DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Wolfgang Jilg und Friedrich Deinhardt; Josef Posch und Günther Maass; Wolfram Gerlich und Reiner Thomssen Die von HBsAg-Trägern ausgehenden Gefahren werden im allgemeinen überschätzt. Nachdem bei normalem Umgang mit einem HBsAg-Träger keinerlei Infektionsgefahr besteht, ist in den meisten Berufen eine Beschäftigung HBsAg-positiver Mitarbeiter ohne weiteres möglich. Probleme können im medizinischen Bereich auftreten, wo Hepatitis-B-Übertragungen von medizinischem Personal auf Patienten mehrfach beschrieben wurden. Durch geeignete hygienische Maßnahmen kann eine Infektionsgefahr jedoch weitestgehend ausgeschlossen werden. Ähnliches gilt für Personen in Körperpflegeberufen, die Maniküren, Pediküren oder Tätowierungen durchführen, sowie für Mitarbeiter in lebensmittelverarbeitenden Betrieben und in der Gastronomie. Chronische HBsAg-Träger im Berufsleben T rotz guter hygienischer Bedingungen und prophylaktischer Möglichkeiten wie Immunglobulinprophylaxe und aktiver Impfung gehören die Virushepatitiden — Hepatitis A, B, Non-A-Non-B und Delta — auch in der Bundesrepublik Deutschland noch zu den wichtigsten Infektionskrankheiten. Während die Hepatitis A folgenlos ausheilt, kommt es bei der Hepatitis B in fünf bis zehn Prozent, bei der Hepatitis Non-ANon-B in über 40 Prozent zu chronischen Infektionen. Da die Hepatitis B heute noch die häufigste berufsbedingte Infektionskrankheit im medizinischen Bereich darstellt, gibt es gerade in der Gruppe des medizinischen Personals eine Reihe chronischer Träger des Hepatitis-B-Oberflächenantigens (HBsAg). Hier taucht immer wieder die Frage auf, ob die Betroffenen in ihrem Beruf weiterarbeiten können und ob von ihnen eine Gefahr für die Patienten ausgeht. Als problematisch wird gelegentlich auch die Beschäftigung chronischer HBsAgTräger in der Gastronomie und in anderen lebensmittelverarbeitenden A 366 - Betrieben angesehen. Im folgenden soll aufgezeigt werden, unter welchen Bedingungen den Betroffenen eine weitere Berufstätigkeit in den genannten Bereichen möglich ist. Bisherige Empfehlungen Nach § 3 Absatz 2 des Bundesseuchengesetzes sind Erkrankungen und Tod an Virushepatitis meldepflichtig; die zur Verhütung und Bekämpfung der Krankheit bestehenden Vorschriften und Regeln sind im Merkblatt Nr. 21, „Virushepatitis", des Bundesgesundheitsamtes zusammengefaßt (1). Anders als beim chronischen Träger beziehungsweise Ausscheider bakterieller Krankheitserreger, zum Beispiel von Salmonellen, gibt es jedoch für den chronischen HBsAg-Träger keine umfassende Regeln oder EmpfehMax von Pettenkofer-Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München; Hygienisch-bakteriologisches Landesuntersuchungsamt Münster; Abteilung Medizinische Mikrobiologie der Universität Göttingen (46) Dt. Ärztebl. 85, Heft 7, 18. Februar 1988 lungen für sein Verhalten in Beruf und Familie. Unter Nr. 6, Punkt 5 des oben erwähnten Merkblattes wird auf die Beachtung allgemeiner Hygieneregeln und auf das Tragen von Schutzkleidung, unter anderem von Handschuhen in der ärztlichen und zahnärztlichen Praxis verwiesen, vor allem dann, wenn Arzt, Zahnarzt oder seine Hilfskräfte selbst HBsAg-Träger sind; Verbote für eine Berufsausübung werden nicht für erforderlich gehalten. Den gleichen Standpunkt vertritt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) (2). Weitergehende Verhaltensmaßregeln für chronische HBsAg-Träger werden jedoch nicht gegeben, was nicht nur zu Unsicherheiten im Umgang mit den Betroffenen führt, sondern nicht selten auch zu unnötigen Diskriminierungen aufgrund falscher Vorstellungen über die Gefahren, die von diesen Menschen ausgehen. Der chronische HBsAg-Träger Als chronischer HBsAg-Träger gilt, wer sechs Monate und länger HBsAg-positiv ist. Obwohl prinzipiell Blut beziehungsweise Serum jedes HBsAg-Trägers als infektiös anzusehen sind, kann der Grad der Infektiosität in weiten Grenzen schwanken. Das Spektrum reicht hier vom virämischen HBsAg-Träger, dessen Blut hoch infektiös ist, bis zum nicht virämischen Träger, von dem keinerlei Infektionsgefahr ausgeht. Eine gewisse Abschätzung ist durch die Bestimmung des Hepatitis-B- „e "-Anti- gens (HBeAg) und der Antikörper dagegen (Anti-HBe) möglich: Das Blut HBeAg-Positiver ist häufig hochgradig infektiös, während bei den meisten Anti-HBe-Positiven der Grad der Infektiosität sehr gering ist. Die beste Aussage über die Infektiosität chronischer HBsAg-Träger liefert heute die Bestimmung der Desoxyribonukleinsäure des Hepatitis-B-Virus (HBV-DNA) im Serum (3). Fällt dieser derzeit empfindlichste Test, der den Nachweis von Viruskonzentrationen über 10 5/ml erlaubt, negativ aus, kann von einer geringen Infektiosität ausgegangen werden; ein positiver DNA-Nachweis spricht für eine stärkere Virämie, die je nach Titer eine mäßige bis hohe Infektiosität bedeutet. Da die wichtigste Infektionsquelle HBV-positives Blut ist, setzt die Übertragung des Virus bei "Spendern" wie „Empfängern" eine Verletzung voraus, wobei allerdings minimale Läsionen zur Freisetzung oder Aufnahme des Virus bereits ausreichen. Als Übertragungswege kommen Verletzungen mit kontaminierten Injektionskanülen oder anderen chirurgischen Instrumenten in Frage, aber auch gemeinsam benutzte Rasiermesser, Nagelscheren, Feilen und ähnliches können zur Weitergabe einer Infektion führen. Bedeutende Übertragungswege sind weiterhin Sexualkontakt sowie die Infektion Neugeborener durch HBV-positive Mütter während der Geburt. Keinerlei Hinweise gibt es auf eine Übertragung der Hepatitis B durch Tröpfcheninfektion, obwohl Speichel - allerdings in wesentlich geringerem Maß als Blut - ebenfalls infektiöses Virus enthalten kann. Eine Infektionsmöglichkeit durch bluthaltige Aerosole, wie sie etwa im zahnärztlichen Bereich durch Arbeiten mit hochtourigen Schleifgeräten entstehen können, über Konjunktiven, Mundoder Nasenschleimhäute ist nicht auszuschließen; doch gilt selbst bei Zahnärzten die Virusaufnahme über Läsionen der Hände als der wichtigste Infektionsweg. Ein fäkal-oraler Übertragungsweg konnte niemals nachgewiesen werden. Im normalen Umgang geht daher von einem chronischen HBsAg- Träger selbst bei massiver Virämie keine Gefahr für seine Umgebung aus, weshalb für die meisten Berufe auch keine Bedenken bei der Beschäftigung HBsAg-positiver Mitarbeiter bestehen. I Chronische HBsAg-Träger im medizinischen Bereich HBV-Infektionen von Patienten durch HBsAg-positive Ärzte, Zahnärzte, Schwestern oder andere Angehörige des medizinischen und zahnmedizinischen Personals wurden dagegen mehrfach beschrieben (4-18). Die meisten dieser Fälle wurden von Zahnärzten und Kieferchirurgen verursacht (4-11), einige von operativ tätigen Gynäkologen (12-14). Zwei Infektionsserien gingen von HBsAg-positiven Technikern an Herz-Lungen-Maschinen aus (15, 16). Jeweils mehrere Übertragungen ließen sich auf einen technischen Assistenten beziehungsweise auf einen praktischen Arzt mit chronischer Hepatitis B zurückführen (17, 18). Allen Fällen war gemeinsam, daß die betreffenden Personen, soweit sie getestet wurden, HBeAg-positiv waren und nichts von ihrem Zustand wußten. Alle Zahnärzte arbeiteten ohne Handschuhe (4-11), die operativ Tätigen verwandten Techniken, die Verletzungen begünstigten (etwa Palpation der Nadelspitze beim Nähen) (13) und beachteten grundlegende hygienische Bedingungen nicht (15, 16). Einige hatten Läsionen an den Händen (häufige kleine Verletzungen, Ekzeme, gelegentlich blutende Warzen), die zu einer Übertragung von Serum oder Blut führen konnten (5-8, 15, 16). Zusammengefaßt zeigen diese Fälle, daß eine Gefährdung von Patienten vor allem von massiv virämischen Personen ausgeht, wobei die Infektionsgefahr durch Hautläsionen der Hände und verletzungsträchtige Manipulationen sowie durch die Mißachtung grundlegender Hygieneregeln entscheidend gefördert wird. Bei mehreren der oben erwähnten Fälle konnte jedoch auch gezeigt werden, daß durch geeignete Maßnahmen die Infektionsgefährdung drastisch gesenkt werden kann. Fünf Zahnärzte, die in Unkenntnis ihres Zustandes eine Reihe von Patienten infiziert hatten, verursachten keine weiteren Infektionen mehr, nachdem sie nur noch mit Handschuhen arbeiteten (5-8), ebenso wenig ein operativ tätiger Gynäkologe, der nun zwei Paar Handschuhe benutzte und eine weniger verletzungsträchtige Nahttechnik anwandte (13). In drei prospektiven Studien (19-21), in denen Patienten, die von HBsAg- und teilweise auch HBeAgpositiven Zahnärzten, Chirurgen, Gynäkologen beziehungsweise Dialyseschwestern behandelt und über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden, trat kein einziger Fall einer Hepatitis B auf, was in erster Linie auf die Beachtung strikter hygienischer Bedingungen wie Tragen von Handschuhen, sorgfältiger Handpflege und Vermeidung verletzungsträchtiger Techniken zurückgeführt wurde. Es besteht daher keine generelle Notwendigkeit, HBsAg-positive Personen vom Umgang mit Patienten auszuschließen. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß erstens die Betreffenden ausreichend über ihren Zustand aufgeklärt wurden und in der Lage sind, die unter bestimmten Umständen von ihnen ausgehenden Gefahren richtig einzuschätzen, und zweitens grundlegende Hygienemaßregeln eingehalten werden. Dazu gehören für alle HBsAg-Positiven unabhängig vom HBeAg-Status das Tragen von Handschuhen bei allen traumatisierenden Eingriffen am Patienten oder bei allen anderen Manipulationen, die zu einer Infektion führen können, wie zum Beispiel bei der Versorgung offener Wunden. Bei kleineren, auch Bagatellverletzungen an den Händen oder ekzematischen Veränderungen müssen bei jedem Patientenkontakt Handschuhe getragen werden. HBsAg-positive Zahnärzte müssen wegen der erhöhten Verletzungsgefahr immer mit Handschuhen arbeiten. Bei allen operativen Eingriffen mit scharfen oder spitzen Instrumenten sollten zwei Paar Handschuhe getragen werden. Alle verletzungsträchtigen Manipulationen müssen vermieden werden. Dt. Ärztebl. 85, Heft 7, 18. Februar 1988 (47) A-367 Kommt es trotz aller Vorsicht zu kein Grund, diesen Personen eine einer blutenden Verletzung des Operateurs, muß dem Patienten sofort Hepatitis-B-Immunglobulin verabreicht werden, falls keine Immunität gegen Hepatitis B besteht. Ähnliche Empfehlungen wurden von der „American Dental Association" (8) und dem „Center for Disease Control" (CDC) (14) erarbeitet. Werden diese Bedingungen zuverlässig eingehalten, ist gegen eine Tätigkeit auch HBeAg- und HBVDNA-positiver Personen in allen medizinischen Bereichen grundsätzlich nichts einzuwenden. Da aber ein geringes Restrisiko auch durch alle Vorsichtsmaßnahmen nie ganz auszuschließen ist, vor allem weil kleine Verletzungen oft nicht bemerkt werden, wäre es zweifellos vorteilhaft, wenn Personen mit ausgeprägter Virämie (HBeAg positiv, hochpositiver Ausfall des HBV-DNA-Testes) besonders verletzungsträchtige Eingriffe mit scharfen oder spitzen Instrumenten nicht ausführten. Da in fast allen nichtoperativen medizinischen Bereichen eine Tätigkeit ohne nennenswertes Risiko für den Patienten möglich ist, sollten daher massiv virämische chronische HBsAg-Träger, bei denen ein Tätigkeitswechsel prinzipiell in Frage kommt (etwa zu Beginn einer Ausbildung) ein Ausweichen auf einen dieser Bereiche erwägen. Berufsausübung zu untersagen. Auch bei der Beschäftigung chronischer HBsAg-Träger in lebensmittelverarbeitenden Betrieben und in der Gastronomie bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Da es keinerlei epidemiologische Hinweise auf eine orale Übertragung einer Hepatitis-B-Infektion gibt, ist auch der Umgang mit Lebensmitteln, die nicht mehr erhitzt werden, durch chronische HBsAgTräger unbedenklich, sofern allgemeine Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Dazu gehört selbstverständlich eine sorgfältige Reinigung der Hände vor der Arbeit und im speziellen die gewissenhafte Versorgung auch kleiner Hautläsionen. Auf weitergehende Maßnahmen, wie obligates Tragen von Handschuhen kann hier in der Regel verzichtet werden. Eine Ausnahme sind Personen mit Verletzungen oder ekzematischen Veränderungen der Hände; sie sollten in diesem Falle Handschuhe tragen, ebenso wie massiv virämische Personen bei verletzungsträchtigen Zubereitungsarten von Speisen, die nicht mehr erhitzt werden. Trotz der relativ geringen Ansteckungsgefahr durch HBsAg-Träger muß aber darauf hingewiesen werden, daß eine Übertragung einer Hepatitis B am Arbeitsplatz auf Mitarbeiter durchaus möglich ist, wenn besonders verletzungsträchtige Tätigkeiten ausgeübt werden. Dies zeigt das Beispiel mehrerer Hepatitis-B-Erkrankungen in einer Fleischerei (22). Eine Verhütung weiterer Übertragungen ist in derartigen Fällen durch die Impfung aller noch nicht immunen Mitarbeiter möglich. I Chronische HBsAg-Träger in nichtmedizinischen Berufen Ähnliche Verhaltensmaßregeln wie im medizinischen Bereich gelten für nichtmedizinisch tätige HBsAgpositive Personen, die ebenfalls verletzungsträchtige Behandlungen durchführen (Maniküren, Pediküren oder Tätowierungen). Auch hier ist eine sorgfältige und genaue Aufklärung über Art und Ubertragbarkeit der Infektion notwendig; hygienisch einwandfreies Arbeiten, besondere Sorgfalt, um Verletzungen zu vermeiden, und das Tragen von Handschuhen bei massiv virämischen Personen im Falle von Hautläsionen sind unerläßlich. Werden diese Maßnahmen eingehalten, besteht Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, zu beziehen über die Verfasser. Anschrift für die Verfasser: Dr. med. Wolfgang Jilg Max von Pettenkofer-Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie Pettenkoferstraße 9 a 8000 München 2 A-368 (48) Dt. Ärztebl. 85, Heft 7, 18. Februar 1988 NOTIZ Kreuzschmerzen beim Gynäkologen Zu der Kongreßnotiz von Dr. med. Hans-Peter Legal in Heft 50/1987 In Ergänzung Ihrer Kongreßnotiz möchte ich auf die von Professor Molinski, Düsseldorf, beschriebene „bio-psycho-soziale Sprechstunde" (in „Psychosomatik der Frau" D. G. Hertz, H. Molinski, SpringerVerlag 1980) hinweisen, für die Anregungen für das Verhalten von Gynäkologen im Umgang mit seinen Patientinnen gegeben werden. Darüber hinaus gibt es die Deutsche Gesellschaft für psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie (DGPGG) e. V. (Präsident: Professor Dr. med. Manfred Stauber, I. Universitäts-Frauenklinik München, Maistraße 11, 8000 München 2), aus deren Mitgliederverzeichnis psychosomatisch orientierte Kollegen hervorgehen. Dr. med. Wolfgang A. Stunder Bannstein 9 7615 Zell a. H. BERICHTIGUNG Herzinfarkt: Was tun? Zu dem Beitrag von Professor Dr. med. Helmut Gillmann in Heft 3 vom 21. Januar 1988: Da Schreibmaschinen bei uns in der Regel nicht mit griechischen Buchstaben ausgestattet sind, kommt es leider immer wieder vor, daß das griechische My (11) nicht richtig übertragen wird, so auch in diesem Beitrag, und das ausgerechnet bei Dosierungsangaben. In dem Kapitel „Behandlung eines frühen Schocks" muß es wie folgt richtig heißen: „. . . Besonders bei ausgeprägter Hypotonie und Bradykardie Dopamin (140 bis 300 i.g/min) und/ oder Dobutamin (Dobutrex® 100 bis 1000 tg/min) besonders bei Linksinsuffizienz mit Lungenstauung, oder Adrenalin (10 bis 20 Rg/min, cave: Erhöhung der Extrasystolie- und Flimmerbereitschaft !). " MWR