schleimhaut- und Sekret-Kontakte durch Femidome effektiver vermieden werden als mit
Männerkondomen, bei denen es zum ungeschützten Kontakt zwischen basalen (nicht vom
Kondom geschützten) Penisabschnitten und weiblichen Genitalschleimhäuten, z.B. Schamlippen
und Scheideneingang, kommen kann. Diese Schleimhautkontakte gelten als mit verantwortlich
dafür, dass Kondome das Infektionsrisiko für HPV nur um 50 bis 70 % und für Herpes simplex
Typ 2 einer großen Metaanalyse zufolge sogar nur um 30 % absenken. Auch SyphilisTreponemen können so übertragen werden.
Es gibt daher keinen nachvollziehbaren Grund, das Femidom unter dem Gesichtspunkt des
Infektionsschutzes für FSW nicht als gleichwertige Alternative zum Männerkondom zu
bewerten, sofern die FSW in der Handhabung des Femidoms erfahren ist und dies auch aus
Eigeninitiative bzw. im Sinne ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts wünscht oder akzeptiert.
Man kann nur spekulieren, dass der Gesetzgeber das Femidom nicht als Kondom-Alternative
zuließ, weil er vielleicht befürchtete, dass dann in der Femidom-Anwendung unerfahrene
Frauen zum Femidom gedrängt werden könnten. Da die Femidom-Nutzung für Unerfahrene
aber recht fehleranfällig ist, könnte in so einem Fall tatsächlich das Infektionsrisiko für die FSW
steigen (wegen der Fehlerquote). Möglicherweise hatte der Gesetzgeber eine solche
Konstellation im Sinn, als er ausdrücklich die Anwendung des Kondoms „am Körper des
Mannes“ forderte.
Nichtsdestotrotz stellt die Nicht-Akzeptanz des Femidoms als „legale“ Kondom-Alternative eine
bedenkliche Einschränkung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts der FSW dar. Bei in der
Femidom-Anwendung erfahrenen FSW könnten Femidome nämlich eine wertvolle Alternative
im Umgang mit Kunden bieten, bei denen Kondome zu Erektionsschwierigkeiten führen (gerade
-6-
da ein kondomfreies „Anblasen“ – also FO – als erektionsfördernde Maßnahme nicht mehr
zulässig ist), und Femidome bieten unübersehbare Vorteile bei Dreiern (zwei FSW mit einem
Kunden), wenn der Kunde beim GV zwischen beiden Frauen hin- und herwechseln möchte,
ohne jedes Mal das Kondom wechseln zu müssen.
Die Formulierung der Kondompflicht im Prostituiertenschutzgesetz lässt immerhin die
Interpretation zu, dass ungeschütztes Lecken (Cunnilingus) von männlichen oder weiblichen
Kunden bei FSW von diesem Verbot nicht erfasst ist, denn Lecktücher oder ähnliche
Schutzvorrichtungen sind keine Kondome. (Auch wenn die relativ größeren Risiken beim
Cunnilingus eher aufseiten des Kunden liegen, ist ungeschütztes Lecken auch für FSW nicht
risikofrei, wobei aber eher Störungen des genitalen Mikrobioms wie bakterielle Vaginose,
Mischflora oder Pilzinfektionen (Candidiasis) im Vordergrund stehen. Vaginose und Mischflora
gehen dann allerdings mit erhöhter Anfälligkeit für STI-Keime einher).
In der Begründung zum Gesetz heißt es außerdem, dass auch weibliche Prostituierte und
Kundinnen (offenbar von männlichen Prostituierten; Anmerkung) dafür Sorge tragen müssen,
„dass beim Geschlechtsverkehr ein Kondom am Körper des männlichen Prostituierten oder
Kunden zum Einsatz kommt“. Es gibt dagegen keine Hinweise im Gesetzestext oder seiner
Begründung, die dafür sprechen, dass das Gesetz auch den Einsatz von Barrieremethoden beim
Cunnilingus vorschreibt.
Die „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ befassen sich
schwerpunktmäßig unter anderem eingehend mit den Infektionsrisiken beim ungeschützten
Oralverkehr, sowie mit Maßnahmen, um diese Risiken zu verkleinern. Unter den
Rahmenbedingungen des ProstSchG stellen sich diese Fragen in Deutschland aber gar nicht
mehr – jedenfalls was das Blasen beim Kunden in jedweder Erscheinungsform des Paysex
angeht, denn FO, FA und FT sind ab 1.7.2017 nicht mehr zulässig. Diese Leistungen dürfen FSW
nicht mehr erbringen, und Kunden dürfen sie nicht mehr einfordern oder annehmen. Mit einem
Bußgeld belegt werden aber nur die Kunden.
Damit stellt sich die Frage, wieso Sextechniken wie FO, FA und FT hier überhaupt noch über den
1.7.2017 hinaus besprochen werden, obwohl sie in Deutschland im Paysex ausnahmslos
verboten sind.
Selbstverständlich ist dem Prostituiertenschutzgesetz in Deutschland Folge zu leisten – ob das
den Beteiligten (SW, Kunden und Betreibern) nun passt oder nicht. Gesetz ist Gesetz,
Bundestag und Bundesrat und letztendlich auch der Bundespräsident haben so entschieden. Es
sind Fakten geschaffen, an denen innerhalb Deutschlands nichts mehr zu ändern ist.
Dennoch können Sextechniken wie FO, FA und FT in einer deutschsprachigen Abhandlung nicht
völlig ignoriert und als inexistent betrachtet werden:
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● Die „Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ sind auch in anderen
deutschsprachigen Ländern wie in Österreich und in der Schweiz zugänglich, wo die
Kondompflicht des deutschen ProstSchG nicht greift.
● Die Kondompflicht aus dem ProstSchG gilt nur in den Grenzen von Deutschland.
● FSW, die hauptsächlich in Deutschland arbeiten, vorübergehend aber auch im Ausland in der
Sexarbeit tätig werden (z.B. in der Schweiz oder in den Niederlanden), müssen davon ausgehen,
im Ausland mit Kundenwünschen nach ungeschütztem Blasen (FO) und ggf. sich daraus
ableitenden weiteren Leistungen (wie FA, FT) konfrontiert zu werden. Sie sollten sich daher auf
diese Wünsche sowie die damit verbundenen Risiken vorbereiten können. Falls sie im Ausland
auf diese Wünsche eingehen (was dort ja nicht verboten wäre), sollten sie Maßnahmen zur
Risikoreduktion kennen. Vor allem das zeitlich befristete (legale) Arbeiten in der Schweiz gilt
wegen des wesentlich höheren Honorarniveaus für manche FSW als attraktiv.
● Es ist nicht auszuschließen, dass sich nach Inkrafttreten des ProstSchG Angebot und
Nachfrage nach Sexarbeit vor allem aus den grenznahen Regionen Deutschlands verstärkt in die
Grenzregionen des Auslands verschieben, im Westen beispielsweise in grenznahe Gebiete der
Niederlande und nach Belgien, im Osten nach Polen und Tschechien und im Süden nach
Österreich und (sofern das hohe Preisniveau die Kunden nicht abschreckt) auch in die Schweiz.
Ähnlich, wie das Verbot der Nachfrage nach Prostitutionsleistungen (Freierbestrafung) in
Frankreich zu einem Paysexboom auf der deutschen Seite der Grenze geführt hat (z.B. im
Saarland und im Raum Trier), könnte das deutsche ProstSchG eine Verschiebung von Angebot
und Nachfrage in die Grenzregionen jener Nachbarländer auslösen, in denen Sexarbeit legal
und nicht so stark reglementiert ist wie in Deutschland (die also z.B. keine Zwangsregistrierung
und keine Kondompflicht beim Oralverkehr kennen).
Daher ist es auch für Freier in Deutschland wichtig, die Risiken von ungeschütztem Oralverkehr
(im Sinne von FO) sowie die darauf bezogenen risikoreduzierenden Maßnahmen zu kennen,
beispielsweise falls sie zukünftig vermehrt als „Sextouristen“ im Ausland Paysex-Leistungen in
Anspruch nehmen. Das Prostituiertenschutzgesetz könnte durchaus einem gewissen
Sextourismus aus (!) Deutschland Vorschub leisten, indem deutsche Freier im Ausland, auch in
Nachbarländern, Sexleistungen legal in Anspruch nehmen können, die in Deutschland seit
1.7.2017 untersagt und für die Kunden bußgeldbedroht sind (bis 50.000 Euro).
● Hinzu tritt der klassische, schon lange etablierte internationale Sextourismus (über den
„kleinen Grenzverkehr“ hinaus, den das ProstSchG auslösen könnte). In vielen bei Sextouristen
beliebten Ländern sind STDs bei FSW stärker verbreitet als in West- und Mitteleuropa, so dass
die Kunden dort wesentlich höhere Risiken eingehen und Kenntnisse im Infektionsschutz daher
von besonderer Bedeutung sind.
Dies alles sind Gründe, weshalb der ungeschützte Oralverkehr – auch im Sinne des
ungeschützten Blasens – weiterhin in einer deutschsprachigen Abhandlung besprochen werden
muss, auch wenn ungeschütztes Blasen innerhalb Deutschlands ab 1.7.2017 in jeglicher
Erscheinungs- und Ausführungsform des Paysex ausnahmslos verboten ist.
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Vorwort II
Die Vermeidung von sexuell übertragbaren Infektionen bei Inanspruchnahme von
Sexdienstleistungen ist nicht nur für die Sexarbeiterinnen (FSW) selbst, sondern auch für die
Kunden (Freier) aus mehreren Gründen von großer, unter Umständen sogar existenzieller
Bedeutung. Einerseits wollen sie nicht selbst erkranken, andererseits müssen sie auf jeden Fall
vermeiden, die private Partnerin anzustecken, die auf diese Weise die Paysex-Aktivitäten ihres
Partners erahnen könnte, oder – für den Mann wohl noch viel schlimmer – eine private Affäre
oder Geliebte unterstellen würde. Und außerdem möchte der Freier auch keine anderen FSW
anstecken.
Das STD-Risiko für den Freier hat somit vier Dimensionen:
● den Eigenschutz (vor eigener Erkrankung/Symptomen),
● den Schutz der privaten Partnerin (um der Partnerin selbst willen)
● sowie um keinen Verdacht auf außerhäusliche sexuelle Beziehungen oder Untreue zu
erregen
● und den Schutz anderer FSW.
Zu bedenken ist, dass bei vielen STDs auch eine Partnerinformation bzw. -behandlung
erforderlich ist, was einen Freier ebenfalls in erhebliche Erklärungsnöte bringen kann.
Außerdem können STD-Infektionen der Harnwege vor allem beim Mann sehr schmerzhaft und
unangenehm sein (Forenjargon: „Feuer pissen“), die Berufstätigkeit beeinträchtigen oder
schmerzhafte Untersuchungsprozeduren (z.B. Abstriche aus der ohnehin schon gereizten,
schmerzenden Harnröhre) erfordern. Chronische, ggf. unbemerkt verlaufende und daher
unbehandelte STD-Infektionen der Prostata erhöhen auch (je nach Erregertyp) in moderatem
Umfang das Risiko für Prostatakrebs – und das, obwohl sexuelle Aktivität im mittleren und
höheren Alter einigen wenigen Studien zufolge sogar eher als (prostata-)krebspräventiv gilt,
möglicherweise aufgrund einer „reinigenden“ Wirkung von Orgasmen auf die Prostata.
Infektionen der Prostata führen aber zu chronischen Entzündungen – und diese fördern Krebs.
Dies gilt nach neuesten Studien wohl auch für Hochrisiko-HPV-Typen, für die sich statistische
Zusammenhänge vor allem mit aggressiveren Prostatakrebsformen finden ließen.
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Motive der Freier
Es gibt ein breites Spektrum von Gründen, aus denen Männer Sexarbeit, also bezahlten Sex, in
Anspruch nehmen. In ihrer grundlegenden Studie aus dem Zeitraum um 1990
(Westdeutschland und Berlin) konnten KLEIBER und VELTEN drei unterschiedliche Anlässe (und
Freiertypen) herausarbeiten, wobei aber auch Übergänge (Mischtypen) vertreten sind:
● den hedonistisch orientierten Genießer und Erfolgsmenschen, der seine Erfolgssträhne im
Beruf- und Privatleben durch die Inanspruchnahme von Paysex ergänzt, fortsetzt und
bereichert;
● den schüchternen Familienvater, der sexuelle Wünsche hat, die er mit seiner Partnerin, der
„heiligen Mutter seiner Kinder“, sich nicht auszuleben bzw. anzusprechen traut, und
● den defizitär orientierten Freier, in seinem privaten (Sex?-)Leben (sofern er überhaupt eines
hat) sexuell frustriert oder unterversorgt, z.B. echter Single, depressiv, gescheiterte oder zwar
bestehende, aber schlechte/schwierige Beziehung usw., vielleicht auch mit sexuellem
Nachholbedarf oder Problemen mit der eigenen Altersidentifikation …
Frau Prof. DÖRING klassifizierte im Jahr 2014 die Freier motivbezogen in fünf Gruppen (DÖRING
N, Zeitschrift für Sexualforschung 2014; 27: 99 – 137), hier verkürzt wiedergegeben:
● sexuelles Motiv (Wunsch nach konkreten sexuellen Praktiken oder körperlichen Merkmalen
der Prostituierten)
● soziales Motiv I: Wunsch nach sozialer Nähe; der Freier sucht Verständnis, Bestätigung und
Wärme bei der Prostituierten
● soziales Motiv II: Dominanzwunsch: Wunsch, die Prostituierte zu „benutzen“, zu unterwerfen,
zu demütigen (Anmerkung: das muss nicht den gegen den Willen der Prostituierten geschehen,
sondern kann auch aktiv angeboten werden und einvernehmlich ablaufen, z.B. im SM-Bereich)
● psychisches Motiv: der Kontakt mit einer Prostituierten soll psychische Probleme wie z.B.
Depressionen, Ängste, innere Leere bekämpfen
● milieubezogenes Motiv: Rotlichtmilieu als faszinierende antibürgerliche Subkultur, an der der
Kunde partizipieren möchte
Analysiert man diese fünf Motive, so sind das zweite und vierte eindeutig defizitorientiert bzw.
defizit-kompensierend. Aber auch beim ersten und dritten Motiv spielen Defizite insofern eine
Rolle, als die Kunden offensichtlich nicht in der Lage sind, diese Wünsche, Sehnsüchte oder
Ansprüche im Privatbereich bzw. „kostenlos“ umzusetzen.
-10-
Dies zeigt die wichtige Kompensationsfunktion der Sexarbeit auf, und ihre Inanspruchnahme
kann das Ergebnis eines rationalen (keinesfalls pathologischen) Abwägungsprozesses sein, wie
DÖRING in einem bemerkenswerten Satz zusammenfasst:
„Unter bestimmten Bedingungen sind sexuelle Dienstleistungen im Vergleich zu den
Alternativen (z.B. langwierige und erfolgsunsichere – bei bestimmten Bevölkerungsgruppen
sogar praktisch aussichtlose – Suche nach privaten Sexkontakten; dauerhafter Verzicht auf
bestimmte sexuelle Wünsche in der bestehenden Partnerschaft) die beste Option“.
(Dieser bemerkenswerte Satz stammt von einer Frau und Wissenschaftlerin, Frau Prof. Dr. N. Döring,
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Illmenau !).
Auch Studien in anderen entwickelten Ländern lassen – neben Mischformen und speziellen
Situationen – zwei Grundanlässe für die Inanspruchnahme von Paysex erkennen: der
lustbetonte Ansatz (Vergnügen, Spaß, Erlebnis, Abenteuer) und der defizitorientierte oder
kompensatorische Ansatz, mit Mischformen und gleitenden Übergängen zwischen diesen
„Extremen“.
Für die letztgenannte Gruppe von Freiern hat die Sexarbeit eine wichtige Ersatz- und
Kompensationsfunktion und dürfte daher in manchen oder vielen Fällen zur psychosozialen und
psychosexuellen Gesundheit oder Wohlbefinden beitragen, und sei es nur durch Linderung von
negativ besetzten oder gar depressiven Empfindungen aufgrund der (objektiv oder subjektiv)
als sexuell defizitär empfundenen Situation im Leben außerhalb des Paysex.
Die Inanspruchnahme von Paysex kann die Ursachen dieser Defizite nicht heilen, aber die
Auswirkungen für den Betroffenen mindern und erträglicher machen. Dass Paysex selbst nicht
„heilen“ kann, macht die so erzielten Effekte nicht wertlos – auch in der Medizin zielen die
meisten und langfristig gesehen oft kostenträchtigsten Maßnahmen auf Linderung und
Kompensation, nicht auf Heilung von chronischen Zuständen (Krankheiten) ab.
Die FSW nimmt für diese Kunden dann auch die Funktion einer Männer- oder Sextherapeutin
ein und befriedigt Bedürfnisse, die über das rein Sexuelle bzw. eine pure
Orgasmusorientiertheit weit hinausgehen. Sie erfüllt Sehnsüchte, die im realen Leben draußen
nicht (mehr) realisierbar sind. Und Frau Prof. Döring, die die Situation der Sexarbeit in
Deutschland im Jahr 2014 – in der Vorbereitungsphase des Prostituiertenschutzgesetzes –
umfassend analysierte, schrieb sogar: „Sexarbeit ist zu einem nennenswerten Teil deswegen
auch als Emotionsarbeit zu kennzeichnen“.
Sexarbeit kann Männer (Väter) davon abhalten, außereheliche Affären oder andere
Alternativen zu suchen, die den Bestand der Partnerschaft oder Familie gefährden könnten. Bei
sexuell oder emotional frustrierten Männern/Vätern dient Inanspruchnahme von Sexarbeit
daher auch dem Ziel, Schaden von der Familie abzuwenden, der ansonsten eintreten würde,
wenn sie ihren Frust oder Defizite anderweitig kompensieren würden.
-11-
Auch die Wissenschaft hat anerkannt, dass Sexarbeit auch positive Auswirkungen hat. So weist
der Leipziger Sexualwissenschaftler Prof. Kurt Starke in einem Artikel für eine an Männer
gerichtete Internetseite www.pflege-deinen-schwanz.de u.a. darauf hin, dass die
Inanspruchnahme von Sexdienstleistungen
۰ dazu dienen kann, Zweierbeziehungen (besonders Ehe) erträglicher zu machen
(„Ausgleichsfunktion“), ohne die eigene Beziehung zu gefährden
۰ manchen Männern überhaupt erst ein Sexualleben ermöglicht (z.B. „vereinsamte,
behinderte, kontaktschwache, bindungsunfähige ... Männer“)
۰ für ältere Männer die unstillbare Sehnsucht nach Jugend erfülle
۰ Männern die Bestätigung von Männlichkeit, Attraktivität, sexueller Potenz verleihe
۰ Männern das Gefühl gebe, „als Mann angenommen“ zu sein
۰ sexuellen Minderheiten oft die einzige Möglichkeit biete, ihren Neigungen nachzugehen
۰ als zwischenmenschlicher Kontakt eine wichtige Ersatzfunktion z.B. durch
körperliche Nähe und Gespräche einnimmt, wobei dem Mann zumindest für eine
kurze Zeit Beachtung geschenkt wird
Es greift daher viel zu kurz, Sexarbeit – auch auf der Seite der Freier – nur unter dem Aspekt der
Gesundheitsgefährdung zu sehen; mit ihrer Inanspruchnahme können auch
gesundheitsfördernde Aspekte verbunden sein. Und wie bereits oben erwähnt, ist sexuelle
Aktivität für den Mann, auch für den alternden Mann, in mancherlei Hinsicht vom Prinzip her
als gesundheitsfördernd einzustufen*.
Wenn man berücksichtigt, wie viel Aufmerksamkeit Medizin und Gesellschaft der
gesundheitsbedingten Impotenz (z.B. durch Herz-Kreislauf- oder Prostata-Erkrankungen) und
ihrer Therapie schenken – bis hin zu speziellen „Männersprechstunden“ bei sog.
„Männerärzten“ –, bleibt unverständlich, wieso die (psycho)soziale Impotenz (die fehlende
Möglichkeit für einen aus medizinischer Sicht durchaus noch potenten Mann, sexuell
befriedigende sexuelle Begegnungen zu realisieren) nicht nur ein gesellschaftliches Tabu ist,
________________
* Der bisher vielfach behauptete Nutzen sexueller Aktivität (mit fester Partnerin) für ältere Männer in
Hinblick auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit wird neuerdings infrage gestellt. Möglicherweise liegt den
früheren günstigen Annahmen eine Umkehrung der Ursache-Wirkungs-Beziehung zugrunde, indem
gesunde/sich gesund fühlende Männer eher mit einer Partnerin sexuell aktiv sind als kränkliche Männer.
Eine US-amerikanische Beobachtungsstudie über ca. 5 Jahre zeigte nämlich, dass ältere Männer, die 1 x
oder öfter pro Woche Sex (mit ihrer festen Partnerin) haben, fast doppelt so häufig kardiovaskuläre
Ereignisse wie Herzversagen, Herzinfarkt, Schlaganfälle usw. erlitten als Männer, die sexuell inaktiv
waren. Ein- bis dreimal Sex im Monat erhöhte die Risiken dagegen nicht oder kaum und wirkte sich in
mancherlei Hinsicht (niedrigerer CRP-Wert, d.h. Entzündungsparameter, bei 1 x Sex im Monat) günstig
aus. Offenbar macht es für die älteren Männer also die „Dosis“ aus, ob Sex (mit ihrer festen Partnerin)
Herz-Kreislauf-Risiken unbeeinflusst lässt oder erhöht. Protektiv wirkt er jedenfalls nicht.
Die Studie mit zu Beginn 57 – 85 Jahre alten Männern präsentierte aber keine detaillierte Auflösung
nach Altersgruppen, so dass unklar blieb, ab welchem Alter häufiger Sex das kardiovaskuläre Risiko
erhöht. Ältere Frauen scheinen dagegen kardiovaskulär von erfüllendem Sex zu profitieren (geringeres
Risiko von Bluthochdruck). Zu beachten ist auch, dass es in der Studie nur um Sex innerhalb von
Partnerschaften ging (LIU H et al., J Health and Social Behaviour 2016; 57 (3): 276 – 296).
-12-
sondern einvernehmliche Sexarbeit (als ein geeigneter und relativ niedrigschwelliger Ansatz,
psychosoziale Impotenz zu überwinden) tabuisiert, diskriminiert und von manchen
Interessengruppen sogar massiv bekämpft wird – bis hin zur Einforderung des „Schwedischen
Modells“.
Allerdings: ein positives Bild von Sexarbeit setzt auch einen respektvollen und wertschätzenden
Umgang der Freier (und zwar aller Freier) mit den FSW sowie eine strikte Beachtung des
sexuellen Selbstbestimmungsrechts voraus. Jede Abweichung von diesen Grundprinzipien
liefert den Befürwortern des Schwedischen oder Französischen Modells neue Legitimation.
In vielen Fällen sind FSW auch Schauspielerinnen, die Illusionen verkaufen. Die Bewertung des
Illusionsfaktors spielt daher in Freierforen eine sehr wichtige Rolle bei der Beurteilung der
Qualität von Sexdienstleistungen. Viele Freier sind sich dessen sehr bewusst. Es sind unter
anderem auch diese Illusionen, die Freier suchen. In gewisser Hinsicht ist Sexarbeit, richtig
praktiziert und von beiden Seiten richtig verstanden, auch eine Form von Kunst, und FSW sind
in gewisser Hinsicht damit auch Künstlerinnen.
Die vorliegende Abhandlung beschränkt sich auf die Prävention, strenggenommen allerdings
nur Risikoreduktion, von STDs (sexuell übertragbaren Krankheiten) im Rahmen der Sexarbeit
vor allem aufseiten der Freier. Restrisiken bleiben; einen 100%-Schutz vor STDs gibt es bei der
Sexarbeit nicht und wird es auch nie geben, selbst bei konsequenter Anwendung von
Kondomen, die allerdings die wichtigste Maßnahme der Risikoreduktion darstellen.
Es kann in der Sexarbeit daher nur darum gehen, Risiken so klein wie möglich zu halten, und
Schäden zu begrenzen, zum Beispiel durch rechtzeitige Diagnose (Entdeckung) und Behandlung
von Infektionen.
Dass dies erfolgreich möglich ist, zeigen Erfahrungen aus Australien, wo man Sexarbeit schon
seit langem als legale Tätigkeit und Beruf betrachtet und respektiert und sich um die
Gesundheit der Sexarbeiterinnen auch in Sachen STD-Aufklärung sehr bemüht. Wie die
Australian Federation of AIDS Organizations (AFAO) schon 2003 feststellte, verfügen die
meisten Sexarbeiterinnen in Australien über eine bessere sexuelle Gesundheit als die
Allgemeinbevölkerung. Und auch eine neue Studie aus dem Jahr 2012 bestätigte dies („the
prevalence of four common STIs is now equal to or lower than rates for the general
population“). Safer Sex, fast ausnahmslose Kondomnutzung und freiwillig entwickelte hohe
Standards in Sachen sexueller Gesundheit bildeten die Grundlage dieser Erfolgsgeschichte.
Weltweit zeigten zahlreiche Studien, dass auch ihre privaten Partner einen erheblichen Einfluss
auf die STD-Häufigkeit bei FSW haben. Wenn FSW private Partner haben, sollten sie diese mit in
ihre Überlegungen zur Infektionsprävention einbeziehen. Und wenn man Statistiken zur STDHäufigkeit bei FSW betrachtet, sollte man berücksichtigen, dass nicht unbedingt alle
angetroffenen Infektionen unmittelbar beruflich erlangt worden sein müssen.
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Diese Abhandlung stellt nur eine kompakte Zusammenfassung der Empfehlungen zur
Risikoverringerung von STDs im Rahmen der Sexarbeit dar. Aus Platzgründen wird auf
detaillierte Begründungen für die einzelnen Empfehlungen verzichtet. Eine viel ausführlichere
und begründete Aufarbeitung des Themas (mit Hunderten von Literaturnachweisen) findet sich
unter folgender URL:
http://freepdfhosting.com/9d0efc57cc.pdf
Die vorliegende Arbeit stellt zugleich das „männliche“ Gegenstück zu den „Empfehlungen zur
Infektionsprävention bei der Sexarbeit - Kurzfassung für Sexarbeiterinnen“ dar, die unter der
URL
http://freepdfhosting.com/f2aa6824cb.pdf
abrufbar sind.
Für Freier gibt es außerdem eine Checkliste in Form eines Fragebogens, mit Hilfe derer man
sein Risikoverhalten einschätzen und eventuelle risikomindernde Maßnahmen überprüfen
kann:
http://freepdfhosting.com/dc3a6c94a9.pdf
Die Verfügbarmachung der „Kurzfassung für Sexarbeiterinnen“ machte die Entwicklung einer
Fassung für die Freier geradezu zwingend notwendig, denn es ist nicht hinnehmbar, die
Verantwortung für den Infektionsschutz allein den FSW aufzuerlegen. Ihren Kunden kommt in
dieser Frage ebenfalls eine tragende Rolle zu, und auch die Kunden müssen Verantwortung
übernehmen – für sich selbst, für die FSW als ihre (zeitweilige) Sexpartnerin, für andere FSW,
die sie womöglich später noch aufsuchen möchten, und – nicht zu vergessen – für ihre
private(n) Sexpartnerin(nen), ihre Familie.
Auf beiden Seiten – FSW und Kunde – lastet also jeweils eine hohe Verantwortung, der sich
beide Seiten stellen müssen. Effizienter Infektionsschutz, sichere Sexarbeit für beide Seiten,
kann nur funktionieren, wenn sich beide Seiten ihrer Verantwortung bewusst sind und diese
aktiv leben – stets das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Anderen vor Augen.
Dies setzt voraus, dass beide Seiten (und nicht nur die FSW) Kenntnisse in der
Infektionsprävention haben und in der Lage sind, diese auch praktisch umzusetzen. Daher ergab
es sich als ein absolutes MUSS, der „Kurzfassung für die Sexarbeiterinnen“ eine mehr oder
weniger spiegelbildlich gefasste „Kurzfassung für Freier“ gegenüberzustellen.
-14-
Die Abhandlung bezieht sich außerdem ausschließlich auf heterosexuelle Sexarbeit unter den
epidemiologischen Bedingungen, wie sie in Deutschland und nahem Ausland herrschen. SM
und andere über die Standardtechniken der Sexarbeit hinausgehende Sex- oder sexähnliche
Praktiken sind ebenfalls nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
Verwendete Abkürzungen:
AV = Analverkehr
FM = Fellatio mit = Französisch mit Kondom = Blasen mit Kondom
FO = Fellatio ohne = Französisch ohne Kondom = Blasen ohne Kondom
FA = Französisch mit Spermaaufnahme = Blasen mit Spermaaufnahme
FT = Französisch total = Blasen mit Spermaaufnahme und Spermaschlucken
(der Begriff „FT“ bzw. „Französisch total“ wird unterschiedlich interpretiert; er sei aber hier
so definiert, dass er das Schlucken ausdrücklich mit einschließt)
GV = vaginaler Geschlechtsverkehr
FSW = Sexarbeiterin (female sex worker), Einzahl und Plural
HPV = Humanes Papilloma Virus
MSM = Männer, die Sex mit Männern haben (homo- oder bisexuell)
OV = Oralverkehr (als Überbegriff)
SLPI = Sekretorischer Leukozyten-Protease-Hemmer
STD = sexually transmitted diseases = Geschlechtskrankheiten
STI = sexually transmitted infections = sexuell übertragbare Infektionen
-15-
Wichtiger Hinweis zum Oralverkehr (OV)
Auch wenn in dieser Abhandlung Empfehlungen zur Risikoreduktion beim ungeschützten
Oralverkehr gegeben werden, bedeutet dies nicht, dass ungeschützter OV unterstützt wird oder
als unproblematisch gilt. Es gilt uneingeschränkt die offizielle Empfehlung, OV im Rahmen von
Sexarbeit ausnahmslos geschützt zu betreiben. In Deutschland ist die Kondomnutzung beim
Blasen ab 1.7.2017 sogar Pflicht!
Sieht man einmal von Risiken ab, die mittelbar mit Sexarbeit verbunden sein können (wie
starkes Rauchen, ggf. Drogenkonsum, ggf. Gewalterfahrung aufseiten der FSW), so stellt aber
der ungeschützte GV (und noch mehr der ungeschützte AV) das mit Abstand größte
Gesundheitsrisiko für FSW und Kunden, nicht der ungeschützte OV.
Gleichzeitig nahm die Nachfrage nach ungeschütztem GV (oder sogar AV) seitens der Freier zu,
und manche FSW oder ganze Settings (Clubs, Partys) boten das vor Inkrafttreten des ProstSchG
in Deutschland offen an. Dies verlangte es, Prioritäten zu setzen und die korrekte und
regelmäßige Kondomnutzung beim GV/AV als wichtigstes Gesundheits- und Präventionsziel im
Rahmen von Sexarbeit zu vermitteln, dem sich alle weiteren Ziele notgedrungen unterzuordnen
haben.
Vor dem Hintergrund dieses „höchsten Zieles“ und der gelebten Realität ist es wenig hilfreich,
beim Oralverkehr Dogmen zu vertreten. Wenn es dem Ziel dient, FSW von dem diesbezüglichen
Druck bzw. Kunden von dem dringenden Wunsch nach ungeschütztem GV/AV zu entlasten,
kann die grundsätzliche Akzeptanz von ungeschütztem OV letztendlich im Sinne eines
Kompromisses hilfreich sein (besser ein „schlechter“ Kompromiss als gar keiner!), wenn der
ungeschützte OV in Kenntnis der Risiken und risikoreduzierenden Maßnahmen risikobewusst,
risikoorientiert und risikoreduziert erfolgt (diese Aussage gilt in Deutschland mit Inkrafttreten
des ProstSchG nicht mehr).
Wenn hier also Empfehlungen zur Risikoreduktion beim ungeschützten OV gegeben werden,
dann nicht um diesen zu verharmlosen, sondern sich an die Realität anzupassen und die
Sexarbeit dort abzuholen, wo sie steht – also auch jenen zu helfen, für die geschützter OV (statt
ungeschütztem OV) ohnehin (aus welchen Gründen auch immer) nicht infrage kommt (diese
Aussage gilt in Deutschland mit Inkrafttreten des ProstSchG nicht mehr).
Der Respekt vor FSW als Person schließt auch den Respekt vor dem sexuellen
Selbstbestimmungsrecht mit ein. Es mag durchaus sein, dass eine FSW bei Abwägung aller Vorund Nachteile für sich zu dem Ergebnis kommt, dass sie doch eine Sexpraktik anbieten möchte,
die nicht als risikofrei oder von vernachlässigbarem Risiko zu bewerten ist. Es ist wichtig, dass
diese Entscheidungen auf der Basis eingehender Informationen gefällt werden. Sinngemäß
dasselbe gilt für Freier, die sich ebenfalls entscheiden müssen, ob und unter welchen
Umständen sie bestimmte Praktiken wie z.B. ungeschützten Cunnilingus betreiben wollen.
Umfragen unter Freiern zeigten, dass es für viele Freier selbstverständlich ist, bei FSW zu lecken
(Cunnilingus), und fast ausnahmslos ohne Schutz (Lecktuch). Dies entspricht nicht den
verbreiteten Vorurteilen vom egoistischen Freier, der bei einem vermeintlich hochgradig
-16-
asymmetrischen Kontakt (den manche Gutmenschen als Machtausübung, Gewalt oder gar
Täter-Opfer-Beziehung betrachten, was sich auch in Gesetzen wie z.B. in Schweden
[„Schwedisches Modell“] und Frankreich manifestiert) nur schnellstmöglich seine eigene
Befriedigung sucht und die FSW dafür „rücksichtslos ausbeute“, wie gelegentlich von
sexarbeitsfeindlichen Kreisen behauptet wird – auch wenn die Wissenschaft das schon längst
widerlegt hat (siehe z.B. GERHEIM 2012).
Bei Bedarf oder weitergehenden Fragen kann daher auf die wesentlich detailliertere Fassung
der „Empfehlungen zur Infektionsprävention der Sexarbeit“ zurückgegriffen werden. Dort sind
auch Literaturnachweise (Referenzen) für weitergehende Recherchen angegeben, auf die hier
verzichtet wird.
-17-
Welchen STD-Risiken setzen sich Freier in Deutschland aus?
(Die nachfolgende Aufzählung ist nicht abschließend, es wird nur auf die wichtigsten STDRisiken eingegangen)
HIV
Sexarbeiterinnen gelten in Deutschland nicht als Risikogruppe für HIV, sofern nicht Risiken
bestehen, die außerhalb der unmittelbaren Sexarbeit liegen (z.B. Drogenspritzen,
drogensüchtiger privater Partner, Herkunft aus einem Heimatland mit starker heterosexueller
HIV-Durchseuchung usw.). In einer großen Studie des Robert-Koch-Instituts (2010/2011)
erwiesen sich 0,2 % der untersuchten FSW als HIV-positiv, in einer Studie aus NordrheinWestfalen (2012) 0,14 %, in den Niederlanden (2006-2013) 0,13 % (bei ca. 34000
Untersuchungen). Dabei ist nicht bekannt, ob und wie viele dieser Infektionen bei der Sexarbeit
erworben wurden, und wie viele auf andere Ursachen zurückgehen.
Die niederländische Studie berücksichtigte auch die Herkunft der Frauen; die HIV-PositivenQuote reichte von 0,05 % (osteuropäische FSW) und 0,07 % (niederländische FSW) bis zu 2,0 %
(FSW aus Subsahara-Afrika) und spricht dafür, dass ein Teil der diagnostizierten Infektionen
„eingeschleppt“ und nicht durch Sexarbeit in den Niederlanden erworben wurde.
Allerdings sind die Zahlen aus den Studien nicht ganz repräsentativ, weil in diesen Studien (die
auf freiwilligen Untersuchungen beruhen) Frauen mit erhöhten Risiken (wie z.B.
Drogenspritzen, Herkunft aus Mittel- und Südafrika usw.) teilweise unterrepräsentiert waren.
Die günstigen Daten aus Deutschland und den Niederlanden besagen aber keinesfalls, dass
Sexarbeit grundsätzlich frei von HIV-Risiken ist. Eine im Jahr 2013 veröffentlichte Studie der
Weltbank mit fast 100.000 FSW ergab, dass die HIV-Quote bei FSW in Ländern mit mittlerem
oder niedrigem Einkommen weltweit bei 11,8 % liegt – und damit beim 13,5-Fachen der
weiblichen Allgemeinbevölkerung (15 bis 49 Jahre) der in dieser Studie erfassten Länder. Auch
bei dieser Quote ist allerdings davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Teil der
Infektionen auf unsterile Drogenspritzen zurückgeht. Europäische Länder waren in dieser Studie
allerdings nur marginal vertreten (einige Länder Ost-/Südosteuropas).
In einer kleineren Studie aus den Niederlanden (Rotterdam, Amsterdam, Den Haag) lag das
Risiko eines Freiers, auf eine HIV-positive FSW zu treffen (ohne Transsexuelle), bei mindestens
3,8 % („mindestens“ deshalb, weil 10 FSW mit fraglich-positivem HIV-Test, der aus
Methodengründen/Anonymität auch nicht weiter abgeklärt werden konnte, als „HIV-negativ“
in die Auswertung eingingen). Auch hier waren wieder i.v.-Drogenkonsum und Herkunft aus
einem Land mit starker heterosexueller HIV-Verbreitung statistisch eng mit dem positiven HIVStatus verknüpft, und es blieb offen, ob sich auch nur eine einzige der nicht-transsexuellen HIVinfizierten FSW durch Sexarbeit in den Niederlanden angesteckt hatte. Die HIV-Quote war stark
von der Location abhängig: am höchsten auf dem Straßenstrich, am geringsten in Clubs. Auch
dies legt wieder einen Zusammenhang mit Drogenkonsum nahe. Die meisten FSW wussten
-18-
nichts von ihrer HIV-Infektion. Nimmt man alle Locations zusammen, lag die Wahrscheinlichkeit
eines Freiers, auf eine HIV-positive FSW zu treffen (ohne Transsexuelle), bei mindestens 1 : 26,
einschl. Transsexuelle bei mindestens 1 : 18 und maximal 1 : 13.
Für einen Kunden spielt es aber letztlich keine Rolle, wo sich die FSW ihre HIV-Infektion geholt
hat – ob bei der Sexarbeit (eher unwahrscheinlich) oder außerhalb. Er kann die HIV-Infektion ihr
nicht ansehen (allenfalls für kurze Zeit in der Phase des akuten Infektionssyndroms). Manche
Risikofaktoren (Herkunft aus einem Land mit hoher HIV-Verbreitung; i.v.-Drogenkonsum) kann
der Kunde im Einzelfall erahnen, andere nicht (z.B. Risiken durch private Partner).
Daher sollte sich bei der Sexarbeit jeder so verhalten, als könnte der Partner – auch unwissend
und nichtsahnend – mit einer STD infiziert sein, und entsprechende Schutzmaßnahmen
ergreifen. Um es aber noch einmal zu betonen: nicht Sexarbeit als solche stellt bislang in
Deutschland und Nachbarländern ein HIV-Risiko dar, sondern Begleitumstände, die im Einzelfall
mittelbar mit der Sexarbeit in Verbindung stehen können.
Es ist daher für die Freier ein Balanceakt erforderlich, FSW (außerhalb von Spezialsituationen,
die ein HIV-Risiko nahe legen) nicht als HIV-Risikogruppe zu sehen, so zu behandeln oder gar zu
diskriminieren,
gleichzeitig sich aber dennoch so zu verhalten, als könnte man selbst oder der Paysex-Partner
mit einer STD infiziert sein (das muss ja nicht unbedingt HIV sein).
Dies erfordert einen schwierigen Spagat des Denkens und Handelns, der aber erforderlich ist,
damit der bisherige Zustand in Deutschland und Umgebung, dass Sexarbeit nicht oder allenfalls
sehr marginal und dann eher mittelbar (indirekt) mit HIV assoziiert ist, aufrechterhalten werden
kann.
Dass HIV bei FSW in Deutschland bisher so selten ist, dürfte mehrere Gründe haben:
● Heterosexuelle Männer sind in Deutschland nur vergleichsweise selten von HIV betroffen,
und über 80 % aller HIV-Infektionen sind in Deutschland bereits diagnostiziert (und meist auch
unter Therapie)
● HIV-Testangebote sind niederschwellig bzw. kostenlos und anonym (z.B. beim
Gesundheitsamt), so dass sich Gefährdete unstigmatisiert testen lassen können und dann auch
rechtzeitig Therapien zugeführt werden – was das Infektionsrisiko für sexuelle Kontaktpersonen
stark senkt
● Ein erheblicher Anteil der FSW war sich schon immer des HIV-Risikos bewusst und verhielt
sich hygienebewusst, nutzte also zumindest beim GV und AV Kondome und vermied in
unterschiedlich großem Umfang auch andere nicht völlig risikofreie Praktiken wie z.B. FA/FT
-19-
● Sterile Spritzbestecke für Drogensüchtige sind in Deutschland problemlos bzw.
niederschwellig erhältlich, die HIV-Durchseuchung der nachwachsenden Generation von i.v.Drogensüchtigen hat im Vergleich zu den 80er und frühen 90er Jahren deutlich abgenommen
● FSW aus HIV-Risikogruppen gelten bei den freiwilligen HIV-Tests in Deutschland eher als
unterrepräsentiert
Wie die Studie der Weltbank zeigt, ist eine so niedrige HIV-Quote, wie sie bei FSW in
Deutschland und seinen Nachbarländern angetroffen wird, also keinesfalls selbstverständlich,
sondern weltweit gesehen eher die Ausnahme. Es ist daher weiterhin erforderlich, dass FSW
und Freier sich der Infektionsrisiken in Bezug auf HIV bewusst sind, und Safer Sex betreiben
bzw. von ihren Paysex-Partnern einfordern.
Im Jahr 2017 zeigte ein Vergleich der HIV-Quoten von FSW aus 27 Ländern Europas und
Westasiens, dass FSW in den Ländern, in denen Sexarbeit verboten ist und kriminalisiert wird,
ein mehrfach höheres HIV-Risiko haben als in Ländern, in denen Sexarbeit legal ist.
Näheres zu dieser Studie:
REEVES A et al., Lancet HIV 2017 http://dx.doi.org/10.1016/52352-3018(16)30217-X
Weiteres zu dieser Studie auch in: “Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit”, dort im
„Vorwort II“ oder aber „REEVES“ in die Wort-Suchfunktion eingeben.
Aufgrund der Internationalität des Paysex-Business müssen Kunden auch mit FSW rechnen, die
aus Ländern stammen, in denen „heterosexuelles“ HIV weiter verbreitet ist als in Deutschland,
in denen weniger auf HIV getestet wird bzw. die Testhürden höher sind, und in denen HIVInfizierte seltener oder weniger effektiv behandelt werden. Freier können nicht davon
ausgehen, dass sich alle FSW regelmäßig auf HIV testen lassen. Zwangstestungen sind in
Deutschland nicht zulässig, von extremen juristisch definierten Ausnahmesituationen
abgesehen. Und nach vorherrschender Auffassung rechtfertigt ein positiver HIV-Test jedenfalls
in Deutschland kein Berufsverbot für eine betroffene FSW.
HIV ist nach wie vor nicht heilbar, und es sieht auch nicht so aus, dass in absehbarer Zeit eine
echte Heilung möglich sein wird. Zwar wird mit effektiver antiviraler Therapie heute nahezu
eine normale Lebenserwartung erreicht, aber um den Preis lebenslanger
Medikamenteneinnahme, deren Nebenwirkungen und auch mancher möglicher
Begleiterkrankungen/-erscheinungen. Auch fehlen Langzeiterfahrungen über 30, 40 oder mehr
Jahre hochwirksamer antiviraler Therapie (HAART) – sie existiert ja erst seit Mitte der 90er
Jahre. Die Behandlung ist außerdem sehr teuer und ohne Krankenversicherung nicht
realisierbar.
-20-
Syphilis
Nach den Daten des Robert-Koch-Instituts (2010/2011; KAPB-Surv-STI-Studie) ist davon
auszugehen, dass etwa 1 % aller FSW eine infektiöse Syphilis aufweisen, also eine Syphilis in
einem Stadium, das (noch) mehr oder weniger ansteckend ist. Dies entspricht auch
umfangreichen Daten aus Nordrhein-Westfalen (2012). Diese recht hohen Quoten stehen aber
im Widerspruch zu den insgesamt nur 421 Syphilismeldungen bei Frauen in Deutschland im Jahr
2015, darunter nur wenige Anbieter/innen heterosexueller Sexarbeit (N = 27). Seronarben sind
in diesen Fallzahlen nicht berücksichtigt.
Aus den Niederlanden wurden dagegen nur 0,2 % infektiöse Syphilis (Stadium I bis Frühlatenz)
bei FSW berichtet (2006 – 2013, über 35000 Untersuchungen), aus England 0,12 % (2011; 2380
FSW).
Möglicherweise sind die Quoten um 1 % aus Deutschland im Rahmen der Studien mit FSW nach
oben verzerrt, weil sich FSW mit syphilisverdächtigen Symptomen eher veranlasst sahen,
freiwillig ein Gesundheitsamt aufzusuchen, und dadurch unter den Probandinnen
überrepräsentiert wären („anlassbezogene Untersuchungen“).
Andererseits wird bei den anonymen Meldungen nach dem Infektionsschutzgesetz offenbar das
Risiko „heterosexuell/Sexarbeit“ von FSW häufig verschwiegen oder nicht ans Robert-KochInstitut übermittelt. Nur 3,5 % aller heterosexuellen Infektionen in Deutschland entfielen laut
Meldedaten im Jahr 2015 auf die Anbieterseite heterosexueller Sexarbeit (also ganz
überwiegend FSW), im Jahr 2014 sogar nur 2,1 %, während immerhin 11 % der heterosexuellen
Infektionen 2014/2015 die Kundenseite der Sexarbeit (also Freier) betrafen. Für beide Seiten
geht man von einer erheblichen Untererfassung der Rolle der Sexarbeit im heterosexuellen
Übertragungsgeschehen aus.
In Anlehnung an die Daten aus den Niederlanden (0,2 %) und aus England (0,12 %) ist daher
anzunehmen, dass die „Wahrheit“, also die tatsächliche Quote syphilis-infektiöser FSW in
Deutschland, irgendwo zwischen diesen beiden Grenzwerten liegt:
● den sehr niedrigen Fallzahlen von anonymen Meldungen von infektiöser Syphilis bei
FSW nach dem Infektionsschutzgesetz, die auf eine Quote infektiöser Syphilis um lediglich
0,01 % schließen lassen, was völlig unrealistisch ist
(Untererfassung durch Verschweigen oder Nicht-Übermitteln des Risikos „Anbieter
heterosexueller Sexarbeit“)
● den relativ hohen Syphilis-Quoten im Rahmen von Studien unter Beteiligung der
Beratungsstellen der Gesundheitsämter (um 1 %), die aber nach oben verzerrt sein
könnten, wenn sich bevorzugt FSW mit Beschwerden, z.B. Geschwüren, anlassbezogen dort
vorstellen.
Im Vergleich zu den Niederlanden und England ist allerdings der sehr hohe Anteil von FSW aus
dem östlichen Mitteleuropa und Osteuropa in Deutschland zu bedenken – Gebiete, in denen
heterosexuell übertragene Syphilis traditionell eine größere Rolle spielt als in Deutschland und
-21-
direkt angrenzenden Ländern, so dass auch mit aus dem Heimatland eingeschleppten
Infektionen bei FSW zu rechnen ist.
Das plausibelste Szenario ist daher, dass die Quote der tatsächlich mehr oder weniger
infektiösen FSW irgendwo in der Spanne zwischen 0,2 % (nach der niederländischen Studie)
und 1,0 % (nach den RKI-Daten 2010/2011 sowie NRW-Daten 2012, die möglicherweise
überproportional anlass-/symptombezogene Untersuchungen enthalten und dadurch nach
oben verzerrt sind) liegt.
Dass Syphilis bei FSW nicht so selten sein kann, zeigen serologische Untersuchungen auf
Antikörper. Diese decken auch Seronarben (Antikörpertiter) nach ausgeheilter Syphilis auf.
Syphilis kann in manchen Fällen spontan ausheilen, in anderen Fällen kann eine unentdeckte
Syphilis durch eine aus anderen Gründen erforderliche Antibiotika-Gabe (bei FSW ja nicht
ungewöhnlich) zur Ausheilung gebracht werden. Untersucht man FSW, findet man bei den über
30-Jährigen in knapp 10 % der Fälle Antikörper gegen Syphilis, d.h. knapp 10 % waren schon
einmal in ihrem Leben mit Syphilis infiziert gewesen – und damit auch eine Zeitlang infektiös (es
bleibt keine lebenslange Immunität, d.h. auch diese Frauen können sich wieder infizieren). Dies
bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Infektionen im Rahmen der Sexarbeit erworben
wurden. In östlichen und südlichen Ländern ist die Syphilis auch in der heterosexuellen
Allgemeinbevölkerung stärker verbreitet als bei uns, so dass ein Teil der frischen (aktiven)
Infektionen, aber auch ein Teil der Seronarben bereits nach Deutschland mitgebracht worden
sein könnten, wofür es auch einige Hinweise gibt (Häufigkeit des Syphilis-Antikörpernachweises
bei FSW stark vom Herkunftsland abhängig). Die niederländischen Daten zeigen auch für die
Häufigkeit (noch) infektiöser Syphilisfälle eine starke Abhängigkeit vom Herkunftsland.
Da der Primäraffekt einer Syphilis schmerzlos ist und nur wenige Wochen besteht, kann er aber
auch leicht übersehen werden. Viele FSW mit Seronarben dürften ihre Infektion daher nie
bemerkt haben.
Nicht alle Primäraffekte sind lehrbuchhaft ausgebildet (schmerzloses oder schmerzarmes
Geschwür mit derbem Randwall); Verwechslungen mit Herpes-simplex-Läsionen sind möglich.
Dabei bestehen Unterschiede in der Inkubationszeit: für eine Erstinfektion mit Herpes simplex
(auch Herpes genitalis) beträgt diese 2 – 12 Tage (oft 4 – 7), für Syphilis meistens 14 – 24 Tage
(allerdings mit breiter Spanne zwischen 10 und 90 Tagen in Ausnahmefällen).
Syphilis betrifft in Deutschland ganz überwiegend (ca. 90 %) die schwule Szene. Wenn es aber
zu lokalen heterosexuellen Syphilis-Ausbrüchen kommt, ist Sexarbeit typischerweise mit
involviert – sei es als Auslöser, sei es indem sie dazu beiträgt, Infektionsketten mit
aufrechtzuerhalten. Zu beachten ist, dass Kondome keinen absoluten Schutz vor Syphilis bieten,
da eine Übertragung auch z.B. über die basale, nicht vom Kondom geschützte Penishaut oder
Eintrittspforten in der Leistenregion erfolgen kann, ebenso bei ungeschütztem Oralverkehr.
Studien in der Schwulenszene zeigten, dass gerade letzterer ein wichtiger Infektionsweg für
Syphilis ist.
-22-
Fazit
Obwohl Syphilis nach wie vor gut behandelbar ist und Resistenzprobleme gegen Antibiotika im
Gegensatz zu Gonokokken und (in geringerem Umfang) auch Chlamydien bisher keine Rolle
spielen, stellt sie für Freier doch ein nicht unerhebliches Problem dar:
● mindestens 11 % aller heterosexuellen Syphilisinfektionen in Deutschland gingen 2014/2015
auf Inanspruchnahme heterosexueller Sexarbeit (Kundenseite) zurück – bei wahrscheinlich
ausgeprägter Untererfassung, wenn sich betroffene Freier nicht als solche zu erkennen geben
● Syphilis ist in bestimmten Stadien (z.B. als Primäraffekt oder unmittelbar nach
Generalisierung) hoch infektiös und kann auch beim Safer Sex übertragen werden (z.B. über die
nicht vom Kondom geschützten basalen Penisabschnitte – einer der Gründe, weshalb in dieser
Abhandlung die „kleine“ oder „erweiterte Penisantisepsis“ nach GV mit Kondom empfohlen
wird), außerdem bei ungeschütztem Oralverkehr und sogar bei Küssen. Auch ein „vorsichtiger“
Freier oder eine „vorsichtige“ FSW sind daher nicht völlig sicher, sich keine Syphilis einfangen zu
können.
● Viele Syphilisinfektionen werden nicht frühzeitig bemerkt, weil sie entweder keinen
sichtbaren Primäraffekt entwickeln oder dieser nicht bemerkt (schmerzlos!) oder fehlgedeutet
wird (z.B. als „Herpes“).
● Wegen der hohen Infektiosität früher Syphilisstadien ergibt sich daraus dann ein hohes
Infektionsrisiko für die private Partnerin von Freiern, mit allen sich daraus ergebenden
Konsequenzen (das Pro-Akt-Übertragungsrisiko bei ungeschütztem GV wird für Syphilis auf
30 bis 60 % eingeschätzt, das ist mehr als das Hundertfache im Vergleich zu HIV).
● Selbst wenn die Partnerin nicht sichtbar erkrankt, muss sie informiert, untersucht und bei
Bedarf auch behandelt werden (Partnerbehandlung), womit das Sexverhalten des Freiers
gegenüber seiner Partnerin aufgedeckt würde
● Es besteht nach einer Behandlung manchmal Unklarheit, ob der Erreger vollständig beseitigt
wurde oder eine Restinfektiosität bzw. Reaktivierung besteht (auch Neuinfektionen sind
möglich). Notwendigkeit von regelmäßigen Kontrolluntersuchungen (Labor) nach einem
definierten Zeitschema und ggf. erneuten Antibiotikabehandlungen bei Unsicherheit über den
Infektionsstatus auch noch nach Jahren.
● Auch das Robert-Koch-Institut rückte im Jahr 2016 neben Männern, die Sex mit Männern
haben, die Freier heterosexueller Sexarbeit in den Fokus als eine Gruppe, der vermehrt
Beratungs- und Testangebote in Sachen Syphilis zur Verfügung gestellt werden sollten, wobei
sogar Schnelltests bzw. Heim-/Selbsttests (in Bezug auf Syphilis) als hilfreich bewertet wurden,
wobei diese aber nicht zwischen aktiver Infektion und ausgeheilter Infektion/Seronarbe
unterscheiden können und im Falle eines positiven Ergebnisses daher immer eine weitere (d.h.
ärztlich-labormedizinische) Diagnostik erforderlich wird.
-23-
Gonokokken (Tripper-Erreger)
In einer großen Studie des Robert-Koch-Instituts (2010/2011) fanden sich Gonokokken bei
3,2 % der FSW. Dies entspricht auch der Quote, die beispielsweise die Gesundheitsämter Köln,
Bremen und Lübeck für die dort betreuten FSW ermittelten (3,3 %, 2,8 % und 3,6 %). Aus den
Niederlanden wurden 2,6 % berichtet, mit steigender Tendenz (2,1 % in 2006 und 3,1 % in
2013).
Allerdings sinkt die Gonokokken-Quote der FSW durch regelmäßige Untersuchungen und ggf.
daraus resultierende Behandlungen deutlich ab. Die obigen Daten (sowohl aus Deutschland wie
aus den Niederlanden) enthalten aber vor allem FSW, die sich regelmäßig oder zumindest
gelegentlich untersuchen lassen, und könnten daher die Gonokokken-Belastung in der
Gesamtpopulation der FSW eher unterschätzen. Testet man nämlich FSW, die üblicherweise
kein Gesundheitsamt aufsuchen und sich bisher nicht mehr oder weniger regelmäßig
untersuchen ließen, vor Ort (d.h. im Club), so liegen die Quoten höher („Outreach-Studie“
Deutschland: 5,3 % in 2012/13 und 4,3 % in 2014).
Regelmäßige Untersuchungen tragen zur Senkung der Gonokokken-Belastung der FSW bei. FSW
sind um ein Mehrfaches häufiger von Gonokokken betroffen als gleich alte Frauen der
Allgemeinbevölkerung.
Und im Rachenraum von FSW finden sich Gonokokken mehr als doppelt so häufig als im
Genitalbereich (2- bis 2,5-faches Risiko), wobei dies sehr eng mit ungeschütztem Oralverkehr
korreliert ist. Daher sind Quoten zwischen 5 und 10 % plausibel, wenn FSW oral überwiegend
unsafe arbeiten. Die Racheninfektionen sind meist asymptomatisch, werden in der Regel nicht
bemerkt, heilen nach Wochen oder Monaten meist spontan wieder aus, und sind schwieriger
antibiotisch zu behandeln als genitale Infektionen. Der Rachenraum gilt als wichtiges Reservoir
für Gonokokken und auch für die Herausbildung von antibiotikaresistenten
Gonokokkenstämmen. Für die infizierten FSW selbst hat die Racheninfektion in der Regel
keinen Krankheitswert. Eine Übertragung durch Zungenküsse gilt als grundsätzlich möglich. Das
Risiko liegt aber vor allem aufseiten des Kunden, der sich beim FO (und wahrscheinlich in
erhöhtem Umfang beim Deep Throat) eine Gonokokkeninfektion am Harnröhrenausgang
einfangen kann, die innerhalb weniger Tage zu einer Harnröhrenentzündung führt. FO ist ein
wichtiger Übertragungsweg von Gonokokken auf den Mann.
Chlamydien
Chlamydien werden bei FSW häufiger angetroffen als Gonokokken; in der großen Studie des
Robert-Koch-Instituts (2010/11) lag die Quote bei etwa 7 %, wobei aber ebenfalls zu
berücksichtigen ist, dass darin auch FSW enthalten sind, die sich wiederholt und regelmäßig
untersuchen lassen. Aus Lübeck wurden 8,3 %, aus Köln 12,2 % (mit Migrationshintergrund)
bzw. 10,3 % (deutsche FSW), aus Nürnberg 12,7 %, aus Bremen aber nur 4,7 % berichtet. Die
deutschen Outreach-Studien (Selbstabnahme von Proben durch FSW am Arbeitsplatz)
-24-
berichteten 10,4 % und 10,2 % - bei Frauen, die sich überwiegend zuvor nicht regelmäßig
hatten untersuchen lassen. In den Niederlanden fanden sich Chlamydien zu 7,1 %, wobei sich in
den letzten Jahren ein leichter Rückgang abzeichnete (2006: 8,0 %; 2013: 6,5 %). Regelmäßige
Untersuchungen scheinen in Bezug auf die Häufigkeit von Chlamydien keinen so großen Effekt
zu haben wie hinsichtlich Gonokokken.
Allerdings sind Chlamydien auch bei jungen Frauen der Allgemeinbevölkerung nicht selten –
deshalb zahlen die gesetzlichen Krankenkassen auch bis zum Alter von 25 Jahren ein
Chlamydienscreening für alle dort versicherten Frauen. Im Gegensatz zu Gonokokken und (auf
viel niedrigerem Niveau) Syphilis stellt Sexarbeit für Chlamydien nur eine moderate
Risikoerhöhung dar (unterhalb des Risikos einer Verdoppelung im Vergleich zu gleich alten
Frauen ohne Sexarbeit).
Im Rachenraum von FSW siedeln Chlamydien seltener als genital; im niedrigen einstelligen
Prozentbereich ist aber mit einem Chlamydienbefall im Rachen von oral unsafe arbeitenden
FSW zu rechnen (in den Niederlanden 2,0 %). Nach Studien an schwulen Männern scheint die
Übertragung von Chlamydien in den Rachen bevorzugt durch Spermaaufnahme (FA, FT) zu
erfolgen, während dies bei Gonokokken weniger eine Rolle spielt und schon „einfaches“ FO
einen sehr effizienten Übertragungsweg für Gonokokken darstellt.
Die Chlamydien können dann beim FO aus dem Mund/Rachen der FSW auf den Penis
(Harnröhrenausgang) übertragen werden und dort zu einer Infektion führen, die allerdings nur
in etwa der Hälfte der Fälle zu Symptomen führt. Aber auch ohne Symptome sind die Männer
infektiös und können beispielsweise beim ungeschützten GV ihre private Partnerin anstecken –
gerade diese häufige Symptomfreiheit ist besonders tückisch an Chlamydien.
Mykoplasmen
Belastbare Zahlen zur Häufigkeit von Mykoplasmen und Ureaplasma bei FSW aus großen
Studien liegen aus Deutschland nicht vor, und in kleineren Studien weichen die Daten weit
voneinander ab, was damit zusammenhängen dürfte, dass diese kleinen, membranlosen
Bakterien schwer nachweisbar sind. Genau genommen ist ihr Nachweis sehr methodensensibel.
Es gibt mehrere Arten mit teilweise mehreren Genotypen, und im Falle von Ureaplasma gelten
nur manche Genotypen als krankmachend, während andere als Bestandteil der normalen
Urogenitalflora angesehen werden. Dementsprechend schwanken Häufigkeitsangaben zum
Vorkommen im Genitaltrakt von FSW extrem. In den wenigen Studien, wo mit gleicher
Methodik auch Frauen der Allgemeinbevölkerung beprobt wurden, waren die FSW aber stets
häufiger betroffen. Genitale Infektionen können aber auch wieder spontan ausheilen. Von
ihrem biologischen Verhalten her sowie pathogenetisch sind diese Keime am ehesten mit
Chlamydien vergleichbar; viele Infektionen sind asymptomatisch, aber sie können auch
verschiedene Entzündungen im Urogenitalbereich einschl. aller damit verbundenen
Komplikationen hervorrufen, ähnlich Chlamydien.
-25-
Auch wenn sie im Kontext von Sexarbeit vor allem die Harnröhre befallen, spielen sie auch beim
Oralverkehr eine Rolle. Sie können beim OV auf den Rachen übertragen werden, wo sie
symptomlos siedeln. Beim FO (vor allem Deep Throat) können sie dann auf die Harnröhre
übertragen werden und beim Mann eine schmerzhafte Harnröhrenentzündung (Urethritis)
auslösen, ohne dass Gonokokken oder Chlamydien nachweisbar sind. Sind bei einer mikrobiell
verursachten Urethritis weder Gonokokken noch Chlamydien zu finden, sind meistens, aber
nicht immer, Mykoplasmen die Ursache. Allerdings gibt es in solchen Fällen gelegentlich noch
andere Kandidaten wie Herpes simplex, Adenoviren, Pilze (Candida), Meningokokken,
Haemophilus influenzae und parainfluenzae.
Ungeschützter Oralsex mit FSW ist ein wichtiger Risikofaktor für Harnröhrenentzündungen, die
weder durch Gonokokken noch Chlamydien verursacht sind. Hinsichtlich Schweregrad
(Symptome: Ausfluss, Brennen) und der Inkubationszeit liegen solche Infektionen zwischen
jenen durch Gonokokken (sehr heftig, sehr schnell) und Chlamydien (längere Inkubationszeit,
weniger häufig schwere Symptome).
Zur Belastung des Rachenraumes von FSW mit Mykoplasmen liegen nur wenige Daten vor;
rechnet man alle Arten dieser Gruppe zusammen, ist von einer Häufigkeit auszugehen, die etwa
derjenigen von Chlamydien entspricht.
Trichomonaden (Geißeltierchen)
Die Studie des Robert-Koch-Instituts weist für FSW eine Quote von 3 %
Trichomonadennachweis aus, was etwa auch den Kölner Daten entspricht (mit
Migrationshintergrund: 2,5 %; deutsche FSW: 4,7 %). Bremen meldete dagegen nur eine Quote
von 1,5 %. Abweichend davon ergaben die Outreach-Studien aber Quoten von 12 % (2012/13)
und 10,9 % (2014). Bei Diagnostik durch Sofort-Mikroskopie können viele Infektionen
übersehen werden; viel empfindlicher ist der teurere Nukleinsäurenachweis.
Eine massive Risikoerhöhung gegenüber der sexuell aktiven Allgemeinbevölkerung scheint hier
jedenfalls bei den FSW, die sich regelmäßig untersuchen lassen, nicht zu bestehen, und für die
Freier selbst sind diese Infektionen von eher geringer Relevanz, weil sie bei ihnen meistens
symptomlos verlaufen. Selten kommt es zu Entzündungen der Harnröhre und einem weiteren
Aufstieg in den Harn- und Genitalwegen (z.B. mit Nebenhoden- oder Prostata-Entzündung).
Männer fungieren aber als Keimreservoir und Überträger, da die Infektionen bei ihnen
aufgrund der häufigen Symptomlosigkeit (70 bis 85 %) nicht entdeckt und behandelt werden.
Unbehandelt kann die Infektion mehrere Jahre persistieren. So können Männer unbemerkt
andere FSW oder ihre private Partnerin anstecken. Außerdem soll das Risiko für Prostatakrebs
steigen.
Beim Oralverkehr spielen die Trichomonaden keine relevante Rolle, weil Mundhöhle und
Rachen kein geeigneter Lebensraum für diese Einzeller sind.
-26-
Pilzinfektionen (Candida)
Pilzinfektionen des Penis betreffen in der Regel Vorhaut und Eichel; der Erreger ist derselbe wie
beim Scheidenpilz der Frau. Da Hefepilze bei vielen Personen auch im Mund siedeln (ohne dort
Symptome zu machen), ist eine Übertragung auch durch Oralverkehr möglich.
Allerdings sind solche Pilzinfektionen keine klassischen STDs, denn Pilze gehören in gewissem
Umfang zur normalen Flora der Genitalien und bei vielen Menschen auch im Mund-RachenRaum. Erst wenn das biologische Gleichgewicht der genitalen oder oralen Mikroflora
(Mikrobiom) gestört wird, nehmen sie überhand und führen dann zu Beschwerden und
Krankheitserscheinungen. Ursachen für solche Entgleisungen können beim Mann
Immunschwächen, Diabetes mellitus, Antibiotika- oder Kortison-Behandlungen, aber auch
Störungen der Hautflora des Penis und vieles andere sein; bei Frauen (die viel stärker zu
genitalen Pilzerkrankungen neigen als Männer) gibt es noch zahlreiche andere Ursachen vor
allem im Kontext von Intimhygiene und Auswahl/Umgang mit Wäsche. Beim Mann spielt auch
mangelnde Reinigungsmöglichkeit des Penis durch Vorhautverengung eine Rolle.
Und auch über Bett-, Bade- und Unterwäsche sowie Handtücher ist eine Übertragung möglich.
Daher ist der Wechsel der „Betttücher“ in Clubs und Massagestudios nach jedem Kunden so
wichtig.
Dies unterscheidet also die Pilzinfektionen (besser: Pilzerkrankungen) von anderen STDs: nicht
allein die Kontamination mit dem Erreger bzw. die sexuelle Übertragung des Erregers machen
krank, sondern es müssen andere Umstände hinzutreten, die das biologische Gleichgewicht der
lokalen Mikroflora zugunsten der Pilze verschieben – bei Frauen kann das häufiger Cunnilingus
sein.
HPV (Humanes Papilloma Virus)
Europaweit ist davon auszugehen, dass ca. 15 % der FSW aktuell mit HPV 16 und/oder 18
genital infiziert sind, d.h. eine aktive, virus-ausschüttende Infektion mit Infektionspotenzial für
Sexpartner vorliegt. Bei jungen FSW (unter 25 Jahren) dürfte das Risiko tendenziell höher, bei
älteren FSW eher niedriger sein.
Zum Befall des Rachenraums mit dem dort relevanten Typ HPV 16 liegen keine belastbaren
Daten aus Deutschland vor. Nach bisherigen Erkenntnissen liegt diese Quote bei FSW im
einstelligen Prozentbereich, tendenziell eher im niedrigen einstelligen Prozentbereich.
Allerdings gibt es keine Daten von FSW, von denen man weiß, dass sie OV immer oder
überwiegend ungeschützt betreiben, so dass nicht auszuschließen ist, dass bei diesen FSW die
Quote auch deutlich höher ausfallen könnte.
Andererseits kommt extrem exponierten Frauen auch eine gewisse Immunkompetenz zugute,
die sich im Laufe von (genitalen) Kontaminationen/Expositionen entwickelt und offenbar nicht
(nur) über die antikörpergebundene, sondern (auch) über die zelluläre Immunität vermittelt
-27-
wird und dazu beiträgt, dass die theoretisch zu erwartende exzessive orale HPV-16-Belastung
von oral unsafe arbeitenden FSW vermieden werden kann – was in Einklang mit den wenigen
Studiendaten steht, die bisher maximal 6 % HPV 16 im Mund-Rachen-Raum von FSW fanden
(Pecs/Ungarn). Das ist aber immerhin das Zwanzigfache der Frauen der Allgemeinbevölkerung
in den USA (0,3 %).
Männer entwickeln keine vergleichbar ausgeprägte natürliche Immunkompetenz nach
genitalen HPV-Kontakten, darum geht die HPV-Belastung der Männer mit steigendem Alter
auch nicht zurück. Unter den Männern gelten deshalb Freier auch in der wissenschaftlichen
Literatur als eine der wichtigsten Hochrisikogruppen für HPV-Infektionen (z.B. CASTELLAGUE
2008).
Auch gibt es Hinweise, dass das HPV-Übertragungsrisiko in Mund und Rachen beim Lecken
(Cunnilingus) ohnehin größer ist als bei Fellatio – möglicherweise wegen höherer Viruslast auf
weiblichen Genitalschleimhäuten. Hinzu tritt bei den Männern eine erhöhte Empfänglichkeit für
HPV mangels erworbener Immunkompetenz im Vergleich zu Frauen, die, wie oben erwähnt,
durch genitale HPV-Kontakte/-Kontaminationen eine moderate Widerstandsfähigkeit
gegenüber länger anhaltenden HPV-Infektionen im Mund-Rachen-Raum entwickeln, besonders
auch gegenüber dem besonders kritischen HPV 16.
Es muss daher davon ausgegangen werden, dass ungeimpfte Freier, die ungeschützt bei
(ungeimpften) FSW lecken, ein überdurchschnittliches Risiko haben, nach vielen Jahren oder
Jahrzehnten einen HPV-bedingten Krebs im Rachenraum (vor allem Mandeln oder
Zungengrund) zu entwickeln – verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung, für die das
Lebenszeitrisiko für einen solchen Krebs bei lediglich 0,3 % (Männer und Frauen zusammen
betrachtet) liegt, bezogen auf die Region des Mundrachen (Oropharynx).
Hepatitis B
Eine ältere Studie aus Deutschland (aus der Zeit, als die Hepatitis-B-Impfung noch nicht sehr
verbreitet war) zeigte, dass sich etwa 6 % aller FSW im Laufe eines Jahres mit Hepatitis B
anstecken. Nach neueren Daten ist davon auszugehen, dass etwa 1 bis 2,5 % der FSW an einer
akuten oder chronischen Hepatitis B leiden und damit zumindest potenziell infektiös sind. Auch
wenn in Deutschland inzwischen die meisten Kinder (und ggf. nachträglich auch Jugendliche)
gegen Hepatitis B geimpft werden, können Freier keinesfalls davon ausgehen, dass dies auch
für die Generation der FSW, besonders jene aus dem Ausland, zutrifft. In einer Studie des
Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2010/2011 waren gerade einmal 39 % der befragten FSW
vollständig und weitere 7 % unvollständig geimpft. Viele STD-Beratungsstellen bieten daher
Impfungen gegen Hepatitis B (gegen Kostenerstattung für den Impfstoff) an.
In den Niederländen, wo die Impfung für FSW wohl intensiver beworben wird, lag die Quote
infektiöser Hepatitis B bei 1,0 % (2006 – 2013), allerdings stark abhängig von der Herkunft der
FSW, wobei die Spanne von 0,13 % für einheimische FSW über 2,2 % bei osteuropäischen und
2,3 % bei asiatischen bis zu 5,4 % bei subsaharischen FSW reichte.
-28-
Herpes simplex Typ 1 (HSV-1)
HSV-1 ist hoch infektiös, wird leicht durch oral-orale Kontakte (schon Küsse auf die Lippen
reichen) übertragen, so dass die Allgemeinbevölkerung meist schon im Kleinkindalter,
spätestens in der Pubertät oder nach Aufnahme erster sexueller Kontakte infiziert ist. Die
überwiegende Mehrzahl der FSW wird bei Eintritt in die Sexarbeit also bereits infiziert sein, wie
die Mehrzahl ihrer Freier. Sexarbeit stellt damit kein spezielles HSV-1-Risiko dar, abgesehen
davon, dass diejenigen, die bisher noch nicht infiziert waren, jetzt ihre Infektion nachholen
werden, was ihnen aber im Privatleben hätte ebenso passieren können.
Herpes simplex Typ 2 (HSV-2)
HSV-2 wird überwiegend durch Genitalsekrete übertragen (auch wenn der genital-orale Weg
auch infrage kommt) und ist daher viel stärker vom Sexverhalten und der Partnerzahl abhängig,
und Kondome schützen nur bedingt.
HSV-2 ist daher eng mit der Sexualanamnese verknüpft – enger sogar als HPV, weil HSV-2 im
Gegensatz zu HPV nicht spontan ausheilen kann, sondern lebenslang persistiert. Bei HPV
kommt es dagegen ab etwa der Mitte des dritten Lebensjahrzehnts zu einem Zeitpunkt, ab dem
die Anzahl der ausheilenden Infektionen die Anzahl der Neuinfektionen bei den Frauen
übersteigt – und im Saldo geht die HPV-Belastung dann mit steigendem Alter zurück (gilt nicht
für Männer). Bei HSV-2 ist dieser Effekt wegen lebenslanger Persistenz des Virus nicht möglich,
und mit jedem neuen Sexkontakt steigt das HSV-2-Risiko weiter an (im Sinne einer
Sättigungscharakteristik). Frauen sind häufiger betroffen als Männer; etwa 14 % der
erwachsenen Bevölkerung in Deutschland weisen Antikörper gegen HSV-2 auf und sind damit
permanent infiziert und – bei Reaktivierung – zeitweise ansteckend, wobei diese
Reaktivierungen meist unbemerkt bleiben.
HSV-2 hat in der Sexarbeit Relevanz, weil es
● die häufigste Ursache für geschwürige Erkrankungen im Genitalbereich darstellt
● die meisten Infektionen aber unerkannt bleiben, weil sie nicht zu Geschwüren führen oder
diese nicht bemerkt werden
● Reaktivierungen mit Virusausschüttung (und damit Infektiosität) jederzeit möglich sind,
wobei diese häufig asymptomatisch verlaufen und daher nicht bemerkt werden
● die Übertragung auf das Kind im Rahmen der Schwangerschaft möglich ist (häufiger als bei
HSV-1), mit ggf. gravierenden Schäden, so dass diesem Aspekt in der Schwangerschaftsvorsorge
und Geburtsvorbereitung bei FSW oder Frauen mit Sexarbeit in der Vorgeschichte unbedingt
Beachtung zu schenken ist
-29-
● einen sehr wichtigen Schrittmacher für HIV-Infektionen darstellt. In Ländern mit hoher HSV-2Verbreitung in der Allgemeinbevölkerung geht man davon aus, dass bis zu 50 % aller HIVInfektionen durch HSV-2 vermittelt werden und in Abwesenheit von HSV-2 nicht stattgefunden
hätten, und es wird inzwischen intensiv an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen HSV-2
gearbeitet, weil dieser die Infektionszahlen an HIV in den davon stark betroffenen Ländern
stärker zurückführen könnte, als der einzige bisher mit nur sehr eingeschränktem Erfolg
getestete und nicht auf den Markt gebrachte Impfstoff direkt gegen HIV (RV 144: 31 %
Risikoreduktion in einem Zeitraum von 42 Monaten bei im Zeitverlauf abfallendem
Schutzeffekt).
● Kunden können sich anstecken, was für die Kunden selbst – abgesehen von einer möglichen
vorübergehenden Geschwürsbildung am Penis - weniger problematisch ist als für ihre privaten
Partnerinnen, auf die sie dann HSV-2 früher oder später übertragen werden, was zu den oben
genannten Symptomen bei der Partnerin führen kann. Auch an die Auswirkungen im Falle einer
späteren Schwangerschaft der Partnerin ist zu denken.
Da die HSV-2-Belastung mit der Sexualanamnese eng verbunden ist, ergibt es sich, dass FSW ein
hohes HSV-2-Risiko haben und das Risiko mit der Dauer der Sexarbeit und Anzahl der
Sexualkontakte im Lebenslauf ansteigt. FSW müssen davon ausgehen, dass mindestens 10 bis
12 % ihrer Freier HSV-2-infiziert und damit potenziell infektiös sind, ohne es zu wissen bzw.
ohne dass die FSW es „erkennen“ kann. Die genannten Prozentsätze entsprechen der
männlichen Durchschnittsbevölkerung in Deutschland – Freier dürften auch angesichts der
recht bescheidenen Schutzwirkung von Kondomen deutlich öfter betroffen sein.
Insofern ist es nicht überraschend, dass in manchen Regionen der Welt bis zu 95 % der FSW mit
HSV-2 infiziert sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine noch nicht mit HSV-2 infizierte FSW
im Verlauf eines Jahres ansteckt, liegt bei durchschnittlich etwa 10 bis 20 % (pro Jahr!); bei
jungen FSW und zu Beginn der Sexarbeit ist es höher, bei älteren FSW und nach mehr als 5
Jahren Sexarbeit deutlich niedriger.
Besonders problematisch ist, dass Kondome nur einen recht geringen Schutz vor HSV-2Infektionen bieten. Einer großen Metaanalyse zufolge senken sie das Risiko sowohl für die
Männer wie für die Frauen nur um etwa 30 %. Auch konsequent safer arbeitende FSW sind
somit hochgradig HSV-2-gefährdet. Ein Impfstoff gegen HSV-2 wäre daher für junge
FSW/Berufseinsteigerinnen sehr wünschenswert, wird aber so schnell nicht verfügbar sein.
Infizierten FSW oder Freiern, die immer wieder Reaktivierungen erleiden, bleibt daher nur die
Option einer Langzeittherapie als Dauer- oder Intervalltherapie mit antiviralen Medikamenten
wie Aciclovir, Valaciclovir oder Famciclovir. Wenn die auslösenden Faktoren für einen Ausbruch
von Herpes genitalis bekannt und ihr Eintreten absehbar ist, kann auch eine episodische
Prophylaxe (statt Dauertherapie) in den betreffenden Zeitphasen erwogen werden. Die
Unterbindung von Herpes-Reaktivierungen durch Dauertherapie oder situationsbezogene
prophylaktische Therapie dient auch dem Schutz noch nicht infizierter Sexpartner, gerade auch
angesichts des beschränkten Schutzeffekts von Kondomen.
-30-
Genitale STDs bzw. STD-Risiken bei FSW
Insgesamt ist in Deutschland und näherer Umgebung von folgender Abstufung auszugehen, was
die Häufigkeit (Prävalenz) von STDs im Genitalbereich (bzw. über den Genitalbereich
übertragbarer STDs) bei FSW betrifft:
HSV 1/HSV 2 > HPV (alle Typen) > krebserregendes HPV (Hochrisiko-HPV) > Chlamydien >
Gonokokken > infektiöse Hepatitis B > infektiöse Syphilis > HIV
Hepatitis C wurde hier nicht eingeordnet, weil die Übertragung bei „normaler“ Sexarbeit keine
relevante Rolle spielt (von „Unfällen“ mit Blutkontakt abgesehen) und HCV-Infektionen bei FSW
eher mit Drogenspritzen, aber auch anderen Umständen (gemeinsame Nutzung von scharfen
Instrumenten wie Rasierern oder Nagelclips mit infizierten Kolleginnen, unter unhygienischen
Bedingungen durchgeführte Piercings, Tatoos usw.) in Verbindung zu bringen sind.
Trichomonaden wurden hier nicht eingeordnet, weil die Datenlage weniger klar ist und sie für
die Kunden von geringer Relevanz sind (allenfalls als Überträger). Von der Häufigkeit her wären
sie in der Nähe der Gonokokken oder knapp darüber anzusiedeln.
Mykoplasmen (einschl. Ureaplasma) wurden ebenfalls nicht eingeordnet, weil die Datenlage
sehr divers ist, was auch mit dem schwierigen Nachweis bzw. unterschiedlichen
Nachweismethoden zusammenhängt; ob alle Arten untersucht wurden oder nur nach
bestimmten Arten dieser Bakteriengruppe gefahndet wurde, und weil die krankheitserregende
Wirkung teilweise noch unklar ist. So wird angenommen, dass nur manche Genotypen von
Ureaplasma urealyticum krankmachend sind, während andere als Bestandteil der normalen
Mikroflora im Urogenitalbereich angesehen werden können. Mycoplasma gilt als kritischer,
wobei aber auch Unterschiede in der „Gefährlichkeit“ bei den einzelnen Arten bestehen.
Die Einordnung des Hepatitis-B-Risikos hängt stark vom Herkunftsland und der
Durchimpfungsquote ab. Auch bei infektiöser Syphilis kann das Herkunftsland eine Rolle
spielen, da in manchen Ländern Osteuropas Syphilis in der heterosexuellen Bevölkerung weiter
verbreitet ist als bei uns. Ähnliches wird auch für Chlamydien angenommen. Bei HIV ist
ebenfalls an Risiken außerhalb der Sexarbeit sowie einen Einfluss des Herkunftslandes zu
denken.
Wie viele internationale Studien zeigen, haben außerdem private Partnerschaften einen
erheblichen Einfluss auf den Infektionsstatus von FSW. Wie an anderer Stelle beschrieben,
unterliegen FSW aufgrund verschiedener Einflussfaktoren einer erhöhten genitalen Anfälligkeit
für STDs (Mikrotraumen – auch durch Toys oder Fingern –, Reizung der Genitalschleimhäute
durch bestimmte Gleitmittel, Kondombeschichtungen, Speichel/häufiger Cunnilingus,
Störungen der vaginalen Mikroflora wie bakterielle Vaginose, Mischflora usw.), was sie auch
-31-
einer erhöhten Empfänglichkeit bei ungeschütztem Sex in privaten Partnerschaften aussetzt,
ganz abgesehen davon, dass manche privaten Partner von FSW ebenfalls Verhaltensweisen
zeigen könnten, die mit einem erhöhten STD-Risiko einhergehen.
Wenn also erhöhte STD-Prävalenzen bei FSW zu finden sind, so sind diese nicht zwangsläufig
und vollständig unmittelbar auf Kundenkontakte zurückzuführen, sondern können auch je nach
Erreger, Umständen, Herkunfts- und geographischer Untersuchungsregion (weltweit gesehen)
von privaten Partnern beeinflusst sein, wobei das Risiko durch private Partner dann nur
mittelbar durch Sexarbeit moduliert würde, da Sexarbeit die Anfälligkeit für STDs erhöht –
jedenfalls im jungen Alter und zu Beginn der Sexarbeit. Dieses Exzess-Risiko kann – je nach
Erreger – dann im weiteren Zeitverlauf und mit zunehmender Berufserfahrung durch
Mechanismen der lokalen oder systemischen Immunantwort wieder abnehmen.
Ein mögliches Problem stellen auch asymptomatisch infizierte private Partner, bei denen sich
die FSW dann immer wieder neu infizieren (z.B. anlässlich eines Heimaturlaubes), nachdem die
Infektion der FSW durch Antibiose erfolgreich behandelt worden war (Ping-Pong-Effekt). So
mag sich erklären, wenn FSW trotz Behandlung immer wieder mit denselben STI-Infektionen
diagnostiziert werden.
Die oben dargelegte Reihenfolge der Infektionsquoten bezieht sich auf FSW im Allgemeinen
und erlaubt keine Differenzierung zwischen FSW, die GV (AV) konsequent und ausnahmslos –
auch privat – mit Kondom betreiben, und solchen, die dazu nicht immer ein Kondom nutzen.
Die Datenlage reicht nicht aus, um zwischen beiden Gruppen konsequent unterscheiden zu
können und Unterschiede in der Reihenfolge der Prävalenzen herauszuarbeiten, zumal
Aussagen zur Kondomanwendung nicht immer verlässlich sind, wie Studien im Ausland zeigten,
wo man die Angaben zur Kondomanwendung der FSW (in den letzten zwei Tagen vor der
Befragung) mit dem PSA-Nachweis in Genitalsekreten (als sicheren Beweis für ungeschützten
GV) verglich.
Um allerdings das STD-Risiko zu ermitteln, das konkret der Sexarbeit zuzuordnen ist, sind
Vergleiche mit dem Infektionsstatus der weiblichen Allgemeinbevölkerung erforderlich. Da
dieser aber stark altersabhängig ist und aus einer Vielzahl von Gründen zu Beginn der sexuellen
Aktivität bzw. im jungen Erwachsenenalter am höchsten ausfällt (häufigere Partnerwechsel,
immunologische Unreife des Genitaltrakts, daher erhöhte Infektanfälligkeit, d.h. Unreife des
lokalen Immunsystems; fehlende systemische Immunantwort bei Erstexposition; Häufigkeit und
Ausdehnung zervikaler Ektopien als besonders infektionsanfällige Regionen), darf man den
Infektionsstatus von FSW eigentlich nur mit ihren Altersgenossinnen vergleichen. Übersieht
man dies, ergibt sich schon zwangsläufig aufgrund der (jungen) Altersstruktur der FSW, wie
man sie heutzutage in Deutschland und Nachbarländern antrifft, eine Überschätzung des
beruflich mittelbar und unmittelbar bedingten STD-Risikos von FSW im Vergleich zu Frauen der
Allgemeinbevölkerung.
-32-
Nach Abgleich mit der Altersstruktur ergeben sich für FSW:
● ausgeprägt erhöhte Risiken (mehrfach erhöhtes Risiko)
--- für HSV-2, für das der Anteil der Infizierten mit der Dauer der Sexarbeit und Anzahl der
Sexkontakte ansteigt, da die Infektion lebenslang persistiert, und Kondome nur bedingt
schützen (Risikoreduktion durch Kondome nur ca. 30 %). Jährliches Infektionsrisiko für eine
noch nicht infizierte FSW: ca. 10 bis 20 %. Das 1-Jahres-Infektionsrisiko einer FSW entspricht
damit etwa dem Lebenszeit-Infektionsrisiko einer Frau der Durchschnittsbevölkerung.
--- für HPV (insgesamt) sowie krebserregendes HPV, wobei der Anteil der Infizierten (mit
nachweisbarer Virus-DNS, d.h. aktiv infiziert, virusausschüttend und damit auch infektiös) aber
mit steigendem Alter schon im Verlauf des 3. Lebensjahrzehnts abnimmt, weil die meisten
Infektionen entweder völlig ausheilen oder latent werden (und dann keine Viren mehr
ausschütten, ggf. aber reaktivierbar sein könnten). FSW haben daher ein drei- bis vierfach
erhöhtes Risiko für höhergradige Cervixdysplasien – also Krebsvorstufen, die sich allerdings in
unterschiedlich großem Umfang auch wieder spontan zurückbilden können
--- für Gonokokken – die in der heterosexuellen Allgemeinbevölkerung selten sind (genital, aber
vor allem auch im Rachen)
--- für aktive/frühe (infektiöse) Syphilis, allerdings auf sehr niedrigem absoluten Niveau.
Antikörperuntersuchungen bei Frauen, die schon länger in der Sexarbeit aktiv sind, deuten aber
darauf, dass viele Fälle aktiver (frischer) Syphilis nicht erkannt wurden. Ungeschützter
Oralverkehr muss als ein wesentliches Infektionsrisiko für FSW angesehen werden. Die starke
Abhängigkeit der Seroprävalenz (Seronarben) vom Heimatland deutet allerdings darauf, dass
ein Teil dieser Infektionen außerhalb der Sexarbeit in Deutschland, z.B. bei privatem Sex im
Heimatland, erworben sein könnte.
--- ggf. Hepatitis B, stark abhängig von Herkunftsland und Durchimpfungsrate
--- ggf. HIV auf sehr niedrigem Niveau, abhängig vom Herkunftsland und Risikofaktoren
außerhalb der Sexarbeit
● moderat erhöhte Risiken
--- für Chlamydien, die bei jungen Frauen ohnehin recht weit verbreitet sind, so dass Sexarbeit
nur mit einer leichten Risikoerhöhung (meistens weniger als doppeltes Risiko im Vergleich zu
gleich alten Frauen) verbunden ist, auch abhängig von vorausgehenden Untersuchungen
(Chlamydien-Screening), aber auch Herkunftsland (häufiger in Osteuropa)
-33-
Auch für Trichomonaden und besonders für Mykoplasmen/Ureaplasma ist von einem erhöhten
Risiko für FSW im Vergleich zu gleich alten Geschlechtsgenossinnen auszugehen, dessen
Ausmaß sich aber nicht näher einordnen lässt, weil die Datenlage für FSW und altersgematchte
Kontrollgruppen unzulänglich ist, bzw. die positive Nachweisquote auch stark
methodenabhängig oder von der Teilnahme an regelmäßigen Untersuchungen beeinflusst wird.
--- für mikrobielle Entgleisungen (bakterielle Vaginose, Mischflora, Candidiasis). Die Datenlage
zu FSW aus Deutschland und Nachbarländern im Vergleich zu Frauen der Allgemeinbevölkerung
ist höchst unzureichend und uneinheitlich; jüngere Studien zeigen eher eine deutliche
Risikoerhöhung für mikrobielle Störungen bei FSW als ältere Studien. In der weiblichen
Allgemeinbevölkerung schätzt man die Häufigkeit der bakteriellen Vaginose (gemäß AmselKriterien oder Nugent-Score) auf 5 %, bei Schwangeren häufiger.
Es kann aber nur als eine Hypothese formuliert werden, dass mikrobielle Entgleisungen bei FSW
in jüngerer Zeit zunahmen. Möglicherweise spielen veränderte Hygienepraktiken („falsche“
oder übermäßige Intimhygiene) und vor allem Verhaltensweisen (wie häufigerer Cunnilingus
z.B. im Rahmen von „Girl Friend Sex“, der früher eher unüblich war; Lesbenspiele mit
gemeinsamem Dildogebrauch usw.) eine Rolle. So gibt es starke Hinweise darauf, dass
bakterielle Vaginosen durch verschiedene lesbische Praktiken wie eine Infektionskrankheit
„übertragen“ werden können, wenn es zu einem direkten oder indirekten Kontakt (z.B. über
kontaminierte Dildos oder Finger) mit dem „fremden“ genitalen Mikrobiom einer von Vaginose
befallenen Frau kommt (was oft nicht erkannt wird, da etwa die Hälfte der bakteriellen
Vaginosen symptomlos bleibt).
Cunnilingus ist ein Risikofaktor für bakterielle Vaginosen, Mischfloren und Candidiasis nicht
unbedingt für alle Frauen, aber jene Frauen, die ohnehin zu Entgleisungen des genitalen
Mikrobioms neigen. Die Empfänglichkeit für solche Störungen des Mikrobioms ist offenbar sehr
unterschiedlich, d.h. die Stabilität bzw. Störanfälligkeit des (normalen, gesunden) Mikrobioms
unterscheidet sich von Frau zu Frau.
Für Freier bedeutet dies, dass es gute Gründe geben kann, wenn sich eine FSW nicht „lecken“
lässt, und dass dies keinesfalls bedeutet, dass die FSW befürchtet, dass der Freier „nicht
gesund“ sei. Das Problem liegt nicht beim Freier, sondern bei der FSW selbst begründet.
● minimal erhöhte Risiken
--- für HSV 1, weil die Bevölkerung spätestens nach Aufnahme sexueller Aktivität in so einem
hohen Ausmaß bereits durchseucht ist, dass zum Zeitpunkt des Eintritts in die Sexarbeit mit
hoher Wahrscheinlichkeit schon eine Infektion vorliegt (die lebenslang persistiert und
reaktivierbar ist), oder ansonsten auch durch nicht-berufliche Kontakte früher oder später
nachgeholt worden wäre.
-34-
STD-Risiko im Mund-Rachen-Raum von FSW
Für Kunden, die FO betreiben lassen, in weitaus geringerem Umfang auch für jene, die gern
Zungenküsse praktizieren, ist auch das Risiko von Interesse, in welchem Umfang eine FO
betreibende FSW im Mund-Rachen-Raum mit STD-Keimen infiziert sein könnte, zumal vor allem
der Rachenraum als Keimreservoir eine wichtige Rolle spielt (was es wahrscheinlich macht, dass
Deep Throat mit erhöhtem Infektionsrisiko für eine Übertragung von Rachenkeimen auf den
Penis/Harnröhrenausgang verbunden ist).
Hier ist folgende Risikoabstufung anzunehmen:
HSV 1 + 2 (zusammen betrachtet) > HPV (alle Typen zusammen) > HPV 16 > Gonokokken >
Chlamydien / Mykoplasmen > infektiöse Syphilis / Hepatitis B > HIV
Bei den krebserregenden HPV-Typen wird hier nur auf den Typ HPV 16 fokussiert, weil dieser im
Mund-Rachen-Raum der gefährlichste ist und auch eine besondere Affinität zum Rachen hat.
Aber auch genitalwarzenauslösende HPV-Typen (6, 11) können im Mund-Rachen-Raum
vorkommen, und gelegentlich finden sich auch dort „Genitalwarzen“.
Die HPV-16-Belastung von FSW im Rachenraum ist bisher ungenügend untersucht und dürfte
entscheidend von der Häufigkeit von FO sowie Cunnilingus bei Kolleginnen geprägt sein. Bei
häufigem ungeschützten OV dürfte sie höher sein als Gonokokken, oder im Bereich der
Gonokokken-Belastung liegen.
Gonokokken finden sich im Rachen von FSW etwa 2- bis 3-mal so häufig wie im Genitalbereich,
Chlamydien dagegen seltener als im Genitalbereich. Die Belastung mit Gonokokken im Rachen
von FSW könnte dennoch erheblich unterschätzt sein, weil die Anzucht in Kultur bei
Rachengonorrhoe wenig empfindlich ist (Sensitivität < 50 %) und daher viele Infektionen
übersehen werden. Methode der Wahl ist der teurere Nukleinsäurenachweis (NAAT,
Nukleinsäurenamplifikation).
Für Mykoplasmen ist die Datenlage bei FSW sehr unzureichend, insgesamt scheinen sie aber im
Mund-Rachenraum viel seltener aufzutreten als genital. Es kommt dann auch darauf an, nach
welchen konkreten Arten dieser Bakteriengruppe man sucht. Nimmt man alle Arten zusammen,
dürfte die Häufigkeit im Rachenraum ungefähr derjenigen von Chlamydien entsprechen.
Ein Syphilis-Ansteckungsrisiko über den Mund-Rachen-Raum als Infektionsquelle (FO,
Cunnilingus, Zungenküsse) dürfte angesichts der Seltenheit infektiöser Syphilis bei FSW in
Deutschland (unter 1 %) sehr selten sein. Da Syphilis aber häufig auch durch Oralverkehr
akquiriert wird, sind hoch infektiöse Primäraffekte durchaus im Mund denkbar (selbst
Zungenküsse sind dann riskant), und nach Generalisierung der Infektion einige Wochen später
-35-
kommt selbst nach genitaler Infektion (als Ort des Erregereintritts) der Mund-Rachen-Raum als
Infektionsquelle für Sexpartner infrage.
Die Infektiosität von Hepatitis B über den Speichel hängt dagegen von der Viruslast im Speichel
(und daher mittelbar auch der Viruslast im Blut) ab, die Häufigkeit von infektiöser Hepatitis B
bei FSW insgesamt gesehen von Herkunftsland und Durchimpfungsrate. Daher erfolgt keine
Festlegung der Häufigkeitsreihenfolge im Vergleich zu aktiver Syphilis, was die oralen Risiken
anbelangt.
HIV steht an letzter Stelle, erstens wegen der extremen Seltenheit von HIV bei FSW in
Deutschland, West- und Mitteleuropa, zweitens weil effektive antivirale Therapie die
Virusausschüttung in den Mund-Rachen-Raum in den allermeisten Fällen (aber nicht in jedem
Fall) hoch effektiv unterdrückt, und drittens, weil selbst im Falle einer Virusausschüttung in den
Speichel das HIV von Eigenschaften und Bestandteilen des Speichels meistens sofort inaktiviert
wird, also seine Infektiosität verliert, und nur bei einem kleinen Teil der HIV-Infizierten, selbst in
Abwesenheit von Therapie, infektionsfähiges HIV im Speichel nachweisbar ist, das dann
allerdings auch tatsächlich zu Infektionen beim (Geschlechts-)Partner führen kann, wenn dieser
empfängliche Eintrittspforten bietet.
Vergleicht man das Übertragungsrisiko beim Oralverkehr zwischen Fellatio (Blasen) und
Cunnilingus (Lecken), so zeichnet sich ab, dass für Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen
das Risiko der Übertragung bei Fellatio höher zu sein scheint als bei Cunnilingus; für
Mykoplasmen spielt Cunnilingus wahrscheinlich gar keine Rolle. Das Risiko für eine
Chlamydieninfektion im Rachen scheint bei Fellatio mit Aufnahme oder Schlucken viel höher zu
sein als bei Fellatio ohne Aufnahme; für Gonokokken gilt diese Differenzierung aber nicht.
Ein erhöhtes Übertragungsrisiko für Fellatio im Vergleich zu Cunnilingus gilt ebenso für HIV im
Falle von Fellatio mit Aufnahme (FA) bzw. Schlucken (FT) für den aufnehmenden Partner.
Für HPV zeichnet sich dagegen ein deutlich höheres Risiko für den aktiv leckenden Partner beim
Cunnilingus (im Vergleich zu Fellatio) ab. Männer sind dabei generell wesentlich anfälliger als
Frauen, da Frauen durch genitale HPV-Kontakte eine gewisse Immunkompetenz erwerben, die
Männern fehlt. Da HPV auch im Sperma vorkommt, dürften bei Fellatio FA und besonders FT
graduell riskanter sein als Deep Throat oder „einfaches“ Blasen ohne Aufnahme.
Auch ist zwischen der Übertragung konkreter STI-Keime und den Auswirkungen auf das lokale
Mikrobiom zu unterscheiden. So scheint „Geleckt-Werden“ für die FSW als relativ wenig
gefährlich, was die gängigen STD-Keime anbetrifft (z.B. im Vergleich mit Fellatio), aber häufiger
Cunnilingus kann bei Frauen zu Störungen im genitalen/vaginalen Mikrobiom führen, also zu
einer Störung des mikrobiologischen Gleichgewichts zwischen verschiedenen Keimen. Daraus
resultiert dann ein erhöhtes Risiko für Pilzinfektionen oder für bakterielle Vaginosen. Letztere
gehen dann wiederum mit einer erhöhten Anfälligkeit für „echte“ STI-Keime (auch HPV) einher.
Man kann also nicht generell sagen, ob Blasen oder Lecken „gefährlicher“ sei; es bestehen
erregerspezifische Präferenzen für den einen oder anderen Übertragungsweg.
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Zwangsuntersuchungen von FSW?
Manche gesellschaftlichen Kreise, aber auch gelegentlich Freier fordern die Wiedereinführung
von Zwangs- (Pflicht-) Untersuchungen für FSW. Im Gegensatz zu Österreich wurde jedoch aus
gutem Grund selbst im Rahmen des Prostituiertenschutzgesetzes auf die Etablierung von
Zwangsuntersuchungen in Deutschland verzichtet.
Wer Zwangsuntersuchungen fordert, übersieht, dass die infektionsepidemiologische Lage von
FSW in Deutschland solche gravierenden Eingriffe in Persönlichkeitsrechte keinesfalls
rechtfertigen könnte. Die typischerweise bei diesen Untersuchungen erfassten bakteriellen
oder durch Einzeller (wie Geißeltierchen: Trichomonas) verursachten STDs sind mit Antibiotika
zu heilen – wenn auch das möglicherweise inzwischen manchmal etwas langwieriger geworden
ist aufgrund von Antibiotikaresistenzen (speziell Gonorrhoe). Potenziell lebensbedrohliche STDs
wie krebserregendes HPV oder HIV werden bei diesen Untersuchungen entweder nicht (HPV)
oder verspätet (wie HIV – nach der Phase der maximalen Infektiosität bei frischer Infektion)
erfasst – ganz abgesehen davon, dass FSW in Deutschland keine Risikogruppe für HIV darstellen
und ohnehin keine Zwangstests auf HIV zulässig sind. Und im Falle des Nachweises von
krebserregendem HPV hätte dies ohnehin keine unmittelbaren Konsequenzen, da keine direkte
Therapieoption besteht und die Infektion meist spontan wieder abheilt – also gar kein
unmittelbarer Therapiebedarf erkennbar wäre.
Betrachtet man die Risikolage und beschränkt sich auf die bei potenziellen
Zwangsuntersuchungen erfassbaren Infektionen, so haben FSW – vor allem junge FSW als
Berufsanfängerinnen
–
gegenüber
gleichalten
Geschlechtsgenossinnen
der
Allgemeinbevölkerung ein stark erhöhtes Risiko für Gonokokken und (auf einem absolut
gesehen aber sehr niedrigen Niveau) Syphilis. Trichomonaden und Chlamydien sind tendenziell
bei FSW nur leicht bis moderat erhöht, für Mykoplasmen liegen keine belastbaren
Vergleichsdaten vor, ihr Nachweis ist aufwendig und die pathogenetische Bedeutung mancher
Genotypen/Arten aus dieser Gruppe unklar. HIV wird in der Phase der höchsten Infektiosität
durch routinemäßige Screenings noch nicht erfasst, sondern erst „verspätet“.
Und auch in der weiblichen Allgemeinbevölkerung ist das STD-Risiko in der Altersgruppe
zwischen 18 und 25 Jahren (also in dem Alter, in dem die meisten FSW in ihre Arbeit einsteigen)
am höchsten. Niemand käme auf die Idee, deshalb für diese Altersgruppe Zwangstests
einzuführen. Die Krankenkassen bieten für diese Frauen lediglich ein freiwilliges ChlamydienScreening an.
Gründe sind höhere Partnerzahl/Partnerwechsel, Erstkontakt mit STD-Erregern, Unreife des
lokalen (mukosalen) Immunsystems des Genitaltrakts, das erst durch Kontakt mit Erregern oder
Fremd-Antigenen (z.B. des Partners) aktiviert wird, und die Häufigkeit und Ausdehnung
cervikaler Ektopien in dieser Altersgruppe, die mit besonderer Infektionsanfälligkeit
einhergehen.
Zwangsuntersuchungen, für die es zur Zeit in Deutschland keine infektionsepidemiologische
Rechtfertigung gibt, würden FSW erneut diskriminieren und kriminalisieren. Wer sich aus
welchen Gründen auch immer nicht untersuchen lassen will, müsste „verdeckt“, „im
-37-
Untergrund“ arbeiten und bedürfte daher Dritter, die ihnen Kunden zuführen (und dann auch
kassieren). Dies würde dem Zuhälterwesen und Zwangsprostitution neuen Auftrieb geben.
Auch der niedrigschwellige Einstieg in die Sexarbeit würde erschwert. Bis zum Inkrafttreten des
ProstSchG konnte eine Frau, die sich unsicher ist, ob das für sie überhaupt infrage kommt,
einfach mal in einen Club einchecken, bezahlte ihren Eintritt, und konnte schon vor oder nach
dem ersten Kunden wieder gehen, falls sie merkte, „dass das nichts für sie ist“. Sie hatte dann
nur das Eintrittsgeld für einen Tag verloren. Erst mit dem ProstSchG wurde ihr diese Option des
„unverbindlichen Ausprobierens“ – und sei es aus Neugier, Interesse oder Spaß – genommen.
Zwangsuntersuchungen könnten auch ungeschütztem Sex Vorschub leisten, da sich manche
Freier dann in vermeintlicher Sicherheit wiegen würden, auch wenn diese real nicht besteht
(z.B. aufgrund von frischen Infektionen oder Erregern, die bei diesen Untersuchungen gar nicht
erfasst würden). Damit würden Infektionsrisiken letztendlich steigen, denn die Wirksamkeit der
gesetzlichen Kondompflicht auf manche Freier ist unsicher.
Dies ändert nichts daran, dass regelmäßige infektionsmedizinische Untersuchungen für FSW
äußerst wertvoll und sinnvoll sind – auch im Interesse der FSW selbst, da viele bakterielle STDs
vor allem bei Frauen unbemerkt verlaufen und dann ohne Behandlung zu chronifizieren
drohen, mit schweren Folgen bis hin zu Schwangerschaftskomplikationen, Unfruchtbarkeit,
chronischen Beckenentzündungen und –schmerzen sowie Förderung mancher urogenitaler
Krebserkrankungen. Durch Antibiotika könnten sie dagegen binnen weniger Tage zur
Ausheilung gebracht werden. Die Untersuchungen selbst sind also sinnvoll und wünschenswert,
nur der Zwangscharakter und die damit verbundene Diskriminierung und Kriminalisierung sind
hochgradig kontraproduktiv.
Daraus ergibt sich eine ganz einfache Botschaft: Zwangsuntersuchungen sind als
kontraproduktiv, der Sexarbeit und den FSW insgesamt schädlich abzulehnen, freiwillige
Untersuchungen sind zu befürworten, zu fördern und zu bewerben.
-38-
Empfehlungen für Freier
1. Allgemeine Aspekte
1.1 Impfungen
● Hepatitis-B-Impfung erwägen (falls noch nicht geimpft)
(Falls bereits früher geimpft: Titer kontrollieren lassen: ist der Antikörper-Titer noch
ausreichend? Bei Bedarf eine Auffrischungsspritze)
Begründung:
FSW haben ein erhöhtes Risiko, sich mit Hepatitis B zu infizieren. In einer neueren
Untersuchung einer deutschen STD-Beratungsstelle wiesen 2,2 % der FSW (schwerpunktmäßig
aus Osteuropa stammend) eine potenziell infektiöse Hepatitis B auf, in einer niederländischen
Studie aus 2006-2013 waren es 1,0 % (Herkunft aus Osteuropa: 2,2 %, Asien: 2,3 %, SubsaharaAfrika: 5,4 %). Kondome bieten keinen völlig sicheren Schutz; auch beim ungeschützten
Oralverkehr und sogar bei Zungenküssen ist unter Umständen eine Infektion möglich, auch
abhängig von der Viruslast der infizierten Kontaktperson, die von ihrer Infektion vielleicht gar
nichts weiß.
Viele FSW stammen aus Ländern, in denen Hepatitis B weiter verbreitet ist als in Deutschland.
Sie können chronisch infiziert sein, ggf. schon seit Geburt oder Kindheit, ohne dies zu wissen.
Auch wenn die Impfung seit den 80er Jahren verfügbar ist, ist keinesfalls wie selbstverständlich
davon auszugehen, dass alle FSW (komplett) geimpft sind und ausreichende Antikörpertiter
haben.
Eine akute Hepatitis B ist hoch infektiös und kann zu wochenlanger Arbeitsunfähigkeit führen,
chronische Verläufe bleiben dagegen meist unbemerkt und können nach vielen Jahren
Leberzirrhose und/oder Leberkrebs zur Folge haben. Sofern noch keine Infektion vorliegt, bietet
die Impfung einen hervorragenden Schutz.
Die offiziellen Impfempfehlungen der STIKO (Ständige Impfkommission beim Robert-KochInstitut) empfehlen die Impfung (jenseits der Routineimpfung im Kindes- und Jugendalter)
unter anderem für „Personen mit einem … Sexualverhalten mit hohem Infektionsrisiko“. Dies
wäre neben FSW vor allem auch für Freier zu bejahen, die sich häufig und nicht immer völlig
geschützt im Paysex bewegen, beispielsweise ungeschützten Oralsex oder Zungenküsse
praktizieren. Hepatitis B ist viel infektiöser als z.B. HIV und kann selbst durch enge (nichtsexuelle) Haushaltskontakte übertragen werden. Auch Speichel kann infektiös sein (wenn die
-39-
Viruslast im Blut hoch ist). Darum empfiehlt die STIKO sogar die Impfung von Personen, die mit
Hepatitis-B-Trägern in einer Familie oder Wohngemeinschaft zusammen leben.
● HPV-Impfung ?
Für bestimmte Gruppen von Freiern könnte die HPV-Impfung nützlich sein; sie sollten sich dazu
eingehend beraten lassen. Dazu gehören vor allem:
● Freier, die – entgegen den offiziellen Empfehlungen – ungeschützt häufig bei FSWs lecken
(Cunnilingus) (nach dem Wortlaut des Prostituiertenschutzgesetzes dürfte das nicht verboten
sein!)
● bisexuelle Freier (vor allem auch wegen ihrer Risiken bei homosexuellen Kontakten) sowie
● Freier, die sehr häufig die Dienste von FSW in Anspruch nehmen und/oder auch an analen
Spielen (z.B. mit Fingern oder Dildos) interessiert sind.
Es ist davon auszugehen, dass in Europa ca. 15 % aller FSW genital mit den krebserregenden
HPV-Typen 16 und/oder 18 infiziert sind, mehr als 10 % mit HPV 16. Das muss für die
betroffenen FSWs nicht bedrohlich sein – bei jungen Frauen heilen die meisten dieser
Infektionen nach meist < 6, maximal aber bis 24 Monaten wieder aus (eventuell wird aber ein
Teil der Infektionen auch latent; jedenfalls ist das Virus nach diesem Zeitraum nicht mehr
nachweisbar; es findet also keine Virusausschüttung mehr statt, sie sind nicht mehr infektiös).
Bei jüngeren FSW (< 25 Jahre) dürfte das Risiko einer aktiven HPV-Infektion höher sein als bei
älteren.
Welche Risiken ergeben sich daraus für Kunden?
a) am Penis
Kunden können sich beim GV/AV trotz Kondom am Penis anstecken (das Kondom wirkt nur
risikoreduzierend, bietet aber keinen vollständigen Schutz, da untere Abschnitte des
Penisschaftes nicht geschützt sind). HPV kann auch durch Schmierinfektionen übertragen
werden. Beim ungeschützten GV/AV ist das Risiko aber viel größer, weil dann die gesamte
Penisoberfläche einschließlich der empfindlichen Schleimhautareale (Eichel, Vorhautinnenseite,
auch Harnröhrenausgang) exponiert sind. Die riskanten, genital relevanten HPV-Typen
benötigen Eintrittspforten. Diese finden sie eher an der leicht verletzlichen Schleimhaut zum
Beispiel der Vorhautinnenseite, als an der intakten Haut des Penisschafts. Aber sogar an der
Haut des Hodensacks können sich Genitalwarzen bilden – d.h. auch diese Haut ist für genital
relevante HPV-Viren durchaus empfänglich.
Als Eintrittspforten reichen nämlich bereits unsichtbare Mikrorisse und Mikroabrasionen im
Epithel, durch die die Viren Kontakt zu den basalen Zellschichten der Haut oder Schleimhaut
aufnehmen können. Bei dünner Schleimhaut reicht das Abschilfern einiger oberflächlicher
Zellschichten (Mikroabrasion) aus, um eine Angriffsmöglichkeit für HPV zu schaffen. Sichtbare
-40-
oder gar blutende Wunden sind also keinesfalls erforderlich, damit sich eine HPV-Infektion
erfolgreich etablieren kann.
Auch beim Blasen (wohl in noch größerem Umfang beim Deep Throat) ist eine Übertragung von
HPV vom Mund/Rachen der FSW auf den Penis möglich, wenn auch das Risiko im Vergleich zum
GV als niedriger eingeschätzt werden muss, weil FSW Risiko-HPV eher auf ihren
Genitalschleimhäuten als im Mund/Rachen haben.
Die Infektion der Penishaut oder -schleimhaut heilt aber in der Regel in wenigen Monaten
folgenlos ab; HPV-bedingte Peniskrebse sind sehr selten, kommen aber vor (man geht davon
aus, dass in Deutschland etwa 300 Peniskrebse pro Jahre HPV-bedingt sind, das sind etwa die
Hälfte aller Peniskrebse). Eine neue internationale Meta-Analyse kam nur auf einen Anteil von
etwa einem Drittel der Peniskrebse – das wären dann rund 200 Fälle in Deutschland.
Von einer HPV-Kontamination bzw. -Infektion des Penis geht für den Mann selbst also nur ein
sehr geringes Risiko aus, wenn man nur auf das Krebsrisiko abstellt. Viel größer ist dagegen das
Risiko für Genitalwarzen (= Anogenitalwarzen, Feigwarzen), die ganz überwiegend durch die
HPV-Typen 6 und 11 hervorgerufen werden. Besonders unangenehm und schwierig zu
behandeln sind Genitalwarzen am Harnröhrenausgang oder in der Harnröhre selbst. Statistiken
über die Häufigkeit von Genitalwarzen bei Freiern gibt es selbstverständlich nicht, aber eine
FSW berichtete einmal in einem Forum, bei durchschnittlich jedem 7. Kunden solche im
Genitalbereich gesehen zu haben. Allerdings können auch andere Hautveränderungen
Genitalwarzen vortäuschen, so dass diese Aussage zurückhaltend zu bewerten ist.
Sieht man einmal von den (nicht lebensgefährlichen, aber unangenehmen) Genitalwarzen ab,
die auch nach Behandlung häufig zu Rezidiven neigen, ist das Risiko durch HPV ausgelöster
schwerer Erkrankungen am Penis für die Männer also eher gering.
Die am Penis infizierten Männer können die Infektion aber in den Monaten bis zur spontanen
Ausheilung auf ihre Sexpartnerinnen weiter übertragen. Es gibt einige Studien aus
verschiedenen Regionen der Welt, die allesamt zeigten, dass (Ehe-)Partnerinnen von Männern,
die die Dienste von FSW in Anspruch nahmen, ein (zum Teil mehrfach) erhöhtes Risiko für
Dysplasien am Gebärmutterhals oder gar für Gebärmutterhalskrebs haben.
Die Vermeidung von HPV-Infektionen am Penis dient also (neben dem Schutz vor
Genitalwarzen und Schutz vor dem sehr seltenen HPV-bedingten Peniskrebs) vor allem dem
Schutz Dritter (anderer Sexpartnerinnen). Auf den Punkt gebracht: sie trägt zur Vermeidung
invasiver Eingriffe am Gebärmutterhals (z.B. Konisation) und zur Krebsprävention der
Sexpartnerinnen des Freiers bei – also auch seiner privaten Partnerin.
Dies ist auch der Grund, weshalb Freier – falls sie sich aus diesem Grund (!)* gegen HPV impfen
lassen – den neuen Impfstoff Gardasil 9 bevorzugen sollten. Er ist teurer als Cervarix, bietet
aber – neben dem Schutz vor Genitalwarzen, sodern dieser nicht schon zu spät kommt – auch
Schutz vor fünf weiteren krebserregenden HPV-Typen, die weniger für den Freier selbst, aber
für seine privaten Partnerinnen gefährlich werden könnten, darunter der vor allem in
-41-
Ostasien/Südostasien dominierende Typ HPV 52. (Der Vertrieb des Vierfach-Impfstoffs Gardasil
wird ohnehin bald eingestellt).
* Bei einer Impfung aus Gründen des Eigenschutzes des Freiers vor HPV 16 im Rachenraum bei häufigem
ungeschützten Lecken bei FSW sollte dagegen eher Cervarix bevorzugt werden, weil dessen Wirksamkeit
gegen HPV 16/18-Infektionen im Mund-Rachen-Raum bei Impfung im Erwachsenenalter – im Gegensatz
zu Gardasil – bereits in Studien gezeigt wurde).
Daneben verdichten sich in neuerer Zeit auch Hinweise auf Risiko-HPV (wie HPV 16 und 18) als
Auslöser für einen kleineren Anteil der Prostata- und Harnblasenkrebse (beim Prostatakrebs
tendenziell eher der aggressiveren Formen), auch wenn für beide Krebsarten HPV mit
Gewissheit nicht die dominierende Ursache darstellt.
b) anal
Infektionen mit krebserregenden HPV-Typen, besonders HPV 16, sind die mit Abstand
wichtigste Ursache für Analkrebs. Da HPV 16 nicht nur durch Analverkehr auf die
Analschleimhaut übertragen werden kann, sondern alle Formen von Schmierinfektionen infrage
kommen, gibt es verschiedene Übertragungsmöglichkeiten – von mit HPV kontaminiertem
Sexspielzeug für anale Dildospiele bis hin zur Übertragung mit Fingern bei analen Fingerspielen.
Diese Praktiken sind auch bei der heterosexuellen Sexarbeit beliebt. Analkrebs ist aber vor
allem ein Risiko für HIV-positive MSM. Theoretische Überlegungen sprechen aber dafür, dass
auch heterosexuelle Freier einem erhöhten Risiko für Analkrebs unterliegen dürften, vor allem,
wenn sie anale Spiele (Fingern, Dildos) in Anspruch nehmen. Sehr problematisch ist dabei die
Dildo-Hygiene, sofern keine eigenen Dildos benutzt werden, die ausschließlich beim Freier
selbst zum Einsatz kommen. Gängige Desinfektionsmittel sind gegenüber dem sehr resistenten
HPV-Virus unwirksam, selbst wenn sie als „viruzid“ deklariert sind, und auf Oberflächen bleibt
HPV noch tagelang infektiös.
Neben krebserregendem HPV können auf diese Weise auch genitalwarzenauslösende HPVTypen übertragen werden, weshalb man auch korrekt von „anogenitalen“ Warzen (statt
„Genitalwarzen“) spricht.
Die Wirksamkeit der HPV-Impfung gegen anale Krebsvorstadien wurde – auch bei Impfung
erwachsener Männer – mit dem Impfstoff Gardasil in Studien gezeigt. Da Cervarix zu
durchschnittlich höheren Antikörpertitern führt als Gardasil, folgert man daraus, dass Cervarix
mindestens ebenso gut (wenn nicht sogar besser) vor analen HPV-Risikoinfektionen und
Krebsvorstadien schützt (darauf beruht die Zulassungserweiterung von Cervarix auf Männer in
2016).
-41a-
c) oral (vor allem Rachen, sehr selten Mundschleimhaut)
Durch Oralsex kann HPV (auch HPV 16) von den Genital(schleim)häuten in den Mund gelangen.
Hier setzt sich HPV vor allem im Rachenbereich fest. Die Infektionen werden meist binnen
einiger Monate (wie am Penis auch) spontan überwunden und heilen dann aus; in manchen
Fällen persistiert die Infektion aber. Möglicherweise können auch Infektionen latent und dann
später reaktiviert werden. Aus einer persistierenden Infektion kann sich über viele Jahre hinweg
ein Krebs entwickeln, meist im Rachenraum (Mandelkrebs, Zungengrundkrebs), viel seltener an
der Mundschleimhaut selbst. Fast immer ist HPV 16 dafür verantwortlich. Dieser HPV-Typ
fungiert also im Mund-Rachen-Raum viel spezifischer als Krebserreger als im weiblichen
Genitaltrakt, wo am Gebärmutterhals ein breites Spektrum von HPV-Typen (wenn auch
ebenfalls unter Dominanz von HPV 16) als Krebserreger infrage kommt. Wichtig ist dabei, dass
HPV 16 einen eigenständigen Risikofaktor für Krebs im Rachenraum darstellt, unabhängig von
Rauchen und Alkohol, d.h. auch Nicht-Raucher und Nicht-Trinker können erkranken.
In den USA, wo die Belastung mit HPV 16 im Mund-Rachen-Raum bisher am intensivsten
untersucht wurde, geht man davon aus, dass ca. 1 % der erwachsenen Bevölkerung in Mund/
Rachen mit HPV 16 infiziert sind. Männer (1,6 - 2 %) sind häufiger betroffen als Frauen (0,3 %;
NHANES-Studie). Diese Zahlen setzen sich dann zusammen aus vorübergehenden (transienten)
und persistierenden Infektionen. Nur letztere sind potenziell „gefährlich“.
Als dominierender Infektionsweg in den Mund und Rachen kommt nur Oralsex infrage. Ob
Zungenküsse eine Rolle spielen, ist nicht abschließend geklärt, die Datenlage ist
widersprüchlich. Falls ja, wäre ihr Risiko aber dennoch viel geringer als das von Oralsex. Die
asymmetrische Geschlechtsverteilung deutet (neben anderen Hinweisen) darauf, dass
Cunnilingus relativ noch gefährlicher ist als Fellatio. Beide Infektionswege sind effektiv,
Cunnilingus aber wohl erheblich effektiver, weil auf weiblichen Genitalschleimhäuten mehr
infektionsfähiges Virus ausgeschüttet wird – besonders bei Raucherinnen.
Da FSW (vor allem junge FSW) besonders stark mit krebserregendem HPV (auch HPV 16) genital
belastet sind, müssen Kunden, die bei FSW genital lecken, davon ausgehen, dass sie ein Risiko
eingehen, mit einer Wahrscheinlichkeit von über 10 % oder (vor allem bei jüngeren FSW) auch
mehr mit HPV 16 im Mund kontaminiert zu werden. Kontamination bedeutet nicht gleich
Infektion. Die Viren benötigen nach einer Kontamination geeignete Eintrittspforten, damit sie
eine vorübergehende oder dauerhafte Infektion der Schleimhaut auslösen können. Mit anderen
Worten: nicht jede Kontamination bedeutet Infektion.
(Ein extremes Beispiel hierfür ist HIV: das Risiko, dass es nach einer Kontamination mit HIV-haltigem
Sperma im Mund zu einer Infektion kommt, liegt weit unter 0,1 %. Nur ein winziger Bruchteil aller HIVKontaminationen führt also auch zur Infektion. Allerdings ist das Infektionsrisiko nach Kontamination im
Falle von HPV, aber auch vielen anderen STDs, weitaus höher als bei HIV. Das niedrige Infektionsrisiko
von HIV ist eher die Ausnahme als die Regel, wenn man STD-Erreger vergleicht).
Und wenn es zu einer HPV-Infektion kommt, heilt diese (im Gegensatz zu HIV) meist auch
wieder aus. Die Persistenz von HPV 16 im Rachenraum ist daher eher der Ausnahmefall, aber
nicht steuerbar (es gibt Hinweise, dass bei Rauchern das Infektions- und Persistenzrisiko größer
ist, erstens weil mehr Eintrittspforten bestehen und zweitens weil die lokale Immunabwehr
-42-
geschwächt ist. Außerdem produzieren Raucher mehr Virus und schütten mehr Virus aus). Auch
genetische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen.
Daneben entwickeln sexuell aktive Frauen im Laufe der Zeit bzw. mit steigender Anzahl
vaginaler Geschlechtspartner eine gewisse Immunkompetenz gegen orale HPV-Infektionen (die
offenbar nicht oder nicht ausschließlich an Antikörper gebunden ist, sondern über die zelluläre
Immunität vermittelt wird), die Männern fehlt. Dies ist – neben dem höheren
Übertragungsrisiko bei Cunnilingus im Vergleich zu Fellatio – ein weiterer Grund, weshalb
Männer relativ gesehen viel häufiger HPV 16 im Mund-Rachen-Raum haben als Frauen (ca. 2 %
zu 0,3 %) und auch viel häufiger an HPV-bedingten Rachenkrebsen erkranken.
Dank der sich im Laufe des Sexlebens bzw. mit steigender Partnerzahl entwickelnden
moderaten Immunkompetenz sinkt das Risiko der Frauen, sich im Falle einer Kontamination mit
HPV im Mund-Rachen-Raum auch tatsächlich zu infizieren, und wenn es doch zu einer Infektion
im Mund-Rachen-Raum kommt, heilt diese durchschnittlich schneller ab als Männern. Dies gilt
in besonderem Maße für das besonders kritische HPV 16.
Auf jeden Fall setzt ungeschütztes Lecken an nicht HPV-geimpften (!) FSW die Freier unter ein
Risiko, sich im Rachenraum mit dem gefährlichen HPV-Typ HPV 16 anzustecken. Da Kondome
nur einen moderaten, keinesfalls vollständigen Schutz vor einer HPV-Übertragung beim GV auf
weibliche Genitalschleimhäute bieten, stehen auch safer arbeitende FSW unter einem erhöhten
Risiko für genitale HPV-Infektionen (wenn auch in geringerem Umfang als unsafe arbeitende
Kolleginnen). Auch die Kondompflicht des Prostituiertenschutzgesetzes in Deutschland kann
das HPV-Risiko für FSW daher nicht grundlegend beseitigen.
Daneben kann sich der Kunde beim Lecken natürlich auch genitalwarzenauslösende HPV-Typen
einfangen; Genitalwarzen können auch an den Lippen und im Mund vorkommen.
-43-
Schutzeffekt der HPV-Impfung
Für Männer ist der Vierfach-Impfstoff (Gardasil) und seit 2016 auch der Neunfach-Impfstoff
(Gardasil 9) zugelassen; beide schützen auch vor Genitalwarzen auslösenden HPV-Typen. In
wieweit die Impfung dem Jugendalter entwachsener heterosexueller Männer noch einen guten
Schutz für Genitalwarzen erwarten lässt, ist allerdings unklar. Seit August 2016 ist auch der
Zweifach-Impfstoff (Cervarix) für Jungen und Männer ab 9 Jahre zugelassen. Er bietet keinen
Schutz vor Genitalwarzen, erzeugt aber höhere Antikörpertiter als Gardasil.
Die HPV-Impfung von erwachsenen Männern ist daher seit August 2016 mit jedem der drei
verfügbaren Impfstoffe (von denen der Vierfach-Impfstoff aber bald vom Markt genommen
wird) arzneimittelrechtlich zulässig, wird in Deutschland aber nicht offiziell empfohlen (keine
STIKO-Empfehlung des Robert-Koch-Instituts; Ausnahme: Impfkommission Sachsen für Männer
bis zum Alter von 26 Jahren) und daher auch von Krankenkassen nicht bezahlt. Mit selbst zu
tragenden Kosten von ca. 500 bis 600 Euro für die insgesamt drei Spritzen (zusammen
gerechnet) ist daher (einschl. Arzthonorar) zu rechnen.
Wie bei Frauen ist von einer reduzierten Impfeffizienz auszugehen, wenn die Impfung nach
Aufnahme sexueller Aktivität erfolgt. Studien zum Schutzeffekt der HPV-Impfung erwachsener
Männer betrafen überwiegend schwule Männer, wobei es schwerpunktmäßig um den Schutz
vor analen intraepithelialen Neoplasien ging (Vorstufen für Analkrebs, die aber auch noch
spontan abheilen können, und ein Äquivalent zu den höhergradigen Dysplasien am
Gebärmutterhals bei Frauen darstellen, aber noch enger mit dem impfpräventiblen HPV 16
assoziiert sind als die Cervixdysplasien bei Frauen). Hier zeigte die Impfung vergleichbare
Effekte wie bei Frauen im Gebärmutterhalsbereich: die Impfung Erwachsener ist nur noch als
Risikoreduktion, nicht mehr als „Vollschutz“ oder „Beinahe-Vollschutz“ zu verstehen; der
Impfschutz hängt stark davon ab, dass zum Impfzeitpunkt keine Infektion mit den
impfpräventiblen HPV-Typen vorliegt.
Neuere Daten deuten aber auf mindestens eine Halbierung des Risikos HPV-bedingter
genitaler(peniler)/analer/perianaler HPV-bedingter Veränderungen bei Impfung erwachsener
Männer mit einem Durchschnittsalter von ca. 40 Jahren (zum Zeitpunkt der Impfung), wenn der
HPV-Status zum Impfzeitpunkt unberücksichtigt bleibt bzw. unbekannt ist.
Interessanter ist da für die heterosexuellen Freier schon der Schutzeffekt vor HPV-16Infektionen im Mund-Rachen-Raum, die sich Kunden beim ungeschützten Lecken zuziehen
können (angesichts von über 10 % HPV-16-Nachweis bei FSWs in Europa) und die, wenn sie
nicht spontan ausheilen, nach vielen Jahren (auch bei Nichtrauchern!) zu Krebs im Rachenraum
(vor allem Mandeln, Zungengrund) führen können. Entsprechende Untersuchungen zu
erwachsenen Männern liegen zwar noch nicht vor, aber von Frauen weiß man, dass die
Impfung mit Cervarix auch dann noch hoch effektiv gegen HPV-16-/18-Infektionen im MundRachen-Raum schützt (über 90 % Schutzeffekt), wenn sie im frühen Erwachsenenalter (also
nach Aufnahme sexueller Aktivität) verabreicht wird (Costa Rica Vaccine Trial mit „Cervarix“).
Der orale Schutz durch die Impfung schien in dieser Studie auch nicht davon abzuhängen, ob
die Frauen genital (cervikal) noch HPV 16/18-naiv waren, ob sie schon mal infiziert waren, aber
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die Infektion überwunden hatte (also Virus-DNA-negativ, aber antikörper-positiv), oder ob sie
zum Impfzeitpunkt genital gerade mit impfpräventiblen HPV-Typen infiziert waren (Virus-DNApositiv). D.h. die Einflussfaktoren, von denen der Nutzen der Impfung im genitalen Bereich stark
abhängig ist und die diesen Nutzen ggf. stark reduzieren, scheinen oral nicht zu greifen. Mit
anderen Worten: der orale Schutzeffekt der HPV-Impfung scheint unabhängig vom genitalen
HPV-Status zum Zeitpunkt der Impfung zu sein.
Auch wenn noch keine Studien zum unmittelbaren Schutzeffekt der Impfung vor HPV-16Infektionen im Mund-Rachen-Raum bei Männern vorliegen, konnten bei 96 % von knapp 150
Männern, die im Alter von 27 bis 45 Jahren mit Gardasil geimpft worden waren, sieben Monate
nach der ersten Impfdosis Antikörper gegen HPV-16 in der Mundflüssigkeit nachgewiesen
werden, wobei die Menge (Konzentration) dieser Antikörper eng mit dem Antikörpertiter im
Blutserum korrelierte (allerdings durch Verdünnungseffekte viel niedriger war als im Serum).
Auch wenn direkte Beweise durch Studien noch fehlen, lässt die Gesamtschau der Indizien
vermuten, dass auch Freier, die gern bei FSWs ungeschützt lecken, noch von der Impfung
profitieren dürften.
Kritisches Fazit
Der Gelegenheits-Freier, der bei FSW nicht ungeschützt leckt, wird von der „verspäteten“
Impfung wenig profitieren können. Die Übertragung von HPV von einer möglicherweise
infizierten FSW auf nachfolgende Sexpartnerinnen (z.B. die private Partnerin) kann
wahrscheinlich besser durch eine „HPV-Prophylaxe“ durch gründliches Abwaschen des Penis
mit fließendem Wasser und Seife, vorsichtigem (!) Trockentupfen oder Luft-Trocknen des Penis
und anschließendem Benetzen der nicht vom Kondom geschützten Penisareale mit CarrageenLösung reduziert werden als durch eine verspätete und daher in ihrer Wirksamkeit fragliche
Impfung, zumal die Impfung nicht vor äußerlicher Kontamination, sondern vor persistierender
Infektion (und deren möglichen Spätfolgen) schützt. Wenn ein Freier also geimpft ist, heißt das
nicht, dass er davor geschützt ist, im Rahmen von Schmierinfektionen eine frische HPVKontamination am Penis auf eine andere Frau (z.B. seine private Partnerin) zeitnah zu
übertragen.
Einer der Erfolgsindikatoren für die Impfung in den Zulassungsstudien war die Vermeidung
persistierender Infektion, nicht die Verhinderung von (vorübergehenden) Kontaminationen.
Und selbst wenn der Gelegenheitsfreier sehr selten einmal ungeschützt leckt (wovon abzuraten
ist), kann er in diesen seltenen Fällen auf das weiter unten beschriebene Carrageen-Verfahren
zurückgreifen - als experimentelles Verfahren im Sinne einer „Periexpositionsprophylaxe“ zum
Schutz des Mund-Rachen-Raumes vor HPV (und auch anderen Viren). Mundspüllösungen, aber
auch Alkoholspülungen dürften dagegen gegenüber HPV wirkungslos sein, HPV ist sehr
desinfektionsmittel-resistent.
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Interessanter ist die Impfung für Freier, die häufig ungeschützt bei FSW lecken (das CarrageenVerfahren ist für die häufige Anwendung zu lästig, störend und umständlich), um ihr
Infektionsrisiko im Rachenraum angesichts von über 10 % HPV-16-Belastung bei FSW zu senken.
Auch bisexuelle Freier oder heterosexuelle Freier, die gern „anale Spiele“ bei sich vollziehen
lassen, könnten profitieren, da die rechtzeitige Impfung vor HPV-bedingten
Gewebsveränderungen im Analbereich schützt, aus denen sich Analkrebs entwickeln kann.
Allerdings gilt insoweit wieder (wie bei Frauen) eine verminderte Wirksamkeit der Impfung,
wenn diese nach Aufnahme sexueller Aktivität erfolgt, vor allem wenn zum Impfzeitpunkt
bereits eine anale Infektion mit einem impfpräventiblen HPV-Typ vorliegt.
Werden Analkrebs und dessen Vorstufen üblicherweise mit Analverkehr in Verbindung
gebracht, ist inzwischen klar, dass bei heterosexuellen Männern und Frauen, die keinen
Analverkehr betreiben, das Risiko für solche Gewebsveränderungen und Analkrebs mit der
Anzahl der Sexpartner steigt. Während dies bei Frauen noch mit der Nähe des Genitaltrakts zur
Analregion und dadurch bedingte Virusübertragungen durch Schmierinfektionen erklärbar ist,
ist ein solcher Zusammenhang beim Mann unplausibel. Daher müssen hier andere Gründe als
GV dafür verantwortlich gemacht werden, dass mit steigender Partnerzahl (und damit
steigender
sexueller
Aktivität)
das
Risiko
für
Analkrebs
zunimmt,
z.B.
Keimverschleppung/Schmierinfektionen durch anale Fingerspiele, Sexspielzeug, vielleicht auch
Zungenanal. Dies spricht dafür, dass auch manche hoch aktiven rein heterosexuellen Freier mit
häufigen Kontakten mit FSW noch von einer Impfung im Sinne von Risikoreduktion auch im
Analbereich profitieren könnten (bei Gardasil auch in Hinblick auf Anogenitalwarzen).
Da die sexuelle Vorerfahrung bei dem Schutz der Impfung vor oralen Infektionen offenbar keine
so große Rolle spielt (vgl. Costa Rica Vaccine Trial), könnten wohl wahrscheinlich jene Freier am
meisten von einer Impfung profitieren, die häufig bei FSW ungeschützt lecken.
Kunden sollten nämlich nicht davon ausgehen, dass FSW HPV-geimpft sind. Bei sehr jungen
FSW aus Deutschland oder Westeuropa ist dies in höchstens einem Drittel bis der Hälfte aller
Fälle zu vermuten, bei FSW aus Osteuropa dürfte das eher die Ausnahme sein.
Sollte eine FSW HPV-geimpft sein, dürfte das HPV-Risiko beim ungeschützten Lecken für die
Männer sehr gering sein. Höchstwahrscheinlich ist sie dann nicht mit HPV 16 infiziert. Sollte sie
dennoch mit HPV 16 infiziert sein (was dann denkbar wäre, wenn die Impfung zu einem
Zeitpunkt erfolgte, als diese Infektion schon vorlag), ist aber eine stark verminderte Infektiosität
anzunehmen, da ausgeschüttete Viren dann durch neutralisierende Antikörper in den
Genitalflüssigkeiten unschädlich gemacht werden dürften. Das Lecken bei einer geimpften FSW
dürfte daher selbst dann mit einem viel geringeren HPV-16-Infektionsrisiko für den Kunden
einhergehen (sofern dann überhaupt noch ein solches Risiko besteht), wenn sie „zu spät“ (d.h.
nach genitaler Infektion) geimpft wurde.
-46-
Gardasil 9 oder Cervarix ?
Die Datenlage reicht zur Zeit nicht aus, um eindeutige Empfehlungen für erwachsene
heterosexuelle Männer abgeben zu können, welcher Impfstoff ihnen einen größeren Nutzen
bietet. Die Studien zum Nutzen der Impfungen bei Männern erfolgten überwiegend mit
schwulen Männern und fokussierten auf Vorstadien von Analkrebs (anale intraepitheliale
Neoplasien) unter Verwendung von Gardasil. Für heterosexuelle Männer, die Sexarbeit in
Anspruch nehmen, ist die HPV-Impfung aber vor allem dann interessant, wenn sie gern bei FSW
ungeschützt lecken. Wie beim Analkrebs interessiert beim Schutz vor HPV-bedingtem
Rachenkrebs aber überwiegend HPV 16; andere HPV-Typen spielen anal eine geringe und im
Rachen fast gar keine Rolle als Krebsauslöser. Sieht man einmal von dem Schutz vor
genitalwarzenauslösenden HPV-Typen 6 und 11 ab, bietet das breite Schutzspektrum von
Gardasil 9 für die Männer selbst kaum einen Zusatznutzen, zumal auch Cervarix gewisse
kreuzprotektive Effekte entfaltet. Gardasil 9 orientiert sich (abgesehen von Genitalwarzen) an
den HPV-Typen, die beim Gebärmutterhalskrebs eine mehr oder weniger große Rolle spielen.
Für Männer, egal ob hetero-, bi- oder homosexuell, steht dagegen HPV 16 ganz im
Vordergrund, gefolgt von HPV 18.
Cervarix bietet, wie erwähnt, keinen Schutz vor Genitalwarzen. Allerdings führt es aufgrund
eines zusätzlichen Begleitstoffes zu höheren Antikörpertitern. Ob diese höheren Titer vor allem
bei der Impfung älterer Männer einen Zusatznutzen im Vergleich zu den mit Gardasil
erreichbaren Titern bieten, ist nicht bekannt, weil man nicht weiß, welcher Mindesttiter
erforderlich ist, um den maximal möglichen Schutzeffekt der Impfung auszuschöpfen (der ja
von der HPV-Vorerfahrung und ganz besonders vom HPV-Status zum Zeitpunkt der Impfung
abhängig ist). Die Titerhöhe dürfte vor allem bei der Dauer des Impfschutzes eine Rolle spielen.
Ein Impfstoff, der höhere Antikörpertiter erzeugte, dürfte (auf viele Jahre gesehen) länger die
individuell maximal mögliche Wirksamkeit entfalten.
Zugunsten von Cervarix bei heterosexuellen Freiern spricht, dass seine sehr gute Wirksamkeit
gegen HPV 16/18-Infektionen im Mund-Rachen-Raum (> 90 %) bei „verspäteter“ Impfung (im
jungen Erwachsenenalter, 18 bis 26 Jahre) immerhin schon nachgewiesen wurde, jedenfalls bei
Frauen (Costa Rica Vaccine Trial). Für Gardasil liegen keine vergleichbaren Daten vor. Es ist zwar
plausibel, aber eben nicht ganz sicher, dass Gardasil (auch bei „verspäteter“ Impfung) ebenfalls
gegen HPV-Infektionen im Rachenraum wirkt; aber immerhin sind die Antikörpertiter
gegenüber HPV 16 nach Gardasil-Impfung niedriger als nach Cervarix.
Umgekehrt liegen für Cervarix (im Gegensatz zu Gardasil) keine Studien zum Schutz vor
Vorstadien von Analkrebs bei Männern vor. Da aber Gardasil entsprechende Effekte zeigt, und
Cervarix sogar zu höheren Antikörpertitern führt, ist auch für Cervarix von einem Schutz vor
analen HPV 16/18-Infektionen und daraus resultierenden Folgeerkrankungen auszugehen – in
mindestens demselben Umfang wie im Falle von Gardasil.
Somit bleibt bei der Wahl des Impfstoffs für heterosexuelle Freier zur Zeit eine Unsicherheit, die
sich nicht auflösen lässt.
Provisorisch könnte man folgende Überlegungen für heterosexuelle Männer mit PaysexAktivitäten anstellen:
-47-
Wer vor allem auf ungeschütztes Lecken wert legt und kein Interesse an analen Spielen oder
Sexvarianten (Fingern, Dildos/Strapons, ggf. bisexuellen Praktiken) hat, könnte Cervarix den
Vorzug geben. Bei diesen Freiern geht es vor allem um den Schutz vor HPV-16-Infektionen im
Mund-Rachen-Raum, und dieser ist für Cervarix nachgewiesen (Costa Rica Vaccine Trial), für
Gardasil nur zu vermuten. Auch die höheren Antikörpertiter sprechen zumindest theoretisch
für Cervarix. Ein Schutz vor Genitalwarzen ist damit dann aber nicht verbunden. Diese können
auch im Mund auftreten (z.B. nach ungeschütztem Lecken), sind aber dort recht selten, nicht
gefährlich und leichter zugänglich und behandelbar als im Analbereich, der für die meisten
heterosexuellen Männer zudem extrem schambesetzt sein dürfte, jedenfalls wenn es um
Arztbesuche und nicht um FSW-Kontakte geht.
Wer dagegen auch seinen eigenen Analbereich in die sexuellen Aktivitäten
einbezieht/einbeziehen lässt, setzt sich dort dann auch einem höheren Risiko von
Genitalwarzen aus (darum heißen diese auch „anogenitale Warzen“). Dies spricht dann eher für
eine Impfung mit Gardasil 9, auch wenn der Schutz vor HPV 16/18-Infektionen im Rachenraum
bei Gardasil 9 noch nicht so gut gesichert ist wie für Cervarix. Dabei ist zu bedenken, dass auch
Gardasil 9 keinen sicheren Schutz vor Genitalwarzen bieten kann, denn es mag sein, dass man
zum Zeitpunkt der Impfung schon mit den betreffenden HPV-Typen infiziert ist, ohne das zu
merken. Da bei Analkrebs auch häufiger als bei Rachenkrebs (wenn auch seltener als beim
Gebärmutterhalskrebs der Frauen) andere HPV-Typen als HPV 16/18 beteiligt sind, kann auch
insofern das breitere Typspektrum von Gardasil 9 von Nutzen sein.
Ein weiterer Aspekt ist aber auch der Schutz der privaten Partnerin – Kondome schützen
bekanntlich nur bedingt vor HPV. Männer, die als Freier unterwegs sind, müssen damit
rechnen, dass sie sich auch mit seltenen oder „exotischeren“ HPV-Typen anstecken können –
zum Beispiel als Schmierinfektionen sogar beim kondomgeschützten GV oder AV. Sei es, weil
sie FSW aufsuchen, die selbst aus Ost- oder Südostasien stammen, wo regional HPV 52 (statt
HPV 16) den häufigsten krebserregenden HPV-Typ darstellt, sei es, weil sie mit einer
europäischen FSW verkehrten, die Kundschaft aus Ost-/Südostasien hat oder viele deutsche
Sextouristen, die auch in Asien verkehren.
Freier könnten also ihre privaten Partnerinnen durch diese (in Europa) seltenen
krebserregenden HPV-Typen gefährden, falls sie sich im Paysex daran infizieren. Auch wenn
also heterosexuelle Freier persönlich wenig von dem breiteren Impfspektrum von Gardasil 9
(einmal abgesehen vom Schutz vor Genitalwarzen) im Vergleich zu Cervarix profitieren können,
könnte eine Impfung der Freier mit Gardasil 9 deren Partnerinnen ein klein wenig mehr nutzen
als die Impfung mit Cervarix.
-48-
Pro Cervarix:
● höhere Antikörpertiter gegen HPV 16 und 18; damit verbundener Zusatznutzen aber unklar
(ggf. auf viele Jahre gesehen länger anhaltender Impfschutz)
● da die Antikörpertiter in der Mundflüssigkeit eng mit den Antikörpertitern im Serum
korrelieren (laut einer Studie mit Gardasil bei mittelalten Männern), ist anzunehmen, dass
die Cervarix-Impfung zu durchschnittlich höheren Antikörperkonzentrationen in der
Mundflüssigkeit führt, was – angesichts der durch Verdünnungseffekte im Vergleich zum
Serum viel geringeren Antikörperkonzentrationen auf der Mundschleimhaut bzw. in der
Mundflüssigkeit – für das Ausmaß des Schutzeffektes im Mund-Rachen-Raum
durchaus von Relevanz sein könnte
● die hohe Wirksamkeit gegen HPV 16/18-Infektionen im Mund-Rachen-Raum auch bei
„verspäteter“ Impfung ist durch eine Studie mit jungen erwachsenen Frauen (Costa Rica
Vaccine Trial) bereits gesichert (im Gegensatz zu Gardasil, wo entsprechende Daten fehlen) --bedeutsam vor allem bei ungeschütztem Lecken (Cunnilingus) von Freiern bei FSW
Pro Gardasil 9:
● Schutzeffekt gegenüber Genitalwarzen (sofern noch nicht infiziert); Risiko bei Freiern am
Penis (vor allem den basalen, nicht kondomgeschützten Anteilen), am Hodensack und ggf. anal;
seltener (aber möglich) im Mundraum
● sexuelle Praktiken im Analbereich des Freiers sprechen eher zugunsten von Gardasil 9
● wegen des verminderten Risikos für anale Anogenitalwarzen
● wegen des breiteren Typspektrums, das allerdings anal keine so große Rolle
spielt, da Analkrebs stark von HPV 16/18 dominiert wird (besonders HPV 16)
● etwas höherer Schutzeffekt für die private(n) Partnerin(nen) vor allem cervikal/genital
gegenüber „aus dem Paysex mitgebrachten HPV-Infektionen“ wegen des etwas breiteren und
„internationaleren“ Wirkungsspektrums von Gardasil 9 (einschl. Genitalwarzen)
Bei erwachsenen Männern sind immer drei Impfdosen erforderlich!
Die dritte Impfdosis dient dabei aber vor allem der langfristigen Sicherung des Impferfolges.
Spätestens 2 Wochen nach der zweiten Impfdosis kann die Mehrzahl der geimpften Männer
davon ausgehen, im Serum so gute Antikörpertiter entwickelt zu haben, dass sie z.B. beim
Cunnilingus bei FSW dann gut geschützt sind. Wie bereits in einer Studie mit Gardasil an
mittelalten Männern gezeigt, korrelieren die Antikörpertiter in der Mundflüssigkeit eng mit
jenen im Serum, wenn auch – durch Verdünnungseffekte – auf einem erheblich niedrigeren
absoluten Niveau.
-49-
1.2 Rauchen
Rauchen erhöht das Risiko für viele Krankheiten, darunter mehrere Krebsarten (besonders
Lungenkrebs, Mund-Rachen-Krebs, aber auch viele andere Krebse, z.B. der Niere, Harnblase,
Harnwege), Lungen- und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Lebenslanges starkes Rauchen kostet bis
zu 10 Jahre Lebenserwartung. Die gesundheitlichen Schäden durch Rauchen sind im
Durchschnitt also weitaus höher als die Risiken durch STDs, die FSW oder Kunden unter den
gesundheitlichen (infektionsepidemiologischen) Rahmenbedingungen in Deutschland zu
erwarten haben. Rauchen ist so gesehen eigentlich der mit Abstand gefährlichste Aspekt der
Sexarbeit in Deutschland, vor allem auch für FSW selbst, da Sexarbeit viele bisher
nichtrauchende Frauen zum Rauchen animiert und den Zigarettenkonsum von ohnehin schon
rauchenden Frauen weiter steigert und sie damit immer tiefer in die Nikotinsucht treibt. Auch
elektrische Zigaretten sind nicht risikolos (Krebsrisiko durch eingeatmete Giftstoffe), aber wohl
immerhin deutlich risikoärmer. Und die Luftqualität in manchen Clubs zwingt die Nichtraucher
unter den FSW und Kunden zum Passivrauchen.
Rauchen erhöht aber auch das Risiko für Harnwegsinfekte und STDs: es schwächt die lokale und
allgemeine Immunabwehr und erhöht damit direkt das Risiko bzw. die Infektanfälligkeit für
verschiedene bakterielle STDs (wie Chlamydien und Gonorrhoe), aber auch für HPV, sowohl
genital, anal und im Mund-Rachen-Raum. Es verringert auch die Chance, dass eine HPVInfektion durch die eigene Abwehr überwunden werden kann (HPV-Clearance), und erhöht
damit auch die Risiken für HPV-bedingten Krebs. Daher wird beispielsweise Frauen mit
cervikalen Dysplasien empfohlen, das Rauchen einzustellen, um die Chancen auf eine spontane
Abheilung der Dysplasie (zur Vermeidung einer Konisation) zu erhöhen. Analoges ist für die
HPV-Risiken anzunehmen, denen Männer unterliegen.
Bei HPV-Infizierten erhöht Rauchen die Virusausschüttung (d.h. Virusmenge) und damit das
Infektionsrisiko für Sexualpartner. Das gilt für alle von HPV befallene Körperstellen. Wenn FSW
rauchen, erhöht sich dadurch beispielsweise das Risiko, dass sich Freier durch ungeschützten
Cunnilingus in ihrem Mund-Rachen-Raum mit HPV 16 infizieren können.
Rauchen fördert außerdem Zahnfleischentzündungen und Zahnbetterkrankungen im Mund –
und erhöht daher Infektionsrisiken bei ungeschütztem Oralverkehr, weil auf diese Weise die
natürliche Schleimhautbarriere geschwächt wird und im Extremfall (bei Aufnahme HIV-haltiger
Körperflüssigkeiten, z.B. beim Lecken bei einer HIV-infizierten Frau während der Menstruation)
mehr Zielzellen vor Ort wären, die HIV direkt infizieren könnte.
1.3 Untersuchungen (Freier)
● Kritische Eigenuntersuchung der eigenen Genitalregion, auch angrenzenden Haut (sowohl vor
dem Besuch bei einer FSW sowie in den Tagen/Wochen danach).
Bei verdächtigen Veränderungen, Schmerzen oder Ausfluss zum Arzt!
-50-
● Kritische Eigenuntersuchung der Mundregion vor allem wenn ungeschütztes Lecken bei FSW
betrieben wurde (bei verdächtigen, z.B. geschwürigen Veränderungen an der Mundschleimhaut
zum Arzt). Ggf. muss dann ein syphilitischer Primäraffekt ausgeschlossen werden (am
wahrscheinlichsten ist aber Herpes).
● Sollte ein Mann einige Tage nach Sex mit einer FSW (auch wenn dieser safer erfolgte)
Beschwerden im Bereich der Harnröhre verspüren (Brennen, Stechen, Schmerzen beim
Wasserlassen/starken Pinkelreiz, womöglich weißlicher, gelblicher oder eitriger Ausfluss oder
starke Rötung und Schwellung am Harnröhrenausgang), sollte er auf jeglichen Sex verzichten
(Ansteckungsgefahr für Partnerin!) und zu einem Arzt (Hausarzt, Urologen, auch
Hautarzt/Venerologen) gehen. Es könnte sich um eine Infektion mit Gonokokken, Chlamydien,
aber auch Mykoplasmen, eventuell aber auch unspezifischen Erregern handeln, die sich an die
Schleimhaut des Harnröhrenausgangs geheftet und diese Region besiedelt hatten, und dann in
der Harnröhre aufgestiegen sind und diese entzündet haben. Auch Pilzinfektionen sind möglich.
Dies gilt auch dann, wenn der GV geschützt erfolgte. Die Infektionserreger können auch
unabhängig vom GV an den Harnröhrenausgang gelangt sein, z.B. durch Schmierinfektionen
beim Vor- oder Nachspiel, durch Berührung der Region nach dem Abziehen des Kondoms mit
kontaminierten Fingern, und vor allem beim ungeschützten Oralverkehr, da diese Keime auch
(völlig unbemerkt) im Rachen siedeln können und man davon ausgehen muss, dass jedenfalls
einige Prozent der FSW solche Keime wie Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen im
Rachen tragen, wenn sie häufig ungeschützt Fellatio betreiben oder im Rahmen von
Lesbenspielen bei Kolleginnen lecken. Dabei ist in absteigender Reihenfolge von Gonokokken
(am häufigsten), Mykoplasmen/Ureaplasma, Chlamydien und (sehr selten) Syphilis auszugehen.
Für die FSW sind diese Keime (mit Ausnahme von Syphilis) im Rachenraum eigentlich belanglos
(weil meist asymptomatisch und oft nach Wochen oder Monaten spontan ausheilend), sie
können aber beim Oralverkehr auf den Penis, konkret auf die Schleimhaut des
Harnröhrenausgangs, übertragen werden. In einer Studie aus Japan galt ungeschützter OV mit
FSW als häufigste Ursache für solche Infektionen beim Mann. Da die Keime vor allem den
Rachen besiedeln, ist zu vermuten, dass Deep Throat mit einem größeren Risiko für die Männer
verbunden ist als sanftes Anblasen mit Lippen oder Zunge. In einer Umfrage in einem
Freierforum gaben ein Viertel bis ein Drittel aller Teilnehmer an, schon mindestens einmal nach
FO mit einer FSW solche Probleme/Beschwerden gehabt zu haben.
Wenn man nun berücksichtigt, dass nach den sehr spärlichen hierzu vorhandenen Daten davon
auszugehen ist, dass 5 bis 10 % (und eventuell sogar mehr) derjenigen FSW, die FO betreiben,
STI-Keime (wie Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen) im Mund-Rachen-Raum tragen (mit
primärem Sitz der Infektion im Rachen), die beim Freier zu akuten oder chronischen
Harnwegsinfektionen führen können, so scheint das Pro-Akt-Infektionsrisiko (pro einzelnes FO)
für den Freier allerdings nicht sehr hoch zu sein, d.h. der Infektionsweg scheint nicht sehr
effektiv zu sein. Anderenfalls hätten schon mehr als ein Viertel bis ein Drittel der Freier davon
betroffen sein müssen (ausgehend von der Annahme, dass Freier, die in Freierforen aktiv sind
und dort auch an Umfragen teilnehmen, häufige Kontakte mit FSW haben). Aber das Risiko
besteht, und theoretische Überlegungen sprechen dafür, dass dieses Risiko beim Deep Throat
besonders hoch ausfällt.
-51-
Kunden sollten sich auch nicht sicher fühlen, wenn die FSW regelmäßig untersucht werden (es
besteht keine Pflicht zur Untersuchung!). Nur manche Untersuchungsabläufe umfassen auch
Rachenabstriche oder Spül-Gurgel-Proben, und auch dann weiß der Kunde nicht, ob in diesen
Fällen auf alle relevanten Keime untersucht wurde.
Problematisch ist auch, dass nicht alle Infektionen beim Mann symptomatisch werden.
Gonokokken führen zwar beim Mann zu mehr als 90 %, Chlamydien aber nur in ca. 50 % der
Fälle zu akuten Symptomen, Mykoplasmen/Ureaplasmen eher noch seltener. Chronische
Infektionen werden nicht bemerkt, der Mann kann aber seine private Partnerin anstecken und
dann in Erklärungsnöte kommen, vor allem drohen aber Spätfolgen von nicht erkannten und
nicht behandelten Infektionen bis hin zur Unfruchtbarkeit und möglicherweise langfristig
gesehen auch Prostatitis und Prostatakrebs, wenn die Prostata von den Erregern befallen wird
und sich chronisch entzündet.
Kritisch für Freier ist auch, dass in vielen Infektionsfällen (je nach Erreger) die private Partnerin
eigentlich mitbehandelt (und insofern auch informiert) werden muss, sofern es seit dem
vermuteten Infektionsereignis (bei einer FSW) zu risikobehafteten sexuellen Handlungen
zwischen Kunde und privater Partnerin kam, und für einige Tage Sexkarenz einzuhalten ist. Die
Probleme derartiger Infektionen liegen somit für die Freier weniger im rein medizinischen
Bereich (wo die Infektionen, mal abgesehen von zunehmenden Antibiotikaresistenzen
insbesondere bei Gonokokken, eigentlich gut beherrschbar sind) als im außermedizinischen
Bereich (Sexkarenz, Partnerinformation, Partnerbehandlung).
● HIV-Tests (► ANLAGE 6)
Die Frage, ob sich Freier regelmäßig auf HIV testen lassen sollten, ist nicht pauschal zu
beantworten. Der Freierstatus an sich stellt für sich alleingenommen in Deutschland kein
spezielles HIV-Risiko dar, wenn die Prinzipien des Safer Sex effektiv eingehalten werden,
abgesehen davon, dass auch FSW ihrerseits in Deutschland keine HIV-Risikogruppe
repräsentieren, es sei denn, es gibt (ggf. für den Kunden nicht erkenn- oder vermutbare) Risiken
vor allem außerhalb der unmittelbaren Sexarbeit.
Aktuelle Leitlinie zu HIV-Tests:
http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/HIVDiagnostik_Bundesgesundheitsblatt_2015.pdf;jsessionid=5A707B46D880FCE8F2B585B7AA715
BAD.2_cid390?__blob=publicationFile
Von HIV-Heimtests (mit einem Tropfen Blut oder Speichel) ist abzuraten. Die Abgabe solcher
Tests an Privatpersonen war bis vor kurzem in Deutschland nicht zugelassen (inzwischen
aufgehobener § 11 Absatz 3a Medizinproduktegesetz); sie waren und sind aber über das
Ausland erhältlich. Risiken sind Anwendungsfehler, unklare und auch „falsche“ Ergebnisse, zum
Beispiel falsch-positive Ergebnisse, die eine Infektion vortäuschen, auch wenn gar keine besteht
– also „Fehlalarm“.
-52-
In jedem Fall sind die Resultate eines solchen Tests aber mit Vorsicht zu betrachten und durch
einen offiziellen (ärztlichen) Test zu überprüfen. Die Empfindlichkeit dieser Tests ist so
eingestellt, dass sie eher „zu viele“ als „zu wenig“ HIV-Infektionen entdecken, d.h. es ist eher
mit „Fehlalarm“ zu rechnen, der die Anwender unnötig in Panik versetzt. Wer dennoch solche
Tests nutzt, sollte sich bereits vor Testdurchführung informiert haben, wo er ein eventuelles
positives oder unklares Testergebnis rasch und ohne Wartezeiten überprüfen lassen kann, um
schnell Klarheit zu bekommen und lange Phasen der Unsicherheit zu vermeiden (es gibt auch
„ärztliche“ Schnelltests, wo man ein zuverlässiges Ergebnis in einer halben Stunde oder
schneller erhält).
● HPV-Tests (wegen HPV-16-Infektionen im Rachen)
Wer häufig ungeschützt bei FSW geleckt hat, könnte ein erhöhtes Risiko für HPV-bedingten
Rachenkrebs aufweisen (z.B. an den Mandeln oder am Zungengrund). Einem solchen Krebs geht
eine persistierende HPV-Infektion (typischerweise HPV 16) im Mund-Rachen-Raum voraus. Auf
diesen HPV-16-Befall kann man sich testen lassen (Spül-Gurgel-Probe und/oder Abstrich),
anschließend Untersuchung der Probe in einem medizinischen Labor (wobei aber nur manche
Labore solche Untersuchungen anbieten).
Von einem persistierenden Befall kann man aber erst ausgehen, wenn das Virus mindestens ein
Jahr später immer noch nachweisbar ist. Dies bedeutet dann immer noch nicht, dass man Krebs
bekommt – man gehört dann aber zu einer Risikogruppe. Es befinden sich Antikörpertests in
Entwicklung, mit denen sich die Personen, die ein hohes Risiko haben, in den nächsten Jahren
einen solchen Krebs zu entwickeln, frühzeitig identifizieren lassen werden. Ein solcher Test
steht bereits zur Verfügung (PrevO-Check), der Vorhersagewert des dort erfassten Antikörpers
(HPV-16-L1) in Bezug auf die zukünftige Entwicklung eines Mund-Rachen-Krebses ist allerdings
noch recht niedrig (für Männer dürfte er aber höher ausfallen als für Frauen). Wesentlich
spezifischer werden Tests auf HPV-16-E6-Antikörper oder eine Kombination mehrerer
Antikörper sein, die allerdings zur Zeit noch nicht auf dem Markt sind. Wer zu einer
Risikogruppe gehört (d.h. Nachweis einer persistierenden HPV-16-Infektion im Rachen und
zusätzlich Antikörper-Nachweis im Blut, vor allem gegen HPV-16-E6), sollte sich in regelmäßigen
Zeitabständen von einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt untersuchen lassen (Inspektion von Rachen,
Mandeln, Zungengrund), um Veränderungen rechtzeitig zu erkennen. Es wäre auch hilfreich,
das Rauchen einzustellen.
Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass bei sehr starken Rauchern ein solcher Antikörpertest einen
schwächeren Vorhersagewert haben könnte als bei Nichtrauchern oder weniger starken Rauchern, weil
starkes Rauchen aufgrund seiner Auswirkungen auf die Immunkompetenz die Ausbildung von E6Antikörpern unterdrücken könnte. Mit anderen Worten: obwohl die Infektion zum Krebs fortschreitet
und das E6-Gen des HPV-Virus abgelesen und in Proteine umgewandelt wird, bilden sich aufgrund der
geschwächten Immunkompetenz keine Antikörper gegen E6, und ein E6-Antikörpertest kann in diesen
Fällen dann nicht aufdecken, dass sich im Körper eine kritische HPV-Infektion befindet, die sich in
Richtung Krebs entwickelt. Das erhöhte Risiko, dem die betreffende Person unterliegt, wird übersehen
und sie wird nicht in ein HNO-ärztliches Früherkennungsprogramm integriert.
-52a-
Eine ausführlichere Diskussion dieser Testverfahren und eventueller Konsequenzen findet sich
hier:
http://freepdfhosting.com/f2aa6824cb.pdf
sowie ein Ablaufschema hier in der Anlage 8
dort: Anlage 12
-53-
● Syphilis-Test
Freier unterliegen einem leicht erhöhten Risiko für Syphilis-Infektionen. Nach einer
umfangreichen Studie des Robert-Koch-Instituts weisen 1 % aller FSW eine potenziell infektiöse
Syphilisinfektion auf (KABP-Surv-STI-Studie 2010/2011). Die Quote ist möglicherweise zu hoch
gegriffen, was den Anteil tatsächlich infektiöser FSW anbelangt, denn in vielen Fällen ist nicht
ganz klar, ob die betreffende FSW (noch) infektiös ist oder nicht.
Viele FSW bemerken ihre Syphilisinfektion nicht, bis sie zufällig durch einen Bluttest festgestellt
wird. Dasselbe gilt für Freier; es findet sich keinesfalls immer ein typischer Primäraffekt am
Penis oder (z.B. nach ungeschütztem Lecken) an Lippen oder Zunge, oder der Primäraffekt kann
Herpes oder eine einseitige Mundwinkelrhagade vortäuschen. Jedenfalls werden viele frische
Syphilisinfektionen nicht als solche erkannt, weil sie entweder gar keinen sichtbaren
Primäraffekt entwickeln, oder dieser vom Betroffenen fehlgedeutet wird.
Kondome bieten keinen sicheren Schutz, da die Infektion auch über Haut-zu-Haut- oder Hautzu-Schleimhaut-Kontakte an der Penisbasis oder gar in seiner Umgebung (z.B. Leistengegend)
erfolgen kann (einer der Gründe für die „kleine“ oder „erweiterte Penisantisepsis“ auch nach
kondomgeschütztem GV). Auch ungeschütztes Lecken und sogar Zungenküsse bieten
Infektionsrisiken; Primäraffekte sind hoch infektiös.
Auch wenn das Syphilis-Infektionsrisiko für Freier in Deutschland, West- und Mitteleuropa
absolut gesehen gering ist, ist es doch real und wesentlich größer als das HIV-Risiko. Nach
Angaben des Robert-Koch-Institutes infizierten sich im Jahr 2015 etwas mehr als 100 Männer in
Deutschland bei FSW. Die Zahl könnte unterschätzt sein, falls nicht alle Männer, die sich
wahrscheinlich bei einer FSW infiziert hatten, dies auch so angaben. Auch bemerken viele
Männer die Infektion gar nicht, und ohne gezielte Bluttests wird sie nie oder erst, wenn schon
Spätsymptome vorhanden sind, diagnostiziert. Nach vielen Jahren oder Jahrzehnten ist es dann
schwierig, den Infektionszeitraum und die Infektionsquelle zu eruieren. Mit anderen Worten:
wenn über 100 Infektionen bei heterosexuellen Freiern gemeldet wurden (anonyme
Labormeldepflicht, also keine Angst! Die Meldung erfolgt anonym durch das Labor!), dann ist
von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen.
Syphilis spielt also in der heterosexuellen Sexarbeit in einer vergleichsweise deutlich höheren
Risikoliga als HIV. Hoch aktive Freier sollten sich daher – je nach Häufigkeit und Ausmaß der
Risikoexposition – gelegentlich auf Syphilis testen lassen.
Es gibt inzwischen auch sehr zuverlässige Schnelltests und (ggf. über das Ausland beziehbare)
Heimtests. Diese gelten als weit weniger problematisch als HIV-Heimtests. Allerdings können
Schnelltests nicht zwischen aktiven, behandlungsbedürftigen Infektionen und Seronarben ohne
Handlungsbedarf unterscheiden, so dass sich bei einem positiven Schnell- oder Heimtest in
jedem Fall unbedingt eine ärztliche Routine-Labordiagnostik anschließen muss. Wer damit
nicht zum Hausarzt gehen will, kann die STD-Beratungsstelle eines Gesundheitsamtes hierfür
(auch anonym!) aufsuchen.
-54-
● Helicobacter-Test
Wer ungeschützt Zungenanal betreibt oder in Analnähe leckt, sollte sich auch mal auf
Helicobacter pylori testen lassen – ein Erreger von Magenschleimhautentzündungen,
Zwölffingerdarmentzündungen, aber auch Magen- und möglicherweise auch Darmkrebs. Durch
eine Kombination aus Antibiotika und Protonenpumpenhemmern lässt sich der Keim meistens
eradizieren, die gleichzeitig Einnahme von Probiotika kann dabei unterstützend helfen. Auch
Zungenküsse (Speichel) werden als Übertragungsweg für Helicobacter für wahrscheinlich
gehalten.
● STD-Beratungsstellen der Gesundheitsämter
Auch wenn sie eine klassische Anlaufstelle für FSW darstellen, sind die STD-Beratungsstellen
der Gesundheitsämter üblicherweise auch für die Allgemeinbevölkerung und damit auch für
Freier zugänglich, um sich beraten oder ggf. untersuchen zu lassen – z.B. falls sie sich nicht
ihrem Hausarzt offenbaren wollen.
Informationen zu Angebot und Zeiten der Beratungsstellen (und eventuellen Kosten für
Zusatzleistungen) können telefonisch oder auf den Internetseiten der jeweiligen
Gesundheitsämter / Städte / Kreisverwaltungen eingeholt werden.
Auch andere Institutionen bieten Beratungen und Informationsmaterial an (z.B. AIDS-Hilfen).
Dieses Angebot ist aber von Ort zu Ort eher unterschiedlich. Eine erste Anlaufstelle in der
Region ist daher immer das Gesundheitsamt, bei dem man sich auch über alternative
Untersuchungs- oder Beratungsmöglichkeiten informieren kann, zumal Gesundheitsämter in
der Region gut vernetzt sind.
1.4 Sexuelles Selbstbestimmungsrecht
Kunden sollten sich des sexuellen Selbstbestimmungsrechts der FSW bewusst sein. FSW können
und dürfen jederzeit Freier oder auch bestimmte Sexualpraktiken ablehnen. Dazu gehört auch,
Schutzmaßnahmen einzufordern (z.B. Kondome).
Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht gilt auch für FSW in jeder Situation und findet nur dort
seine Grenzen, wo andere gefährdet werden und nicht ausdrücklich in ein erkennbares Risiko
einwilligen. Niemand, auch kein „Vorgesetzter“/Clubbesitzer, darf eine FSW zu bestimmten
Sexpraktiken (oder z.B. zum Verzicht auf Kondome) zwingen. Wenn es um Sexpraktiken geht,
haben die Betreiber also kein Weisungsrecht.
Rechtliche Informationen finden sich in der Broschüre:
-55-
„Gute Geschäfte – Rechtliches ABC der Prostitution“
http://www.highlights-berlin.de/gg_05.pdf (oder über Google suchen)
1.5 Freier oder FSW, die einen negativen HIV-Test vorlegen
Ein negativer HIV-Test sagt nichts Aktuelles aus, da er den Infektionsstatus (je nach
verwendetem Testverfahren) 6 Wochen bis 3 Monate vor Testdurchführung abbildet. Nur ein
Teil der Infektionen wird auch schon früher (d.h. unter 3 Monaten) erfasst – wie groß dieser
Anteil ist, hängt von Details der Testmethodik ab. Bei modernsten Kombinationstests der 4.
Generation (und bei Bedarf Verifizierung mit PCR-Test) kann schon nach 6 Wochen ein fast
sicheres Ergebnis erzielt werden – aber eben nicht mit Schnelltest. 100%ig sicher verlassen
kann man sich auf die „frühe Entdeckung“ jedenfalls nicht, auch abhängig vom Vorliegen in
Europa sehr seltener HIV-Subtypen, die erst später entdeckt werden können. Allerdings geht
man inzwischen davon aus, dass man die Wartezeit nach einem Risikoereignis von bisher 12 auf
6 Wochen verkürzen kann, wenn hochwertige ärztliche Kombinationstests zum Einsatz kommen
(minimale Restrisiken für ein falschnegatives Ergebnis bleiben dann aber).
Von frisch Infizierten, die noch keine Antikörper gebildet haben und bei denen ein frischer
konventioneller HIV-Test daher negativ ausfallen würde, geht sogar ein 10 bis 100 mal höheres
Infektionsrisiko aus als von Personen mit positivem HIV-Test (aber ohne Therapie) und ein 100
bis 1000 mal höheres Risiko als von Personen mit positivem HIV-Test und effektiver
antiretroviraler Therapie. Die Vorlage eines negativen HIV-Tests ist daher kein Grund auf
Kondome zu verzichten.
Sexparties (z.B. AO-Gangbangs, „Tabulos“-Parties), auf denen Männer mit negativem HIV-Test
(eventuell frisch vor Ort durchgeführt) ohne Kondom GV/AV praktizieren dürfen, sind für alle
Seiten (FSW, Kunden) als hoch riskant einzustufen, da hier Personen mit hohen Risiken und
hoher Risikobereitschaft aufeinander treffen und miteinander interagieren. Wobei man
annehmen kann, dass manche Beteiligte öfters solche Veranstaltungen aufsuchen. Daher ist
davon auszugehen, dass regelmäßige Teilnehmer solcher Gangbangs auch mit sehr hoher
Wahrscheinlichkeit (bemerkt oder unbemerkt) mit Herpes simplex Typ 2 (HSV-2) infiziert sind,
was die Empfänglichkeit für STIs wie z.B. HIV um ein Mehrfaches erhöht, bei bereits HIVInfizierten aber auch deren Infektiosität (Virusausschüttung) verstärkt.
Tests, die schon sehr früh anschlagen (Nukleinsäure-Nachweise wie PCR-Tests), sind aufwendig
und teurer, das Ergebnis ist nicht sofort verfügbar, und kommen daher weder als Heimtests
noch bei solchen Veranstaltungen zum Einsatz. Auch auf sie ist aber nicht 100%ig Verlass
(diagnostische Lücken sind sogar bei Kombination von zwei grundlegend unterschiedlichen
Testverfahren immer noch möglich, wenn auch weniger wahrscheinlich) (► ANLAGE 6).
-56-
Um Diskriminierungen oder unangemessenes Verhalten von Freiern gegenüber FSW zu
vermeiden: FSW gelten (als solche) zur Zeit in Deutschland nicht als eine Risikogruppe für HIV!
Überdurchschnittliche HIV-Risiken bei FSW können sich aber aus Risiken ergeben, die nicht
direkt mit der Sexarbeit zu tun haben, wie z.B. eigene i.v.-Drogensucht oder eine solche Sucht
beim privaten Partner, sei er nun in Deutschland oder im Heimatland; Herkunft (selbst oder
Partner) aus einem Land mit hoher heterosexuellen HIV-Verbreitung. Das sind alles Faktoren,
die der Freier selbst nicht immer erkennen kann.
1.6 Auswahl risikoarmer Settings
Freier sollten sich Settings/Locations aussuchen, von denen bekannt ist, dass dort (weitgehend)
safe gearbeitet wird (ggf. Internet recherchieren, Freierforen usw.). Auch die Angebotsprofile
(Sedcards) der FSW in Internetportalen oder auf Homepages von Clubs können Hinweise auf
deren Risikobereitschaft geben.
Da Kondome keinen 100%-Schutz bieten, sondern – je nach Art des STD-Keimes – nur eine
mehr oder weniger große Risikoreduktion, geht ein Freier in Settings, in denen kondomfreier
Sex häufig oder üblich ist, selbst dann ein höheres Risiko ein, wenn er selbst Kondome benutzt
(die trotz Kondomnutzung verbleibenden Restrisiken sind dann einfach größer).
Mit Inkrafttreten des ProstSchG in Deutschland wird allerdings diese Auswahl erschwert.
Offiziell darf dann kein ungeschützter GV, AV oder Oralverkehr mehr betrieben werden. Es darf
nach § 32 (3) auch keine Werbung mehr für ungeschützte Praktiken (einschließlich FO) erfolgen.
Auch in Internetforen werden entsprechende Berichte dann nicht mehr erlaubt sein, bzw.
umgehend gelöscht werden. Der Markt wird damit wesentlich intransparenter, womit bezweckt
wird, dass Freier nicht mehr so einfach Zugang zu ungeschützten Sexpraktiken finden.
Im Umkehrschluss können sich dann aber auch Freier, die solche Settings, an denen
ungeschützter Sex weiterhin inoffiziell (und illegal) betrieben wird, gezielt meiden wollen, nicht
mehr informieren. Für sie kann das Risiko (in Form des Restrisikos, das auch bei Verwendung
von Kondomen besteht) daher sogar steigen.
Auch wenn sich die FSW regelmäßig freiwilligen Untersuchungen unterziehen, ist dies eine
Maßnahme der Risikoreduktion, die auch einem auf safer Sex orientierten Freier zugute
kommt, da Schmierinfektionen mancher typischer STD-Keime zum Beispiel beim Vor- oder
Nachspiel, versehentlichen genitalen Berührungen oder im Extremfall sogar über
Bettwäsche/Tücher usw. denkbar sind. Clubs oder andere Settings, die ihren FSW solche
Untersuchungsmöglichkeiten anbieten, sind somit von Vorteil für risikoorientierte Freier.
-57-
2 Sexpraktikenbezogene Aspekte
2.1 Gesundheitszustand der FSW
● Sollte dem Kunden in der Genitalregion der FSW etwas Ungewöhnliches auffallen (Ausfluss
ohne erkennbare Ursache dafür; Geschwüre, Entzündungen, Wunden, Eiter, Genitalwarzen,
unangenehmer Geruch usw.), sollte er an die Möglichkeit einer STD denken und besondere
Vorsicht walten lassen (z.B. Verzicht auf ungeschütztes Lecken; Vermeidung von
Schmierinfektionen durch Keimübertragungen z.B. mit den Fingern usw.) oder ganz auf Sex
verzichten. Nicht jeder unangenehme genitale Geruch ist allerdings gleich ein Zeichen für eine
echte STD (eher Dysbiose oder Pilzinfektion).
● Abschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands: fiebrig, krank, Husten, Hautausschläge,
geschwollene Lymphknoten? (muss nicht STD-bedingt sein, als Kunde will man sich aber auch
nicht an anderen Krankheiten anstecken). Erschöpfung und Mattigkeit können aber auch ein
Zeichen für Überarbeitung und Schlafmangel sein.
2.2 Kundenhygiene (vor dem Sex)
(Die nachfolgend erwähnten Maßnahmen liegen primär im Interesse der FSW):
Im Idealfall sollte der Kunde vor dem sexuellen Kontakt mit der FSW duschen oder wenigstens
Penis und angrenzende Genitalregion mit pH-neutraler Seife/Duschlotion unter fließendem
Wasser waschen. Die basalen Penisabschnitte und deren Umgebung werden schließlich nicht
vom Kondom geschützt. Möglicherweise kommt es zu ungeschütztem Oralverkehr (in
Deutschland ab 1.7.2017 aber untersagt). Waschen mit Seife und fließendem Wasser führt
bereits zu einer erheblichen Keimreduktion. Wichtig ist dabei auch das vorsichtige, aber
gründliche Waschen der Innenseite der Vorhaut, die ein erhebliches Keimreservoir darstellt.
Smegma
Besondere Aufmerksamkeit ist dem Smegma zu widmen, einer käsigen oder seifigen Substanz
unter der Vorhaut, besonders zwischen Vorhaut und Eichelansatz. Sie besteht aus Talg aus
Talgdrüsen, abgestorbenen Epithelzellen, Urin- und ggf. Spermaresten und wird im Laufe der
Zeit bakteriell zersetzt, was zu einem sehr unangenehmen, strengen und üblen Geruch und
Geschmack führt. Vor allem wer FO plant (in Deutschland ab 1.7.2017 untersagt), sollte peinlich
genau darauf achten, dass es keine Smegmareste gibt. Hierzu müssen vor dem Sex die
Vorhautinnenseite, Vorhautansatz und Eichel mindestens mit lauwarmem Wasser, besser auch
mit Seife bzw. einer Seifen- und Duschlotion gründlich gewaschen werden (Vorhaut
zurückziehen).
-58-
Die Seifen-/Duschlotion sollte schonend und hautfreundlich, also pH-neutral sein (pH-Wert 5,5
– 6,5), um den natürlichen Säureschutzmantel nicht zu zerstören. Als ideal gelten
unparfümierte Präparate, die auch für die Säuglingspflege eingesetzt werden, da sie wegen der
empfindlichen Säuglingshaut besonders hautschonend sind.
(Wenn nach dem Sex „aggressivere“ Mittel wie Schleimhautantiseptika hier zum Einsatz
kommen, ist das zwar für den Hautschutz ebenfalls nicht günstig, aber dann hat die Antisepsis
zur Deaktivierung von STD-relevanten Bakterien und Viren Priorität vor dem Hautschutz. Vor
dem Sex ist ein so „aggressives“ Vorgehen aber nicht nötig und kontraproduktiv – hier sollte
dem Hautschutz Priorität eingeräumt werden, und daher mit milden, pH-neutralen, möglichst
auch unparfümierten Seifen-/Duschlotionen gearbeitet werden.
Wegen der schleimhaut-/hautreizenden Wirkung eventueller antiseptischer Maßnahmen nach
dem Sex ist dann später – wenn kein Sex mit Kondom mehr erfolgt – auch eine Rückfettung
erforderlich – mit möglichst unparfümierten oder wenig parfürmierten Mitteln, z.B. mit
Babyöl). Erfolgte nach dem Sex nur eine HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung, ist eine
Rückfettung nicht erforderlich.
Wurde längere Zeit (mehrere Tage) keine ausreichende Intimhygiene in diesem Bereich
betrieben, kann das Smegma so hart oder klebrig werden, dass ein kurzes Waschen/Abduschen
nicht mehr ausreicht, alle Smegmareste zu entfernen. Dann kann auch ein weicher (nicht
scheuernder!) Waschlappen helfen.
Daher sollten Freier, die nicht sowieso regelmäßig „Penishygiene“ betreiben, schon in den
letzten Tagen vor einem geplanten Besuch bei einer FSW (ganz besonders falls sie FO planen)
mit der täglichen Penisreinigung beginnen, oder aber ein Vollbad nehmen, wodurch sich die
alten Smegmareste (die ja eine käsige oder seifige Konsistenz haben) allmählich aufweichen
und dann nach dem Vollbad unter fließendem Wasser mit neutraler Seifen-/Duschlotion
abgewaschen werden können.
Alternativ (wenn Waschen nicht möglich ist) oder ergänzend kann die FSW Hautreinigungsoder Hautdesinfektionstücher verwenden, um den Penis zu säubern und die Keimbelastung zu
reduzieren. Wundermittel sind dies aber nicht, und eine Wirksamkeit gegen HPV kann von
diesen Tüchern schon gar nicht erwartet werden. Ansonsten bieten aber vor allem die
Desinfektionstücher durchaus ein Potenzial im Sinne einer möglichen Risikoreduktion –
allerdings nicht gegen Lusttropfen oder entzündliche Sekrete, die später aus der Harnröhre
tröpfeln. Gerade von diesen gehen aber die höchsten Infektionsrisiken für FSW aus. Auch wird
sie mit den Tüchern nicht in der Lage sein, alle Smegmareste effektiv zu beseitigen. Dies ist also
nur eine kurzfristig orientierte Reinigungsmaßnahme, die die Männer nicht von der Pflicht
befreit, zuvor für einen smegmafreien Penis zu sorgen.
Smegma – vor allem altes, sich zersetzendes Smegma – löst auch Entzündungen der Vorhaut,
im Eichelbereich und Harnröhre aus, die dann ihrerseits das Infektionsrisiko erhöhen und
langfristig auch zu Peniskrebs führen können. Die regelmäßige Beseitigung des Smegmas dient
-59-
also auch der STD- und Krebsprävention. Bei beschnittenem Penis wird die Bildung von Smegma
dagegen weitgehend unterdrückt; auch er bedarf aber regelmäßiger Hygiene.
Eine FSW sollte niemals Haut-/Händedesinfektionsmittel auf den Penis kippen (brennt extrem
am Harnröhrenausgang) (So etwas kam schon vor, daher wird hier darauf eingegangen).
Grundsätzlich ist zwar eine Penisantisepsis durch die kombinierte Verwendung von viruziden
Hautdesinfektionsmitteln oder Octenisept (an den Hautanteilen des Penis) und
Schleimhautantiseptika wie Chlorhexidin-Lösung oder ebenfalls Octenisept (an den
Schleimhautanteilen) möglich (► ANLAGE 4). Das Verfahren ist aber komplex und sollte von
dem Mann selbst angewandt werden, und zwar wegen möglichen vorübergehenden
brennenden Gefühls am Harnröhreneingang und der Schädigung des natürlichen
Säureschutzmantels der ortsständigen Mikroflora erst nach dem Sex.
2.3 Richtige Kondomanwendung
Im Routinefall wird der Kunde das Kondom von der FSW applizieren lassen, da sie über mehr
Routine verfügt, das geschickt in das Sexspiel einbauen kann und die Anwendung des Kondoms
damit für den Kunden nicht so belastend wirkt, als wenn er dies selbst übernehmen müsste.
Dies gibt der FSW auch die Sicherheit, es „selbst und richtig“ gemacht zu haben.
1. Prüfung der Verpackung: ist ein kleines Luftpolster zu spüren? Ablaufdatum? Passende
Größe?
Jedes Kondom wird mit einer kleinen Menge Luft eingeschweißt. Ist kein Luftpolster mehr
tastbar, könnte die Verpackung und damit auch das Kondom beschädigt sein. Ein Kondom aus
einer luftleeren Verpackung sollte daher nicht mehr verwendet werden!
2. Verpackung vorsichtig öffnen, um das Kondom nicht zu beschädigen (an der gezackten
Kante vorsichtig einreißen).
3. Kondom aus der Folie herausschieben/-drücken (nicht ziehen oder zerren –
Beschädigung mit Fingernägeln möglich)
4. Der Penis sollte zum Aufsetzen des Kondoms möglichst bereits steif sein
5. Vorhaut (sofern vorhanden) zurückstreifen, Eichel muss freiliegen
6. Die Rolle des Kondoms muss nach außen zeigen.
7. Wurde das Kondom versehentlich falsch herum aufgesetzt (es lässt sich dann nicht
abrollen), darf es nicht mehr herumgedreht, sondern muss verworfen werden (es
könnten sich bereits Lusttropfen und Krankheitserreger an seiner Außenseite befinden)
-60-
8. Den Zipfel des Kondoms (Reservoir) mit zwei Fingern zusammendrücken, um die Luft
herauszudrücken, und so zugedrückt auf den steifen Penis setzen. Im Reservoir darf kein
Luftpolster entstehen (sonst Risiko des Platzens während der Ejakulation)
9. Das Kondom über den ganzen Penis nach unten abrollen, wobei es oben weiterhin
festgehalten werden muss. Nicht ziehen oder zerren. Kondom nicht schon vor dem
Aufziehen auf den Penis entrollen!
10. Ggf. Gleitmittel (öl- und fettfrei; wasser- oder silikonbasiert) applizieren
11. Nach der Ejakulation: Penis aus der Scheide herausziehen, bevor er erschlafft. Dabei
muss das Kondom am Ring (Penisansatz) festgehalten werden, um zu vermeiden, dass
es abrutscht, in der Scheide bleibt und Sperma in die Scheide fließt.
12. Danach Hände und Penis waschen.
Manche FSW sind in der Lage, das Kondom mit dem Mund (Lippen) überzuziehen, ohne dass
der Kunde das meist wahrnimmt. Der Vorgang kann in das „Blasen“ eingebaut werden. Kunden,
bei denen das Kondomaufsetzen oft zu Problemen führt (z.B. Verlust der Erektion), sollten die
FSW darauf ansprechen, ob sie das kann und macht.
Allerdings müssen diese Techniken eingeübt werden; ggf. sollten sich SW das von erfahrenen
Kolleginnen vorführen lassen.
Das Verfahren eignet sich auch bei nicht voll erigiertem Penis (in diesem Fall mit dem oval
angespitzten Mund – nicht mit den Zähnen (!) – das Kondom aufsetzen, das Kondom mit dem
Mund an der Penisspitze festhalten, mit den Fingern sanft abrollen).
Wichtige Anwendungsregeln für Kondome
● Kondome sollten der Penisgröße angepasst sein (falsche Kondomgröße erhöht Risiko für
Kondomversagen stark), wobei die Penisdicke eine größere Rolle spielt als die Länge. Männer
mit vom Durchschnitt weit abweichenden Penisdimensionen (vor allem was die Dicke betrifft)
sollten für sie passende Kondome selbst mitbringen, für den Fall, dass die FSW in ihrem
Kondomsortiment nicht darauf eingerichtet ist. Besonders dünne und vorn spitz zulaufende
Penisse gelten für Standardkondome als problematisch. (Falls die FSW aber selbst die
„passenden“ Kondome dabei hat, sollte sie ihren eigenen Kondomen den Vorzug geben, da sie
nicht sicher sein kann, ob der Kunde die Kondome korrekt gelagert hat).
(Standardkondom: 52 mm „breit“. Individuelle Ermittlung der passenden Kondomgröße: z.B. im
Internet unter Suchstichwort „Kondometer“)
-61-
● Trockene Vagina erhöht das Risiko von Kondomversagen; routinemäßig oder wenigstens bei
Trockenheit Gleitmittel verwenden, die aber unbedingt öl- und fettfrei sein müssen, also
entweder wasserbasiert oder silikonbasiert (abgestimmt auf das Kondom; Packungsbeilage zum
Kondom beachten!)
● Massageöle gefährden die Sicherheit von Kondomen (nach der Massage vor dem Anfassen
von Kondomen die Hände waschen); mit Massageöl eingeriebene Körperabschnitte dürfen
nicht mit Kondomen in Berührung kommen. Wenn eine Massage und danach GV beabsichtigt
ist: es gibt kondomverträgliche Gleitmittel, die sich auch zur Massage eignen, so dass man auf
spezielle Massageöle verzichten kann.
● GV/AV immer und von vornherein kondomgeschützt; nicht „erstmal ohne“ mit nachträglicher
Kondomapplikation; kein Coitus interruptus.
(auch Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakte oder gar Schleimhaut-Haut-Kontakte sind - je nach
Erreger - potenziell infektiös, STD-Übertragung ist nicht an Ejakulation gebunden).
● Bei Wechsel vaginal-anal oder anal-vaginal Kondom wechseln!
● Bei Dreiern (mit zwei Frauen) ebenfalls immer Kondom wechseln!
● Niemals zwei Kondome übereinander anwenden (erhöht Risiko von Kondomversagen)
● Kondome nicht vor dem Aufsetzen auf den Penis entrollen
● Kontakt zwischen ungeschütztem Penis und externen Genitalschleimhäuten der FSW bzw.
Genitalsekreten meiden (Schmierinfektionen von STD-Keimen möglich, auch wenn bei solchen
Kontakten kein realistisches HIV-Risiko darstellbar ist). (Extrem-Beispiel: „Schlittenfahrt“ ohne
Kondom).
Vor allem der Harnröhrenausgang ist besonders empfänglich für Gonokokken und Chlamydien
und andere Keime, die unangenehme Harnröhrenentzündungen auslösen können.
Als Risikofaktoren für Kondomrisse/-abrutschen/-versagen im Rahmen von Paysex-Aktivitäten
stellten sich (u.a. in Studien mit Befragung von FSW) heraus:
● Unerfahrenheit der FSW im Umgang mit Kondomen (junges Alter; Berufsanfängerin;
niemals an einer Vorführung der richtigen Kondomanwendung teilgenommen;
unregelmäßige Kondomanwendung)
● unpassende Kondomgröße (Penis zu groß, Penis zu klein, vor allem zu dünn oder vorn
spitz zulaufend; individuelle Ermittlung der passenden Kondomgröße: z.B. im Internet
unter Suchstichwort „Kondometer“)
● Kondom entrollt, bevor es auf den Penis gesetzt wird
● roher, wilder oder gewaltsamer Sex, aber auch lange anhaltender GV
● kein Kondomwechsel zwischen Anal- und Vaginalverkehr oder umgekehrt
-62● kein Kondomwechsel, obwohl das Kondom innen aufgrund großer Mengen Lusttropfen und/
oder Prostatasekret sehr feucht ist (Risiko des Abrutschens des Kondoms vom Penis)
● keine oder ungenügende Gleitmittelnutzung
● öl-/fettbasierte Gleitmittel
● wenn der Freier versucht, nach der Ejakulation noch in der Scheide zu bleiben und den
GV ohne Pause, ohne Herausziehen und ohne Kondomwechsel fortzusetzen (sehr
riskant, unbedingt vermeiden!)
● Kondom beim Herausziehen des Penis aus der Scheide nicht am Ring festgehalten
● „kondomunwillige“ Freier (Kondomverwendung gegen ihren Wunsch oder gegen ihre
innere Überzeugung)
(da diese Kundengruppe weniger eigenmotiviert ist, auf eine korrekte Kondomfunktion zu
achten)
● Alkoholkonsum
Gründe für Kondomversagen in einer Studie mit FSW aus Singapur (Mehrfachnennungen
möglich; 1885 GV-Akte):
Kondomriss (1,2 % aller GV-Akte):
Grober Geschlechtsverkehr: 81,5 %
Langanhaltender Geschlechtsverkehr: 55,6 %
Trockene Vagina: 37,0 %
Kondome zu klein: 11,1 %
Abrutschen des Kondoms (2,1 % aller GV-Akte):
Langanhaltender Geschlechtsverkehr: 60 %
Kondome zu groß (Penis zu klein/zu dünn): 59,1 %
Penis zu spät aus der Scheide gezogen (nach Verlust der Erektion): 40 %
Anfängerinnen
-63-
2.4 GV, AV
GV und AV sollten im Rahmen des Paysex ausnahmslos kondomgeschützt erfolgen, selbst
wenn der Kunde einen aktuellen negativen HIV-Test oder ein Gesundheitszeugnis vorlegt (siehe
oben: „Kunden, die einen negativen HIV-Test vorlegen“)
Wichtig: Ab 1.7.2017 muss überall in Deutschland beim Paysex bei GV, AV und Fellatio (Blasen)
ein Kondom zur Anwendung kommen. (Vor dem 1.7.2017 gab es eine Kondompflicht nur in
Bayern und im Saarland).
Es liegt in der Verantwortung des Kunden, sich über die rechtliche Situation zu informieren.
Nichtwissen schützt vor Strafe (Bußgeld bis 50.000 Euro) nicht.
Beim GV und besonders beim AV sollte Latexkondomen der Vorzug gegeben werden. Nach
einem COCHRANE-Review aus dem Jahr 2006 ist das Risiko von Kondomrissen bei latexfreien
Kondomen 2,5- bis 5-mal höher. Bei Latexallergie kommt man aber um latexfreie Kondome
nicht herum.
Mitverantwortung des Freiers
Kondome dienen dem beiderseitigen Schutz und stellen die mit Abstand wichtigste
Präventionsmaßnahme in der Sexarbeit. Auch Freier sollten über den richtigen Umgang mit
Kondomen informiert sein, auch wenn es zweckmäßig sein kann, die Applikation des Kondoms
der FSW zu überlassen, die damit mehr Erfahrung und Routine hat. Der Prozess der
Kondomanwendung stört dann das Geschehen weniger, als wenn der Freier das selbst
übernimmt.
Dennoch liegt die Verantwortung für die korrekte Kondomanwendung auch beim Freier: er
kann besser als die FSW sehen, fühlen und überprüfen, ob das Kondom noch richtig sitzt, und er
trägt eine Mitverantwortung dafür, dass der Penis nach dem Orgasmus rechtzeitig, vor dem
Erschlaffen, aus der Scheide herausgezogen wird und dass das Kondom dabei nicht abrutscht
(am Ring festhalten, falls der Kunde und nicht die FSW selbst den Penis herauszieht).
„Wissenschaftliche“ Kondom-Kritiker
Kondom-Kritiker wenden gern ein, dass Kondome keinen vollständigen Schutz vor STDs bieten.
Dies ist grundsätzlich richtig. Kondome sind nur als Risikoreduktion zu verstehen, nicht als
absoluter Schutz. Deshalb werden hier auch weitere Schutzmaßnahmen für FSW (wie
-64-
Impfungen gegen Hepatitis B und HPV, freiwillige infektionsmedizinische Untersuchungen,
symptombezogene Untersuchungen, Penisinspektion usw.) und Kunden (z.B. „erweiterte
Penisantisepsis“ nach GV, FO usw.) empfohlen.
Gründe für den eingeschränkten Schutzeffekt von Kondomen sind:
● nur bedingt vermeidbare (aber modulierbare) Kondomfehler
(z.B. Kondomriss, -platzer; nicht ganz vermeidbar, aber modulierbar z.B. durch
Gleitmittel/feuchte Vagina, Auswahl der richtigen Kondomgröße, Kondomwechsel bei sehr
langem GV usw.)
● vermeidbare Anwendungsfehler (falsche Handhabung, Reservoir beim Aufsetzen des
Kondoms nicht zugedrückt; Beschädigung des Kondoms beim Aufreißen der Packung oder bei
der Applikation z.B. wegen scharfer Fingernägel; Kontakt mit Öl/Fett; falsche Kondomgröße;
Abrutschen des Kondoms beim Herausziehen des erschlafften Penis usw., aber auch: kein
Kondomwechsel beim Dreier beim Sex mit zwei Frauen; kein Kondomwechsel beim Wechsel
vom GV zum AV und umgekehrt bzw. beim Übergang vom FM zum GV oder AV usw.)
● Erreger, die vor oder nach der Kondomanwendung durch Schmierinfektionen übertragen
werden können, z.B. über Finger, Gegenstände (Sexspielzeug), Bettwäsche/Tücher/Handtücher,
(versehentliche) Berührung des nicht kondomgeschützten Penis mit feuchten Schamlippen, die
mit Genitalsekreten benetzt sind, aber auch durch ungeschützten Oralverkehr (ab 1.7.2017 in
Deutschland untersagt)
● Erreger, die durch Haut-/Schleimhaut-Kontakt auch beim korrekt kondomierten GV
übertragen werden können, vor allem durch Kontakt der nicht kondomierten Penisbasis mit
weiblichen Genitalschleimhäuten oder –sekreten.
Betrachtet man die Infektionswege, ist vor allem bei Herpes simplex Typ 2, HPV, aber auch
Syphilis und dem in Europa sehr seltenen weichen Schanker eine Infektion trotz korrekter
Kondomanwendung über die basalen, ungeschützten Penisabschnitte denkbar, während
zumindest theoretisch eine sehr hohe Schutzwirkung von Kondomen vor HIV, Hepatitis B,
Chlamydien, Gonokokken und Trichomonaden zu erwarten ist. Für HSV-2 wird der Schutzeffekt
von Kondomen nur auf etwa 30 % geschätzt (sowohl für Männer wie für Frauen).
Allerdings ist es bisher noch nicht gelungen, den Schutzeffekt von Kondomen für die einzelnen
STD-Erreger zuverlässig mit Prozenten zu hinterlegen. Am besten ist die Datenlage noch für HIV,
wo der Schutzeffekt auf 80 bis 95 % eingeschätzt wird, was aber immer noch eine
Unterschätzung darstellen könnte, da man nicht weiß, ob das Kondom immer rechtzeitig
aufgesetzt wurde (bereits der Lusttropfen enthält HIV!). Bei korrekter Kondomnutzung („von
Anfang an“) sind daher Schutzeffekte von weit über 80 % zu erwarten.
Neuere Übersichtsarbeiten, die sich vor allem mit methodischen Fragen von Kondomstudien
beschäftigten, kamen zu dem Ergebnis, dass alle bisherigen Studien erhebliche Mängel
-65-
aufwiesen, die allesamt dazu führen, dass der Schutzeffekt von Kondomen methodenbedingt
erheblich unterschätzt wird (das gilt in kleinerem Umfang sogar für die qualitativ eigentlich
hochwertigen HIV-Studien). Man geht daher heute von einem nahezu 100 %-Schutzeffekt von
korrekt angewandten Kondomen beim GV in Bezug auf HIV aus.
Auch über HIV hinaus gesehen ist aber anzunehmen, dass der Schutzeffekt von Kondomen viel
besser ist als sein Ruf aus den meisten „Kondomstudien“ – mit den oben genannten
Einschränkungen. Auch sind viele Beteiligte an Befragungen zur Kondomnutzung nicht immer
ehrlich und geben „sozial erwünschte“ Antworten. Untersuchungen auf PSA (das nur aus
männlichen Lusttropfen oder Sperma stammen kann) im weiblichen Genitalsekret zeigen in
diesen Fällen dann Diskrepanzen zu den persönlichen Angaben zur Kondomnutzung – selbst bei
FSW.
Deutlich wurde in den kritischen Übersichtsarbeiten zu Kondomstudien aber auch, dass
Regelmäßigkeit und Korrektheit der Kondomanwendung von entscheidender Bedeutung sind,
und dass Abstriche bei diesen Kriterien den Schutzeffekt deutlich absenken.
Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass der Geschlechtsverkehr von vornherein
kondomgeschützt erfolgt und nicht erstmal „ohne“ „probiert“ wird. Studien an schwulen
Männern ergaben, dass diejenigen, die beim rezeptiven Analverkehr erst vor der Ejakulation
den Partner ein Kondom aufsetzen ließen, ein etwa ebenso hohes HIV-Infektionsrisiko hatten
wie diejenigen, die rezeptiven Analverkehr völlig ungeschützt betrieben.
Neue Kondomtechnologien
Zur Zeit befinden sich Kondome aus völlig neuem Material (sehr strapazierfähigem Hydrogel) in
Entwicklung, die nicht nur viel reißfester, anatomisch anpassungsfähiger und
„selbstschmierend“ sein werden, sondern auch viel gefühlsechter als die derzeitigen Latexoder Polyurethan-Kondome (letztere für Latexallergiker), und damit die Akzeptanz des
Kondoms wesentlich erleichtern dürften, wenn sie auf dem Markt sind. Ein weiteres
vielversprechendes Material für Kondome ist Graphen.
Übergangsweise könnten Flügelkondome etwas Abhilfe schaffen. Dies sind klassische Kondome,
die aufgrund einer abnehmbaren Abrollhilfe („Flügel“) verschiedene Anwendungsfehler
vermeiden, also eine höhere Anwendungssicherheit bieten. Da sie dank der Abrollhilfe nicht mit
den Fingernägeln in Berührung kommen, können sie etwas dünner gestaltet werden als die
übrigen Kondome, was die Gefühlsechtheit etwas verbessern soll.
-66-
Kein gelegentlicher Kondomverzicht (z.B. bei Stammkunden oder gegen Extrahonorar)
(Dieser Abschnitt betrifft eigentlich die FSW; aber wegen der Kenntnis der Hintergründe, warum
eine FSW vielleicht ein „finanziell lukratives Angebot“ ablehnt – einmal ganz abgesehen von
gesetzlicher Verpflichtung zur Kondomnutzung –, kann dieser Abschnitt auch für Freier von
Interesse sein)
Kondome bzw. deren Beschichtungen, aber auch Gleitmittel können zu unbemerkten
Reizungen der Genitalschleimhäute führen. Manche Gleitmittel enthalten Substanzen, die ein
kühles Gefühl auf der Haut vermeiden sollen (wie Glycerin oder Propylenglykol). Solche
Gleitmittel enthalten mehr gelöste Teilchen pro Volumeneinheit als die Körperzellen. Zum
Ausgleich des Konzentrationsunterschiedes geben die Epithelzellen der Schleimhautauskleidung
des Genitaltraktes dann Flüssigkeit ab und schrumpfen. Auch dadurch steigen Infektionsrisiken
(Eintrittspforten für Infektionserreger). Manche Gleitmittel, aber auch Speichel (den manche
FSW als Gleitmittel einsetzen, der aber auch vom vorausgehenden FM noch am Kondom kleben
kann) enthalten antimikrobiell wirksame Substanzen. Dadurch kann sich die Vaginalflora
verschieben, z.B. die „guten“ Lactobazillen gehen zurück, es entwickelt sich eine Tendenz zu
einer bakteriellen Vaginose oder das Risiko für Pilzinfektionen steigt. Auch diese Situationen
führen zu einer erhöhten Empfänglichkeit für STD-Infektionen – vor allem bei Vaginose oder
Mischflora.
FSW müssen daher – auch wenn sie konsequent safe arbeiten – davon ausgehen, dass ihre
Genitalschleimhäute durch den häufigen Sex (Mikroverletzungen, auch durch Toys oder
Fingernägel), die häufige Verwendung von Kondomen, Gleitmitteln, übermäßige oder „falsch“
Intimhygiene oder auch (eigenem oder fremden) Speichel insgesamt gesehen gereizter,
anfälliger oder empfänglicher für STD-Infektionen sind als in der weiblichen
Allgemeinbevölkerung. Dadurch ist auch die Wahrscheinlichkeit bei ihnen größer, dass eine
Störung des genitalen Mikrobioms wie Mischflora oder Vaginose vorliegt, die ihrerseits STDInfektionsrisiken erhöhen.
Solange sie genital safe arbeiten, ist das kein wirkliches Problem. Wenn sie aber in Einzelfällen
bereit sind, sich auf kondomlosen GV einzulassen, müssen sie mit Infektionsrisiken rechnen, die
deutlich höher sind, als man sie in Studien an monogamen Paaren ermittelt hat. Das
gelegentliche Weglassen von Kondomen liegt also in einer ganz anderen (höheren) Risikoklasse
für die FSW (und im Endeffekt dann auch für den Kunden), als dies außerhalb der Sexarbeit gilt.
Daran sollten FSW auch außerhalb der Sexarbeit bei privaten (unbezahlten) Sexkontakten
denken. Weltweit zeigten viele Studien, dass der STD-Infektionsstatus von FSW in erheblichem
Umfang – manchmal sogar dominierend – von privaten Partnerschaften bzw. nichtkommerziellen Sexkontakten beeinflusst wird. Dabei mag eine Rolle spielen, (1) dass manche
Partner von FSW ihrerseits einem erhöhten STD-Risiko unterliegen, (2) dass bei nichtprofessionellen Sexkontakten ganz bewusst auf Kondome verzichtet wird, um diese damit auch
symbolisch und emotional von kommerziellen Kontakten abzugrenzen, (3) und die oben
beschriebene erhöhte Empfänglichkeit von FSW für STDs, ganz besonders in jungen Jahren und
zu Beginn ihrer FSW-Karriere, wenn die Immunkompetenz gegenüber STI-Erregern noch
schwach ausfällt.
-67-
Freier sollten beim ungeschützten GV mit einer FSW auch bedenken, dass sie möglicherweise
nicht der einzige Kunde sind, dem kondomfreier Sex gestattet wird. So könnten sie sich durch
den intensiven Kontakt mit Spermaresten der Vorgänger (Forenjargon: „Schlammschieben“)
mit einer durch Sperma übertragbaren STD infizieren, selbst wenn die FSW selbst nicht damit
infiziert ist, und sich auch nicht selbst infiziert.
Dies trifft auch für HIV zu. Wenn auch in Deutschland statistisch unwahrscheinlich, ist es
prinzipiell möglich, dass sich ein Kunde bei einer nicht HIV-infizierten FSW mit HIV infiziert,
indem sein Penis mit dem Sperma eines HIV-infizierten „Vorgängers“ beim „Schlammschieben“
in intensiven Kontakt gerät. Infektionsmöglichkeiten gibt es dabei genug: HIV-empfängliche
Zellen an der Vorhautinnenseite oder am Harnröhrenausgang, Mikroverletzungen oder
Herpesläsionen der Penishaut oder -schleimhaut. Auch in diesem Fall gilt, dass sich dabei nicht
auch zwangsläufig die FSW mit HIV infizieren muss. Das Pro-Akt-Infektionsrisiko liegt für HIV im
Rahmen von GV schließlich im Promillebereich.
Kondomwechsel nach FM vor GV oder AV?
Wenn – was in vielen Paysexkontakten der Standard sein dürfte – nach dem FM zum GV
übergegangen wird, sollte idealerweise das Kondom vor dem GV gewechselt werden.
Dafür gibt es mehrere Gründe:
● Das Risiko für ein Kondomversagen, vor allem ein Reißen des Kondoms, ist höher, wenn
zuvor mit diesem Kondom schon eine andere Sexpraktik – also in diesem Fall Oralverkehr –
betrieben wurde. Das Risiko steigt mit der Dauer oder Intensität des Blasens (z.B.
Zahneinsatz). Ein intensives Deep Throat spielt natürlich in einer anderen Risikoliga als ein
vorsichtiges „Anlutschen“ mit Zunge und Lippen. Grundsätzlich gilt: je länger und intensiver
das FM, umso wichtiger ein anschließender Kondomwechsel.
● Ein weiterer Grund dafür ist, dass das Kondom beim Blasen mit Speichel benetzt wurde.
Das hätte dann einerseits den Vorteil, dass dieser Speichel gleich ein wenig die Funktion
eines Gleitmittels übernehmen kann – es gibt aber aus Studien vorsichtige Hinweise, dass
Speichel das Risiko von Kondomversagen beim GV erhöht. Ganz sicher sind diese Fragen
aber noch nicht geklärt; sollten FSW aber selbst solche Erfahrungen machen, sollten sie nicht
annehmen, dass es Zufall oder Pech ist, sondern dies steht dann durchaus in Einklang mit
Erfahrungen aus wissenschaftlichen Studien, und mahnt zur Vorsicht. Das gilt dann natürlich
ebenso für die Nutzung von Speichel als Gleitmittelersatz.
● Wenn man zum Blasen ein latexfreies Kondom genommen hat, ist dies auch ein Anlass für
einen Kondomwechsel, da das Risiko für ein Kondomversagen bei GV mit latexfreien
Kondomen höher ist. GV und AV sollten besser mit Latexkondomen vorgenommen werden.
● Folgt auf FM nicht GV, sondern AV, ist ein Kondomwechsel natürlich noch wichtiger, weil
das Risiko eines Kondomversagens (Reißen, Abrutschen) beim AV ohnehin höher ausfällt als
-68-
beim GV. Man sollte daher zum AV keinesfalls ein Kondom verwenden, das schon durch FM
„vorstrapaziert“ ist.
Die Empfehlung eines Kondomwechsels zwischen FM und GV kann allerdings nur für den
typischen Standardfall ausgesprochen werden. FSW sollten in dieser Frage flexibel sein und
in Ausnahmefällen auch einmal anders entscheiden. Bei Kunden mit Erektionsproblemen
kann der Kondomwechsel zu einem Erektionsverlust führen. Dann kann es sinnvoll sein, mit
dem neuen Kondom erstmal wieder kurz und vorsichtig (so lange wie unbedingt nötig)
anzublasen, um dann ohne erneuten Kondomwechsel zum GV überzugehen. Die Regel, nach
jedem FM das Kondom zu wechseln, macht nämlich keinen Sinn, wenn das im konkreten
Einzelfall dazu führt, dass anschließend GV mit zu schlaffem Penis durchgeführt wird, weil
dann das Risiko eines Abrutschen des Kondoms besonders hoch ist.
Das zentrale Ziel des Kondomwechsels zwischen FM und GV besteht ja darin, ein
Kondomversagen beim GV zu vermeiden. Wenn im Einzelfall der Kondomwechsel infolge der
damit verbundenen Erektionsschwierigkeiten das Risiko eines Kondomversagens (hier
besonders des Abrutschens) erhöht, bringt ein Kondomwechsel natürlich keinen Vorteil.
Strenger sollte man dies beim AV sehen, wo ein Kondomwechsel nach FM unbedingt
eingebaut werden sollte.
FSW sollten Techniken oder Strategien einüben, die dazu beitragen, dass ein
Kondomwechsel möglichst nicht zum Erektionsverlust führt. Der hochprofessionelle Umgang
mit Kondomen – auch beim Abziehen des benutzten Kondoms – ist dafür eine
Grundvoraussetzung.
Hinweis zu Dreiern (Kunde mit 2 FSW)
●
unbedingt Kondomwechsel beim Übergang vom GV mit einer FSW zur anderen
● alternativ: Verwendung von Femidomen, um den Kondomwechsel zu ersparen (aber nur,
wenn beide FSW im Umgang mit Femidomen wirklich erfahren sind!). Dann kann das Kondom
für den Mann ganz entfallen.
(Hinweis für Deutschland: während der Gesetzestext des Prostituiertenschutzgesetzes neutral
von „Kondomen“ spricht, worunter man auch ein Femidom im Sinne der Begrifflichkeit „Kondom
für die Frau“ subsummieren könnte, stellt die amtliche Begründung zu § 32 Absatz 1 klar, dass
der „Begriff des Kondomes“ die „Anwendung am Körper des Mannes“ impliziert. Der amtlichen
Begründung zufolge würde die Kondompflicht nach dem ProstSchG durch die alleinige
Anwendung eines Femidoms unter Verzicht auf ein Kondom für den Mann nicht erfüllt.
Praktisch bedeutet dies, dass im Falle eines Dreiers, bei dem der Kunde auf Kondomwechsel
zwischendurch verzichten möchte, Femidom und Kondom gemeinsam benutzt werden müssten,
was aus mehreren Gründen als ungünstig zu bewerten ist).
-69● basale Penisabschnitte (die nicht kondomgeschützt waren) mindestens mit einem
Reinigungstuch, idealerweise einem Desinfektionstuch, reinigen, bevor das neue Kondom
aufgesetzt wird (ein Waschen mit Seife und das übliche Hygieneprozedere nach GV ist in einer
Dreiersituation realistischerweise nicht möglich, aber dieses Minimalszenario mit den Tüchern
ist angesichts des ohnehin erforderlichen Kondomwechsels durchaus machbar). HPVWirksamkeit kann davon allerdings nicht erwartet werden (Empfehlung: HPV-Impfung für FSW).
2.5 Kondomversagen beim GV
Ein Kondomversagen beim GV setzt die FSW – vor allem wenn es zur Ejakulation kam – unter
größeres Risiko als den Kunden, zumal der Kunde sein Infektionsrisiko für die verschiedenen
STD-Erreger durch Penisantisepsis – also Inaktivierung oder Abtötung von eventuell
eingefangenen STD-Keimen durch antiseptische Mittel – stark verringern kann; dies ist eine
Option, die die FSW nicht hat.
Grundsätzlich gilt, dass der Penisschaft mit Haut bedeckt ist; hier können
Hautdesinfektionsmittel zum Einsatz kommen. Der Harnröhrenausgang ist mit Schleimhaut
ausgekleidet, die Eichel (abhängig vom Grad der Vorhautbedeckung) mit einer Mischform
zwischen Haut und Schleimhaut bedeckt (Schleimhaut mit individuell unterschiedlichem
Verhornungsgrad), und die Innenseite der Vorhaut ist wiederum mit Schleimhaut ausgekleidet.
Daher gilt für die „Penisantisepsis“ im Grundprinzip, dass Harnröhrenausgang, Eichel und
Vorhautinnenseite nur mir Schleimhautantiseptikum (wie Octenisept oder Chlorhexidin 0,2 %,
als Mundspüllösung erhältlich, aber auch in manchen urologischen Präparaten zwecks
Antisepsis enthalten) benetzt werden sollten, die Penishaut dagegen als äußere Haut viruzide
Hautdesinfektionsmittel verträgt.
Die Vorhautinnenseite ist besonders infektionsanfällig. Die Schleimhaut ist hier sehr dünn und
empfindlich, unbemerkte Mikroverletzungen sind leicht möglich, dadurch entstehen
Eintrittspforten für verschiedene Erreger. Hier setzen feine Bändchen an, die besonders leicht
Mikroverletzungen erleiden können. Außerdem sitzen hier recht viele Zielzellen, die direkt von
HIV infiziert werden könnten – wenn der Penis mit HIV-haltigen Körpersekreten benetzt würde
(ein in der Sexarbeit in Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa sehr unwahrscheinliches,
aber grundsätzlich mögliches Szenario).
Nach einem Kondomversagen, das ungeschütztem GV gleich kommt, ist es daher
empfehlenswert, auch den Bereich der Vorhautinnenseite und Bändchen so weitgehend wie
möglich zu desinfizieren. Da viruzides Hautdesinfektionsmittel viel stärker wirksam ist als
Chlorhexidin, macht es Sinn, in dieser extremen Ausnahmesituation auch Eichel und
Vorhautinnenseite ausnahmsweise mit dem dafür eigentlich nicht vorgesehenen viruziden
Hautdesinfektionsmittel zu benetzen, und nur die Eichelspitze mit dem Harnröhrenausgang
dabei auszulassen (die werden dann mit Octenisept oder Chlorhexidin benetzt). Im Grunde
genommen ist dies eine „offiziell nicht vorgesehene Anwendung“ für eine Situation, die es
„offiziell ja auch gar nicht geben sollte“.
-70-
Im Bereich des Harnröhrenausgangs/Eichelspitze brennt das Hautdesinfektionsmittel aber so
stark (wenn auch nur vorübergehend), dass man in diesem Bereich auf Octenisept oder
Chlorhexidin 0,2 % ausweichen sollte. Auch der Harnröhrenausgang ist eine besonders
infektionsgefährdete Stelle, können sich hier doch Erreger von Harnröhrenentzündungen (wie
Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen, Ureaplasmen), aber auch HIV und HPV festsetzen.
Daher ist eine gründliche Antisepsis mit Octenisept oder Chlorhexidin auch am
Harnröhrenausgang erforderlich (dazu etwas aufspreizen); zusätzlich urinieren, um bereits in
die Harnröhre eingedrungene Keime wieder auszuspülen. Das Aufspreizen sollte sehr vorsichtig
und passiv durch Druck auf die Seitenflächen im vorderen Eichelbereich erfolgen; auf keinen
Fall den Harnröhrenausgang in irgendeiner Weise „aufreißen“, da durch feine Einrisse in der
Schleimhaut zusätzliche Eintrittspforten (Mikrorisse) geschaffen werden können.
-71-
Vorgehensweise der „großen Penisantisepsis“ nach Kondomversagen:
● Penis und Genitalregion nach dem GV vorsichtig (druck-/reibungsfrei), aber gründlich mit
Seifenlösung/Duschgel unter fließendem Wasser abwaschen; Vorhaut vorsichtig zurückstreifen
(auch Vorhautinnenseite waschen!)
● Vorsichtiges Abtrocknen (nicht Rubbeln), Trockentupfen
● Urinieren (Keime aus Harnröhrenausgang herausschwemmen)
● Einige Minuten warten (bis Penisoberfläche durch Verdampfen von Restfeuchte
ausgetrocknet ist)
● (ausnahmsweise!) gesamten Penis mit Ausnahme der Eichelspitze/Harnröhrenausgang mit
viruzidem Hautdesinfektionsmittel benetzen, danach antrocknen lassen (nicht abwaschen)
(Auf der intakten Vorhautinnenseite brennt dies in der Regel ebenso wenig wie an der
Eichelbasis; erst wenn dieses Mittel in die Nähe des Harnröhrenausgangs gelangt, beginnt
dieser, stark zu brennen, und der Harnröhrenausgang sollte daher auf keinen Fall mit
Hautdesinfektionsmittel in Berührung kommen. Da gerade auch die Vorhautinnenseite eine
Region mit vielen Eintrittspforten für Infektionserreger ist, macht es in einer solchen Situation
ausnahmsweise Sinn, diese mit dem hier grundsätzlich ja erträglichen Hautdesinfektionsmittel
zu benetzen).
● Harnröhrenausgang / Eichelspitze mit Octenisept oder 0,2 % Chlorhexidin benetzen oder
(besser) in Octenisept oder Chlorhexidin baden; Harnröhrenausgang etwas aufspreizen, damit
Octenisept bzw. Chlorhexidin hineinlaufen kann. Ebenfalls antrocknen lassen, nicht abtrocknen.
(Harnröhrenausgang durch Druck auf die vorderen Eichelseiten vorsichtig und rein passiv etwas
aufspreizen; im Idealfall Eichelspitze mit aufgespreiztem Harnröhrenausgang in der
antiseptischen Lösung „baden“, z.B. indem man den Deckel der CHX-Flasche mit etwas CHX füllt
und die Penisspitze dort hineinsteckt. Die gründliche Antisepsis am oberflächlich aufgespreizten
Harnröhrenausgang ist besonders wichtig, da sich an den Epithelien des Harnröhrenausgangs
viele typische STD-Keime anheften, die dann die Harnröhre besiedeln und weiter in den Harnund Genitalwegen aufsteigen können. Das Urinieren trägt dazu bei, eingedrungene Keime von
innen auszuspülen).
● Wichtig: später (abends), wenn kein Sex mehr erfolgt, ist eine fettende, hautschonende
Creme/Salbe, Babyöl oder Ähnliches am Penis erforderlich, um Hautschäden zu vermeiden
(danach kein Kondom mehr benutzen).
-72-
Nach aktuellem Kenntnisstand ist von diesem Prozedere keine Wirksamkeit gegen HPV zu
erwarten, abgesehen davon, dass gründliches Abwaschen mit fließendem Wasser und Seife rein
mechanisch die Belastung mit HPV-Viren (die wahrscheinlich an Epithelzellen sitzen, die vom
Geschlechtspartner mit übertragen wurden) reduziert. Wer das HPV-Risiko weiter absenken
möchte (z.B. mit Rücksicht auf weitere Geschlechtspartner), sollte daher den Penis einige
Minuten nach dem antiseptischen Prozedere noch mit Carrageen-Lösung benetzen.
Allerdings sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man sich mit diesem Prozedere
außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereiches des viruziden Hautdesinfektionsmittels
befindet. Dies ist also nichts für die „Routine“ (also keine Option für häufigen ungeschützten GV
mit der privaten Partnerin), sondern eine Notlösung für extreme Ausnahmefälle, die eigentlich
im Paysex angesichts des professionellen Umgangs mit Kondomen gar nicht vorkommen
dürften. Von einer routinemäßigen Anwendung von Hautdesinfektionsmitteln auf Schleimhaut
ist unbedingt abzuraten, zumal nicht absehbar ist, ob bei häufiger Anwendung an der
Schleimhaut irgendwelche Schleimhautschäden drohen – denn Hautdesinfektionsmittel sind für
Schleimhäute nicht gedacht und nicht getestet.
Die „große Penisantisepsis“ ist daher eine Ausnahmelösung für seltene Ausnahmesituationen,
die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Da die Infektionsrisiken beim AV als noch größer
einzuschätzen sind als beim GV, ist diese „aggressive“ Vorgehensweise der Penisantisepsis auch
beim Kondomversagen beim AV zu empfehlen.
Da die massive Entkeimung im Rahmen der „großen Penisantisepsis“ die normale
Bakterienflora der Penishaut und -schleimhaut (die beispielsweise über den Säureschutzmantel
der Haut auch einen gewissen Schutzeffekt vor Infektionen bieten dürfte) schädigt, könnte das
Infektionsrisiko am Penis in den ersten Tagen nach einer „großen Penisantisepsis“ sogar
ansteigen – bis sich die normale Flora regeneriert hat. Genau weiß man das nicht – aber
denkbar ist das. Daher sollten (erneute) sexuelle Risikosituationen in den ersten Tagen nach
einer „großen Penisantisepsis“ sicherheitshalber gemieden werden. Die „große Penisantisepsis“
sollte daher nicht zur Routine werden, sondern nur risiko-/anlassbezogen zum Einsatz kommen.
2.6 Besonderheiten beim AV
Bei Verzicht auf Kondome oder Kondomversagen vergleichsweise höheres Infektionsrisiko als
beim GV, u.a. wegen der sehr empfindlichen, zu Mikrorissen neigenden Analschleimhaut. Wie
Studien an schwulen Männern zeigten, betrifft das erhöhte Infektionsrisiko nicht nur den
rezeptiven, sondern auch den insertiven Partner. So ist beispielsweise das HIV-Infektionsrisiko
beim AV für den rezeptiven Partner 10 bis 20 x höher als beim GV, für den insertiven Partner
aber immerhin 2 bis 3 x höher.
Da die Analregion kein „eigenes Schmiermittel“ produziert, ist die Verwendung von größeren
Mengen fett- und ölfreien Gleitmittels hier besonders wichtig, um Kondomversagen zu
-73-
vermeiden. Das Gleitmittel sollte sowohl auf das Kondom wie in den Anus appliziert werden,
niemals aber in das Kondom.
Die besonders dicken Analverkehr-Kondome sollen gemäß den englischen Safer-SexEmpfehlungen aus dem Jahr 2012 keine Vorteile (aber auch keine Nachteile) gegenüber
normalen Latexkondomen bieten. Wegen des höheren Risikos von Kondomrissen sollten
latexfreie Kondome zum AV nicht verwendet werden.
2.7 Kondomversagen beim AV
wie bei Kondomversagen bei GV; „große Penisantisepsis“ empfehlenswert (► 2.5)
2.8 Postexpositionsprophylaxe (PEP) (HIV)
Die PEP kommt wegen Risiken und Kosten nur in extremen Risikosituationen infrage, wie sie bei
normaler Sexarbeit in Deutschland kaum zu erwarten sind (z.B. für die FSW bei
Kondomversagen mit Ejakulation bei einem bekanntermaßen oder wahrscheinlich HIVpositiven Freier ohne effektive antiretrovirale Therapie). Bei analer Ejakulation kann wegen der
höheren Risiken die Indikation etwas großzügiger gestellt werden; dennoch wird die FSW auch
in diesem Fall bei einem risiko-unauffälligen Mann kaum eine PEP erhalten oder anempfohlen
bekommen.
Für einen Kunden kommt eine PEP nach Kondomversagen bei GV und auch selbst bei AV
normalerweise nicht infrage, es sei denn, er wüsste, dass die FSW HIV-infiziert ist und nicht
unter effektiver antiviraler Therapie steht – ein extrem unwahrscheinliches Szenario angesichts
der sehr niedrigen HIV-Durchseuchung von FSW in Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa.
Denkbar wäre eine PEP im Falle von unbekanntem HIV-Status, wenn ein deutlich erhöhtes HIVRisiko vorliegt (z.B. Herkunft aus einem Gebiet mit sehr hoher heterosexueller HIV-Verbreitung
wie Subsahara-Afrika).
Die aktuellen Leitlinien zur PEP (aus 2013) sehen ungeschützten GV oder AV mit einer
Sexarbeiterin von unbekanntem HIV-Status nicht als Indikation für eine PEP. Eine Ausnahme
besteht bei ungeschütztem GV oder AV mit Personen mit unbekanntem HIV-Status aus
Hochprävalenzregionen wie Subsahara-Afrika, wo eine PEP angeboten werden kann (übrigens
unabhängig davon, ob es sich um eine FSW handelt oder nicht – was deutlich macht, dass es gar
nicht auf den FSW-Status ankommt, sondern auf das Herkunftsland).
-74-
FA/FT gilt nicht (auch nicht fakultativ!) als Indikation für eine PEP, selbst wenn der
ejakulierende Partner bekanntermaßen HIV-positiv ist. Allerdings wird in den Leitlinien auf
lokale Maßnahmen (wie Mundspülungen) verwiesen.
Auch angesichts von Nebenwirkungen (bis zur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit) und
Kosten ist jeder Fall (auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Leitlinien) individuell und
eingehend mit einem in der PEP erfahrenen Arzt abzuwägen – Pro und Kontra. Am besten HIVAmbulanz oder Klinik aufsuchen. Enges Zeitfenster für die Einleitung der PEP beachten:
bis 2 Stunden nach Ereignis = ideal
bis 24 Stunden = auch noch okay;
danach sich rasch vermindernde Chancen auf einen Erfolg der PEP
ab 72 Stunden = völlig sinnlos
Da die Infektion des Mannes bei Kondomversagen beim GV/AV nur über die Penisaußenseite
oder den Harnröhrenausgang erfolgen kann, stehen dem Mann (im Gegensatz zur FSW) die
oben beschriebenen lokalen Maßnahmen bis hin zur „großen Penisantisepsis“ als
unkomplizierte, kostengünstige und sofort selbst umsetzbare, nebenbei risikoarme
Risikoreduktionsmaßnahme
(allenfalls
vorübergehendes
brennendes
Gefühl
am
Harnröhrenausgang) zur Verfügung. Diese gehen bereits weit über das hinaus, was die
Leitlinien für solche Situationen an lokalen Maßnahmen empfehlen (Waschen).
Leitlinie unter folgender URL abrufbar:
http://www.aidshilfe.de/sites/default/files/DeutschOsterreichische%20Leitlinien%20zur%20Postexpositionellen%20Prophylaxe%20der%20HIVInfektion.pdf
Syphilis
Auch in Hinblick auf Syphilis ist eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) möglich. Diese erfolgt
im Regelfall durch eine einmalige Gabe eines langwirksamen Penicillins als Spritze
(intramuskulär), ggf. aber auch ein Antibiotikum als Tablette.
Im Rahmen der Sexarbeit könnte sich eine Situation für eine Syphilis-PEP ergeben, wenn ein
Kunde plötzlich den sehr konkreten Verdacht hat, dass eine FSW an einer bisher nicht
erkannten Syphilis leiden könnte, z.B. wenn er beim Lecken ein Geschwür entdeckt, das sehr
nach einem syphilitischen Primäraffekt aussieht.
-75-
2.9 Fellatio (Blasen) beim Mann: Risiko für den Mann
Ungeschützte Fellatio (FO) ist für den Mann (= insertiven Partner) keinesfalls so risikoarm, wie
dies allgemein angenommen wird. Auch wenn unter normalen Voraussetzungen (kein Blut oder
verdünntes Blut, kein Sperma des Vorgängers im Mund, keine offenen Wunden / Herpes usw.
im Mund der FSW) für den Mann kein HIV-Risiko besteht (selbst wenn die Frau HIV-infiziert
wäre), ist OV für den Mann nicht risikofrei.
Gonorrhoe-Erreger oder Chlamydien finden sich nicht so selten auch im Rachenraum von FSW;
sie sind aber dort meist symptomfrei oder führen allenfalls selten zu leichten, unspezifischen
Beschwerden. Meist Spontanheilung im Rachen der FSW nach Wochen oder Monaten.
Allerdings kann die Infektion im Rachen der FSW bei ungeschütztem OV an Freier und
Kolleginnen weitergegeben werden und dort dann zu symptomatischen urogenitalen
Beschwerden führen, z.B. klassischen Tripper beim Mann, obwohl der Freier nur ungeschützten
OV und gar keinen GV hatte. Fellatio gilt als sehr effektiver Übertragungsweg für Gonokokken
und Chlamydien.
STD-Erreger wie Gonorrhoe, Chlamydien, Mykoplasmen, Herpes können bei FO (und
wahrscheinlich verstärkt bei Deep Throat) auf den Harnröhrenausgang übertragen werden und
dort zu aufsteigenden Infektionen führen; Syphilis, Herpes und HPV auch auf die äußere
Schleimhaut oder Haut des Penis; auch ihre Übertragung auf den Penis ist also nicht
zwangsläufig an GV gebunden!
Ungeschützter Oralverkehr mit FSW (Fellatio) gilt als häufige Ursache für die Übertragung von
Gonokokken und anderen STD-Keimen auf männliche Harn- und Genitalwege (mit dem
Harnröhrenausgang als primärem Angriffspunkt). Leider gibt es nur wenige systematische
Untersuchungen dazu. 70 % von 414 männlichen Patienten mit Urethritis
(Harnröhrenentzündung) in einer Klinik in Japan hatten sich die Infektion durch Kontakt zu einer
FSW geholt. In 241 Fällen war der Infektionsweg bekannt: 199 dieser Fälle (82,6 %) gingen auf
Oralsex zurück. Von den insgesamt 414 Urethritis-Patienten waren 49,8 % von GonorrhoeErregern betroffen, 11,3 % von Chlamydien und 11,1 % von beiden Keimen.
Das Risiko, sich als Freier beim FO mit Chlamydien zu infizieren, könnte bei FSW, die FA/FT
betreiben, höher ausfallen als bei FSW, die sich auf FO ohne FA/FT beschränken, da die
Infektion des Rachens mit Chlamydien vor allem mit Spermaaufnahme in Zusammenhang zu
stehen scheint.
Werden bei einer Harnröhrenentzündung nach FO bei einem Freier keine Gonokokken oder
Chlamydien gefunden, kommen vor allem auch Mykoplasmen/Ureaplasma, seltener
Meningokokken, Herpes simplex, Adenoviren, Pilze (Candida), möglicherweise sogar der
„Magenkeim“ Helicobacter pylori als Erreger der durch Oralsex (Fellatio) ausgelösten
Harnröhrenentzündung infrage. Meningokokken siedeln nicht selten völlig symptomlos im
Rachen; bestimmte Untertypen/Mutanten können aber auch die Harnröhrenschleimhaut
besiedeln und dann zu gonorrhoe-artigen Beschwerden führen, wenn sie durch Fellatio (vor
allem wohl Deep Throat) dorthin übertragen werden.
-76-
Außerdem kann Fellatio zu Eichelentzündungen führen (Balanoposthitis). Verantwortlich
hierfür sind zum Beispiel Erreger, die auch Mandelentzündungen oder Scharlach verursachen
(Streptococcus pyogenes), aber auch Pilze (Candida). In einer japanischen Studie hatten die
meisten der Männer, die an einer Eichelentzündung mit Streptococcus pyogenes litten,
ungeschützte Fellatio mit einer FSW gehabt. Mikroverletzungen der Eichel oder Vorhaut (z.B.
durch Blasen „mit Zahneinsatz“) erleichtern das Zustandekommen solcher Infektionen.
Die effektivste Schutzmaßnahme ist daher die Verwendung eines Kondoms auch beim
„Blasen“ – also FM statt FO.
Wenn es doch zum ungeschützten FO kommt (in Deutschland ab 1.7.2017 untersagt):
● Vorher präzise Absprache, was man genau machen will, ggf. wohin abspritzen. Aufnahme in
den Mund ist keine Safer-Sex-Praktik und daher kritisch zu sehen, ebenso sollte auf jeden Fall
vermieden werden, dass Sperma ins Auge gelangt.
● Niemals gegen den Willen der FSW in den Mund oder ins Gesicht (Augen!) spritzen (sexuelles
Selbstbestimmungsrecht beachten).
● Sperma im Auge brennt und geht mit verschiedenen Infektionsrisiken (z.B. Hepatitis B, HIV,
Chlamydien, Gonorrhoe) einher (die Infektion erfolgt dabei über die Schleimhaut der
Bindehäute)
2.9.1 Blasen mit Kondom (FM)
Mit Kondom: kein Risiko erkennbar, sofern sich das Blasen auf den kondomierten
Penisabschnitt beschränkt und das Kondom intakt bleibt.
Werden nicht kondomierte Hautabschnitte (oder die Haut des Hodensacks) mit Speichel
benetzt, ist dies für den Mann ebenfalls als sehr risikoarme Praktik anzusehen, auch wenn
Übertragungen von Herpesviren, HPV oder gar Syphilis grundsätzlich denkbar sind. Bei HPV sind
vor allem genitalwarzen-auslösende Typen relevant, so können sich auch am Hodensack
Genitalwarzen bilden. Anogenitalwarzen bzw. die sie auslösenden HPV-Typen (6, 11) kommen
auch im Mund vor und könnten daher beim Blasen/Lecken auf Penishaut oder auch die Haut
des Hodensacks übertragen werden.
-77-
2.9.2 Blasen ohne Kondom (FO)
Achtung!
Innerhalb Deutschlands besteht ab dem 1.7.2017 auch beim Oralverkehr beim Mann
(Fellatio am Mann; Blasen) Kondompflicht! (Prostituiertenschutzgesetz). Im Falle des
Nichteinhaltens der Kondompflicht liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, deretwegen der
Kunde (ggf. auch die Kundin eines Callboys) mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro
belegt werden kann (Details s. VORWORT I).
Auch wenn Speichel ein erhebliches antivirales und antimikrobielles Potenzial hat (dessen
Ausmaß allerdings auch starken individuellen Schwankungen unterliegt), ist FO (für den Mann)
nicht als risikolos zu werten (siehe oben).
Umfangreiche Zahlen aus Deutschland existieren hierzu nicht, aber man kann davon ausgehen,
dass wohl einige Prozent der oral unsafe arbeitenden FSW im Rachen mit Gonokokken,
Chlamydien und/oder Mykoplasmen (vorübergehend) infiziert sind, und weiterhin einige
Prozent mit dem krebserregenden HPV 16. In den wenigen publizierten Studien aus dem
Ausland lagen die Infektionsquoten für die einzelnen Erreger fast immer im einstelligen
Prozentbereich, allerdings wurde FO meist nicht so routinemäßig und selbstverständlich
praktiziert, wie das in Deutschland bis zum Inkrafttreten des ProstSchG in vielen Settings
offiziell und fast selbstverständlich der Fall war. Hinzu tritt das Risiko von reaktiviertem (nicht
unbedingt sichtbarem) Herpes und – sehr selten – Syphilis oder Hepatitis B im infektiösen
Stadium.
Wenn auch wissenschaftlich empfohlen, werden Rachenabstriche oder Spül-Gurgel-Proben
keinesfalls immer bei routinemäßigen Check-ups von FSW vorgenommen, und der Nachweis
mancher Erreger in diesen Proben ist auch stark von labortechnischen Methoden (Kultur oder
PCR/NAAT?) abhängig, was auch eine Kostenfrage darstellt. Die Gonokokkenbelastung im
Rachenraum von Risikopersonen (wie FSW oder MSM) wird erheblich unterschätzt, wenn der
Erregernachweis durch Kultur erfolgt (Sensitivität unter 50 %).
In der Gesamtschau dürfte das Risiko von oral mehr oder weniger ungeschützt arbeitenden
FSW, mindestens einen Keim aus der Gruppe Gonokokken / Chlamydien / Mykoplasmen / HPV
6/11/16 im Rachenbereich zu tragen, daher mit 10 % oder darüber einzuschätzen zu sein,
abhängig von vielen Einzelfaktoren. Da alle diese Infektionen auch wieder spontan abheilen
können, und die bakteriellen Infektionen auch im Rahmen einer aus anderen Gründen
verordneten antibiotischen Therapie eliminiert werden können, ist nicht anzunehmen, dass die
Gesamtbelastung mit diesen STD-Keimen im Rachen mit dem Alter oder der Dauer der
Sexarbeit zwangsläufig ansteigt. Manche Indizien sprechen sogar für ein erhöhtes Risiko bei
jungen FSW, u.a. aufgrund ihrer noch geringen Immunkompetenz gegenüber diesen Keimen.
-78-
Die drei genannten Bakterienarten/-gruppen befallen bevorzugt das Epithel des
Harnröhreneingangs und können daher beim Blasen auf diesen übertragen werden. Da sie
hauptsächlich im Rachen siedeln, ist anzunehmen, dass das Risiko beim tiefen Blasen oder Deep
Throat, wenn der Harnröhrenausgang in Kontakt mit der Rachenschleimhaut gerät,
wahrscheinlich größer ausfällt, als wenn der Penis nur mit Lippen und Zunge berührt wird.
Die betreffenden Keime setzen sich dann zunächst an der Schleimhaut des Harnröhrenausgangs
fest, vermehren sich und steigen dann in den Harn- und Genitalwegen auf. Es resultiert oft eine
schmerzhafte Harnröhrenentzündung mit je nach Erreger etwas unterschiedlichen Symptomen
(Ausfluss, Brennen, Pinkelreiz usw.). Die Infektionen sind nicht immer symptomatisch; bei
Gonokokken zu über 90 %, bei Chlamydien aber nur zu ca. 50 %. Dies bedeutet, dass der Mann
andere Geschlechtspartnerinnen (z.B. die heimische Partnerin) anstecken kann, ohne selbst
etwas von der Infektion zu bemerken. Ohne Behandlung kann die Infektion auch chronifizieren
und zu chronischen Entzündungen z.B. der Prostata oder Nebenhoden führen, bis hin zur
Unfruchtbarkeit, oder – über anhaltende chronische Entzündungsreize in der Prostata – einem
leicht bis mittelgradig erhöhten Risiko für Prostatakrebs (offenbar abhängig vom konkreten
Erreger).
Dies bedeutet, dass selbst Männer, die nur safe GV betreiben und darauf achten, dass auch
beim Vor- und Nachspiel keine Schmierinfektionen erfolgen, dennoch ein Risiko haben, an
Harnröhrenentzündungen bzw. im Urogenitaltrakt aufsteigenden Infektionen durch
Gonokokken, Chlamydien oder Mykoplasmen zu erkranken, wenn sie lediglich FO haben
praktizieren lassen, wobei nochmals zu betonen ist, dass es biologisch plausibel ist, dass tiefes
FO/Deep Throat riskanter sind als feuchte Berührungen mit Lippe und Zunge (das sind aber nur
Vermutungen, Studien existieren dazu nicht).
In einer Umfrage in einem Freierforum gaben ein Viertel bis ein Drittel der Männer an, nach FO
mit einer FSW schon einmal entsprechende Beschwerden verspürt zu haben, und es liegen auch
Fallberichte von Freiern vor, aus denen hervorgeht, dass in den konkreten Fällen nur FO mit
einer FSW als Ursache z.B. für eine ärztlich diagnostizierte Gonorrhoe beim Mann infrage kam.
Wie schon erwähnt, erwies sich in einer Studie aus Japan OV mit FSW als häufigste Ursache für
Harnröhrenentzündungen (Urethritis) beim Mann.
● Andere Erreger, die gelegentlich durch FO aus dem Mund bzw. Rachen der Frau auf die
männliche Harnröhrenschleimhaut übertragen werden und dort zu einer unangenehmen
Harnröhrenentzündung führen können, sind Meningokokken oder verschiedene Viren wie
Herpes simplex (siehe auch weiter unten) oder Adenoviren. An solche Keime ist zu denken,
wenn keine Gonokokken, Chlamydien oder Mykoplasmen als „die üblichen Verdächtigen“
nachweisbar sind.
● Auch Pilzinfektionen (Candida) an Eichel und Vorhaut wurden nach FO schon berichtet.
-79-
● Syphilis kann im Mund zu einem Primäraffekt führen, der mangels Schmerzen leicht
unbemerkt bleiben kann, so dass eine Behandlung unterbleibt und die Krankheit als
generalisierte Infektion fortschreitet. Ein Primäraffekt kann auch eine vermeintlich harmlose
einseitige Mundwinkelrhagade oder eine Herpesläsion vortäuschen.
Bei der Fellatio ist eine Übertragung auf den Penis möglich. Im Primärstadium besteht
Infektiosität beim FO (aber auch bei Zungenküssen) nur, wenn sich der Primäraffekt im MundRachen-Raum befindet, weil die Infektion zu diesem Zeitpunkt noch auf den Primäraffekt
beschränkt ist. Einige Wochen später, wenn sich die Infektion im Körper ausgebreitet hat, ist
eine Infektion über den Mund-Rachen-Raum auch dann möglich, wenn die Eintrittspforte für
die Erreger im Genital- oder Analbereich lag.
● Bei akuter Hepatitis B oder chronischer/latenter Hepatitis-B-Infektion mit hoher Viruslast im
Blut findet sich Hepatitis-B-Virus auch im Speichel. Aufgrund der hohen Infektiosität von
Hepatitis B ist eine Übertragung dann auch durch Fellatio denkbar (z.B. über die
Harnröhrenschleimhaut oder Mikroverletzungen der Vorhaut).
● Herpes simplex (Typ 1 oder 2) ist selbstverständlich ebenfalls auf diesem Weg übertragbar.
Zwar wird HSV-1 bevorzugt durch oral-orale Kontakte und HSV-2 durch genital-genitale
Kontakte übertragen, aber auch oral-genitale Übertragungen (und umgekehrt) sind möglich.
Herpes-Reaktivierungen sind häufig asymptomatisch, d.h. obwohl keine Beschwerden
bestehen, werden Viren ausgeschüttet und der Betreffende ist dann genital und/oder oral
infektiös, „obwohl man nichts sieht“.
● HIV: Eine Übertragung von HIV durch Fellatio von einer infizierten Frau auf den Mann muss
als sehr unwahrscheinlich, aber nicht völlig unmöglich bewertet werden. Erstens stellen FSW in
Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa keine Risikogruppe für HIV dar (es sei denn, es
bestehen Risiken außerhalb der eigentlichen Sexarbeit), zweitens findet sich infektiöses HIV im
Speichel nur bei wenigen Prozent aller HIV-Infizierten (die nicht diagnostiziert sind bzw. nicht
unter Therapie stehen). Zwar wird HIV in die Mundhöhle Infizierter ausgeschüttet, in den
meisten Fällen aber vom Speichel sofort deaktiviert, so dass es nicht mehr infektionsfähig ist.
Nur wenige Prozent der HIV-Infizierten weisen „infektiösen“ Speichel auf. In diesen Fällen ist
allerdings eine Übertragung von HIV bei der Fellatio denkbar, und es gibt einige (wenige)
Einzelfälle, in denen solche Infektionen dokumentiert sind, z.B. bei einem impotenten
Diabetiker, dem von einer HIV-infizierten Frau geblasen worden war. HIV kann bevorzugt
sowohl an die Epithelzellen am Harnröhrenausgang andocken, wie an bestimmte empfängliche
Zellen auf der sehr empfindlichen Vorhautinnenseite, wo auch Mikroverletzungen beim Blasen
(z.B. durch Zahnkontakt) möglich sind.
Wahrscheinlich bedarf es besonderer lokaler Risikofaktoren auf mindestens einer Seite (also im
Mund/Rachen der Frau und/oder am Penis des Mannes), oder gar gleichzeitig auf beiden
Seiten, damit es auf diesem Wege zu einer HIV-Infektion kommen kann. Ob solche
Risikofaktoren vorliegen, ist für den jeweils anderen Partner aber nicht immer erkennbar.
-80-
Von einem deutlich erhöhten Risiko für den Mann ist auszugehen, wenn der Speichel aus
irgendwelchen Gründen bluthaltig ist.
Insofern kann man nicht sagen, dass FO in Bezug auf HIV (für den Mann) absolut risikolos wäre.
Das Risiko ist aber extrem gering (einmal ganz abgesehen von der sehr geringen HIVDurchseuchung von FSW in Deutschland und West-/Mitteleuropa) und wird dabei durch das
Fehlen oder Vorhandensein von lokalen Risikofaktoren wie Wunden und Geschwüren (z.B.
durch Herpes) an/in Lippe/Mund/Rachen der Frau oder am Penis des Mannes moduliert – aber
auf einem nach wie vor extrem niedrigen Risikoniveau.
● HPV: HPV siedelt besonders im Rachenraum, kann aber auch die Mundschleimhaut besiedeln,
und lässt sich bei Infizierten z.B. durch Spül-Gurgel-Proben nachweisen. Daher ist eine
Übertragung von HPV aus dem Mund-Rachen-Raum einer infizierten FSW auf den Penis
grundsätzlich möglich. Sofern bisher Daten vorliegen, sind nur wenige Prozent (ca. 1 bis 6 %)
der FSW mit dem besonders gefährlichen HPV 16 im Mund-Rachen-Raum infiziert. Allerdings
gibt es keine statistisch soliden Daten von FSW, von denen konkret bekannt ist, dass sie
routinemäßig FO betreiben, und sich daher möglicherweise höheren Infektionsrisiken
aussetzen. Fellatio stellt grundsätzlich einen Weg dar, wie HPV auf den Penis gelangen kann. Da
es bevorzugt im Rachenraum siedelt, ist tiefes Blasen/Deep Throat wahrscheinlich riskanter.
HPV-Übertragungen auf die Schleimhaut oder Haut des Penis sind für den Mann selbst in den
meisten Fällen unproblematisch, denn sie heilen nach einigen Monaten wieder ab. HPVbedingter Peniskrebs ist sehr selten. Kritischer ist aber das Infektionsrisiko für weitere
Partnerinnen zu sehen, auf die dann HPV vom Penis beim ungeschützten GV (und in
reduziertem Umfang auch beim geschützten GV) übertragen werden kann. Es gibt weltweit
mehrere Studien, die darauf hinweisen, dass private Partnerinnen/Ehefrauen von Freiern ein
doppelt oder sogar mehrfach höheres Risiko für cervikale Dysplasien und
Gebärmutterhalskrebs haben als die Partnerinnen von Männern, die keine Sexarbeit in
Anspruch nahmen.
Da auch genitalwarzenauslösende HPV-Typen im Mund-Rachen-Raum vorkommen, kann FO
auch zu Genitalwarzen führen, z.B. am Penis, aber auch am Hodensack. Besonders unangenehm
sind Genitalwarzen am Harnröhrenausgang, da sie dort schwer zu behandeln sind und auch in
der Harnröhre weiter aufsteigen können, was erhebliche Beschwerden und unangenehme
Behandlungen nach sich zieht.
Fazit: trotz der hohen antibakteriellen und antiviralen Wirksamkeit von Speichel ist FO mit einer
FSW für den Mann nicht risikolos und auch nicht risikoarm, wie dies gelegentlich dargestellt
wird, wenn man sich auf die Betrachtung des HIV-Risikos beschränkt, das – sofern
Penisschleimhaut/-haut unauffällig und unverletzt sind – außerhalb von Sondersituationen (wie
z.B. Blut im Mund/bluthaltiger Speichel) tatsächlich als extrem gering einzuschätzen ist.
-81-
Praktische Konsequenzen
● Verzicht auf FO und die Verwendung von Kondomen beim Blasen bieten daher einen idealen
Schutz (= FM) (in Deutschland ab 1.7.2017 verpflichtend).
● Deep Throat dürfte (wegen der höheren Infektionsrisiken bei Kontakt mit den
Rachenbereichen) mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergehen.
● Alternativ kommt nach FO eine Risikoreduktion durch die „erweiterte Penisantisepsis“
infrage, bei der, wie an anderer Stelle ausführlich beschrieben, die Hautabschnitte des Penis
mit einem viruziden Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept benetzt werden, und die
Schleimhautabschnitte des Penis (aufgespreizter Harnröhrenausgang, Eichel, Innenseite der
zurückgestreiften Vorhaut) mit 0,2 % CHX oder Octenisept (0,1 % Octenidin).
● Außerdem Urinieren (Herausspülen von Keimen, die in die Harnröhre gelangt sind)
(► Anlage 4).
Ein Schutz vor HPV ist bei diesem Prozedere allerdings nicht zu erwarten, da
Schleimhautantiseptika, aber auch die in Deutschland auch für Laien gängigen
Hautdesinfektionsmittel wahrscheinlich gegenüber HPV wirksam sind.
HPV-Infektionen im Schleimhaut- und Hautbereich (sowohl krebserregende HPV-Typen wie
auch Genitalwarzen) bleiben daher nach dem oben beschriebenen Prozedere weiterhin
möglich. Dieses Risiko lässt sich nur verringern entweder durch HPV-Impfung oder
möglicherweise (experimentell) durch Benetzung der Schleimhaut- und Hautareale des Penis
mit einer carrageen-haltigen Lösung, die dann zeitlich getrennt (mindestens einige Minuten
Zeitabstand von Hautdesinfektionsmittel bzw. Octenisept oder CHX) anzuwenden wäre.
-82-
2.10 Freier leckt ungeschützt bei FSW – Cunnilingus: Risiko für den Mann (► Anlage 2)
Freier, die bei FSW ungeschützt lecken (z.B. 69er), gehen (pro Akt gesehen) sogar ein höheres
STD-Risiko ein als FSW, die bei Männern (ohne Aufnahme) „blasen“; Grund ist die höhere STIBelastung der genitalen Schleimhäute bei FSW. Bei jungen Berufsanfängerinnen sind die Risiken
besonders hoch, da diese in noch größerem Umfang genital mit HPV und bakteriellen STDs
besiedelt sind.
HPV kann nach vielen Jahren – unterstützt durch Rauchen, auch Alkohol, aber auch bei
Nichtrauchern und Nichttrinkern – zu Krebs vor allem im Rachenraum führen.
Daher dringende Empfehlung: lecken nur geschützt (Lecktuch, Dental Dam, Femidom, notfalls
Plastikfolie = Barrieremethoden).
Wenn entgegen diesem dringenden Rat doch ungeschützt geleckt wird/werden soll:
● man sollte nichts tun, wovor man Bedenken oder Angst hat oder sich nicht dabei wohl fühlt
(dann besser ganz sein lassen oder mit Schutz/Barrieremethode lecken)
● es ist keinesfalls selbstverständlich, dass FSW vom Kunden Cunnilingus erwarten oder dies
auch selbst wirklich genießen (wie der Kunde wahrscheinlich vermutet); manche FSW tolerieren
es, manche lehnen es auch konsequent ab. Manche FSW wünschen und genießen es aber auch
wirklich. In diesem Punkt besteht eine erhebliche Heterogenität aufseiten der FSW.
● HPV-Impfung erwägen (hohes HPV-Risiko auf Genitalschleimhäuten von FSW; ganz besonders
bei jungen FSW); Hepatitis-B-geimpft?
● genitale Schleimhäute anschauen: unauffällig, kein krankhaft wirkender Ausfluss?
● kein ungeschützter OV bei Geschwüren, Wunden, Allergien, Herpes an Lippen, im Mund
oder im Rachen des Kunden sowie nach zahnärztlicher Behandlung (Eintrittspforten!; aber
auch Ansteckungsrisiko für die FSW, z.B. bei Herpes an den Lippen)
● safer arbeitende FSW? (sonst womöglich Spermaspuren der Vorgänger!)
(daran denken, dass auch bei safe arbeitenden FSW Spermareste vom privaten Partner
vorhanden sein könnten – es sei denn die FSW ist Single oder nur besuchsweise in Deutschland
bzw. West- und Mitteleuropa)
● lässt sich die FSW (freiwillig) regelmäßig auf STDs untersuchen?
● mindestens in den Tagen vor einem geplanten Besuch bei einer FSW tägliche antiseptische
Mund-/Rachen-Spülung; dadurch sinkt die Entzündlichkeit im Mund und Rachen, deshalb wohl
weniger Eintrittspforten für verschiedene STD-Erreger; das Infektionsrisiko im Mund-RachenRaum sinkt (auch für HPV)
● kein Zähneputzen oder Zahnseide-Fädeln in der Zeit vor und nach dem ungeschützten
Oralverkehr (mindestens eine Stunde Karenzzeit, besser noch größerer Zeitabstand) (Grund:
-83-
Mikroverletzungen, dadurch Schaffen von Eintrittspforten für Krankheitserreger; Auslösen von
Zahnfleischbluten).
● bei nächster Gelegenheit nach dem Lecken: Mund ausspucken, mit Wasser ausspülen, dann
Spülen und Gurgeln mit 0,2 % Chlorhexidin, PVP-Jod (Betaisodona Mund Antiseptikum) oder
hochprozentigem Alkohol; nachrangig kommen auch alkoholhaltige Spüllösungen mit
ätherischen Ölen infrage. Octenisept und PVP-Jod sind wahrscheinlich noch stärker und
schneller gegenüber STD-Erregern wirksam als 0,2 % CHX; wegen des über Stunden
anhaltenden bitteren Geschmacks ist Octenisept in seiner Anwendung aber unangenehmer als
CHX oder PVP-Jod, und für die Daueranwendung ist Octenisept nicht vorgesehen (nur
kurzfristig). PVP-Jod ist auch geschmacksintensiv, selbst in der vom Hersteller vorgesehenen
Verdünnung (1 : 4), schmeckt allerdings eher wie ein Kräuterschnaps, und der Nachgeschmack
hält nicht so lange an wie im Falle von Octenisept. Auch wird der Geschmack bei späterem
Essen nicht beeinträchtigt. Entgegen den Erwartungen erfolgt keine anhaltende Verfärbung im
Mund (die direkt nach dem Spülen leicht gelblich gefärbte Zunge entfärbt sich innerhalb von
einer Minute).
● nicht während der Periode lecken; Blutgeschmack? (Lecken sofort abbrechen, Ausspucken,
Ausspülen, antiseptisches Spülen und Gurgeln mit hoch wirksamen Präparaten wie PVPJod/Betaisodona, Octenisept oder hochprozentigem Alkohol, notfalls 0,2 % CHX).
Weder Chlorhexidin 0,2 %, PVP-Jod, Octenisept oder hochprozentiger Alkohol sind zur
Daueranwendung (täglich) geeignet, bei gelegentlichem ungeschützten Lecken stellen sie aber
Mittel der Wahl dar, um eine mögliche Belastung mit STD-Keimen im Mund und Rachen nach
dem Lecken eventuell abzumildern. Weder von CHX, Octenisept noch von Alkohol kann ein
direkter Effekt gegen HPV erwartet werden (daher Empfehlung, die HPV-Impfung in Betracht zu
ziehen, oder die unten beschriebene Carrageen-Periexpositionsprophylaxe als experimentelles
Verfahren zu erwägen; vgl. Anlage 2). Im Falle von PVP-Jod gibt es dagegen gute Indizien für
eine HPV-Wirksamkeit, dies ist aber nicht so gut untersucht wie für Carrageen.
Wer selten bei FSW leckt, kann auch eine Periexpositionsprophylaxe mit 0,2 % CHX erwägen. Da
CHX aufgrund seiner guten Haftkraft einen mehrstündigen Depoteffekt auf der Mund- und
Rachenschleimhaut entwickelt, würde man vor dem Date, bei dem Lecken geplant ist, mit CHX
spülen und gurgeln, um ein CHX-Depot aufzubauen, und nach dem Date erneut mit CHX oder
alternativ mit Octenisept, PVP-Jod oder hochprozentigem Alkohol spülen und gurgeln (die
Reihenfolge ist wichtig: kein Alkohol vor dem Oralsex, da die Empfänglichkeit der
Mundschleimhautzellen für manche Krankheitserreger nach Alkoholwirkung vorübergehend für
einige Stunden ansteigt). Eine Anwendung von Octenisept vor dem Date ist nicht zu empfehlen,
weil der bittere Geschmack beim Küssen irritieren dürfte. Auch Octenisept hat aber – wie CHX –
eine Depotwirkung auf der Schleimhaut. PVP-Jod hat den Nachteil des hohen Alkoholgehaltes.
Dies alles spricht dafür, bei der Periexpositionsprophylaxe lediglich Chlorhexidin 0,2 % vor dem
Lecken anzuwenden, während man nach dem Lecken zwischen stärker wirksamen Antiseptika
wählen kann, wobei – bei gelegentlicher Anwendung – PVP-Jod wegen seiner exzellenten
Wirksamkeit, guten Schleimhautverträglichkeit und des akzeptablen Geschmacks und
Nachgeschmacks Mittel der ersten Wahl wäre (Octenisept und Alkohol überlegen), sofern man
-84-
sich mit einem sehr starken Antiseptikum „absichern“ und nicht auf CHX 0,2 % beschränken
möchte.
Aufgrund des karzinogenen Potenzials von hochprozentigem Alkohol (besonders bei Rauchern)
kommt dieses Prozedere (CHX vor dem Lecken, Alkohol oder PVP-Jod danach) aber nur für
Freier infrage, die nicht täglich bei FSW lecken. In Sachen HPV-Prävention bleibt aber neben der
Impfung nur noch die Möglichkeit der experimentellen Periexpositionsprophylaxe mit
Carrageen, das nicht nur im Labor, sondern auch in klinischen Tests HPV-inaktivierend wirkt (►
Anlage 2).
2.11
Routinemäßige Penisantisepsis nach dem Sex („kleine/erweiterte Penisantisepsis“)
Kondome bieten einen guten, aber unvollständigen Schutz vor STDs, auch abhängig von den
jeweiligen Keimen. Ein nahezu perfekter Schutzeffekt gegenüber HIV steht ein immer noch
effektiv vorhandener, aber doch eingeschränkter Schutzeffekt vor allem gegenüber HPV (krebsund genitalwarzenerregendem HPV), Herpes simplex Typ 2 (HSV-2) und Syphilis gegenüber, und
die anderen STD-Keime liegen zwischen diesen Extremen. Genau beziffern lässt sich die
Risikoreduktion durch Kondome bis heute nicht. Besonders gegenüber HSV-2 gilt der Effekt
aber als vergleichsweise schwach (ca. 30 % Risikoreduktion).
Und Kondome können natürlich keinerlei Schutzeffekt bieten, wenn sie nicht angewandt
werden – wie beim FO, aber auch Anwendungsfehler und daraus ggf. resultierendes
Kondomversagen reduzieren den Schutzeffekt. Daneben bestehen Infektionsrisiken am Penis
auch außerhalb des eigentlichen GV, z.B. beim Pussy Sliding ohne Kondom.
Gründe für den eingeschränkten Schutzeffekt von Kondomen (wobei hier nur die Kundenseite,
also das Risiko für Freier, betrachtet wird):
● unterlassene Kondomanwendung bei bestimmten Sexpraktiken wie z.B. FO, Pussy Sliding
● Fehler in der Kondomanwendung, Kondomversagen, Kondomriss, Kondomverlust
(Abrutschen des Kondoms)
● Hochrutschen des Kondoms beim GV, dadurch großflächiger Kontakt ungeschützter
Penishaut mit weiblichen Genitalschleimhäuten/-sekreten
● Benetzung der basalen, nicht kondomgeschützten Penisabschnitte mit weiblichen
Genitalsekreten während des GV (je nach Eindringtiefe, GV-Position, Ausmaß der
Produktion von Genitalsekreten)
● Kontamination der Penishaut oder -schleimhaut beim Abziehen des Kondoms (Genitalsekret
von der Kondomaußenseite wird auf Penishaut/-schleimhaut übertragen)
● Berührung (auch versehentlich) der weiblichen Genitalschleimhäute mit dem
unkondomierten Penis beim Vor- oder Nachspiel (Extremfall: „Schlittenfahrt“ – Pussy
Sliding).
● Berührung des unkondomierten Penis mit Händen, die mit weiblichem Genitalsekret benetzt
sind (z.B. nach dem Fingern; z.B. beim Aufsetzen des Kondoms)
-85-
● (nur für manche Keime relevant): Schmierinfektionen über Textilien, Tücher usw.
Es gibt also mehrere Möglichkeiten, wie sich der Kunde sogar trotz korrekter (!)
Kondomanwendung während des GV oder AV, sowie zeitlich auch davor oder danach, mit einer
STI anstecken kann. Auf das Risiko von FO wurde oben schon separat eingegangen, aber selbst
GVM bietet ein Restrisiko.
Dabei ist vor allem der Harnröhrenausgang besonders empfänglich für manche typischen STDKeime wie Gonokokken, Chlamydien, Trichomonaden und Mykoplasmen, da diese auf dem
Epithel der Harnröhre ideale Lebens- und Vermehrungsbedingungen finden, und zu
aufsteigenden Infektionen (Harnröhrenentzündung, ggf. sich weiter in die Samenwege oder
Prostata ausbreitend) führen können. Der Harnröhrenausgang ist damit ein besonders
kritischer Infektionsort.
Die basalen, nicht geschützten Penisabschnitte sind dagegen vor allem unter dem Aspekt von
HPV und HSV-2 zu sehen. Diese Infektionen werden meist (HSV-2) oder in der Regel (HPV,
außer im Falle von Genitalwarzen) gar nicht bemerkt, können dann aber auf weitere
Partnerinnen übertragen werden – mit moderatem Risiko beim kondomierten Sex und
größerem Risiko beim ungeschützten Sex.
Betrachtet man das „Gesamtpaket“ der hier zur Diskussion stehenden STDs, gewichtet nach
ihrer krankmachenden Relevanz für den Freier, so ergibt sich folgende Risikoabstufung für eine
Infektionsübertragung von den Genitalien und/oder aus dem Mund-Rachen-Raum der FSW auf
den Penis:
AV ungeschützt >>> GV ungeschützt >>> GV mit Kondomversagen >>> GV geschützt +
Deep Throat >>> nur Deep Throat >>> GV geschützt + FO >>> nur FO >>> GV geschützt mit
oder ohne FM >>> nur FM (nahezu risikolos)
„FO“ und „geschützter GV“ stellen insofern verringerte Risiken im Vergleich zum ungeschützten
GV (oder AV) dar, wobei das Risiko von FO für sich allein genommen aber höher einzuschätzen
ist als das von geschütztem GV allein. Allerdings dürfte dabei auch eine Rolle spielen, ob die
FSW häufig oder selten FO betreibt, ob sie sich regelmäßigen Untersuchungen unterzieht, ob
diese auch Rachenabstriche/spülproben umfassen usw. Insofern kann man diese Rangfolge nur
als eine grobe Orientierung sehen, die von vielen Einflussfaktoren abhängig ist. Von FM dürfte
kein Risiko ausgehen, sofern das Kondom intakt bleibt. Ein indirektes Risiko könnte von FM
allerdings dann ausgehen, wenn nach heftigem FM das Kondom strapaziert ist und vor GV oder
AV nicht gewechselt wird und dann beim GV oder AV reißt.
„GV mit Kondomversagen“ wird als günstiger eingestuft als von vornherein ungeschützter GV,
da Expositionsdauer und –menge beim GV mit Kondomversagen geringer sind. Deep Throat
muss als deutlich höheres Risiko angesehen werden als „normales“ FO mit Einsatz von Zunge
und Lippen.
-86-
Diese Sachlage macht es sinnvoll, zum Eigenschutz und/oder Schutz der privaten Partnerin
zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen über die Kondomnutzung beim GV hinaus zu ergreifen, um
Restrisiken, die sich auch aus kondomgeschütztem GV und vor allem auch aus FO (besonders
Deep Throat) ergeben, weiter zu reduzieren (FO ist ab 1.7.2017 in Deutschland untersagt).
Das Standardverfahren nach sexuellem Kontakt ist das Abwaschen der Genitalien mit
fließendem Wasser und Seife. Dies wird auch in den Empfehlungen zur PEP so beschrieben. Die
Vorhaut muss dazu zurückgezogen werden und auch die Vorhautinnenseite vorsichtig, also
drucklos, gewaschen werden. Die Benutzung von Seife (oder Seifenlösung/Duschlotion) ist
dabei wesentlich, da auf diese Weise mehr Keime entfernt oder auch direkt inaktiviert werden,
als mit reinem Wasser. Allerdings gibt es Hinweise, dass das Waschen allein nicht ausreicht
bzw. nicht das erreichbare Optimum darstellt. Bei Frauen (FSW) erwies sich in vielen Studien
das Scheidenwaschen nach dem GV sogar als nachteilhaft (erhöhte Infektionsrisiken, bakterielle
Vaginosen), was sich aber so direkt nicht auf die Männer bzw. den Penis übertragen lässt, da in
der Scheide ein spezielles mikrobielles Milieu herrscht (in dem Laktobazillen, besonders
wasserstoffperoxid-bildende, überwiegen sollen und durch die von ihnen gebildete Säure und
Wasserstoffperoxid virale und bakterielle STD-Keime sowie Pilze abtöten bzw. „kleinhalten“
sollen). Dieses Milieu sollte durch Waschen, besonders aber auch durch Seifen oder Antiseptika
nicht gestört werden – sonst entwickelt sich die natürliche Flora in eine „ungünstige Richtung“
(z.B. bakterielle Vaginose oder Mischflora), und die Infektionsrisiken steigen.
Das ist aber eine Spezialsituation, die sich nicht 1 : 1 auf Männer übertragen lässt, aber davor
warnt, den Wert des Waschens mit Wasser und Seife als zu hoch einzuschätzen. Durch das
Waschen werden Lipide (Fette) aus der Haut geschwemmt und weggespült, die Haut wird
fettärmer und anfälliger, auch für Mikrodefekte. Studien in Afrika zeigten sogar, dass Männer,
die in den ersten drei Minuten nach ungeschütztem GV mit sicher oder wahrscheinlich HIVpositiven Frauen die Genitalien wuschen, ein höheres HIV-Risiko hatten als jene Männer, die
sich gar nicht oder erst nach 10 Minuten wuschen. Waschen mit reinem Wasser war dabei
wiederum ungünstiger als Waschen mit Wasser und Seife. Man vermutet, dass das saure
Vaginalsekret aufgrund des pH-Wertes HIV offenbar recht effektiv inaktiviert, und wenn dieses
zu schnell abgespült wird, geht dieser antimikrobielle Effekt des Vaginalsekrets verloren.
Wasser (ohne Seife) könnte aufgrund seiner pH-Neutralität das Überleben von HIV sogar
fördern (im Vergleich zum sauren Vaginalsekret, aber auch zu Seifenlösungen).
Diese Erkenntnisse spielen jetzt für die Sexarbeit in Deutschland keine unmittelbare Rolle, weil
das HIV-Risiko hier so gering ist, dass für die Freier die Risiken ganz anderer Keime (wie
Gonokokken, Chlamydien, HPV, HSV-2 usw.) im Vordergrund stehen. Daher kann man aus den
afrikanischen Studien, die sich konkret auf HIV bezogen, nicht die Empfehlung ableiten, man
müsse nach Abschluss des GV noch 10 Minuten oder länger bis zum Duschen/Waschen warten.
In der Realität der Sexarbeit wird es aber ohnehin meistens so laufen, dass nach dem Ende des
GV noch einige Minuten vergehen, bis der Kunde zur Penisreinigung kommt.
Auf der anderen Seite legen diese Daten aus Afrika eine gezielte Penisantisepsis geradezu nahe:
wenn schon Vaginalsekret (allein aufgrund seines pH-Wertes und einiger antimikrobieller
Stoffe) auf dem Penis antiseptisch wirkt (obwohl dies doch gerade eine der Körperflüssigkeiten
-87-
ist, vor denen man sich „hüten“ sollte!) – wie viel wirksamer werden dann
Hautdesinfektionsmittel auf der Penishaut und Schleimhautantiseptika auf der
Penisschleimhaut und am Harnröhrenausgang sein?
Die „große Penisantisepsis“ nach Kondomversagen (Riss, Abrutschen, dadurch mehr oder
weniger funktionell ungeschützter GV oder AV) wurde bereits oben beschrieben. Dies ist ein
Extremszenario für seltene Ausnahmefälle (nicht für die Routine!), wo der gesamte Penis
einschließlich der ebenfalls sehr infektionsanfälligen Vorhautinnenseite mit einem begrenzt
viruziden Hautdesinfektionsmittel benetzt wird, und nur die Eichelspitze und der
Harnröhrenausgang (die für die Anwendung eines solchen Mittels zu empfindlich sind:
Schmerzen, Brennen) werden dabei ausgelassen; stattdessen wird die Eichelspitze mit dem
etwas aufgespreizten Harnröhrenausgang mit einem Schleimhautantiseptikum (Octenisept
oder 0,2 % CHX) benetzt oder – besser – in der Kappe (Deckel) der Spüllösungsflasche
„gebadet“. Für die Routine außerhalb von besonderen Risikosituationen (die es ja eigentlich gar
nicht geben sollte oder dürfte) ist dieses Verfahren aber zu aggressiv und auch unangenehm, da
der in der Nähe des Harnröhrenausgangs verdampfende Alkohol des Hautdesinfektionsmittels
dort ein vorübergehendes brennendes Gefühl hinterlässt.
Für die „Routine“ nach geschütztem GV und/oder FO mit FSW eignen sich die „kleine“ bzw.
„erweiterte“ Penisantisepsis und die „HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung“.
Dabei werden die „offiziellen“ Anwendungsbereiche der dabei eingesetzten Mittel nicht
überschritten: das begrenzt viruzide Hautdesinfektionsmittel benetzt die äußere Penishaut, und
das Schleimhautantiseptikum die Penisschleimhaut (Eichel, Penisfurche, Vorhautinnenseite,
Harnröhrenausgang).
Als Mittel für die Hautdesinfektion sollten „begrenzt viruzide“ Hautdesinfektionsmittel zum
Einsatz
kommen.
Da
nach
derzeitigem
Kenntnisstand
die
handelsüblichen
Hautdesinfektionsmittel, die auch durch Laien angewandt werden können, ohnehin nicht gegen
HPV wirken (selbst wenn sie als „viruzid“ deklariert sind), reichen grundsätzlich auch „begrenzt“
viruzide Hautdesinfektionsmittel, die behüllte Viren wie HIV, Hepatitis B, Herpes simplex
abtöten. „Viruzide“ Mittel bieten allerdings weitere Vorteile, wirken sie z.B. auch gegen
Durchfallerreger wie Noro-Viren. Im STD-Kontext wären „viruzide“ Mittel dann interessant,
wenn sie auch gegen HPV wirken wären. Dies scheint aber nach neuen Untersuchungen aus
dem Jahr 2014 nicht der Fall zu sein.
Bis vor wenigen Jahren konnte man HPV-Viren nicht züchten. Man hat daher andere unbehüllte
Viren, die man züchten konnte und von denen man annahm, dass sie sich biologisch ähnlich
verhalten wie HPV, als „Ersatz“ genommen und in Versuchen mit Desinfektionsmitteln getestet.
Wurden die „Ersatzviren“ inaktiviert, ging man davon aus, dass auch HPV abgetötet würde.
Schließlich gelang es aber, in dreidimensionalen, komplexen Zellkulturen aus Epithelzellen, die
die normale Struktur eines Epithels nachbauen, HPV 16 und HPV 18 anzuzüchten und die
Virionen auch „reifen“ zu lassen. Als man diese dann gegen Desinfektionsmittel testete, war
man erstaunt, wie resistent diese Viren selbst gegenüber Desinfektionsmitteln sind, die man
üblicherweise als „voll-viruzid“ annahm. Selbst 95 % Alkohol wirkte nicht. Man fand zwar zwei
-88-
Desinfektionsmittel, die hoch wirksam gegen HPV sind, diese sind aber nicht als
Hautdesinfektionsmittel verfügbar.
Die Unwirksamkeit gängiger Desinfektionsmittel gegen HPV stellt ein Problem für die Medizin
dar, so dass mittelfristig damit zu rechnen ist, dass Mittel auf den Markt kommen, die auch HPV
inaktivieren, oder bereits marktgängige Mittel auf ihre Wirksamkeit gegen HPV nun direkt
getestet werden (bisher wurden sie ja an „Ersatzviren“ getestet). Früher oder später wird es
wohl Hautdesinfektionsmittel geben, von denen man sicher weiß, dass sie HPV-wirksam sind.
Solange dies aber nicht der Fall ist, sollte man sicherheitshalber davon ausgehen, dass
Hautdesinfektionsmittel nicht gegen HPV wirken. Und wenn es irgendwann HPV-wirksame
Hautdesinfektionsmittel gibt, die auch für Laien nutzbar sind, wird sich dann immer noch die
Frage stellen, ob diese dann wahrscheinlich sehr aggressiven Mittel auch am Penis, in
Schleimhautnähe oder mit Schleimhautkontakt angewandt werden dürfen? PVP-Jod scheint
aufgrund mehrerer Indizien gegen HPV wirksam zu sein, eignet sich aber aus verschiedenen
Gründen nicht für die Penisantisepsis im Rahmen der Sexarbeit (starkes Brennen am
Harnröhrenausgang wegen des Alkoholgehaltes; Problem der Braunfärbung/Handhabung der
Lösung, hohe Kosten).
Carrageen (als Algenextrakt) ist kein Desinfektionsmittel, aber ein Stoff, der (am besten in der
Form von iota-Carrageen) die Infektiosität von HPV hemmt, ohne das Virus selbst zu zerstören.
Seine Wirksamkeit ist also mehr „biologisch“ als „chemisch-toxisch“. Dabei wirkt es auch noch
gegen andere Viren (wie HIV und Herpes simplex), wenn auch nicht so stark wie ein
Desinfektionsmittel bzw. konzentrationsabhängig.
Die Wirksamkeit von Carrageen, besonders iota-Carrageen, gegen HPV ist nicht nur im Labor
bestätigt, sondern auch in klinischen Studien z.B. mit vaginalen Mikrobiziden und einem
carrageen-haltigen Gleitmittel (Divine 9).
Solange es kein anerkanntes Hautdesinfektionsmittel gegen HPV gibt, erscheint die Anwendung
von Carrageen-Lösung oder –Spray als die einzige auch für Laien umsetzbare Möglichkeit (außer
der HPV-Impfung), HPV-bedingte Risiken zu verringern bzw. das Übertragungsrisiko auf
Geschlechtspartner zu minimieren. Da Carrageen nicht gegen Bakterien wirkt, greift man mit
der Carrageen-Anwendung beispielsweise auf intakter Penishaut nicht in die schützende
Hautflora auf dem Penis ein, schädigt also auch nicht den natürlichen Säureschutzmantel der
Haut, kann aber dennoch von antiviralen Effekten ausgehen, die auch (konzentrationsabhängig)
über HPV hinaus reichen.
Da das in Österreich hergestellte Nasenspray Coldamaris prophylactic etwa 0,12 % iotaCarrageen enthält, stellen diese 0,12 % einen Referenzwert dar, wie viel iota-Carrageen man
mindestens nehmen sollte, wenn man sich eine Carrageen-Lösung herstellt (bei kappaCarrageen müsste man etwa die 10-fache Menge nehmen, um Laborversuchen zufolge dieselbe
Wirksamkeit gegen HPV zu erreichen).
Als Schleimhautantiseptikum eignet sich Octenisept oder Chlorhexidinlösung (CHX) in der
höchsten in Deutschland als Mundspüllösung erhältlichen Dosierung (0,2 % CHX). CHX wird
-89-
auch in manchen Präparaten im Urogenitalbereich eingesetzt, man befindet sich also damit
nicht außerhalb seines prinzipiellen Anwendungsbereiches; die Mundspüllösung ist aber am
einfachsten zu erhalten (apothekenpflichtig). CHX besitzt ein weites Spektrum der Wirksamkeit
gegen STD-Keime (HIV, Herpes simplex, Gonokokken, Chlamydien; Hepatitis B), nicht aber
gegen HPV.
Octenisept wirkt ebenfalls gegen alle genannten STD-Keime (außer HPV), auch gegen Pilze
(Candida albicans). Im direkten Vergleich mit CHX erwies sich Octenisept gegenüber der
überwiegenden Mehrzahl der getesteten bakteriellen Krankheitserreger (leider wurden keine
STD-Keime in den Vergleichstest einbezogen) als überlegen, sowohl was die Stärke wie die
Schnelligkeit der bakteriziden Wirkung betraf. Dies galt auch in Bezug auf den Pilz Candida. Es
ist daher zu vermuten, dass Octenisept auch gegenüber STD-Erregern stärker und schneller
wirksam ist als CHX 0,2 %, und der Ano-/Urogenitalbereich ist einer der offiziellen
Haupteinsatzgebiete für Octenisept, und es verursacht dort auch keine Beschwerden (z.B. kein
brennendes Gefühl). Octenisept ist sogar als Vaginaltherapeutikum zur Behandlung von
Vaginalinfektionen verfügbar.
Dies spricht stark dafür, Octenisept als Mittel der ersten Wahl für die Schleimhautantisepsis im
Penisbereich anzunehmen (vor CHX 0,2 %). Da es allerdings (im Gegensatz zu CHX 0,2 %)
aufgrund des anhaltenden bitteren Geschmacks weniger zum Gurgeln geeignet ist, kann es für
den Freier praktischer sein, auf CHX 0,2 % zurückzugreifen, weil er dies sowohl für die
Antisepsis der Penisschleimhaut wie zum Mundspülen/Gurgeln im Falle von ungeschütztem
Oralsex (Lecken) einsetzen kann. Andererseits bietet Octenisept den Vorteil, dass es auch zur
Antisepsis der Hautanteile des Penis geeignet ist, während CHX 0,2 % hierfür „zu schwach“ sein
dürfte (wenn auch nicht völlig nutzlos). Schließlich ist CHX in 0,2%-iger Lösung kein
Hautantiseptikum (dazu wären viel höhere Konzentrationen erforderlich) (Details s. Anlage 4).
Bei der „kleinen“ Penisantisepsis kommt nur das Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept zum
Einsatz. Es werden nur die basalen Penisabschnitte damit benetzt, die beim GV nicht
kondomgeschützt waren, für den Fall, dass sie beim GV/AV mit Genitalsekreten oder –
schleimhäuten in Kontakt getreten sind. Eine Beschränkung der Penisantisepsis auf den
Penisschaft macht dagegen keinen Sinn nach FO, und sie kann auch Risiken nicht ausschließen,
die durch Kontamination der vorderen, schleimhautbedeckten Penisabschnitte beim Abziehen
des Kondoms oder beim Vor- oder Nachspiel z.B. im Rahmen von Schmierinfektionen
verursacht wurden.
Zielsetzung der „kleinen Penisantisepsis“ ist unter anderem der Schutz der privaten oder
anderer Partnerinnen vor einer Übertragung vor allem von HSV-2. Eine Wirksamkeit gegen HPV
ist nicht zu erwarten, so dass ergänzend (mit einigen Minuten Zeitabstand) oder alternativ die
„HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung (statt Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept)
praktiziert werden sollte, die neben HPV auch gegen andere Viren wirkt (wenn auch nicht so
stark wie ein Hautdesinfektionsmittel), aber den Vorteil bietet, die normale Hautflora auf dem
Penis zu schonen.
Je nach Situation kann die „erweiterte“ Penisantisepsis zweckmäßiger sein, bei der – zusätzlich
zur Anwendung des Hautdesinfektionsmittels oder von Octenisept auf den Hautarealen des
-90-
Penis – die vorderen Penisabschnitte (Eichel, Penisfurche, Vorhautinnenseite) mit Octenisept
oder 0,2 % CHX benetzt werden, und der aufgespreizte Harnröhrenausgang ebenfalls intensiv
mit Octenisept oder CHX 0,2 % benetzt, besprüht oder darin gebadet wird. Wie bei der
„großen“ Penisantisepsis gehört auch das Urinieren dazu, um evtl. schon in die Harnröhre
eingedrungene Keime auszuspülen – so wie auch Frauen empfohlen wird, nach dem Sex zu
urinieren (bei ihnen ist das Risiko des Aufsteigens von Keimen in die Harnblase durch die kurze
Harnröhre größer).
Nach FO ist die kleine Penisantisepsis nicht ausreichend; wenn schon „Penisantisepsis“, dann
sollte auf jeden Fall nach FO die „erweiterte Penisantisepsis“ zum Einsatz kommen. Auch nach
kondomiertem GV macht die „erweiterte Penisantisepsis“ mehr Sinn als die „kleine
Penisantisepsis“, wenn das Kondom hochrutschte oder aus anderen Gründen der Eindruck
entstand, dass vom Kondom nicht geschützte Penishaut in Kontakt mit weiblichen
Genitalflüssigkeiten gekommen ist. Auch nach ungeschütztem Pussy Sliding oder anderen
Situationen, die Schmierinfektionen mit Genitalkeimen auf die vorderen Penisabschnitte,
besonders den Harnröhrenausgang, nicht ausschließen lassen, macht eine „erweiterte
Penisantisepsis“ Sinn (z.B. „zufällige“, unbeabsichtigte Kontakte zwischen den Genitalien,
Übertragung durch Finger, ggf. sogar über Tücher oder Bettwäsche – je nach Keimart).
-90a-
Wichtig ist die Einhaltung der richtigen Reihenfolge:
●
Erst waschen mit fließendem Wasser und Seife/Seifen-/Duschlotion
Vorhautinnenseite); vorsichtig vorgehen, nicht drücken oder reiben
(auch
●
dann vorsichtiges, tupfendes Abtrocknen (nicht reiben oder rubbeln) oder luft-trocknen
●
urinieren
● Einige Minuten warten, damit Restfeuchte aus den oberen Zellschichten der Penishaut
verdunstet und die Penisoberfläche absolut trocken ist (bei Restfeuchte würden die
antiseptischen Mittel verdünnt und damit in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt!)
● Benetzen der Penishaut mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept;
Benetzen des vorderen Penis einschließlich der Vorhaut mit Octenisept oder 0,2 % CHX;
Harnröhrenausgang durch Druck auf die vordere Eichel passiv etwas aufspreizen und
idealerweise in einem mit etwas Octenisept oder CHX gefüllten Deckel „baden“ oder
Antiseptikum hineinsprühen
Manipulationen am Harnröhrenausgang unbedingt vermeiden, damit keine Mikroverletzungen,
Abschürfungen oder Schleimhauteinrisse entstehen
●
Die Antiseptika einziehen lassen, für mindestens einige Minuten nicht mehr waschen!
● Einige Minuten später Benetzen des Penis mit Carrageen-Lösung oder –Spray zur HPVProphylaxe
● Nach Beendigung der sexuellen Aktivität/am Tagesende (wenn kein geschützter Sex mehr
erfolgt und kein Kondom mehr benötigt wird) Penis mit einer Hautpflege-Lotion, Babyöl oder
Ähnlichem einfetten (zwecks Rückfettung), um Hautschäden durch das ggf. mehrfache
Waschen und „Desinfizieren“ zu vermeiden. Vor allem wer häufiger Penisantisepsis betreibt,
sollte auf regelmäßige Hautpflege und Hautschutz am Penis achten.
Details s. (► ANLAGE 4)
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Zusammenfassung der antiseptischen Maßnahmen am Penis (► ANLAGE 4)
Wann?
Einige Minuten nach dem Waschen der Genitalen mit fließendem Wasser und Seife / Seifen/Duschlotion; danach vorsichtig abtrocken/trockentupfen oder lufttrocknen, dann einige
Minuten warten, bis die Restfeuchte in der Penishaut verdunstet ist.
Wo und womit?
Penisschaft – bedeckt mit Haut: begrenzt viruzides Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept
(Achtung: wirkt nicht gegen HPV!)
Intakte Haut ist wenig empfänglich für STD-Erreger; Ausnahmen:
Syphilis, HPV (auch Genitalwarzen sowie Übertragung auf Partnerinnen),
Herpes simplex (Typ 2)
Wenn kein Hochrutschen des Kondoms und kein Kontakt mit weiblichen
Genitalsekreten erfolgt ist:
alternativ nur HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung ohne Einsatz eines
Hautdesinfektionsmittels/Octenisept.
Das schont auch die normale Bakterienflora auf der Penishaut, da Carrageen nur
gegen Viren, nicht aber gegen Bakterien wirkt.
Vorhautinnenseite, Bändchen, Penisfurche – bedeckt mit Schleimhaut:
im Routinefall daher nur mit Schleimhautantiseptikum (Octenisept oder 0,2 % CHX)
benetzen, nicht (!) routinemäßig mit Hautdesinfektionsmittel
Besonders empfänglich für STDs wie HIV, HPV, Herpes, Syphilis; aber auch
Gonokokken finden sich hier bei Infizierten, ferner eitererregende Streptokokken
oder Candida-Pilze.
Häufige Lokalisation von Genitalwarzen.
In seltenen Hochrisikosituationen daher ausnahmsweise mit begrenzt viruzidem
Hautdesinfektionsmittel benetzen, was aber Ausnahme bleiben sollte.
Keine HPV-Wirksamkeit der oben genannten Mittel. Zur HPV-Prophylaxe
daher nach einigen Minuten Abstand noch mit Carrageen-Lösung benetzen
Eichel – bedeckt mit Schleimhaut, die in einem individuell unterschiedlichen Maß
verhornt ist und damit einen Übergang zur Haut zeigt. Behandlung wie
Vorhautinnenseite.
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Harnröhrenausgang – mit Schleimhaut ausgekleidet, sehr empfindlich (Hautdesinfektionsmittel
würde sehr stark brennen, Octenisept oder alkoholfreies Chlorhexidin werden aber auch am
Harnröhrenausgang gut toleriert, allenfalls kurzfristig schwaches Brennen)
Angriffspunkt zahlreicher STD-Keime wie Chlamydien, Gonokokken, Mykoplasmen,
Ureaplasmen, die aufsteigende Harnröhreninfektionen verursachen mit ggf. gonorrhoeartigen Beschwerden; kritische Streptokokkenarten;
Trichomonaden (bei Männern meist asymptomatisch, können aber auf
Partnerinnen übertragen werden)
Angriffspunkt für HIV
Angriffspunkt für HPV (besonders unangenehm und schwer behandelbar:
Genitalwarzen am Harnröhrenausgang und in der Harnröhre)
Urinieren (zum Herausspülen von Keimen von der Harnröhrenschleimhaut)
Intensives Benetzen (besser: Baden) in Octenisept oder 0,2 % Chlorhexidin (Harnröhrenausgang
dazu passiv und sehr vorsichtig etwas aufspreizen); evtl. Spray verwenden
Keine HPV-Wirksamkeit der oben genannten Mittel.
Zur HPV-Prophylaxe daher nach einigen Minuten Abstand noch mit Carrageen-Lösung benetzen
Wichtig: da CHX und Octenisept nicht HPV-wirksam sind, können sie beispielsweise keine
Infektion mit genitalwarzenauslösenden HPV-Viren im vorderen Penisabschnitt oder die
besonders gefürchteten Genitalwarzen am Harnröhrenausgang verhindern. Hiervor können sich
Freier nur (sofern sie nicht schon bereits infiziert sind) durch HPV-Impfung mit Gardasil
schützen, oder aber durch konsequente Nutzung von Kondomen (auch beim Oralverkehr),
abgesehen von der als nur experimentell zu bezeichnenden Möglichkeit der CarrageenAnwendung.
Diese Carrageen-Anwendung könnte im Rahmen einer „HPV-Prophylaxe“ erfolgen, die sich,
wie oben beschrieben, zeitlich an die normale Penisantisepsis anschließt. Bei
komplikationslosem kondomiertem GV ohne vorausgehendem FO kann sie auch die
Penisantisepsis ersetzen, da bakterielle Infektionsrisiken in dieser Situation sehr gering sind
(geringes Syphilis-Risiko) und iota-Carrageen auch typische behüllte STD-Viren inaktiviert.
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Abschließende Hinweise zur Penisantisepsis (► ANLAGE 4)
Manche werden den Vorschlag der „Penisantisepsis“ nach sexuellem Kontakt mit FSW vielleicht
als „diskriminierend“ gegenüber den FSW sehen, so als würde suggeriert, man müsse sich vor
FSW schützen, weil sie besonders „krankmachend“ seien – im Sinne eines antiquierten
Seuchendenkens. Dazu ist anzumerken:
● es gibt bestimmte STD-Erreger, die sich tatsächlich bei FSW häufiger finden als in der
weiblichen Allgemeinbevölkerung (z.B. HPV, HSV-2, Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen,
auf sehr viel niedrigerem Niveau auch Syphilis), in erhöhtem Maße bei sehr jungen
FSW/Berufsanfängerinnen.
Dies ist ein Fakt, der sich im Moment nicht ändern lässt, der aber nicht den FSW angelastet
werden kann, sondern alle diese Infektionen haben sie sich ja von Männern – sei es Kunden, sei
es privaten Partnern – geholt. Die FSW sind in dieser Hinsicht also tatsächlich selbst „Opfer“!
Und wenn die Männer sich z.B. durch solche Maßnahmen wie die „Penisantisepsis“ schützen
(wobei man nicht von Schutz, sondern nur einer weiteren Risikoreduktionsstufe sprechen
sollte), dann letztendlich vor den Keimen ihrer männlichen Kollegen, die diese Keime auf die
FSW übertragen haben.
● die beschriebene Maßnahme ist nichts weiter als eine Weiterentwicklung der bei manchen
FSW routinemäßig angewandten Technik der Reinigung des Penis mit Reinigungs- oder
Desinfektionstüchern vor dem FO oder vor der Kondomapplikation
● der Mann würde seinerseits ja auch erwarten, dass Toys, die z.B. bei ihm zum Einsatz kämen,
ordnungsgemäß desinfiziert sind
● die „Penisantisepsis“ dient vor allem auch dem Schutz weiterer Sexpartnerinnen des Mannes
– das können auch Kolleginnen der FSW sein. Die „Penisantisepsis“ nach Sex mit einer FSW ist
damit Ausdrucks des Respekts vor der/den „nächsten“ FSW, die der Freier erwählt.
● damit liegt dieses Verfahren im eigenen Schutzinteresse der FSW. Es ist zwar durch Studien
kaum beweisbar (welcher Freier würde an einer solchen Studie teilnehmen?), aber plausibel,
dass die berufsbezogenen Infektionsrisiken für FSW geringer wären, wenn alle Klienten diese
Verfahren konsequent anwenden würden.
● da die massive Entkeimung im Rahmen der „großen Penisantisepsis“ die normale
Bakterienflora der Penishaut und –schleimhaut (die auch einen gewissen Schutzeffekt vor
Infektionen bieten mag) schädigt, könnte das Infektionsrisiko am Penis in den ersten Tagen
nach einer „großen Penisantisepsis“ sogar ansteigen – bis sich die normale Flora regeneriert
hat. Genau weiß man das nicht – aber denkbar ist das.
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● auch im Falle der „kleinen“ oder „erweiterten Penisantisepsis“ ist davon auszugehen, dass
die normale Bakterienflora der Penishaut bzw. -schleimhaut vorübergehend reduziert wird.
Selbst Waschungen beeinträchtigen den sauren pH-Wert der Haut (und damit den sog.
„Säureschutzmantel“), der allerdings binnen weniger Stunden wiederhergestellt wird.
Die Anwendung von Antiseptika und Desinfektionsmitteln kann dazu führen, dass das
Infektionsrisiko nach Penisantisepsis vorübergehend (für einige Stunden) ansteigt. Daher ist die
Penisantisepsis bei weiteren Sexkontakten am gleichen Tag konsequent weiterzuführen: wenn
man einmal damit angefangen hat, sollte man eventuelle weitere Sexkontakte am gleichen Tag
ebenfalls auf diese Weise „antimikrobiell absichern“, da Penishaut bzw. -schleimhaut nach
antiseptischen Maßnahmen und gründlicher Waschung vorübergehend empfänglicher für
manche STI-Keime geworden sein könnten.
Wenn also Penisantisepsis im Zusammenhang mit Paysex betrieben wird, sollte dieses nicht
nach Belieben, sondern dann auch konsequent erfolgen, damit sie sich nicht bei weiteren
Paysex-Kontakten am gleichen Tag als kontraproduktiv erweist.
Es ist davon auszugehen, dass am Folgetag sowohl der pH-Wert der Haut wieder auf das übliche
Niveau zurückgekehrt ist, als auch dass sich die Haut- und Schleimhautflora wieder sehr schnell
regeneriert (z.B. über Hautkeime aus der umgebenden Haut, aber auch aus der Unterwäsche
usw.). Wie Studien zeigten, ist die Hautflora beim Menschen sehr stabil und regeneriert sich
schnell. Eine Wiederbesiedlung „entkeimter“ Penisareale dürfte allein schon auf dem
Nachhauseweg durch die ja schon zuvor getragene Unterwäsche erfolgen.
● nach unkompliziertem GV ohne besondere Vorkommnisse wird der Einsatz von
Hautdesinfektionsmitteln am Penisschaft daher nicht als unbedingt notwendig erachtet, vor
allem, da von diesen keine HPV-Wirksamkeit erwartet werden kann. Stattdessen könnte eine
„HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung erfolgen, die gleichzeitig auch noch moderat (wenn
auch nicht so effektiv wie ein Desinfektionsmittel) gegen andere Viren wirkt und vor allem dem
Zweck dient, die Übertragung von HPV auf weitere Geschlechtspartnerinnen zu unterdrücken.
Vorteil ist, dass Carrageen die normale Bakterienflora der Penishaut schont.
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2.12 Sexspielzeug (Toys)
● Sexspielzeug: idealerweise nur bei sich selbst verwenden.
● Freier, die Analdildo-Spiele wünschen, sollten ihre eigenen Dildos für die Anwendung an
ihnen selbst mitbringen.
● Bei Fremdbenutzung von Toys diese mit Kondom überziehen. Wegen des Risikos von
Schmierinfektionen dennoch hinterher sehr gründlich mit Wasser und Seife abwaschen. Wenn
sie nicht mit einem Kondom überzogen sind, müssten sie mit einem geeigneten
(materialverträglichen) Desinfektionsmittel behandelt werden, das auch gegen HPV wirken
müsste (Vermeidung analer HPV-Infektionen: Risiko für Analkrebs). Das ist problematisch, da
die üblichen für Laien verfügbaren Desinfektionsmittel nicht HPV-wirksam sind, selbst wenn sie
als „viruzid“ deklariert sind. Sogar 95 % Alkohol oder 95%-aldehydbasierte Präparate sind
wirkungslos.
● Toys mit rauen Oberflächen, Schweißnähten, aus Holz oder Plastik vermeiden; Gefahr von
Mikroverletzungen der Genital- bzw. Analschleimhäute und ungenügende Desinfizierbarkeit.
Toys aus Silikon nicht mit Silikon-Gleitgel zusammen verwenden – macht die Oberfläche rau.
2.13 Fingern (vaginal bei FSW)
Nicht alle FSW lassen Fingern zu (Risiko von Schmierinfektionen; Mikroverletzungen der
Schleimhäute durch scharfe Fingernägel, die die Schleimhäute anfälliger für Infektionen
machen; Keimreservoir unter Fingernägeln; Schmerzen).
Wer als Kunde fingern will, sollte schon rechtzeitig vorher auf runde, glatte Fingernägel achten.
Ganz frisch geschnittene Fingernägel sind oft scharf. Auf jeden Fall vorher die FSW fragen, ob
ihr das recht ist!
Empfehlung: Fingerlinge, medizinische Handschuhe, auch als Schutz vor Mikroverletzungen
durch Fingernägel; oder, wenn nichts anderes vorhanden, Kondom über den betreffenden
Finger ziehen. Wenn doch ungeschützt, dann mit sauberen Händen (am besten nach
Anwendung eines Händedesinfektionsmittels, danach aber mindestens eine Minute warten – es
muss erst gut verdunsten, da Desinfektionsmittel nicht auf die Genitalschleimhäute übertragen
werden sollte).
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2.14 Anale Fingerspiele
Anale Fingerspiele idealerweise geschützt durch Fingerlinge, Handschuhe (notfalls Kondom
nehmen). HIV kann zwar über intakte Haut nicht übertragen werden, aber verschiedene andere
Schmierinfektionen (STD- oder Darmkeime, auch HPV) sind möglich, und die Nische unter den
Fingernägeln bietet ein der Reinigung schwer zugängliches Keimreservoir.
Beim Übergang von vaginalen zu analen Fingerspielen oder umgekehrt sollten
Fingerlinge/Handschuh/Kondom gewechselt werden, um Keimverschleppungen zu vermeiden.
Dies gilt auch, wenn sich die Freier von der FSW anal fingern lassen: So steigt selbst bei
heterosexuellen Männern das anale HPV-Risiko und Analkrebsrisiko mit der Anzahl der
Sexpartnerinnen an, selbst wenn die Männer niemals passiven Analverkehr hatten (auch wenn
Analkrebs, nach absoluten Fallzahlen betrachtet, bei heterosexuellen Männern viel seltener ist
als bei Männern, die Sex mit Männern haben). Schmierinfektionen durch anale Fingerspiele
oder unhygienische Anal-Toys könnten bei heterosexuellen Männern eine wichtige Rolle bei der
HPV-Übertragung in den Analkanal spielen. So können auch anale Feigwarzen
(Anogenitalwarzen) entstehen.
2.15 Zungenküsse (ZK)
Freier, die ZK praktizieren wollen, sollten vor dem Date antiseptische Mundspülungen
durchführen, um eine Keimreduktion zu erreichen. Es gibt auch Spül-/Gurgellösungen mit
mehrstündiger nachgewiesener Wirksamkeit gegen Mundgeruch. Auch Zungenreiniger können
Mundgeruch reduzieren.
Auch nach Dates mit Zungenküssen ist Mundspülen/Gurgeln angeraten, da auch dabei
verschiedene Keime übertragen werden können. Zwar kein HIV-Risiko und insgesamt gesehen
vergleichsweise geringes STD-Risiko (aber möglich, z.B. bei Syphilis-Primäraffekt an Zunge;
Herpes; Hepatitis B bei hoher Viruslast; Pfeiffersches Drüsenfieber und – eher für werdende
Mütter relevant – Zytomegalievirus; fraglich: HPV), aber z.B. Erreger von banalen, nicht als STD
zu wertenden Halsinfekten oder möglicherweise auch von chronischen Zahnfleischinfektionen
(Parodontalkeime). Die erfolgreiche Übertragung von Gonokokken aus dem Rachenraum bei
Rachengonorrhoe durch Zungenküsse gilt als grundsätzlich möglich, da sich Gonokokken aus
dem Speichel des vorderen Mundbereichs anzüchten ließen. Wie effektiv und wahrscheinlich
dieser potenzielle Übertragungsweg aber ist, ist unbekannt.
Insgesamt gesehen ist das Gesamtrisiko von Zungenküssen aber erheblich geringer als beim
Blasen ohne Kondom und noch viel geringer als beim ungeschützten Lecken.
Da Freier – anders als FSW – nicht täglich in solche Situationen kommen werden, können sie
sogar die stärker wirksamen Mundspüllösungen wie 0,2 % CHX hierzu verwenden. Auch wenn
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es noch nicht ganz klar ist, ob HPV auch durch Zungenküsse erfolgreich übertragen werden
kann, sollten Freier bedenken, dass FSW, die viel ungeschützten Oralsex betreiben, ein Risiko
von mehreren Prozent (wahrscheinlich im höheren einstelligen Prozentbereich) haben, im
Mund/Rachen mit HPV 16 infiziert zu sein. Ob das bei ZK ein Risiko darstellt, ist unklar. Wer
vorsichtshalber sein Risiko reduzieren möchte, könnte auf das experimentelle CarrageenVerfahren zurückgreifen und so vorgehen, wie es beim Lecken (Cunnilingus) beschrieben wird
(vgl. Anlage 2), wobei allerdings klar hervorzuheben ist, dass Lecken bei FSW (relativ gesehen)
ein viel größeres Infektionsrisiko für den Freier mit HPV 16 oder anderen STDs darstellt als ZK.
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2.16 Zungenanal (Rimming)
Nur geschützt praktizieren (z.B. Lecktücher, Dental Dams)! Neben STD-Keimen tritt hier noch
ein Risiko durch Darmkeime (z.B. Durchfallerreger, Helicobacter, Hepatitis A) hinzu. Auch HIVInfektionen wurden auf diesem Weg schon beschrieben, sogar vom leckenden (aktiven) Partner
auf den passiven Partner.
2.17 (informell) Gesichtsbesamung
Auch über die Bindehäute der Augen sind STD-Infektionen möglich – selbst HIV- und HepatitisB-Infektionen sind schon nachgewiesen, gefährlich sind auch Gonorrhoe, Chlamydien und
Herpes.
Falls Sperma ins Auge gelangt:
● Reichliches, aber druckfreies Ausspülen mit Wasser.
● Alkohol, Chlorhexidin- oder andere Mundspüllösungen usw. können am Auge nicht
angewandt werden.
Gesichtsbesamung sollte wegen des unkalkulierbaren Risikos der Augenbenetzung vermieden
werden, besser Körperbesamung, sofern unverletzte Haut (ohne Wunden, ohne Ekzeme)
vorliegt. Notfalls rechtzeitig Auge schließen und erst nach äußerer Reinigung mit reichlich
Wasser wieder öffnen (was unter den Bedingungen der Sexarbeit oft schwierig sein dürfte).
Spermabenetzung intakter Haut stellt kein HIV-Risiko dar.
2.18 Body-to-body-Massage, Pussy Sliding („Schlittenfahrt”)
Abgesehen von extrem konstruierten Fällen ist
infektionsmedizinisch (was STDs betrifft) unproblematisch,
die
Body-to-Body-Massage
● sofern der Penis dabei nicht die weiblichen Genitalschleimhäute oder den unmittelbaren
Analbereich berührt oder diesem sehr nahe kommt (Risiko von Schmierinfektionen)
● Wer auf diese „Grenzen“ nicht achten will, sollte ein Kondom verwenden.
Das „Pussy Sliding“ (manchmal auch als „französische Schlittenfahrt“ bezeichnet, im Gegensatz
zur „chinesischen Schlittenfahrt“, die eine spezielle GV-Stellung darstellt) ohne Kondom stellt
wegen der intensiven Berührung zwischen Penis-Schleimhaut/Penis-Haut und den Schamlippen
keine Safer-Sex-Technik dar.
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Vor allem bei starker Feuchtigkeit durch Gleitmittel oder Scheidensekret kann der Penis
spontan eindringen und es damit zu einem beginnenden GV kommen. Auch ohne
unwillentliches Eindringen bestehen zusätzlich erhöhte Infektionsrisiken für die FSW bei
Lusttropfen aus dem Penis auf ihren Schamlippen, und für den Mann bei Kontakt von
Scheidensekret mit Penisschleimhaut, -haut und Harnröhreneingang.
Das ungeschützte „Pussy Sliding“ ist daher vom Infektionsrisiko für beide Seiten (also FSW und
Kunde) – je nach Intensität und Auftreten von Lusttropfen oder Scheidensekret – irgendwo
zwischen GVM und Coitus interruptus ohne Kondom einzustufen, d.h. riskanter als GVM, aber
nicht so riskant wie Coitus interruptus ohne Kondom.
Pussy Sliding mit Kondom ist dagegen weitgehend unproblematisch bis auf die Restrisiken, die
sich auch beim GVM durch mögliche Kontakte zwischen nicht kondomgeschützten basalen
Penisabschnitten und weiblichen Genitalschleimhäuten/-sekreten ergeben.
-100-
Quellenangabe:
„Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ (über Google abrufbar)
http://freepdfhosting.com/9d0efc57cc.pdf
Hier Internetempfehlungen für Kunden:
www.sexsicher.de
www.pflege-deinen-Schwanz.de
www.don-juan.ch
Wichtige Seite zum Erkennen, Handeln und Hilfe in Sachen Zwangsprostitution:
http://www.stoppt-zwangsprostitution.de/hallo_freier/
(mit Telefonnummern!)
Sehr informativ in Sachen STDs (nicht nur HIV!):
http://www.aidshilfe.de/de/shop/archiv/sexuell-uebertragbare-infektionen-2012
http://www.gib-aids-keinechance.de/materialien/fremdsprachig/praeventionsmappe.php?sid=01d646e56a697068b3ac30
f01687e630
-101-
ANLAGE 1
Vermeidung von Kondomfehlern / Weitere Hinweise zum Umgang mit Kondomen
● Markenkondome verwenden (Aufdruck DIN EN ISO 4074 : 2002)
● keine abgelaufenen Kondome!
● richtige Lagerung der Kondome (keine Hitze, Sonne, große Kälte); ideal:
kühl, bis 22 Grad; wichtig: trockene Lagerung!
● FSW sollten auf eigenen Kondomen bestehen, da sie nicht wissen, ob ihr
Kunde die Kondome in der Vergangenheit richtig gelagert hat
● bei Bedarf (ungewöhnliche Penisgrößen) Sondergrößen dabei haben und
verwenden; dies gilt vor allem bei abweichender Penisdicke (Länge ist nicht
so relevant wie der Penisumfang)
Unpassende Kondomgrößen erhöhen das Risiko für Reißen, Abrutschen,
Erektionsprobleme, Penis-Irritationen, reduzierten Genuss usw.
● bei Latexallergie Kondome aus Polyurethan verwenden; kleines Depot von
Polyurethan-Kondomen für Männer, die vorgeben, gegen Latex allergisch zu
sein
● im Routinefall sollten zum GV aber Latexkondome verwendet werden, da sie höhere
Sicherheit bieten (geringes Risiko von Kondomrissen). Das gilt erst recht für AV.
● keine Milchsäurezäpfchen oder anderen Medikamente kurz vor dem GV vaginal
einführen (Vaginalcremes usw.)
● Kondom vorsichtig aus der Packung nehmen, ohne sie zu beschädigen (keine Schere,
nicht mit den Zähnen aufreißen); nicht mit scharfkantigem Schmuck oder
Fingernägeln beschädigen
● nie 2 Kondome übereinander
● Kondom auf keinen Fall vor dem Aufsetzen auf den Penis entrollen!
● Vorhaut beim Aufsetzen des Kondoms zurückziehen (sofern unbeschnitten)
● Penis sollte möglichst steif sein; falls notwendig, Vorhaut zurückziehen (wenn nicht steif:
beim Blasen mit dem Mund aufsetzen, sofern man diese Technik beherrscht)
● beim Aufsetzen des Kondoms mit dem Mund keine Zähne dazu einsetzen
(Gefahr der Beschädigung des Kondoms!)
● Reservoir (Spitze des Kondoms) mit zwei Fingern zusammendrücken, Gummiring
nach außen, vorsichtig abrollen, nicht ziehen!
● darauf achten, dass das Reservoir schlaff ist und keine Luft enthält, sonst kann
das Kondom später platzen (deshalb muss das Reservoir beim Aufsetzen
zusammengedrückt werden)
● nicht mit Fett oder Öl berühren (auch nicht Sonnencreme!)
● trockene Scheide vermeiden; Gleitgel nutzen, dies muss aber öl- und fettfrei sein,
d.h. auf Wasser- oder Silikonbasis. Trockene Scheide ist ein Risikofaktor für
einen Kondomriss!
Vor allem kurz nach der Menstruation kann die Scheide trockener sein als sonst
üblich.
-102-
● niemals Gleitmittel innen ins Kondoms; niemals Penis vor dem Aufsetzen
des Kondoms mit Gleitmittel anfassen oder einreiben!
● neues Kondom nehmen zum GV, wenn vorher intensives FM (vor allem mit
Einsatz der Zähne)
● idealerweise sollte ein Kondom immer nur bei einer Sexpraktik angewandt und danach
gewechselt werden (z.B. zwischen FM und GV). Im besonderen Maß gilt das, wenn
für FM latexfreie Kondome verwendet werden, weil diese ohnehin ein höheres
Risiko von Reißen/Kondomversagen aufweisen.
● viel „Handarbeit“ zwischen GV-Phasen vermeiden, oder Kondom wechseln
● richtigen Sitz des Kondoms während des GVs mit der Hand prüfen (ggf. durch FSW)
● bei langem oder besonders intensivem GV zwischendurch Kondom wechseln
(auch die Verwendung von sexuellen Stimulanzien durch Kunden stellt einen
Risikofaktor dar, weil der Sex dann länger dauert und/oder roher/heftiger erfolgt)
● Kondom wechseln, wenn dieses innen schon sehr feucht ist (Lusttropfen,
Prostatasekret)
● beim Übergang von vaginal nach anal (und erst recht umgekehrt) Kondom
wechseln
● wenn der Kunde merkt, dass das Kondom in der Scheide fest steckt und er sich nur
noch im Kondom bewegt: GV unterbrechen, neues Kondom
● rechtzeitiges Herausziehen des Penis (zusammen mit dem Kondom, indem man
dieses mit der Hand umfasst) aus der Scheide nach der Ejakulation, vor der
Erschlaffung (am Ring anfassen)
● Kondome bieten keine ausreichende Sicherheit unter Wasser, z.B. beim Sex in der
Badewanne oder im Whirlpool
● „Flügelkondome“ können helfen, Anwendungsfehler zu vermeiden; da sie dünner
gestaltet sind als herkömmliche Kondome, bieten sie auch eine Chance auf moderat
verbesserte Gefühlsechtheit
*(Abweichendes Vorgehen bei Flügelkondomen:
● Flügel mit dem Logo nach oben anfassen; Reservoir nicht zusammendrücken
● beide Flügel gleichzeitig herunterbewegen; dies erfolgt ohne direkte Berührung des
Kondoms
● Flügel entfernen)
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ANLAGE 2
Infektionsrisiken beim ungeschützten Lecken (Kunden lecken bei FSW)
Analog der Häufigkeitsverteilung genitaler Infektionen bei FSW ist – abgesehen von Herpes, vor
allem Herpes simplex Typ 2 – der häufigste Keim, mit dem Kunden beim ungeschützten Lecken
bei FSW rechnen müssen, krebserregendes HPV. Durchschnittlich 15 % aller FSW in Europa
weisen HPV 16 und/oder HPV 18 auf den genitalen Schleimhäuten auf, sind also dann in diesem
Körperabschnitt in Bezug auf HPV infektiös (also virusausschüttend).
Für den mit großem Abstand im Rachenraum gefährlichsten HPV-Typ, HPV 16, ist mit einer
Wahrscheinlichkeit von etwas mehr als 10 % im Genitalbereich von FSW zu rechnen. Bei jungen
FSW (um 20 Jahre und knapp darüber) dürfte die Quote eher noch höher ausfallen, im weiteren
Verlauf des dritten Lebensjahrzehnts geht dann die Belastung mit HPV auch bei FSW allmählich
zurück – jedenfalls den meisten (nicht allen) Studien zufolge. Regelmäßige
infektionsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen haben hierauf keinen Einfluss, weil dabei
weder nach HPV bzw. einzelnen HPV-Typen gefahndet wird, und eine HPV-Infektion als solche
ist auch nicht direkt therapierbar (allerdings ist die Wahrscheinlichkeit ihres spontanen
Abheilens modulierbar, z.B. durch ausnahmslose Kondomnutzung – auch privat; Nichtrauchen).
Junges Alter, unregelmäßige Kondomnutzung (ggf. auch nur privat unterlassene
Kondomnutzung), Rauchen erhöhen das Risiko für eine nachweisbare Infektion mit den
krebserregenden HPV-Typen. Eine rechtzeitige HPV-Impfung (vor dem ersten
Geschlechtsverkehr) verhindert hoch effektiv Infektionen mit den im Impfstoff erfassten HPVTypen. Erfolgte die Impfung zu spät, d.h. wenn schon eine Infektion mit dem betreffenden HPVTyp vorliegt, hat die Impfung keinen Einfluss mehr auf das Schicksal dieser bereits bestehenden
HPV-Infektion. Dennoch ist anzunehmen, dass die Infektiosität der geimpften Person drastisch
sinkt, da die ausgeschütteten Viren durch verschiedene Immunmechanismen, vor allem
neutralisierende Antikörper, abgefangen werden.
Daher ist davon auszugehen, dass Lecken in Bezug auf HPV 16 (den im Mund-Rachen-Raum
relevanten und gefährlichsten HPV-Typ) für den Freier ungefährlich ist, wenn die FSW
rechtzeitig (vor Aufnahme sexueller Aktivität) gegen HPV geimpft wurde, und dass selbst dann
von einem wesentlich verringerten Infektionsrisiko für den Freier auszugehen ist, wenn sie
„verspätet“ (nach Aufnahme sexueller Aktivität bzw. nach Aufnahme ihrer Tätigkeit als FSW)
geimpft wurde.
Genitalwarzen
Genitalwarzen können sich auch im Mund bilden. Wenn eine FSW genital mit genitalwarzenauslösenden HPV-Typen infiziert ist, kann sich der Kunde beim Lecken damit anstecken und
dann Genitalwarzen auch im Mundbereich entwickeln (auch wenn dies viel seltener ist als
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genital), es sei denn, er wäre vor dem Erstkontakt mit genitalwarzenauslösenden HPV-Typen im
Mund-Rachen-Bereich durch Impfung mit dem tetra- bzw. nonavalenten Gardasil geschützt.
Allerdings haben Genitalwarzen im Mund keinen eigentlichen Krankheitswert, könnten aber als
indirektes Indiz gelten, dass die eigene Abwehrlage es nicht schafft, HPV-Infektionen zu
überwinden – so dass Personen mit Genitalwarzen im Mund möglicherweise auch ein erhöhtes
Risiko haben könnten, später an HPV-bedingtem Mund-Rachen-Krebs (aufgrund anderer HPVTypen) zu erkranken. Allgemein gilt, dass persistierende HPV-Infektionen und/oder HPVbedingte Erkrankungen an einer Körperstelle mit erhöhten Risiken für HPV-bedingte
Erkrankungen an anderen Körperstellen einhergehen – als Indiz für eine eingeschränkte
Immunkompetenz der betroffenen Person, HPV-Infektionen rasch zur Ausheilung zu bringen.
Gonorrhoe (Tripper) und Chlamydien
Auch wenn es sich um biologisch gesehen sehr unterschiedliche Bakterien handelt, werden sie
hier zusammen betrachtet, weil die Konsequenzen für den leckenden Mann dieselben sind. Die
Wahrscheinlichkeit einer genitalen Gonokokken- bzw. Chlamydienbesiedlung der FSW hängt
vom Alter der FSW ab (je jünger, desto höher das Risiko), aber auch von regelmäßiger
Kondomnutzung (auch privat, z.B. Ping-Pong-Effekte und Reinfektionsmöglichkeit durch private
Partner). Die Wahrscheinlichkeit, dass eine FSW genital mit Gonokokken und/oder Chlamydien
besiedelt ist, reicht von nahe 0 %, wenn sie gerade infektionsmedizinisch untersucht wurde und
kein Hinweis auf diese Erreger dabei festgestellt wurde (wobei man sich auch nicht immer
darauf verlassen kann, dass wirklich alle Infektionen immer erkannt werden – auch abhängig
von der labortechnischen Nachweismethodik), bis über 20 %, wie eine Studie aus NordrheinWestfalen zeigte, in der FSW in Clubs beprobt wurden (bzw. bei sich selbst Proben nahmen),
von denen die meisten nicht regelmäßig an Untersuchungen teilgenommen hatten; Chlamydien
finden sich bei FSW regelmäßig häufiger als Gonokokken.
Der Kunde kann sich dann beim Lecken diese Keime einfangen; sie können sich bei ihm im
Rachen ansiedeln und dort einen Rachentripper oder Chlamydieninfekt hervorrufen, die aber
meist symptomlos verlaufen oder so unspezifische, milde Zeichen einer Racheninfektion
verursachen, dass sie als solche nicht bemerkt und behandelt werden. Die Infektionen heilen
nach Wochen oder Monaten meist von selbst wieder ab. Abgesehen davon, dass sie
Infektionsrisiken z.B. für HIV im Rachenraum erhöhen könnten (sofern der betreffende Mann
überhaupt solche Risiken eingeht, was ja eher unwahrscheinlich ist), haben sie daher keinen
wirklichen Krankheitswert für den infizierten Mann.
Das Problem für den Freier besteht darin, dass die unbemerkte Racheninfektion ein
Keimreservoir darstellt, das er selbst durch OV weiter verbreiten kann, z.B. beim Lecken auf
seine private Partnerin. Während Zungenküsse als mögliche, aber nicht sehr effektive
Übertragungswege gelten, ist beim Lecken eine Übertragung von Gonokokken oder Chlamydien
auf den weiblichen Urogenitaltrakt plausibel, z.B. auf die Schleimhaut des Harnröhrenausgangs,
die eine typische Zielregion für diese Bakterien darstellt.
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Der umgekehrte Weg, die Übertragung von Gonokokken und Chlamydien aus dem MundRachen-Raum der FSW auf den Penis, konkret das Epithel der Harnröhre, bei der Fellatio ist
wissenschaftlich gut dokumentiert und ein häufiger Übertragungsweg. Daher ist davon
auszugehen, dass der spiegelbildliche Infektionsweg, vom Mund-Rachen-Raum des Mannes auf
die Urogenitalregion der Frau beim Lecken, grundsätzlich auch funktioniert.
Damit besteht das Risiko, dass ein Mann, der bei einer FSW ungeschützt geleckt hat, später
(auch nach Wochen oder Monaten) andere Frauen, z.B. seine private Partnerin, beim Lecken
genital ansteckt. Zwar sind genitale Infektionen mit diesen Keimen bei Frauen nicht selten
asymptomatisch. Auch zunächst symptomlose Infektionen können aber im Genitaltrakt
aufsteigen und im Verlauf zu akuten oder chronischen Entzündungen des kleinen Beckens
führen. Sind die Infektionen aber symptomatisch oder auch durch Zufall entdeckt worden, gerät
der Freier (als zu vermutende Infektionsquelle) privat in massive Erklärungsnöte. Und nachdem
er beim Lecken seine private Partnerin abgesteckt hat, kann er sich dann wiederum beim
ungeschützten GV selbst anstecken – und zwar jetzt am Penis, und wird dann mit einer recht
hohen Wahrscheinlichkeit eine symptomatische Infektion der Harn- und ggf. Genitalwege
(Gonorrhoe: 90 % symptomatisch; Chlamydien: 50 % symptomatisch) entwickeln.
Mykoplasmen/Ureaplasmen
Hier gilt prinzipiell dasselbe wie für Gonokokken und Chlamydien, wobei auch diese Infektionen
im Rachenbereich normalerweise asymptomatisch bleiben, also überhaupt nicht bemerkt
werden. Nach Übertragung z.B. beim Lecken auf den weiblichen Urogenitalbereich z.B. der
privaten Partnerin sind Mykoplasmen aber auch dort oft symptomlos. Der Mann kann sich dann
über den Umweg der von ihm infizierten Partnerin beim ungeschützten GV am Penis anstecken
und eine ggf. symptomatische Harnröhrenentzündung entwickeln.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Mykoplasmen nicht unbedingt zum
Routinespektrum der infektionsmedizinischen Untersuchungen von FSW gehören; anders als in
Bezug auf Gonorrhoe und Chlamydien kann sich also ein Freier nicht sicher sein, dass eine FSW
mit an Sicherheit annähernder Wahrscheinlichkeit frei von Mykoplasmen ist, auch wenn sie
frisch untersucht ist und „nichts“ festgestellt wurde. Allerdings ist der Krankheitswert der
verschiedenen Arten bzw. Stämme (Genotypen) dieser Bakterien unterschiedlich zu bewerten;
manche gelten auch als harmlos. Im Rachen siedeln sie sich vergleichsweise selten an; das
Epithel der Harnwege und der Genitalbereich sind ihre bevorzugten Lebensräume.
Syphilis
Selbstverständlich kann sich ein Kunde beim Lecken auch an Syphilis anstecken, wenn die FSW
an Syphilis im ersten oder zweiten Stadium leidet und z.B. einen Primäraffekt an den
Genitalschleimhäuten hat. Der Kunde würde dann einen ggf. nicht bemerkten (da
schmerzlosen) oder fehlgedeuteten Primäraffekt an den Lippen oder im Mund (vor allem der
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Zunge) erleiden und könnte damit dann auch seine private Partnerin anstecken. Das Risiko für
das Vorliegen einer infektiösen Syphilis ist bei FSW in Deutschland auf höchstens 1 % oder
niedriger einzuschätzen (Niederlande: 0,2 %).
Hepatitis B
Da Hepatitis B schon durch enge Haushaltskontakte oder Zungenküsse übertragen wird, ist eine
Infektion beim Lecken ebenfalls möglich. Erhöhtes Risiko während der Menstruation bzw. bei
Blutbeimischung. Impfung der FSW oder des Freiers schützen vor Hepatitis-B-Ansteckung.
Pilze (Candida)
Angesichts der Häufigkeit von Pilzen im weiblichen Genitaltrakt kann man sich beim Lecken
natürlich auch Candida im Mund einfangen. Allerdings sind ohnehin viele Menschen mit
Candida im Mund infiziert, so dass es letztlich nicht darauf ankommt, ob beim Lecken weitere
Individuen eingefangen werden. Solange das Immunsystem nicht gestört ist, die Abwehrlage
und das biologische Gleichgewicht stimmen, bleiben die Pilze im Mund asymptomatisch und
verursachen kein Problem. Umgekehrt kann häufiges Lecken aber Pilzinfektionen bei Frauen
fördern, wobei dieser Effekt weniger auf die Übertragung von Pilzen aus dem Mund des
Leckenden auf die Genitalschleimhäute zurückgeführt wird, sondern eher auf die Störung des
biologischen Gleichgewichts im weiblichen Genitaltrakt durch die häufige Exposition gegenüber
Speichel mit seinen natürlichen antibakteriellen Stoffen, die je nach Empfindlichkeit der Frau
und individuellem genitalen Mikrobiom zu Keimverschiebungen führen können, die (ähnlich
wie Antibiotika) Pilzinfektionen fördern. Es gibt FSW, die sich aufgrund dieser Erfahrungen
(Pilzinfektionen, Bakterielle Vaginosen) nicht mehr genital lecken lassen.
HIV
FSW stellen in Deutschland keine HIV-Risikogruppe dar; erhöhte HIV-Risiken können aber aus
Umständen resultieren, die außerhalb der unmittelbaren Sexarbeit liegen.
Da Vaginalsekret auch außerhalb der Menstruation infektiöses HIV enthalten kann (mit
gewissen Schwankungen im Monatszyklus), ist selbst außerhalb der Menstruation ein HIVInfektionsrisiko für den Leckenden plausibel, wobei aber die starke antiinfektiöse Kapazität des
Speichels normalerweise dafür sorgen dürfte, dass dieses Risiko extrem gering ist. Erst bei
offenen Stellen im Mund (durch Entzündungen, Wunden, Herpes usw.) kann es steigen. Bei
Blutbeimischung zum Vaginalsekret, z.B. während der Menstruation oder nach Sickerblutungen
durch Verletzungen z.B. durch Sextoys ist in jedem Fall mit einem erhöhten Infektionsrisiko für
den Leckenden zu rechnen. Blut-Schleimhaut-Kontakt ist als infektiös einzustufen; dies gilt in
erhöhtem Maße, wenn wunde Stellen im Mund oder an den Lippen hinzu treten.
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Bei intakten Verhältnissen im Mund (einschl. Lippen und Rachen) des Leckenden und ohne
Blutbeimengung ist Lecken aber als sehr geringes HIV-Risiko zu betrachten, und es sind nur
wenige HIV-Infektionen durch Lesbensex dokumentiert, wobei selbst in diesen Fällen in nicht
genau bezifferbarem Umfang andere Infektionswege (wie Sextoys mit Blutspuren) nicht
ausgeschlossen werden können.
Fazit:
Berücksichtigt man die sehr niedrige HIV-Durchseuchung von FSW in Deutschland (sofern nicht
besondere Risikofaktoren außerhalb der Sexarbeit vorliegen, was für den Kunden nicht immer
erkennbar ist), so steht HIV nicht im Zentrum der Risiken, denen sich ein Kunde beim
ungeschützten Lecken bei einer FSW ohne besondere zusätzliche Risikofaktoren unterwirft.
Unabhängig davon sollte Blutkontakt (also Lecken während der Menstruation, bei sichtbarem
Blut oder nach Blutgeschmack im Mund) aber vermieden werden, da auch andere
Infektionskrankheiten (z.B. Hepatitis B) dann leichter übertragen werden können.
Im direkten Vergleich stellt HPV (konkret HPV 16) in Deutschland das größere Gesundheitsrisiko
(verglichen mit HIV) dar, wenn Freier bei FSW ungeschützt lecken. HPV 16 ist bei
durchschnittlich mehr als 10 % der FSW zu erwarten (besonders bei den sehr jungen), und
Lecken stellt den vermutlich effektivsten Übertragungsweg für HPV-Infektionen in den MundRachen-Raum dar (wahrscheinlich noch effizienter als die Übertragung bei Fellatio). Selbst
wenn sich nur wenige Männer, die auf diese Weise HPV 16 im Mund/Rachen ausgesetzt
werden, dauerhaft (persistierend) infizieren, droht einer Teilgruppe von ihnen nach vielen
Jahren ein Krebs im Rachenbereich (z.B. Mandeln, Zungengrund) mit schweren Folgen wie hoch
invasiver Eingriffe oder im schlimmsten Fall tödlichen Ausgang.
So gesehen stellen nicht HIV, auch nicht Syphilis, und schon gar nicht andere bakterielle und
damit mehr oder weniger gut antibiotisch behandelbare Infektionen wie Gonokokken,
Chlamydien oder Mykoplasmen das größte Risiko für bei FSW leckende Männer, sondern HPV
16.
Praktische Konsequenzen:
● Geschütztes Lecken mittels Barrieremethoden (Lecktuch/Dental Dam/Kofferdam; Plastikfolie;
Femidom)
● Sofern dies für den Freier nicht infrage kommt, kann er versuchen, sein Risiko durch (a)
Impfungen (HPV, Hepatitis B) und (b) antiseptische Maßnahmen im Mund-Rachen-Raum zu
verringern, wobei es besonders wichtig ist, durch intensives, tiefes Gurgeln, idealerweise in
Kombination mit Spray, den Rachenraum mit einzubeziehen, weil dort die Infektionsrisiken am
größten sind.
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Als Spüllösungen kommen infrage:
● Hochprozentiger Alkohol (70 % oder mehr), wobei nach neuesten Labordaten aber selbst bei
dieser Konzentration keine Wirksamkeit gegen HPV erwartet werden kann (selbst 95 % Alkohol
konnte „echte“, im Labor gezüchtete und „gereifte“ HPV-Viren nicht abtöten!).
Abgesehen von der unangenehmen Alkoholfahne (selbst wenn man den Alkohol nach dem
Spülen und Gurgeln wieder ausspuckt) bleibt das Problem, dass davon ausgegangen werden
muss, dass häufige Spülungen mit hochprozentigem Alkohol das Krebsrisiko im Mund-RachenRaum erhöhen (bei Rauchern noch viel stärker als bei Nichtrauchern, weil Alkohol im MundRachen-Raum vor allem als Kofaktor zum Rauchen wirkt und dessen Krebsrisiko verstärkt).
Unter diesem Gesichtspunkt kommt Spülen/Gurgeln mit hochprozentigem Alkohol (kurzfristig
nach dem ungeschützten Lecken) nur für Männer infrage, die nur sehr selten/ausnahmsweise
bei FSW lecken.
● Hochprozentige marktgängige alkoholische Getränke (z.B. mit 30 bis 40 % Alkohol) haben
ebenfalls eine gute antiseptische Wirksamkeit (außer HPV). Ähnliches gilt für alkoholhaltige
Spüllösungen mit ätherischen Ölen (wie z.B. Listerine Cool Mint), die in Laborversuchen
durchaus STD-Wirksamkeit (z.B. gegen HIV und Herpes simplex) zeigten und in einer Studie mit
Männern mit Rachengonorrhoe die Nachweisbarkeit von Gonokokken im Rachen
vorübergehend reduzierten.
Alle alkoholhaltigen Spülungen haben aber – ebenso wie alkoholische Getränke – den Nachteil,
dass sie für einige Stunden die Empfänglichkeit der Mundschleimhautzellen für bestimmte HIVStämme erhöhen, so dass nach Alkoholkontakt mehrere Stunden lang keine Risiken mit
potenzieller HIV-Kontamination mehr eingegangen werden sollten. Dies schränkt den Einsatz
alkoholhaltiger Präparate im Rahmen von Oralsex und Sexarbeit ein.
● Chlorhexidin (CHX) hat ein breites antibakterielles und antivirales Spektrum, das auch viele
STD-Keime umfasst (HIV, Hepatitis B, Herpes simplex, Gonokokken, Chlamydien); unbehüllte
Viren wie HPV werden allerdings nicht inaktiviert. Die routinemäßige Mundspülung mit CHX,
besonders in höheren Konzentrationen (0,1 bis 0,2 %), wird allerdings dadurch eingeschränkt,
dass die regelmäßige Anwendung (1 x täglich oder mehr) zu unschönen, aber reversiblen
braunen Zungen- und Zahnverfärbungen führt und auch Geschmacksstörungen auslösen kann.
Dies gilt aber nicht für die gelegentliche Anwendung (dann auch ggf. mehrfach am Tag, z.B.
anlässlich eines Clubbesuches).
CHX gilt als Goldstandard der oralen Antisepsis, aber das Verfärbungsproblem limitiert seine
Anwendung vor allem in höheren Konzentrationen. Für einen Kunden, der nur gelegentlich FSW
aufsucht und bei ihnen ungeschützt leckt, spielt dieses aber keine Rolle, denn er wendet CHX ja
nicht täglich an. In diesem Fall ist die höchste erhältliche Konzentration (0,2 %) zu bevorzugen;
möglichst alkoholfrei, denn der eigentliche Wirkstoff ist ohnehin das Chlorhexidin.
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Chlorhexidin weist eine gute Haftkraft an der Mundschleimhaut auf und hinterlässt damit einen
Depoteffekt über 12 Stunden, sofern dieser nicht durch CHX-inaktivierende Stoffe (wie Tenside
in Zahnpasten, Blut, Saccharose) abgeschwächt wird. Damit eignet es sich zu einer
„Periexpositionsprophylaxe“: CHX-Spülung/Gurgeln/Spray vor dem ungeschützten Lecken (um
ein Depot an der Mund-/Rachenschleimhaut aufzubauen), und eine weitere
Spülung/Gurgeln/Spray nach dem ungeschützten Lecken.
Vor dieser zweiten Spülung empfiehlt es sich aber, auszuspucken und mit Wasser auszuspülen,
da dieses schon zu einer erheblichen mechanischen Keimreduktion führt. Erst danach kommt
dann die CHX-Spülung zum Einsatz.
Vor dem Lecken: Spülen/Gurgeln/Spray mit 0,2 % CHX
Nach dem Lecken: Ausspucken / mit Wasser spülen und ausspucken
dann Spülen/Gurgeln/Spray mit 0,2 % CHX; notfalls hochprozentiger Alkohol
● Octenisept kann ebenfalls zur Mundspülung/Gurgeln angewandt werden und ist dazu offiziell
zugelassen. Es ist gegen alle STD-Keime mit Ausnahme von HPV wirksam; im direkten Vergleich
mit CHX in den für Mundspülungen relevanten Konzentrationen schneidet es durch stärkere
Wirksamkeit und schnelleren Wirkungseintritt besser ab; allerdings wurden die betreffenden
Untersuchungen an Bakterienarten vorgenommen, die keine STD-Erreger sind. Im
Analogieschluss ist dann aber auch von einer besseren Wirksamkeit gegen STD-Erreger
auszugehen. Hinzu tritt eine bessere Gewebeverträglichkeit als CHX im Laborversuch (allerdings
sollte Octenisept nicht in tiefe Wunde geraten, aus denen es nicht abfließen kann).
Allerdings ist Octenisept nicht zur langfristigen Anwendung vorgesehen, also kein Präparat für
die Routine, sondern höchstens zum gelegentlichen Einsatz in Situationen mit erhöhtem oralen
STD-Risiko. Auch der über mehrere Stunden anhaltende bittere, unangenehme Geschmack
stellt einen Nachteil im direkten Vergleich mit CHX dar, das viel angenehmer anzuwenden ist. Es
muss außerdem darauf geachtet werden, dass keine größeren Mengen verschluckt werden
(dann sind Reizungen der Magen- und Darmschleimhaut möglich). Gelangen kleine Mengen des
recht stark schäumenden Mittels beim Gurgeln in den Kehlkopfbereich, kann ein mehrere
Stunden anhaltendes Reizgefühl im Rachenbereich mit Räusperzwang oder Hustenreiz
resultieren, das aber nach einigen Stunden wieder abklingt. Octenisept ist daher nicht wirklich
als „Oralsexmittel“ im Paysex empfehlenswert, stellt aber vor allem in Situationen mit
überdurchschnittlichem oralen STD-Infektionsrisiko eine vermutlich effektivere Alternative zum
CHX dar, wenn man die damit verbundenen Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt.
● PVP-Jod-Lösung (wie Betaisodona Mund-Antiseptikum) stellt eine interessante
Alternative zur gelegentlichen (eher seltenen) Anwendung in oralen Hochrisikosituationen
dar. Sehr breites antimikrobielles Wirkungsspektrum, möglicherweise sogar gegen HPV. Gute
Schleimhautverträglichkeit. Empfehlenswert ist eine 1 : 4 verdünnte Lösung, mit der
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mindestens 30 Sekunden lang gespült und gegurgelt werden sollte; dann ausspucken, nicht
nachspülen, einige Zeit nichts essen oder trinken.
Nachteilig ist der hohe Alkoholgehalt (unverdünnt 36 %), die geringe Stabilität verdünnter
Lösungen (die Verdünnungen sollen immer frisch hergestellt werden), die hohen Kosten bei
unverdünnter oder gering verdünnter Anwendung; bei langfristiger bzw. häufiger
Anwendung die Jod-Resorption mit ihren Auswirkungen auf den Spiegel des schilddrüsenstimulierenden Hormons (TSH); Kontraindikation bei Schilddrüsenerkrankungen, besonders
Überfunktion und Kropf.
Vorteilhaft sind in der vertretbare Geschmack (wie Kräuterschnaps), der auch nicht so lange
anhält, wodurch sich PVP-Jod sehr positiv von Octenisept mit seinem anhaltend bitteren
Geschmack abhebt. Allerdings hält die Wirkung von PVP-Jod auch nicht so lange an wie bei
Octenisept. Ein Verfärbungsproblem im Mund besteht trotz der intensiven Farbe von PVPJod nicht: die direkt nach der Spülung etwas gelbliche Zunge ist nach einer Minute entfärbt,
und danach sind keine „Spuren“ der Spülung mit PVP-Jod im Mund mehr sichtbar.
Ein PVP-haltiges Rachenspray müsste man sich selbst herstellen, sollte dazu aber eventuell
stärker verdünnen (in Japan gibt es Rachenspray mit 0,45 % PVP-Jod). Es soll nichts
verschluckt werden.
Von der routinemäßigen Anwendung bei ungeschütztem Oralsex in der Sexarbeit ist aus den
oben genannten Gründen abzuraten; PVP-Jod stellt aber ein Mittel der ersten Wahl zur
„Postexpositionsprophylaxe“ seltener oder gelegentlicher Hochrisikosituationen und
konkurriert dabei mit hochprozentigem Alkohol (70 – 80 %) oder Octenisept. In der
Gesamtschau dürfte seine Anwendung angenehmer sein als bei den beiden anderen
Präparaten, sowohl unverdünnt (obwohl dies nicht offiziell für Betaisodona Mund
Antiseptikum empfohlen wird) und erst recht in der vom Hersteller empfohlenen
Verdünnung 1 : 4 (1 Teil Betaisodona, 4 Teile warmes Leistungswasser).
Für Freier, die gelegentlich bei FSW lecken, stellt PVP-Jod somit eine interessante Option für
die Postexpositionsprophylaxe dar. Vor dem Lecken sollte es wegen seines Alkoholgehalts
aber besser nicht angewandt werden; für die Präexpositionsprophylaxe (und auch
Keimzahlreduktion im Mund zum Schutz der FSW beim Lecken) eignet sich 0,2 % CHX.
Weitere Informationen zu PVP-Jod → Anlage 3.
Weder CHX noch Octenisept bieten einen Schutz vor krebs- oder genitalwarzen-erregendem
HPV (wie HPV 16, 6, 11). Für PVP-Jod gibt es dagegen mehrere Indizien, die für eine HPVWirksamkeit sprechen; gesichert ist dies aber bisher nicht.
Wer das HPV-Risiko beim ungeschützten Lecken verringern will und nicht HPV-geimpft ist, kann
lediglich die als experimentell einzustufende Carrageen-Periexpositions-Prophylaxe
ausprobieren:
-110-
● Carrageen (ganz besonders iota-Carrageen) erwies sich in Laborversuchen als hochgradig
wirksam gegen die gefährlichsten HPV-Typen, schon in niedrigsten Konzentrationen. Daneben
besteht noch Wirksamkeit gegen andere Viren (einschließlich HIV), wozu allerdings teilweise
deutlich höhere Konzentrationen erforderlich sind. Leider kann die antivirale Wirksamkeit von
Carrageen durch Begleitstoffe aufgehoben werden. Man kann also nicht einfach eine CHXLösung mit Carrageen-Pulver anreichern, weil man nicht weiß, ob das Carrageen seine antivirale
Wirksamkeit dann behält, oder gar womöglich noch das CHX in seiner Wirksamkeit
beeinträchtigt. Dies müsste erst durch Laborversuche geklärt werden, die aber nicht vorliegen.
Mangels besseren Wissens bleibt also zur Zeit nichts anderes übrig, als das Carrageen isoliert
anzuwenden.
Kommerziell ist dazu ein Nasenspray erhältlich (Coldamaris prophylactic) mit iota-Carrageen,
das man sich in Mund und Rachen sprühen könnte. Da es nicht als Arzneimittel gilt, ist es
zulässig, dies aus Österreich einzuführen (z.B. über österreichische Apotheken zu bestellen); es
darf im Gegensatz zu Arzneimitteln nach Deutschland geliefert werden.
Aber man kann sich auch iota-Carrageen-Pulver (das z.B. als Geliermittel für den Küchenbedarf
angeboten wird) direkt kaufen und sich dann vor dem Besuch bei einer FSW eine wässrige
Carrageen-Lösung herstellen (gut schütteln; vor dem Mundspülen/gurgeln nochmals schütteln,
bis eine gleichmäßige Trübung erreicht ist). Ein Teil der Lösung kann dann in ein
Rachensprühfläschchen umgefüllt werden, um das Carrageen gezielt in den Rachen zu sprühen
(siehe Anlage 3).
Carrageen hinterlässt im Mund-Rachen-Raum einen Schutzfilm, so dass es – wie beim CHX – auf
diese Weise möglich ist, den ungeschützten Oralverkehr, also z.B. das ungeschützte Lecken, mit
Carrageen zu „umrahmen“ – im Sinne einer Periexpositionsprophylaxe. Man würde dazu
sowohl vor wie nach dem ungeschütztem Lecken mit der Carrageen-Lösung spülen/gurgeln und
idealerweise auch in den Rachen sprühen.
Ein Problem besteht allerdings darin, dass Carrageen keine antibakterielle Wirkung hat.
Carrageen kann daher die CHX-Anwendung nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Andererseits
weiß man nicht, ob CHX oder Octenisept das Carrageen inaktiviert, oder sich womöglich beide
Stoffe gegenseitig inaktivieren, so dass eine direkte kombinierte Anwendung nicht
empfehlenswert ist. Da PVP-Jod ein starkes Oxidationsmittel ist, ist es wahrscheinlich, dass es
mit Carrageen interagiert – was aber nicht so tragisch ist, weil PVP-Jod wohl selbst eine
Wirksamkeit gegen HPV entfaltet.
Man muss sich also entscheiden, wann und in welcher Reihenfolge man was anwendet.
Da die Ausbildung einer Schutzschicht bei einer Carrageen-Lösung effizienter geschieht als bei
CHX, bietet sich daher an, direkt vor dem ungeschütztem Lecken lediglich mit Carrageen zu
spülen und zu gurgeln. Dann nur ausspucken, nicht mehr ausspülen, nichts mehr trinken, damit
der Carrageen-Schutzfilm erhalten bleibt.
Nach dem ungeschützten Lecken dann wie gewohnt ausspucken und – wenn möglich – mit
Wasser ausspülen.
-110a-
Danach erneute Carrageen-Spülung/Gurgeln/Spray (nur ausspucken, nicht mit Wasser spülen),
damit sich ein neuer Carrageen-Film auf der Mund- und Rachenschleimhaut bilden kann.
Einige Minuten später dann Spülen und Gurgeln mit 0,2 % CHX, Octenisept oder PVP-Jod, um
auch die Erreger zu erfassen (Bakterien), gegen die Carrageen nicht direkt wirksam ist.
Diese Reihenfolge geht davon aus, dass ein irreversibles Eindringen von Viren (z.B. in Zielzellen
oder durch Lücken zwischen den äußersten Zellen der Mundschleimhaut) „schneller“ geschieht
als von Bakterien, und dass der antivirale Schutz durch Carrageen eine höhere Priorität hat als
der breiter gestreute Schutz durch CHX. Dies berücksichtigt auch das Gesundheitsrisiko, das von
den Erregern ausgeht: krebserregendes HPV und (wenn auch viel unwahrscheinlicher) HIV sind
viel gefährlichere Erreger als Bakterien wie Chlamydien, Gonokokken oder Mykoplasmen, die
sich zwar im Rachen festsetzen können, letztendlich dort aber keine gefährlichen Erkrankungen
verursachen (meist völlig asymptomatisch) und in der Regel früher oder später wieder spontan
ausheilen, und deren Problem vor allem darin besteht, dass sie durch ungeschützten Oralsex
auf andere Geschlechtspartner weiterverbreitet werden könnten. Insofern liegt die
Priorisierung ganz klar auf dem Virenschutz, und daher sollte die CarrageenSpülung/Gurgeln/Spray nach ungeschütztem Oralsex zeitlichen Vorrang haben vor der CHXSpülung/Gurgeln/Spray.
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ANLAGE 3
STD-Wirksamkeit antiseptischer Mundspül- und Gurgellösungen
Allgemein ist zu beachten, dass die Infektionsprävention durch Mundspülungen/Gurgeln bei
ungeschütztem Oralsex grundsätzlich als experimentell einzustufen ist, da sie auf Annahmen
beruht, die aus Laborversuchen stammen. Die STD-Wirksamkeit keiner dieser Maßnahmen
wurde je direkt am Menschen getestet, und ist aus ethischen Gründen auch nicht testbar.
Immerhin führten Listerine-Spülungen bei Männern mit Rachengonorrhoe dazu, dass
vorübergehend die Häufigkeit des Gonokokkennachweises in Rachenabstrichen reduziert
wurde, so dass anzunehmen ist, dass das Infektionsrisiko für Oralsex- oder Zungenkuss-Partner
von Personen mit (in der Realität der Sexarbeit meist unbemerkter) Rachengonorrhoe nach
einer Listerine-Spülung eine Zeitlang reduziert wird.
Da man nicht einmal in der Lage ist, das HIV-Risiko der verschiedenen Oralsexpraktiken
quantitativ einzuschätzen, ist es schon gar nicht möglich Aussagen zu treffen, in welchem
Umfang dieses (ohnehin absolut gesehen sehr kleine) Risiko durch Mundspülungen/Gurgeln
weiter verringert werden kann. Außerdem dürfte dies auch von den konkreten Umständen im
Einzelfall abhängen (z.B. dem Zeitabstand zwischen der Risikoexposition und der Spül/Gurgelaktion). Das gilt ebenso für die Effekte gegenüber anderen bakteriellen oder viralen
STD-Erregern. In der Gesamtschau der Erreger, die man sich im Rahmen des ungeschützten
Oralsex einfangen kann, dürften geeignete Spüllösungen (vor allem solche mit CHX oder
Octenidin oder PVP-Jod) aber nicht völlig nutzlos sein.
Dies bedeutet aber auch: keine FSW und kein Kunde sollten sich im Vertrauen auf die
Wirksamkeit von Mundspüllösungen (einschließlich CHX, PVP-Jod, Octenisept und Carrageen)
auf Oralsexpraktiken einlassen, die sie/er nicht (ungeschützt) betreiben würde, wenn es diese
Spüllösungen nicht gäbe. Die Spülungen bieten keine Garantie, sondern nur die Chance auf eine
Risikoreduktion. Wer sich im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Mundspüllösungen zu
riskanteren Praktiken hinreißen lässt, geht – trotz Mundspülung/Gurgeln – letztendlich sogar
höhere Risiken ein.
Daher ist aus STD-präventiver Sicht weiterhin die konsequente Anwendung von
Barrieremethoden (Kondome bzw. Lecktücher) beim Oralsex dringend anzuempfehlen, sowie
zur HPV-Prävention die Impfung gegen HPV.
Die antiseptischen Spülungen stellen daher nur eine „Notlösung“ dar für diejenigen, die sich an
diese offiziellen Empfehlungen – aus welchen Gründen auch immer – nicht halten wollen, was
im Rahmen des sexuellen Selbstbestimmungsrechts und (vor allem aufseiten der FSW) in
Abwägung von Vor- und Nachteilen im Sinne einer informierten Entscheidung durchaus
nachvollziehbar sein kann.
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Hochprozentiger Alkohol (70 – 80 %): sehr hohe STD-Wirksamkeit, auch gegen HIV –
höchstwahrscheinlich aber nicht gegen HPV!
Häufiger Kontakt von hochprozentigem Alkohol mit der Schleimhaut von Mund und Rachen
stellt aber ein Krebsrisiko dar, besonders bei Rauchern. Alkoholspülungen sind daher als
Routinemaßnahme zu riskant und sollten extremen, seltenen Ausnahmesituationen
(Hochrisikosituationen) vorbehalten bleiben (z.B. versehentliche Aufnahme bei FSW, die keine
Aufnahme anbieten; seltenes ungeschütztes Lecken eines Freiers bei einer FSW). Nach einem
Alkoholkontakt sollten für mehrere Stunden alle Ereignisse mit theoretisch möglichem HIVRisiko vermieden werden, da Alkohol das Eindringen von HIV in Zellen der Mundschleimhaut für
mehrere Stunden stark beschleunigt und verstärkt (das gilt auch für niedrige
Alkoholkonzentrationen z.B. aus Getränken).
Chlorhexidin-Lösung (0,1 % bis 0,2 %) (alkoholfrei oder niedriger Alkoholgehalt)
In Laborversuchen gute STD-Wirksamkeit u.a. gegen HIV (auch noch nach mehrfacher
Verdünnung), Hepatitis B, Herpes simplex, verschiedene bakterielle STDs wie z.B. Gonokokken
und Chlamydien. Keine Wirksamkeit gegen HPV.
Chlorhexidin kann in dieser Konzentration über einige Wochen 1 bis 2 x am Tag angewendet
werden. Langfristiger Gebrauch führt aber zu zwar harmlosen, aber für FSW und auch wohl für
Kunden nicht akzeptablen reversiblen Zungen- und Zahnverfärbungen, auch
Geschmacksstörungen (ggf. Gefühl von „faulem Geschmack“ im Mund); selten Allergien und
Erosionen. Etwa 2 % aller Anwender entwickeln Allergien.
Für die Daueranwendung, ggf. mehrfach am Tag, ist CHX daher in dieser Konzentration (0,1 –
0,2 %) nicht empfehlenswert. Nur geeignet für gelegentliche (eher seltene)
Hochrisikosituationen bei einer Anwendungshäufigkeit von deutlich weniger als 1 x pro Tag.
Dies schließt nicht aus, dass es an Einzeltagen z.B. im Rahmen eines Clubbesuchs mehrfach
angewandt werden kann, ohne dass man dann gleich Verfärbungen befürchten müsste.
Chlorhexidin nicht in zeitlichem Zusammenhang mit Zähneputzen (mit Zahnpasta) anwenden,
da bestimmte Stoffe in Zahnpasten die antimikrobielle Wirkung von Chlorhexidin aufheben
sollen (etwas umstritten)! Auch Saccharose (also zuckerhaltige Speisen und Getränke)
beeinträchtigt die antimikrobielle Wirksamkeit von Chlorhexidin.
Vorteilhaft ist die sehr gute Haftkraft an der Mundschleimhaut und die damit verbundene lange
Wirksamkeit (über 12 Stunden), also ein gewisser „Depoteffekt“, sofern CHX nicht zuvor durch
Tenside aus Zahnpasten oder Saccharose inaktiviert wird.
Alkoholfreies CHX sollte im Kontext von Paysex unbedingt bevorzugt werden (Alkohol erhöht
die Aufnahmefähigkeit der Mundschleimhaut für manche STD-Erreger wie HIV).
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Chlorhexidinreduzierte Lösungen (0,05 oder 0,06 %) (alkoholfrei)
Laborversuchen zufolge ist auch bei dieser Konzentration noch mit einer guten STDWirksamkeit (jedenfalls gegen HIV) zu rechnen. Chlorhexidin erhöht die Permeabilität
(Durchlässigkeit) der Zellmembran und Virushüllen, reißt also Löcher in Membranen und
Hüllen, wodurch die Mikroorganismen schließlich platzen (was auch die fehlende Wirksamkeit
gegen hüllenlose Viren wie HPV erklärt). Dieser Effekt kann auch bei sehr niedrigen
Konzentrationen funktionieren, da es nicht darauf ankommt, ob wenige oder viele Löcher in die
Hüllen gerissen werden. In jedem Fall wird das Virus zerstört.
Die Chlorhexidin-Konzentration ist bei den CHX-reduzierten Mundspül- und Gurgellösungen
abgesenkt mit dem Ziel, dass diese Lösungen dauerhaft täglich genutzt werden können, ohne
dass die Nebenwirkungen der höher dosierten Präparate auftreten, oder dass diese
Nebenwirkungen wenigstens viel schwächer ausfallen. Einzelne FSW berichten sehr gute
Erfahrungen mit diesen Präparaten ohne jegliche Nebenwirkungen und ohne Probleme selbst
bei häufiger Anwendung (mehrfach am Tag), obgleich diese Lösungen für eine so häufige
Anwendung nicht gedacht und nicht getestet sind (denn für den eigentlichen
Anwendungszweck, die Gesundheit von Zähnen und Zahnfleisch zu fördern, ist eine so häufige
Anwendung nicht erforderlich). Da individuelle Unterschiede in der Empfänglichkeit gegenüber
CHX-Nebenwirkungen bestehen, muss jeder selbst für sich ausprobieren, ob tägliche oder ggf.
mehrfach tägliche Anwendung infrage kommt. Die Empfindlichkeit für CHX-bedingte
Verfärbungen ist individuell sehr unterschiedlich und hängt auch von Ernährungs- und
Zahnpflegegewohnheiten ab. Es bleibt daher nur, auszuprobieren und die individuellen Grenzen
der Anwendbarkeit auszutesten.
Freier, die nur gelegentlich Risikosituationen (Lecken) eingehen, in denen sie antiseptisch
spülen/gurgeln wollen, sollten dann allerdings besser auf die hochdosierten Präparate (0,2 %
CHX) zurückgreifen.
Octenisept (mit 0,1 % Octenidin)
Octenisept ist ein flüssiges (wässriges) Wund- und Schleimhautantiseptikum, das auch für
Mundspülungen verwendet werden kann. Es handelt sich um ein stark wirksames
Antiseptikum, das nicht zur Daueranwendung geeignet ist, sondern nur „zeitlich begrenzt“
eingesetzt werden soll, dann allerdings auch mehrfach am Tag möglich. Nach Firmenangaben
liegen keine Erfahrung über eine Nutzung im Mund von mehr als > 2 Wochen vor.
Denkbar ist also der Einsatz in gelegentlichen (eher seltenen) speziellen Risikosituationen.
Nachteilig ist ein recht lange anhaltender bitterer Geschmack (ggf. bis zum nächsten Morgen)
und ein vorübergehendes pelziges Gefühl auf Zunge und Lippen. Verfärbungsgefahr besteht
aber bei zeitlich begrenzter, situativer Anwendung nicht. Der anhaltende bittere Geschmack
korreliert mit der länger anhaltenden Wirkung.
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Im Labor sehr gute Wirksamkeit gegen STD-Keime (Chlamydien, Gonokokken, Herpes simplex,
HBV, HCV, HIV werden nach 30 Sekunden Einwirkzeit abgetötet, Trichomonaden nach einer
Minute, Pilze nach zwei Minuten). Zu HPV werden direkt keine Aussagen getroffen; eine gute
Wirksamkeit gegen HPV ist aber nicht zu erwarten, da es nur gegen lipophile Viren wirkt.
Mundspülen/Gurgeln sollte 20 Sekunden lang erfolgen (Spülmenge: 20 ml), danach sollte eine
weitere Einwirkzeit von einer Minute ermöglicht werden. Es sollten keine größeren Mengen
verschluckt werden (Reizungen der Magen- und Darmschleimhaut möglich).
Octenisept hat wie CHX eine länger anhaltende Wirkung. In einigen klinischen Vergleichsstudien
erwies sich Octenisept sowohl gegenüber der oralen Bakterienflora wie auch in anderen
Zusammenhängen (z.B. Vaginalflora) als wirksamer als das CHX-basierte Vergleichspräparat. In
Versuchen zur Biokompatibilität (mit menschlichen Zellen) war es ebenfalls dem CHX
überlegen, und das Allergierisiko ist vermutlich geringer als bei CHX, aber noch nicht so gut
untersucht.
Allerdings liegen keine direkten Vergleichsuntersuchungen zwischen Octenisept und CHX in
Bezug auf spezielle STD-Keime vor. In Bezug auf STD-Keime ist CHX besser untersucht.
Ausnahme ist der Hefepilz Candida, den man allerdings nur als STD-Keim im weiteren Sinne
betrachten kann. Auch hier erwies sich Octenisept wieder überlegen. Betrachtet man die
vorliegende Datenlage in der Gesamtschau, ist es aber naheliegend anzunehmen, dass
Octenisept auch in Bezug auf STD-Keime dem CHX (jedenfalls in den für Mundspüllösungen
maximal verfügbaren CHX-Dosierung von bis zu 0,2 %) überlegen sein dürfte.
Octenisept ist aber ausdrücklich (nach Herstellerangaben) nicht zur Daueranwendung
vorgesehen und primär auch gar nicht als Mundspüllösung gedacht; das ist eher ein
Nebeneffekt. Octenisept ist ein apothekenpflichtiges Arzneimittel (aber rezeptfrei erhältlich,
wie CHX), allerdings in Apotheken nicht mit derselben Selbstverständlichkeit vorrätig wie CHX.
Nach Firmenangaben kann Octenisept auch zum Gurgeln benutzt werden; nur so wird der
Rachenbereich erreicht, der bekanntlich den Hauptangriffspunkt für viele STD-Erreger im
Mund-Rachen-Raum darstellt. Allein schon wegen des über Stunden anhaltenden bitteren
Geschmacks kommt es aber für die routinemäßige Anwendung als Mundspül- und Gurgelmittel
nicht infrage, abgesehen davon, dass es ohnehin nur für die kurzfristige bzw. gelegentliche
Anwendung vorgesehen ist. Auch der Hersteller weist darauf hin, dass Octenisept „ein Wundund Schleimhautantiseptikum ist und weder eine reine Mund- noch Mund- und Gurgellösung“.
Denkbar wäre daher der Einsatz als Mundspül- und Gurgelmittel in gelegentlichen (seltenen)
oralen Hochrisikosituationen, sofern man sich am bitteren Geschmack nicht stört. Auch sollte
beim tiefen Gurgeln nichts in den Kehlkopfbereich gelangen, weil dies zu mehrere Stunden
anhaltenden Reizungen bis hin zu Räusperzwang, Hustenreiz und vorübergehenden
Veränderungen des Stimmklanges führen kann; man sollte also darauf achten, dass man nicht
„zu tief“ gurgelt. Octenisept sollte auch nicht angewandt werden, wenn tiefe Wunden (vor
allem Stichwunden, perforierende Wunden) vorliegen.
Octenisept eignet sich dagegen hervorragend zur Penisantisepsis im Schleimhautbereich des
Penis, einschl. Harnröhrenausgang, ist dort problemlos tolerabel und in der mikrobiziden
-115-
Wirkung gegenüber STD-Erregern dem CHX (0,2 %) mit hoher Wahrscheinlichkeit überlegen.
Außerdem kann man es auch zur Antisepsis im Hautbereich des Penis (statt des viruziden
Hautdesinfektionsmittels) verwenden, was bei CHX 0,2 % nicht der Fall ist (für die
Hautdesinfektion wird CHX in 4%-Konzentration verwendet ist, dies ist aber in Deutschland
nicht verfügbar). Bei Anwendung von Octenisept reicht daher ein Präparat für die komplette
Penisantisepsis, was praktikabler ist als eine Penisantisepsis mit 0,2 % CHX im
Schleimhautbereich und Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept im Hautbereich.
Povidon-Jod (PVP-Jod) (wie Betaisodona Mund Antiseptikum mit 7,5 % PVP-Jod)
Povidon-Jod (PVP-Jod) stellt aufgrund seines breiten Wirkungsspektrums ein
Mundantiseptikum der ersten Wahl und wird in der Medizin – alternativ zu hochprozentigem
Alkohol – zur HIV-Prophylaxe nach Exposition gegenüber HIV-haltigen Flüssigkeiten empfohlen,
also z.B. nach Blutspritzern in den Mund. Es gibt sogar Hinweise, dass es – im Gegensatz zu
allen anderen Mundantiseptika – gegen HPV wirksam sein dürfte, auch wenn dies noch nicht so
umfassend untersucht wurde wie im Falle von Carrageen. In Versuchen mit Säugetierzellen
erwies es sich als besser zellverträglich als CHX oder Octenidin. Problematisch galt lange Zeit
das Allergiepotenzial, allerdings wurde dies teilweise wohl auch überschätzt, weil
Hautirritationen, die nach PVP-Jod-Anwendung an der Haut auftraten, als Allergien
fehlinterpretiert wurden. Seit auch für CHX ein gewisses Allergiepotenzial nachgewiesen wurde,
ist PVP-Jod nicht kritischer zu sehen als andere antiseptische Mundspüllösungen auch.
Vorteilhaft sind auch antientzündliche Eigenschaften sowie die Fähigkeit, die Freisetzung von
Toxinen und Enzymen aus (absterbenden) Bakterien zu unterdrücken.
Der Geschmack ist angenehmer als derjenige von Octenisept (etwas süßlich wie der
Nachgeschmack nach dem Trinken eines Kräuterschnapses), und trotz der tiefen Braunfärbung
der Spüllösung – auch nach Verdünnung – findet sich unmittelbar nach der Mundspülung nur
eine leichte Gelbfärbung der Zunge, die nach weniger als einer Minute komplett verschwindet.
Auch eine unverdünnte Spülung – obwohl im Beipackzettel von Betaisodona nicht ausdrücklich
empfohlen – ist tolerabel. Die Zunge ist unmittelbar danach etwas stärker gelb gefärbt als nach
verdünnter Lösung (1 : 4), entfärbt sich aber innerhalb von 1 bis 2 Minuten komplett. Das
Spülen mit unverdünnter Lösung fühlt sich etwas „schärfer“ an als Listerine, mit einem
Kräuterschnaps vergleichbar. Ein tiefes Gurgeln des Rachens erscheint auch angesichts des
Umstandes, dass man nichts verschlucken soll, bei unverdünnter Lösung aber schwierig.
Nach dem unverdünnten Spülen bleibt vorübergehend ein kräuterschnapsähnlicher
Nachgeschmack erhalten, der mit einem leichten Trockenheitsgefühl einhergehen kann, das
sich aber bald wieder legt. Selbst das unverdünnte Spülen/Gurgeln ist in der
Langzeitauswirkung wesentlich angenehmer als Octenisept mit seinem anhaltend bitteren
Geschmack. Wenn man später (nach einer Wartezeit) wieder etwas isst, wird der Geschmack –
im Gegensatz zu Octenisept – nicht beeinträchtigt.
In Ostasien, z.B. Japan, findet PVP-Jod eine breite Anwendung auch in der Prävention vor allem
von durch Tröpfcheninfektionen übertragbaren Krankheiten sowie in der Erkältungssaison. So
-115a-
wird unter anderem Klinikpatienten die mehrfach tägliche (viermalige) Spülung als Schutz vor
Lungenentzündungen empfohlen; Klinikpersonal, das in infektionsgefährdeten Bereichen
arbeitet, soll mehrfach täglich spülen und gurgeln, um nicht als Keimüberträger auf gefährdete
Patienten zu fungieren, wobei man von einer vier Stunden anhaltenden antimikrobiellen
Wirksamkeit ausgeht, was dann eine Anwendungsfrequenz von vier- bis fünfmal am Tag
bedingt, wie sie auch Patienten mit Mucositis bei Chemo- oder Strahlentherapie empfohlen
wird. Selbst Schulkindern werden in Japan Spülungen/Gurgeln mit PVP-Jod während der
Erkältungssaison empfohlen, und diese führen nachweislich zu weniger Fehltagen in der Schule
wegen Grippe oder Erkältung.
In der Häufigkeit der Anwendung gibt es keine klar definierte Obergrenze. Während im
prophylaktischen Kontext (wozu auch die Infektionsprävention bei Oralsex zählen würde) eine
Spülung von 30 Sekunden als ausreichend angesehen wird, wird bei der Behandlung von
Entzündungen, Halsbeschwerden oder Mucositis eine Spüldauer von 2 oder 3 Minuten
empfohlen, und das „mehrmals täglich nach den Mahlzeiten“ (Betaisodona Mund
Antiseptikum; bei Verdünnung 1 : 4). Auf den Tag hochgerechnet ergibt sich dann eine
Spüldauer von womöglich 15 Minuten und mehr, was 30 prophylaktischen Anwendungen pro
Tag äquivalent wäre.
Damit stellt sich die Frage, ob sich verdünntes Betaisodona nicht als routinemäßiges Spül- und
Gurgelmittel in der Sexarbeit eignet? Während die häufige Anwendung über begrenzte
Zeiträume – wie sie zum Beispiel im Rahmen einer Chemo- oder Strahlentherapie erfolgt – gut
etabliert ist, liegen Erfahrungen über langfristige prophylaktische Anwendung nur bei
niedrigeren Spülfrequenzen vor (z.B. zur Prophylaxe während einer Erkältungssaison). Mit
anderen Worten: über begrenzte Zeiträume von einigen Wochen ist eine so häufige
Anwendung tolerabel – aber auf Dauer?
Während die in Ostasien verfügbaren, teilweise auch niedriger dosierten Spüllösungen auch
unverdünnt zum Spülen und Gurgeln verwendet werden können – auch im prophylaktischen
Kontext –, soll unverdünntes Betaisodona Mund Antiseptikum bei bestimmungsgemäßem
Gebrauch nur lokal im Mund zur Anwendung kommen. Es soll „im Bereich des vorgesehenen
Eingriffs“ angewendet werden. Eine Spülung oder gar ein Gurgeln mit unverdünntem
Betaisodona wird im Beipackzettel nicht ausdrücklich empfohlen, es wird aber auch nicht davor
gewarnt (lediglich vor Verschlucken wird gewarnt).
Unabhängig davon sind die hohen Kosten zu bedenken, wenn man mit Betaisodona immer
unverdünnt spülen würde – bei einer empfohlenen Spülmenge von 10 – 15 ml reicht dann eine
100-ml-Flasche gerade einmal für 7 bis 10 Spülungen, und eine einzige Spülung würde mehr als
einen Euro kosten. Außerdem beträgt der Alkoholgehalt im unverdünnten Zustand 36 % - und
damit mehr als bei klassischem Listerine.
Zur (wiederholten) Spülung der Mundhöhle soll Betaisodona Mund Antiseptikum im Verhältnis
1 : 4 mit warmem Leitungswasser verdünnt werden und dann drei Minuten im Mund gehalten
werden. Die Verdünnung ist jeweils frisch herzustellen und dann „alsbald“ zu verbrauchen, „da
bei längerer Lagerung die Stabilität nicht in jedem Fall garantiert werden kann.“
-115b-
Auf der anderen Seite gibt es auch Aussagen, dass PVP-Jod auch in starken Verdünnungen (bis
zu 1 : 300 einer nicht näher bezeichneten Ausgangskonzentration, wie sie in Kliniken beschafft
wird) noch antibakteriell wirksam sei. Allerdings ist nicht bekannt, wie weit man Betaisodona
Mund Antiseptikum verdünnen kann, bis die Wirksamkeit gegen STD-relevante Bakterien und
Viren verloren geht. Wäre dies erforscht, könnte es tatsächlich sein, dass PVP-Jod ein Mittel
wäre, das einem „idealen Oralsexmittel“ nahe kommen könnte, nämlich dann, wenn es auch
bei hohen Verdünnungen noch wirksam gegen alle relevanten STD-Erreger wäre, so dass
angesichts der starken Verdünnungen Fragen von Kosten, Alkoholgehalt, Jod-Resorption usw.
stärker in den Hintergrund treten würden.
Da diese Fragen nicht geklärt sind, muss sicherheitshalber vor der routinemäßigen Anwendung
von PVP-Jod als „Oralsexmittel“ abgeraten werden. Zu viele Fragen sind offen, zu viele
Probleme bei routinemäßiger Daueranwendung absehbar:
● bis zu welcher Verdünnung ist PVP-Jod bzw. konkret Betaisodona Mund Antiseptikum gegen
relevante STD-Erreger wirksam?
● begrenzte Haltbarkeit verdünnter Lösungen – da die Lösungen immer frisch hergestellt
werden sollen, ist dies unter den Bedingungen der Sexarbeit schwierig (einschließlich des
Problems der korrekten Dosierung bei der Verdünnung)
● bei häufiger/längerfristiger Anwendung sind unbedingt zuvor Schilddrüsenerkrankungen,
besonders eine Überfunktion bzw. ein Kropf auszuschließen – es wäre also vor einer
„Routineanwendung“ eine ärztliche Untersuchung erforderlich
● da unter langfristiger Anwendung die Konzentration des schilddrüsen-stimulierenden
Hormons (TSH) im Blut ansteigt, sollten zwischendurch (z.B. nach einem halben Jahr)
dreiwöchige Anwendungspausen angesetzt werden, in denen der Hormonspiegel dann wieder
auf das Ausgangsniveau sinkt. Anstiege der Konzentration von „stimulierend“ wirkenden
Hormonen sind aber grundsätzlich als kritisch zu bewerten,
weil Eingriffe in den
Hormonhaushalt immer auch Risiken beinhalten (weil dadurch zelluläre Signalwege hoch- oder
herunterreguliert werden können)
● der hohe Alkoholgehalt (Betaisodona: unverdünnt 36 %). Häufiger (mehrfach täglicher)
Alkoholkontakt von Mund und Rachen gilt jedenfalls bei Rauchern als Krebsrisiko (Nichtraucher
sind davon nicht oder kaum betroffen)
● Alkoholkontakt der Mundschleimhautzellen erhöht für mindestens zwei Stunden die
Aufnahme von HIV in die Mundschleimhautzellen, sofern es in dieser Zeit zu einer HIVExposition kommt. Dies gilt auch bei niedrigen Alkoholkonzentrationen (z.B. 4 %), wie sie bei
stärkerer Verdünnung von Betaisodona (als bestimmungsgemäß vorgesehen) auftreten
würden.
Ob die erhöhte Aufnahme von HIV in Mundschleimhautzellen nach Alkoholkontakt mit erhöhten
Infektionsrisiken einhergeht, ist unklar, da sich HIV in Mundschleimhautzellen kaum vermehrt (keine
„Zielzelle“ im eigentliche Sinne), und die obersten Zellen des Mundschleimhautepithels rasch
abgestoßen (abgeschilfert) werden. Eine Risikoerhöhung durch Abgabe von HIV an infizierbare Zellen in
-115cder Umgebung (Transfektion) kann aber zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen werden. Aus
diesem Grund sollte routinemäßiger Alkoholkontakt bei oral ungeschützter Sexarbeit vorsichtshalber
vermieden werden, abgesehen von der Postexpositionsprophylaxe nach seltenen Hochrisikosituationen,
wonach dann für einige Stunden aber keine weiteren Risikosituationen mit potenzieller HIVKontamination mehr eingegangen werden sollten.
● Beim Rachengurgeln ist ein Verschlucken zu vermeiden, da sonst Atembeschwerden bis hin
zu Lungenentzündungen auftreten können. Beim zu vorsichtigen Gurgeln besteht aber das
Risiko, dass infektionsgefährdete Rachenbereiche nicht ausreichend erreicht werden. Als
Rachenspray ist PVP-Jod bei uns nicht erhältlich (im Gegensatz zu Japan, wo es eine 0,45 %-ige
Spraylösung gibt).
● Probleme im Umgang mit der braunen Lösung: z.B. Flecken auf der Kleidung, wenn etwas
verschüttet wird oder beim Ausspucken verspritzt, die nur mit speziellen Mitteln gereinigt
werden kann
In der Gesamtschau wird damit deutlich, dass PVP-Jod trotz interessanten Potenzials nicht als
routinemäßiges „Oralsexmittel“ in der Sexarbeit geeignet ist.
Es stellt aber eine interessante Alternative zur Postexpositionsprophylaxe in seltenen oder
gelegentlichen (ggf. versehentlich eingetretenen) Hochrisikosituationen dar, insbesondere
anstelle von hochprozentigem Alkohol (70 – 80 %) oder Octenisept. Octenisept hat zwar den
Vorteil, dass es alkoholfrei ist, hinterlässt aber für viele Stunden, oft bis zum nächsten Morgen,
einen unangenehmen bitteren Geschmack. Und gegenüber CHX 0,2 % dürfte Betaisodona
selbst nach Verdünnung 1 : 4 in der Wirksamkeit überlegen sein. Angesichts seiner breiten
Wirksamkeit stellt es auch eine interessante Option der Postexpositionsprophylaxe für Freier
dar, die gelegentlich bei SDLs ungeschützt lecken. Die Spül- und Gurgeldauer sollte 30 Sekunden
nicht unterschreiten, danach ausspucken (nicht schlucken), nicht nachspülen, für einige Zeit
nichts essen oder trinken (damit PVP-Jod ungestört einwirken kann).
Abschließend ist festzustellen, dass es keine Spül-/Gurgellösung gibt, die optimal auf die
Belange von gelegentlichem, und schon gar nicht von regelmäßigem/häufigen ungeschützten
Oralverkehr abgestellt ist. Grundsätzlich gibt es durchaus Ideen, wie solche Spüllösungen
zusammengesetzt sein könnten. Ein Ansatz wäre die Kombination von Chlorhexidin in
verschiedenen Dosierungen (abhängig von der Gebrauchshäufigkeit, um die typischen
Chlorhexidin-Nebenwirkungen zu vermeiden) mit iota-Carrageen – wobei aber zunächst
Labortests klären müssten, ob sich nicht beide Stoffe in ihrer antimikrobiellen Wirksamkeit
gegenseitig behindern, und wie sich diese Kombination auf den Depoteffekt (Hafteffekt) an der
Mundschleimhaut auswirkt.
Eine weitere Option wäre die Kombination von Chlorhexidin mit bestimmten Dendrimeren (das
sind komplexe Polymere), die ebenfalls eine gute antivirale Wirksamkeit (auch gegen HPV),
aber keine antibakterielle Wirksamkeit aufweisen – daher die Notwendigkeit der Beimischung
von CHX. Auch hier stellt sich dann die Frage, ob und wie sich beide Wirkstoffe hinsichtlich der
antibakteriellen (CHX) und antiviralen Wirkung gegenseitig beeinflussen.
-115d-
Im Prinzip wäre es also schon denkbar, dass man Spüllösungen entwickeln könnte, die gezielt
dazu dienen, bakterielle und virale Infektionsrisiken (einschließlich HPV!) von ungeschütztem
Oralsex zu mindern. Dennoch wird damit nicht zu rechnen sein, denn der Markt für solche
Produkte ist zu klein. In privaten Beziehungen dürfte Oralsex kaum mit größeren „InfektionsBedenken“ assoziiert sein. In der Sexarbeit wird offiziell ohnehin der geschützte Oralsex
empfohlen und in Deutschland ab 1.7.2017 sogar gesetzlich vorgeschrieben (Kondompflicht des
Prostituiertenschutzgesetzes). Die Frage nach risikoreduzierenden Mundspüllösungen im
Kontext von Paysex stellt sich damit zumindest offiziell gar nicht. Aus Sicht der Hersteller dürfte
es daher gar keinen Markt für ein solches Produkt geben – oder die Marktnische wäre
jedenfalls viel zu klein.
-116-
Allgemeine ergänzende Anmerkungen zur oralen Antisepsis im Kontext von
ungeschütztem Oralsex im Paysex
Die Anwendung antiseptischer Spül-/Gurgel- oder Spraylösungen zur Infektionsprävention im
Zusammenhang mit ungeschütztem Oralsex (sowohl aufseiten der FSW wie aufseiten des
Kunden, sofern dieser ungeschützt leckt) lässt sich grundsätzlich in vier Prinzipien einteilen:
Lokale Präexpositionsprophylaxe
Hier geht es darum, vor dem ungeschützten Oralsex Mund- und (vor allem!) den Rachenraum
mit einem vermeintlich schützenden „Film“ einer antiseptisch wirksamen Lösung zu
überziehen. Hierzu eignen sich nur Präparate, die gut an der Schleimhaut haften oder eine Art
„Schutzfilm“ bilden wie CHX, Octenisept (das aber nur ausnahmsweise benutzt werden sollte
und für Stunden bitter schmeckt) und besonders Carrageen, das aufgrund seiner
Unschädlichkeit (selbst in Babynahrung!) und Geschmacklosigkeit mehrfach/vielfach am Tag
angewandt werden kann und dank seines gelierenden Effektes besonders effektiv einen
Schutzfilm bildet. Carrageen hat allerdings den Nachteil, dass es nur gegen Viren wirkt, die
allerdings im Kontext von Oralsex die mit Abstand „gefährlicheren“ Keime darstellen, wenn
man einmal die mit viralen Infektionen verbundene Krankheitslast (z.B. Hepatitis B, HIV,
krebserregendes HPV) vergleicht mit der recht geringen Krankheitslast für einen Träger, der von
bakteriellen Gonokokken-, Chlamydien- oder Mykoplasmen-Infektionen im Rachenraum
befallen ist, die in der Regel selbstlimitierend sind und irgendwann selbst ausheilen.
Lokale Postexpositionsprophylaxe
Hier geht es darum, direkt nach einem potenziell infektiösen Oralsexereignis in den Mund und
(vor allem) Rachen aufgenommene Keime abzutöten bzw. zu inaktivieren, damit es erst gar
nicht zu einer Infektion kommen kann. Je nach Keimart und Vorhandensein von Eintrittspforten
ist das Zeitfenster, das hierfür zur Verfügung steht (wie schnell muss man spülen/gurgeln/den
Rachen einsprühen?) unterschiedlich. Letztendlich ist aber auch für keinen Keim genau
bekannt, wie viel Zeit man nach der Exposition hat, das Risiko einer Infektion durch Abtöten der
Keime durch mikrobizide Mittel (wie Antiseptika) noch zu verringern oder zu unterbinden?
Bei HIV hört man gelegentlich von einem 2-Stunden-Fenster (was lokale Maßnahmen betrifft;
eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe hat ein größeres Fenster und sollte am besten
innerhalb von 24 und maximal 72 Stunden erfolgt sein), aber ob das z.B. für den Infektionsweg
über die Rachenschleimhaut oder eventuelle Verletzungen, Geschwüre oder andere
Eintrittspforten der Mundschleimhaut so zutrifft, weiß man auch nicht genau, weil solche
Fragestellungen in Studien am Menschen nicht geklärt werden können, und selbst im
Affenmodell kann der zeitliche Verlauf schon wieder ein anderer sein.
-117-
Und, wie bereits erwähnt, kann dies auch zwischen verschiedenen Eintrittspforten variieren. Es
mag ein Unterschied sein, ob HIV durch eine offene kleine Wunde oder eine Herpes-Läsion im
Mund in den Körper eindringt, über entzündete Mandeln, oder – was dann nach theoretischen
Überlegungen schon weniger wahrscheinlich, aber immerhin auch noch denkbar wäre – über
unauffällige Mandeln. Das Zeitfenster mag – ebenso wie die Höhe des Infektionsrisikos (das
absolut gesehen natürlich für HIV nur sehr klein sein ist) – daher von Fall zu Fall unterschiedlich
ausfallen.
Aus diesem allgemeinen Unwissen über die Größe des Zeitfensters im Allgemeinen und vor
allem in der konkreten Situation (mit ihren konkreten Risikofaktoren im Mund und Rachen im
individuellen Fall) heraus resultiert die Empfehlung, eine antiseptische Spülung/Gurgeln/Spray
so schnell wie möglich nach dem potenziell infektiösen Ereignis vorzunehmen. Wie schnell das
erfolgen muss, wann die Effektivität abnimmt, und ab wann die Maßnahme nutzlos wird, lässt
sich nicht einschätzen.
Lokale Periexpositionsprophylaxe
Die Periexpositionsprophylaxe kombiniert Prä- und Postexpositionsprophylaxe, indem der
ungeschützte Oralsex von der Anwendung antiseptischer Präparate „umrahmt“ wird. Die
Schleimhaut wird schon im Vorfeld durch Antiseptika mit guter Haftkraft an der Schleimhaut
geschützt, und nach der Oralsex-Exposition werden zusätzlich die in den Mund und Rachen
aufgenommenen Keime inaktiviert. Dadurch ist zumindest theoretisch ein insgesamt höherer
Schutzeffekt zu erwarten. Die Grenzen der Methode liegen darin, dass so häufige Anwendung
von Antiseptika bei vielen Präparaten nicht möglich oder nicht empfohlen wird (z.B.
Chlorhexidin, Octenisept, PVP-Jod, alle alkoholhaltigen Präparate), und dass man andererseits
nicht weiß, wie verschiedene Präparate miteinander interagieren und sich in ihrer Wirksamkeit
beeinflussen. Das gilt besonders für Carrageen, dessen antivirale Wirksamkeit durch zahlreiche
Begleitstoffe gemildert oder beseitigt wird; auch Chlorhexidin ist ziemlich empfindlich.
Das einzige Präparat, das für eine FSW zur Periexpositionsprophylaxe geeignet ist, ist aufgrund
seiner Unschädlichkeit Carrageen-Lösung, im Idealfall in Form selbst hergestellter wässriger
iota-Carrageen-Spül- und -Sprüh-Lösung. Carrageen wird selbst in Babynahrung und
Milchshakes verarbeitet und ist in den Mengen, die man aufnimmt, auch wenn man mehrmals
am Tag spült und sprüht, unproblematisch. Aber es wirkt eben nicht gegen Bakterien, weshalb
man dann im Einzelfall entscheiden muss, ob man nach der zweiten (postexpositionellen)
Carrageen-Anwendung, in einigen Minuten Abstand, noch mit einem antibakteriell wirksamen
Präparat z.B. auf CHX-Basis oder einem alkoholfreien Präparat auf Basis ätherischer Öle spült /
gurgelt / sprüht.
Für Kunden, die gelegentlich mal bei FSW ungeschützt lecken, ist das einfacher. Da sie viel
seltener in die Situation kommen, sich vor Infektionsrisiken beim Oralsex schützen zu müssen,
können sie zur Periexpositionsprophylaxe auch auf Präparate zurückgreifen, die nur für seltene
oder gelegentliche Anwendung im Mund-Rachen-Raum geeignet sind, wie CHX 0,2 %,
Octenisept (letzteres mit der Einschränkung, dass es für mehrere Stunden einen bitteren
-118-
Geschmack hinterlässt, so dass man es zumindest vor dem Sexkontakt vermeiden sollte) und
vor allem PVP-Jod (wie Betaisodona Mund Antiseptikum), das ebenfalls eine hervorragende
Wirksamkeit gegen STD-Keime – vermutlich sogar gegen HPV – zeigt, geschmacksmäßig aber
viel besser toleriert wird als Octenisept.
Wer als Kunde HPV-geimpft ist, kann auf die Periexpositionsprophylaxe mit Carrageen
verzichten (die sich ja am HPV-Risiko beim ungeschützten Oralsex orientiert) und CHX 0,2 % zur
Periexpositionsprophylaxe bzw. PVP-Jod zur Postexpositionsprophylaxe nutzen. Octenisept ist
wohl ebenfalls effektiver als CHX, schmeckt aber schlecht und bitter und sollte nur selten bzw.
in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, und dann auch nur nach dem Sex (schnellerer
Wirkungseintritt als CHX, aber unangenehmer bitterer Geschmack und ggf. unangenehmes
Gefühl nach dem Gurgeln oder Sprühen). PVP-Jod ist insofern dem Octenisept überlegen,
sofern keine Kontraindikation (Allergie, Schilddrüsenüberfunktion) besteht. Auch wird die
Anwendungshäufigkeit von PVP-Jod nicht so eng gesehen wie im Falle von Octenisept, vor
allem wenn man die ostasiatische (japanische) Literatur zu PVP-JOD zugrunde legt.
Wer als Kunde nicht HPV-geimpft ist, sollte seine Priorität auf die HPV-Prävention legen, denn
von HPV 16 (als potenziellem Krebserreger) geht für ihn das größte Gesundheitsrisiko beim
ungeschützten Lecken bei FSW aus. Eine Gonokokken- oder Chlamydieninfektion im Rachen
muss zwar auch nicht sein, hat aber eher einen geringen Krankheitswert und heilt meist von
selbst wieder aus. Bleibt das Syphilis-Risiko, das aber im Heterosex in Deutschland ohnehin sehr
gering ist. Daher sollte der nicht HPV-geimpfte Kunde die HPV-Prävention und damit die
Periexpositionsprophylaxe mit Carrageen in den Vordergrund stellen, die aus den oben
genannten Gründen als unbedenklich zu bewerten ist. Einige Minuten nach der
postexpositionellen Carrageen-Behandlung kann er dann noch mit einer auch antibakteriell
wirksamen Lösung wie CHX 0,2 %, PVP-Jod oder (selten) Octenisept spülen / gurgeln / sprühen.
Reduktion von Eintrittspforten und Entzündlichkeit
Lokale Prä-, Post- oder Periexpositionsprophylaxe durch antiseptische Spülungen / Gurgeln /
Sprays finden konkret im zeitlichen Bezug auf ein bestimmtes (oder mehrere eng aufeinander
folgende) Oralsexereignis(se) statt. Dies ergibt sich schon aus der zeitlich begrenzten
Wirksamkeit und Verfügbarkeit der betreffenden Präparate an der Mund- und
Rachenschleimhaut. Dies unterscheidet sich insofern von Präexpositionsprophylaxe z.B. durch
Tabletten, durch die antimikrobiell oder antiviral wirksame Stoffe über den Darm ins Blut
gelangen und dort für mehrere Stunden oder einen ganzen Tag lang wirken.
Wie an anderer Stelle schon erwähnt, können antiseptische Spülungen / Gurgeln / Sprays auch
zeitlich völlig unabhängig vom ungeschützten Oralsex noch Infektionsrisiken senken. In diesem
Fall nicht durch unmittelbares Einwirken auf infektiöse Mikroorganismen (durch Abtöten oder
Inaktivieren), sondern indem sie die Entzündlichkeit im Mund (die Eintrittspforten schafft)
verringern. Damit werden die Anzahl und die Empfänglichkeit der Eintrittspforten für
krankmachende Erreger im Mund- und Rachenraum reduziert. Auf diese Weise tragen die Spül/Gurgel-/Spraylösungen indirekt zur Senkung des Infektionsrisikos bei.
-119-
Da dieser Mechanismus nicht an den Infektionserregern direkt ansetzt, sondern die
Empfänglichkeit und Empfindlichkeit der Schleimhaut des Mund-Rachen-Raumes für diese
Erreger moduliert, funktioniert dies auch mit antiseptischen Spülungen, gegen die die
betreffenden Erreger gar nicht empfindlich sind. So wurde in einer Studie aus Baltimore gezeigt,
dass tägliche Mundspülungen/Gurgeln mit beliebigen handelsüblichen Spüllösungen bei jungen
Leuten das Risiko für eine HPV-Infektion im Mund-Rachen-Raum verringert, obwohl diese
Spüllösungen gar nicht direkt gegen HPV wirken. Und in Japan wurde sogar beobachtet, dass
simples Gurgeln mit Wasser (mindestens 3 mal am Tag) das Risiko für Infekte der oberen
Atemwege im Winter um etwa ein Drittel verringert – ein weiteres Indiz für indirekte Effekte
von Spülen und Gurgeln gegen krankheitsrelevante Keime, auch wenn das verwendete
Spülmittel die betreffenden Keime gar nicht selbst abzutöten vermag.
Wenn man aber sowieso situationsbezogen im Sinne der lokalen Prä-, Peri- oder
Postexpositionsprophylaxe mit antiseptischen Spülungen/Sprays arbeitet, wird ja bereits täglich
dafür gesorgt, dass das Entzündungsniveau und die Anzahl der Eintrittspforten gering gehalten
werden. Dann sind zusätzliche tägliche Spülungen zu dem Zweck, Entzündlichkeit und
Eintrittspforten zu bekämpfen, selbstverständlich überflüssig. Das macht dann nur in Phasen
Sinn, wo die Sexarbeit pausiert wird, um kurz vor dem Wiedereinstieg in die Sexarbeit bereits
„günstige“ Voraussetzungen im Mund- und Rachen-Raum vorzufinden. Das ist dann auch für
Kunden relevant, die zu einem bestimmten Termin planen, bei einer DL ungeschützt zu lecken,
und in den Tagen zuvor dann durch eine tägliche antiseptische Spülung/Gurgeln schon mal ihr
Entzündungsniveau und ihre Eintrittspforten im Mund-Rachen-Raum herunterfahren wollen.
Auch kann dies dazu beitragen, Mundgeruch zu lindern. Daher ist es Kunden auch unabhängig
von der Frage, ob sie ungeschützt lecken wollen, durchaus anzuempfehlen, einige Tage vor
einem geplanten DL-Besuch mit antiseptischen Spülungen / Gurgeln zu beginnen.
Ohne konkreten Anlass, also ohne Bezug zu irgendwelchen Risiken, muss man nicht
unbedingt antiseptische Spülungen/Gurgeln vornehmen. Schließlich bedeuten diese auch
immer einen Eingriff in das natürliche Mikrobiom von Mund und Rachen. Wenn es keine
(zahn)medizinische Indikation gibt, und keinen Anlass in Bezug auf ungeschützten Oralsex,
braucht man nicht antiseptisch zu spülen und zu gurgeln oder gar zu sprühen.
Jeder Eingriff mit Antiseptika stört schließlich auch das natürliche mikrobielle Gleichgewicht im
Ökosystem Mund und Rachen. Eine Ausnahme ist hier lediglich das Carrageen, da es die
Bakterienflora nicht direkt beeinflusst und daher auch kein Antiseptikum im eigentlichen Sinne
darstellt.
Evolutionsmäßig ist der Mund-Rachen-Raum des Menschen und seine ebenfalls im Laufe der
Evolution entstandene mikrobielle Besiedlung und damit das „Ökosystem Mund-Rachen“ nicht
so gestaltet, dass es auf antimikrobielle Spülungen und Gurgeln „von außen“ angewiesen wäre.
Der Speichel selbst ist bereits (evolutionsmäßig) zu einer körpereigenen Flüssigkeit geworden,
die antimikrobiell, auch antiviral wirkt, wenn auch in individuell unterschiedlichem Umfang (z.B.
SLPI-Konzentration). Der Speichel benetzt die Schleimhäute bereits im Sinne einer
Periexpositionsprophylaxe, z.B. mit dem sekretorischen Leukozyten-Protease-Hemmer (SLPI),
der die Anheftung von Viren an die Schleimhautzellen blockiert.
-120-
Die individuellen Unterschiede in der antimikrobiellen/antiviralen Kapazität des Speichels sind
teilweise genetisch bedingt (genetische Polymorphismen), eventuell auch epigenetisch
(„genetisches Gedächtnis“), altersabhängig (z.B. altersabhängige Verschiebungen der
Speichelzusammensetzung,
-sekretionsrate
und
SLPI-Konzentration),
aber
auch
verhaltensabhängig (z.B. Einfluss des Rauchens). Vom Grundsatz her stellt aber der Speichel
bereits ein natürliches (und evolutionsmäßig adäquates) antimikrobielles Spülmittel für den
Mund und Rachen dar.
Von Natur aus gesehen braucht das Mund-Rachen-System also keine künstlichen Eingriffe
durch Antiseptika. Antiseptika (hier im Sinne antiseptischer Spül- / Gurgellösungen oder Sprays
gemeint) sollten daher nicht anlasslos genommen werden, auch wenn Resistenzbildungen
gegen Antiseptika normalerweise nicht möglich sind (Ausnahme: das umstrittene Triclosan).
Anlass können (zahn)medizinische Gründe sein (z.B. zahnmedizinische Gründe bei
Zahnfleischentzündungen und Zahnbetterkrankungen oder zur zahnmedizinischen Prophylaxe
bei erhöhten Risiken), Halsinfekte/Halsschmerzen, die Bekämpfung oder Prävention
multiresistenter Keime im Rachenraum bei betroffenen Personen, ihren Kontaktpersonen oder
anderen Personen unter Risiko, die Bekämpfung von Mundgeruch (generell oder
anlassbezogen) oder eben die Infektionsprävention bei ungeschütztem Oralsex, soweit dieser
aufgrund des Sexualverhaltens der beteiligten Personen mit erhöhten Infektionsrisiken
einhergeht, wie das nun mal im Paysex auf beiden Seiten der Fall ist, wenn ungeschützter
Oralsex praktiziert wird.
Das Spülen und Gurgeln mit Antiseptika bedeutet also immer einen Eingriff in ein natürliches
Ökosystem, von dem der Nutzer der Antiseptika in der Regel gar nicht selbst beurteilen kann,
ob dieses nun in seinem Artspektrum „günstig“ oder eher „gestört“ ist. In einem solchen
Ökosystem gibt es stets auch „nützliche“ Bakterien, die im Rahmen eines ökologischen
Gleichgewichts dafür sorgen, dass die eher schädlichen Bakterien nicht Überhand nehmen. Dies
versucht man inzwischen zum Teil schon therapeutisch auszunutzen (z.B. durch probiotische
Bakterienpräparate).
Darum sollte der Einsatz von antiseptischen Spül- und Gurgellösungen sowie Sprays immer
begründet sein und es sollte einen Anlass dafür geben, der einen Nutzen der Anwendung dieser
Lösungen nahe legt. Dieser kann medizinisch/zahnmedizinisch sein, wegen Mundgeruch oder
eben zur Infektionsprävention bei ungeschütztem Oralsex.
Dies bedeutet umgekehrt: wenn der Anlass wegfällt oder über längere Zeit pausiert, sollte man
auch die Anwendung antiseptischer Maßnahmen im Mund-Rachen-Raum unterbrechen, und
erst dann wieder damit beginnen (ggf. einige Tage zuvor), wenn wieder ein Anlass vorliegt. Dies
trifft z.B. auf FSW bei längerer Unterbrechung der Sexarbeit (Urlaub, Pausieren) zu, oder auf
Kunden, die nur gelegentlich die Dienste von FSW (im Sinne von ungeschütztem Lecken) in
Anspruch nehmen. In der Phase, in der mit antiseptischen Spülungen / Gurgeln / Sprays
pausiert wird, kann sich dann das normale Ökosystem im Mund-Rachen-Raum wieder
regenerieren.
-121-
Fehlende Studien
Die Konzepte der Prä-, Post- und Periexpositionsprophylaxe bei ungeschütztem Oralsex im
Rahmen der Sexarbeit sind letztendlich nicht evidenzbasiert, sondern beruhen auf
Überlegungen der biologischen / infektionsmedizinischen Plausibilität und damit letztendlich
auf Arbeitshypothesen. Es gibt keine wissenschaftliche Studie aus der Sexarbeit, die belegt, dass
FSW, die ungeschützten Oralsex praktizieren und antiseptische Spül-/Gurgellösungen
anwenden, weniger STD-relevante Infektionen im Mund-Rachen-Raum haben, als solche, die
nicht spülen/gurgeln. Dasselbe gilt für Freier, die im Paysex ungeschützt lecken.
Um es ganz deutlich zu sagen: ein Schutzeffekt – im Sinne einer (relativen) Risikoreduktion –
durch diese antiseptischen Maßnahmen ist plausibel und auch wahrscheinlich, aber im streng
wissenschaftlichen Sinne nie bewiesen worden, denn das ginge nur durch entsprechende
Studien.
Möglich wären solche Studien schon: es gibt Gesundheitsämter, die bei FSW auch (freiwillig)
Rachenabstriche nehmen. Es gibt auch Frauenärzte, die große Clubs betreuen und dabei
ebenfalls Rachenabstriche gewinnen. Darauf aufbauend könnte man eine Studie entwickeln.
Wenn man die FSW dann noch mit einem standardisierten Fragebogen (bei Bedarf in die
Muttersprache übersetzt) nach ihrem Oralsexverhalten (Häufigkeit ungeschützter Fellatio;
Cunnilingus bei Kolleginnen) fragt, und nach ihrem Anwendungsverhalten antiseptischer
Mundspül-/Gurgel-Lösungen, wäre eine wissenschaftliche Klärung der hier angerissenen
Fragestellungen grundsätzlich möglich. Da die einzelnen Keime im Rachen (wie Gonokokken,
Chlamydien, HPV 16), auf die man sinnvollerweise dabei testen könnte, selbst bei FSW relativ
selten sind (voraussichtlich pro Keim zwischen 1 und 10 %), und Oralsexverhalten und
antiseptisches Spülverhalten auch stark variabel sein dürften, bräuchte man eine recht große
Stichprobe, um statistisch solide Ergebnisse zu erhalten. Machbar wäre aber so eine Studie,
solange ungeschützter Oralsex in der Sexarbeit üblich ist und man deshalb davon ausgehen
kann, dass dieser auch ehrlich zugegeben wird. Mit Inkrafttreten des
Prostituiertenschutzgesetzes wird dieses nicht mehr möglich sein. Unabhängig davon, wie sich
dann das Oralsexverhalten „auf Zimmer“ wirklich entwickelt, kann man dann jedenfalls keine
ehrlichen Antworten dazu erwarten. Entsprechende Studien wären dann nur noch im Ausland
durchführbar.
Im Rahmen einer solchen Studie sollten dann allerdings auch sehr empfindliche Methoden zum
Keimnachweis verwendet werden (wie Nukleinsäureamplifikation), um eine höhere Sensitivität
und Spezifität und eine bessere Trennschärfe zwischen infizierten und nicht infizierten
Probandinnen zu erhalten. Diese Methoden sind recht teuer, bieten dann aber statistisch
solidere Ergebnisse bzw. die Anzahl der Probandinnen kann dann auch niedriger ausfallen. Bei
hoch empfindlichen Nachweismethoden ist man auch nicht auf die für manche als unangenehm
empfundenen Rachenabstriche angewiesen. Eine Spül-Gurgel-Probe reicht dann aus oder ist
gar effizienter als ein Abstrich. Das könnte auch die Teilnahmebereitschaft von Probandinnen
erhöhen.
Grundsätzlich ist es also machbar, die Frage wissenschaftlich zu klären, ob der Einsatz von
antiseptischen Spül- und Gurgellösungen im Paysex – sofern ungeschützter Oralsex praktiziert
-122-
wird – einen Nutzen im Sinne einer Risikoreduktion bringt, oder nicht? Man könnte sogar
herausfinden, welchen Nutzen das in Bezug auf bestimmte Keime hat, realistischerweise
jedenfalls in Hinblick auf Gonokokken, Chlamydien und HPV (gesamt) oder HPV-16. Aus den
Erkenntnissen, die man an diesen drei „Modellkeimen“ gewonnen hat, ließen sich dann auch
Schlussfolgerungen für andere STD-Keime ziehen, die im Mund-Rachen-Raum noch von
Relevanz sein könnten (wie z.B. HIV, Hepatitis B, Syphilis), auch wenn sie sich aufgrund ihrer
Seltenheit und Infektionswege der Untersuchbarkeit im Rahmen des oben skizzierten
Studiendesigns entziehen.
Es ist nicht wirklich wahrscheinlich, dass irgendwann eine solche Studie durchgeführt werden
wird, und in Deutschland wird das unter den Bedingungen des Prostituiertenschutzgesetzes
auch nicht mehr möglich sein, aber im Ausland wäre das weiterhin realisierbar. Vielleicht finden
sich ja ein Doktorand und ein Doktorvater, die sich dieses Themas mal annehmen?
Wirksamkeit im Rachenbereich: gurgeln, langsam schlucken oder sprühen ?
Ein grundlegendes Problem der Mundspüllösungen im Zusammenhang mit Oralsex (also hier:
dem ungeschützten Lecken bei FSW) besteht auch darin, dass sie die tieferen Rachenbereiche
beim Gurgeln gar nicht richtig erreichen. Das gilt für Gaumenmandeln, den hinteren
Gaumenbogen und die Rachenhinterwand. Beim Kontakt der Gurgellösung mit dem vorderen
Gaumenbogen setzt der Würgereflex ein und behindert auf diese Weise die vollständige
Benetzung der Schleimhaut der tieferen Rachenregionen. Gerade diese Bereiche sind aber
besonders infektionsgefährdet; hier bieten sich Eintrittspforten, und hier siedeln sich bevorzugt
bakterielle und virale STD-Erreger (einschließlich HPV) an. Diese Region gilt auch als wichtige
Eintrittspforte für HIV in den seltenen Fällen oralsexbedingter Infektionen.
Die antiseptischen Spüllösungen erreichen die kritischen Rachenregionen beim Gurgeln daher
nicht oder nur in begrenztem Umfang direkt. Sie gelangen zwar über den Umweg des
geschluckten Speichels in diese tieferen Rachenregionen – in denen sie sich dann aber nur noch
in verdünnter Form finden. Die Ausgangskonzentration der Spüllösung ist dann weit
unterschritten.
Der Nutzen des Spülens und Gurgelns besteht dann vor allem darin, STD-Keime abzutöten oder
zu inaktivieren, bevor sie überhaupt in den Rachen gelangen, sowie die Mundschleimhaut bis
hin zum Zungengrund intensiv zu benetzen.
Für Chlorhexidin ist aufgrund des Wirkmechanismus zu hoffen, dass es selbst nach Verdünnung
im Speichel, der dann spontan und unbewusst geschluckt wird, noch einen gewissen
antimikrobiellen Effekt aufweist; schließlich zeigten auch Verdünnungsreihen im Labor, dass
handelsübliche Chlorhexidinlösungen auch nach Verdünnung 1 : 4 noch wirksam sind (z.B.
gegenüber HIV).
-123-
Weder Chlorhexidin noch Listerine, Octenisept oder PVP-Jod sind zum Verschlucken
vorgesehen, bei Betaisodona (PVP-Jod) ist dies sogar unbedingt zu vermeiden. Auch Octenisept
hinterlässt beim Verschlucken ein reizendes Gefühl und soll nicht verschluckt werden.
Aber gerade Verschlucken, vor allem langsames Verschlucken, wäre zur Benetzung des Rachens
– einschließlich der tieferen Rachenabschnitte – hilfreich. Hier besteht somit ein echtes
Problem, und die Grenzen der Mundspül-/Gurgellösungen im Rahmen der Infektionsprävention
beim ungeschützten Oralsex werden deutlich.
Weder für Octenisept noch für PVP-Jod ist daher ein Verschlucken selbst einer kleinen Menge
als „Rachenschutz“ empfehlenswert oder vertretbar; um die tiefen Rachenbereiche zu
erreichen, müsste man sich selbst ein Rachenspray herstellen, indem man die Präparate (im
Falle von PVP-Jod nach Verdünnung) in ein Rachensprayfläschchen umfüllt.
Viel unproblematischer ist das bewusste, möglichst langsame Schlucken einer kleinen Menge
von Carrageen-Lösung, denn Carrageen wird auch in Speisen (als Geliermittel) verwendet,
selbst in Babynahrung, und bei Erwachsenen gilt eine tägliche Aufnahme von 3 bis 4 Gramm (je
nach Körpergewicht) als völlig unbedenklich. Es ist daher sinnvoll, im Rahmen der CarrageenSpülung (sowohl prä- wie postexpositionell) eine kleine Portion der Spüllösung langsam zu
verschlucken, damit sich auch über die tiefe Rachenschleimhaut ein schützender CarrageenFilm legt.
Da (abgesehen von Carrageen) das bewusste „Schlucken“ von antiseptischen Flüssigkeiten
keine brauchbare Option darstellt, bietet es sich an, dass man den Rachen mit der Gurgellösung
einsprüht. Dazu kann man die Spüllösung in eine Rachensprayflasche umfüllen und dann gezielt
nach hinten in den Rachenraum sprühen.
Während des Einsprühvorgangs sollte man ein lautes A sprechen. Dabei wird das Gaumensegel
angehoben und ein Einatmen des Sprühnebels vermieden. Außerdem sollte das Einsprühen in
aufrechter Körperposition erfolgen.
Iota-Carrageen ist im Handel sogar als Sprühlösung erhältlich (Coldamaris prophylactic; aus
Österreich zu beziehen) – eigentlich ein Nasenspray, aber man kann es sich natürlich auch in
den Rachen sprühen. Da eine Nasensprayflasche dazu aber nicht richtig geeignet ist, müsste
man es zuvor in eine Rachensprayflasche umfüllen. Auch Chlorhexidin ist als Spray (mit langem
Sprührohr) erhältlich. Chlorhexidinspray wird beispielsweise zur „Nischendesinfektion“ im
Rahmen der Full Mouth Disinfection in der Zahnmedizin eingesetzt – wobei Gaumenbogen,
Rachen- und Gaumenmandeln mit 0,1 – 0,2 % CHX besprüht werden.
Dies zeigt, dass die hier vorgeschlagene Verwendung von Carrageen oder Chlorhexidin als
Spraylösung also keinesfalls abwegig ist, sondern in anderem Kontext in der Medizin längst
Verwendung findet. Selbst Lösungen mit ätherischen Ölen sind als Rachensprays erhältlich.
Man kann sich Sprühlösungen für den Eigenbedarf auch selbst herstellen – durch Umfüllen der
entsprechenden Mundspül- und Gurgellösungen in geeignete Sprühfläschchen, idealerweise
-124-
Rachensprayflaschen (Nasensprayflaschen sind weniger geeignet, wenn man den tiefen
Rachenbereich benetzen möchte – Rachensprayflaschen verfügen über ein langes
Sprühröhrchen). Dies vor allem auch aus Kostengründen, da die betreffenden Lösungen als
Spülflüssigkeit oft viel günstiger sind als in Sprayflaschen.
Es ist daher davon auszugehen, dass das Einsprühen des Rachenraumes (in aufrechter
Körperpositionen beim A-Sagen) den Nutzen antiseptischer Spül- und Gurgellösungen im Sinne
der Periexpositionsprophylaxe (also vor und/oder nach Exposition) als situative
Infektionsprävention vor STD-relevanten Risikokeimen erhöhen dürfte. Dies gilt besonders für
Spraylösungen mit länger anhaltender Wirkung durch Ausbildung eines dünnen Schutzfilmes.
Erst durch diesen Sprühvorgang wird der Mundspül– und Gurgelprozess optimiert und
komplettiert.
Im Falle von Carrageen kann man das Einsprühen durch langsames Verschlucken einer kleinen
Menge von Spüllösung ersetzen; bei Chlorhexidin ist dies schon problematischer, weil
Chlorhexidin zum Verschlucken nicht vorgesehen ist – bei einer kleinen Menge im Ausnahmefall
der Hochrisikosituation erscheint es dennoch tolerabel. Bei Octenisept und PVP-Jod ist ein
Verschlucken selbst einer kleinen Menge zu vermeiden.
Das Einsprühen des Rachenraumes aus einem Rachensprayfläschchen ist daher dem
Verschlucken kleiner Mengen antiseptischer Spül-/Gurgelflüssigkeit auf jeden Fall
vorzuziehen – und dies gilt prinzipiell für jedes Präparat.
Die maximal erreichbare Benetzung des Mund- und Rachenraumes („Rachenraum“ hier im
Sinne von „Oropharynx“ gemeint) mit antiseptischen Mitteln oder Carrageenlösung wird
allerdings durch eine Kombination aus Mundspülen/Gurgeln und Rachenspray erreicht. In der
Realität wird dieser Aufwand allerdings nur in Situationen betrieben werden können, die als
besonders hohes Risiko beurteilt werden. Das ungeschützte Lecken (Cunnilingus) bei einer
FSW stellt aber – vor allem wegen des HPV-Risikos bei ungeimpften FSW – eine solche
Situation dar.
Wenn in der vorliegenden Abhandlung von „Gurgeln“ die Rede ist, schließt das grundsätzlich
mit ein, dass im Idealfall der Gurgelprozess durch ein Einsprayen des tieferen
Rachenbereiches (beim lauten A-Sagen) mit derselben Spülflüssigkeit aus einem
Rachensprayfläschchen ergänzt werden sollte, vor allem in Situationen mit erhöhtem STDRisiko.
-125-
Fazit:
Der Mundrachen (Oropharynx) ist in Hinblick auf beim Oralsex relevante STD-Erreger
besonders kritisch, da hier für viele STD-Erreger geeignete Eintrittspforten bzw. ein für sie
geeigneter „Lebensraum“ vorliegen, während eine intakte (!) Mundschleimhaut wenig
Infektionsmöglichkeiten bietet. Dies gilt vor allem auch für HPV, das beim ungeschützten
Lecken (Cunnilingus) bei FSW für den leckenden Kunden ein relativ hohes Risiko darstellt
(verglichen mit anderen STDs), wenn die FSW nicht HPV-geimpft ist.
In den Jahren 1999, 2009 und 2012 wurden drei Studien publiziert, die sich mit der Frage
beschäftigten, ob man medikamentenhaltige Flüssigkeiten (z.B. bei Halsschmerzen oder
Halsinfekten) besser durch Gurgeln oder durch Einsprühen des Rachens aus
Rachensprühflaschen (mit langen Sprühröhrchen) in den Mundrachen (Oropharynx) befördert.
In zwei Studien wurde mit gefärbten Flüssigkeiten gearbeitet, in der dritten Studie mit
radioaktiv markierten (Szintigraphie). In der Gesamtschau lassen diese Studien folgende
Schlussfolgerungen zu:
● Mundspülen (ohne Gurgeln) reicht nicht, um den Rachenraum zu erreichen.
● Die Mundhöhle (bis zum Zungengrund) wird durch Gurgeln (einschl. Mundspülen)
möglicherweise besser erreicht als durch Rachenspray. Die Studienlage ist zu dieser Frage
nicht einheitlich*.
● Der Rachenraum (Oropharynx) wird dagegen im Durchschnitt bzw. in der Mehrzahl der
Fälle durch Rachenspray besser erreicht als durch Gurgeln.
Dies schließt nicht aus, dass einzelne Probanden den Oropharynx mittels Gurgeln ebenso gut
oder sogar besser erreichen als mit Rachenspray. Dies mag mit der Fähigkeit, tief gurgeln zu
können, und mit individuellen Unterschieden in der (sehr variablen!) Anatomie (Form) des
Rachenraums und im Ausmaß bzw. der Auslösung des Würgereizes zusammenhängen.
● Die umfassendste Möglichkeit, sowohl den Mund- wie den Rachenraum so vollständig wie
möglich mit einer antiseptisch wirksamen Lösung oder Carrageen-Lösung zu benetzen, sei es
nun im Sinne der Prä-, Peri- oder Postexpositionsprophylaxe, besteht daher in der
Kombination aus Mundspülen/Gurgeln und Rachenspray.
*in den Versuchen mit gefärbten Flüssigkeiten erwies sich das Gurgeln für die Mundhöhle als
überlegen, in den Versuchen mit radioaktiv markierten Flüssigkeiten/Szintigraphie dagegen die
Anwendung von Spray. In dieser Studie wurden die Probanden aber lediglich zum Gurgeln aufgefordert;
möglicherweise erfolgte also gar keine gezielte Spülung der Mundhöhle selbst.
-126-
Allgemeiner Hinweis zu alkoholhaltigen Mundspüllösungen:
Alkoholhaltige Mundspüllösungen sollten vor allem von Rauchern sehr zurückhaltend
eingesetzt werden. Da Alkohol die Aufnahme von krebserregenden Stoffen aus dem
Tabakrauch in die Schleimhautzellen von Mund und Rachen steigert, müssen Raucher mit einer
weiteren Zunahme des ohnehin schon aufgrund des Rauchens vorhandenen Krebsrisikos in
Mund und Rachen rechnen, wenn sie regelmäßig bzw. häufig alkoholhaltige Mundspüllösungen
verwenden. Nichtrauchern scheinen sie dagegen nicht zu schaden.
Raucher sollten daher auf alkoholfreie Spüllösungen ausweichen. Da Mundspülen/Gurgeln die
Schleimhäute von den krebserregenden Stoffen aus dem Tabakrauch reinigt, dürften
alkoholfreie Mundspülungen bei Rauchern das Krebsrisiko sogar absenken, sogar im tiefen
Rachen (Hypopharynx) und Kehlkopf. Auch Spülen/Gurgeln mit Leitungswasser dürfte hierzu
einen Beitrag leisten. Wegen der Schaumbildung dürfte der reinigende Effekt von
Mundspüllösungen aber überlegen sein.
Details dazu siehe in:
„Krebsrisiko von Mundspüllösungen?“
http://freepdfhosting.com/a701521dbe.pdf
-
-127-
ANLAGE 4
Theorie und Praxis der Penisantisepsis
Für die Konzeption einer Penisantisepsis ist es wichtig zu beachten, an welchen Stellen des
Penis welche Kontaminations- und Infektionsrisiken drohen.
Eine Kontamination bedeutet zunächst nur, dass die betreffenden Infektionserreger auf der
Haut oder Schleimhaut sitzen. Dies muss nicht zwangsläufig zu einer Infektion führen. Ein
Extrembeispiel ist HIV, wo die Kontamination mit infektionsfähigem HIV nur in den seltensten
Fällen eine unheilbare Infektion hervorruft. Eine Kontamination als solche führt noch nicht zu
einer Krankheit; hierzu bedarf es einer Infektion. Damit aus einer Kontamination eine echte
Infektion wird, bedarf es für manche Erreger spezieller Eintrittspforten. Selbst wenn es aber
nicht zu einer Infektion bei einer kontaminierten Person kommt, kann die Kontamination dazu
führen, dass Viren oder Bakterien auf den nächsten Geschlechtspartner (z.B. vom Freier auf
seine private Partnerin zuhause) übertragen werden können.
Auf das Harnröhrenepithel spezialisierte Bakterien
Für Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen ist das Epithel der Harnröhre das eigentliche
Angriffsziel – dort ist ihr „Lebensraum“. Dies bedeutet, dass die Schleimhaut am
Harnröhrenausgang für diese Keime besonders infektionsgefährdet ist, und von dort aus steigt
die Infektion dann weiter auf in die Harnröhre mit den typischen Erscheinungen einer akuten
oder chronischen Harnröhrenentzündung, evtl. auch weiter übergreifend auf Samenwege oder
Prostata beim Mann oder die Harnblase bei der Frau.
Die normale, gesunde Haut ist kein Lebensraum für diese Keime. Aber sie können im vorderen
Penisbereich auch hin- und her verschmiert werden und dadurch sekundär auf die
Harnröhrenschleimhaut gelangen. Vor allem bei Gonokokkeninfektionen finden sich Erreger
auch fast immer im Eichel- und Vorhautbereich. Das Risiko von Schmierinfektionen bzw.
Keimverschmierungen ist also zu beachten.
Eine gegen diese Keime gerichtete Antisepsis hat also vor allem am Harnröhrenausgang
stattzufinden, sollte aber wegen des Verschmierens der Keime auch den gesamten vorderen
Penisbereich erfassen. Dabei sind zwei Kernpunkte relevant:
● Das Urinieren, um in die Harnröhre bereits schon eingedrungene Keime auszuspülen
● Das Einbringen von Antiseptikum in die Öffnung des Harnröhrenausganges soweit wie
möglich, aber absolut atraumatisch. Es muss unbedingt vermieden werden, dass durch
Manipulationen am Harnröhrenausgang Mikrorisse im Epithel oder Mikroabrasionen
-128-
entstehen, denn diese dienen als Eintrittspforten für Keime – besonders für HPV, gegen das
kein gängiges Antiseptikum oder Hautdesinfektionsmittel wirksam ist.
Die Schleimhaut des Harnröhrenausgangs sollte daher im Rahmen eines antiseptischen
Prozedere nicht mit Fingernägeln oder Gegenständen berührt werden. Der Harnröhrenausgang
lässt sich durch Druck mit zwei Fingern auf die Seiten der Eichelspitze passiv aufspreizen, und
dann sollte das Antiseptikum vorsichtig appliziert werden, ggf. als Spray (wie Octenisept-Spray).
Syphilis
Syphiliserreger können über Schleimhäute, aber auch über die Penishaut eindringen und eine
Primärinfektion (Primäraffekt) auslösen. Mikroverletzungen, die nicht immer sichtbar sein
müssen, erhöhen das Risiko. Darum finden sich Primäraffekte bevorzugt im Schleimhautbereich
des Penis (Eichel/Eichelrand, Penisfurche, Vorhaut, besonders Vorhautbändchen), sind aber
auch am Penisschaft möglich. Syphilis gehört daher – auch angesichts der hohen Infektiosität in
bestimmten Stadien der Infektion – zu den STDs, vor denen Kondome keinen kompletten
Schutz bieten: auch der Kontakt basaler, nicht vom Kondom geschützter Penisabschnitte mit
weiblichen Genitalschleimhäuten oder –sekreten kann daher zu einer Infektion führen.
Eine Syphilis-Prävention würde daher die antiseptische Behandlung des gesamten Penis
erfordern, einschließlich des Penisschafts (also auch der hautbedeckten Abschnitte in Richtung
auf die Penisbasis). Glücklicherweise ist infektiöse Syphilis bei FSW in Deutschland und Mittel/Westeuropa selten (maximal 1 %, ggf. aber auch viel weniger – Datenlage inkonsistent). Sofern
GV mit Kondom betrieben wurde und es dabei nicht zu Kondom-Komplikationen kam, dürfte
das Risiko sehr gering sein, da die für Syphilis besonders empfänglichen Schleimhautareale des
Penis ja geschützt waren. Dennoch ist, wie oben dargelegt, ein Restrisiko am Penisschaft
unterhalb des Kondomansatzes oder durch Keimverschmierung beim Abnehmen des Kondoms
denkbar. Das Syphilis-Risiko erscheint aber nicht so groß, dass es allein eine Antisepsis der
Penishaut nach unkompliziertem kondomgeschützten GV rechtfertigen würde. Da die
Wirksamkeit von 0,2 % Chlorhexidin gegenüber Syphiliserregern unbekannt ist, wären zu
diesem Zweck stärker wirksame Mittel wie Octenisept oder bakterizide Hautdesinfektionsmittel
einzusetzen.
HIV
Auch das HIV-Risiko ist im Rahmen der heterosexuellen Sexarbeit in West- und Mitteleuropa
eher theoretischer Natur, da heterosexuelle Sexarbeit als solche in diesen Regionen kaum ein
eigenständiges HIV-Risiko darstellt. Nicht auszuschließen sind aber HIV-Risiken, denen die FSW
außerhalb der Sexarbeit unterliegen, oder die nur mittelbar mit ihrem Engagement in der
Sexarbeit zusammen hängen wie z.B. i.v.-Drogenkonsum, drogensüchtige private Partner,
Herkunft (selbst oder des Partners) aus einem Land mit weiter heterosexueller HIV-Verbreitung
usw. Daher sollte eine Penisantisepsis auch ein hypothetisches HIV-Risiko mit berücksichtigen.
-129-
HIV benötigt Eintrittspforten. Gesunde Haut kann von HIV nicht infiziert werden, wirklich
intakte und reizfreie Schleimhaut nur in extremen Ausnahmefällen wie z.B. Blutkontakt.
Das höchste Risiko besteht, wenn das Virus direkten Zugang zum Blutkreislauf erhält (z.B.
Mikroverletzungen mit Eröffnung von Kapillaren); darum kalkuliert man das Infektionsrisiko bei
Stichverletzungen mit blutkontaminierten Nadeln oder Kanülen nach umfangreichen Studien
bei knapp 0,3 %.
Dennoch funktioniert eine Infektion auch ohne Blutkontakt; anderenfalls könnten sich Männer
beim GV nicht anstecken, was aber offensichtlich der Fall ist, wenn auch nur halb so häufig wie
die weibliche Seite beim GV, die aber schließlich auch dem Sperma exponiert wird. Damit ist
klargestellt, dass auch ohne direkten Blut- oder Spermakontakt Infektionen über die Oberfläche
des Penis möglich sind.
Dabei können (ggf. unbemerkte) Mikroverletzungen als Eintrittspforten eine Rolle spielen, vor
allem aber das Vorhandensein infizierbarer Zellen wie bestimmter Zielzellen (z.B. bestimmte
Typen von Lymphzellen oder dendritische Zellen), die passende Rezeptoren haben, an die HIV
andocken kann und von denen dann eine generalisierte Infektion des Körpers ausgeht. Zellen
mit solchen Rezeptoren befinden sich besonders auf oder im Epithel der Harnröhre, aber auch
auf der Innenseite der Vorhaut. Die Beschneidung reduziert das HIV-Risiko um die Hälfte, was
beweist, dass etwa die Hälfte aller HIV-Infektionen bei Männern konkret über die Vorhaut
laufen. Die Vorhaut ist damit die riskanteste Region am Penis in Bezug auf HIV. Berücksichtigt
man, dass auch nach Beschneidung noch Vorhautreste übrig bleiben, deuten diese Zahlen sogar
darauf, dass mehr als die Hälfte aller HIV-Infektionen bei Männern über die Vorhaut
stattfinden.
Im Zentrum einer HIV-orientierten Penisantisepsis müssen also die Vorhaut und der
Harnröhrenausgang stehen, letztlich also der gesamte vordere Penisabschnitt – wie schon für
Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen, aber auch Syphilis-Treponemen erwähnt. Für die
praktische Umsetzung der Penisantisepsis spielt dabei keine Rolle, dass für die drei
erstgenannten Bakterien der Harnröhrenausgang den Ort des größten Risikos stellt, für HIV und
Syphilis dagegen vor allem die Innenseite der Vorhaut, da auch in Sachen HIV-Prävention der
Harnröhrenausgang als potenzieller Infektionsort nicht völlig vernachlässigt werden darf.
Allerdings kann auch die Haut des Penisschafts Eintrittspforten für HIV bieten. Dies ist zwar
relativ unwahrscheinlich, denn über intakte Haut kann keine HIV-Infektion erfolgen. Wenn aber
am Penis Verletzungen sind (z.B. auch versehentlich zuvor durch Oralverkehr entstanden),
offene Wunden/Geschwüre oder Herpesläsionen mit ihrer Vielzahl an infizierbaren Zielzellen,
ist eine Infektion auch auf diesem Weg möglich.
Zum Beispiel kann eine reaktivierte Herpes-simplex-2-Läsion vorliegen, die keine Symptome
macht, also als solche nicht wahrgenommen wird. Auch wenn sie keine offene Wunde darstellt
und auch keine Bläschen oder kleine Erosionen zu sehen sind, befinden sich in diesem
Hautabschnitt viele von HIV infizierbare Lymphozyten. In Ländern der dritten Welt, wo HSV-2
auch in der Allgemeinbevölkerung sehr verbreitet ist, geht man davon aus, dass bis zu der
Hälfte aller HIV-Infektionen über HSV-2 vermittelt wird.
-130-
Der Freier weiß also niemals wirklich, ob die Penishaut immer und überall gesund und damit
gegenüber HIV resistent ist, oder ob es vielleicht doch die eine oder andere Stelle an der
Penishaupt gibt, die als Eintrittspforte für HIV grundsätzlich geeignet wäre?
HIV kann ebenso wie andere STD-Keime nicht „durch die Luft“ übertragen werden. Beim
kondomierten GV besteht ein theoretisches Risiko also nur dann, wenn unkondomierte
Penisabschnitte mit weiblichen Genitalsekreten in Kontakt kommen. Bei HIV-Infizierten Frauen
ohne Therapie enthalten diese zwar nicht immer, aber eben manchmal infektiöses HIV (Details
s. Anlage „HIV-Risiko bei ungeschütztem Oralverkehr“).
Ein Kontakt der ungeschützten Penishaut mit weiblichen Genitalsekreten ist aber selbst beim
kondomierten GV grundsätzlich möglich, je nach Sitz des Kondoms, Größe und Eindringtiefe des
Penis (je nach GV-Stellung), Ausmaß der Produktion von Genitalsekreten bei der Frau.
Selbstverständlich ist das Risiko viel kleiner als bei ungeschütztem GV (wo der Penis in
weiblichen Genitalsekreten „badet“), aber ein kleines, zumindest theoretisches Restrisiko für
eine Kontamination der basalen, nicht kondomgeschützten Abschnitte des Penisschafts bleibt,
und dies steigt, falls das Kondom beim GV hochrutscht.
Noch größer sind die Risiken beim AV, wo sehr leicht ggf. unbemerkte Mikroblutungen der
Analschleimhaut ausgelöst werden können, so dass die basalen, nicht kondomgeschützten
Penisabschnitte sogar mit feinen Blutspuren benetzt werden können, von denen ein viel
größeres Infektionsrisiko ausgehen würde als von Vaginalsekret.
Dies sind Argumente für eine Antisepsis basaler Penisabschnitte selbst nach kondomiertem GV,
auf jedem Fall aber nach kondomiertem AV, wobei aber anzumerken ist, dass dieses Risiko
angesichts der sehr niedrigen HIV-Prävalenz der FSW in West- und Mitteleuropa auch schon an
der Grenze zum Theoretisch-Hypothetischen liegt. Anders ist die Situation bei sichtbaren
Läsionen am Penisschaft zu beurteilen; dann sollte die Penisantisepsis auf jeden Fall den
gesamten Penis erfassen. Auch beim Sextourismus in Länder, in denen HIV bei FSW viel
verbreiteter ist als bei uns, ist eine antiseptische Behandlung des gesamten Penis – auch nach
Kondomverwendung – anzuraten.
Die HIV-orientierte Penisantisepsis unterscheidet sich also von den Maßnahmen gegen
Gonokokken usw. nur insofern, dass sie sicherheitshalber auch die Haut des Penisschafts mit
einbeziehen sollte (ganz besonders nach AV!); sie sollte das unbedingt (!),
● wenn diese Haut irgendwelche Vorschäden hat (mit denen man ggf. aber Sexarbeit
womöglich gar nicht erst in Anspruch nehmen sollte), aber auch ohne Vorschäden besteht ein
minimales Restrisiko z.B. durch nicht erkannte Infektionen oder Reaktivierungen von Herpes
simplex (vor allem HSV-2)
● in jedem Fall nach AV, da ein Kontakt der vom Kondom nicht geschützten basalen Penishaut
mit analen Blutspuren nicht ausgeschlossen werden kann.
(Vor allem das Risiko eines Kontaktes mit Blutspuren aus beim AV ausgelösten Mikroblutungen
dürfte mit einer der Gründe sein, weshalb das Risiko für den insertiven Partner beim AV höher
-131-
ausfällt als beim GV, abgesehen davon, dass Vaginalschleim auch HIV-hemmende Eigenschaften
hat wie z.B. der niedrige pH-Wert, solange die Vaginalflora gesund ist und den Säuregrad hoch
hält. Bei Verwendung von Kondomen sind diese Risiken zwar grundlegend geringer, aber das
Restrisiko über die nicht vom Kondom geschützte Penisbasis bleibt. Es bestehen keine Zweifel,
dass beim AV mit Mikroblutungen durch Haut-/Schleimhautrisse zu rechnen ist, die ein deutlich
höheres Infektionspotential bieten als Spuren von Vaginalschleim – dies alles natürlich auf
einem absolut gesehen sehr viel niedrigeren Risikolevel bei Verwendung von Kondomen. Ein
weiteres Risiko stellen die nicht seltenen Analekzeme dar, die nässen und dabei eine Flüssigkeit
freisetzen, die viele Lymphozyten enthält, von denen bei HIV-Infizierten ein erhebliches
Infektionspotenzial ausgeht.
Analverkehr mit untherapierten HIV-Infizierten spielt also selbst bei Kondomnutzung in einer
höheren Risikoliga als GV, jedenfalls bei tiefem analen Eindringen. Von Blutspuren mit HIV auf
wirklich intakter Penishaut dürfte zwar kaum ein Risiko ausgehen, aber niemand kann sich
sicher sein, ob die dünne Penishaut wirklich überall intakt ist (z.B. keine asymptomatische HSV2-Reaktivierung oder Mikroverletzung vorliegt).
Es ist also immer zu denken an
● die Möglichkeit des Hochrutschens des Kondoms, wodurch ungeschützte Penishaut in
größerem Umfang mit Vaginalsekret oder (bei AV) Blutspuren in Kontakt geraten kann
● die Möglichkeit nicht als solche erkennbarer Eintrittspforten in die vermeintlich intakte
Penishaut z.B. infolge asymptomatischer HSV-2-Infektion oder –Reaktivierung
Diese Aspekte sprechen zugunsten einer Penisantisepsis nach kondomiertem AV (jedenfalls bei
tiefem Eindringen).
Die an den Bedürfnissen der HIV-Prävention orientierten antiseptischen Maßnahmen eignen
sich auch zur Risikominderung von Hepatitis-B-Infektionen, für die grundsätzlich ähnliche
Infektionswege im Rahmen sexueller Kontakte anzunehmen sind wie für HIV. Allerdings ist
Hepatitis B viel infektiöser, und das Risiko, auf eine mit Hepatitis B infektiöse FSW zu treffen, ist
in Deutschland bzw. West- und Mitteleuropa höher als auf eine FSW mit unbehandelter HIVInfektion (wobei FSW mit Hepatitis B häufig Migrationshintergrund aufweisen). Die ideale
Prävention vor Hepatitis-B-Infektionen stellen aber nicht antiseptische Maßnahmen, sondern
die Impfung!
Herpes simplex (vor allem HSV-2, prinzipiell aber auch HSV-1)
Herpes simplex kann sowohl Schleimhaut wie Haut befallen; auch die Übergangszonen
zwischen Haut und Schleimhaut sind besonders gefährdet (wie z.B. Lippenherpes zeigt). Auch
an anderen Hautstellen sind Herpesinfektionen grundsätzlich möglich, allerdings viel seltener
und nicht so auffällig. Grundsätzlich unterliegt also der gesamte Penis einem Infektionsrisiko für
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HSV, einschließlich der basalen, beim GV nicht kondomgeschützten Penisabschnitte. HSV ist
sehr infektiös, und man kann davon ausgehen, dass sich FSW im Laufe der Sexarbeit früher oder
später mit HSV-2 infizieren werden, mit Raten bis zu 20 % p.a. Dies bedeutet auch ein großes
Infektionsrisiko für Kunden, sofern sie nicht ohnehin schon infiziert sind. Das Risiko steigt, je
stärker der Penis exponiert ist (z.B. Hochrutschen des Kondoms), aber auch beim
komplikationslosen GV stehen die basalen Penisanteile unter Risiko.
HSV-2 stellt somit ein vergleichsweise großes Risiko für Freier dar, auch angesichts der hohen
Durchseuchung der FSW und der oft unbemerkten Reaktivierungen, die dann immer wieder zu
Virusausschüttung – also infektiösen Phasen – führen. Eine große Metaanalyse zeigte, dass
Kondomnutzung das Infektionsrisiko mit HSV-2 nur um 30 % senken soll.
HSV-2 ist damit einer der wichtigsten Gründe für die Penisantisepsis; hierzu ist der gesamte
Penis, einschließlich der basalen, nicht vom Kondom geschützten Penisanteile, mit einem
begrenzt viruziden Antiseptikum (auch Octenisept ist geeignet) zu benetzen oder zu besprühen.
Nicht alle Herpesläsionen, die ein Freier in den Tagen nach Kontakt mit einer FSW bemerkt,
beruhen aber auf frischen Infektionen. Schon mechanischer Druck/Reizung (z.B. durch den
Druck beim GV mit Kondom, bzw. beim Aufsetzen oder Abziehen des Kondoms) kann dazu
führen, dass eine vorbestehende Herpesinfektion reaktiviert. Wie beim Lippenherpes sind auch
beim genitalen Herpes die Anlässe für eine Reaktivierung oft minimal oder nicht einmal
nachvollziehbar.
HPV
Bei HPV ist zu unterscheiden zwischen
● genitalwarzen-erregendem HPV (HPV 6,11), das auch für die Freier erheblichen
Krankheitswert hat,
● und krebserregendem HPV (wie vor allem HPV 16, 18, aber abgestuft auch viele anderen
Typen), die für den Freier selbst am Penis nur einen sehr geringen Krankheitswert haben, weil
diese Infektionen meist wieder spontan ausheilen und HPV-bedingte Peniskrebse sehr selten
sind.
Aber die am Penis mit HPV kontaminierten oder vorübergehend infizierten Freier können ihre
weiteren Geschlechtspartnerinnen (wie andere FSW oder die private Partnerin) mit HPV
infizieren. Ehefrauen von Freiern haben, wie mehrere Studien einheitlich belegten, ein erhöhtes
Risiko für Dysplasien am Gebärmutterhals oder Gebärmutterhalskrebs.
Bei HPV sind also Eigengefährdung des Freiers (bevorzugt durch Genitalwarzen) und die
Fremdgefährdung (durch Übertragen von HPV vom Penis in die Genitalregion oder den Rachen
weiterer Geschlechtspartnerinnen) zu unterscheiden, also die Rolle des Freiers als Überträger
-133-
von HPV im Rahmen einer Infektionskette vom Genitaltrakt der FSW auf den Genitaltrakt der
anderen Sexpartnerinnen des Freiers, wobei die größte Gefahr für die private Partnerin
besteht, da der (vorübergehend, meist für einige Monate) am Penis infizierte und daher auch
Virus ausschüttende Freier wohl öfters und ungeschützt GV mit seiner Partnerin haben wird, so
dass für diese ein reales Risiko besteht, sich bei diesen Gelegenheiten einmal oder auch
mehrfach (im Sinne eines „Nachladens“) mit HPV zu infizieren (dieser „Reload“ reduziert die
Chance auf eine spontane Virus-Clearance bei der Partnerin und erhöht das Risiko für
Persistenz der Infektion).
HPV kann sowohl die Schleimhaut wie die Haut infizieren, mit etwas unterschiedlichen
Präferenzen je nach HPV-Typ. Wichtig zu wissen ist, dass HPV über eine völlig intakte Haut oder
Schleimhaut aber nicht eindringen kann. Es braucht Eintrittspforten, dafür reichen aber schon
minimale Mikroabrasionen aus, die dafür sorgen, dass HPV Zugang zu den basalen Zellschichten
des Epithels erlangt, die seine eigentlichen Zielzellen darstellen und die dann mit HPV infiziert
werden. Im Bereich dünner Schleimhäute reicht es daher schon aus, dass wenige Zellschichten
abgekratzt werden, um die Basalschicht des Epithels zugänglich zu machen
(„Mikroabrasionen“); auch Mikrorisse im Epithel wären ausreichend.
Es geht hier also nicht um sichtbare Wunden oder gar „blutige“ Verletzungen, es reichen völlig
unbemerkbare Abrasionen der oberen Zellschichten, wie sie durch mechanische Belastungen
ohne Weiteres unbemerkt ausgelöst werden können (das blutet dann nicht). Dies ist einer der
Gründe, weshalb nach dem Peniswaschen nach GV, AV oder FO sehr vorsichtig abgetrocknet
werden soll und auf keinen Fall „gerubbelt“, sondern nur vorsichtig trockengetupft.
Die Häufigkeitsverteilung von Genitalwarzen am Penis gibt eine Vorstellung, welche Regionen
des Penis besonders anfällig für HPV sind. Dies sind vor allem die Vorhaut mit ihren Bändchen
und Falten, an denen sehr leicht allein schon durch Ziehen oder Reißen Mikroverletzungen
entstehen (daher sitzen auch viele Genitalwarzen direkt auf den Bändchen), daneben aber auch
der Außenrand der Eichel, die Penisfurche, ferner aber auch der Harnröhrenausgang.
Genitalwarzen an letzterem sind sehr unangenehm, weil sie sich von dort aus in die Harnröhre
ausbreiten können, wo sie nur sehr schwer und schmerzhaft zu behandeln sind. Letztendlich
sind also die gesamte Eichel und Vorhaut bevorzugte Stellen für HPV-Infektionen. Eine sehr
typische Stelle, an der sich bei HPV-befallenen Penissen fast immer HPV nachweisen lässt, ist
der koronale Sulkus unter dem Eichelrand (Penisfurche). Bei wissenschaftlichen Studien zum
HPV-Nachweis am Penis wird daher empfohlen, die Penisfurche auf jeden Fall zu beproben;
dort gelingt ein HPV-Nachweis bei infizierten Männern fast immer, in der Harnröhre (Abstrich)
oder im Sperma ist HPV dagegen häufig, aber nicht immer nachweisbar.
Aber auch die Haut des Penisschafts kann von Genitalwarzen befallen werden, was beweist,
dass auch sie für HPV-Infektionen anfällig ist. Selbst am Hodensack finden sich gelegentlich
Genitalwarzen.
Dies bedeutet, dass sich eine HPV-orientierte Prophylaxe nicht auf die Schleimhautanteile des
Penis beschränken sollte. Unter dem Aspekt der Eigengefährdung ist diese allerdings am
wichtigsten, denn Genitalwarzen in den vorderen Penisabschnitten, vor allem am
-134-
Harnröhrenausgang, sind häufiger und auch unangenehmer zu behandeln als an der Haut des
Penisschafts. Betrachtet man aber die Fremdgefährdung, dann kann man selbst bei kondomgeschütztem GV die Penisbasis mit HPV kontaminieren oder infizieren, und diese Infektion dann
an spätere Sexpartnerinnen weiterreichen, mit den oben genannten Konsequenzen eines
erhöhten Risikos für cervikale Dysplasien oder gar Gebärmutterhalskrebs. Kondome schützen
aus diesem Grund auch nur bedingt vor HPV-Infektionen, wobei sich die Schutzquote grob in
der Größenordnung um 50 bis 60 %, vielleicht bis 70 % befinden dürfte (also viel besser als bei
Herpes simplex, aber viel schlechter als bei HIV). Dies bedeutet im Klartext: auch ein Freier, der
auf korrekte Kondomnutzung beim GV mit einer FSW achtet, geht am Penis (vor allem an der
Penisbasis) ein HPV-Risiko ein und kann später seine private Partnerin anstecken, mit all den
gesundheitlichen Konsequenzen, die dieser dann im schlimmsten Fall drohen.
Wie gefährdet auch der Penisschaft – also die Penishaut – gegenüber HPV-Infektionen ist,
zeigte eine Dissertation aus München mit 103 Männern mit HPV-assoziierten
Genitaleffloreszenzen:
Bei unbeschnittenen Männern war die Vorhaut zu 91,2 % betroffen, gefolgt von Schaft (41,3 %),
Eichel (30 %), Harnröhre/Harnröhrenausgang (26,3 %), intraanal/perianal (13,8 %) und Haut des
Hodensacks (5,0 %).
Die Zahlen zeigen, dass auch der hautbedeckte Penisschaft ein wichtiger Angriffspunkt für HPV
ist, was einen der Gründe für den begrenzten Schutzeffekt von Kondomen darstellt. Daneben
ist auch an die Möglichkeit von Schmierinfektionen im Umfeld des kondomgeschützten GV zu
denken. HPV-Prophylaxe sollte also immer auch den Penisschaft mit einbeziehen.
Hierbei entsteht aber das große Problem, dass HPV nicht durch gängige Schleimhautantiseptika
und auch nicht durch für eine Anwendung durch Laien infrage kommende
Hautdesinfektionsmittel inaktiviert werden kann; die einzige Chance, dem HPV seine
Infektiosität zu nehmen, besteht zur Zeit in der Anwendung von Carrageen.
Zusammenfassend ergeben sich folgende Infektionsgelegenheiten:
Schleimhautabschnitte des Penis (vorderer Penis) einschl. Harnröhrenausgang, Eichel,
Penisfurche, Vorhautinnenseite:
Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen, Trichomonaden, Syphilis, Herpes simplex, HPV, HIV,
Hepatitis B
____________________________________________________________________________
Hautabschnitte des Penis (einschl. vom Kondom nicht geschützter Abschnitte des
Penisschafts):
Herpes simplex, Syphilis, HPV, HIV (HIV nur bei Vorliegen konkreter Eintrittspforten, das kann
aber auch ein reaktivierter, nicht erkannter Herpes sein), ggf. Hepatitis B (je nach
Eintrittspforten)
-135-
Wirksamkeit der Antiseptika:
Alle oben genannten Erreger außer HPV werden in jedem Fall von bakteriziden/begrenzt
viruziden Hautdesinfektionsmitteln erfasst, die aber – streng genommen – nur an der Haut
und eben nicht an der Schleimhaut angewandt werden sollen.
Haut findet sich am Penis am Penisschaft sowie dünne Haut an der Außenseite der Vorhaut. Die
Eichel ist mit Schleimhaut bedeckt, die vor allem bei dauerhaft freiliegender Eichel aber stärker
verhornen und damit in gewisser Hinsicht hautähnlich werden kann.
Sehr wichtig: für die Hautdesinfektion wirklich nur für die Hautdesinfektion
vorgesehene/zugelassene Mittel nehmen. Keinesfalls Desinfektionsmittel, die für andere
Zwecke, z.B. Flächen-, Instrumenten-, Haushalts- oder Toilettendesinfektion, aber nicht für die
Anwendung an der menschlichen Haut bestimmt sind! Diese können zu schweren und
schmerzhaften Schäden an der Penishaut führen, die mehrere Tage anhalten können, bis die
geschädigten Hautschichten abgestoßen („abgepellt“) sind und sich die Haut regeneriert hat;
möglicherweise aber auch zu dauerhaften Schäden.
Octenisept ist ein Wund-/(Haut-) und Schleimhautantiseptikum und daher ideal, da es – außer
HPV – den gesamten Anwendungsbereich am Penis abdeckt. Es ist auch speziell für die
Antisepsis schleimhautnaher Hautpartien geeignet, aber auch für die Antisepsis von Wunden
und ähnlichen Stellen. Dadurch unterscheidet es sich von den üblichen Haut/Händedesinfektionsmitteln, bei denen eine großflächige Benetzung von Wunden vermieden
werden soll. Allerdings ist es kein Desinfektionsmittel, sondern nur ein Antiseptikum. Das heißt
die Wirksamkeit ist als schwächer einzustufen im Vergleich zu offiziell als Haut- oder
Händedesinfektionsmitteln gelisteten Präparaten.
Aber es ist sehr gut haut- und schleimhautverträglich, und die bessere Verträglichkeit zeigt sich
auch daran, dass es auch zur Schleimhautantisepsis und Wundantisepsis und sogar zu Mundund Rachenspülungen verwendet werden kann. Octenisept eignet sich also für den „ganzen
Penis“ – vom Harnröhrenausgang bis zur Haut der Penisbasis. Leider hat es wie die oben
genannten Hautdesinfektionsmittel aber keine Wirksamkeit gegenüber HPV.
Chlorhexidin ist in der bei uns verfügbaren 0,2 %-Ausführung nur ein Schleimhautantiseptikum.
Zur Hautdesinfektion wird es mit 4 % angewandt (ist aber bei uns nicht üblich und auch nicht
verfügbar). Dies bedeutet nun nicht, dass CHX an der Haut völlig unwirksam wäre; es reicht
aber nicht, um die Anforderungen einer hygienischen Händedesinfektion zu erfüllen. Kritisch ist
auch das allergische Potenzial, das es nicht als sinnvoll erscheinen lässt, CHX zur
Händedesinfektion zu verwenden (durch Anwendung an den Händen lässt sich viel leichter
-135a-
eine Allergie auslösen als durch Anwendung an Schleimhäuten, man denke nur an die vielen
Allergieprobleme im Friseurgewerbe).
Chlorhexidin ist immerhin der Goldstandard der Schleimhautantisepsis im Mund (auch wenn
Octenisept schneller wirkt), und man kann unter Berücksichtigung des Wirkmechanismus von
CHX wohl davon ausgehen, dass es selbst in 0,2%iger Konzentration auch an der Penishaut eine
gewisse keimreduzierende Wirkung entfaltet, jedenfalls gegenüber den empfindlichen
behüllten Viren wie z.B. HIV. Gleichwohl ist es in dieser niedrigen Konzentration kein
Hautdesinfektionsmittel! Auch gegen Syphiliserreger ist CHX nie systematisch getestet worden.
Wer also auf „sicher“ gehen will (wobei es „sicher“ hier sowieso nicht gibt, sondern es nur um
Risikoreduktion gehen kann), sollte daher die CHX-Anwendung auf die vorderen
Penisabschnitte, die von Schleimhaut ausgekleidet sind, beschränken, und die Haut des
Penisschafts dann mit einem bakteriziden/begrenzt viruziden Hautdesinfektionsmittel oder
Octenisept benetzen (2-Schritt-Verfahren). Alternativ dazu kann man sich das Vorgehen aber
auch erleichtern, wenn man stattdessen Octenisept für die Schleimhaut- und Hautanteile des
Penis nimmt (1-Schritt-Verfahren) („erweiterte Penisantisepsis“).
Anwendung von Chlorhexidin an der Penishaut (Penisschaft)? (abzuraten)
Eine Benetzung der Hautabschnitte des Penis mit 0,2 % Chlorhexidinlösung (also im 1-Schritt-Verfahren,
vergleichbar dem empfohlenen 1-Schritt-Verfahren mit OCT bei der „erweiterten Penisantisepsis“)
macht wenig Sinn: Haut sollte auch von Hautdesinfektionsmitteln oder wenigstens Hautantiseptika wie
Octenisept benetzt werden.
Es gibt zwar auch Hautdesinfektionsmittel auf Chlorhexidin-Basis (in Europa nicht üblich, aber in den
USA und Kanada) als sog. Waschpräparate, die allerdings 4 % CHX enthalten (also die zwanzigfache
Menge der höchstdosierten Mundspüllösungen). Im direkten Vergleich sind diese CHX-basierten
Präparate allerdings alkoholischen Hautdesinfektionsmitteln (die Einreibepräparate darstellen)
unterlegen: ihr antimikrobielles Wirkungsspektrum ist kleiner, die erforderliche Einwirkzeit ist länger,
und bei 4%-iger Konzentration treten häufiger Hautreizungen auf als bei alkoholbasierten
Hautdesinfektionsmitteln. Gegenüber CHX sind außerdem, wenn auch selten, Allergien möglich; bei
alkoholbasierten Hautdesinfektionsmitteln gibt es keine Allergien. Auch Octenisept erscheint
verträglicher als CHX.
Auch wenn man dies also nicht unbedingt erwartet, sind alkoholbasierte Hautdesinfektionsmittel trotz
ihrer hohen Konzentrationen an Äthanol oder Propanol hautverträglicher als 4 % Chlorhexidin. Im
medizinischen Bereich, wo viele Erfahrungen mit beiden Präparategruppen in der Händedesinfektion
bestehen, werden die alkoholbasierten Mittel von den Anwendern als angenehmer und verträglicher
empfunden.
Bei alkoholischen Hautdesinfektionsmitteln treten nur selten Hautirritationen auf bzw. können durch
Zugabe hautpflegender Zusätze verhindert werden. Die Wundverträglichkeit wird als akzeptabel
eingestuft, und in den üblichen (in der Medizin) verwendeten Mengen bestehen keine Hinweise auf
mutations-, krebserregende oder embryo-/fetusrelevante (teratogene) Risiken. Die Wirkung der
Keimzahlreduktion setzt bei alkoholischen Hautdesinfektionsmitteln schneller ein als bei CHX, d.h.
alkoholische Präparate haben eine bessere Sofortwirkung. Auch Octenisept wirkt schneller als CHX.
-136Die Wirkung von Chlorhexidin kann durch anionische Bestandteile, wie sie z.B. in Handcremes
vorhanden sind, aufgehoben werden (das ist das Äquivalent zu der Empfehlung, vor oder nach CHXSpülung im Mund nicht mit Zahnpasta die Zähne zu putzen, da Zahnpasten ebenfalls anionische
Substanzen enthalten). Bei Einsatz von 4 % CHX in Waschpräparaten kann es auch zu
Heilungsbeeinträchtigungen von Wunden kommen.
Darum ist es schon sinnhaft, bei der Penisantisepsis die Hautabschnitte des Penis auch tatsächlich mit
begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel oder wenigstens (stattdessen) mit Octenisept zu benetzen
statt mit 0,2 % CHX, das eben nur ein Schleimhautantiseptikum ist.
Wenn man sich aber aus Gründen der Praktikabilität und Vereinfachung auf ein einheitliches Mittel für
die gesamte „Penisantisepsis“ (also Schleimhaut- und Hautareale) beschränken möchte, ist Octenisept
wegen stärkerer und schnellerer Wirksamkeit das Mittel der Wahl. Es scheint auch besser verträglich
und weniger allergieauslösend zu sein als CHX. Allerdings ist auch davon keine nachgewiesene HPVWirksamkeit zu erwarten, weshalb abschließend noch eine „HPV-Prophylaxe“ empfohlen wird.
Problemfall HPV
HPV wird durch keines dieser Mittel erfasst. Hier bleibt nur die Option einer „biologischen“
Inaktivierung durch eine selbst hergestellte wässrige Lösung mit iota-Carrageen-Pulver, die
dann zeitlich getrennt von den anderen antiseptischen Maßnahmen zu erfolgen hätte, da
Carrageen unter dem Einfluss anderer Stoffe seine Wirksamkeit verlieren kann.
Umso wichtiger ist aber auch gerade in Hinblick auf HPV die vorherige „mechanische“ Reinigung
des Penis durch gründliches vorsichtiges Waschen mit fließendem Wasser und
Seife/Seifenlotion, wobei allerdings die sich anschließende Trocknungsprozedur besonders
vorsichtig erfolgen muss, um Mikroabrasionen an der Schleimhaut oder Haut des Penis durch
Rubbeln mit dem Handtuch zu vermeiden – diese würden als geeignete Eintrittspforten für HPV
schon ausreichen.
Man vermutet, dass HPV vor allem durch Epithelzellen übertragen wird, die von infizierten
(Schleim-)Hautpartien des Geschlechtspartners abgeschilfert wurden und z.B. aus den Penis des
Freiers gelangten. In und auf diesen Zellen sitzen dann infektiöse Viruspartikel. Es ist
naheliegend, dass durch gründliches Waschen des Penis mit Seife/Seifenlotion solche
„fremden“ Epithelzellen recht effektiv abgewaschen werden. Gerade in Abwesenheit HPVwirksamer Antiseptika kommt daher der mechanischen Reinigung des Penis durch Waschen
eine besondere Bedeutung zu – ein Privileg, das Frauen nicht haben, denn sie sollen ihre Vagina
nach dem Sex nicht waschen oder spülen – und würden beim Spülen potenzielle Viren bzw. mit
Viren versehene „fremde“ Epithelzellen weiter im Genitaltrakt hoch befördern – so an den
besonders gefährdeten und für HPV sehr empfänglichen Gebärmutterhals.
Auch wenn es noch nie systematisch untersucht wurde, sprechen diese Überlegungen dafür,
dass das Waschen des Penis mit Seife oder Lotion nach einer potenziellen HPV-Kontamination
das Risiko für eine HPV-Infektion am Penis bereits deutlich mindern dürfte.
-137-
Daraus ergibt sich folgendes Vorgehen bei der Penisantisepsis:
1. Penis erst gründlich, aber vorsichtig unter fließendem Wasser mit Seife/Seifenlotion
abwaschen und sehr vorsichtig (tupfend, nicht rubbelnd) abtrocknen, im Idealfall an der Luft
trocknen lassen.
Penisantisepsis erst beginnen, wenn der Penis gut getrocknet ist.
2. Urinieren (zur Ausspülung von Keimen aus der Harnröhre) nach FO (besonders Deep Throat),
Kondomversagen
bei
GV/AV,
Pussy
Sliding
ohne
Kondom,
anderen
Kontaminationsmöglichkeiten an der Penisspitze (z.B. durch Keimverschmierung mit den
Händen)
3. Vorderer Penisabschnitt (Harnröhrenausgang, Eichel, Penisfurche, Vorhaut, vor allem
Vorhautinnenseite):
● Octenisept (stärker/schneller wirksam) oder 0,2 % CHX
● (nur in extremen Ausnahmefällen, wenn sehr hohes Risiko oder kein OCT/CHX zur Hand: als
Notlösung (!) ausnahmsweise bakterizides/begrenzt viruzides Hautdesinfektionsmittel nehmen
- brennt aber für einige Minuten sehr stark am Harnröhrenausgang, so dass dieser dabei
ausgelassen werden muss, obwohl gerade die Schleimhaut des Harnröhrenausgangs vielfältige
Infektionsrisiken bietet)
4. Penisschaft einschließlich basaler, nicht kondomgeschützter Penisabschnitte nach GV/AV:
● Octenisept oder bakterizides/begrenzt viruzides Hautdesinfektionsmittel
● Wenn kein Octenisept oder Hautdesinfektionsmittel zur Hand:
0,2 % CHX, aber Wirksamkeit an der Penishaut unklar, da es in dieser Konzentration „nur“ ein
Schleimhautantiseptikum ist. Da aber behüllte Viren sehr empfindlich sind, dürfte CHX 0,2 % auf
der Penishaut immer noch einen größeren Schutzeffekt haben, als „nichts“ zu tun
5. HPV-Prophylaxe:
Einige Minuten nach dem Benetzen (oder Besprühen) mit dem Antiseptikum warten, bis die
Haut/Schleimhaut wieder trocken ist.
Anschließend HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder –Spray;
● als Eigenschutz vor allem vor Genitalwarzen am vorderen Penis, aber auch am Penisschaft
● als Fremdschutz zur Vermeidung von Kontaminationen oder Infektionen am Penisschaft, die
auf weitere Geschlechtspartnerinnen übertragen werden könnten, mit besonderem Risiko für
die private Partnerin (also zuro Unterbrechung von Infektionsketten!)
-138-
Anlässe für Penisantisepsis:
FM
Kein Bedarf für eine Penisantisepsis
FO
Risiko durch Übertragung von Keimen aus dem Speichel, vor allem aus dem Rachenraum der
FSW auf den Penis. Erhöhtes Risiko bei Deep Throat.
Besonders hohes Infektionsrisiko am Harnröhrenausgang.
Penisantisepsis der vorderen und hinteren Penisabschnitte („volles Programm“ = „erweiterte
Penisantisepsis“) mit besonderem Fokus auf die Schleimhautanteile des Penis und den
Harnröhrenausgang (besonders nach Deep Throat)
● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder
● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich
Evtl. zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray
(geringes Risiko bei „normalem Blasen“, höheres Risiko nach Deep Throat)
GV mit Kondom ohne Komplikationen in der Kondomanwendung
Die Penisantisepsis der hinteren Penisabschnitte (Hautanteile, also Penisschaft) ist eigentlich
ausreichend. Das Risiko für STD-Infektionen ist nach GV mit unproblematischer
Kondomwendung vergleichsweise gering. Zu denken ist vor allem an HSV-2
(Kondomeffektivität: etwa 30 %) und HPV (Kondomeffektivität etwa 50 – 70 %). Bei HPV steht
der Aspekt der Fremdgefährdung weiterer Partnerinnen im Vordergrund; für den Freier selbst
wäre eine einige Monate anhaltende HPV-Infektion am Penisschaft belanglos und würde nicht
bemerkt werden.
Wenn kein Bedarf gesehen wird, die vorderen, kondomgeschützten Penisabschnitte in die
Penisantisepsis einzubeziehen, würde ein Benetzen des Penisschafts mit bakterizidem/begrenzt
viruzidem Hautdesinfektionsmittel oder (stattdessen) mit Octenisept ausreichen (= „kleine
Penisantisepsis“). In Hinblick auf das Fremdgefährdungspotenzial sollte sich dann aber einige
Minuten später die HPV-Prophylaxe mit Carrageen anschließen.
Da Carrageen nicht nur gegen HPV, sondern auch gegen HIV und Herpes simplex wirkt,
erscheint sogar ein Verzicht auf das Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept vertretbar, so
-139-
dass man nach unkompliziertem kondomgeschützten GV den Penisschaft lediglich mit
Carrageen benetzen würde, d.h. auf eine Antisepsis im eigentlichen Sinne ganz verzichtet und
sich auf die HPV-Prophylaxe beschränkt. Man hätte durch die Carrageen-Anwendung auch das
Risiko durch behüllte Viren verringert – nicht unbedingt im Sinne einer Desinfektion im
wörtlichen Sinne, aber im Sinne einer Risikoreduktion.
Syphilis-Erreger würden von Carrageen allerdings nicht erfasst (hier ist aber auf die Seltenheit
von infektiöser Syphilis bei FSW zu verweisen).
Ein großer Vorteil der Beschränkung auf die Carrageen-Anwendung am Penisschaft unter
Verzicht auf weitere antiseptische Maßnahmen besteht darin, dass Carrageen nicht die
normale, schützende Hautflora des Penisschafts beeinträchtigt, da Carrageen gegenüber
Bakterien unwirksam ist. Die gesunde Hautflora reduziert ihrerseits Infektionsrisiken.
In der Gesamtabwägung von Vor- und Nachteilen erscheint es daher nach unkompliziertem,
kondomgeschützten GV ausreichend, sich auf die HPV-Carrageen-Prophylaxe am Penisschaft zu
beschränken und auf den Einsatz von Antiseptika am Penisschaft ganz zu verzichten.
Hat dagegen vor dem kondomgeschützten GV bereits FO stattgefunden, oder kann man nicht
sicher ausschließen, dass es auch z.B. durch Berührungen mit den Händen, beim Auf- oder
Abziehen des Kondoms usw. zu einer Kontamination der vorderen Penisabschnitte mit Erregern
z.B. aus Vaginalsekret kam – eventuell auch nur durch Verschmierung von Keimen, z.B. mit den
Fingern – , dann ist es sinnvoll, das „volle“ Programm der „erweiterten Penisantisepsis“
anzuwenden, das am einfachsten umsetzbar ist, wenn man ohnehin mit Octenisept arbeitet:
● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder
● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich
Zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray mindestens des
Penisschafts (wenn lediglich komplikationsloser ungeschützter GV stattgefunden hat), in allen
anderen Fällen Vorgehensweise wie nach FO (siehe oben).
GV mit Kondom: Kondom ist aber hochgerutscht oder merklicher Kontakt mit weiblichen
Genitalschleimhäuten oder –sekreten;
Analverkehr mit Kondom
Penisantisepsis der vorderen und hinteren Penisabschnitte („volles Programm“ im Sinne der
„erweiterten Penisantisepsis):
● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder
● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich
Zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray mindestens des
Penisschafts oder einfachheitshalber am gesamten Penis
-140-
Ungeschützter Kontakt des Penis mit weiblichen Genitalschleimhäuten z.B. beim Vorspiel
oder ungeschütztes Pussy Sliding
(in diesen Situationen besteht ja ein vergleichsweise hohes Kontaminationsrisiko für die
Penisspitze, also auch den Harnröhrenausgang)
Penisantisepsis der vorderen und hinteren Penisabschnitte („volles Programm“)
● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder
● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich
Besonders intensive Antisepsis mit OCT oder CHX im Bereich des Harnröhrenausgangs
(→ siehe vier Seiten weiter unten: „Praktische Anwendung von Schleimhaut-Antiseptika im
Bereich des Harnröhrenausgangs“)
Zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray im Bereich des
gesamten Penis einschließlich Harnröhrenausgang
Kondomversagen bei GV oder AV
Penisantisepsis der vorderen und hinteren Penisabschnitte („volles Programm“).
Da dies die Situation mit den höchsten Infektionsrisiken ist, wäre es erwägenswert, das
bakterizide/begrenzt viruzide Hautdesinfektionsmittel ausnahmsweise auch vorn am Penis
anzuwenden, da es noch stärker wirksam sein dürfte als Octenisept.
Am Harnröhrenausgang direkt ist das aber wegen des starken Brennens nicht möglich, daher
muss man sich an dieser Stelle dann auf Octenisept (1. Wahl) oder CHX 0,2 % (2. Wahl)
beschränken („große Penisantisepsis“).
Die Anwendung von Hautdesinfektionsmitteln im Schleimhautbereich sollte aber seltenen
Ausnahmen, also besonderen Risikosituationen, vorbehalten werden.
Mindestens „erweiterte Penisantisepsis“:
● OCT allein (Haut und Schleimhaut) oder
● OCT oder CHX im Schleimhautbereich, OCT oder Hautdesinfektionsmittel im Hautbereich
Besonders intensive Antisepsis mit OCT oder CHX im Bereich des Harnröhrenausgangs
Sicherheitshalber aber besser „große Penisantisepsis“
● OCT (oder notfalls CHX 0,2 %) am Harnröhrenausgang und im vorderen Eichelbereich
● Hautdesinfektionsmittel an der Eichelbasis, Penisfurche, Vorhautinnen- und außenseite sowie
Penisschaft
-141-
Zusätzlich (zeitlich getrennt): HPV-Prophylaxe mit Carrageen-Lösung oder Spray im Bereich des
gesamten Penis einschließlich Harnröhrenausgang
Hautpflegemittel (SEHR WICHTIG!)
Die „Penisantisepsis“ stört auch die natürliche, hautschützende, „gesunde“ physiologische
Hautflora, und es dauert wohl einige Tage, bis diese wieder regeneriert. In der Zwischenzeit ist
die Penishaut empfindlicher und möglicherweise infektionsgefährdeter. Auch dies verdeutlicht,
dass eine „Penisantisepsis“ nicht in eine normale Beziehung gehört und keine
Routinemaßnahme darstellen kann, sondern gelegentlichen sexuellen Kontakten mit erhöhtem
Risiko vorbehalten werden muss.
Da Desinfektionsmittel die Haut des Penis austrocknen oder auch bei wiederholter Anwendung
reizen können, ist es sehr wichtig, an Tagen, an denen eine Penisantisepsis vorgenommen
wurde, später (idealerweise vor dem Schlafengehen) den gesamten Penis einzufetten
(Hautpflegemittel, notfalls Babyöl, Handcremes o.Ä.). Dies darf allerdings erst geschehen, wenn
sicher feststeht, dass kein kondomgeschützter Sex an diesem Tag mehr erfolgen wird.
-142-
Prioritätenliste für die Penisantisepsis
Kondomversagen bei AV (Empfehlung: „große Penisantisepsis“ + Carrageen-Prophylaxe)
˅
Kondomversagen bei GV,
Hochrutschen des Kondoms bei AV (ohne Kondomversagen)
FO bei Sexparties mit FM/FA (Spermakontakt mit „Vorgänger“ im Mund der FSW möglich)
(Empfehlung: „große Penisantisepsis“ + Carrageen-Prophylaxe)
˅
ungeschütztes Pussy Sliding
(Empfehlung: „große oder erweiterte Penisantisepsis“
+ Carrageen-Prophylaxe)
˅
Hochrutschen des Kondoms bei GV (ohne Kondomversagen)
GV mit Kondom bei merklicher Kontamination der Penishaut mit weiblichem Genitalsekret
Möglichkeit der Kontamination des Penis beim Aufsetzen oder Abziehen des Kondoms z.B.
mit den Händen oder bei anderen Gelegenheiten
(Empfehlung: „erweiterte Penisantisepsis“
+ Carrageen-Prophylaxe)
˅
FO mit Deep Throat
(Empfehlung: „erweiterte Penisantisepsis“
+ Carrageen-Prophylaxe)
˅
ausgedehntes FO ohne Deep Throat
(Empfehlung: „erweiterte Penisantisepsis“;
Carrageen-Prophylaxe möglich, aber nicht so
wichtig)
˅
GV mit Kondom ohne besondere Vorkommnisse
(Empfehlung: „kleine Penisantisepsis“ fakultativ; wichtiger
ist die HPV-Prophylaxe mit Carrageen)
˅
-143-
FO als kurzes Anblasen mit Lippen und Zunge
(Empfehlung: „erweiterte Penisantisepsis“)
˅
FM (kein Bedarf)
(Empfehlung: nichts)
Dieses Schema gilt für einen intakten Penis ohne erkennbare Veränderungen, die mit erhöhten
Infektionsrisiken oder Eintrittspforten einhergehen. Sollten solche Veränderungen am Penis
vorhanden sein, stellt sich natürlich zunächst einmal die Frage, ob man in dieser Situation
überhaupt Sexdienstleistungen in Anspruch nehmen sollte. Allerdings können sich kleine
Wunden am Penis auch erst während des Sexkontaktes ergeben. In jedem Fall sollte bei in
irgendeiner Weise „vorgeschädigtem“ Penis ein Verfahren einer höheren Sicherheitsstufe
gewählt werden.
Festlegung von Begrifflichkeiten:
Benetzung der äußeren Haut der mittleren und basalen Penisabschnitte mit begrenzt viruzidem
Hautdesinfektionsmittel oder OCT; vordere Penisanteile bleiben unbehandelt = „kleine
Penisantisepsis“
Kleine Penisantisepsis und zusätzlich dazu Benetzung der Schleimhautareale
(Harnröhrenausgang, Eichel, Vorhautinnenseite) mit Octenisept oder CHX 0,2 % = „erweiterte
Penisantisepsis“
Benetzung des gesamten Penis mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel (abgesehen
vom aufgespreizten Harnröhrenausgang und dessen unmittelbarer Umgebung, die in
Octenisept oder CHX 0,2 % gebadet werden) = „große Penisantisepsis“ (nur als seltene
Ausnahme nach Hochrisikoereignissen wie Kondomversagen)
Benetzung des gesamten Penis oder – je nach Situation – nur der basalen, nicht vom Kondom
geschützten Penisabschnitte mit Carrageen-Lösung = „HPV-Prophylaxe“
(Ziel: Inaktivierung von HPV als Eigenschutz oder ggf. auch nur als Fremdschutz)
Wichtig: zwischen dem Waschen des Penis und der „Penisantisepsis“ sollte man einige Minuten
abwarten, um Feuchtigkeitsreste aus den obersten Hautschichten verdampfen zu lassen.
-144-
Praktische Anwendung von Schleimhaut-Antiseptika im Bereich des Harnröhrenausgangs
Man kann eine hohle Hand (oder besser einen breiten Deckel oder einen Becher) etwa 2 - 3 cm
hoch mit Chlorhexidin 0,2 % oder Octenisept füllen und darin die Eichel mit dem
Harnröhrenausgang bis etwa an die Eichelbasis „baden“, evtl. den Harnröhrenausgang dabei
etwas mit den Fingern aufspreizen, damit CHX/Octenisept den Ausgang besser benetzen kann.
Alternativ kann man auch Spray verwenden. Wichtig ist, den Harnröhrenausgang nicht zu
verletzen, sondern ihn nur passiv aufzuziehen, z.B. durch Druck mit zwei Fingern auf die
vordere Eichel.
Wichtig: alle Reinigungs- und Antisepsis-Maßnahmen sollten zeitnah nach der Risikoexposition
erfolgen (aber immer zuvor waschen):
● als routinemäßige Antisepsis ohne besondere Risikosituationen nach regulärer Beendigung
des „Zimmers“,
● in besonderen Risikosituationen (wie Kondomversagen bei GV/AV) sofort, d.h. (bei längerem
Termin) das „Zimmer“ unterbrechen (kann ja danach fortgesetzt werden).
Man geht von einem 2-Stunden-Fenster aus, in dem man die Aufnahme von HIV in seine
Zielzellen (also Zellen des Lymphsystems, die für HIV empfänglich sind und in denen sich HIV
vermehren kann) wohl noch verhindern kann. Allerdings konnte für Zellen der
Mundschleimhaut (die allerdings keine Zielzellen sind, da sich in ihnen HIV nicht oder nur
minimal vermehrt; sie dienen aber als „Depot“) gezeigt werden, dass diese schon binnen
weniger Minuten nach Exposition HIV aufnehmen. Vor diesem Hintergrund sollte man sich also
nicht auf das klassische „2-Stunden-Fenster“ verlassen, sondern sicherheitshalber so schnell
wie möglich handeln, wenn eine besondere Risikosituation wie Kondomversagen vorliegt.
Auch wenn sich diese Ausführungen auf den Schutz des Kunden vor einer HIV-Infektion durch
eine möglicherweise HIV-infizierte FSW beziehen, ist anzumerken, dass dies als reine
Vorsichtsmaßnahme zu bewerten ist. Wie an anderer Stelle ausführlich dargestellt, gelten FSW
in Deutschland nicht als Risikogruppe für HIV, und größere jüngere Studien ergaben eine HIVQuote bei FSW von nur 0,2 % (Deutschland, 2010/2011) bzw. 0,14 % (Nordrhein-Westfalen
2012). Höhere HIV-Risiken haben Kunden aber ggf. auf dem Drogenstrich, im Ausland
(Sextourismus in Länder mit starker heterosexueller HIV-Verbreitung), in AO-Party-Kreisen oder
bei FSW zu erwarten, die erst vor recht kurzer Zeit aus einem Land mit starker heterosexueller
HIV-Verbreitung eingereist sind.
Aus diesem Grund kann die HIV-Problematik (im Sinne des HIV-Risikos für Kunden von HIVinfizierten FSW) hier nicht völlig ignoriert werden, auch wenn sie in der normalen Sexarbeit in
Deutschland von sehr geringer Relevanz sein dürfte.
-145-
Desinfektionstücher als Alternative zur Penisantisepsis mit flüssigen Antiseptika (oder
Sprays)?
Keine gleichwertige Alternative zur Penisantisepsis mit flüssigen Haut- bzw.
Schleimhautdesinfektionsmitteln oder –Spray bzw. Octenisept stellen bereits fabrikmäßig mit
Desinfektionsmittel getränkte Tücher für die Hautdesinfektion dar, die es ebenfalls in
Apotheken zu kaufen gibt.
Allerdings muss man davon ausgehen, dass die Wirksamkeit geringer ist als bei der direkten
Benetzung der Penisoberfläche mit Flüssigkeit oder Spray, und der Harnröhrenausgang lässt
sich damit auch nicht richtig erreichen, so dass eine zusätzliche Schleimhautdesinfektion dieser
Region weiterhin empfehlenswert ist. Schwierig wird eine gute Reinigung und Benetzung auch
im Bereich der Penisfurche und um das Vorhautbändchen herum.
Mikroverletzungen im Bereich des Harnröhrenausgangs müssen ohnehin unbedingt vermieden
werden, ein „Drücken“ oder Reiben mit dem Tuch ist daher zu vermeiden. Schon
Mikroabrasionen von wenigen Zellschichten können an der Schleimhaut Eintrittspforten zum
Beispiel für HPV bieten – gegen das die Tücher ohnehin nicht wirksam sind.
Außerdem erreicht man mit Flüssigkeit oder Spray viel besser als mit einem Desinfektionstuch
schwer zugängliche Stellen wie am Eichelhals (koronaler Sulkus = Penisfurche) oder die Hautund Schleimhautfalten im erschlafften Zustand.
Zu bedenken ist auch, dass die Penisantisepsis nach dem Sex in der Regel am erschlafften Penis
erfolgen wird. Dies ist eine ungünstigere Situation, als wenn FSW vor dem Sex einen schon
mehr oder weniger steifen Penis mit einem Desinfektionstuch bearbeiten. Zwar ist auch
letzteres von der antiseptischen Wirkung her suboptimal, aber besser als „gar nichts“ und vor
allem an einem steifen Penis effektiver als an einem schlaffen Penis nach dem Sex.
In Hinblick auf HIV (was bei „normalem“ FO normalerweise kaum relevant ist, aber im Falle
eines Kondomunfalls schon eher ins Interesse rückt) ist zu bedenken, dass die
Vorhautinnenseite besonders empfänglich ist, weil hier Immunzellen sitzen, an die HIV direkt
andocken könnte. Eine gründliche Desinfektion aller Stellen in diesem faltigen Bereich wird man
mit Flüssigkeit oder Spray besser erreichen können; außerdem sollte man Druck auf die
Schleimhaut vermeiden - gründliches Abwischen mit einem Desinfektionstuch wird aber ohne
einen gewissen Druck kaum funktionieren.
Fazit: ein Desinfektionstuch ist der oben beschriebenen Penisantisepsis mit flüssigen Mitteln
oder Spray deutlich unterlegen und nach dem Sex nicht empfehlenswert.
Desinfektionstücher haben aber durchaus ihre „Berechtigung“ bei Anwendung durch FSW vor
dem Sex (zum Beispiel um Smegmareste zu entfernen oder wenn der Kunde den Penis nicht
frisch gewaschen hat) sowie bei Dreiern oder Gruppensex in Verbindung mit einem
Kondomwechsel beim Übergang vom GV/AV mit einer Frau zum GV/AV mit einer anderen Frau.
-146-
Große „Penisantisepsis“ nach Hochrisiko-Situationen (Maximalverfahren)
• Kondomversagen jeder Art bei GV/AV (auch starkes Hochrutschen besonders beim AV)
• FO bei einer FSW, die zuvor FA/FT betrieben hat (Risiko des Kontaktes mit
Sperma des Vorgängers - Partysituationen)
• nach intensivem ungeschützten Kontakt der vorderen Penisabschnitte mit weiblichen
Genitalschleimhäuten oder Kontamination mit Vaginalschleim oder Blut
• nach intensivem, feuchten Pussy Sliding ohne Kondom
Erst vorsichtig, aber gründlich mit Seife unter fließendem Wasser abwaschen, vorsichtig
(tupfend, nicht reibend) abtrocknen. Wenige Minuten abwarten (Verdampfen von
Restfeuchte). Dann:
Rot: Benetzung mit Octenisept (1. Wahl) oder 0,2 % CHX
Roter Pfeil: Urinieren; Harnröhrenausgang aufspreizen, damit Octenisept/CHX hineinfließt (am
besten in einem Becher oder Deckel Penisspitze in Octenisept oder CHX baden), ggf. als Spray
Blau: bedingt viruzides Hautdesinfektionsmittel, notfalls ebenfalls Octenisept
Allerdings kann keine Wirkung gegen HPV erwartet wird, daher ggf. einige Minuten später
„HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung anschließen.
Da Hautdesinfektionsmittel und häufiges Waschen die Haut trocken und rissig machen und den
Säureschutzmantel der Haut schädigen, später (wenn kein Kondom mehr benötigt wird) Penis
mit rückfettender Hautpflegecreme/salbe, Babyöl oder Ähnlichem einfetten!
Die Anwendung von Hautdesinfektionsmitteln in Schleimhautbereichen sollte äußersten
Ausnahmefällen mit hoher Risikoeinschätzung vorbehalten werden und geht über den
„offiziellen Einsatzbereich“ hinaus. Die Anwendung von Octenisept ist dagegen auch an der
-147-
Schleimhaut unproblematisch,
Schleimhautantiseptikum hat.
da
es
eine
Doppelfunktion
als
Wund-(Haut-)-
und
Und da die massive Entkeimung im Rahmen der „großen Penisantisepsis“ die normale
Bakterienflora der Penishaut und –schleimhaut (die auch einen gewissen Schutzeffekt vor
Infektionen bieten mag) schädigt, könnte das Infektionsrisiko am Penis in den ersten Tagen
nach einer „großen Penisantisepsis“ sogar ansteigen – bis sich die normale Flora regeneriert
hat. Genau weiß man das nicht – aber denkbar ist das. Daher sollten (erneute) sexuelle
Hochrisiko-Situationen in den ersten Tagen nach einer „großen Penisantisepsis“
sicherheitshalber gemieden werden.
-148-
Erweiterte Penisantisepsis
• außerhalb von Situationen mit besonders hohem Risiko
• nach FO, vor allem mit Deep Throat
• nach möglichem ungeschützten Kontakt der vorderen Penisabschnitte mit weiblichen
Genitalschleimhäuten z.B. beim Vorspiel, nach Hochrutschen des Kondoms, nach
wahrscheinlichem oder vermeintlichen Kontakt mit weiblichen Genitalsekreten beim GV
trotz Kondom; nach ungeschütztem „Pussy Sliding“
• wenn eine Kontamination der vorderen Penisabschnitte beim Aufsetzen oder Abziehen des
Kondoms möglich erscheint (oder z.B. eine Verschmierung mit den Fingern und Ähnliches)
Erst vorsichtig, aber gründlich mit Seife unter fließendem Wasser abwaschen, vorsichtig
(tupfend, nicht reibend) abtrocknen. Wenige Minuten abwarten (Verdampfen von
Restfeuchte). Dann:
Rot: Benetzung mit Octenisept (1. Wahl) oder 0,2 % CHX (alle Schleimhautareale)
Roter Pfeil: Urinieren; Harnröhrenausgang aufspreizen, damit Octenisept/CHX hineinfließt (am
besten in einem Becher oder Deckel Penisspitze in Octenisept oder CHX baden), ggf. Spray
Blau: bedingt viruzides Hautdesinfektionsmittel oder ebenfalls Octenisept (alle Hautareale)
Am einfachsten: 1-Schritt-Antisepsis mit Octenisept in beiden Bereichen („rot“ und „blau“, da
Octenisept ein Schleimhaut- und Hautantiseptikum ist)
Allerdings kann keine Wirkung gegen HPV erwartet wird, daher ggf. einige Minuten später
„HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung anschließen.
-149-
Dieses Vorgehen entspricht dem Einsatzbereich der Präparate: Octenisept oder CHX für die
Schleimhaut (Eichel, Vorhautinnenseite), viruzides Hautdesinfektionsmittel für alle von äußerer
Haut bedeckten Penisabschnitte. Da Octenisept zugleich ein Hautantiseptikum ist (für wunde
oder schleimhautnahe Hautbereiche – was für die Penishaut zutrifft), kann Octenisept (im
Gegensatz zu CHX) am gesamten Penis angewandt werden.
Da Hautdesinfektionsmittel und mehrfaches Waschen die Haut trocken und rissig machen und
den Säureschutzmantel der Haut schädigen, später (wenn kein Kondom mehr benötigt wird)
Penis mit rückfettender Hautpflegecreme/salbe, Babyöl oder Ähnlichem einfetten!
-150-
Kleine Penisantisepsis
• nach kondomgeschütztem GV/AV (ohne Kondomversagen) (ohne vorher/hinterher FO)
Erst vorsichtig mit Seife unter fließendem Wasser abwaschen, vorsichtig (tupfend, nicht
reibend) abtrocknen. Wenige Minuten abwarten (Verdampfen von Restfeuchte). Dann:
Blau: begrenzt viruzides Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept
Alternativ: nur HPV-Prophylaxe mit Carrageen am Penisschaft
Weiß: Keine Benetzung
Zielsetzung dieser Maßnahme ist, die vom Kondom nicht geschützten Penisabschnitte
antiseptisch zu behandeln, die beim GV/AV unbemerkt mit weiblichen Genital/Analschleimhäuten, Sekreten oder Schmierinfektionen in Kontakt gekommen sein könnten.
(Falls eine deutliche Kontamination der ungeschützten Bereiche stattgefunden hatte, sollte
besser eine erweiterte Penisantisepsis vorgenommen werden).
Sofern es nicht zu einem Hochrutschen oder zu einem Kontakt der vom Kondom nicht
geschützten Penisabschnitte mit Genitalschleimhäuten oder –sekreten der FSW gekommen ist,
dürfte der Nutzen dieses Verfahrens recht gering sein, zumal selbst von einem begrenzt
viruziden Desinfektionsmittel keine Wirksamkeit gegen HPV erwartet werden kann.
Eine Alternative zur „kleinen Penisantisepsis“ ist daher die „HPV-Prophylaxe“, wobei man die
betreffenden Penisabschnitte mit einer Carrageen-Lösung (iota-Carrageen) benetzt.
-151-
Da iota-Carrageen auch (konzentrationsabhängig) gegen andere Viren wirkt (wie HIV und
Herpes simplex), können von dieser „HPV-Prophylaxe“ auch Schutzeffekte erwartet werden, die
sich mit der Anwendung eines Hautdesinfektionsmittels überschneiden. Carrageen zerstört
diese Viren zwar nicht, wie es ein Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept tun würde, hemmt
aber wenigstens ihre Infektiosität.
Gegen Bakterien (wie Syphilis-Erreger) ist keine Wirksamkeit von Carrageen gegeben, was aber
auch den Vorteil hat, dass die HPV-Prophylaxe mit Carrageen die normale (schützende)
Bakterienflora der Penishaut (und damit den Säureschutzmantel der Haut) nicht schädigt.
In der Gesamtbilanz erscheint nach unkompliziertem GV mit Kondom (ohne Kondomversagen,
ohne Hochrutschen des Kondoms, ohne merklichen Kontakt von ungeschützter Penishaut mit
weiblichen Genitalsekreten) die „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung daher die sinnvollere
Maßnahme im Vergleich zur Anwendung von Desinfektionsmitteln an der Penishaut, auch
wenn gewisse Abstriche z.B. in Hinblick auf das Syphilisrisiko oder Schmierinfektionen
bakterieller Erreger zu machen sind.
Das Verfahren dient vor allem auch der Verhinderung der HPV-Übertragung auf andere FSW
oder die heimische Partnerin – und trägt damit zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs bei
(es gibt Studien, die darauf deuten, dass Ehefrauen von Männern, die FSW aufsuchen, ein
höheres Risiko für Gebärmutterhalskrebs haben).
Wer besonders vorsichtig ist, kann auch beides kombinieren: erst das Hautdesinfektionsmittel
(oder Octenisept), dann einige Minuten später die Carrageen-Lösung.
Neben dem Eigenschutz dient die „HPV-Prophylaxe mit Carrageen“ daher vor allem dem
Schutz Dritter und sollte aus Respekt vor anderen FSW und Sexualpartnerinnen durchaus
routinemäßig angewandt werden.
Die „HPV-Prophylaxe mit Carrageen“ allein schädigt die Haut nicht. Nur wenn zuvor die
Penishaut auch antiseptisch behandelt und/oder mehrfach gewaschen wurde, sollte später
(wenn kein Kondom mehr benötigt wird) der Penis mit rückfettender Hautpflegecreme/salbe,
Babyöl oder Ähnlichem eingefettet werden!
-152-
Zusammenfassende kritische Würdigung der „Penisantisepsis“
Grundsätzlich handelt es sich bei der hier beschriebenen „Penisantisepsis“ nicht um ein
wissenschaftlich erprobtes (evaluiertes) Verfahren – letztendlich ist sie also experimentell. Zwar
weiß man, gegen welche Keime die betreffenden Hautdesinfektionsmittel bzw.
Schleimhautantiseptika wirken und kann daher vermuten, welche (Schutz-)Effekte von der
Anwendung dieser Verfahren am Penis bzw. Harnröhrenausgang zu erwarten sind – untersucht
sind sie aber im sexuellen Kontext nicht.
CHX wird aber beispielsweise als Antiseptikum in manchen urologischen Präparaten verwendet,
Octenisept hat im ano-uro-genitalen Kontext sogar einen seiner Haupteinsatzbereiche, und es
gibt sogar ein Octenisept Vaginaltherapeutikum in Form einer Lösung zur Behandlung von
Scheideninfektionen. Octenisept ist gleichzeitig ein Wundantiseptikum (auch an der äußeren
Haut) und kann auch zur Hautantisepsis in schleimhautnahen Hautarealen verwendet werden –
das passt also sehr gut zum Penis, wo besonders die Vorhaut und die Eichel – wenn auch aus
unterschiedlichen Gründen – eine Zwitterfunktion einnehmen; die Vorhaut, weil die Außenseite
aus sehr dünner Haut, die Innenseite aber aus Schleimhaut besteht; die Eichel, weil sie aus
Schleimhaut besteht, die aber mehr oder weniger stark verhornt und damit in mancher Hinsicht
„hautähnliche“ Eigenschaften annimmt.
Nur bei der „großen Penisantisepsis“, bei der ausnahmsweise auch Schleimhautanteile des
Penis mit begrenzt viruzidem Hautdesinfektionsmittel benetzt werden, befindet man sich
außerhalb der offiziellen Anwendungsempfehlungen dieser Mittel – sofern man sie nicht im 1Schritt-Verfahren mit Octenisept durchführt.
Wenn Paysex aber so erfolgt, wie es offiziell empfohlen wird, nämlich stets kondomgeschützt
(auch oral), so bleibt eigentlich gar kein Anlass für die „große Penisantisepsis“ – außer nach
Kondomunfällen (nach dem gründlichen, aber vorsichtigen Waschen mit Wasser und Seife).
Aus „offizieller“ Sicht ist die „große Penisantisepsis“ also eigentlich überflüssig, weil es für sie
eigentlich gar keinen Anlass geben dürfte … die Realität sieht ja bekanntlich anders aus.
Anders die „kleine Penisantisepsis“ bzw. die „erweiterte Penisantisepsis“: Hier geht es
zunächst um die Benetzung der beim GV nicht kondomgeschützten Penisabschnitte mit einem
begrenzt viruziden Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept. Je nach GV-Position und
anatomischen Verhältnissen lässt sich nicht ausschließen, dass nicht vom Kondom geschützte
Penishaut und weibliche Genitalschleimhaut/Vaginalschleim in Kontakt treten und
Infektionserreger übertragen werden könnten. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe,
weshalb Kondome keinen vollständigen Schutz vor STDs, sondern nur eine Risikominderung
bieten. Besonders groß ist das Risiko dabei für Herpes simplex (HSV-2): Kondome reduzieren
das HSV-2-Übertragungsrisiko nur um ca. 30 %. Auch für HPV sieht es nicht grundlegend besser
aus; hier geht man von einer Risikominderung von 50 – 70 % aus.
-153-
Angesichts der hohen HPV-Durchseuchung von FSW können sich Männer daher trotz Kondom
beim GV auf diese Weise beispielsweise an genitalwarzen-auslösenden HPV-Typen anstecken
und nach einigen Wochen oder Monaten an der Penishaut Genitalwarzen entwickeln. Oder sie
können sich auch mit krebserregenden HPV-Typen infizieren. Diese Infektion überwinden sie
zwar meist in einigen Monaten (Peniskrebs ist sehr selten und auch nur in etwa einem Drittel
aller Fälle durch HPV ausgelöst), aber sie können die Infektion in dieser Zeit auf andere
Sexpartnerinnen übertragen – wie auf andere FSW, aber auch auf die heimische Partnerin, die
dann ein erhöhtes Risiko für Dysplasien und Gebärmutterhalskrebs hätte.
Allerdings
wirken
gängige
Schleimhautantiseptika,
für
Laien
verwendbare
Hautdesinfektionsmittel und auch Octenisept mit seiner „Doppelfunktion“ (schleimhautnahe
Haut und Schleimhaut) nicht gegen HPV.
Solange nicht davon auszugehen ist, dass alle FSW (rechtzeitig) gegen HPV durchgeimpft sind
(und der Impfstoff wirkt ohnehin nicht gegen alle krebserregenden HPV-Typen), ist daher vor
allem an die HPV-Prophylaxe zu denken, um nicht das Virus weiterzutragen und damit andere
Frauen zu infizieren (der Freier als HPV-Überträger). In diesem Sinne ist dann aber vor allem die
„HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen-Lösung wichtig - zum eigenen Schutz, zum Schutz der
anderen FSW, mit denen man in den nächsten Stunden, Tagen, Wochen Sex hat, und zum
Schutz der privaten Partnerin(nen).
Da Carrageen auch eine (konzentrationsabhängige) Wirksamkeit gegen andere STD-relevante
Viren hat (zumindest im Sinn einer Risikoreduktion), erscheint nach unkompliziertem
kondomiertem GV die „HPV-Prophylaxe“ mit Carrageen sogar wichtiger als die Benetzung der
basalen Penisabschnitte mit Hautdesinfektionsmittel oder Octenisept.
Wer sehr vorsichtig ist, kann beides kombinieren: nach dem Peniswaschen und vorsichtigem
Trockentupfen (besser: „Luft-Trocknen“) erst das Benetzen mit Hautdesinfektionsmittel oder
Octenisept, einige Minuten später dann mit Carrageen-Lösung. Aufgrund der moderaten
antiviralen Kapazität von Carrageen kann man aber auch im unkomplizierten Fall den mittleren
Schritt übergehen und nach Trocknung des Penis gleich die HPV-Prophylaxe mit CarrageenLösung vornehmen.
Da es auch beim unvorsichtigen oder ungeschickten Abziehen des Kondoms noch zu
Schmierinfektionen (von der mit Vaginalschleim kontaminierten Kondomoberfläche auf die
bisher kondomgeschützte Penishaut einschließlich Vorhautinnenseite) kommen könnte,
ebenso beim Vor- oder Nachspiel, ist es allerdings empfehlenswert, die vorderen
Penisabschnitte (Harnröhrenausgang bis Vorhautinnenseite) dennoch mit CHX oder OCT zu
benetzen, zumal das keine Beschwerden macht und als Schleimhautantiseptikum dem üblichen
Anwendungsbereich dieser Mittel entspricht („erweiterte Penisantisepsis“).
-154-
Hinweise zur Penisantisepsis unter Aspekten der Mikrobiomforschung
Da Antiseptika wie CHX 0,2 % oder Octenisept auch gegen Hefepilze (Candida albicans) wirksam
sind, besteht kein Anlass für die Befürchtung, dass die gelegentliche (anlassbezogene)
antiseptische Behandlung der Schleimhautareale des Penis mit diesen Präparaten
Pilzinfektionen des Penis (Candida-Balanitis; „Penispilz“) Vorschub leisten könnte. Letzteres ist
bei Medikamenten oder Präparaten denkbar, die sich zwar gegen Bakterien, nicht aber gegen
Pilze richten und damit das natürliche Gleichgewicht zwischen Bakterien und Pilzen im
Mikrobiom der Genitalschleimhäute zugunsten der Pilze verschieben, die dann überhand
nehmen und zu einer symptomatischen Pilzinfektion führen können (wie das z.B. im Rahmen
einer Antibiotika-Behandlung vorkommen kann). Auch Störungen der Immunabwehr (z.B. durch
Kortisontherapie) können solche Situationen hervorrufen.
Unabhängig davon sollte die Penisantisepsis nur anlassbezogen nach Risikosituationen,
denen sich Freier aussetzen, zur Anwendung kommen. Sie ist kein Bestandteil der
routinemäßigen Penishygiene z.B. in privaten Partnerschaften. Jede antiseptische Behandlung
stellt schließlich eine Störung des normalen (physiologischen, gesunden) Mikrobioms dar und
ist daher im Prinzip unerwünscht, es sei denn, man ist (gewollt oder ungewollt) STD-Risiken
eingegangen, die man auf diese Weise reduzieren möchte.
Die antiseptische Behandlung reduziert schließlich nicht nur selektiv die „unerwünschten“ STDKeime, sondern auch die gesunde, schützende Mikroflora der Haut und Schleimhaut, die dann
einzige Zeit benötigt, um sich wieder zu regenerieren und in den „günstigen“, gesunden
Ausgangszustand, also das ökologische Gleichgewicht, zurückzukehren. In der Phase des
„gestörten“ Mikrobioms steigen auch verschiedene Infektionsrisiken an.
Grundsätzlich ist die Hautflora des Menschen sehr stabil und schon kurze Zeit nach einem
„antiseptischen“ Angriff regeneriert sie in den Ausgangszustand. Man denke z.B. an die
massiven Hautdesinfektionsmaßnahmen im medizinischen Bereich, die nicht nur die
vermeintlich sehr „belastbaren“ Hände umfassen, sondern auch die sonst weniger exponierte
Haut der Unterarme. Solange die Haut zwischendurch gepflegt und rückgefettet wird, entsteht
kein Hautschaden. Häufiges Waschen ist wegen der damit verbundenen Entfettung für die Haut
belastender als die Anwendung geeigneter, für die Anwendung an der Haut bestimmter
Desinfektionsmittel.
Dies bedeutet dann aber auch: selbst wenn man keine Penisantisepsis vorgenommen hat, aber
z.B. anlässlich eines längeren Clubbesuchs mehrfach geduscht bzw. den Penis öfters gewaschen
hat, sollte man ihn abends einfetten.
Im Falle der Penisantisepsis ist damit zu rechnen, dass die Regeneration der ursprünglichen
Flora noch viel schneller funktioniert - schon auf dem Nachhauseweg vom Paysexkontakt über
die (benutzte) Unterhose.
Dennoch ist es grundsätzlich wichtig, Eingriffe in das Mikrobiom auf das unbedingt notwendige
Maß zu beschränken – d.h. nur risikobezogen (also anlassbezogen) einzusetzen. Nur wenn es
darum geht, real vorhandene Infektionsrisiken durch STD-Keime zu verhindern bzw. das Risiko
-155-
solcher Infektionen zu reduzieren, sind solche lokalen, zeitlich begrenzten Eingriffe ins
Mikrobiom des Penis zu rechtfertigen (die „HPV-Prophylaxe mit Carrageen“ stellt übrigens
keinen Eingriff ins Mikrobiom dar):
Kommt es nämlich (bei Verzicht auf Antisepsis nach einer Risikosituation) tatsächlich zu einer
Infektion mit STD-relevanten Bakterien (wie Gonokokken, Chlamydien, Mykoplasmen am
Harnröhreneingang, Syphilis an Penishaut oder -schleimhaut), wäre der sich daran
anschließende Eingriff ins Mikrobiom aufgrund der dann notwendigen Antibiotikabehandlung
wesentlich stärker und schwerwiegender. Er würde das Mikrobiom des gesamten Körpers
schädigen, u.U. sogar nachhaltig. So gibt es beispielsweise Hinweise, dass häufige AntibiotikaTherapien langfristig das Darmkrebsrisiko erhöhen, weil sie das Mikrobiom des Darms
nachhaltig verändern und in eine eher krebsfördernde Richtung verschieben.
Der Schaden, der dem Mikrobiom des gesamten Körpers durch eine Antibiotika-Behandlung
zugefügt würde, ist also viel größer als der Schaden für das Mikrobiom bei lokaler (z.B. am
Penis), gelegentlicher, d.h. risiko-/anlassbezogener Verwendung von Antiseptika, wo sich das
lokale Mikrobiom auch recht schnell wieder erholen und regenerieren kann.
Vor dem Hintergrund zunehmender Antibiotika-Resistenzen auch und gerade gegenüber
bakteriellen STD-Keimen (vor allem Gonokokken, aber auch Mykoplasmen) und immer
schwierigerer und langwierigerer antibiotischer Behandlung dieser Infektionen wird die
Prävention solcher Infektionen durch den lokalen Einsatz von Antiseptika/Mikrobiziden in
Zukunft ohnehin an Bedeutung gewinnen.
Mit anderen Worten: wenn man den Einsatz von Antibiotika vor dem Hintergrund der
zunehmenden Resistenzproblematik zurückdrängen will, dann wird man nicht umhin kommen,
antibiotikapflichtige Infektionen durch verstärkten Einsatz von Antiseptika erst gar nicht
entstehen zu lassen. Im Gegensatz zu Antibiotika können die Bakterien nämlich gegen
Antiseptika normalerweise keine Resistenzen entwickeln (Ausnahmen sind aber möglich, vor
allem im Fall von Triclosan). Antiseptika sind also – verglichen mit Antibiotika – das kleinere
Übel, denn sie schädigen das Mikrobiom nur lokal (nur am direkten Ort ihres Einsatzes), und
das lokale Mikrobiom kann sich durch die Flora aus der Umgebung (und wohl auch Keimen aus
der benutzten Unterhose, die man nach der „Penisantisepsis“ für den Heimweg vom Paysex
wieder anzieht) wieder relativ schnell regenerieren, während eine Antibiotikabehandlung das
Mikrobiom des gesamten Körpers viel nachhaltiger stört.
Man denke nur an die Rolle von Antiseptika in der MRSA-/MRE-Prävention z.B. in
Krankenhäusern. Der gezielte (lokale) Einsatz von Antiseptika an Infektionsorten nach
potenzieller Risikoexposition kann daher dazu beitragen, die Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit
von antibiotikapflichtigen Infektionen zu reduzieren, und damit auch die ungünstigen
Auswirkungen von Antibiotika für das Mikrobiom des gesamten Körpers zu minimieren,
einschließlich des Risikos der Resistenzentwicklung.
Vor diesem Hintergrund erscheint die gelegentliche „Penisantisepsis“ nach Risikosituationen
(also risiko-/anlassbezogen) in der Sexarbeit trotz ihrer vorübergehenden ungünstigen
Auswirkungen auf das natürliche Mikrobiom des Penis gerechtfertig, und die Sinnhaftigkeit
-156-
dieses Verfahrens könnte mit Zunahme von Antibiotika-Resistenzen von STD-Keimen und
erweiterten Kenntnissen über die nachhaltigen ungünstigen Auswirkungen von
Antibiotikatherapien auf das natürliche Mikrobiom des gesamten Körpers eher noch zunehmen.
Fazit: Auch im Falle der „kleinen“ oder „erweiterten Penisantisepsis“ ist davon auszugehen,
dass die normale Bakterienflora der Penishaut bzw. -schleimhaut vorübergehend reduziert
wird. Auch Waschungen beeinträchtigen den sauren pH-Wert der Haut (und damit den sog.
„Säureschutzmantel“), der allerdings binnen weniger Stunden wiederhergestellt wird.
Dies alles kann dazu führen, dass das Infektionsrisiko nach Penisantisepsis vorübergehend (für
einige Stunden) ansteigt. Daher ist die Penisantisepsis bei weiteren Sexkontakten am gleichen
Tag konsequent weiterzuführen: wenn man einmal damit angefangen hat, sollte man
eventuelle weitere Sexkontakte am gleichen Tag ebenfalls auf diese Weise „antimikrobiell
absichern“, da Penishaut bzw. -schleimhaut nach antiseptischen Maßnahmen, aber auch allein
schon durch mehrfache gründliche Waschung vorübergehend empfänglicher für manche STIKeime geworden sein können. Häufiges Waschen schädigt nicht nur den Säureschutzmantel der
Haut, sondern führt auch durch Entfettung zu erhöhter Infektionsanfälligkeit.
Wenn also Penisantisepsis betrieben wird, sollte dieses nicht nach Belieben, sondern dann auch
an dem betreffenden Tag konsequent erfolgen, da durch mehrfaches Peniswaschen und/oder
vorausgehende antiseptische Maßnahmen die Empfänglichkeit der Haut für Infektionen sogar
zunehmen könnte (z.B. infolge der Entfettung durch das Waschen und den Verlust des
Säureschutzmantels).
Es ist davon auszugehen, dass am Folgetag sowohl der pH-Wert der Haut wieder auf das übliche
Niveau zurückgekehrt ist, als auch dass sich die Haut- und Schleimhautflora wieder sehr schnell
regeneriert (z.B. über Hautkeime aus der umgebenden Haut, aber auch aus der getragenen
Unterwäsche).
Wenn eine Penisantisepsis vorgenommen wurde, oder wenn der Penis mehrfach gründlich
gewaschen wurde (auch ohne anschließende Penisantisepsis), sollte der Penis vor dem
Schlafengehen (wenn anschließend kein Sex mehr erfolgt) eingefettet (rückgefettet) werden.
Schließlich ist die Haut durch die vorausgehenden Belastungen ausgetrocknet und entfettet.
Die Bakterienflora regeneriert dagegen von selbst – möglicherweise könnte es hilfreich sein,
nicht sofort die Unterhose zu wechseln.
So absurd es klingt: berücksichtigt man Säureschutzmantel und Mikrobiom, wäre es für den
Freier eigentlich am günstigsten, mit ungewaschenem Penis Sex mit einer FSW zu haben. Dies
ist aber für die FSW unzumutbar und inakzeptabel. Daher muss der Freier vor dem Sex den
Penis gründlich (aber vorsichtig) waschen (als Schutzmaßnahme für die FSW, nicht für sich
selbst!), nach dem Sex erneut waschen (als Schutzmaßnahme für sich selbst), ggf. antiseptisch
behandeln (als Schutzmaßnahme für sich selbst und ggf. weitere Sexpartnerinnen), und nach
Beendigung der sexuellen Aktivitäten an dem betreffenden Tag bzw. vor dem Schlafengehen
den Penis einfetten (rückfetten).
-157-
ANLAGE 5
HIV-Risiko bei ungeschütztem Oralverkehr
In Deutschland ist ungeschützte Fellatio (FO) beim Mann im Paysex ab 1.7.2017 untersagt!
In Bezug auf HIV ist Oralverkehr nicht völlig risikolos. Man kann allerdings von „risikoarm“
sprechen – im Vergleich zum ungeschützten Vaginal- oder Analverkehr. Für alle relevanten
Oralsexpraktiken gibt es Einzelfallberichte oder kleine Fallreihen von HIV-Infektionsfällen. Trotz
intensiver Bemühungen ist es aber bisher nicht gelungen, das Risiko quantitativ zu fassen, d.h.
das Pro-Akt-Infektionsrisiko für den HIV-negativen Partner beim Oralsex mit einem HIVpositiven Partner (dessen Infektion nicht bekannt oder nicht effektiv behandelt ist)
abzuschätzen.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Oralsex wird typischerweise nicht als alleinige Sexpraktik
betrieben. Selbst bei lesbischen Frauen müssen andere Infektionswege (z.B. gemeinsame
Nutzung von Sextoys, die mit Blutspuren kontaminiert sein könnten) in Erwägung gezogen
werden. Die meisten Fallberichte von oralsexbedingten HIV-Infektionen stammen von schwulen
Männern, die im relevanten Infektionszeitraum angeblich ausschließlich Oralsex betrieben
hatten. In intensiveren und wiederholten Befragungen beider Partner unabhängig voneinander
wurden in einem Teil dieser Fälle dann doch riskantere Praktiken (wie ungeschützter
Analverkehr) zugegeben. Das Verschweigen riskanterer Praktiken könnte also dazu führen, das
Oralsexrisiko zu überschätzen.
Andererseits spielen bei den Infektionsmöglichkeiten beim Oralsex lokale Risikofaktoren (wie
z.B. andere STDs) eine sehr wichtige Rolle. Studien zu heterosexuellen HIV-Übertragungsrisiken
werden typischerweise an serodiskordanten monogamen Paaren durchgeführt. Bei ihnen ist
das Risiko, dass lokale Risikofaktoren (wie andere STDs) vorliegen, niedriger als bei FSW, so dass
diese Studien das Infektionsrisiko (übertragen auf die Verhältnisse der Sexarbeit) eher
unterschätzen könnten. Außerdem erfassen diese Studien nicht die Phase der besonders hohen
Infektiosität der Frischinfizierten, wenn noch keine HIV-Antikörper nachweisbar sind. Das
Maximum der Virusbelastung wird in den meisten Fällen bereits in der 2. bis 4. Woche (oft
schon nach 11 bis 15 Tagen) nach der Primärinfektion erreicht.
Das HIV-Risiko von ungeschütztem Oralsex kann daher nicht auf der Basis von
epidemiologischen Studien, sondern nur anhand von Überlegungen zur biologischen
Plausibilität eingeschätzt werden.
Dabei sind folgende Grundtatsachen von Bedeutung:
● Speichel von HIV-Infizierten (mit noch nicht entdeckter oder unbehandelter HIV-Infektion)
enthält nur in wenigen Prozent der Betroffenen infektionsfähiges, kultivierbares Virus. Zwar
wird bei vielen HIV-Infizierten Virus in den Mundraum ausgeschüttet (vor allem von den
Mandeln, aber auch über die Speicheldrüsen und die Flüssigkeit der Zahnfleischfurche), dieses
HIV wird aber durch eine Fülle von antiviral wirksamen Stoffen aus dem Speichel
-158-
inaktiviert. Andere Speichelstoffe sorgen dafür, dass die Zellen der Mundschleimhaut, wenn sie
mit infektionsfähigem HIV in Berührung kommen, nicht infiziert werden können, weil sie die
Anheftung des Virus blockieren. Die anti-HIV-Kapazität des Speichels ist allerdings individuell
sehr unterschiedlich. In manchen Fällen reicht sie nicht aus, um das gesamte in den Mundraum
ausgeschüttete HIV zu inaktivieren – aus dem Speichel lässt sich in diesen wenigen Fällen dann
tatsächlich HIV anzüchten. Auch kann diese Kapazität überfordert werden, z.B. wenn der
Speichel bluthaltig ist, aber auch in Anwesenheit von Sperma.
Einige HIV-Infizierte (wobei von wenigen Prozent der HIV-Infizierten ohne effektive Therapie
auszugehen ist) produzieren daher HIV-infektiösen Speichel, und es sind schon Infektionen
beschrieben worden, die über Speichel übertragen wurden (z.B. bei Bissverletzungen; beim
Zungenanal auf den passiven Partner; bei der Fellatio von der Frau auf den Mann; bei
lesbischen Frauen, wobei Infektionswege über Toys aber nicht sicher ausschließbar sind).
● HIV benötigt „Eintrittspforten“, damit eine Infektion „angeht“. Dies ist besonders dort der
Fall, wo die natürliche Barrierefunktion der Mundschleimhaut gestört ist, oder wo sich viele
Zielzellen (wie Lymphzellen) befinden, die HIV direkt infizieren kann. Dies trifft überall zu, wo
Verletzungen, Wunden (z.B. auch nach zahnärztlicher Behandlung), Entzündungen (durch STDs,
im Zahnfleischbereich oder aus anderem Anlass), Herpes, Geschwüre, Aphthen usw. bestehen,
aber auch Mikrowunden durch scharfe Zahnkanten, festsitzende kieferorthopädische
Apparaturen, Piercings, direkt nach dem Zähneputzen u.a.
Eine besondere Risikozone stellen die Mandeln dar; dort finden sich natürlicherweise viele
direkt durch HIV infizierbare Zellen; die Epithelschicht (= Barrierefunktion) ist sehr dünn; ein
wichtiger, die Zellen vor einer HIV-Infektion schützender Stoff aus dem Speichel (SLPI) findet
sich in den Krypten der Mandeln nicht oder nur in sehr geringer Konzentration, und Mandeln
sind häufig chronisch entzündet und locken dann besonders viele durch HIV infizierbare
Lymphzellen an. Und aufgrund der rauen Oberfläche und Krypten können Reste von infektiösen
Flüssigkeiten (wie Sperma) dort lange hängen bleiben (lange Kontaktzeit).
Selbst wenn die Gaumenmandeln schon entfernt wurden, gibt es noch weitere Mandeln
(Rachenmandeln, Zungengrundmandeln), die ähnliche Infektionsgelegenheiten bieten. Das
Risiko dürfte weiter steigen, wenn die Mandeln entzündet sind, Halsinfekte oder STDErkrankungen (z.B. Herpes, Rachentripper, Chlamydien) im Rachenraum vorliegen.
Auch der Zahnfleischsaum stellt eine plausible Eintrittspforte dar, da sich auch hier infizierbare
Zellen finden; dies gilt umso mehr, wenn das Zahnfleisch entzündet ist (erhöhte
Entzündungsneigung bei Rauchern!), weil es dann auch brüchiger und verletzlicher ist (daran
erkennbar, dass es schneller blutet) und auf diese Weise mehr Eintrittspforten schafft.
Selbst über die intakte Mundschleimhaut ist eine HIV-Infektion grundsätzlich denkbar, wenn
auch viel unwahrscheinlicher als im Rachenraum mit seinen Mandeln. In der Mundschleimhaut
spielt der Prozess der Transzytose und Transfektion eine Rolle: sofern der Speichel nicht
genügend SLPI enthält, um die Mundschleimhautzellen vor einer Aufnahme von HIV in die
Zellen zu schützen, kann HIV in die Zellen eindringen, wird dort für einige Zeit
-159-
deponiert (und sogar in sehr geringem Umfang auch vermehrt/repliziert), und dann an andere
Zellen, darunter möglicherweise auch infizierbare Zellen des Immunsystems abgegeben, die
dann im schlimmsten Fall eine Infektion des gesamten Körpers veranlassen könnten. Dieser
Infektionsweg aus Transzytose/Transfektion ist zwar vergleichsweise sehr ineffektiv;
Alkoholkontakt (auch in niedrigen Konzentrationen wie z.B. im Bier) erhöht aber die Aufnahme
mancher HIV-Stämme (die die Fähigkeit haben, an die Zellen anzudocken) in
Mundschleimhautzellen stark.
Das hat Konsequenzen für die Verwendung alkoholhaltiger Mundspülungen: man kann sie zwar
nach einem Risikoereignis einsetzen, um HIV zu zerstören (dann aber unverdünnt und mit
möglichst hoher Alkoholkonzentration, damit kein HIV „überlebt“), sollte danach aber für
mehrere Stunden auf HIV-relevante Risikoereignisse verzichten, weil nach erneuter HIVExposition die Mundschleimhautzellen das Virus dann viel schneller und stärker aufnehmen
würden, so dass eine weitere Spülung womöglich schon zu spät kommt. Routinemäßige
Spermaaufnahme in Kombination mit routinemäßiger alkoholhaltiger Spülung wäre daher eher
eine riskante Konstellation.
● Auch Lusttropfen enthalten bereits infektionsfähiges Virus. Es ist dort vor allem an
Lymphzellen gebunden. Vom Analverkehr weiß man, dass Flüssigkeiten (wie Lusttropfen), die
vor der eigentlichen Ejakulation abgegeben werden, ein erhebliches Infektionspotenzial haben.
Männer, die rezeptiven Analverkehr betrieben, wobei ein Kondom erst kurz vor der Ejakulation
aufgesetzt wurde, hatten ein etwa ebenso großes HIV-Risiko wie Männer, die völlig
ungeschützten Analverkehr mit Ejakulation betrieben. Dies spricht für ein dem Sperma
vergleichbares Infektionsrisiko von Lusttropfen - jedenfalls beim Analverkehr.
Im Mund vermutet man, dass Lusttropfen nicht infektiös seien. Dies sind aber Vermutungen;
bei einigen MSM, die sich angeblich bei rezeptiver Fellatio infizierten und angeblich kein
Sperma aufnahmen, wird der Lusttropfen als Infektionsquelle diskutiert. Vermutlich reichen die
anti-HIV-wirksamen Stoffe im Speichel im Normalfall aus, HIV aus Lusttropfen zu inaktivieren,
z.B. der niedrige Salzgehalt im Speichel. Ist die antivirale Kapazität des Speichels aber im
Einzelfall besonders niedrig, liegen besondere Eintrittspforten wie Wunden und Geschwüre vor,
oder gelangt der Lusttropfen wie beim Deep Throat direkt auf die Mandeln oder wird in die
Krypten der Mandeln gepresst, ohne zuvor eine längere Kontaktzeit mit den inaktivierenden
Stoffen des Speichels gehabt zu haben, so wäre eine HIV-Infektion im Mund-Rachen-Raum
durch Lusttropfen durchaus biologisch plausibel.
● Sperma HIV-Infizierter (jedenfalls mit nicht effektiv behandelter HIV-Infektion, aber auch bei
einem kleinen Teil der effektiv Behandelten mit Viruslast unter der Nachweisgrenze im Blut) ist
prinzipiell als infektiös anzusehen. Aufgrund seiner Konsistenz, Menge und seines Salzgehaltes
überfordert Sperma aber die natürliche antivirale Kapazität des Speichels. Ein wichtiger
Mechanismus, mit dem Speichel normalerweise HIV inaktiviert, ist sein niedriger Salzgehalt.
Schon 0,5 ml Sperma heben aufgrund ihres höheren Salzgehaltes diesen Effekt auf. Auch
andere antiviral wirksame Stoffe können in das visköse oder klebrige Sperma nicht vordringen.
Es ist daher anzunehmen, dass Spermaaufnahme die natürliche antivirale Kapazität des
Speichels überfordert und damit selbst dann eine HIV-Infektion (vor allem über die Mandeln)
zustande kommen kann, wenn keine besonderen Risikofaktoren wie Wunden,
-160-
Geschwüre, STDs, Entzündungen am Zahnfleisch oder andernorts vorliegen. Sind auch noch
solche Risikofaktoren vorhanden, steigt das Risiko weiter.
● Vaginalsekret HIV-Infizierter (jedenfalls mit nicht effektiv behandelter HIV-Infektion) ist
ebenfalls als infektiös zu bewerten, wobei das Ausmaß/die Häufigkeit der Infektiosität bisher
schwer einschätzbar sind. Mit Standardmethoden lässt sich nur selten HIV aus Vaginalsekret
kultivieren, mit besonders empfindlichen Methoden dagegen viel häufiger, wobei sich dann
aber die Frage stellt, ob die nur mit extrem empfindlichen Methoden nachweisbaren
Konzentrationen von infektionsfähigem HIV ausreichen, eine Infektion im Mund-Rachen-Raum
angehen zu lassen? Im direkten Vergleich Speichel / Vaginalsekret ist letzteres aber mit
Gewissheit häufiger als infektiös einzustufen. Auch die Tatsache, dass das Infektionsrisiko der
Männer beim ungeschützten GV „immerhin“ etwa halb so hoch ist wie das der Frauen, die ja
weitgehend über Sperma (und ggf. auch Lusttropfen) infiziert werden, spricht für ein nicht zu
vernachlässigendes Infektionspotenzial von Vaginalsekret. Letztendlich kommt es beim
Oralverkehr also darauf an, ob die antivirale Kapazität des Speichels nach Aufnahme von HIVhaltigem Vaginalsekret (beim Lecken) überfordert wird oder nicht. Wie erwähnt, lässt sich in
vielen Fällen nur mit sehr sensiblen Methoden HIV aus Vaginalsekret (außerhalb der
Menstruation) kultivieren, was es eher unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass diese minimalen
Mengen infektiösen Virus die antivirale Kapazität des Speichels überfordern könnten. Anders
sieht es während der Menstruation aus, wenn das Vaginalsekret mehr oder weniger Blut oder
Blutspuren enthält, selbst wenn diese (z.B. infolge Schwämmcheneinlage) nicht sichtbar sein
sollten. In diesen Fällen ist es durchaus möglich, dass die antivirale Kapazität des Speichels
überfordert wird, und das Infektionsrisiko für den Leckenden dürfte steigen, wenn individuelle
Risikofaktoren in seinem Mund-Rachen-Raum vorliegen. Blut-Schleimhaut-Kontakt stellt ein
reales Infektionsrisiko dar.
Daraus ergeben sich folgende Risikoeinschätzungen für einen Kunden bzw. eine FSW im
Umgang mit einer FSW bzw. einem Kunden mit nicht erkannter (und daher nicht behandelter)
HIV-Infektion
(die Sextechniken, die die FSW und nicht den Kunden unter potenzielles Risiko setzen, werden als
“informell“ gekennzeichnet. Auf sie wird kurz eingegangen, weil dies auch für Kunden
interessant sein kann, z.B. damit sie verstehen, wenn eine FSW Bedenken hat oder das eine oder
andere nicht praktizieren möchte):
Insertiver Oralsex („der Mann, bei dem geblasen wird“) (FO, auch FA/FT)
Es liegen einige Fallberichte für HIV-Infektionen nach Fellatio für den insertiven Partner vor; ein
umfassender Review aus dem Jahr 1998 erwähnt 6 Fälle aus 4 Veröffentlichungen, davon 4 bei
MSM und 2 im heterosexuellen Kontext, darunter ein impotenter Mann mit Diabetes, dem von
einer FSW „geblasen“ worden war. Eine etwa gleich alte Literaturrecherche aus dem Jahr 1997
erwähnte keine weiteren oder anderen Fälle.
-161-
Sowohl am Harnröhrenausgang, an Eichel und Vorhaut (besonders an der Innenseite der
Vorhaut) sitzen Zellen, an die HIV andocken kann, auch wenn sich die Infektionsmechanismen
je nach Penisregion grundlegend unterscheiden.
Bei infektiösem HIV im Speichel des „Blasenden“ wäre damit selbst bei intaktem Penis (ohne
Wunden, Verletzungen, Geschwüre, Herpes) ein Infektionsrisiko denkbar, das ansteigt, wenn
am Penis selbst Risikofaktoren vorliegen. Die meisten HIV-Infizierten besitzen allerdings kein
infektiöses HIV im Speichel.
Eine hohe Belastung mit infektionsfähigem HIV im Mund des „Blasenden“ ist selbst im seltenen
Falle der HIV-Kultivierbarkeit aus Speichel wenig plausibel, da Speichel zahlreiche antiviral
wirksame Substanzen enthält und auch sein niedriger Salzgehalt HIV inaktiviert. Es dürfte
daher, wenn überhaupt, normalerweise viel zu wenig funktionstüchtiges (infektionsfähiges)
Virus vorhanden sein, um eine Infektion am Penis des Mannes auszulösen.
Anders ist die Situation zu bewerten, wenn der Speichel des „Blasenden“ bluthaltig ist, also
verdünntes Blut enthält z.B. infolge Verletzungen, Zahnfleischentzündungen, Zustand nach
Zahnbehandlung; oder auch wenn bei entzündetem und daher blutungsanfälligem Zahnfleisch
kurz vor dem Oralverkehr die Zähne geputzt oder mit Zahnseide gefädelt wurde.
Blutgerinnungshemmende Medikamente können ebenfalls die Blutungsneigung steigern, wenn
Zahnfleischentzündungen vorhanden sind. Auch Rauchen geht mit erhöhtem Entzündungsgrad
des Zahnfleisches und deshalb erhöhter Blutungsneigung einher.
Auch Geschwüre oder von Herpes befallene Areale setzen vermehrt HIV frei; bei
geschwürbildenden Erkrankungen im Mund ist damit die Wahrscheinlichkeit höher, dass
Speichel infektiöses HIV (und ggf. in größerer Menge als ohne die geschwürbildende
Erkrankung) enthalten kann.
Dann ist ein Infektionsrisiko für den Mann (insertiven Partner) durchaus plausibel, und es
würde steigen, wenn aufseiten des Penis auch noch Risikofaktoren bestehen, die die
Empfänglichkeit erhöhen (wie Entzündungen, Wunden, Geschwüre, Herpes).
Fazit: eine HIV-Infektion des insertiven Partners durch „Blasen“ ist zwar sehr unwahrscheinlich,
aber nicht völlig unmöglich, und hängt stark von dem Vorhandensein von Risikofaktoren auf
beiden Seiten ab. Der Umstand, dass nur wenige Infektionen auf diesem Wege bisher bekannt
geworden sind, ist biologisch plausibel. Es ist plausibel, dass es zu vereinzelten Infektionen auf
diese Weise kam, es ist aber auch plausibel, dass dieser Infektionsweg so selten und
unbedeutend blieb.
Selbstverständlich besteht ein Risiko für den insertiven Partner auch in Gruppensexsituationen,
wenn zuvor ein HIV-infizierter Mann in den Mund der blasenden Frau ejakuliert hat und sie (vor
allem ohne auszuspucken und auszuspülen) direkt bei einer anderen Person weiter bläst.
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Informell: kurzes Anblasen (ohne Aufnahme von Lusttropfen):
Sofern weder Geschwüre, Wunden, Herpes usw. am Penis des Mannes noch im Mund der
blasenden Frau bestehen (d.h. beide Seiten ohne lokale Risikofaktoren!), ist eine HIV-Infektion
für die Frau oder den Freier in dieser Konstellation (auch angesichts der antiviralen Kapazität
des Speichels) unplausibel.
Sofern das Anblasen nur dem Zweck dient, überhaupt erst einmal eine Erektion herzustellen,
damit das Kondom appliziert werden kann, ist auch kaum mit einer relevanten
Lusttropfenbildung zu rechnen. Allerdings erfordert ein schlaffer Penis nicht zwangsläufig ein
ungeschütztes Anblasen; es gibt auch Techniken, mit dem Mund das Kondom aufzusetzen und
den Penis dabei zur Erektion zu bringen.
Informell: Intensiveres Blasen (Aufnahme von Lusttropfen möglich):
Sofern weder Geschwüre, Wunden, Herpes usw. am Penis des Mannes noch im Mund der
blasenden Frau bestehen (d.h. beide Seiten ohne lokale Risikofaktoren!), ist eine HIV-Infektion
für die Frau in dieser Konstellation (auch angesichts der antiviralen Kapazität des Speichels)
extrem unwahrscheinlich, trotz der möglichen Infektiosität des Lusttropfens. Auch wenn nur
auf einer der beiden Seiten Risikofaktoren bestehen, muss von einem - wenn auch sehr
geringen - Risiko ausgegangen werden. Kommt es allerdings zur Freisetzung von Lusttropfen,
besteht ein nicht mehr ganz zu vernachlässigendes Risiko
- bei Wunden, Geschwüren, starken Zahnfleischentzündungen usw. im Mund oder
Rachen
- bei Deep Throat, wenn Lusttropfen direkt die Mandeln benetzen oder in die Mandeln
gepresst werden, ohne dass zuvor Speichel inaktivierend einwirken konnte.
Informell: Aufnahme von Sperma in den Mund
Aufnahme von Sperma untherapierter HIV-Infizierter in den Mund stellt ein reales HIV-Risiko
dar, auch wenn das Pro-Akt-Risiko als sehr niedrig (wohl in der Größenordnung zwischen 1 :
1000 und 1 : 5.000) gilt. Die Höhe des Risikos hängt dabei stark von den Begleitumständen ab.
Bei Wunden, Geschwüren, Herpes, starken Zahnfleischentzündungen usw. ist es höher
einzuschätzen, ebenso wenn Sperma in den Rachen/auf die Mandeln gelangt, weil sich dort
viele Eintrittspforten für HIV befinden. Gelingt es, das Sperma vorn im Mund zu behalten und
direkt auszuspucken, bevor die Mandeln benetzt werden, dürfte das Risiko eher geringer sein.
Allerdings kann HIV auch über den Zahnfleischsaum und sogar die intakte Mundschleimhaut
aufgenommen werden, auch wenn beide Infektionswege als wenig effektiv gelten.
Vorausgehender Alkoholkontakt erhöht die Aufnahme von HIV in Mundschleimhautzellen stark.
-163-
informell: Aufnahme von Sperma in den Rachen (Deep Throat) und/oder Spermaschlucken
Sofern nicht „offene Stellen“ (wie Geschwüre, Wunden usw.) im Mund besonders geeignete
Eintrittspforten bieten, stellen die Mandeln den wichtigsten Infektionsort im Mund-RachenBereich dar. Dies gilt selbst dann, wenn sie intakt sind. Sind die Gaumenmandeln bereits
entfernt, dürfte das Risiko zwar geringer sein, es gibt aber noch weitere Mandeln.
Entzündungen der Mandeln (nicht selten!), Halsinfekte durch STD-Erreger oder auch banale
Keime dürften das Risiko weiter erhöhen (viele infizierbare Zielzellen vorhanden!). Die
großflächige Benetzung der Mandeln mit Sperma bei Aufnahme beim Deep Throat und/oder
Spermaschlucken muss daher als deutlich höheres Risiko bewertet werden als eine Aufnahme,
die sich auf die vordere Mundhöhle beschränkt, ohne nennenswerten Spermakontakt der
Mandeln. Selbst wenn verschlucktes HIV im Magen unverzüglich inaktiviert wird, geht von den
beim Schlucken an den Mandeln hängen gebliebenen Spermaresten ein Infektionsrisiko aus
(auch wegen der langen Kontaktzeit).
Lecken (Cunnilingus) aktiv
Vaginalsekret HIV-Infizierter ohne effektive Therapie ist als potenziell infektiös einzustufen
(sonst könnten sich Männer beim GV nicht an HIV anstecken), auch wenn der Nachweis
infektiösen Virus nicht immer gelingt; er unterliegt auch den Schwankungen des Monatszyklus.
Die höchste Infektiosität besteht aufgrund der Blutspuren während der Menstruation, auch
wenn das Blut durch Schwämmcheneinlage „gefiltert“ und unsichtbar ist. Blutgeschmack im
Mund des Leckenden ist ein Risikosignal.
Dennoch sind nur wenige Infektionsfälle durch Lesbensex dokumentiert, und neben Lecken
kommen in manchen dieser Fälle auch andere Praktiken (z.B. gemeinsame Nutzung von nicht
gereinigten Toys mit möglichen Blutspuren) infrage. Bei intakten Mundverhältnissen (keine
Geschwüre, Wunden, Entzündungen im Mund und Rachen) dürfte die antivirale Kapazität des
Speichels im Regelfall ausreichen, mit Vaginalsekret ohne Blutanteile aufgenommenes HIV zu
inaktivieren. Ausnahmen bestehen bei schweren genitalen Infektionen wie z.B. Herpes, SyphilisPrimäraffekt, die in erheblichem Umfang HIV ausschütten.
Bei Blutanteilen im Vaginalsekret könnte das Schutzsystems des Speichels aber überfordert
werden (siehe unten unter „Zungenküsse“); wenn bluthaltige Flüssigkeiten (wie Speichel oder
Vaginalsekret mit Blut) in den Mund gelangen, ist von einem nicht zu vernachlässigenden
Infektionsrisiko auszugehen.
Von Blut-Schleimhaut-Kontakten geht ein reales Infektionsrisiko aus, das allerdings je nach
Lokalisation der mit Blut kontaminierten Schleimhaut unterschiedlich hoch ausfällt – und bei
der Mundschleimhaut offenbar viel geringer ist als bei Kontamination der Penisschleimhaut mit
HIV-infiziertem Blut, was unter anderem mit den vielen Schutzstoffen im Speichel wie z.B. SLPI
zusammenhängen dürft).
-164-
Informell: Lecken (Cunnilingus) passiv
Da Speichel nur selten infektiöses HIV enthält, ist ein Infektionsrisiko für die Frau, bei der
geleckt wird, extrem unwahrscheinlich, sofern nicht genitale Risikofaktoren (wie Verletzungen,
Entzündungen, STDs, Geschwüre, Herpes, Erosionen) vorliegen, die konkrete Eintrittspforten
bieten. Auch Risikofaktoren aufseiten des leckenden Partners, die mit einer erhöhten HIVAusschüttung einhergehen (wie z.B. Herpes an den Lippen, STDs im Mund-/Rachen) könnten
das Risiko erhöhen. Fehlen Risikofaktoren auf beiden Seiten, ist eine HIV-Übertragung vom
Leckenden auf die Geleckte aber sehr wenig plausibel.
Immerhin gibt es einige (sehr) wenige plausible Berichte (u.a. mit einem impotenten Diabetiker,
bei dem nur „geblasen“ wurde), wo sich ein Mann bei der Fellatio durch eine HIV-positive Frau
ansteckte. Wenn der Infektionsweg vom Speichel einer (HIV-infizierten) Frau zum Penis
(Harnröhrenausgang oder Vorhautinnenseite) des Mannes grundsätzlich möglich ist, so müsste
dies plausiblerweise dann auch für den Infektionsweg vom Speichel einer HIV-infizierten
leckenden Person auf die genitalen Schleimhäute (einschl. Harnröhrenausgang) einer Frau
gelten. Beide Infektionswege scheinen sehr wenig effektiv, aber eben nicht völlig
ausgeschlossen zu sein.
Zungenanal aktiv
Rektalflüssigkeit HIV-Infizierter ohne effektive Therapie enthält infektiöses HIV in
vergleichsweise höheren Konzentrationen als Vaginalflüssigkeit, unter anderem weil der Darm
einen großen Teil des Immunsystems beherbergt. Außerdem ist die Analschleimhaut sehr dünn
und neigt zu Mikroverletzungen und -blutungen. Bei einem tiefen, eindringenden Zungenanal
ist daher durch Kontakt mit rektalen/analen Flüssigkeiten, analen Entzündungen/STDs oder
Blutspuren ein Infektionsrisiko für den Leckenden durchaus plausibel, vor allem wenn dieser im
Lippen-, Mund- oder Zungenbereich selbst Risikofaktoren (wie Wunden, Entzündungen,
Geschwüre, Herpes usw.) aufweist. Wird dagegen nur die intakte (!) Haut um den Anus herum
geleckt, ist ein Infektionsrisiko unplausibel. Dies gilt nicht, wenn die Haut wund ist (z.B. Ekzem).
Informell: Zungenanal passiv
Es gibt mindestens einen gut dokumentierten Einzelfall, bei dem sich ein Mann, dem von einem
HIV-infizierten Mann anal geleckt wurde, mit HIV infizierte. Speichel ist nur bei einem kleinen
Teil der HIV-Infizierten tatsächlich HIV-infektiös. Die rektalen/analen Schleimhäute sind
ihrerseits aber besonders empfänglich für HIV (empfänglicher als die Vaginalschleimhaut und
viel empfänglicher als die Mundschleimhaut). Wenn HIV-infektiöser Speichel auf die
Analschleimhaut gelangt, die möglicherweise noch Mikroverletzungen oder Ekzeme aufweist,
ist eine Infektion daher durchaus plausibel. Gelangt dagegen nur intakte (nicht z.B. durch
Ekzeme wunde) äußere Haut rund um den Anus herum mit infektiösem Speichel in Berührung,
ist ein Infektionsrisiko unplausibel.
-164a-
Zungenküsse
Ein HIV-Infektionsrisiko durch Zungenküsse ist prinzipiell unplausibel (nur selten infektiöses HIV
im Speichel; hohe antivirale Kapazität des Speichels). Es gibt einen Fall, in dem eine HIVÜbertragung durch Zungenküsse plausibel, aber keinesfalls gesichert, infrage kommt. Hier wies
der infektiöse Partner häufiges Zahnfleischbluten nach Zähneputzen/Zahnseidefädeln auf, und
die Zungenküsse erfolgten typischerweise direkt nach dem Putzen/Fädeln. Es ist also von
Speichel mit Blutspuren auszugehen. Die sich infizierende Partnerin wies
Zahnfleischentzündungen auf. Es bestanden also Risikofaktoren auf beiden Seiten. Bluthaltiger
Speichel ist als infektiös einzustufen.
URL der Vollversion „HIV-Risiko bei ungeschütztem Oralverkehr“
http://freepdfhosting.com/f53ebeb80e.pdf
-165-
ANLAGE 6
Neue Testsystematik der HIV-Testung (ab Sommer 2015)
● nach potenzieller Exposition (d.h. Ereignis mit Infektionsrisiko) liegt die Wartezeit für einen
HIV-Screening-Test der 4. Generation (d.h. Kombinationstest: Antikörper/p24-Antigen) jetzt nur
noch bei 6 statt 12 Wochen
● für die nicht mehr üblichen Screening-Tests der 3. Generation (ohne p24-Antigen) und für
Schnelltests bleibt es bei der 12-Wochen-Frist
● ein negatives Ergebnis im HIV-Screening-Test schließt nach Ablauf dieser Fristen eine HIVInfektion mit hoher Sicherheit aus, wovon es aber Ausnahmen gibt:
● wurde eine PEP durchgeführt, beginnt die 6- bzw. 12-Wochen-Frist erst nach Absetzen
der PEP zu laufen (PEP = antivirale Postexpositionsprophylaxe)
● in Europa sehr seltene HIV-Varianten
● präexistierende Immun-/Antikörperbildungsstörung
● besteht ein Verdacht auf eine HIV-Infektion und liegt das letzte Risikoereignis weniger als 6
Wochen zurück, und verläuft der Screening-Test (noch?) negativ, sollte ein NukleinsäurenNachweis-Test (NAT) durchgeführt werden
● es dauert durchschnittlich ca. 11 Tage nach dem Infektionszeitpunkt, bis der HIV-1-NATNachweis positiv wird. Nach ca. 16 bis 18 Tagen erfolgt der erste Nachweis von HIV-p24Antigen (allerdings mit Einschränkungen bei bestimmten HIV-Typen), und es dauert ca. 22 Tage
bis zum ersten Nachweis HIV-spezifischer Antikörper, jeweils vom Infektionszeitpunkt aus
kalkuliert.
● ist der Screening-Test reaktiv (positiv) oder grenzwertig, ist eine weitere Diagnostik
(Stufendiagnostik) zwingend erforderlich. Dies kann ein Antikörper-basierter Test (z.B.
Immunoblot) sein, oder ein empfindlicher HIV-1-NAT-Test (mit Nachweisgrenze unter 50 RNAKopien pro ml). Beide Verfahren sind in der zweiten Ebene der Stufendiagnostik gegeneinander
austauschbar. Diese Tests werden an Erstmaterial durchgeführt (d.h. keine zweite Blutprobe
erforderlich).
● Bei eindeutig positivem Bestätigungstest soll zum Ausschluss von Verwechslungen oder
Probenkontamination (spielt bei NAT-Tests eine Rolle) eine zweite, unabhängig gewonnene
Probe untersucht werden. Eine zweite Blutprobe wird also erst erforderlich, wenn (auch) der
Bestätigungstest positiv ausfällt.
-166-
● bei reaktivem (positivem) Ergebnis im Screening-Test und negativem oder fraglichen Ergebnis
im Antikörper-Bestätigungstest sollte ein HIV-1-NAT durchgeführt werden, wenn eine frische
Infektion nicht ausgeschlossen werden kann; ansonsten Verlaufskontrolle nach 1 bis 3 Wochen
bei allen unklaren Ergebnissen.
● Antikörper-Tests bzw. kombinierte Antikörper-Antigen-Tests können noch nicht routinemäßig
durch NAT-Verfahren ersetzt werden, da der HIV-1-Nukleinsäuren-Nachweis (NAT)
falschnegative Ergebnisse liefern kann, so bei einer Viruskopienzahl unter der Nachweisgrenze
(z.B. bei Elite-Controllern oder unter PEP) und weil bestimmte HIV-1-Varianten nicht
ausreichend gut von der HIV-1-NAT entdeckt werden, ebenso HIV-2.
nach:
RABENAU HF et al., Bundesgesundheitsblatt 2015; 58: 877 – 886
-167-
ANLAGE 7
Begriffsdefinitionen „HPV-Prophylaxe“ und „Carrageen-Verfahren“
„HPV-Prophylaxe“:
Anwendung von Carrageen (als Lösung oder Spray) am Penis (Schleimhaut- und Hautanteile)
nach konkreten HPV-Risikosituationen zur Inaktivierung an der Penishaut oder -schleimhaut
anhaftenden HPVs nach möglicher Kontamination. Es handelt sich dabei um eine
Postexpositionsprophylaxe, die nach dem Peniswaschen und -trocknen entweder allein
durchgeführt wird, oder nachrangig nach der Penisantisepsis
Adressaten:
● vor allem nicht gegen HPV geimpfte Männer;
● da auch geimpfte Männer HPV vorübergehend am Penis tragen und weiterreichen können,
kann die HPV-Prophylaxe – unter dem Aspekt des Fremdschutzes, also des Schutzes weiterer
Sexpartnerinnen – auch bei geimpften Männern hilfreich sein.
„Carrageen-Verfahren“:
Periexpositionsprophylaxe des Mund-Rachen-Raumes mit Carrageen-Lösung oder -Spray vor
und nach ungeschütztem Oralsex zur Inaktivierung aufgenommenen HPVs. Die Anwendung
unmittelbar vor dem Oralsex dient dabei dazu, Mund- und Rachenregion bereits präventiv mit
einem dünnen Carrageenfilm zu überziehen und auf diese Weise vor HPV zu schützen. Bei der
Anwendung nach dem Oralsex soll eventuell aufgenommenes HPV direkt inaktiviert werden.
Adressaten:
● bei HPV-Geimpften nicht notwendig
● wichtigster Adressat sind ungeimpfte Freier, die ungeschützt bei FSW lecken (Cinnilingus)
● an zweiter Stelle in der Rangfolge der Wichtigkeit stehen FSW, die bei Kolleginnen lecken
(Lesbenspiele)
● an dritter Stelle stehen FSW, die ungeschützten Deep Throat mit FA/FT betreiben
● an vierter oder fünfter Stelle stehen FSW, die ungeschützten Deep Throat ohne FA/FT
betreiben
● an vierter oder fünfter Stelle stehen FSW, die FA/FT betreiben
● an sechster Stelle stehen FSW, die FO ohne Deep Throat und ohne Aufnahme betreiben
● an siebter Stelle stehen FSW, die lediglich kurz kondomlos „anblasen“
-168-
Die Reihenfolge der Prioritätenliste berücksichtigt
● das höhere Übertragungsrisiko von HPV bei Cunnilingus im Vergleich zu Fellatio
● die hohe genitale HPV-16-Belastung bei FSW (europaweit ca. 11 %)
● die deutlich höhere Anfälligkeit der Männer im Mund-Rachen-Raum für HPV 16 im Vergleich
zu sexuell aktiven Frauen (die eine gewisse natürliche Immunkompetenz gegen
HPV 16 im Rachen entwickeln können)
● das höhere Risiko von Deep Throat, weil potenziell HPV-freisetzende Penisanteile
dabei direkt in Kontakt mit Rachen und Mandeln gelangen können
● ein höheres HPV-Risiko bei Spermaaufnahme, da bei vielen HPV-infizierten Männern auch
das Sperma HPV enthält
-169-
ANLAGE 8
Mögliches Ablaufschema eines HPV-16-E6-Antikörper-basierten
Screenings für Personengruppen mit erhöhtem Risiko für ein HPVbedingtes Oropharynx-Karzinom
Potenzielle Zielgruppen:
Personen mit riskantem Oralsexverhalten in der Vergangenheit* mit Priorisierung auf Männer,
da Männer – im Gegensatz zu Frauen – durch eine hohe Anzahl genitaler Sexpartner keine oder
weniger Immunkompetenz gegenüber oralen HPV-16-Infektionen entwickeln als sexuell aktive
Frauen.
*Ein Screening macht nur Sinn, wenn das riskante Verhalten seit mindestens einigen Jahren (5
bis 10 Jahren) besteht. Wird erst seit wenigen Jahren riskanter Oralsex praktiziert, sollte das
Screening erst später einsetzen.
Da Oropharynx-Karzinome in einem Alter unter 35 Jahren extrem selten sind, macht ein E6Screening auch für Risikopersonen erst ab einem Alter von mindestens 35 Jahren Sinn.
In der Allgemeinbevölkerung mit durchschnittlichem Sexverhalten macht ein E6-Screening
grundsätzlich keinen Sinn!
Daraus ergeben sich folgende Zielgruppen:
Männer:
● männliche Sexarbeiter
● Freier, die häufig ungeschützt bei FSW Cunnilingus betrieben haben
● MSM mit einer hohen Anzahl männlicher Partner
● ferner: heterosexuelle Männer mit umfassender Cunnilingus-Karriere bei vielen Frauen
● Partner von Frauen mit persistierender HPV-16-Infektion/CIN 2-3/Gebärmutterhalskrebs
(sofern sie Cunnilingus betrieben haben)
Frauen:
● FSW, die ungeschützt Oralsex bei Freiern und/oder Kolleginnen betrieben haben
● ferner: lesbische Frauen mit hoher Partnerinnen-Zahl
Bei sehr starken Rauchern könnte ein E6-basiertes Screening weniger „sicher“ funktionieren
als bei Nichtrauchern oder weniger starken Rauchern (d.h. das Risiko, dass ein sich
entwickelnder Rachenkrebs nicht durch einen E6-positiven Befund vorhergesagt werden
kann, könnte bei sehr starken Rauchern höher ausfallen)
-170-
-171-
Quellenangaben / ausführlichere Ausarbeitungen:
„Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“
http://freepdfhosting.com/9d0efc57cc.pdf
(X) (Langfassung)
„Empfehlungen zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit –
Kurzfassung für Sexarbeiterinnen“
http://freepdfhosting.com/f2aa6824cb.pdf
„Hepatitis C und Sexarbeit - Risikobewertung und praktische Konsequenzen“ (X)
http://freepdfhosting.com/03953fff09.pdf
„HIV-Risiko bei ungeschütztem Oralverkehr"
http://freepdfhosting.com/f53ebeb80e.pdf
(X)
„HPV-Impfung für Sexarbeiterinnen?“ (X)
http://freepdfhosting.com/76654add31.pdf
„Krebsrisiko von Mundspüllösungen?“ (X)
http://freepdfhosting.com/a701521dbe.pdf
„Checkliste zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ (nur für Sexarbeiterinnen)
http://freepdfhosting.com/a7f33d654f.pdf
„Checkliste zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ (für Sexarbeiterinnen und Freier)
http://freepdfhosting.com/2345613b01.pdf
Besonders empfehlenswert:
„Checkliste zur Infektionsprävention bei der Sexarbeit“ (nur für Freier)
http://freepdfhosting.com/dc3a6c94a9.pdf
(X) = mit umfangreichem Literaturverzeichnis/Quellennachweis
Stand 3/2017
Anonymus
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