„In der Drogenszene“ eine Reportage von Haiko Lietz für den Deutschlandfunk vom 31. August 1999 1 Autor: Köln, 700 Meter vom Hauptbahnhof entfernt, in einem Hinterhof gewienert, das die Café Victoria. Tische sauber Der Boden gewischt, ist an frisch der Bar riecht es nach Gulasch, die Besucher lesen Zeitung, unterhalten sich. Übliche Café-Atmosphäre mit einem kleinen Unterschied, die Gäste sind drogenabhängig. Thoralf Wedig (Sozialarbeiter): Wenn die Leute hier auftauchen haben sie auf jeden Fall ein echtes Problem mit ihrer Abhängigkeit, sonst wären sie nicht hier. Autor: Thoralf Wedig ist Sozialarbeiter im Victoria Café, einer Einrichtung der Drogenhilfe Köln, unterstützt von der Stadt und den Krankenkassen. Wedig Hier ist eigentlich der allererste Anlaufort. Leute, die akut drauf sind, die kommen hier her. Wenn sie Bedarf haben an irgendwelcher Beratung sind wir diejenigen, die ihnen sagen, was sie zu tun haben. Autor: Dazu gehört auch warm duschen, umsonst essen, sich medizinisch versorgen lassen, sich saubere Spritzen besorgen: in Köln seit Mitte der 80er möglich. Deswegen hat in der Stadt nur etwa einer von zehn 2 Süchtigen AIDS, weniger als in Frankfurt oder Berlin. Bei Hepatitis sieht es anders aus: vier von fünf sind schwer erkrankt – ein Hygieneproblem. Margo: (ehemalige Drogenabhängige) Es war ne ganz normale Zeit, ne. Alles ganz normal. In der Musik eben zum Beispiel James Brown, Jim Morrison, Janis Joplin. Ich könnte noch mehr Namen nennen, es tut nur so weh, weil die alle schon tot sind. Tod durch die Drogen, weil es damals dann eben weiterging mit Kokain, Heroin, bei mir auch. Autor: So wurde Margo süchtig. Sie ist Halbbrasilianerin: Ihre schönen, durchdringenden, braunen Augen erzählen voller Stolz Heute ist von auch ihren sie Aufnahmen gezeichnet für den Playboy. vom Heroin, hat schlechte Zähne und vernarbte Unterarme. Denn bis vor vier Jahren setzte sie sich die Spritze dreimal täglich. Margo: Wenn ich jetzt dran denke, also das tut mir ja im Herzen weh – wie man so dumm sein kann. Autor: Die Abhängigen im Café wirken nervös, wippen mit den Beinen, knibbeln an der Zeitung. Mike erzählt, der erste Schuß am Morgen sei der schönste, aber seinen 3 richtigen Namen will er nicht nennen. Höchstens für Geld, dafür würde man sich sogar Zeit nehmen, da macht keiner ein Geheimnis draus. Wedig: Wenn jemand raus muß, dann kann das natürlich damit zusammenhängen, daß der gerade damit befaßt ist, sich irgendwelche Drogen zu besorgen. Da geht es um existentielle Sachen. Wie für uns das Essen wichtig ist, ist für diese Leute eher der Schuß wichtig. Autor: Heroin wird von vielen als Königin aller Drogen bezeichnet. Einfach aufhören ist leichter gesagt als getan. Eisernen Willen braucht man, denn die Erinnerung, wie schön es auf Heroin ist, ist für die meisten allgegenwärtig. Viele wollen deswegen auch gar nicht aufhören! Margo: Man bekam einen totalen Kick im Kopf, man fühlte sich, als wenn man auf ner Wolke säß, und alles war wunderschön. Man hat alles das, was man nicht leiden konnte, das liebte man auf einmal. Autor: Margo hat den Ausstieg geschafft, weil sie im Programm ist, wie man in der Szene sagt, sie ist eine von 100 Metadonpatienten. Fünf bis acht Jahre dauert 4 die Therapie. In der Vergabestelle trinkt sie täglich ihr Metadon, das hält dann mindestens 24 Stunden. Rolf Börger (Therapeut): Hier sind Mediziner und Sozialarbeiter in einem Team und die Betreuung der Patienten ist ganz intensiv. Metadonbehandlung ohne psychosoziale Betreuung kommt nicht viel bei raus. Autor: Dr. Rolf Börger leitet die Therapie der Patienten. Er betont, wie wichtig es ist, daß Metadonsubstituierte keinen Kontakt mehr haben zu Drogensüchtigen. Groß ist die Gefahr, rückfällig zu werden, oder zu anderen Drogen zu greifen. Denn Metadon unterdrückt nur die höllischen Entzugsqualen, es beruhigt nicht und wirkt nicht euphorisierend. Margo: Du mußt stark bleiben, du mußt an später denken, ich möchte ja auch mal wieder richtig arbeiten. Und ich möchte auch, daß mein Vater endlich mal sagt „Margot, ich bin stolz auf Dich.“ Autor: Margos Wille zu Anerkennung ist es, was sie stark macht. Viele Freunde hat sie verloren, doch gerade Freunde sind wichtig, um einem aus dem Drogensumpf herauszuhelfen. 5 Wedig: Ein großes Problem ist es, Cleankontakte zu haben, aufzubauen. nicht jemand Es gibt sowieso, ich zugeben, da bin aber Ängste. ein man „Denken Loser?„ merkt das die Das Leute wird in kaum Gesprächen einfach immer wieder. Autor: Das Selbstwertgefühl leidet stark unter dem Konsum: diese Erfahrung gemacht. hat Thoralf Wedig in zwei Jahren Aber auch eine weitere: Wedig: Man kann nicht sagen, das und das muß geschehen, damit jemand abhängig wird. Das hat nichts zu tun mit der sozialen Schicht, das hat nichts zu tun mit der Bildung. Es ist immer ein Bedingungsgefüge. Autor: Eine unbeschwerte Zeit hat Margo zu den Drogen geführt. Und jetzt, wo sie clean ist? Margo: Ich nehme mir vor, sei nicht traurig, kriege keine Depressionen, und so lange, wie es dir noch einigermaßen gutgeht, versuche eben, daß du anderen Menschen auch helfen kannst. 6 Besonders eben den jungen Menschen, die jetzt auch das durchmachen, was ich durchgemacht habe. Autor: Deswegen engagiert sie sich in Schulen, geht mit Eltern und Kindern zur Drogenberatung. Es kommt auch vor, daß sie Drogenzeit bei Kindern das wiedererkennt. Dann Verhalten muß sie aus den Ihrer Eltern wohl oder übel sagen, daß das Kind wohl süchtig ist. Überhaupt hätten sich die Zeiten sehr geändert. Margo: Heute gibt es ja das Metadon, aber die jungen Menschen wollen kein Metadon haben, sie wollen den Kick haben. Autor: Und für den Kick muß man 100 bis 150 Mark pro Tag auftreiben. Ein hübsches Mädchen kommt vorbei, Margo weiß, sie geht gerade anschaffen, 30 Mark zahlt der Freier, 50 Mark ist ohne Kondom, dafür aber wahrscheinlich mit AIDS. Kriminalität und Brutalität sind auf zunehmend dem Vormarsch. schwerer, Für die Polizei wird Beschaffungskriminalität es und Konsum zu unterscheiden. Sie ist bemüht keine offene Szene aufkommen zu lassen. Also vertreibt einschlägig bekannte von Plätzen und Straßen. Margo: 7 sie Die sollen uns nicht im Stich lassen. Überall wo wir hingehen werden wir verscheucht. Diejenigen, die im Metadonprogramm sind. Dann gebt uns doch ein Getto, wo wir auch hin können. Ich hoffe mal, die Polizei hört das jetzt auch. Ihr tut uns doch weh! Autor: Also bleiben die Kontaktcafés. Die Süchtigen wissen: Dorthin wird die Polizei nicht kommen. Eine Lösung des Drogenproblems ist das aber auch nicht. Ebensowenig wie die Metadontherapie, wie Dr. Börger weiß: Börger: Prävention, Vorbeugung kann man mit Metadon nicht machen. Metadontherapie steht schon ziemlich am Ende der Drogenkarriere des einzelnen Menschen. Wir halten die Leute erstmal am Leben... Autor: Jährlich Tausend den sterben Menschen Ausstieg in am Deutschland etwa Drogenmißbrauch. schafft, dann kriegt eineinhalb Wenn man man aber eine neue Chance - wie Margo und wie Wilhelm Peter: Wilhelm Peter (ehemaliger Drogenabhängiger): 8 Das Metadon ist mein zweites Leben. 9