Bericht der wissenschaftlichen Begleitforschung über

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Universität Bielefeld
Institut für interdisziplinäre
Konflikt- und Gewaltforschung
Heinz Lynen von Berg
Kerstin Palloks
Johannes Vossen
Bericht der wissenschaftlichen Begleitforschung
über die
Modellphase der Strukturprojekte des Programms
„CIVITAS – initiativ gegen Rechtsextremismus
in den neuen Bundesländern“
Gesamtverantwortung: Prof. Wilhelm Heitmeyer
Berlin, November 2003
CIVITAS: Inhaltsverzeichnis
I
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung...................................................................................................................1
II Zum methodischen Vorgehen.................................................................................7
1 Gegenstand der Untersuchung ............................................................................................. 8
2 Untersuchungsaufbau und Datengrundlage ......................................................................... 9
3 Evaluation als System von Beschreibung und Beurteilung ............................................... 11
4 Begriffs- und Zeichenerklärung ......................................................................................... 21
III Statistisch-deskriptiver Überblick über die CIVITAS-Projekte .....................23
1 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den im Jahre 2002 geförderten Projekten ............... 24
2 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den Strukturprojekten und ihren Trägern ............... 40
IV A Mobile Beratung (von Heinz Lynen von Berg)
1 Gegenstand der Untersuchung ........................................................................................... 68
2 Regionale und lokale Rahmenbedingungen Mobiler Beratung ......................................... 75
3 Ansätze und Tätigkeiten Mobiler Beratungsteams ............................................................ 87
4 Vergleichende Fallbeschreibung zweier Beratungsprozesse ........................................... 137
5 Zusammenfassung und Resümee der Evaluierung der Mobilen Beratung ...................... 164
IV B Opferberatungsstellen (von Johannes Vossen)
1 Idealtypische Beschreibung der Opferberatungsstellen ................................................... 173
2 Methodisches Vorgehen................................................................................................... 178
3 Externe und interne Rahmenbedingungen ....................................................................... 182
4 Tätigkeitsfelder der Opferberatungsstellen ...................................................................... 190
5 Vergleich von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte ......................... 231
6 Zusammenfassende Bewertung der Opferberatungsstellen ............................................. 266
CIVITAS: Inhaltsverzeichnis
II
IV C Netzwerkstellen (von Kerstin Palloks)
1 Gegenstand der Untersuchung ......................................................................................... 274
2 Zur Implementation des neuen Förderschwerpunktes Netzwerkstellen ......................... 279
3 Rahmenbedingungen der Projektarbeit ............................................................................ 308
4 Zum Konzept der Netzwerkstellen auf theoretischer Grundlage ..................................... 316
5 Zu den Tätigkeitsbereichen der Netzwerkstellen ............................................................. 326
6 Vergleich zweier Netzwerkstellen unter Einbezug externer Akteure .............................. 385
7 Resümierende Schlussbetrachtung zur Evaluation der Netzwerkstellen ......................... 426
V Zusammenfassung und Resümee
1 Das Potenzial des CIVITAS-Programms......................................................................... 442
2 Rahmenbedingungen........................................................................................................ 443
3 Befunde aus den quantitativen Untersuchungen (Projektdatenbank, Trägerbefragung).. 446
4 Befunde aus der qualitativen Untersuchung der Strukturprojekte ................................... 447
5 Überblick über das Gesamtergebnis ................................................................................ 454
Literaturverzeichnis............................................................................................................... 459
CIVITAS: Einleitung
1
I. Einleitung
Seit 2001 wird durch die Bundesregierung nach entsprechenden Beschlüssen des Deutschen
Bundestages das Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ durchgeführt. Das Aktionsprogramm
besteht aus den drei Teilprogrammen CIVITAS, entimon und Xenos, die im Zusammenwirken ihrer Interventionsansätze und pädagogischen Maßnahmen auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremen Erscheinungen
sowie auf eine nachhaltige Stärkung demokratischer Konfliktlösungskompetenzen und gesellschaftlichen Engagements zielen. Das CIVITAS-Programm hat in diesem Gesamtrahmen
die Aufgabe, Maßnahmen zur Förderung von Zivilgesellschaft und Demokratie sowie zur
Verbesserung der politischen Kultur in den neuen Bundesländern zu unterstützen. Zentrale
Förderprinzipien sind dabei die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen im Gemeinwesen,
die menschenrechtliche Grundorientierung, die Partizipation der Zielgruppen sowie die
Nachhaltigkeit der Maßnahmen. Damit will das Programm insbesondere zur Eindämmung
von Rechtsextremismus1, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus beitragen.
Die wissenschaftliche Begleitung des CIVITAS-Programms wird seit August 2002 von einem Forschungsteam des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der
Universität Bielefeld durchgeführt. Bisher wurde dazu ein erster Zwischenbericht vorgelegt,
der sich mit dem Problemhintergrund, dem Konzept und dem zivilgesellschaftlichen Ansatz
des CIVITAS-Programms befasste (vgl. Vossen/Lynen von Berg/Palloks 2002). In ihm wurden sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Ausmaß rechtsextremer Orientierungen und Aktivitäten in den neuen Bundesländern zusammengefasst. Außerdem enthält der
Bericht eine vergleichende Programmbeschreibung der drei Teilprogramme CIVITAS, entimon und Xenos und einen Überblick über den zivilgesellschaftlichen Ansatz als konzeptioneller Bezug in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.
Der vorliegende zweite Bericht schließt daran an und enthält die Beschreibung und Einschätzung der Projektarbeit innerhalb der drei Strukturprojektgruppen Mobile Beratungsteams (im
folgenden abgekürzt „MBTs“), Opferberatungsstellen (im folgenden abgekürzt „OBS“) und
Netzwerkstellen (im folgenden abgekürzt „NWS“) sowie die Zusammenführung der zentralen
Ergebnisse der empirischen Erhebungen der Forschungsgruppe zur Modellphase des CIVITAS-Programms.
Zum Aufbau des vorliegenden Berichts
Dieser Bericht enthält die Ergebnisse der im Laufe des Jahres 2003 durchgeführten quantitativen und der qualitativen Erhebungen des Forschungsteams zur wissenschaftlichen Beglei1
„Rechtsextremismus“ ist ein problematischer „Sammelbegriff“, der verschiedene Ebenen (individuelle und gesellschaftliche) und Dimensionen umfasst, die nach Stöss von Einstellungen zu einzelnen
Kategorien wie Anomie, Autoritarismus, Nationalismus, Ethnozentrismus (Rassismus, Wohlstandschauvinismus), Antisemitismus, NS-Sympathien über Verhalten (Wahlverhalten, Mitgliedschaft in
Organisationen, Gewalttätigkeit, Protestverhalten) bis hin zu Institutionen (Parteien, Jugendorganisationen, Verbände, Medien/Verlage) und Bewegungen/Subkulturen sowie gesellschaftsgestaltenden Konzeptionen (Ideologien) reichen (vgl. Stöss 1994, 27). Auf diese Differenzierungen wird im Bericht
verzichtet, da hier die Begriffsverwendungen der befragten Akteure wiedergegeben werden.
CIVITAS: Einleitung
2
tung des CIVITAS-Programms. Der Hauptauftrag an das Forschungsteam bezog sich darauf,
die Tätigkeiten und Vorgehensweisen der Strukturprojekte zu evaluieren, eine Evaluierung
der das Programm umsetzenden Servicestelle war von Auftraggeberseite nicht vorgesehen.
Ein einleitendes Methodenkapitel (Kap. II) informiert zunächst über den Gegenstand der
Untersuchung, den Untersuchungsaufbau, die Datengrundlage und das diesem Bericht
zugrundeliegende Verständnis von Evaluation als System der Beschreibung und Beurteilung.
Dabei werden die für die Analyse der Strukturprojekte als ,roter Faden’ entwickelten Schlüsselkategorien „Sensibilisieren“, „Befähigen“, „Mobilisieren/Aktivieren“ und „Vernetzen“
eingeführt und erläutert.
Dem schließt sich als erster empirischer Teil ein statistisch-deskriptiver Überblick über die
im Rahmen des CIVITAS-Programms geförderten Träger der Strukturprojekte (MBT, OBS,
NWS) an (Kap. III). Dieses Kapitel besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil informiert über die
durch das CIVITAS-Programm im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte.
Grundlage dieses Überblicks ist eine Sekundäranalyse von Daten der von der Servicestelle
geführten Projektdatenbank, die rückwirkend für das Jahr 2002 erstattet wird und in die 394
Projekte eingingen. Die Ergebnisse beziehen sich auf die Trägerstruktur, die regionale Verteilung, Laufzeiten und Zielgruppen der Projekte sowie auf die geförderten Projekttypen bzw.
-formate und Methodenansätze, wobei jeweils ein Vergleich zur Förderpraxis des entimonProgramms durchgeführt wurde.
Der zweite Teil des statistisch-deskriptiven Überblicks zur Projektlandschaft bezieht sich auf
die Strukturprojekte und fasst die Ergebnisse einer standardisierten Befragung der Träger
dieser Strukturprojekte zusammen, die vom April bis Juni 2003 durchgeführt wurde und den
damaligen Stand wiedergibt. Aus der Fülle der Ergebnisse werden zunächst ausgewählte
Befunde zu den Trägern der Strukturprojekte vorgestellt, wobei ihre regionale Verteilung,
ihre Mitarbeiterstruktur, ihr Budget sowie die Organisationsform und die inhaltliche Ausrichtung der Träger besondere Beachtung finden. Weitere Ergebnisse beziehen sich auf die Ressourcen, die von den Trägern den Strukturprojekten als Serviceleistungen zur Verfügung
gestellt werden. Deren Untersuchung dient weiterhin als zusätzliche Informationsgrundlage
und damit der Rahmung der im folgenden vorgestellten qualitativen Analysen.
Im Mittelpunkt des vorliegenden Berichts stehen drei umfangreiche qualitative Einzeluntersuchungen zu den Strukturprojekten des CIVITAS-Programms: den Mobilen Beratungsteams, den Opferberatungsstellen und den Netzwerkstellen (Kap. IV, A-C). Als Verfasser/innen zeichnen Heinz Lynen von Berg für die Mobilen Beratungsteams, Johannes Vossen
für die Opferberatungsstellen und Kerstin Palloks für die Netzwerkstellen verantwortlich. Der
nicht unerhebliche Umfang dieser Einzeluntersuchungen erklärt sich aus der Tatsache, dass
umfangreiches Interviewmaterial zur Verfügung stand und verarbeitet werden konnte. Die
drei Einzelberichte wurden bewusst mit Interviewmaterial angereichert, auch um den Leser/innen2 die Projektpraxis plastisch vor Augen zu führen. Diese Einzeluntersuchungen werten die Ergebnisse der Modellphase dieser Strukturprojekte aus, die mit Ablauf des Jahres
2
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und zur zusätzlichen Anonymisierung der Zitate wird in den
Texten im Singular nur die maskuline Form verwendet, im Plural wird hingegen die feminine
Schreibweise berücksichtigt.
CIVITAS: Einleitung
3
2003 endet. Ziel der Untersuchung ist es, die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder, Ansätze,
Methoden und Vorgehensweisen der drei Strukturprojekttypen zu beschreiben und dahingehend zu untersuchen, inwiefern diese zur Umsetzung der jeweiligen Aufträge geeignet sind.
In den einzelnen Teiluntersuchungen wird zu Beginn die jeweilige Strukturprojektgruppe
beschrieben und das methodische Vorgehen der Teiluntersuchung vorgestellt. Dem schließt
sich bei Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen eine Beschreibung der Rahmenbedingungen für die Projekttätigkeit an. Im Mittelpunkt der Teiluntersuchungen steht eine
ausführliche Beschreibung der Tätigkeiten von Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen. Diese wird durch einen Einzelfallvergleich vertieft, der bei den Mobilen Beratungsteams als Vergleich von zwei Beratungsfällen und bei den Opferberatungsstellen als
Vergleich von zwei Kleinteams akzentuiert ist. Die Einzeluntersuchung zu den Mobilen Beratungsteams enthält zusätzlich ein Kapitel über die Ergebnisse der Projektarbeit in der
Selbsteinschätzung der Mitarbeiter/innen. Abschließende Zusammenfassungen werten die
Ergebnisse der Untersuchungen für die Modellphase aus und geben Anregungen zur Verbesserung der Projektarbeit.
Eine besondere Stellung unter den Teiluntersuchungen nimmt die Evaluation der Netzwerkstellen ein (Kap IV C). Da die Netzwerkstellen zur Jahresmitte 2002 eingerichtet wurden,
konnte auch deren Implementation untersucht werden. Außerdem wurde durch den Vergleich
mit den Vernetzungskonzepten anderer Förderprogramme ein theoretisches Konzept für die
Netzwerkstellen erarbeitet. Im Mittelpunkt auch dieser Teiluntersuchung steht nach einer
Beschreibung der Rahmenbedingungen eine Untersuchung der Tätigkeiten dieser Strukturprojekte. Dabei mussten wegen der Heterogenität des Untersuchungsfeldes vier Untertypen
von Netzwerkstellen gebildet werden, für die Tätigkeiten und methodisches Vorgehen jeweils
getrennt beschrieben werden. Die Beschreibung und Analyse des Tätigkeitsbereichs wird
durch eine vergleichende Untersuchung von zwei Netzwerkstellen desselben Typs abgerundet. Auch diese Teiluntersuchung wird durch ein Fazit abgeschlossen, in dem unter anderem
die Ergebnisse der qualitativen Erhebungen zu Qualitätskriterien für die Tätigkeit von Netzwerkstellen verdichtet werden.
Ein zusammenfassendes Schlusskapitel, das die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen
Untersuchungen auf Projektebene für das Gesamtprogramm auswertet, schließt den Bericht
ab (Kap. V). An dieser Stelle werden die zentralen Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen
zusammengeführt und zu einer abschließenden Einschätzung der Modellphase verdichtet.
Angesichts des Umfangs des Berichts von über 450 Seiten sei auf die Teile hingewiesen, die
einen schnellen Überblick über seine zentralen Ergebnisse ermöglichen. Es handelt sich zum
einen um den statistisch-deskriptiven Überblick zu den Struktur- und Kleinprojekten, der die
Ergebnisse der quantitativen Erhebungen bzw. Analysen enthält (Kap. III). Die Ergebnisse
der qualitativen Untersuchungen zu den drei Strukturprojekttypen finden sich in den Zusammenfassungen zu den jeweiligen Teiluntersuchungen (Kap. IV A 5; IV B 6; IV C 7). In der
abschließenden Gesamtzusammenfassung werden die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Erhebungen zusammengeführt und in ihrem Stellenwert für das Gesamtprogramm
bewertet (Kap. V).
CIVITAS: Einleitung
4
Tabelle 1: Zentrale Kapitel des vorliegenden Berichts
Zivilgesellschaftliche
III: Statistisch-deskriptiver Über- 1.8:
Zusammenfassende Bewertung
blick zu den Struktur- und zivil2.7: Strukturprojekte: Fazit
gesellschaftlichen Projekten und
ihren Trägern
IV A: Mobile Beratungsteams
IV B: Opferberatungsstellen
IV C: Netzwerkstellen
V: Zusammenfassung und Resümee
Projekte: S. 35-39
2.7: Fazit zu den regionalen und lokalen
Rahmenbedingungen Mobiler Beratung
3.1.4: Fazit zu den Ansätzen und Tätigkeiten
Mobiler Beratungsteams
3.2.5: Fazit zu den Zielgruppen Mobiler Beratung
3.3.5: Fazit zum Rollen- und Selbstverständnis der MBTs
3.4.7: Fazit zu Vorgehen und Methoden Mobiler Beratung
3.5.7: Fazit zu Ergebnissen und Erfolgen
Mobiler Beratung
4.4: Kontrastiver Fallvergleich und Fazit
5: Zusammenfassung und Resümee der Evaluierung der Mobilen Beratung
5.1.7: Zusammenfassender Vergleich der
beiden Kleinteams
5.3: Zusammenfassende Beurteilung der
Tätigkeit der beiden Kleinteams
6: Zusammenfassende Bewertung der CIVITAS-Opferberatungsstellen
2.8: Fazit zur Implementation der Netzwerkstellen
3.3: Zusammenfassung der Rahmenbedingungen
4.4: Fazit zum Konzept der Netzwerkstellen
auf theoretischer Grundlage
Typ I Neubau von Netzwerken
Typ II Aufbau von Netzwerken
Typ III Initiativ-Netzwerken
Typ IV kommunale Netzwerke
6.3.3: Zusammenfassung und Fazit zur vergleichenden Beschreibung zweier Netzwerkstellen
7: Resümierende Schlussbetrachtung zur
Evaluation der CIVITAS-Netzwerkstellen
Zusammenfassung des Gesamtberichts
S. 62-63
S. 86
S. 92-93
S. 97-98
S. 106
S. 122-123
S. 136
S. 160-163
S. 164-170
S. 240-241
S. 262-265
S. 266-270
S. 304-307
S. 314-315
S. 324-325
S. 345
S. 356
S. 372
S. 382
S. 422-425
S. 426-439
S. 441-457
Zum zivilgesellschaftlichen Rahmen des CIVITAS-Programms
Zivilgesellschaft ist der Leitbegriff des CIVITAS-Programms. Doch wie oft bei derartigen
Großbegriffen ist der Bedeutungsgehalt dieses Terminus’ vieldeutig. Fassen die einen den Ort
CIVITAS: Einleitung
5
der Zivilgesellschaft als Raum des Bürgerengagements jenseits von Staat und Markt, wollen
andere auch staatliche Institutionen als Bestandteil der Zivilgesellschaft anerkannt wissen.
Wegen der Vieldeutigkeit des Begriffs sind zumindest drei Differenzierungen vorzunehmen.
Zivilgesellschaft braucht stützende Strukturen, ist auf eine spezifische politische Kultur angewiesen und benötigt bestimmte Wertorientierungen zu ihrem Gelingen.
Das CIVITAS-Programm möchte dazu beitragen, „zivilgesellschaftliche Strukturen im Gemeinwesen in den neuen Bundesländern aufzubauen, zu stärken, zu vernetzen und modellhaft
weiter zu entwickeln“ (CIVITAS-Leitlinien 2003: 2). Dies ist um so wichtiger, weil von stützenden Strukturen für eine Zivilgesellschaft in den neuen Bundesländern noch nicht flächendeckend ausgegangen werden kann. Zum Beispiel fehlen weiterhin bestimmte staatliche Regelstrukturen (etwa ein flächendeckendes Netz von Ausländerbeauftragten) bzw. werden zur
Zeit wieder reduziert (z.B. im Bereich der Jugendarbeit).
Zivilgesellschaft benötigt aber nicht nur stützende Strukturen jenseits von Markt und Staat.
Wesentlich ist, ob es gelingt, zentrale Postulate einer politischen Kultur gesellschaftlich zu
verankern. So ist fraglich, ob die Marktmechanismen einer rabiaten Konkurrenz und ihre
Auswirkung auf die sozialen Lebensumstände noch hinreichend Anerkennungspotentiale
bereithalten, damit Menschen nicht andere abwerten, gewissermaßen Fremdenfeindlichkeit
ein Mittel zur Selbstaufwertung wird. Es ist auch offen, ob staatliche Institutionen hinreichend in der Lage sind, die Opfer solcher Attitüden oder Verhaltensweisen gewissermaßen
im gesellschaftlichen Alltag „vor Ort“ zu schützen und Hilfen zur Integration bereitzustellen.
Es geht um nicht weniger als die Schaffung einer „demokratischen Atmosphäre“, also einer
„politischen Kultur“, in der Selbstverständlichkeiten und Normalitätsstandards vorherrschen,
die wenigstens zwei Kernelemente unserer Verfassung sichern: die Gleichwertigkeit von
Menschen und ihre physische und psychische Unversehrtheit. Es wäre verkürzend, wenn ein
„zivilgesellschaftliches“ Programm nur gegen die Gleichwertigkeit und Unversehrtheit verletzende oder gar zerstörende Fremdenfeindlichkeit und entsprechende Varianten von
Rechtsextremismus ausgerichtet wäre; es muss sich zugleich für den Aufbau von Normalitätsstandards zivilen Zusammenlebens in einer „demokratischen Atmosphäre“ einsetzen.
Nicht nur stützende Strukturen und eine demokratische politische Kultur sind Voraussetzungen für eine funktionierende Zivilgesellschaft. Mindestens ebenso wichtig sind grundlegende
Wertorientierungen zur Regulierung von (gesellschaftlichen) Konflikten und Angelegenheiten, die unverzichtbare Vorbedingungen für die Verankerung einer Zivilgesellschaft darstellen. Konflikte sollten sowohl in größeren Kollektiven als auch zwischen Personen gewaltfrei
ausgetragen werden. Verhandlungsprozesse und deliberative Formen der Behandlung von
Themen und Interessen mit dem Ziel vernünftiger und sachorientierter Lösungen wären dabei
ein anzustrebender Idealzustand. Dieser setzt einerseits ein hohes Maß an Selbstreflexivität
und gegenseitigem Respekt voraus und gründet sich andererseits auf Lernprozesse, die solche
Orientierungen freisetzen bzw. notwendig machen. Des weiteren sind hohe kommunikative
Kompetenzen bzw. deren Entwicklung konstitutiv für zivilgesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Die Akzeptanz und Förderung von unterschiedlichen Meinungen sowie die Pluralität von Lebensstilen sind dabei grundlegend. Das heißt, Toleranz, die Akzeptanz und der
(welt-)offene Umgang mit Differenzen jeder Art, Ambiguitätstoleranz und die Fähigkeit mit
Ambivalenzen und Widersprüchen selbstreflexiv umzugehen, sind Eigenschaften und Ziele
CIVITAS: Einleitung
6
einer Zivilgesellschaft, die sich auf universellen und uneingeschränkten Menschenrechten
gründet.
Das Konzept der Zivilgesellschaft richtet sich an breite Funktions- und Akteursgruppen mit
gesellschaftlicher Deutungsmacht. Eine Begrenzung des konzeptionellen Rahmens beispielsweise auf Jugendförderung allein könnte die Breite des zivilgesellschaftlichen Ansatzes nicht
hinreichend zur Geltung bringen. Jugendliche befinden sich in einer Übergangsphase, die
gekennzeichnet ist von vielfältigen Statusunsicherheiten, geringem gesellschaftlichem Einfluss und niedriger Deutungsmacht. Allein schon deshalb ist eine breite Ansprache von stärker deutungsmächtigen Funktions- und Akteursgruppen bzw. Institutionen, wie Kirchen,
Verbänden, Vereinigungen, kulturellen Einrichtungen, Bildungsträgern sowie Vereinen und
selbstorganisierten Zusammenschlüssen und Interessengruppen notwendig, durch deren Aktivierung bürgerschaftliches Engagement auf eine breitere Grundlage gestellt werden könnte.
Die Interventionspraxis gegen fremdenfeindliche Mentalitäten und rechtsextreme Aktivitäten
ist immer im Kontext zweier Entwicklungslinien zu betrachten. Diese Interventionspraxis
wird umso schwieriger, je komplexer und widersprüchlicher die rechtsextremen Entwicklungen einerseits und die gesellschaftlichen Reaktionen andererseits ausfallen. Es sind nicht nur
die manifesten rechtsextremen Aktivitäten, die fremdenfeindlichen Attitüden und demokratiefeindlichen Haltungen, sondern auch das Problem eines sich abschirmenden „Normalitätspanzers“ zu beachten. Damit ist das Selbstbild einer „gesunden Normalität“ gemeint, die sich
gegen alles Andersartige oder Fremde abschirmen will. Ein derartiger „Normalitätspanzer“
kann auch dazu führen, dass fremdenfeindliche Attitüden und rechtsextreme Gewalt sich um
so eher ausbreiten können, je unspektakulärer dies geschieht, zumal wenn dies von der Öffentlichkeit weitgehend lakonisch ignoriert wird. Insofern muss von einer beunruhigenden
Normalität gesprochen werden, die den Hintergrund der Interventionspraxis der CIVITASProjekte bildet.
Aus diesen Rahmenbedingungen und Vorgaben erklärt sich der stark qualitative Zugriff der
vorliegenden Untersuchung und ihre Konzentration auf die Mikroebene der Projekttätigkeit.
Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen demnach Projektgruppen und konkrete Einzelprojekte und ihre Mitarbeiter/innen und die Frage, wie sie unter den jeweiligen regional und
lokal spezifischen Rahmenbedingungen die Vorgaben des CIVITAS-Programms interpretieren und umsetzen.
Die Entstehung einer Zivilgesellschaft kann nicht erzwungen werden, auch ist realistisch
nicht zu erwarten, dass ein derartiges Programm im Laufe weniger Jahre strukturelle Defizite
beheben oder politische Einstellungen flächendeckend verändern kann. Das Problem wird
sich auch nicht von selbst erledigen, sondern bedarf einer kontinuierlichen Aufmerksamkeit
und Bearbeitung. Ralf Dahrendorf hat mit Blick auf die Transformation der realsozialistischen Gesellschaften Osteuropas in Demokratien festgestellt, der Aufbau einer Zivilgesellschaft dauere 60 Jahre. Von daher ist vor zu hohen Erwartungen und einer Überforderung, im
übrigen auch einer Selbstüberforderung der Projekte zu warnen. Das CIVITAS-Programm ist
das zur Zeit wohl ambitionierteste Großexperiment zur Förderung der Zivilgesellschaft. Daher lohnt ein Blick auf das Erreichte, und der vorliegende Bericht gibt einen empirisch gesättigten, detaillierten Einblick in die Projektpraxis sowie die Chancen und Risiken dieses Vorhabens.
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
7
II. Zum methodischen Vorgehen
1
Gegenstand der Untersuchung....................................................................................... 8
2
Untersuchungsaufbau und Datengrundlage................................................................. 9
3
Evaluation als System von Beschreibung und Beurteilung ....................................... 11
4
3.1
Methodisches Vorgehen.......................................................................................... 11
3.2
Schlüsselkategorien – das System der Beschreibung.............................................. 12
3.3
Evaluationskriterien - das System der Beurteilung ................................................. 15
Begriffs- und Zeichenerklärung................................................................................... 21
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
8
1 Gegenstand der Untersuchung
Gegenstand des vorliegenden Berichts ist der erste Teil der Evaluation im Rahmen des CIVITAS-Programms. Im Vordergrund der Analysen steht die Untersuchung der drei „Strukturprojektgruppen“ (Mobile Beratung, Opferberatung und Netzwerkstellen), deren Modellphase
im Dezember des Jahres 2003 endet.1 Zum Abschluss dieser Modellphase sollen Aussagen
über die Eignung der drei Interventionsansätze in Bezug auf den Auftrag des CIVITASProgramms sowie die (angenommenen) lokalen Bedarfslagen getroffen werden. Ziel der Untersuchung ist weiterhin, die unterschiedlichen Ansätze, Methoden und Vorgehensweisen der
Projekte zu beschreiben und dahingehend zu untersuchen, inwiefern diese zur Umsetzung der
Aufträge geeignet sind. Bei der Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen
Interventionsansatzes wird weiterhin nach den externen Bedingungen gefragt, die die Arbeit
der Projekte beeinflussen.
Teil des Berichts ist weiterhin die Analyse der CIVITAS-Projektdatenbank. Diese Untersuchung ist nicht Teil der Aussagen zum Ende Modellphase der Strukturprojekte. Sie dient
vielmehr der Beschreibung und tendenziellen Einschätzung der allgemeinen Förderpraxis in
den anderen Förderschwerpunkten (2.3.1 Austausch und Vermittlung von Erfahrungen, 2.3.2
Stärkung einer demokratischen, gemeinwesenorientierten Gesamtkultur und 2.4 überregionale Modellprojekte) und soll Auskunft geben über die Gewichtung unterschiedlicher Projektansätze sowie über die Ziel- und Altersgruppen, die durch das CIVITAS-Programm 2002
erreicht wurden.
1
Die Modellphase der Projekte ist unterschiedlich lang; während diese für die meisten MBTs und
OBTs zum Zeitpunkt des Berichts etwa 2 ¼ Jahre dauerte, war sie für die NWS verkürzt. Die NWS
begannen ihre Arbeit in der Zeit zwischen Frühjahr und Herbst 2002, so dass die Modellphase nur 1
bis 1 ½ Jahre betrug.
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
9
2 Untersuchungsaufbau und Datengrundlage
Die vorliegende Analyse gliedert sich in mehrere Elemente, deren Kernfragen, methodischer
Ansatz und Datengrundlage in den im Bericht ausgewiesenen Kapiteln jeweils genauer beschrieben werden. Als Überblick sollen die einzelnen Untersuchungselemente im folgenden
kurz vorgestellt werden.
Der Untersuchungsaufbau lässt sich anhand der methodischen Zugriffsebenen beschreiben:
Quantitative Erhebungsinstrumente und Auswertungsverfahren wurden bei der Analyse der
Projektdatenbank und bei der Befragung der Träger der Strukturprojekte angewandt.
Mit Hilfe von Sekundäranalysen der CIVITAS-Projektdatenbank wurden die Förderentscheidungen bzw. Projektbewilligungen des Förderjahres 2002 (auf der Basis eines an entimon
angelehnten Kriterienrasters) daraufhin untersucht, welche Projekttypen und Methodenansätze unter den Projekten vertreten waren und welche Alters- und Zielgruppen angesprochen
wurden.
Die Befragung der Träger der 40 Strukturprojekte (Mobile Beratung, Opferberatung und
Netzwerkstellen) erfolgte anhand eines teilstandardisierten Erhebungsinstrumentes, das sowohl über geschlossene als auch offene Antwortmöglichkeiten verfügt. Über die Befragung
der Träger wurden u.a. objektive Daten zu den Trägern der Strukturprojekte und zur Anbindung an das CIVITAS-Programm, sowie Einschätzungen zur Projektumsetzung und zu den
Einflussfaktoren dieser erhoben. Dieser Teil der Erhebung diente in erster Linie der Beschreibung der geförderten Trägerlandschaft und der zur Verfügung stehenden Ressourcen
sowie der Sammlung quantifizierbarer Informationen, die dann für die Beschreibung und
Auswertung der Projektumsetzung als weitere Datengrundlage zur Verfügung standen.
Qualitative Verfahren sind bei der Evaluation der drei Strukturprojektgruppen (Mobile Beratung, Opferberatung und Netzwerkstellen), zum Einsatz gekommen. Alle drei Untersuchungen sind, bezüglich der Forschungsfragen, der Untersuchungsansätze, der angewandten Methoden und des Samples in vergleichbarer Weise angelegt.2 Zentrales Element der drei Analysen bilden die Befragungen der Projektmitarbeiter/innen durch problemzentrierte Leitfadeninterviews, die im Grundbestand zentrale Forschungsfragen zu Zielstellungen und Zielgruppen, zu Art und Weise der Projektumsetzung sowie zu Rahmenbedingungen der Arbeit beinhalteten. Darüber hinaus wurden die Interviews so angelegt, dass gemäß des qualitativen
Paradigmas genügend „Offenheit“ für die Relevanzsysteme der Befragten möglich war, um
auch nicht vorab planbare Einflussgrößen der Projektpraxis erfassen zu können. Diese Interviews wurden entweder vor Ort, im Rahmen von Projektbesuchen oder durch telefonische
Befragungen durchgeführt.
„Externität“ als perspektivischer Wechsel in der Beschreibung und Einschätzung der Projektumsetzung wurde durch die Befragung externer Akteure bei der vergleichenden Analyse
zweier Projekte bzw. Fallverläufe des jeweiligen Förderschwerpunktes als erste Resonanzerhebung einbezogen. Besuche der Projekte vor Ort sowie (teilweise) die Teilnahme/Begleitung
2
Bei der Evaluation der NWS wurden darüber hinaus weitere Methoden bzw. Zugriffsebenen einbezogen, da hier durch den späteren Eintritt dieses Förderschwerpunkts die Frage der Implementation als
relevantes Forschungsfrage berücksichtigt werden konnte.
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
10
von Arbeitseinsätzen sowie die Durchführung von Folgeinterviews mit den zur vergleichenden Analyse ausgewählten Projekten ermöglichte einen tiefergehenden Einblick in Ansätze,
Vorgehensweisen und lokale Rahmenbedingungen.
Da bei jedem der drei Förderschwerpunkte spezifische Besonderheiten in der Komposition,
den Teamstrukturen, der Ausarbeitung und den Arbeitsaufträgen zu beachten waren, wurden
über diese vergleichbaren Verfahrensweisen hinaus jeweils weitere Erhebungsmethoden, wie
z.B. Gruppendiskussionen oder Beobachtungen, angewandt.
Für die resümierende Einschätzung zum Ende der Modellphase wurden schließlich die in den
Einzelanalysen angefallenen „Schnittmengen“ der Ergebnisse destilliert und zusammengetragen. Ziel dieses Vorgehens war, eine über die einzelnen Förderschwerpunkte hinausweisende
Abstrahierung der Ergebnisse zu ermöglichen und damit zu verallgemeinerbaren Aussagen zu
gelangen.
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
11
3 Evaluation als System von Beschreibung und Beurteilung
3.1 Methodisches Vorgehen
Das methodische Vorgehen im Feld, genauere Informationen zu den angewandten Erhebungsinstrumenten, Verfahrensweisen und zur Untersuchungsgruppe werden in den methodischen Kapiteln der Evaluationen der drei Strukturprojektgruppen für die jeweiligen Untersuchungsschritte weiter ausgeführt. Im Folgenden soll das allgemeine Vorgehen bei der Analyse der erhobenen Daten beschrieben werden sowie eine Einführung in das angewandte System der Beurteilung erfolgen.
Die mit den Projektmitarbeiter/innen geführten problemzentrierten Interviews (vgl. Witzel
2000) wurden bereits im Forschungsprozess transkribiert und zur Analyse aufbereitet. Auf
diese Weise war es möglich, das bestehende Fragegerüst um weitere Themen anzureichern,
die in den ersten Interviews als für die Umsetzung relevante Faktoren von den Befragten
selbst angesprochen wurden.
Die Interviews wurden anhand von dazu erarbeiteten thematisch geordneten Kategoriensystemen kodiert und die Rohdaten der verschiedenen Interviews damit entsprechend systematisiert. Ebenso wie die Interviewleitfäden, bestanden auch die Auswertungskategorien aus einem Grundgerüst an thematischen Schwerpunkten, die sich aus den zentralen Forschungsfragen bzw. aus dem Evaluationsauftrag ergaben sowie aus Kategorien, die sich in der Rezeption der Interview- und Gesprächsprotokolle, also aus der Empirie ableiten ließen.
Bei der theoretischen Kodierung des Materials wurde also eine Kombination aus subsumptiver und abduktiver (Kelle/Kluge 1999: 58) Kategorienbildung verfolgt. Es wurden also zunächst Kategorien auf der Grundlage von theoretischen Vorannahmen (Alltagskonzepten und
abstrakten – also empirisch nicht gehaltvolle Theorien) gebildet, die dann bei analytischer
Relevanz, die die Materialsichtung ergab, um weitere empirisch gehaltvolle ergänzt wurden.
Aufgrund der begrenzten zeitlichen Ressourcen mussten die Kategoriensysteme überschaubar, die konkreten Verfahrensweisen der Auswertung effizient gehalten werden, damit das
umfangreiche Datenmaterial in der zur Verfügung stehenden Zeit zu bewältigen war.
Insgesamt wurde sich bei den Auswertungstechniken an dem von Becker/Geer (in Kelle/Kluge 1999) beschriebenen Vorgehen orientiert, die ein theoretisches Kodieren und eine
anschließende synoptische Verknüpfung der einzelnen Rohdatenpassagen vorschlagen, die
dann einer interpretativ vergleichenden Analyse zugeführt werden. Auf diese Weise ließen
sich fallübergreifend zu den relevanten Bereichen die verschiedenen fallspezifischen Aussagen verknüpfen und zu einer allgemeinen Aussage verdichten.
Weiterhin erfolgte zudem bei der Analyse der Interviews gleichzeitig ein permanenter Rückbezug auf die untersuchten Einzelfälle, so dass die spezifische Komposition z.B. eines einzelnen Projektansatzes ebenfalls nachvollzogen werden konnte.
Die Auswertung verfolgte also (komprimiert) die Schritte: Systematisierung (und z.T. Selektierung) des Datenmaterials anhand relevanter Kategorien und Interpretation der Textstellen
sowohl kontrastierend (Vergleich derselben Kategorien bei allen Interviews) als auch einzel-
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
12
fallbezogen. Um zu einer „Aussagequalität“ zu gelangen, die auch für die Rezipienten nachvollziehbar ist, wurden drei Möglichkeiten der Darstellung dieser Aussagen in den Untersuchungen in Anspruch genommen: Es wurde versucht, bei allen Aussagen zunächst das ganze
Spektrum von unterschiedlichen Ausprägungen darzustellen, weiterhin wurde nach „gemeinsamen Schnittmengen“ gesucht, um zu verallgemeinerbaren Aussagen zu gelangen. Schließlich erfolgte eine Darstellung von „Ausreißern“, bzw. besonderen Ausprägungen eines Ansatzes oder einer Handlung die nur in (wenigen) Einzelfällen auftraten, und nicht verallgemeinert werden konnten.
3.2 Schlüsselkategorien – das System der Beschreibung
Auch wenn auf eine genaue Darstellung der angewandten Kategoriensysteme verzichtet wird,
sollen die für die Beschreibung und Einschätzung der Projektpraxis relevanten vier Hauptkategorien (im Folgenden „Schlüsselkategorien“) benannt und deren Herleitung und Nutzen
kurz beschrieben werden.
Bei der Genese der „Schlüsselkategorien“ wurde – wie bereits angedeutet – kein rein empirisch oder rein theoretischer Zugang gewählt, sondern vielmehr eine Mischform, die sich aus
konzeptionellen Überlegungen über den Anspruch des CIVITAS-Programms im allgemeinen
und den Rahmenauftrag der Strukturprojekte im Besonderen ergibt, sowie aus den ersten
empirischen Ergebnissen, die sich aus der Projektpraxis ableiten ließen. Die so erhaltenen
Schlüsselkategorien stellten demnach ein vorläufiges, da jederzeit modifizierbares, analytisches Gerüst dar, das eine Grundorientierung bei der Auswertung der Daten vorgab.
Die Schlüsselkategorien stellen weiterhin eine (vorsichtige) Interpretation bzw. allgemeine,
also nicht auf einen Förderschwerpunkt allein zutreffende, Operationalisierung der expliziten
und impliziten Leitziele des CIVITAS-Programms und davon ableitbarer „Funktionsbereiche“ dar.
Ergebnis war ein „Viersprung“, durch den eine erste (Vor)Strukturierung, also Systematisierung des Materials erreicht werden sollte, und der gleichzeitig als Beschreibungsmodell der
Projekttätigkeiten geeignet war. Die Schlüsselkategorien „Sensibilisieren“, „Befähigen“,
„Aktivieren/Mobilisieren“ und „Vernetzen/Interaktion“ beschreiben in ihrer Allgemeinheit
sowie in ihrem inhaltlichen Zusammenhang den Rahmenauftrag, der durch das Programm
beansprucht und für die Projektarbeit vorgesehen ist und gleichzeitig den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ bei der zu beschreibenden hauptsächlichen Tätigkeitsbereiche der Projekte.
Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse auf der Analyseebene sicherzustellen, wurden die
Schlüsselkategorien und die Wertedimensionen zunächst definiert, also inhaltlich unterfüttert.
Eine trennscharfe Definition erschien hierbei allerdings nicht immer möglich, da sich die in
den Kategorien dimensionierten Intentionen und Tätigkeiten gegenseitig bedingen, bzw. ineinander verschachtelt sind.
An dieser Stelle soll die Beschreibung der „Alltagskonzepte“ bzw. der abstrakten Konzepte
erfolgen, die der Systematisierung des Datenmaterials zugrunde lagen.
Den Tätigkeiten vorgelagert wird zunächst eine wichtige Analysekategorie, die zur Einschätzung der Handlungspraxis der Strukturprojekte relevant ist:
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
13
Allgemeine Rahmenbedingungen
Darunter sind diejenigen Bedingungen bzw. auch das Zusammenspiel der Bedingungen zu
fassen, die Einfluss auf die Konzeption und Umsetzung der Projektpraxis haben. Zunächst
spielen Rahmenbedingungen eine Rolle, durch die Handeln der Projekte und der lokalen Akteure dauerhaft beeinflusst bzw. beeinträchtigt werden. Hier sind vor allem Rahmenbedingungen der Regionen, also strukturelle Potentiale und Defizite im lokalen Kontext gemeint
(z.B. hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung).
Weiterhin sind insbesondere auch sogenannte „Gelegenheitsstrukturen“ (z.B. zufällige Ereignisse, Konstellationen, sekundäre Interessen etc.) zu fassen, durch die Handeln möglich oder
beeinträchtig wird.
Einen weiteren Bereich bilden programmbegleitende Determinanten, die als „flankierende
Maßnahmen“ bzw. als administrativer Rahmen die Projektumsetzung determiniert. Generell
ist bei den Rahmenbedingungen nicht nur nach den Einflussgrößen überhaupt zu fragen, sondern immer auch nach deren Folgen für die Projektarbeit.
Im Folgenden werden die herausgearbeiteten Schlüsselkategorien beschrieben:
Sensibilisierung
Der Tätigkeitsbereich „Sensibilisierung“ fasst zunächst sehr allgemein die Schaffung von
Aufmerksamkeit für einen Problemzusammenhang.
Es geht also um eine Veränderung von Wahrnehmung bei unterschiedlichen Akteuren. Diese
„Sensibilität“ soll dabei nicht nur in Bezug auf das Vorhandensein offensichtlicher rechtsextremer bzw. fremdenfeindlicher Phänomene erfolgen, sondern auch in Bezug auf die Notwendigkeit von Interventionen. Eine solche Wahrnehmungsänderung, als Prozess des Schaffens von Problembewusstsein, also Sensibilisierung bezüglich eines tatsächlichen Handlungsbedarfs, wird quasi als Voraussetzung für alle weiteren Interventionen eingeschätzt.
Hierunter sind z.B. gezielte Kontaktaufnahmen und angeregte Diskurse zu fassen, aufsuchende Beratungsgespräche oder auch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen.
Befähigung
Diese wird ganz allgemein verstanden als Hilfe zur Selbsthilfe; es liegt also keine passive
Konsumentenorientierung zugrunde, sondern der aktive Prozess einer dauerhaften Zustandsänderung. Die verschiedenen Akteure/Adressaten sollen in die Lage versetzt werden, ihre
Interessen wahrzunehmen und Demokratie als eine Lebensform und Regelung von Konflikten und Interessen kennen und erfahren zu lernen, die auch ein „Mehr“ an Lebensqualität
darstellt. Die Kategorie lässt sich in mindestens drei Bereiche aufsplitten:
•
Wissen
•
Kognitiver Kompetenzerwerb
•
Konkrete Techniken
„Wissen“ bezeichnet dabei sowohl die Ebene der theoretischen Kenntnisse (zweckungebunden), als auch solche Kenntnisse, die quasi eine Vorstufe des Kompetenzerwerbs darstellen.
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
14
In den Bereich „Wissen“ fallen alle Ansätze/Maßnahmen, durch die bei einer Zielgruppe (politische Akteure, Jugendliche, Multiplikatoren etc.) eine Veränderung des Kenntnisstandes zu
einem bestimmten Thema erfolgen soll. Es geht also im weitesten Sinne darum, Horizonte zu
erweitern als Grundlage einer zu stärkenden Handlungskompetenz.
In diesen Bereich fällt aber auch das Vermitteln von Informationen z.B. über Aktivitäten
anderer Initiativen in der Kommune, andere Projekte, die zum Thema arbeiten etc.
Kompetenzerwerb im Rahmen des CIVITAS-Programms bezeichnet zum einen den kognitiven, also intrapersonalen Prozess, bei dem unterschiedliche Zielgruppen in die Lage versetzt
werden, selbst aktiv zu werden – also entweder bestimmte in der Praxis auftretende konkrete
Probleme zu lösen, oder aber die Wahrnehmung/Reflexion (z.B. für mangelnde demokratische
Aushandlungsformen) zu schärfen, also die eigene allgemeine Handlungsfähigkeit zu stärken.
Dazu gehört als Voraussetzung für alle weiteren Prozesse insbesondere das Erkennen und
nutzbar machen der eigenen Lösungskompetenzen. Dieses Aufdecken von Potenzialen bezieht sich insbesondere auf die Übertragung von bereits in anderen Alltagsbereichen angewandten Erfahrungs- und Handlungskompetenzen auf den Umgang mit spezifischen Problemlagen in der Thematik Rechtsextremismus.
Weiterhin gehören in diesen Bereich aber auch (neben Ansätzen der Beratung und politischer
Bildung) Kompetenzerwerb im Sinne des Erlernens konkreter Techniken (Ausbildungsaspekt), wie zum Beispiel Projektmanagement, Befähigung zur Öffentlichkeitsarbeit, Antragsstellung etc..
Ein „Sonderfall“ ist die Tätigkeit der Hilfe/Unterstützung zum Zweck der Aufrechterhaltung/Verbesserung der allgemeinen Lebensfähigkeit bzw. Lebensqualität bestimmter Personen und Gruppen. Auch wenn das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ nicht zugrunde liegt, erfolgt
die Befähigung dieser Akteure im Hinblick auf die Schaffung der Grundlage zur Selbsthilfefähigkeit.
Aktivierung/Mobilisierung
CIVITAS setzt sich zum Ziel, möglichst viele Personen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten und Milieus, aus verschiedensten Berufssparten und Altersgruppen für
eine Stärkung der Zivilgesellschaft, für demokratische Formen der Auseinandersetzung mit
dem Rechtsextremismus anzusprechen. Aktivierung erfolgt in Hinblick auf demokratischen
Konfliktlösung, zur Verantwortungsübernahme und Beteiligung. Hier geht es demnach im
Gegensatz zur „Befähigung“ eher darum, Anreize für Engagement zu schaffen. Aktivierung
kann auch bereits heißen, sich nicht durch rechtsextreme Erscheinungen, autoritäre Konfliktlösungsmuster die Lebensqualität „verderben“ zu lassen. Aktivierung heißt, sich einmischen,
sich artikulieren, sich aktiv auseinandersetzen und dies mit möglichst vielen anderen Personen und Einrichtungen.
Unter Mobilisierung sind Prozesse zu fassen, die zum einen Impulse in Richtung Teilnahme
an Engagement bei einzelnen Akteuren, Institutionen oder Akteursgruppen bezeichnen, also
quasi alle Formen des Anschubs und der Motivation von Akteuren, sich mit bestimmten
Themen auseinander zu setzen, selbst aktiv zu werden etc..
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
15
Einen weiteren Aspekt im Bereich „Mobilisierung“ macht die Ausweitung und die Stabilisierung der lokal initiierten Aktivitäten aus, also nachhaltige Mobilisierung bedeutet in diesem
Sinne die Sicherung von inhaltlicher und struktureller Kontinuität z.B. von Projektarbeit, von
Diskursen, von Beteiligung. Hierunter ist demnach auch die Sicherung finanzieller Kontinuität zu fassen.
Vernetzung
Das Herstellen von Kontakten, das Aufzeigen gegenseitiger Interessen und Handlungsressourcen sowie das Katalysieren von Kooperationen gehört zu diesem Tätigkeitsbereich. Die
Vernetzung zielt dabei darauf, dass es nicht bei einmaligen und punktuellen Formen der Auseinandersetzung bleibt und jeder isoliert vorgeht. Es geht um eine auf Dauer gestellte (institutionalisierte) oder informelle Form des Informationsaustausches, der Zusammenführung und
Bündelung von Wissen, Handlungskompetenzen und Ressourcen.
Bei dem Aspekt der Vernetzung geht es also idealerweise um die Einrichtung von dauerhaften Strukturen. Diese sind vorerst nicht per se im Grade der Verbindlichkeit zu definieren
(Institutionalisierungsprinzip), es geht hier vielmehr um das Ausschöpfen der Potentiale verschiedenster Akteure und Institutionen und in diesem Zusammenhang um Synergien, die z.B.
durch Kooperationen entstehen.
Diese Interaktionen können sich auch (sehr oberflächlich) im Bereich Informations- und Erfahrungsaustausch bewegen, es geht also zunächst um gegenseitige Bekanntheit, bzw. um die
Bekanntheit der Ressourcen, Angebote, Möglichkeiten der jeweiligen Institutionen und Akteure.
3.3 Evaluationskriterien – das System der Beurteilung
Nachdem nun das Vorgehen der Auswertung sowie das System der Beschreibung der qualitativen Daten umrissen wurde, soll nun – ebenfalls überblicksartig – das System der Beurteilung skizziert werden, das bei der vorliegenden Evaluation angewandt wurde.
Wie bei der Erstellung von Erhebungs- und Auswertungsinstrumenten wurde auch bei der
Festlegung von Beurteilungskriterien darauf geachtet, verschiedene Ebenen in diesen Prozess
einzubeziehen. So ist das angewandte System der Beurteilung aus drei „Richtungen“ entstanden.
a) Bei der präadaptiven Vorgehensweise (vgl. Grohmann 1997: 202) werden vor der Erhebung bereits bestimmte Urteils-Kriterien festgelegt, die sich auch im Design der Erhebungsinstrumente wiederfinden. Diese Urteilskriterien ergeben sich in der vorliegenden Untersuchung in erster Linie aus den expliziten und impliziten Programmzielen und derjenigen der
einzelnen Förderschwerpunkte, zu denen Aussagen erarbeitet werden sollten.
Die Schwierigkeit dabei ist – nicht nur bei der Evaluation dieses Programms – die wenig
konkrete Ausformulierung der „weichen“ Ziele des Programms und auch der einzelnen Förderschwerpunkte (vgl. Kap. IV B 5.1.3, IV C 7.).
„Die Begleitforschung hat sich in der Praxis jedoch nicht nur damit auseinander zu setzen,
dass die Ziele eines Modellprojektes selten klar und eindeutig formuliert sind, und dass entsprechend keineswegs immer gewährleistet ist, dass nicht einzelne Teilziele in Widerspruch
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
16
zueinander geraten. Hinzu kommt, dass die explizit formulierten Ziele selten die einzigen
sind, die im Rahmen eines Modellprojektes verfolgt werden: Sie werden oftmals ergänzt und
überlagert durch verdeckte Ziele, d.h. durch solche Ziele, die zwar faktisch verfolgt, aber
nirgends als solche deklariert werden.“ (Häußler u.a. in: Dietzel/Troschke 1988: 49)
Diesen Weg allein zu wählen wäre also nicht unproblematisch gewesen, da zunächst entsprechende Interpretationsleistungen dieser „weichen“ Programmziele vollbracht werden müssen,
die mitunter von der eigentlichen Projektpraxis und den dort zu leistenden Aufgaben/Anforderungen weit entfernt sind. Diese „Messlatte“ allein wäre demnach zu hoch und
zu unspezifisch gewesen. So wurden Beurteilungskriterien aus dem Rahmenauftrag des Programms und aus der Projektpraxis zunächst auf der Grundlage der beschriebenen Schlüsselkategorien sowie aus zentralen, explizit formulierten Begriffen (Partizipation, Gemeinwesenorientierung/Intergenerativität und Nachhaltigkeit) operationalisiert.
Da sich weiterhin konkrete „Erfolgsindikatoren“ aus Sicht der Projekte kaum ableiten ließen,
bzw. diese den eigentlichen Arbeitsaufgaben, den lokalen Bedarfen etc. nicht automatisch
gerecht werden, wurde zusätzlich ein weiterer Weg der Bildung von Urteilskriterien gewählt:
b) Bei der interpretativen Vorgehensweise (Grohmann 1997: 202) werden die Kriterien quasi
aus dem empirischen Material hergeleitet. Diese werden aus den Schnittmengen der Aussagen der Befragten sowie aus dem eigentlichen Prozess der Beurteilung selbst „evoziert“. Auf
diese Weise können bspw. Definitionen von gelungener Projektumsetzung der Projektmitarbeiter/innen selbst oder aber Schilderungen über konkrete Einsatzverläufe dazu herangezogen
werden, Strategien oder Ansätze nachzuvollziehen, die eine geglückte Umsetzung und eine
mögliche Weiterführung des Einsatzes nahe legen. Als Schlüsselprinzip dieser Verfahrensweise kann – auch wenn es zunächst trivial klingt – das Plausibilitätsprinzip benannt werden.
Auf diese Weise können extrinsische3, also (z.B. in der Perspektive externer Akteure) wahrnehmbare Dimensionen wie auch intrinsische Dimensionen, also der logischen Konsistenz
von Projektansätzen, Methoden, Ansprachestrategien etc. auf ihre Stimmigkeit hin hinterfragt
und aus dieser heraus Beurteilungskriterien gewonnen werden.
c) Zusätzlich zu diesen beiden Verfahren der Herleitung werden als dritte Säule der Beurteilung Maßstäbe angelegt, die auf allgemein anerkannten bzw. in entsprechenden Fachkreisen
entwickelten Standards beruhen. So wurden z.B. die Standards für Maßnahmen der politischen Bildung, der Netzwerkarbeit und der Beratungsarbeit insbesondere an das Rollenverständnis der Mitarbeiter/innen sowie an methodische Vorgehensweisen und die allgemeine
„Fachlichkeit“ der Projekte angelegt.
Es geht in diesem Beurteilungssystem also darum, die Qualität der Arbeit, auch unabhängig
von definierbaren Erfolgen oder Misserfolgen zu beurteilen. Allein durch den Einbezug dieses Referenzsystems kann eine Einschätzung erfolgen, die über den unmittelbaren Projektauftrag hinaus ethische bzw. normative Dimensionen in die Evaluation einfließen lässt.
3
Die Termini „extrinsisch“ und „intrinsisch“ in Bezug auf eine methodische Vorgehensweise geht auf
eine Unterscheidung von Evaluationsverfahren zurück, die von Scrivens (1967) zur Beurteilung von
Curricular getroffen wurde.
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
17
„Der Erfolg und der Wert sozialpädagogischer Prozesse ist nicht ausschließlich an deren Resultaten erweisbar, sondern die Beschaffenheit und die Güte, also die Qualität des gesamten
‚Herstellungsprozesses’ muss in dem Prozess eine Rolle spielen: Die Handlungs- und
Interaktionsformen, durch die Wirkungen erzielt werden sollen und tatsächlich hergestellt
werden, sind erstens aus normativ-ethischen, zweitens aus empirischen und drittens aus
organisatorischen Gründen für die Evaluation pädagogischen Handelns von Bedeutung.“
(Grohmann, 1997: 232)
Insbesondere der von Grohmann unterschiedenen normativen Qualität der Handlungen und
Prozesse sowie der Qualität der Verfahren wird bei der Beurteilung in dieser Evaluation entsprechendes Gewicht zugewiesen.
Das Ziel der Evaluation in diesem Abschnitt besteht – wie der Weg zur Gewinnung der Aussagen – demnach nicht unbedingt darin, allgemeine Erfolge eines Förderschwerpunktes über
deren „Effekte“ oder Wirkungen zu benennen. Vielmehr geht es darum, die Stimmigkeit der
Konstruktion der von CIVITAS geförderten Strukturprojektgruppen in verschiedenen Konstellationen von lokalen Rahmenbedingungen, allgemeinen Aufträgen, Projektansätzen, angewandten Methoden, Rollenverständnissen zu beschreiben und abschließend zu beurteilen.
Nicht die Ergebnisqualität ist in diesem Teil der Evaluation demnach von besonderem Interesse, sondern die Prozessqualität der Projektarbeit und deren Rahmung.
Die Schlüsselkategorien „Sensibilisieren“, „Befähigen“, „Aktivieren/Mobilisieren“ und
„Vernetzen“ – wie oben dargestellt - beziehen sich demnach nicht nur auf die vier Tätigkeiten als solche, in der sich die Projektarbeit abbildet. Es sind ihnen darüber hinaus Kriterien
inhärent, die die Art und Weise der Umsetzung dieser Tätigkeiten in den Mittelpunkt der
Analyse rücken. Ausgehend von den Zielstellungen des CIVITAS-Programms also den Inhalten der Arbeit und deren Operationalisierung durch die Projekte, sind vor allem die Mittel
von Interesse, die zur Erreichung dieser Ziele von den Projekten gewählt und eingesetzt werden. In der Analyse geht es demnach vor allem um die Darstellung und Bewertung des Verhältnisses bzw. die interne Konsistenz von Inhalten und Formen.
Setzt man den Anspruch der Entwicklung und Stärkung demokratischer (Aus-)Handlungsformen und -kompetenzen, also die „Demokratisierung“ im weitesten Sinne als allgemeinste
Zielstellung des Programms fest, können dieser bestimmte Kriterien in Bezug auf die Inhalte,
die Formen (der Vermittlung von Inhalten und Einbindung von Zielgruppen) sowie der
„Expressivität“, also der gewählten Ausdrucks- und Umgangsformen zugewiesen werden,
anhand derer sich die Umsetzung der Projektarbeit einschätzen lässt:
Operationalisierte Ziele und Inhalte der Interventionen:
•
Selbstbestimmung und Emanzipation stärken
•
politische Mündigkeit/Demokratiefähigkeit stärken
•
Eigenkompetenzen stärken
•
Schutz von Bürgerrechten gewährleisten
•
Pluralität von Meinungen fördern
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
•
18
Toleranz fördern – Unterschiedlichkeit aushalten und anerkennen (Frustrationstoleranz und Ambiguitätstoleranz ausbauen)
Für die gestellten Ziele sind – ausgehend von den expliziten Ansprüchen des CIVITASProgramms - bei der Umsetzung durch die Projekte insbesondere drei Begriffe zentral, die als
Wertedimensionen in die Beurteilungskriterien eingeflossen sind:
Partizipation (Beteiligungsorientierung) der Akteure sollte in allen Prozessen gewährleistet
sein. Partizipation zeigt sich in der konsequenten Beteiligung von allen Beteiligten an Planung, Durchführung und Nachbereitung von Maßnahmen. Darüber hinaus umschreibt der
Begriff vor allem die Gleichberechtigung aller Akteure in sämtlichen Prozessen. Schließlich
kann Partizipation auch als Methode verstanden werden, bei der gleichberechtigter Einbezug
nicht nur der Personen, sondern auch deren Relevanzsysteme, Problemdefinitionen und Lösungsansätze zuungunsten einer Überbetonung externer Fremdbestimmung gewährleistet
bleibt.
Die zweite zentrale Dimension bezeichnet die Gemeinwesenorientierung. Methoden und
Ansätze werden so gewählt, dass die Zugänge für unterschiedlichste Akteursgruppen gewahrt
bleiben bzw. ermöglicht werden. Eben dieses Prinzip wird angewandt auf ein definiertes soziales Gefüge: Idealerweise werden Interventionen a) grundsätzlich unter Beteiligung verschiedenerer gesellschaftlicher Gruppen geplant und durchgeführt, sie sollten demnach b)
nicht exklusiv, sondern offen und flach hierarchisiert angelegt sein.
„Denn ‚zivile Assoziationen’ haben immer auch eine mehr oder minder ausgeprägte Exklusivität und kennen mehr oder weniger sichtbare soziale Schließungsmechanismen, so dass die
denkbare Vertrauensbildung innerhalb einer Assoziation außerhalb derselben zu Misstrauen
führen kann.“ (Braun 2003: 16).
Schließlich ist Nachhaltigkeit ebenfalls eine Kategorie der Prozessqualität, die bereits in der
Anlage von Auseinandersetzungsprozessen und Maßnahmen berücksichtigt sein sollte. D.h.
Interventionen sind in dem Fall als „gelungen“ zu bewerten, wenn sie intendiert auf Zeiträume über die aktuelle Situation hinaus wirken, bzw. Elemente beinhalten, die auf ein gemeinsam definiertes Ziel bzw. Zustand hinwirken, der dann wiederum durch ebenfalls vorgesehenen Elemente dieser Maßnahme dauerhaft erhalten werden müsste. Zu nennen wäre hier
sicherlich noch der Multiplikationsaspekt als ein mögliches Nachhaltigkeits-Prinzip; also
Interventionen, die sich nicht ausschließlich an Konsumenten richten, sondern diese so einbeziehen, dass sie den angestoßenen Prozess weitertragen können. Schließlich ist perspektivisch
die Verselbständigung von Strukturen und Prozessen (Kooperationen, Interaktionszusammenhänge etc.) ebenso in der Anlage der Interventionen zu berücksichtigen.
Um die in diesen drei Dimensionen einliegenden Ansprüche adäquat umsetzen zu können,
bedarf es bestimmter Formen der Einbindung und Vermittlung:
„Die Unterrichtsinhalte und die Unterrichtsformen der politischen Bildung sollten mit den
Intentionen und Qualifikationszielen des so definierten Demokratie-Lernens konform gehen.“
(Himmelmann 2001: 16)
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
19
Organisationsprinzipien:
•
Freiwilligkeit der Akteure beachten
•
Zweckorientierung (Utilitarismus-Prinzip) beachten
•
Selbstorganisation befördern
•
Engagement ermöglichen, nicht erzwingen
•
Offenheit gegenüber allen Interessierten bzw. Zielgruppen
Beratungsprinzipien und Formen der Vermittlung:
•
„Hilfe zur Selbsthilfe“ als methodisches Prinzip verkörpern
•
Vorhandene Potentiale sichtbar und nutzbar machen (Ressourcenorientierung)
•
„Überrumpelungsverbot“ und Kontroversitätsgebot beachten, Analyse- und Engagementfähigkeit stärken (zum Beutelsbacher Konsens vgl. Schiele/Schneider 1977)
•
auf die Selbstbestimmung und Persönlichkeitsrechte aller Akteure achten
Die Projektmitarbeiter/innen haben im Rahmen ihrer Aufträge eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Die Wahl der Ausdrucks- und Umgangsformen sind dabei entscheidend für die Authentizität der Inhalte und die Akzeptanz der Formen. „Lernen durch ‚normativen Appell’ oder
durch Lektüre theoretischer Texte kann Lernen durch ‚praktische Erfahrung’, Lernen in
‚konkreter Situation’ und Lernen am ‚Modell’ nicht ersetzen.“ (Himmelmann 2001:8)
Die „Expressivitätskriterien“ werden in allen direkten oder indirekten Interaktionen der Projekte bzw. der Projektmitarbeiter/innen relevant, sind diese nicht adäquat zu den artikulierten
Zielen bzw. angebotenen Werthaltungen, ist auch die Glaubwürdigkeit dieser Ansätze und
damit deren Authentizität in Frage zu stellen.
Rollenverständnis/“Haltungsprinzipien“
•
Klientenorientierung konsequent wahren
•
Gleiche Distanz zu allen Akteuren wahren, Empathiefähigkeit
•
Zivile Formen der Austragung von Konflikten wählen
•
Selbstreflexivität und Bewusstsein über die eigene Vorbildfunktion
•
Flexibilität und auf den Einzelfall angemessene Reaktionsweisen
Diskurs-/Interaktionsprinzipien:
•
Achtung der Meinungspluralität, gegenseitiger Respekt und Wertschätzung von Engagement
•
Vertrauensschutz gegenüber allen Akteuren
•
offener Umgang mit Differenzen jeder Art
•
Eine angemessene Gesprächskultur wahren, die Integration vielfältiger Werthaltungen ermöglicht und Ausgrenzung vermeidet
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
20
Im Folgenden werden die verwendeten Begriffe zur Beschreibung und Differenzierung der
verschiedenen Projektarten und Programmebenen genannt und zugleich die für die Anonymisierung verwandten Codes vorgestellt.
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
21
4 Begriffs- und Zeichenerklärung
Gruppe
Bezeichnung
Anonymisierung
Ministerium, Leitung der beteiligten Stiftungen und
Mitglieder des Programm-Beirates
Programmentscheidende
Ministerium/Stiftungen: a1
Beirat:
a3
Programmumsetzende
Servicestelle
Koordinator/innen:
Mitarbeiterinnen der Servicestelle und Koordinator/innen
Projekte und deren Mitarbeiter/innen der Förderschwerpunkte:
2.1 (Mobile Beratungsteams),
2.2 (Beratung von Opfern rechtsextremer Straf- und
Gewalttaten),
2.3.3 (Vernetzung des zivilgesellschaftlichen Engagements im Gemeinwesen zur Bekämpfung von
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus)
Projekte und deren Mitarbeiter/innen der Förderschwerpunkte:
2.3.1 (Austausch und Vermittlung von Erfahrungen),
2.3.2 (Stärkung einer demokratischen, gemeinwesenorientierten Gesamtkultur) und
2.4 (überregionale Modellprojekte)
Personen, die in den Sozialräumen agieren, auf die
sich die Arbeit der CIVITAS-Projekte bezieht
(unter diese Bezeichnung fallen allgemein professionelle Mitarbeiter/innen z.B. von Jugendeinrichtungen,
Verwaltungen, Schulen und ehrenamtliche Akteure,
z.B. engagierte Privatpersonen oder engagierte Jugendliche)
Personen, die über Fachwissen bezogen auf eine
Strukturprojekt-Gruppe und/oder auf einen bestimmten Sozialraum/Region und/oder auf (sozialpädagogische) Interventionsansätze verfügen
a2
a4
b-MBT
Strukturprojekte
b-OBS
b-NWS
Kleinprojekte
Externe Akteure und
Kooperationspartner
z.B.: c-OBS 5 Koop 4
Externe Experten
c-ext. Experten
Leitung
Fallvergleich/ Kleinteamvergleich
Folgeinterview
Gruppendiskussion
z.B.: b-MBT IV L
z.B.: b-NWS A oder
b-OBS B
z.B.: b-NWS 24 F 1
z.B.: b-MBT II L, GD 1
Weitere Codes:
Teamstrukturen der Projekte
Mitarbeiter/innen der Strukturprojekte bei den Fallvergleichen
Mehrere Interviewzeitpunkte mit einem Projekt
Verwandte Methode
CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen
22
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
III Statistisch-deskriptiver Überblick über
Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
1
23
die
Statistisch-deskriptiver Überblick zu den im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekten .................................................................................................... 24
1.1
Einleitung ................................................................................................................... 24
1.2
Die Träger der Projekte .............................................................................................. 25
1.3
Die regionale Verteilung der Projekte........................................................................ 25
1.4
Die Laufzeiten der Projekte........................................................................................ 30
1.5
Zielgruppen der Projekte............................................................................................ 31
1.5.1 Altersstruktur der Projektteilnehmer/innen ................................................................ 31
1.5.2 Besondere Zielgruppen .............................................................................................. 31
1.5.3 Zuordnung nach Schultypen....................................................................................... 32
1
1.6
Geförderte Projektformate und Projekttypen ............................................................. 33
1.7
Geförderte Methodenansätze...................................................................................... 34
1.8
Zusammenfassende Bewertung der Förderpraxis im Bereich der zivilgesellschaftlichen Projekte ........................................................................................................... 36
Statistisch-deskriptiver Überblick zu den Strukturprojekten und ihren Trägern
(von Helmut Tausendteufel) ........................................................................................... 40
2.1
Einleitung ................................................................................................................... 40
2.2
Die Träger der Strukturprojekte ................................................................................. 41
2.3
Ressourcen, die durch den Träger zur Verfügung gestellt werden ............................ 46
2.4
Zielgruppen und Methoden der Projekte.................................................................... 49
2.5
Lokale Rahmenbedingungen...................................................................................... 54
2.6
Tätigkeitsbereiche und damit verbundene Vorstellungen von Erfolg und Erfolgskriterien ...................................................................................................................... 58
2.7
Fazit............................................................................................................................ 62
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
24
1 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den im Jahre
2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekten1
1.1 Einleitung
Neben den Strukturprojekten Mobile Beratungsteams, Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen wurden im Jahre 2002 durch das CIVITAS-Programm 394 kleinere Projekte gefördert.
Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des CIVITAS-Programms war es daher notwendig, neben einer Beschreibung und Analyse der Arbeitsweise der Strukturprojekte einen
Überblick über die Projektlandschaft des CIVITAS-Programms außerhalb der großen Förderschwerpunkte zu erhalten.
Erkenntnisleitendes Interesse bei der Auswertung war die Frage, wie die in den Leitlinien für
das Jahr 2002 festgelegten Grundsätze des CIVITAS-Programms sich in der Förderpraxis der
Projekte mit den Schwerpunkten 1.2.3.1 „Austausch und Vermittlung von Erfahrungen“ (194
geförderte Projekte), 1.2.3.2 „Stärkung einer demokratischen, gemeinwesenorientierten Gesamtkultur“ (162 geförderte Projekte) und 1.2.4 „Förderung überregionaler Modellprojekte“
(38 geförderte Projekte) auswirkten.
Untersucht wurden neben der Trägerstruktur die Projektlaufzeiten und die Zielgruppenstruktur der geförderten Projekte. Außerdem wird ein Überblick über die quantitative Verteilung
von Projektformaten, Projekttypen und den methodischen Ansätzen, nach denen die geförderten Projekte angelegt sind, gegeben. Abschließend erfolgt auf dieser Basis eine Einschätzung der Förderpraxis des CIVITAS-Programms für das Jahr 2002 im Bereich der zivilgesellschaftlichen Projekte.
Um die Förderpraxis im Rahmen des CIVITAS-Programms angemessen einschätzen zu können, liegt es nahe, die durch CIVITAS geförderte Projektlandschaft nicht isoliert zu betrachten. Daher wurde, wo dies sinnvoll war, eine Annäherung an die von der wissenschaftlichen
Begleitung des entimon-Programms verwendeten Kategoriebildungen angestrebt, um einen
Vergleich zur Förderpraxis bei entimon zu ermöglichen.
Der folgende Überblick basiert auf einer Sekundäranalyse der von der Servicestelle des CIVITAS-Programms angelegten und zur Verfügung gestellten Projekt-Datenbank. Da ein Vergleich mit entimon beabsichtigt war und die vorliegende CIVITAS-Projektdatenbank zum
Teil bei einer ganzen Reihe von Kategorien (beispielsweise bei den Altersgruppendefinitionen sowie der Einteilung in unterschiedliche Projekttypen und Projektansätze) von der im
Rahmen der Auswertung des entimon-Programms erstellten Datenbank erheblich abwich,
war eine Umorganisation des Datenbestands der CIVITAS-Projektdatenbank nötig. In diese
wurden diejenigen Datensätze einbezogen, die Informationen zu den im Jahr 2002 im Rahmen des CIVITAS-Programms geförderten Projekten der Schwerpunkte „Austausch und
Vermittlung von Erfahrungen“ (1.2.3.1), „Stärkung einer demokratischen, gemeinwesensorientierten Gesamtkultur“ (1.2.3.2) und „Förderung überregionaler Modellprojekte“ (1.2.4)
enthalten.
1
Für den statistisch-deskriptiven Überblick diente eine Datenbankauswertung von Dennis Riffel als
Grundlage.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
25
Nach eingehender Durchsicht des vorhandenen Datenbestands wurde für einige Teilbereiche
der Datenbank ein neues Kategorienraster festgelegt. Wo dies möglich und sinnvoll war,
geschah dies in Anlehnung an die Kategorien bei entimon. Besonders hilfreich waren dabei
die von der Servicestelle angelegten Memofelder „Zielgruppen“ „Projektbeschreibung“ und
„Ablehnungsgrund“, da diese Felder längere Projekt- und Zielgruppenbeschreibungen aus
den Anträgen sowie eine Gesamteinschätzung des zu beurteilenden Projekts enthalten. Aufgrund dieser Memos war es möglich, neue Felder anzulegen und abzufragen. Die neuen Felder wurden mit Hilfe des Beschreibungsmoduls von Microsoft Access ausführlich dokumentiert.
Durch die Auswertung der modifizierten CIVITAS-Projektdatenbank kann zwar die Förderpraxis im Rahmen des CIVITAS-Programms beschrieben werden, zur praktischen Arbeit auf
der Projektebene sind jedoch keine Aussagen möglich, da die Informationen in der Datenbank lediglich auf den Absichtserklärungen der Antragstellenden beruhen und vor Projektbeginn eingereicht wurden. Ob die Maßnahme tatsächlich so stattfand, z. B. ob die vom Antragsteller anvisierte Zielgruppe überhaupt erreicht wurde, ließe sich methodisch nicht mit
einer Datenbankanalyse, sondern zum Beispiel mit Interviews vor Ort klären.
1.2 Die Träger der Projekte
Von den insgesamt 369 freien Trägern, die im Jahr 2002 Projekte im Rahmen von CIVITAS
durchführten, waren 75% Vereine, Initiativen oder Arbeitskreise, 7% regionale oder überregionale Verbände, außerdem zu geringeren Teilen Kirchengemeinden und jüdische Gemeinden, Stiftungen und andere freie Träger. Bei entimon lag dagegen der Anteil von Vereinen
und Initiativen nur bei 56%, während der Anteil von regionalen und überregionalen Verbänden mit 20% deutlich höher war als beim CIVITAS-Programm. Während im Falle der im
Rahmen von entimon geförderten Projekte im Jahr 2002 14% von öffentlichen Institutionen
wie zum Beispiel Jugendämtern, Stadtverwaltungen oder Schulen getragen wurden, waren
bei CIVITAS nur 6% der Projektveranstalter öffentliche Träger.
1.3 Die regionale Verteilung der Projekte
Auf der Basis der Angaben der Datenbank wurde eine Kartierung der Projektlandschaft nach
Förderschwerpunkten und Fördersummen durchgeführt (vgl. Karten 1-5). Dabei wurden nur
die fünf Flächenländer berücksichtigt, da wegen der Vielzahl der in Berlin geförderten Projekte eine Kartierung nicht möglich war. Es muß darauf hingewiesen werden, dass die in der
Kartierung enthaltene regionale Verteilung auf der Basis der in der Projektdatenbank enthaltenen Angaben zu den Trägerstandorten bzw. den Orten der Antragstellung erstellt wurde und
nicht die Projektorte wiedergibt, die aus der Datenbank nicht erhoben werden konnten. Die
Karten zeigen daher kein realistisches Abbild der Projektlandschaft. Trotzdem werden zumindest Trends sichtbar. Die Auswertung ergibt eine deutliche Konzentration der geförderten
Projekte auf die Städte, insbesondere auf die Großstädte bzw. Metropolen. Es sieht so aus, als
sei in bestimmten städtisch verdichteten Regionen (Berlin, Großraum Dresden, Großraum
Leipzig) die Förderung besonders dicht gewesen. Soweit aus der begrenzten Datenlage ersichtlich, waren in den Städten in der Regel auch die Projekte mit hohen Fördersummen konzentriert. In ländlichen Gebieten scheinen dagegen meist nur wenige Projekte angesiedelt
gewesen zu sein. In bestimmten ländlich strukturierten Regionen (zum Beispiel südliches
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
26
Mecklenburg-Vorpommern und nördliches Sachsen-Anhalt) war eine nennenswerte Projektförderung anscheinend weitgehend nicht vorhanden.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
27
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
28
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
29
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
30
1.4 Die Laufzeiten der Projekte
Betrachtet man die Laufzeiten der 394 im Jahr 2002 geförderten Projekte aus den Programmschwerpunkten 1.2.3.1, 1.2.3.2 und 1.2.4 , so bietet sich folgendes Bild:
Tabelle 1: Die Laufzeiten der im Jahr 2002
geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte
Laufzeiten
Anzahl der
Projekte
bis zu 14 Tagen
31 (8%)
von 2 Wochen bis zu 2 Monaten
85 (22%)
von 2 bis 4 Monaten
103 (26%)
von 4 bis 6 Monaten
47 (12%)
von 6 bis 8 Monaten
43 (11%)
von 8 bis 12 Monaten
38 (10%)
1 bis 2 Jahre
28 (7%)
über 2 Jahre
19 (5%)
Auffällig ist die hohe Anzahl kurzzeitiger Projekte. 8% der Projekte hatten eine Laufzeit von
maximal 14 Tagen. Der überwiegende Teil dieser kurzfristigen Maßnahmen waren Aktionstage und interkulturelle Feste, die häufig nur ein Wochenende lang stattfanden. Sehr groß war
auch die Anzahl der Projekte mit einer Laufzeit zwischen zwei Wochen und vier Monaten.
Dies wird besonders deutlich, wenn man die Laufzeiten der im Jahr 2002 geförderten CIVITAS-Projekte mit denen des Programms entimon vergleicht. Während die im Rahmen des
entimon-Programms geförderten Projekte mit einer Laufzeit von bis zu zwei Monaten nur 9%
der insgesamt von entimon geförderten Projekte ausmachen (vgl. Brüggemann/Klingelhöfer
2002: 21), sind es bei den CIVITAS-Projekten 30%. Betrachtet man die Zahl der geförderten
Projekte mit einer Laufzeit von unter einem halben Jahr bei beiden Programmen, so ergibt
sich für das Programm entimon ein Anteil von 52%, während beim Programm CIVITAS 68%
der geförderten Projekte nach einem halben Jahr endeten.
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1.5 Zielgruppen der Projekte
1.5.1 Altersstruktur der Projektteilnehmer/innen2
Betrachtet man zunächst die Projekte, die sich ausschließlich an Kinder, Jugendliche und
junge Erwachsene richteten, so erhält man folgende Zahlen:
Tabelle 2: Die Altersgruppenverteilung der im
Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen
Projekte
Altersgruppen
Anzahl
Kinder bis 12 Jahre
4
Jugendliche bis 18 Jahre
80
Junge Erwachsene ab 18 bis 27
1
Kinder und Jugendliche
23
Jugendliche und junge Erwachsene
75
Demnach richteten sich die Hälfte der auswertbaren Projekte nur an Personen unter 27 Jahren. Ausschließlich an die Zielgruppe der Erwachsenen richteten sich nur 8% der Projekte,
zumeist Lehrer- und Multiplikatorenfortbildungen. 31% der Projekte richteten sich an mehrere Altersgruppen, das heißt, nicht nur Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene, sondern
auch Erwachsene sollten an diesen Projekten beteiligt sein. 11% der Projekte wollten explizit
alle Altersgruppen ansprechen, sozusagen Projekte für die ganze Familie einschließlich der
Generation der über 60-Jährigen. Ein Großteil dieser Projekte waren Stadtteil- und Begegnungsfeste, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie den generationenübergreifenden Anspruch auch tatsächlich erfüllten.
1.5.2 Besondere Zielgruppen
Neben den bereits genannten Gruppen werden im Bestand der CIVITAS-Datenbank noch
weitere Gruppen genannt, die es zu erwähnen gilt. Sowohl das Programm entimon als auch
das CIVITAS-Programm heben in den Leitlinien die Bedeutung von Multiplikator/innen als
Zielgruppe der zu fördernden Projekte hervor (vgl. Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 7; CIVITAS-Leitlinien 2002: 7). Daher erschien es notwendig, auch diese Zielgruppe zahlenmäßig
zu erfassen. Dies ist nicht unproblematisch, da in den Textfeldern vermutlich häufig der Begriff „Multiplikator/innen“ nicht fällt, obwohl die zu beschreibende Maßnahme unter anderem
auch für diese Zielgruppe interessant wäre. Dies ist beispielsweise mit einiger Sicherheit bei
vielen Veranstaltungen im Bereich der politischen Bildung der Fall, aber auch kultur- oder
2
Zum Zweck der besseren Vergleichbarkeit wurde für die Auswertung der CIVITASProjektdatenbank die Altersgruppeneinteilung übernommen, die auch bei der statistischen Auswertung
des Programms entimon verwendet wurde. Da das Memofeld „Zielgruppe“ in 26 Fällen nicht
ausgefüllt war, konnte nur für 368 von 394 Projekten zur Alters- und Zielgruppenstruktur eine Aussage
gemacht werden.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
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medienpädagogische Projekte können Multiplikator/innen ansprechen. Die ermittelte Zahl
von zehn Peerleadern (die wissenschaftliche Begleitung des entimon-Programms nennt sie
jugendliche Multiplikator/innen) erscheint deutlich zu niedrig, selbst dann, wenn man die
ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen, die in 22 Fällen als Zielgruppe erwähnt werden, komplett
zu Peerleadern stempeln würde. Weitaus besser sieht es im Bereich der erwachsenen Multiplikator/innen aus, die von immerhin 17% der auswertbaren Projekte als Zielgruppe erwähnt
wurden. Zu erwähnen ist außerdem noch die 52mal (von 14% der auswertbaren Projekte)
genannte Gruppe der Lehrer/innen, die als eine Untergruppe der Multiplikator/innen gelten
kann, jedoch aufgrund der bei den Zielgruppen möglichen Mehrfachnennungen nicht einfach
zu den „Multiplikator/innen“ addiert werden kann. Dagegen wurden Eltern als Zielgruppe
deutlich seltener in den Anträgen berücksichtigt. Nur 22 Antragsteller/innen (6%), deren
Projekte bewilligt wurden, gaben Eltern als Zielgruppe an.
Eine weitere wichtige Zielgruppe für ein Programm, das den Aufbau demokratischer und
zivilgesellschaftlicher Strukturen fördern will, sind lokale Verantwortungsträger, zum Beispiel Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, Justizvollzugsbeamte und Polizisten. Die von CIVITAS geförderten Projekte, die sich an diese Gruppe richteten (7%), waren zumeist spezielle
Fortbildungsveranstaltungen und Gesprächsrunden im Rahmen von lokalen Aktionsplänen
und Strukturverbesserungsmaßnahmen.
Eine Gruppe, die noch in den 1990er Jahre im Mittelpunkt der Aktivitäten gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit stand, waren rechtsextreme und gewaltbereite Jugendliche selbst. Im Programm CIVITAS waren die als „rechtsextrem gefährdet“ bezeichneten
Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Jahre 2002 mit einem Anteil von 4% unter den
Zielgruppen vertreten. Jugendliche Arbeitslose sollten in drei Projekten angesprochen werden.
1.5.3 Zuordnung nach Schultypen
Da ein großer Teil der untersuchten Projekte auf Jugendliche und junge Erwachsene ausgerichtet war, liegt eine Einteilung nach Schultypen nahe. In diesem Fall waren Mehrfachnennungen möglich. Häufig wurde im Memofeld „Zielgruppe“ jedoch lediglich die Bezeichnung
„Schüler“ verwendet, ohne näher auf einen Schultyp einzugehen. Dennoch sind einige
Schlussfolgerungen möglich. 43 Projekte richteten sich hauptsächlich an Schüler/innen aus
Realschulen und Gymnasien, während zwei Projekte ausschließlich für Schüler/innen der
gymnasialen Oberstufe gedacht waren. Es bleibt zu vermuten, dass der Anteil von Schüler/innen weiterführender Schulen, die an CIVITAS-Projekten teilnahmen, noch sehr viel
höher liegen dürfte. Immerhin zogen insgesamt 15 Projekte ausdrücklich auch Hauptschüler/innen als Zielgruppe in Betracht, wobei sich allerdings kein Projekt nur mit dieser Zielgruppe beschäftigte. An sechs Gesamtschulen sollen im Jahr 2002 schulnahe Projekte im
Rahmen des CIVITAS-Programm stattgefunden haben, an fünf weiteren Projekten waren
Schüler/innen von Gesamtschulen mitbeteiligt. Vier Antragsteller/innen gaben an, Förderschüler/innen ausdrücklich an ihren Projekten teilhaben zu lassen, ein schulnahes Projekt
findet an einer Förderschule statt. Lediglich 11 Projekte widmeten sich laut Datenbank spezifisch Auszubildenden und Berufsschülern, 25 Projekte nannten neben Schüler/innen anderer
Schultypen auch Auszubildende und Berufsschüler/innen.
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1.6 Geförderte Projektformate und Projekttypen
In den Leitlinien des CIVITAS-Programms für das Jahr 2002 werden sechs Förderbereiche
genannt, von denen drei Förderbereiche 1.2.3.1 „Austausch und Vermittlung von Erfahrungen“, 1.2.3.2 „Stärkung einer demokratischen gemeinwesenorientierten Gesamtkultur“ und
1.2.4 „Förderung überregionaler Modellprojekte“ hier näher untersucht werden. Die Einteilung in diese drei Förderbereiche musste im Rahmen der wissenschaftlichen Analyse der
Projektlandschaft weiter verfeinert werden.3 Aus der Analyse ergibt sich folgende Verteilung
der Formate:
Tabelle 3: Projektformate der im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte
Projektformat
Kreativprojekte (kultur- und medienpädagogische Projekte, in denen es um die Vermittlung von Fertigkeiten und um Erfahrungslernen geht)
Anzahl
107
(28%)
Begegnung (voneinander lernen, Erfahrungslernen)
95 (25%)
Unterrichtung (Wissensvermittlung kognitiv verarbeitbarer Informationen, direkte
Instruktion)
65 (17%)
Strukturverbesserung (Optimierung von Rahmenbedingungen lebensweltlicher Erfahrung)
36 (9%)
Training (Simulation realen Alltagsgeschehens, laborähnlich, Teilnehmer als Handelnde)
30 (8%)
Recherche (Sachverhalte durch eigene Forschung in Erfahrung bringen)
31 (8%)
Einzelansprache (Rezeption von Angeboten, die der Einzelne individuell ohne Gruppenkontext nutzen kann)
11 (3%)
Produktion von Arbeitshilfen (Herstellung zum Beispiel von pädagogischen Leitfäden
und Handbüchern)
8 (2%)
Aufsuchende Arbeit (Arbeit mit rechtsextrem gefährdeten Jugendlichen als eigene
Gruppe, Begegnungen zwischen rechtsextrem gefährdeten Jugendlichen und beispielsweise jugendlichen Migrant/innen werden unter dem Format Begegnung erfasst)
4 (1%)
Es fällt sofort der große Anteil von interkulturellen Begegnungsprojekten und Kreativprojekten auf. Unter den Kreativprojekten gab es sehr viele theaterpädagogische Maßnahmen,
3
Die wissenschaftliche Begleitung des entimon-Programms sieht hierfür eine Einteilung in
Projekttypen vor und versteht darunter die „äußere Struktur und Form eines Projekts“
(Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 22). Diese Typenbildung wird für die Auswertung der CIVITASProjektdatenbank mit einigen sinnvollen Änderungen übernommen. Dabei tritt jedoch das Problem
auf, dass die Projekttypen, die im Rahmen der Auswertung des entimon-Programms Anwendung
gefunden haben, bereits sehr speziell sind. Dadurch ist es nicht möglich, die Projekte eindeutig einem
Projekttyp zuzuordnen. Mehrfachnennungen aber erschweren statistische Aussagen grundsätzlich.
Deshalb führt die wissenschaftliche Begleitforschung zur Analyse der CIVITAS-Projektdatenbank die
Einteilung in Formate ein, die von Möller entwickelt wurde (Möller 2002: 54-57). Die Kategorie
Formate lässt sich als Oberbegriff zu den Projekttypen verstehen und bietet dadurch die Möglichkeit,
Projekte eindeutig zuzuordnen und somit Mehrfachnennungen zu vermeiden. In sieben der 394 Fälle
war keine Aussage zum Projektformat möglich, da die Beschreibungsfelder unvollständig oder gar
nicht ausgefüllt waren.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
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außerdem Film-, Video-, Internetworkshops, Lesewettbewerbe, selbstorganisierte Kunstausstellungen zum Thema Rechtsextremismus und einen hohen Anteil an Grafittiprojekten.
Das Format interkulturelle Begegnung wird in beiden Programmleitlinien erwähnt. In den
Leitlinien des entimon-Programms werden Migrant/innen als Zielgruppe genannt, die CIVITAS-Leitlinien geben „Begegnungen bzw. Partnerschaften mit Asylbewerbern und Migrantengruppen“ als Beispiele für den Förderschwerpunkt „Austausch und Vermittlung von Erfahrungen“ (1.2.3.1) an (Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 7; CIVITAS-Leitlinien 2002: 8).
Für das CIVITAS-Programm ist zu sagen, dass etwas weniger als ein Drittel der Begegnungsprojekte Festivals und Aktionstage waren. In anderen Fällen fanden internationale oder
binationale Studienfahrten oder Camps statt.
Insgesamt etwa ein Drittel aller Projekte (n=126), und zwar die Formate Training, Unterrichtung und Recherche (Geschichtswerkstätten und historische Studien), sind dem Oberbegriff der politischen Bildung im weitesten Sinne zuzurechnen. Zwar ist der Anteil der entimon-Projekte, in denen politische Bildung vermittelt wird, vermutlich noch höher als bei
CIVITAS (genaue Aussagen sind hier aufgrund der Mehrfachnennungen bei entimon nicht
möglich), jedoch darf auch nicht übersehen werden, dass politische Bildung in den Leitlinien
2002 von entimon als einer von drei zentralen Förderschwerpunkten genannt wird, während
der Begriff der politischen Bildung explizit in den Leitlinien des CIVITAS-Programms nicht
vorkommt.
In Anbetracht der Zielstellung bei einem Programm, dass in erster Linie zivilgesellschaftliche
Strukturen in den neuen Bundesländern stärken will, scheint das Format Strukturverbesserung, dem sich nur 9% aller Projekte mit Priorität widmeten, im CIVITAS-Programm unterrepräsentiert.
1.7 Geförderte Methodenansätze
Um zu zeigen, welche unterschiedlichen sozialpädagogischen Methoden und Konzepte in den
Projekten Anwendung fanden, ist eine Einteilung nach methodischen Ansätzen, wie sie Möller vorschlägt (Möller 2002: 70-173) und wie sie auch in der Auswertung des entimon-Programms Anwendung gefunden hat, sinnvoll. Da die meisten Projekte nicht streng nach einer
einzigen Methode vorgingen, sondern versuchten, die Teilnehmer/innen auf mehreren Ebenen
anzusprechen und miteinzubeziehen, sind hier Mehrfachnennungen unvermeidlich. Die
quantitative Verteilung der Ansätze sieht wie folgt aus:
Tabelle 4: Methodenansätze der im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte
Ansatz/Methode
Beschreibung/Definition
Anzahl
Kulturpädagogischer Ansatz
Erfahrungslernen durch die Anwendung kulturpädagogischer Konzepte (Theater, Musik,
Kunst etc.)
109 (28%)
Interkulturelle Kompetenz
Vermittlung von Kompetenz im Umgang mit
kulturellen Unterschieden und Minderheiten
durch Begegnungs- und Erfahrungslernen
104 (27%)
Medienpädagogischer Ansatz
Erfahrungslernen durch die Anwendung medienpädagogischer Konzepte, besonders Internet, Video, Zeitungsgestaltung
98 (25%)
Bildungsorientierter Ansatz
Informations- und diskussionsorientierte An-
93 (24%)
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sätze
Geschichtsorientierter Ansatz
inhaltsbezogener Lerngegenstand: Geschichte
67 (17%)
Partizipationsförderung
Zwei Bereiche: Lebensweltpartizipation: Regelung der für die Teilnehmer/innen relevanten
lebensweltlichen Verhältnisse.
Systempartizipation: Beteiligung an politischen
Strukturen über lebensweltliche Verhältnisse
hinaus
47 (12%)
Friedens-, Demokratie- und
Menschenrechtserziehung
Umsetzung friedenspädagogischer Bildungskonzepte.
Wissensvermittlung und Diskussion in Bezug
auf soziale und politische Menschenrechte
39 (10%)
Stärkung und Vernetzung
Vernetzung und Stärkung zivilgesellschaftlicher
Strukturen
35 (9%)
Sport- und Erlebnispädagogischer Ansatz
Sport- und Erlebnispädagogik, die unmittelbare,
ganzheitliche und überschaubare Lernsituationen anbietet
29 (8%)
Antirassistischer Ansatz
Umsetzung von Konzepten zur Thematisierung
von Rassismen
27 (7%)
Gemeinwesenorientierter
Ansatz
Stadtteilbezogen, generationsübergreifend
Erstrebte Wirkung: integrations-, solidaritätsund identifikationsfördernd
25 (6%)
Gewaltfreie Konfliktlösung
Deeskalation/Mediation, Ansatz, der sowohl
konfliktverhindernd bzw. -vorbeugend als auch
konfliktlösend wirken will.
16 (4%)
Geschlechtsspezifischer
Ansatz
geschlechtsreflektierend
3 (0,8%)
Bei einem Vergleich mit den Ergebnissen der entimon-Auswertung fallen sechs größere Unterschiede in der Verteilung der methodischen Ansätze auf. Auffallend ist der Unterschied im
Fall des geschichtsorientierten Ansatzes, der in 17% der von CIVITAS geförderten Projekte
zum Einsatz kommt, während er bei den entimon-Projekten mit nur 4% kaum eine Rolle
spielt. Die besondere Häufigkeit von historisch orientierten Projekten lässt sich leicht erklären, da als Beispiele für Projekte des Förderschwerpunktes „Austausch und Vermittlung von
Erfahrungen“ (1.2.3.1) ausdrücklich „lokalhistorische Studien“ und „Geschichtswerkstätten“
genannt wurden, während diese in den entimon-Leitlinien nicht erwähnt wurden (CIVITASLeitlinien 2002: 9).
Ein deutlicher Unterschied ist auch bei der Verwendung des geschlechtsspezifischen Ansatzes in beiden Programmen festzustellen. Während 10% der durch entimon geförderten Projekte geschlechtsspezifische Problemstellungen zumindest mitreflektierten (vgl. Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 31), gibt es im CIVITAS-Programm nur 3 Projekte (0,8%), die
geschlechtsreflektierend arbeiten.
Außerdem fällt die geringe Repräsentanz der Ansätze Partizipationsförderung (12%), und
Gemeinwesenorientierung (6%) im Rahmen des CIVITAS-Programms auf.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
36
1.8 Zusammenfassende Bewertung der Förderpraxis im Bereich der zivilgesellschaftlichen Projekte
Ein Blick auf die Trägerlandschaft der Kleinprojekte zeigt im Vergleich mit der entimonAuswertung deutlich, dass im Rahmen des CIVITAS-Programms in positiv zu würdigender
Weise besonders kleine, lokale Initiativen, Ortsvereine und Arbeitskreise gefördert wurden.
In dieser Hinsicht hat die Förderpraxis des CIVITAS-Programms im Jahre 2002 einen zentralen Auftrag des Programms erfüllt.
Die regionale Verteilung der Projekte zeigt eine starke Konzentration der geförderten Projekte auf Städte bzw. städtisch verdichtete Regionen. Dies ist vor allem durch die in diesen
Bereichen stärker vorhandene Trägerlandschaft zu erklären, die entsprechend häufiger CIVITAS-Projekte beantragt. In ländlichen Gebieten gibt es diese Trägerlandschaft nicht in diesem Umfang, weswegen auch die Zahl der dort geförderten Projekte geringer ist.
Der Überblick über die Laufzeiten der Projekte hat einen relativ großen Anteil an kurzfristigen Projekten, zum Teil mit Eventcharakter, im CIVITAS-Programm ergeben. Die Frage
nach dem ‚Wert’ dieser Events ist differenziert zu sehen. Die Dauer der Maßnahme hängt
vom konzeptionellen Rahmen, von den zu erreichenden Zielen und Zielgruppen und den lokalen wie infrastrukturellen Rahmenbedingungen ab. Kurzzeitige Projekte, wie zum Beispiel
einwöchige Anti-Aggressionstrainings oder zweitägige multikulturelle Stadtteilfeste können
im Einzelfall als Ergänzung oder als Anstoß für längerfristige Maßnahmen durchaus sinnvoll
sein. Voraussetzung ist allerdings eine entsprechende Vor- und Nachbereitung und die Partizipation der Zielgruppen an diesen Maßnahmen.
Bei den Zielgruppen der Projektförderung durch das CIVITAS-Programm lag im Jahre 2002
ein deutlicher Schwerpunkt der Projektarbeit auf der jungen Generation, besonders auf den
12-18jährigen. Dies lässt sich schlüssig mit der hohen Anfälligkeit gerade der jungen Generation für rechtsextreme Gewalttaten begründen. Gerade in den neuen Bundesländern hat sich
eine rechtsextreme Jugendkultur herausgebildet, die durch aggressive Musik und expressive
Gewaltformen hervorsticht und gerade bei männlichen Jugendlichen eine hohe Attraktivität
genießt (vgl. Kohlstruck 2002 a). Das CIVITAS-Programm hat allerdings seinen Bezugspunkt im schwierigen Begriff der Zivilgesellschaft und richtet sich damit an alle in einem
Gemeinwesen lebenden Menschen. Dementsprechend wird die „wertevermittelnde, intergenerative Arbeit“ (CIVITAS-Leitlinien 2002: 8) zum Anspruch erhoben, der offensichtlich
von der überwiegenden Zahl der Projekte zumindest von der Anlage her nicht eingelöst werden kann. Auffallend ist vielmehr der starke Jugendbezug der durch das CIVITAS-Programm
geförderten Maßnahmen. Dabei werden aber oftmals nur bestimmte Jugendliche gefördert,
die in der Regel bereits eine Distanz zum Rechtsextremismus aufweisen.
Wie eine Analyse der besonderen Zielgruppen zeigt, sind rechtsextrem orientierte Jugendliche im CIVITAS-Programm dagegen nur schwach vertreten. Dies ist nicht verwunderlich,
da der Fokus des CIVITAS-Programms ja gerade auf diejenigen Initiativen abzielt, die sich
für ein demokratisches Miteinander und damit gegen Rechtsextremismus einsetzen. Dennoch
ist zu fragen, ob nicht versucht werden sollte, die Zielgruppe derjenigen, die Gefahr laufen,
sich rechtsextremen Gruppierungen anzuschließen, mit hochqualifizierten Maßnahmen und
gut ausgebildeten Fachkräften zu erreichen. Die Voraussetzungen dafür sind vom Programm-
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
37
rahmen geschaffen worden, denn seit 2003 gehören „rechtextremistisch gefährdete Jugendliche“ (CIVITAS-Leitlinien 2003: 2) zu den Zielgruppen des CIVITAS-Programms.
Unter den besonderen Zielgruppen sind weiterhin die erwachsenen Multiplikator/innen hervorzuheben, also vor allem Lehrer/innen. Erwachsene Multiplikator/innen wurden in 17% der
auswertbaren Projekte als Zielgruppe erwähnt (davon 14% Lehrer/innen). Angesichts des
zivilgesellschaftlichen Anspruchs des CIVITAS-Programms und seinem faktischen Jugendbezug ist zu fragen, ob diese Zielgruppe nicht verstärkt angesprochen werden sollte, um die
Reichweite des Programms bis in die „Mitte der Gesellschaft“ zu verlängern.
Als weitere wichtige Zielgruppe sind die Eltern hervorzuheben, die bisher in lediglich 6% der
Projekte angesprochen werden sollten. Auf diese Gruppe wurde schon im Zwischenbericht
hingewiesen und eine spezielle Familienarbeit als sinnvoll herausgestellt, da fremdenfeindliche Einstellungen nicht nur in den Peergroups, sondern gerade auch in Familien tradiert
werden (Vossen/Lynen von Berg/Palloks 2002: 62). Zu überlegen ist, ob eine verstärkte Einbeziehung von Eltern in die Maßnahmen nicht sinnvoll wäre, besonders auch im Hinblick auf
den generationsübergreifenden Anspruch, den das CIVITAS-Programm vertritt.
Eine enorm wichtige Zielgruppe für ein Programm, das den Aufbau demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen im Gemeinwesen fördern will, sind lokale Verantwortungsträger, zum Beispiel Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, Justizvollzugsbeamte und Polizisten.
Maßnahmen für diese Zielgruppe sollten zukünftig in verstärktem Maß gefördert werden,
denn zivilgesellschaftliche Orientierungen sollten vor den zentralen gesellschaftlichen Institutionen nicht halt machen. Außerdem ist es wichtig, möglichst viele dieser Personen für die
Ideen des Programms zu gewinnen, denn ihr Aktionsfeld sind die lokalen Gemeinwesen, in
denen das CIVITAS-Programm zivilgesellschaftliche Orientierungen erklärtermaßen fördern
will.
Differenziert man die Zielgruppen nach Schultypen, so wird deutlich, dass die Zielgruppe der
Haupt- und Berufsschüler/innen von einem geringeren Prozentsatz der durch das CIVITASProgramm geförderten Projekte anvisiert wurde, als dies bei entimon der Fall ist, das auch
speziell Haupt- und Berufsschüler/innen als Zielgruppe in den Leitlinien nennt (Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 7). Gerade weil unter den Jugendlichen an Haupt-, Förder-, Gesamt- und Berufsschulen der Anteil an Jugendlichen mit rechtsextremen Einstellungen deutlich höher ist als an weiterführenden Schulen, ist zu fragen, ob nicht eine noch stärkere Einbeziehung dieser Schülergruppen durch schulnahe Projekte im Rahmen des CIVITAS-Programms wünschenswert wäre (Vossen/Lynen von Berg/Palloks 2002: 60).
Bei den geförderten Projektformaten bzw. -typen fällt zunächst das Übergewicht von Maßnahmen der politischen Bildung im weitesten Sinne auf. Dies ist mit der Verankerung bestimmter historischer Angebote (zum Beispiel Geschichtswerkstätten) in den Leitlinien begründbar. Bei den historisch ausgerichteten Projekten ist allerdings zu fragen, ob sie eine
Beziehung zum heutigen Rechtsextremismus, insbesondere der stark auf Musik und expressive Gewalttaten ausgerichteten rechtsextremen Jugendkultur haben bzw. ob diese Maßnahmen nicht eher an dieser Gruppe vorbeigehen. Wenn Rechtsextremismus ein Phänomen ist,
das aus der subjektiven Verarbeitung lebensgeschichtlicher Desintegrationserfahrungen hervorgeht, helfen dagegen historische, in der Vergangenheit wurzelnde Angebote nur begrenzt.
Gerade bei den oft stark kognitiv orientierten Projekten aus dem Bereich der politischen Bil-
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
38
dung ist darüber hinaus immer wieder zu fragen, ob sie neben der Vermittlung von Informationen auch die für das CIVITAS-Programm zentralen Grundprinzipien von Aktivierung,
Partizipation und Gemeinwesenbezug berücksichtigen.
Eine zweite auffallende Entwicklung ist die starke Repräsentanz von interkulturellen Begegnungsprojekten im Jahre 2002. Ein Drittel dieser Projekte wurde nicht unter Einbeziehung
der lokalen Migrantenbevölkerung geplant, sondern die an den interkulturellen Begegnungen
beteiligten Migranten wurden von außen in die jeweilige Kommune hineingeholt. Darauf
sollte in Zukunft bei der Projektvergabe besonders geachtet werden, denn diese „Importe“
von Migranten widersprechen dem Grundsatz der Partizipation und bergen die Gefahr der
Reproduktion von Stereotypen in sich, die durch interkulturelle Begegnungen gerade verringert werden sollen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass seit dem Jahr 2003 interkulturelle
Projekte, mit Ausnahme solcher im schulnahen Bereich, nicht mehr im Rahmen des CIVITAS-Programms gefördert werden.
Deutlich unterrepräsentiert bei einem Programm, dass in erster Linie zivilgesellschaftliche
Strukturen in den neuen Bundesländern etablieren will, ist dagegen das Format Strukturverbesserung, dem sich nur 9% aller Projekte mit Priorität widmen. Zu fragen ist, ob dieses
Format zukünftig nicht in sehr viel stärkerem Maße gefördert werden sollte, da es dabei im
Kern bei der Ausgestaltung des zivilgesellschaftlichen Anspruchs um die Verbesserung der
Rahmenbedingungen im Gemeinwesen geht.
Bei den im Jahre 2002 geförderten Projektansätzen fällt die außerordentlich geringe Repräsentanz von Projekten auf, die mit einem geschlechtsreflektierenden Ansatz arbeiten. Die
Wichtigkeit von Maßnahmen, die sich an den unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen
beider Geschlechter orientieren, ist bereits im Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung des CIVITAS-Programms betont worden (vgl. Vossen/Lynen von
Berg/Palloks: 61). Gerade weil man von einer besonderen Attraktivität einer männlich dominierten, auf aggressive Musikangebote und expressive Gewaltformen ausgerichteten rechtsextremen Subkultur für junge Menschen ausgehen muss, sind geschlechtsreflektierende Ansätze vor allem in der Jungenarbeit besonders wichtig. Außerdem sind sport- und musikpädagogische Ansätze wichtig und können als Alternativangebote zur rechtsextremen Szene als
wichtig gefördert werden, denn sie bieten für Jugendliche die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse
kontrolliert auszuleben.
Auch die geringe Repräsentanz der Ansätze Partizipationsförderung (12%), und Gemeinwesenorientierung im Sinne einer stadtteilbezogenen, generationsübergreifenden Arbeit mit
integrations-, solidaritäts- und identifikationsfördernder Wirkung (6%) im Rahmen der Projektförderung durch das CIVITAS-Programm im Jahre 2002 ist auffallend. Zwar sind beide
Ansätze auch bei den von entimon geförderten Projekten prozentual nur geringfügig häufiger
vertreten, jedoch muss mitbedacht werden, dass dem CIVITAS-Programm das Konzept der
Zivilgesellschaft zu Grunde liegt, dessen maßgeblicher Bestandteil die Durchdringung und
Veränderung des Gemeinwesens durch aktive Beteiligung aller darin lebenden Individuen ist.
Gemessen an diesem Anspruch muss zumindest die Frage gestellt werden, ob es nicht noch
mehr Projekte mit starkem Gemeinwesenbezug und einem speziell system- und lebensweltlichen Partizipationsansatz geben sollte.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
39
Insgesamt lässt sich resümieren, dass es keine Patentrezepte für die richtige Förderstrategie
gibt. Pauschalurteile vereinfachen oftmals stark und lassen den jeweiligen individuellen
Rahmen des Einzelfalls unberücksichtigt. Jedes Projekt ist in seinem lokalen und institutionellen Rahmen zu sehen. Von daher können auch kurzzeitige Event-Projekte oder interkulturelle Veranstaltungen unter bestimmten Umständen sinnvoll oder notwendig sein.
Allerdings lassen sich auch einige allgemeine Aussagen zu einer verbesserten Förderstrategie
machen. Bei den Zielgruppen erscheint eine verstärkte Einbeziehung von Erwachsenen
(Multiplikator/innen, Lehrer/innen, Eltern) sinnvoll, um den generationsübergreifenden und
gemeinwesenorientierten Ansatz des CIVITAS-Programms stärker zu unterstützen und die
„Mitte der Gesellschaft“ zu erreichen. Mit Hilfe einer verstärkten Einbindung dieser Zielgruppen könnte eine Ergänzung der starken Jugendzentrierung des CIVITAS-Programms
gelingen. Bei den Projekttypen und Methodenansätzen wäre eine verstärkte Förderung geschlechtsreflektierender, sport- und erlebnispädagogischer Angebote ein wichtiges Element,
um Jugendlichen Anstöße und Alternativen zu bieten, damit sie nicht den einfachen Antworten einer rechtsextrem orientierten Jugendkultur auf den Leim gehen.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
40
2 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den Strukturprojekten und ihren Trägern (von Helmut Tausendteufel)
2.1 Einleitung
Im Folgenden werden diejenigen Fragen aus dem Erhebungsbogen zu den Strukturprojekten
dargestellt, die es erlauben einen ersten Überblick über die Arbeitsbedingungen und die Arbeit der Projekte zu geben. Hierzu gehören eine Skizze der Trägerorganisationen und der
Ressourcen, die sie zur Verfügung stellen, die Darstellung der Zielgruppen und Methoden der
Projekte, die lokalen Rahmenbedingungen, im engeren Sinne die vorfindbaren rechtsextremen Erscheinungen und die tatsächlichen Kooperationsbeziehungen, sowie die Definitionen
von Erfolg. Andere relevante Teile des Fragebogens werden im Kontext der Auswertung der
qualitativen Interviews dargestellt.
Die schriftliche Befragung wurde in der Zeit von April bis Juni 2003 durchgeführt. Es wurden die 40 Träger der Strukturprojekte angeschrieben. Der umfangreiche Fragebogen beanspruchte etwa eine Stunde zur Bearbeitung. Trotz des Zeitaufwands war die Rücklaufquote
sehr hoch. Lediglich von einem Träger bzw. dem verantwortlichen Mitarbeiter wurde das
Ausfüllen verweigert. Die Begründung war Arbeitsüberlastung. Ein weiteres Projekt war in
der Zwischenzeit eingestellt worden. Ein drittes Projekt antwortete nicht, ohne Gründe dafür
anzugeben. Bei allen drei Projekten handelt es sich um Netzwerkstellen. Einige Angaben zur
Trägerstruktur können trotzdem gemacht werden. Sie werden im Kontext der jeweiligen
Themenkomplexe in die Darstellung einbezogen.
Die Erhebung hat einerseits den Nachteil, dass mit sehr geringen Fallzahlen gearbeitet wird,
andererseits wird dies weitgehend dadurch aufgehoben, dass es sich um eine Totalerhebung
handelt (vgl. Tabelle 5) und aus diesem Grund nicht von einer Stichprobe auf eine Gesamtheit geschlossen werden muss. Ingesamt wird man sagen können, dass die Befragung den
Zweck einer explorativen, allgemeine Strukturen aufdeckenden und die darin vorkommenden
Größenverhältnisse beziffernden Erhebung erfüllt.
Tabelle 5: Strukturprojekte
Anzahl
%
MBT
6
16
NWS
23
62
OBS
8
22
Gesamt
37
100
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
41
In der folgenden quantitativen Darstellung der Ergebnisse des Fragebogens wird an einigen
Stellen die Auswertung der offenen Fragen nach Erfolg und Erfolgskriterien4 einbezogen. Zu
diesen Fragen äußerte sich die große Mehrzahl der Befragten (n=35) überwiegend umfassend.
Die Fragen bereiteten bei der Auswertung zwar einerseits Schwierigkeiten, weil die Befragten nicht klar zwischen Erfolg, Erfolgskriterien, Arbeitsaufträgen, Methoden usw. unterschieden, es ließen sich aber andererseits die Grundzüge in den Vorstellungen zu diesen Themen
herausarbeiten. Im Kontext der quantitativen Darstellung der Ergebnisse bieten sie eine sinnvolle Ergänzung.
Die Antworten wurden in Sinneinheiten zerlegt und in ein Datenbanksystem übertragen. So
entstanden 223 kürzere Texte. Diesen wurde im ersten Arbeitsschritt paraphrasierende Codes
zugeordnet. Aus den Codes wiederum wurden schließlich die im Folgenden genutzten Kategorien entwickelt. Einer Textpassage konnten mehrere Kategorien zugeordnet werden.
Tabelle 6: Offene Fragen 67 und 68 des Fragebogens (Erfolg und Erfolgskriterien)
nach Projekttypen
Anzahl der Befragten
Anzahl der Befragten, die eine
Antwort gaben
Anzahl der Antworten (Sinneinheiten)
MBT
6
6
45
NWS
23
22
123
OBS
8
7
55
Projekttyp
2.2 Die Träger der Strukturprojekte
Die Trägerorganisationen stellen gewissermaßen das Rückgrat der Strukturprojekte dar.
Durch die Erfahrungen und Ressourcen, die sie einbringen, und die daraus resultierenden
Möglichkeiten und gegebenenfalls Restriktionen haben sie großen Einfluss auf das Gelingen
der Projekte.
Regionale Verteilung und Aufbau der Träger
Für die 40 Strukturprojekte im Rahmen von CIVITAS sind 40 Träger zuständig. Sie verteilen
sich folgendermaßen auf die einzelnen Bundesländer (vgl. Tabelle 7).
4
Frage 67: Bitte beschreiben Sie kurz, was Sie als Erfolg des CIVITAS-Projekts bewerten. und Frage
68: Nach welchen Kriterien messen Sie den Erfolg des CIVITAS-Projekts? (Nennen Sie maximal fünf
Kriterien des Erfolgs.)
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
42
Tabelle 7: Träger nach Typ und Bundesland5
Bundesland
BerBrandenlin
burg
Projekttyp
MBT
NWS
OBS
Gesamt
Gesamt
Mecklenburg/
Vorpommern
Sachsen
SachsenAnhalt
Thüringen
2
0
2
1
0
1
6
33%
0%
33%
17%
0%
17%
100%
6
1
5
5
5
4
26
23%
4%
19%
19%
19%
15%
100%
1
1
1
2
2
1
8
13%
13%
13%
25%
25%
13%
100%
9
2
8
8
7
6
40
23%
5%
20%
20%
18%
15%
100%
„Lebensdauer“6
Ein großer Teil der Träger (38%) existiert bereits seit über zehn Jahren. Immerhin 83% der
Träger bestehen seit mindestens vier Jahren. Lediglich sieben (18%) arbeiten seit weniger als
vier Jahren. Von diesen sind zwei für die Durchführung eines CIVITAS-Projektes gegründet
worden.7
Mitarbeiterstruktur8
Auch hinsichtlich der Mitarbeiterzahl und -struktur variieren die Träger erheblich (vgl.
Tabelle 8 und Tabelle 9). Zwei der Träger arbeiten ausschließlich mit ehrenamtlichen9 Mitarbeitern. Es handelt sich um sehr kleine Träger, bei denen sich der Befragte als Angestellter
des Strukturprojekts versteht, so dass der Träger keine hauptamtlichen Mitarbeiter/innen hat.
Diesen sehr kleinen Trägern stehen acht große Organisationen mit mehr als 50 hauptamtlichen Mitarbeiter/innen gegenüber. 48% (n=16) sind mit einem bis zehn hauptamtlichen Mitarbeiter/innen als kleine Organisationen zu bezeichnen. Sieben Träger arbeiten ohne ehrenamtliche Mitarbeiter/innen. Dies entspricht immerhin einem Anteil von 21%.
Bei 17 Trägern überwiegen die hauptamtlichen Mitarbeiter/innen gegenüber den ehrenamtlichen. Bei 16 Trägern ist es umgekehrt.
5
Die Angaben beziehen sich auf die erweiterte Population (n= 40).
Frage 1: Seit wie vielen Jahren existiert Ihr Träger? Frage 2: Wurde Ihr Träger speziell für ein
CIVITAS-Projekt gegründet?
7
Die Angaben beziehen sich auf die erweiterte Population (n= 40).
8
Frage 3: Wie viele haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter/innen beschäftigt Ihr Träger?
9
Da im Rahmen von CIVITAS die Förderung von ehrenamtlicher Arbeit ein wichtiges Ziel ist, wurde
auch nach der Anzahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter des Trägers gefragt. Aus den Ergebnissen kann
aber nicht abgeleitet werden, wie viele Ehrenamtliche tatsächlichen im Rahmen von CIVITAS tätig
sind. Es handelt sich vielmehr um einen Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung ehrenamtlicher
Arbeit für den Träger.
6
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
43
Tabelle 8: Träger – Anzahl hauptamtliche
Mitarbeiter/innen
Anzahl
%
0 Mitarb.
2
6
1-5 Mitarb.
8
24
6-10 Mitarb.
8
24
11-20 Mitarb.
6
18
21-50 Mitarb.
1
3
Mehr als 50 Mitarb.
8
24
Gesamt
33
99
k.A.
4
37
Tabelle 9: Träger – Anzahl ehrenamtliche Mitarbeiter/innen
Anzahl
%
0 Mitarb.
7
21
1-5 Mitarb.
5
15
6-10 Mitarb.
3
9
11-20 Mitarb.
9
27
21-50 Mitarb.
5
15
Mehr als 50 Mitarb.
4
12
Gesamt
33
99
k.A.
4
37
Budget10
Ein weiteres wichtiges Merkmal zur Charakterisierung des Trägers ist sein Budget. Um dieses in das Verhältnis zu den Aufwendungen für CIVITAS zu setzen, wurde nach dem Anteil
des CIVITAS-Programms am Gesamtbudget des Trägers gefragt (vgl. Tabelle 10). Es zeigt
sich, dass auch hier die Variationsbreite recht groß ist. Bei 13 Trägern hat das CIVITASBudget einen Anteil von bis zu 25%. Dieser Gruppe steht eine gleich große mit einem Anteil
zwischen 76 und 100% gegenüber. In fünf Fällen beträgt der Anteil der CIVITAS-Finanzierung 100 %. Dies zeigt recht deutlich, dass sich eine größere Anzahl der Projekte in unmittelbarer finanzieller Abhängigkeit des Programms befinden.
10
Frage 34: Wie hoch ist der Anteil vom CIVITAS-Programm am Gesamtbudget Ihres Trägers?
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
44
Tabelle 10: Träger – Anteil der
CIVITAS-Finanzierung am Gesamtbudget des Trägers
Anzahl
%
0 - 25 %
13
43
26 - 50 %
5
17
51 - 75 %
1
3
76 – 100%
11
37
Gesamt
30
100
k.A.
7
37
Organisationsform11 und inhaltliche Ausrichtung der Träger12
Bei den Trägern handelt es sich ganz überwiegend um solche aus der Jugendhilfe (n=22)
(vgl. Tabelle 11). Dies ist bereits ein wichtiger Hinweis auf die inhaltliche Ausrichtung der
Träger bzw. deren Projekte. Diejenigen, die Schwierigkeiten hatten, sich bei dieser Frage
richtig zuzuordnen (Ausprägungen „ungültig“ oder „keine Angabe“) spezifizierten in der
folgenden Frage ihre Institution als Verein (n=7).
Tabelle 11: Träger – Organisationstyp1
11
Anzahl
%
Bildungs- und Fortbildungsträger
4
12
Freier Träger der Jugendhilfe
22
67
Öffentlicher Träger
2
6
Religionsgemeinschaft
2
6
Stiftung
1
3
Unternehmen
1
3
Wohlfahrtsverband
1
3
Gesamt
33
100
k.A.
5
Ungültig
2
Gesamt
40
Frage 5: Welchem der folgenden Typen würden Sie Ihren Träger zuordnen? Frage 5a: Ist Ihr Träger
einer Initiative, einem Bündnis oder einem Verein zuzuordnen? Initiative, Bündnis/Runder Tisch,
Verein, Sonstiges.
12
Frage 6: In welchen Tätigkeitsfeldern arbeitet Ihr Träger schwerpunktmäßig? Maximal vier
Antworten. Mit Frage 6 sollten die vier wichtigsten Tätigkeitsfelder des Trägers erhoben werden. Für
einige war dieser Rahmen offensichtlich zu eng gesteckt, d.h. die Interviewten konnten teilweise keine
Eingrenzung auf die wichtigsten Tätigkeitsfelder vornehmen. Acht Befragte gaben für ihren Träger
mehr als vier Tätigkeitsfelder an. Die Ergebnisse sind daher leicht verzerrt. Eine inhaltliche
Spezialisierung kann für 12 Träger festgestellt werden. Sie blieben unter den vier möglichen
Antworten.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
45
Die Tätigkeitsfelder liegen überwiegend bei der Arbeit mit Jugendlichen (61% der Fälle), der
Bildungsarbeit (56% der Fälle) und der antirassistischen Arbeit (56% der Fälle) (vgl. Tabelle
12).
Tabelle 12: Träger – Tätigkeitsfelder (Maximal vier Antworten)
Anzahl der
Antworten
Anteil an
allen Antworten (%)
Anteil an
allen Fällen
(%)
Bildungsarbeit: politisch
20
14
56
Bildungsarbeit: historisch
4
3
11
Bildungsarbeit: kulturell
10
7
28
Interkulturelle Arbeit
14
10
39
Antirassistische Arbeit
20
14
56
Antifaschistische Arbeit
9
6
25
Arbeit mit Migrant/innen
11
8
31
Flüchtlingsarbeit
6
4
17
Arbeit mit Jugendlichen
22
16
61
Medien / Medienpädagogik
8
6
22
Sozialarbeit
10
7
28
Andere
8
6
Gesamt
142
101
22
13
396 14
36 gültige Fälle, 1 fehlender Fall
Der Bereich Sozialarbeit konnte weiter spezifiziert werden. Die genannten Zielgruppen
streuten breit (Obdachlose, Suchtkranke, Familien usw.), ohne dass ein Schwerpunkt erkennbar wäre. Unter „Anderes“ wurden teilweise weitere, teilweise bereits genannte Tätigkeitsfelder angeführt: Religion, Katastrophenschutz, Arbeit mit Zeitzeugen und anderes mehr.
Die inhaltliche Ausrichtung der Träger ist verknüpft mit ihrem organisatorischen Aufbau. So
besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Anzahl der hauptamtlichen Mitarbeiter/innen
und den Tätigkeitsfeldern „antirassistische“ und „antifaschistische Arbeit“: Je größer der
Träger, desto unwahrscheinlicher ist es, dass diese Tätigkeitsfelder genannt werden.15 Ähnliche Zusammenhänge finden sich mehrfach: so wird beispielsweise Sozialarbeit überwiegend von Trägern mit vielen Hauptamtlichen angegeben16, während kulturelle Bildungsarbeit
eher von kleinen Trägern gemacht wird17.
13
Durch Rundungen addieren sich die Prozentzahlen zu mehr als 100 %.
Da mehrere Antworten auf die Frage gegeben werden konnten, addieren sich die Prozentangaben zu
den Fällen zu mehr als 100 % auf.
15
„Antirassistische Arbeit“: Kendall's tau-b: -0,540 **; „antifaschistische Arbeit“: Kendall's tau-b: 0,492 **
16
Kendall's tau-b: 0,423 **
17
Kendall's tau-b: 0,339 *
14
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
46
Zwischenfazit
Die Träger variieren erheblich nach organisatorischem Aufbau und inhaltlicher Ausrichtung.
Dabei zeigt sich, dass beides miteinander verknüpft ist: Kleine Träger haben überwiegend
eine andere inhaltliche Ausrichtung als große. Es lassen sich – basierend auch auf den Ergebnissen der qualitativen Interviews – grob drei Typen unterscheiden. Es gibt 1) Träger, die
sehr viele Mitarbeiter/innen haben und schon lange existieren. Sie könnte man als ‚Großorganisationen’ bezeichnen. Entsprechend breit sind ihre Betätigungsfelder. Auf der nächsten
Ebene gibt es 2) Träger mit deutlich geringerer Mitarbeiterzahl und zumeist auch noch nicht
so langer Existenzdauer. Hier sind überwiegend Spezialisierungen auf allgemeine Jugendund Sozialarbeit anzutreffen. Die Mitarbeit im Rahmen des CIVITAS-Programms kann als
eine spezifische Ausprägung dieser inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte betrachtet werden. 3)
Auf der ‚untersten’ Ebene trifft man auf Initiativen, die mit wenig hauptamtlichen und meist
mehr ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen thematisch auf politische Arbeit (gegen Rechtsextremismus) ausgerichtet sind.
2.3 Ressourcen, die durch den Träger zur Verfügung gestellt
werden
Allgemeine Serviceleistungen18
Die Träger unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des Aufbaus und der inhaltlichen Ausrichtung, sondern auch hinsichtlich der Serviceleistungen, die den Projekten zur Verfügung
gestellt werden. Allein die verwaltungstechnische Abwicklung wird von fast allen Trägern
(80%) übernommen (vgl. Tabelle 13).
Tabelle 13: Träger – Serviceleistungen des Trägers (Mehrfachantworten)
Anzahl der
Antworten
Anteil an
allen Antworten
Anteil an
allen Fällen
Antragstellung
20
16%
57%
Erstellen von Verwendungsnachweisen
21
16%
60%
Unterstützung beim Berichtswesen
16
13%
46%
Materialbeschaffung
11
9%
31%
Verwaltungstechnische Abwicklung
28
22%
80%
Öffentlichkeitsarbeit
13
10%
37%
Projektcoaching
15
12%
43%
Andere
4
3%
11%
Gesamt
128
101%
365%
2 fehlende, 35 gültige Fälle
Es zeigt sich, dass auch die Serviceleistungen in Abhängigkeit vom Aufbau des Trägers erbracht werden. So lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der hauptamtlichen
18
Frage 58: Welche Serviceleistungen erbringt der Träger für das CIVITAS-Projekt?
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
47
Mitarbeiter/innen und der Serviceleistung „Erstellen von Verwendungsnachweisen“ nachweisen.19 Ein sehr deutlicher Zusammenhang besteht zudem zwischen der Anzahl der hauptamtlichen Mitarbeiter/innen und der Unterstützung bei der verwaltungstechnischen Abwicklung
des Projekts20. Bei beiden Zusammenhängen ist es so, dass je höher die Anzahl der Mitarbeiter/innen ist, desto eher die Serviceleistung erbracht wird.
Fortbildung21
Die Mehrheit der Träger (57%) bietet Fortbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter/innen
der Projekte an (vgl. Tabelle 14). Zusammenhänge mit der Größe des Trägers oder seiner
Existenzdauer sind nicht zu erkennen.
Tabelle 14: Träger – Fortbildung
Anzahl
%
Ja
21
57
Nein
16
43
Gesamt
37
100
Supervision22
In knapp der Hälfte der Projekte (47%) wird regelmäßig Supervision durchgeführt (vgl.
Tabelle 15). Tendenziell kann gesagt werden: Je größer die Anzahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen des Trägers, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Supervision angeboten
wird.23
Tabelle 15: Träger – Durchführung von regelmäßiger
Supervision
Anzahl
%
Ja
17
47
Nein
19
53
Gesamt
36
100
k.A.
1
37
Externe Beratungsangebote24
57% der Projekte/Träger (n=21) haben externe Beratungsangebote in Anspruch genommen
(vgl. Tabelle 16). Auffallend ist die Verteilung hinsichtlich der Projekttypen: Während alle
19
Kendall's tau-b: 0,444 **
Kendall's tau-b: 0,378 **
21
Frage 61: Bieten Sie als Träger Möglichkeiten zur Fortbildung?
22
Frage 64: Führt das CIVITAS-Projekt regelmäßig Supervisionen durch?
23
Kendall's tau-b: 0,506 **
24
Frage 69 : Haben Sie externe Beratungsangebote für das CIVITAS-Projekt in Anspruch genommen?
20
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
48
MBTs extern beraten wurden, tat dies nur eine von acht OBS. Die NWS nehmen eine mittlere
Stellung ein. Wenn sich Projekte beraten ließen, haben sie dies in der Mehrzahl (n= 14) drei
Mal oder öfter getan.
Tabelle 16: Träger – Inanspruchnahme externer Beratungsangebote
Inanspruchnahme
externer Beratungsangebote
Projekttyp
MBT
NWS
OBS
Gesamt
Gesamt
Ja
Nein
6
0
6
100%
0%
100%
14
8
22
64%
36%
100%
1
7
8
13%
88%
100%
21
15
36
58%
42%
100%
In Bezug auf externe Beratung erweist sich die Existenzdauer als wichtige Einflussgröße:
Tendenziell bieten eher ältere Träger externe Beratung an.25
Zwischenfazit
Es zeigt sich, dass die Träger unterschiedliche Serviceleistungen zur Verfügung stellen. Es
kann dabei nicht gesagt werden, inwieweit der Erfolg der einzelnen Strukturprojekte von der
Unterstützung durch den jeweiligen Träger abhängt. Deutlich wird aber, dass das Verhältnis
zwischen Träger und Projekt und damit die angebotene Unterstützung in Quantität und Qualität erheblich variiert. Es zeigen sich klare Zusammenhänge zwischen dem organisatorischen
Aufbau, der inhaltlichen Ausrichtung und den angebotenen Serviceleistungen. Daraus lässt
sich schließen, dass bei den Trägern grundsätzlich verschiedene ‚Typen’ vorhanden sind,
deren inhaltliche Ausrichtung und materielle Ressourcen die Arbeit der Projekte beeinflussen.
Die finanzielle Abhängigkeit einiger Träger von CIVITAS wirft im Hinblick auf die Unterstützung der Projekte durch ihre Träger die Frage auf, ob hier nicht weitergehende Förderung
und Qualifizierung der Trägerkompetenz erforderlich ist, um die Unterstützungsbasis der
Projekte zu verbreitern. Dies um so mehr, da sich zeigt, dass vor allem kleine Träger nicht
immer in der Lage sind, die Projekte umfassend bei der technischen Abwicklung zu unterstützen.
25
Kendall's tau-b: 0,369 **
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
49
2.4 Zielgruppen und Methoden der Projekte
Zielgruppen26
Multiplikator/innen (Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen etc.) sind nach Angaben der interviewten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Strukturprojekte die Zielgruppe, für die sich
fast alle Strukturprojekte zuständig fühlen. 29 Projekte (78%) geben sie als Zielgruppe an.
Hinsichtlich Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit (26 Nennungen, 70%), Jugendlichen (25
Nennungen, 68%) und „engagierten Bürger/innen“ (21 Nennungen, 57%) gibt es ebenfalls
breiten Konsens (vgl. Tabelle 17).
Anhand der Zielgruppen lassen sich Arbeitsschwerpunkte der einzelnen Projekttypen genauer
bestimmen. So sehen sich Opferberatungen für Opfer rechtsextremer Gewalt (100%), für
Migranten (88%) und Minderheiten (75%) zuständig. Die wichtigsten Zielgruppen der NWS
sind Multiplikator/innen (91%), Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit (78%) und engagierte
Bürger/innen (74%). Bei den MBTs werden als Hauptzielgruppen Multiplikator/innen
(100%), Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit (83%) und die Politik (83%) genannt.
Es werden also einerseits Akzentsetzungen, andererseits aber auch Überschneidungen erkennbar: Multiplikator/innen sind beispielsweise für MBTs und NWS fast gleichermaßen
wichtig. Ganz ähnlich verhält es sich bei den Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit. Insbesondere Jugendliche sind für alle Strukturprojekte eine etwa gleich wichtige Zielgruppe
(MBT: 50%, NWS: 70%, OBS: 75%). Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass der
größte Teil der Träger aus der Jugendhilfe kommt (vgl. Kap. 1.2, Abschnitt „Organisationsform und inhaltliche Ausrichtung der Träger“).
Daneben gibt es eine Reihe von Zielgruppen, für die sich kein Projekttyp wirklich zuständig
fühlt. Deutlich ist dies für die Gewerkschaften (keine Nennung), die Wirtschaft (eine Nennung), die Justiz (eine Nennung), aber auch für die Polizei (drei Nennungen) und rechtsextremistisch Gefährdete/Mitläufer (drei Nennungen) erkennbar. Dies muss zumindest für die
beiden zuletzt genannten Zielgruppen überraschen.
In der Zusammenschau aller Zielgruppen wird deutlich, dass es zwar Akzentsetzungen, aber
keine klaren Zuständigkeiten zwischen den Projekten gibt. Es entsteht zudem das Bild, als
würden die Strukturprojekte um einige Zielgruppen miteinander konkurrieren, während andere – durchaus relevante Gruppen – gemeinsam vernachlässigt werden.
26
Frage 36: Bitte benennen Sie im folgenden die wichtigsten Zielgruppen Ihres Projekts.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
50
Tabelle 17: Strukturprojekte – Zielgruppen (Maximal 5 Antworten)
MBT
NWS
OBS
Gesamt
Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit
5
83%
18
78%
3
38%
26
70%
Engagierte Bürger/innen
3
50%
17
74%
1
13%
21
57%
Eltern und Erziehungsberechtigte
0
0%
4
17%
2
25%
6
16%
Opfer rechtsextremer Gewalt
0
0%
2
9%
8
100%
10
27%
6
100%
21
91%
2
25%
29
78%
Migrant/innen
0
0%
1
4%
7
88%
8
22%
Jugendliche
3
50%
16
70%
6
75%
25
68%
Rechtsextremistisch Gefährdete /
Mitläufer
0
0%
3
13%
0
0%
3
8%
Schüler/innen
0
0%
9
39%
0
0%
9
24%
Minderheiten (ethnisch, kulturell,
sozial)
2
33%
6
26%
6
75%
14
38%
Justiz
0
0%
1
4%
0
0%
1
3%
Polizei
1
17%
2
9%
0
0%
3
8%
Wirtschaft
0
0%
1
4%
0
0%
1
3%
Gewerkschaft
0
0%
0
0%
0
0%
0
0%
Verwaltung
4
67%
9
39%
0
0%
13
35%
Politik
5
83%
7
30%
1
13%
13
35%
Medien
0
0%
5
22%
1
13%
6
16%
Kirchen
1
17%
5
22%
0
0%
6
16%
Andere
0
0%
1
4%
1
13%
2
5%
Multiplikator/innen (Lehrer/innen,
Sozialarbeiter/innen etc.)
Kein fehlender Fall, 37 gültige Fälle
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
51
Durch die Fragen nach Erfolg und Erfolgskriterien27, die auch im Hinblick auf Zielgruppen
ausgewertet wurden, lässt sich dieses Bild noch etwas präzisieren bzw. erweitern.
a) Multiplikator/innen
Multiplikator/innen wurden dort deutlich seltener genannt. Eine Erklärung könnte sein, dass
Multiplikator/innen eher Mittel zum Zweck sind als eine tatsächliche Zielgruppe (MBT: 3,
NWS: 3, OBS: 0)28.
Anders verhält es sich bei der Zielgruppe Politik und Verwaltung. Während sie bei der geschlossenen Frage einen eher mittleren Rang einnehmen, werden sie im Zusammenhang mit
Erfolg am häufigsten thematisiert (17 Nennungen durch 13 Befragte: NWS: 6, MBT: 4, OBS:
3). Dabei sind drei grundsätzliche Ziele festzustellen:
1) Sensibilisierung für rechtsextreme Problematik und Opferbelange (Lobbyarbeit) wurde
achtmal angesprochen.
Die Möglichkeit, sich auf politischer Ebene Gehör verschaffen zu können. (ID1, F67)
2) Fünfmal wurde ganz allgemein gelungene Kooperation in Zusammenhang mit Erfolg gebracht und
3) es wurde zweimal die Anerkennung durch Politik und Verwaltung als Erfolgskriterium
genannt:
Anerkennung der Notwendigkeit der Arbeit durch Politik und Verwaltung. (ID11, F68)
Rechtsextreme und Opfer rechtsextremer Übergriffe wurden im Fragebogen nicht explizit
angesprochen, aber im Zusammenhang mit Erfolg erwähnt (vgl. Abschnitt c).
b) Opfer rechtsextremer Gewalt
Opfer und Opferbelange wurden in zwei verschiedenen Kontexten thematisiert. Zum einen
als unmittelbar Betroffene von Beratung:
Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen werden
qualifiziert beraten und unterstützt. (ID27, F68)
Dies wurde insgesamt zwölfmal von sieben Befragten angesprochen (NWS: 1, OBS: 5, MBT:
1). Zum anderen ging es darum, die Belange von Opfern gegenüber anderen Akteuren oder in
der Öffentlichkeit zu vertreten:
Lobbyarbeit für Opfer: Durch das CIVITAS-Projekt stehen die Opfer und deren Bedürfnisse
im Mittelpunkt. (ID34, F67)
Dies wurde zehnmal von sechs Befragten genannt (NWS: 1, OBS: 5, MBT: 0).
c) Rechtsextreme
„Rechtsextreme“ werden von der überwiegenden Mehrheit der Projekte nicht als Zielgruppe
betrachtet. Sie werden insgesamt sechsmal von fünf Befragten erwähnt (NWS: 4, MBT: 0,
OBS: 1). In vier Äußerungen werden der Rückgang rechtsextremer Gewalt und rechtsextremer Gruppierungen als Erfolgskriterium genannt. In einem Fall wird Prävention als ein Tä-
27
28
Vgl. Abschnitte 2.1 und 2.6.
Vgl. Abschnitt „Kooperationen“.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
52
tigkeitsbereich genannt und in einem weiteren Fall (NWS) werden Rechtsextreme als Gegenspieler und damit als unmittelbare Zielgruppe angesehen:
Die Nazis nehmen uns als Gegenmacht wahr. (ID17, F67)
d) Öffentlichkeit
Öffentlichkeit und damit Öffentlichkeitsarbeit, die Wahrnehmung der eigenen Arbeit in der
Öffentlichkeit und die Etablierung öffentlich geführter demokratischer Diskurse zum Thema
Rechtsextremismus nehmen eine herausragende Stellung im Zusammenhang mit Erfolg ein:
Medienpräsenz. (ID26, F68)
Etablierung demokratischer Diskurse und öffentliche Präsenz von Engagement. (ID3, F68)
Gute Wahrnehmung der Arbeit in der Öffentlichkeit. (ID11, F67)
In insgesamt 41 Textpassagen wurde diese Thematik von 22 Befragten angesprochen (NWS:
11, MBT: 5, OBS: 6).
Methoden und Arbeitsweisen
Der folgende Überblick über die Methoden29 zeigt, dass die Strukturprojekte – ähnlich wie
bei den Zielgruppen – zwar spezifische Profile haben, die Unterschiede aber nur graduell, das
heißt die Übergänge fließend sind. So sehen sich die Netzwerkstellen zwar – fast – durchgängig für Netzwerkarbeit zuständig, aber auch die MBTs tun dies immerhin zu 80% (vgl.
Tabelle 18). Beratungsangebote bzw. Diskussions- und Informationsveranstaltungen werden
sowohl von den MBTs (100% bzw. 83%) als auch von den OBS (88% bzw. 100%) gemacht.
Allein die MBTs haben im Hinblick auf die Methoden ein eigenständiges Profil entwickelt.
Sie nutzen einige Methoden fast ausschließlich und besetzen damit wohl auch Zuständigkeiten: bei „lokalen Aktionsplänen“, „Qualifizierung und Weiterbildung“ sowie „politischer
Erwachsenenbildung“.
Fast alle Methoden werden mehrfach genannt. Allein „Forschung“ und die „Entwicklung von
pädagogischen Materialien“ werden nicht bzw. nur einmal erwähnt. Es kann also gesagt werden, dass das durch die Antwortmöglichkeiten vorgegebene Methodenspektrum genutzt wird,
auch wenn es zu ,Klumpungen’ bei einigen Methoden kommt. Es lässt sich aber auch die
Frage stellen, ob darüber hinausgehende Spezifizierungen der Projekttypen und eine gleichmäßigere Nutzung der zur Verfügung stehenden Methoden nicht sinnvoll wäre.
29
Frage 37: Welchem der folgenden Projekttypen würden Sie Ihr Projekt schwerpunktmäßig
zuordnen?
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
53
Tabelle 18: Strukturprojekte – Projekttypen/Methoden (Maximal 5 Antworten)
MBT
NWS
OBS
Gesamt
Beratungsangebote
6
100%
10
46%
7
88%
23
64%
Aufbau von Netzwerken
5
83%
20
91%
4
50%
29
81%
Außerschulische Jugendbildung
1
17%
4
18%
2
25%
7
19%
Politische Erwachsenenbildung
4
67%
3
14%
2
25%
9
25%
Historische Bildung / Geschichtsprojekte zum Nationalsozialismus
0
0%
5
23%
0
0%
5
14%
Diskussions- und Informationsveranstaltungen
5
83%
14
64%
8
100%
27
75%
Fachtagungen und Kongresse
0
0%
3
14%
3
38%
6
17%
Qualifizierung und Weiterbildung
5
83%
8
36%
3
38%
16
44%
Forschungsprojekte
0
0%
0
0%
0
0%
0
0%
Entwicklung von pädagogischen
Materialien
0
0%
1
5%
0
0%
1
3%
Schulprojekte
0
0%
7
32%
2
25%
9
25%
Medienprojekte / Ausstellungen
0
0%
8
36%
0
0%
8
22%
Kulturprojekte (Theater, Musicals,
u.ä.)
0
0%
5
23%
0
0%
5
14%
6
100%
8
36%
3
38%
17
47%
0
0%
7
32%
1
13%
8
22%
Lokale Aktionspläne /
Interventionen
Veranstaltung von Aktionstagen /
Events
1 fehlender Fall, 36 gültige Fälle
Im Zusammenhang mit den Methoden stellt sich die Frage nach den Arbeitsweisen bzw.
-stilen insgesamt. Dies wurde im Kontext von Erfolg häufiger von den befragten Projektmitarbeitern angesprochen. Dabei kristallisierten sich drei Konzepte als besonders wichtig heraus. Die Arbeit der Projekte sollte nachhaltig sein:
Eine Verstetigung der Arbeit durch bessere Integration im regionalen und lokalen Umfeld
wäre ein Erfolg. (ID21, F68)
Die gelungene Institutionalisierung von Kooperationen, die Etablierung dauerhafter Diskurse
zum Thema und eine beständige Bekanntheit der Projekte wurden 19mal von 13 Befragten
im Zusammenhang mit dem Erfolg der eigenen Arbeit genannt (NWS: 7, OBS: 5, MBT: 1).
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
54
Die eigene Arbeit sollte zudem innovativ sein:
Sinnvolle Erweiterung/Ergänzung bereits bestehender Beratungsangebote. (ID33, F67)
Die Entwicklung neuer Angebote und Handlungsstrategien wurde fünfmal genannt (NWS: 2,
OBS: 2, MBT: 1).
Als erfolgversprechende Art und Weise des eigenen Vorgehens wurden darüber hinaus „anerkennend“ und „wertschätzend“ genannt:
Etablierung von professionellen Beratungen und Begleitungen, in denen die Akteure sich ernst
genommen fühlen und in ihrem Engagement anerkannt sehen, die zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Akteure beitragen und die Perspektive von Minderheiten einbeziehen. (ID2,
F67)
Die Wertschätzung soll nach Meinung der sechs Befragten (sieben Nennungen) vor allem
bereits bestehenden Initiativen entgegengebracht werden – auch dann, wenn sie vielleicht
geringe lokale Akzeptanz genießen (NWS: 1, OBS: 2, MBT: 3). Offen bleibt, ob alle Formen
gesellschaftlichen Engagements gleichermaßen anerkannt werden sollen oder ob es hier Differenzierungen gibt.
2.5 Lokale Rahmenbedingungen
Neben den ‚inneren’ Bedingungen, also denjenigen, die von den Trägern bzw. den Projekten
selbst zu verantworten sind, sind auch ‚äußere’ Bedingungen, also solche, die im Umfeld der
Projekte vorgefunden werden, für erfolgreiche Arbeit maßgebend. Die wenigen Indikatoren,
die hierzu abgefragt wurden, können selbstverständlich kein vollständiges Bild, aber zumindest einige Hinweise liefern.
Rechtsextreme Erscheinungen30
Dass Rechtsextremismus von „Profis“ in größerem Umfang wahrgenommen wird, dürfte
nicht überraschen (vgl. Abbildung 1). Die vorgegebenen Erscheinungsformen von
Rechtsextremismus werden in etwa in gleicher Intensität von drei Viertel der Interviewten
wahrgenommen: Rechtsextreme Organisationen/Kameradschaften: 68%, Dominanz rechtsextrem orientierter Jugendgruppen: 70%, Angstzonen für bestimmte Bevölkerungsgruppen:
76%, Rechtsextreme Straftaten: 73%. Allein die Konflikte zwischen ‚rechten’ und ‚linken’
Gruppen werden etwas seltener wahrgenommen (49%). Neben den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten31 wird vor allem der Auftritt rechtsextremer Organisationen in der Öffentlichkeit in Form von Demonstrationen oder Kundgebungen genannt. Daneben werden die Präsenz von „szenetypischen“ Läden und anderen Treffpunkten in der Öffentlichkeit festgestellt.
30
Frage 40: Welche öffentlich sichtbaren Erscheinungen im Bereich des Rechtsextremismus gibt es
hauptsächlich in Ihrem Aktionsgebiet?
31
Antwortmöglichkeit Sonstiges (offen) wurde insgesamt elfmal genutzt.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
55
1,2
1
0,8
Berlin
0,6
Brbg
0,4
Meckl/Vorp
0,2
Sachsen
Öffentlicher REX:
Konflikte zwischen
rechten und linken
Gruppen
Öffentlicher REX:
Rechtsextreme
Straftaten
Öffentlicher REX:
Angstzonen für
bestimmte
Bevölkerungsgruppen
Öffentlicher REX:
Dominanz rechter
Jugendgruppen
0
Öffentlicher REX:
Rechtsextreme
Organisationen/Kamer
adschaften
(Anteil in Prozent, 1= 100%)
Abbildung 1: Wahrnehmung rechtsextremer Erscheinungen nach Bundesländern (Mehrfachantworten: ohne Antwortbeschränkung)
SnAnh
Thü
Im Vergleich der Bundesländer zeigen sich einige deutliche Unterschiede, bei denen allerdings sehr geringe Fallzahlen zu berücksichtigen sind. So wird die Wahrnehmung rechtsextremer Erscheinungen in Brandenburg durch zwei Interviewpersonen repräsentiert. Gravierend ist die unterschiedliche Einschätzung des Auftritts rechtsextremer Organisationen/Kameradschaften in der Öffentlichkeit zwischen Berlin und Thüringen.32
Kooperationen33
Es ist anzunehmen, dass sich die Kooperationsbeziehungen der Strukturprojekte in den verschiedenen Regionen mehr oder weniger deutlich unterscheiden, da die lokalen Kooperationsstrukturen selbst unterschiedlich sind und die Arbeitsbündnisse in Abhängigkeit der vorgefundenen Gegebenheiten und den daraus resultierenden Aufgaben geschlossen werden. Der
folgende Überblick ebnet diese Unterschiede entsprechend etwas ein.
Die Zusammenarbeit der Strukturprojekte untereinander gestaltet sich tendenziell uneinheitlich (vgl. Tabelle 19). So geben drei der MBTs an, sie hätten keine Kooperation mit anderen
MBTs, eines hingegen schätzt die Zusammenarbeit als „sehr stark“ ein; dies aber offensichtlich mit einem MBT, das die Frage nicht beantwortet hat. Auch die Zusammenarbeit unter
den OBS ist uneinheitlich: zwei OBS geben an, sie kooperierten „gar nicht“ untereinander,
drei OBS taten dies „eher stark“ bzw. „sehr stark“. NWS kooperieren in der überwiegenden
Zahl: 13 der 15 NWS (87%) taxierten ihre Beziehung als „eher stark“ bzw. als „sehr stark“.
Das Bild bleibt auch uneinheitlich, wenn man die Kooperationen zwischen den verschiedenen
Strukturprojekten betrachtet. Dies gilt in besonderer Weise für die Zusammenarbeit zwischen
OBS und NWS. In der Perspektive der NWS findet fast die Hälfte (47%), dass es keine oder
nur eine „eher schwache“ Zusammenarbeit gibt. Die Zusammenarbeit mit den MBTs findet in
32
Dieser Zusammenhang wird auch statistisch signifikant: T-Test 0,004 (zweiseitig und angenommene
Gleichverteilung)
33
Frage 41: Wie arbeitet das Projekt mit den folgenden Akteuren in dem jeweiligen Aktionsgebiet
zusammen? Frage 42: Wie arbeitet das Projekt mit den folgenden Institutionen in dem jeweiligen
Aktionsgebiet zusammen?
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
56
der Sicht der OBS zu einem größeren Teil (63%, n=5) „eher stark“ oder „stark“ statt. Hier
zeigen sich allerdings Disparitäten, denn die MBTs stufen die Kooperationen mit den OBS
deutlich besser ein. Dies mag ein Hinweis darauf sein, dass in die Beurteilung der Kooperationsbeziehungen eventuell auch der Bedarf an Zusammenarbeit eingeflossen ist und dieser
Bedarf aus den jeweiligen Blickwinkeln als unterschiedlich hoch bewertet wurde.
Tabelle 19: Projekte – Kooperation untereinander
MBT
NWS
OBS
gar
nicht /
eher
schwach
eher
stark /
sehr
stark
gar
nicht /
eher
schwach
eher
stark /
sehr
stark
gar
nicht /
eher
schwach
eher
stark /
sehr
stark
MBT
3
75%
1
25%
1
17%
5
83%
1
17%
5
83%
NWS
5
26%
14
74%
2
13%
13
87%
9
47%
10
53%
OBS
3
38%
5
63%
4
57%
3
43%
2
40%
3
60%
Betrachtet man die Mittelwerte (vgl. Abbildung 2), zeigt sich, dass die Kooperationen unter
den Strukturprojekten im Vergleich mit denen zu den lokalen Akteuren tendenziell eine
mittlere bis wichtige Stellung einnehmen. Allerdings gibt es auch hier, je nach Projekttyp,
deutlich unterschiedliche Akzentsetzungen.
Örtliche Bündnisse/Initiativen sind als lokale Akteure die wichtigsten Kooperationspartner
für alle Strukturprojekte (arith. Mittel für MBT: 3,3; NWS: 3,6; OBS: 3,134, vgl. Abbildung
2) Unterschiede zeigen sich bei den weiteren Kooperationen: Für MBTs spielen Sozialarbeiter/innen ebenfalls eine gleichrangige Rolle (arith. Mittel: 3,3). Für OBS haben Kooperationen mit anderen Beratungsstellen zentrale Bedeutung (arith. Mittel: 3,1), für NWS sind dies
Jugendgruppen und Jugendliche (arith. Mittel: 3,2).
Eher unwichtige Kooperationsbeziehungen sind für die MBTs andere Beratungsstellen (arith.
Mittel: 1,8), für die OBS Bürgermeister und Kommunalpolitiker (arith. Mittel: jeweils 1,9)
und für die NWS die örtliche Antifa (arith. Mittel: 2,0).
Sucht man nach Differenzen zwischen den Strukturprojekten in der Art der Kooperation mit
Hilfe statistischer Verfahren35, erweisen sich fünf der 11 Kooperationen mit regionalen
Akteuren signifikant unterschiedlich. Insbesondere bei der Zusammenarbeit mit Sozialarbeiter/innen zeichnet sich ein klares Profil der Strukturprojekte ab, das sich auch inhaltlich gut
interpretieren lässt. Während MBTs Sozialarbeiter/innen als wichtige Zielgruppe sehen
(Multiplikator/innen), sehen sich OBS tendenziell in einem Konkurrenzverhältnis dazu. Für
NWS haben sie mittlere Bedeutung.
34
Die vorgegebenen Ausprägungen waren: 1= gar nicht, 2 = eher schwach, 3 = eher stark, 4 = sehr
stark.
35
Es wurde eine einfaktorielle Varianzanalyse (One-Way ANOVA) verwendet.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
57
4
3,5
3
2
1,5
/in
ne
er
ic
h
e
la
r
be
hr
Le
zi
a
So
Ki
rc
hl
s
n
ite
M
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al
Po
ra
lit
ts
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m
er
itg
/P
lie
ar
de
te
r
im
itg
lie
de
r
1
ile
M
ob
MBT
NWS
OBS
2,5
Be
ra
O
tu
pf
ng
er
st
be
ea
ra
m
tu
ng
s
s
N
te
et
lle
zw
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An
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re
Be
ra
tu
ng
Ju
ge
ss
te
nd
lle
gr
up
pe
n/
Ju
ge
nd
lic
he
Mittelwerte: 1 = gar nicht, 4 = sehr stark
Abbildung 2: Projekte – Kooperation mit Akteuren
Durch die Antworten auf die Frage nach der Intensität der Kooperation mit verschiedenen
Institutionen wird die Bedeutung der örtlichen Bündnisse und Initiativen bestätigt: Vereine
haben für alle Strukturprojekte eine herausgehobene Bedeutung bei der Zusammenarbeit
(arith. Mittel: MBT: 3,2; NWS: 3,4; OBS: 3,4, vgl. Abbildung 3). Spezialisierungen zeichnen
sich auf den darauf folgenden Rängen ab: MBTs kooperieren stark mit der „Politik“ (arith.
Mittel: 3,2), NWS sehen sich auch hier vor allem für Jugendliche zuständig und messen deshalb der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt besonderen Wert bei (arith. Mittel: 3,1) und
OBS kooperieren – als Beratungsinstitution unter anderem. für Opfer von Straftaten nahe
liegend - intensiv mit der Polizei (arith. Mittel: 2,9).
Eine deutlich nachrangige Bedeutung hat für alle Strukturprojekte die Zusammenarbeit mit
Unternehmen (arith. Mittel: MBT: 1,5; NWS: 1,6; OBS: 1,3).
Auch hier wurde mit Hilfe eines statistischen Verfahrens nach signifikanten Unterschieden
zwischen den Strukturprojekten gesucht36: Von den abgefragten zehn Kooperationsbeziehungen trifft dies auf vier zu. Vor allem in der Zusammenarbeit mit der Justiz zeigen sich recht
deutliche Unterschiede. Während NWS überwiegend nicht mit der Justiz kooperieren (58%),
tun dies drei Viertel der OBS „eher stark“. MBTs zeigen hier ein uneinheitliches Bild.
36
Vgl. Fußnote 35
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
58
4
3,5
3
MBT
NWS
2,5
OBS
2
1,5
Ve
re
in
e
k
Ve
rw
al
tu
ng
Po
lit
i
tiz
Ju
s
Po
liz
ei
Sc
hu
le
n
1
Ju
ge
nd
Ki
am
rc
he
t
ng
em
ei
nd
G
e
ew
er
ks
ch
af
U
t
nt
er
ne
hm
en
Mittelwerte: 1 = gar nicht, 4 = sehr stark
Abbildung 3: Projekte – Kooperation mit Institutionen
Zwischenfazit
Ähnlich wie bei den Zielgruppen und Methoden lassen sich auch bei den Kooperationsbeziehungen Ansätze von Profilen der Strukturprojekte im Sinne von Zuständigkeiten erkennen.
Diese Profile können inhaltlich aber nur teilweise begründet werden. Es ist zu vermuten, dass
lokale Besonderheiten, zufällige Konstellationen, persönliche Sympathien, differierende
Konzepte etc. beim Zustandekommen eine Rolle spielen. Obwohl eine klare Aufteilung der
Zuständigkeiten wohl eher nicht wünschenswert ist, da sich die Kooperationen ja auch auf
unterschiedliche Aspekte der Arbeit beziehen, ist zu überlegen, ob eine stärkere Differenzierung der Zuständigkeiten für den Aufbau gleichmäßigerer Kooperationsstrukturen nicht förderlich wäre; zumal einige Akteure und Institutionen, vor allem Unternehmen, nicht wirklich
in die Arbeit von CIVITAS einbezogen werden.
2.6 Tätigkeitsbereiche und damit verbundene Vorstellungen
von Erfolg und Erfolgskriterien37
In der offen erhobenen Frage38 nach dem Erfolg des Projekts und den Erfolgskriterien
kristallisieren sich vier Tätigkeitsbereiche heraus, mit denen Erfolg unmittelbar verknüpft ist:
Sensibilisierung, Aktivierung (Mobilisierung), Befähigen (Beraten, Unterstützen) und Vernetzen (vgl. Tabelle 20).
37
Frage 67: Bitte beschreiben Sie kurz, was Sie als Erfolg des CIVITAS-Projekts bewerten. Keine
Antwortvorgabe. Frage 68: Nach welchen Kriterien messen Sie den Erfolg des CIVITAS-Projekts.
(Nennen Sie maximal fünf Kriterien des Erfolgs.) Keine Antwortvorgabe.
38
Vgl. 2.1 Einleitung
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
59
Tabelle 20: Projekte – Basistätigkeiten und Erfolg
Kategorie
Projekttyp
MBT
NWS
OBS
Gesamt
Gesamt
Sensibilisierung
Aktivierung
Befähigen /
Unterstützen
Vernetzen
9
1
11
6
27
33%
4%
41%
22%
100%
8
5
12
39
64
13%
8%
19%
61%
100%
4
2
5
3
14
29%
14%
36%
21%
100%
21
8
28
48
105
20%
8%
27%
46%
100%
Die Ziele, die mit diesen Tätigkeiten verbunden sind, sind gewissermaßen bereits in den
Begriffen enthalten. Einen Erfolg erzielt man dann, wenn die Tätigkeit im erwünschten Sinn
wirkt.
Sensibilisierung
Mit Sensibilisierung ist die Sensibilisierung der Wahrnehmung der Bevölkerung und der
Akteure für rechtsextreme Aktivitäten und die Problematik insgesamt gemeint:
Weitere Sensibilisierung in der Region für rechtsextreme Tendenzen. (ID: 25, F67)
Sensibilisierungsbedarf wird bei sehr unterschiedlichen Institutionen und Bevölkerungsgruppen gesehen:
Sensibilisierung von Institutionen, Unternehmen, Stadtverwaltung und Polizei für die Thematik. (ID: 29, F67)
Anzahl der Projekte zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, die Vereine,
Verbände und Einrichtungen durchführen u. damit Kinder, Jugendl. und Eltern für diese Thematik sensibilisieren. (ID: 32, F68)
Die Methoden wurden in der Regel nicht weiter spezifiziert. Erkennbar war aber, dass insbesondere Öffentlichkeitsarbeit zum Erreichen dieses Ziels geeignet erscheint. Insgesamt ist
diese Tätigkeit auf eine Veränderung des politischen Klimas gerichtet. Als Erfolg gilt, wenn
die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Rechtsextremismus geschärft wurde.
Von 14 Befragten (38%) wurde dieser Tätigkeitsbereich 21mal im Zusammenhang mit Erfolgsbestimmungen genannt. MBTs und NWS nannten diesen Tätigkeitsbereich ungefähr
gleich häufig (neunmal und achtmal). Von OBS wurde er lediglich viermal genannt.
Aktivieren
Mit Aktivierung sind Tätigkeitsbereiche gemeint, die Bürger und zivilgesellschaftliche Akteure zum unmittelbaren Handeln motivieren sollen:
Mobilisierung v. bisher untätigen Akteuren f. Demokratie versus Rex, Rassismus, Antisemitismus – bzw. eindeutigere Positionierungen. (ID3, F68)
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
60
Animation eines größeren bzw. bisher weniger aktiven Personenkreises auf zivilgesellschaftlicher Ebene. (ID26, F68)
An Zielgruppen wurden auch hier verschiedene Personenkreise (Schüler, Bürger) und Institutionen (Vereine, Verbände) genannt. Auf welche Weise aktiviert werden soll, blieb unerwähnt. Als Erfolg wurde – recht unspezifisch – die Zunahme von politischem Engagement
und politisch Engagierter genannt.
Insgesamt wurde dieser Tätigkeitsbereich achtmal von sieben Befragten erwähnt. Am häufigsten verbanden Mitarbeiter von Netzwerkstellen diesen Tätigkeitsbereich mit Erfolg (n=5).
Bei den OBS taten dies nur zwei und bei den MBTs nur einer.
Befähigen/Unterstützen
Befähigung (in Sinne von Beratung) zielt auf die Stärkung von Handlungskompetenzen:
Handlungsfähigkeit der Akteure gegenüber rechtsextremen Erscheinungen im Sinne einer
menschenrechtsorientierten Kultur [stärken]. ( ID2, F68)
Im Zusammenhang mit Opferberatung spielte auch der Aspekt der Unterstützung eine gewisse Rolle:
Asylbewerber erfahren notwendige Unterstützung bei elementaren Problemen. (ID40, F67)
Mehrfach (n=4) wurde die Professionalisierung der Beratungstätigkeit (zum Beispiel Einführung eines Dokumentationswesens, strukturiertes nachvollziehbares Arbeiten) als wichtiges
Ziel genannt. Ansonsten blieben die Methoden unspezifiziert. Was Erfolg ausmacht, wurde
nicht genauer definiert.
Der Tätigkeitsbereich „Befähigen/Unterstützen“ wurde von 18 Befragten 28mal angesprochen. Alle sechs MBTs nahmen hierzu Stellung. Neun der 23 Netzwerkstellen taten dies
ebenfalls. Auffallend ist, dass nur drei der befragten Mitarbeiter der OBS den Tätigkeitsbereich „Befähigen/Unterstützen“ unmittelbar mit Erfolg verknüpften.
Vernetzen
Unter dem Begriff „Vernetzen“ wurden alle Tätigkeiten zusammengefasst, die auf eine Verbesserung von Kooperation und Kommunikation zielen:
Verbesserung der Kommunikation und Kooperation (systematischer Erfahrungsaustausch) zw.
Akteuren. (ID2, F67)
Verbesserung der Kommunikation unter den Initiativen. Vermehrte Kontakte zwischen lokalen
Institutionen und den Kooperationspartnern der AG-Netzwerke. (ID17, F67)
Als Kooperationspartner wurden meist allgemein „Initiativen“ und „Akteure“ genannt. Darüber hinaus wurde insbesondere Wert auf Kooperation mit Verwaltung und Politik gelegt:
Kooperationsstrukturen zur lokalen und regionalen Verwaltungsebene. (ID38, F68)
Partnerschaften mit Politik und Verwaltung. (ID35, F67)
Auch hier wurden die Methoden zum Erreichen der Ziele nicht weiter spezifiziert. Als Erfolgskriterien wurde fast ausschließlich die Zunahme von Kooperation und Kommunikation
genannt.
Dieser Tätigkeitsbereich wurde von 25 Befragten 48mal genannt und nimmt damit eine herausragende Stellung ein. In erster Linie selbstverständlich für die Netzwerkstellen (18 von 23
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
61
Fällen). Aber auch für die MBTs (vier Fälle) und die OBS (drei Fälle) stellt Netzwerkarbeit
einen wichtigen Tätigkeitsbereich dar.
Erfolgskriterien
Erfolg wurde in 61 Antworten von 23 Befragten ausschließlich im Sinne eines allgemeinen
positiven Feedbacks oder eines solchen der Zielgruppen konkretisiert (NWS: 14, MBT: 4,
OBS: 5):
Positives Feedback auf die Arbeit. (ID30, F67)
Bitten um Unterstützung. (ID4, F68)
Anfragen nach Zusammenarbeit. (ID13, F68)
In acht Antworten wurde Erfolg an der Anzahl der Klienten gemessen:
Zahlreiche Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen
konnten unterstützt werden. (ID27, F67)
Die Zufriedenheit von Klienten wurde in 4 Antworten angesprochen. Beide Aspekte wurden
überwiegend von Opferberatungsstellen angeführt.
Als Anzahl der Anfragen nach Unterstützung oder Beratung wurde Erfolg in 12 Antworten
von 12 Befragten operationalisiert. Als Anfrager wurden Journalisten, Experten, Institutionen
u.a. genannt. Dieses Kriterium streute über alle Projekttypen.
Als ein weiteres Kriterium wurde die quantitative Zunahme zivilgesellschaftlicher Akteure
5mal von 5 Befragten angeführt.
Zwischenfazit
Die Auswertung der Fragen nach dem Erfolg von CIVITAS-Projekten und deren Operationalisierung als Erfolgskriterien zeigt sehr deutlich, dass der überwiegende Teil der Projekte
Erfolg nur auf einer sehr allgemeinen Ebene definieren kann und nicht in der Lage ist, klare
Erfolgskriterien festzulegen. Dies gilt für alle Projekttypen gleichermaßen. Die Gründe hierfür können in einer diffusen Auftragslage, ungenügend differenzierten Konzepten und Problemen bei deren Umsetzung liegen. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass im Rahmen
einer schriftlichen Befragung tendenziell globale Ziele und Erfolgskriterien genannt werden.
Große Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Basistätigkeiten und den damit verbundenen Zielen: Sensibilisieren, Aktivieren, Befähigen und Vernetzen. Fast alle Äußerungen lassen sich auf einen dieser Tätigkeitsbereiche beziehen. Aber auch hier zeigt sich eine gewisse
Diffusion hinsichtlich der gesteckten Ziele. Alle Projekttypen sehen sich mehr oder weniger
für alle Aufgaben zuständig. Eine halbwegs eindeutige Schwerpunktsetzung gibt es lediglich
bei den Netzwerkstellen, während MBTs und OBS über die angeführten Tätigkeitsbereiche
und damit auch über die mit ihnen verknüpften Ziele stärker variieren.
Das Tätigkeitsfeld „Vernetzen“ erweist sich insgesamt als von herausragender Bedeutung.
Das Bild rundet sich ab, wenn man diesen Tätigkeitsbereich in Zusammenhang mit Öffentlichkeitsarbeit betrachtet. Es entsteht eine Art Zwiebelmodell, dessen Kern von engen Kooperationsbeziehungen zwischen den Projekten und Initiativen gebildet wird. Es schließen sich
Bekanntheit und Kooperationen im breiteren lokalen Umfeld mit zivilgesellschaftlichen Ak-
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
62
teuren und schließlich die Bekanntheit in der medialen Öffentlichkeit an. Auf diese Weise
soll eine „Gegenmacht zu Rechts“ erzeugt werden, die in der Lage ist „demokratische Diskurse“ zu etablieren.
Die Art und Weise, in der diese Gegenmacht aufgebaut werden soll, zielt vor allem auf
Nachhaltigkeit (vgl. Tabelle 21). Die Projekte sollen auf Dauer in die „Projektlandschaft“
integriert und von den Kooperationspartnern akzeptiert sein. Der Weg dorthin wird erreicht,
wenn man Initiativen und Akteuren wertschätzend gegenübertritt. Auch dann, wenn es sich
um – wie es in eine Aussage heißt - „Nestbeschmutzer“ handelt, also Initiativen und Vereine
mit geringer Akzeptanz.
Tabelle 21: Projekte – Arbeitsstile und Erfolg
Kategorie
Innovativ
Projekttyp
MBT
NWS
OBS
Gesamt
Gesamt
Nachhaltig
Anerkennend/
Wertschätzend
1
2
4
7
14%
29%
57%
100%
2
11
1
14
14%
79%
7%
100%
2
6
2
10
20%
60%
20%
100%
5
19
7
31
16%
61%
23%
100%
2.7 Fazit
Als Resümee der Auswertung der standardisierten Befragung lassen sich folgende Ergebnisse
festhalten.
Die Träger der Strukturprojekte haben bedeutenden Einfluss auf die Arbeit der Projekte. Dies
gilt sowohl für deren inhaltliche Ausrichtung als auch für die Serviceleistungen, die der Träger für sie erbringt. So zeigte sich, dass vor allem Projekte kleinerer Träger ihre Arbeit als
„antirassistische“ bzw. „antifaschistisch“ bezeichnen und mit entsprechender inhaltlicher und
methodischer Ausrichtung in ihrem Umfeld agieren. Es ist darüber hinaus anzunehmen, dass
die Bedeutung, die die Zielgruppe „Jugendliche“ hat, zum Teil daher rührt, dass der größte
Teil der Träger aus der Jugendhilfe kommt.
Auf der Ebene der Serviceleistungen, die die Träger für die Projekte erbringen, erweisen sich
insbesondere die großen Träger den kleinen überlegen. Große Träger sind eher in der Lage,
die Projekte durch die Übernahme verwaltungstechnischer Aufgaben zu entlasten. Die Ergebnisse der Befragung geben allerdings keinen Aufschluss darüber, ob die engere personelle
Verflechtung der Projekte mit ihren Trägern, die es bei kleinen Trägern gibt, positive Effekte
hat, die die geringere Unterstützung bei den Serviceleistungen wett machen. Es stellt sich die
Frage, ob kleinere Träger bei diesen allgemeinen Aufgaben durch CIVITAS unterstützt werden sollten.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
63
Die einzelnen Typen der Strukturprojekte zeigen hinsichtlich ihrer Aufgaben, Methoden,
Kooperationsbeziehungen und Zielgruppen zwar Ansätze von Profilen im Sinne von Zuständigkeiten, diese könnten aber noch klarer herausgearbeitet werden. So wäre beispielsweise zu
verhindern, dass zwar alle Projekttypen Jugendliche, aber nicht oder nur in sehr geringem
Umfang Polizei, Justiz und Unternehmen als wichtige Zielgruppe betrachten. Dabei ist aber
auch zu beachten, dass die allgemeinen Aufgaben und Vorgehensweisen den lokalen Bedingungen und Problemstellungen jeweils neu anzupassen sind.
CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte
64
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
65
IV A Mobile Beratung (von Heinz Lynen von Berg)
1
2
3
Gegenstand der Untersuchung..................................................................................... 68
1.1
Ausgangspunkt der Untersuchung .......................................................................... 68
1.2
Fragestellung und Materialbasis der Untersuchung ................................................ 68
1.3
Vorgehen und Methoden......................................................................................... 69
1.4
Idealtypische Beschreibung des Ansatzes Mobile Beratung................................... 70
1.5
Schlüsselkategorien................................................................................................. 71
1.6
Die Mobilen Beratungsteams des CIVITAS-Programms ....................................... 72
Regionale und lokale Rahmenbedingungen Mobiler Beratung ................................ 75
2.1
Sozial-ökonomische Rahmenbedingungen ............................................................. 75
2.2
Defizite in der Jugendarbeit .................................................................................... 77
2.3
Mangelndes Problembewusstsein ........................................................................... 79
2.4
Fremdenfeindliche und antidemokratische Grundhaltungen................................... 80
2.5
Grundvoraussetzungen für Mobile Beratung .......................................................... 81
2.6
Positive Entwicklungen........................................................................................... 85
2.7
Fazit......................................................................................................................... 86
Ansätze und Tätigkeiten Mobiler Beratungsteams.................................................... 87
3.1
Ansätze und Ziele Mobiler Beratung ...................................................................... 87
3.1.1
Der offene moderierende Ansatz..................................................................... 87
3.1.2
Der Ansatz der Gegnerschaft zum Rechtsextremismus .................................. 90
3.1.3
Ziele Mobiler Beratung ................................................................................... 91
3.1.4
Fazit................................................................................................................. 92
3.2
Zielgruppen Mobiler Beratung................................................................................ 94
3.2.1
Allgemeine Bestimmung der Zielgruppen ...................................................... 94
3.2.2
Hauptzielgruppen ............................................................................................ 94
3.2.3
Ausweitung der Zielgruppen ........................................................................... 95
3.2.4
Offenheit der Zielgruppen............................................................................... 96
3.2.5
Fazit................................................................................................................. 97
3.3
Rollen- und Selbstverständnis der Mobilen Beratungsteams.................................. 98
3.3.1
Grundzüge und Ambivalenzen des Rollenverständnisses............................... 98
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
3.3.2
Berater oder Akteur....................................................................................... 100
3.3.3
Bewegungs- und politischer Akteur .............................................................. 101
3.3.4
Mobile Beratung als Moderation................................................................... 103
3.3.5
Fazit............................................................................................................... 106
3.4
Vorgehen und Methoden der Mobilen Beratungsteams........................................ 106
3.4.1
Erst- und Kontaktgespräche .......................................................................... 109
3.4.2
Analyse und Recherchetätigkeiten ................................................................ 111
3.4.3
Entwicklung von (lokalen) Handlungsstrategien .......................................... 115
3.4.4
Vorgehen bei der Beratung von Jugendeinrichtungen – ein Fallbeispiel...... 116
3.4.5
Ein weiterer Tätigkeitsbereich: Fortbildung.................................................. 119
3.4.6
Reflexion der Arbeit...................................................................................... 121
3.4.7
Fazit............................................................................................................... 122
3.5
4
66
Ergebnisse und Erfolge der Mobilen Beratungsteams .......................................... 123
3.5.1
Kann man den Erfolg Mobiler Beratung messen? ........................................ 124
3.5.2
Sensibilisierung durch Mobile Beratung....................................................... 127
3.5.3
Aktivierung durch Mobile Beratung ............................................................. 128
3.5.4
Netzwerkbildung und Bündnisse .................................................................. 129
3.5.4.1
Zusammenarbeit der MBTs mit OBS und NWS....................................... 129
3.5.4.2
Zusammenarbeit der MBTs untereinander................................................ 131
3.5.5
Nachhaltigkeit und „manifeste“ Ergebnisse.................................................. 132
3.5.6
Misserfolge.................................................................................................... 135
3.5.7
Fazit............................................................................................................... 136
Vergleichende Fallbeschreibung zweier Beratungsprozesse ................................... 137
4.1
Auswahl der beiden Mobilen Beratungsteams...................................................... 137
4.2
Beschreibung Fall A.............................................................................................. 138
4.2.1
Lokale Rahmenbedingungen und Anlass der Mobilen Beratung.................. 138
4.2.2
Tätigkeiten des MBT A................................................................................. 139
4.2.3
Auswertung Fall A ........................................................................................ 145
4.3
Beschreibung Fall B .............................................................................................. 150
4.3.1
Lokale Rahmenbedingungen und Anlass der Mobilen Beratung.................. 150
4.3.2
Tätigkeiten des MBT B ................................................................................. 153
4.3.3
Auswertung des Falls B................................................................................. 159
4.4
Kontrastiver Fallvergleich und Fazit..................................................................... 160
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
5
67
Zusammenfassung und Resümee der Evaluierung der Mobilen Beratung ........... 164
5.1
Ergebnisse der Evaluierung der Mobilen Beratungsteams.................................... 164
5.2
Anregungen für die weitere Arbeit........................................................................ 169
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
68
1 Gegenstand der Untersuchung
1.1 Ausgangspunkt der Untersuchung
Die Implementation der Mobilen Beratungsteams (MBT) ist in dem Bericht der ersten wissenschaftlichen Begleitforschung des CIVITAS-Programms unter der Leitung von Rommelspacher von der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin untersucht worden. Von ihrem
Team wurde das erste halbe Jahr der Aufbauarbeit der MTBs und ihrer Infrastrukturen beschrieben. Aufgrund eines Wechsels in der wissenschaftlichen Begleitforschung liegt zwischen dem Erhebungszeitraum (Juli bis Dezember 2001) des Forschungsteams um Rommelspacher und dem Erhebungszeitraum der neu eingesetzten wissenschaftlichen Begleitforschung von Februar bis Oktober 2003 eine Lücke von mehr als einem Jahr, in der die Entwicklung der MBTs nicht verfolgt werden konnte. Auch deshalb konzentriert sich die Untersuchung der MBTs nicht auf eine Entwicklungsgeschichte ihrer Arbeit, sondern versucht anhand von punktuellen „Tiefenbohrungen“ und an exemplarischen Tätigkeitsbereichen der
MBTs die für diese Tätigkeiten relevanten Einflussfaktoren/Rahmenbedingungen zu analysieren. Es geht also darum, den Förderschwerpunkt „Mobile Beratungsteams“ anhand ausgewählter und in den Interviews thematisierter (Tätigkeits-)Bereiche zu untersuchen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Beratungsansätzen, Vorgehensweisen und Resultaten
näher zu beleuchten sowie die aus der Sicht der Berater/innen genannten Kontextbedingungen darzustellen. Kurzum, es geht um die Rekonstruktion eines Arbeitsfeldes, die Interventionen der Berater/innen in diesem Arbeitsfeld und um deren mögliche Folgen. Abschließend
sollen die Vorgehensweisen und deren zu interpretierende Folgen im Hinblick auf eine demokratische Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus bewertet werden.
1.2 Fragestellung und Materialbasis der Untersuchung
Die Fragestellung richtet sich in der Hauptsache auf die Tätigkeitsbereiche und Vorgehensweisen der MBTs. Was also tun die MBTs und wie tun sie es? Die Grundfragestellung lässt
sich nun sowohl in der Breite der Tätigkeiten der MBTs sowie in der Tiefe in Hinblick auf
das Rollenverständnis der Berater/innen, die Zielsetzungen, das methodische Vorgehen und
die Qualität ihrer Arbeit ausdifferenzieren. Die dazu im Evaluationskonzept entwickelte
Spannbreite der Fragestellungen wird aus darstellungstechnischen Gründen jeweils bei der
Behandlung der einzelnen Frage- und Untersuchungsbereiche entwickelt.
Arbeitsfelder und Arbeitspraxis wurden durch eine qualitative Querschnittsbefragung erhoben, in der sowohl Projektleiter/innen bzw. Koordinator/innen1, einzelne Kleinteams als auch
der Koordinator für den Förderschwerpunkt MBT befragt wurden. Dazu wurden zwei Gruppendiskussionen mit den Leiter/innen aller MBTs, fünf problemzentrierte Einzelinterviews
1
Die Projektleitungen der MBTs bezeichnen sich in der Regel als Koordinatorin bzw. Koordinator.
Damit es zu keinen Verwechselungen mit den Koordinatoren der einzelnen Förderschwerpunkte auf
der Programmebene kommt, sind mit den Projektleiter/innen hier die Koordinator/innen der MBTs gemeint.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
69
mit Leiter/innen der MBTs sowie sieben Interviews mit Kleinteams von jeweils mindestens
zwei Mitarbeiter/innen durchgeführt. Bis auf ein Bundesland wurden aus allen Ländern jeweils zwei Kleinteams – wenn vorhanden auch verschiedener Träger – interviewt. In einem
Bundesland, in dem nur ein Kleinteam befragt werden konnte, ist zudem ein ausführliches
Interview mit dem Leiter bzw. Koordinator des MBTs durchgeführt worden. Des weiteren
wurden zwei Kleinteams aus verschiedenen Bundesländern näher begleitet und anhand intensiver exemplarischer Falluntersuchungen analysiert, zu denen jeweils ein bzw. zwei weitere
Folgeinterviews stattfanden. Zu den beiden intensiver untersuchten Kleinteams wurden zudem sechs bzw. sieben externe Einschätzungen zu der Arbeit der MBTs von Kooperationspartnern bzw. wichtigen Akteuren/Experten aus den Kommunen eingeholt. Um auch einen an
der Beratungspraxis orientierten weiteren Bewertungsmaßstab zu haben, fand zudem ein Interview mit dem Leiter des MBT Brandenburg statt, das nicht vom CIVITAS-Programm gefördert wird. Da dieses MBT von der Programmebene als eine Art Modell und Bezug für die
Leitlinien des Förderschwerpunkts „Mobile Beratungsteams“ definiert wurde, sollte durch
diese externe Expertenbefragung des Leiters des MBT Brandenburg die Basis für eine weitere Spiegelung der von der wissenschaftlichen Begleitforschung vorgenommenen Bewertung
der Ansätze und Vorgehensweisen der durch das CIVITAS-Programm geförderten Mobilen
Beratungsteams geschaffen werden.2 Berücksichtigung fanden zudem weitere externe
Einschätzungen zum Programm und der Arbeit der MBTs von Trägern und von Experten in
den Regionen, in denen die MBTs tätig sind.
1.3 Vorgehen und Methoden
Bei den Gruppendiskussionen mit den Leiter/innen bzw. Koordinator/innen der MBTs handelte es sich um halb offene, problemzentrierte Interviews (vgl. Witzel 2000), die mit konträren Impulsthesen zu Ansätzen und Vorgehensweisen Mobiler Beratung seitens der wissenschaftlichen Begleitforschung eingeleitet wurden. Sie hatten zum Ziel, die Konzeptionen,
Vorgehensweisen, Ziele und die für die Arbeit wichtigen Rahmenbedingungen in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu erheben. Die Gruppendiskussionen hatten den großen
Vorteil, dass sich die jeweiligen Leiter/innen auf fokussierte Themen bezogen und in einer
Interaktionsdynamik die verschiedenen Aspekte Mobiler Beratung diskutiert wurden. Dadurch gelang ein konstruktiver Austausch. Die themenzentrierten Interviews mit den Kleinteams wurden ebenfalls mit den gleichen Impulsen eröffnet, um mögliche Unterschiede zwischen der Leitungs- und Mitarbeiterebene festzustellen. Dies – um es vorwegzunehmen – war
aber in prägnanter Weise in der Regel nicht der Fall. Aus allen Interviews wurden die von
den Interviewten vorgenommenen Thematisierungen einerseits in Hinblick auf die von den
Interviewten zugeschriebene Relevanz und andererseits im Bezug auf die Wichtigkeit für die
Fragestellungen codiert und ausgewertet (vgl. Kap. II). Aus der Fülle des Interviewmaterials
wurden dann die zu den jeweiligen Thematisierungen sowohl die in ihrer Grundaussage übereinstimmenden als auch differenten Textbelege zu einer verallgemeinerungsfähigen Aussage
verdichtet. Als Belegstellen wurden diejenigen Textstellen ausgewählt, die in ihrer Aussage
2
Der Leiter des MBT Brandenburg, Wolfram Hülsemann, nahm zudem an der zweiten Gruppendiskussion mit den Leiter/innen der vom CIVITAS-Programm geförderten MBTs teil (vgl. GD 2).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
70
typisch für eine Thematisierung sind oder bezeichnende Differenzierungen oder Abweichungen markieren. So ist es gelungen, sowohl die für den Mobilen Beratungsansatz charakteristischen Gemeinsamkeiten als auch bezeichnende Unterschiede zu markieren. Es konnte auch
gewährleistet werden, dass man aus der Fülle des Materials die Arbeitspraxis in ihrer Breite
berücksichtigen und dennoch auf die wesentlichen Punkte begrenzen konnte. Wichtig ist
noch die Feststellung, dass neben der von der wissenschaftlichen Begleitforschung vorgegebenen Problemfokussierung von den Befragten die ihnen wichtigen Themen in den Interviews artikuliert wurden.
1.4 Idealtypische Beschreibung des Ansatzes Mobile Beratung
Die Mobile Beratung ist konzeptionell ein innovativer Ansatz zur Beförderung von Lernprozessen und Partizipation in der Kommune oder einem anderen Gemeinwesen. Diesen Ansatz
gibt es in dieser ausgeprägten Form insbesondere in den neuen Bundesländern, weil hier im
Gegensatz zu den alten Bundesländern neben einer weitverbreiteten Distanz zu den Institutionen des politischen Systems die zivilgesellschaftlichen Strukturen nicht so ausgeprägt und
gefestigt sind (vgl. Stöss 2000; Lynen von Berg u.a. 2002: 313ff.). Die mit der kommunalen
Beratung anvisierten „Großziele“ – wie die Entwicklung eines demokratischen und weltoffenen Klimas in den Kommunen und Gemeinwesen – sind auf langfristige Veränderungsprozesse hin angelegt und haben in der Regel eine präventive Ausrichtung. Da sich persönliche
Einstellungen und Mentalitäten, politische Kulturen im Allgemeinen nur langsam ändern,
kann nicht von schnellen und sichtbaren Erfolgen ausgegangen werden (vgl. z.B. Kocka
2003).
Mobile Beratung geht als niedrigschwelliger Ansatz auf die Klienten und die vor Ort anzutreffenden Problemlagen ein und sucht in der Regel die zu Beratenden auf. Eine Beratung
erfolgt auf Anforderung durch eine Institution oder auf Wunsch von Bürger/innen und Initiativen. Es kann aber auch vorkommen, dass die MBTs von sich aus auf öffentlich wahrnehmbare rechtsextreme Erscheinungen reagieren. Zentrale Beratungsgrundlage sind die Wünsche
und Problemlagen sowie die Ressourcen der Klienten bzw. der Bürger/innen und Institutionen vor Ort. Die Bürger/innen und institutionellen Akteure sollen durch Beratung und Begleitung eines Prozesses in ihren Kompetenzen darin gestärkt werden, demokratie- und fremdenfeindliche Erscheinungen zu bearbeiten bzw. dazu befähigt werden, die sie in ihrem Gemeinwesen betreffenden Probleme und Anliegen selbst in die Hand zu nehmen und gestaltend auf das Gemeinwesen einzuwirken. Die Mobile Beratung soll so zum Aufbau und zur
Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen animieren und hat die Aufgabe, dazu beizutragen,
dass Bedingungen für gelingende Lern- und Partizipationsprozesse in Richtung auf ein besseres demokratisches Klima möglich werden.
Die Mobile Beratung geht dabei von dem Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ aus. Die Beratung läuft darauf hinaus, dass sich die Berater/innen mehr und mehr „überflüssig machen“
und die Bürger/innen und institutionellen Akteure selbst zu den Akteuren des Erfolgs werden.
Die Akteure vor Ort gelten dabei als die „eigentlichen“ Experten für die Lösung „ihrer“ Probleme.
Diese an der Beratungspraxis der MBTs und den Leitlinien entwickelten Zielsetzungen und
Aufgaben verdichten sich in den im Folgenden eingeführten Schlüsselkategorien, die die
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
71
vielseitigen Tätigkeiten der MBTs systematisieren und auf verallgemeinerbare und theoretisch abgeleitete Grundtätigkeiten zurückführen. Durch diese theoriegeleitete Systematisierung und Verdichtung wird eine idealtypische Tätigkeitsbeschreibung und Zielsetzung der
Mobilen Beratung formuliert, anhand derer sich die Bewertung der praktischen Arbeit der
MBTs orientieren kann.
1.5 Schlüsselkategorien
Befähigen
Die primäre Aufgabe Mobiler Beratung besteht darin, Akteure vor Ort dazu zu befähigen, mit
Problemen im Kontext von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus eigeninitiativ unter
optimaler Nutzung vorhandener materieller und personaler Ressourcen und in Anwendung
demokratischer Auseinandersetzungsformen umzugehen und dabei möglichst viele Mitglieder des Gemeinwesens anzusprechen und aktiv zu beteiligen. Ziel dieses zum Self-Empowerment befähigenden Ansatzes ist es, die Handlungsressourcen im Gemeinwesen „freizulegen“ und individuelle und kollektive Handlungskompetenzen zu entwickeln und zu der Vitalisierung einer partizipativen Demokratie beizutragen. Dies kann durch Methoden der Beratung und Begleitung, Coaching und Projektentwicklung sowie der politischen Bildung und
Informationsvermittlung geschehen.
Sensibilisieren
Voraussetzung für diesen Befähigungsprozess ist, dass eine Sensibilität für das Thema
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und der Notwendigkeit zu Interventionen besteht. Diese Sensibilisierung für das Thema muss über einen kleinen Kreis von bereits Sensibilisierten und Engagierten hinaus gehen, wenn Mobile Beratung als eine gemeinwesenorientierte Befähigungsstrategie wirken soll. Dabei kommt es insbesondere auch darauf an, diejenigen in den Kommunen zu erreichen, die als Verantwortungsträger Entscheidungsbefugnis
und/oder als lokale Eliten einen Vorbildcharakter haben oder über Einfluss verfügen. Sensibilisierung hat zum Ziel, bei möglichst vielen Akteuren und Verantwortungsträgern eine
Handlungsmotivation zu erzeugen. Sie ist Voraussetzung und gleichzeitig Anstoß zum Handeln. Eine auf effektive Ausnutzung der Ressourcen und Anwendung der vorhandenen Kompetenzen orientierte Beratung, mit dem Ziel, die zu Beratenden in ihrer Eigenaktivität und
Problemlösungskompetenz zu stärken, setzt ein gewisses Maß an Sensibilität oder auch Leidensdruck voraus, an dem Beratung erst ansetzen kann.
Aktivieren/Mobilisieren
Rechtsextremismus hat sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Dimension. Gegenstand von Interventionsstrategien ist die gesellschaftlich-kollektive Ebene, die Rechtsextremismus als ein öffentliches Phänomen betrachtet, dem auch öffentlich und mit demokratischen Mitteln begegnet werden soll. Dazu ist es wichtig, dass möglichst viele Bürger/innen
und Institutionen aus den unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen aktiviert werden.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
72
Vernetzen
Die MBTs haben die Aufgabe, möglichst viele Akteure anzusprechen und zwischen verschiedenen Personengruppen, deren Kommunikation oftmals blockiert ist, zu vermitteln,
Transparenz über den Beratungs- und Interventionsprozess herzustellen, Informationen zu
vermitteln und eine sich selbst tragende Vernetzung anzustoßen und bis zu einem bestimmten
Grade zu begleiten. Diese Bündelung von Ressourcen und Informationen befördert ein effektives Vorgehen und kann auch als Informationsgrundlage für andere Interventionsprozesse
genutzt werden. Neben einer in der Breite wirkenden Kooperation kann auch eine in die Tiefe
gehende qualitative Vernetzung im Verlaufe des Beratungsprozesses durch die MBTs angestoßen und durch Qualifizierung und Informationsvermittlung sowie Projektberatung erreicht
werden. Im optimalen Fall können dadurch verzahnte, systematisch auf einander bezogene
und aufbauende Interventionsstrategien entwickelt werden, die in einem lokalen Handlungskonzept integriert sind und von möglichst vielen Akteuren und Institutionen getragen und
umgesetzt werden. Erst diese auf Dauer zu stellenden und in den kommunalen Institutionen
verankerten und mit zivilgesellschaftlichen Initiativen verzahnten Interventionsstrategien
versprechen eine nachhaltige Stabilisierung einer bürgerschaftlich-demokratischen Kultur
und die damit erhoffte Zurückdrängung des Rechtsextremismus.
1.6 Die Mobilen Beratungsteams des CIVITAS-Programms
Von CIVITAS werden sechs Mobile Beratungsteams in den drei ostdeutschen Flächenländern Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern sowie in Berlin gefördert. In Brandenburg existiert bereits seit 1998 ein unter der Leitung von Wolfram Hülsemann im Rahmen
des Landesprogramms „Tolerantes Brandenburg“ gefördertes Mobiles Beratungsteam. Dieses
MBT diente implizit als Modell für die von CIVITAS geförderten MBTs.3 In Sachsen-Anhalt
wurde ebenfalls kein Mobiles Beratungsteam implementiert, da hier der Verein „Miteinander
e.V.“ mit seinen regionalen Niederlassungen bis Ende 2002 ähnliche Aufgaben erfüllte. Die
MBTs werden in Form einer Fehlbedarfsfinanzierung in den ersten beiden Förderjahren voll
vom CIVITAS-Programm gefördert. Ab 2004 müssen die Träger der MBTs Kofinanzierungsmittel in Höhe von 20% der Gesamtfördersumme akquirieren und ab 2005 in Höhe von
50%. Aufgrund der Vielfältigkeit der Aufgaben, den Problembelastungen in den neuen Bundesländern mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, den wenig entwickelten zivilgesellschaftlichen Strukturen und den weiten Entfernungen in den Flächenländern mit einem
noch schlecht ausgebauten Infrastrukturnetz sind die einzelnen Beratungsteams mit einem
relativ hohen Personalanteil ausgestattet.
Um eine gewisse Erreichbarkeit und regionale Präsenz zu gewährleisten, haben alle MBTs in
den Flächenländern regionale Niederlassungen, die mit Kleinteams von zwei oder drei Bera-
3
Der Leiter des MBT Brandenburg war allerdings bei der Konzeptionalisierung der Leitlinien des
Förderschwerpunkts „Mobile Beratungsteams“ nicht beteiligt. Das MBT Brandenburg diente als eine
Art empirisches Beispiel für Mobile Beratung bei der Formulierung der Leitlinien des CIVITAS-Programms, die für den Förderschwerpunkt „Mobile Beratungsteams“ maßgeblich von Bernd Wagner und
Lorenz Korgel vom Zentrum Demokratische Kultur der RAA Neue Bundesländer entworfen wurden
(vgl. Interview a 4).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
73
ter/innen besetzt sind. Um die Mobilität zu gewährleisten, verfügen die einzelnen Kleinteams
jeweils über ein geleastes Dienstauto. Die verschiedenen Teams haben dabei unterschiedliche
interne Aufteilungen und Organisationsformen entwickelt.
•
Das „Mobile Beratungsteam Sachsen – Demokratische Aktivität gegen rechtsextreme
Gewalt“ in Trägerschaft des Kulturbüros Sachsen e.V. hat drei regionale Niederlassungen (für den Regierungsbezirk Chemnitz in Neunkirchen, für den Regierungsbezirk Dresden in Pirna und für den Regierungsbezirk Leipzig in Wurzen) mit Kleinteams von jeweils zwei Mitarbeiter/innen. Die Projektkoordination teilen sich eine
Mitarbeiterin zu 75% und ein Mitarbeiter zu 25% und ist in der Geschäftsstelle des
Kulturbüros in Dresden angesiedelt.
•
Das „Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Thüringen e.V.“ (MOBIT),
ein eigens für die Antragstellung beim CIVITAS-Programm gegründeter Verein, hat
zwei Niederlassungen: eine in Gotha und eine in Saalfeld. Dort arbeiten jeweils zwei
Berater/innen in einer Vollzeitstelle und jeweils ein/e Mitarbeiter/in einer 20 Stunden-Stelle. Die Projektkoordinatorin mit einer halben Stelle pendelt zwischen den
beiden regionalen Niederlassungen hin und her und ist zudem mit einer halben Stelle
in der Beratung tätig. Zudem hat MOBIT eine Verwaltungskraft mit 30 Stunden.
•
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zwei Träger mit Mobilen Beratungsteams, die
eine territoriale Aufteilung ihrer Arbeitsgebiete vorgenommen und eine enge Kooperation entwickelt haben. Die „Evangelische Akademie“ in Rostock ist Träger des dortigen „Mobilen Beratungsteams für Demokratieentwicklung“, das von zwei Berater/innen mit jeweils einer 90% Stelle und einer Koordinatorin mit einer Halbtagsstelle gebildet wird.
•
Das „Mobile Beratungsteam für Demokratische Kultur“ der „RAA MecklenburgVorpommern e.V.“ hat drei regionale Niederlassungen (in Schwerin, Waren und
Greifswald) mit jeweils zwei bzw. in einem Team drei Mitarbeiter/innen. Die zwei
Koordinatoren mit jeweils einer Halbtagsstelle (mit Sitz in Waren) haben eine inhaltliche Aufteilung der Arbeitsgebiete vorgenommen: konzeptionelle, inhaltliche Arbeit
und Antragsabwicklung auf der einen und verwaltungstechnische Abwicklung und
Abrechnung auf der anderen Seite. Ein Koordinator ist zudem mit einer halben Stelle
in der Beratung tätig.
•
Für die Ostberliner Bezirke werden zwei Mobile Beratungsteams gefördert. Das
MBT „Ostkreuz – Netzwerke gegen Rechts!“ in Trägerschaft „Stiftung sozialpädagogisches Institut“ (SPI) ist für die Großbezirke Pankow und Marzahn-Hellersdorf
zuständig. Das Team mit fünf Berater/innen, wovon zwei jeweils eine halbe Stelle
haben, und der Koordinator (Ganztagsstelle) haben ein Büro in dem ehemaligen Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg.
•
Die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ des „Zentrums Demokratische
Kultur“ in Trägerschaft der „RAA Neue Bundesländer“ arbeitet überwiegend in den
Bezirken Treptow-Köpenick und Lichtenberg-Hohenschönhausen. Dieses Mobile
Beratungsteam hat insgesamt vier Mitarbeiter/innen, davon eine Koordinatorin, die
gleichzeitig für ein vom Berliner Senat finanziertes assoziiertes MBT zuständig ist.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
74
Die zu Beginn der Projektphase anvisierte Aufteilung der territorialen Zuständigkeiten zwischen den beiden Berliner Teams wird mittlerweile nicht mehr eindeutig eingehalten, so dass
beide Teams jeweils bei Anfragen von Akteuren auch in den anderen Bezirken tätig werden.
Die einzelnen regionalen Kleinteams der landesweit oder in mehreren Bezirken Berlins tätigen Mobilen Beratungsteams sind überwiegend geschlechtlich gemischt besetzt, in einigen
Kleinteams sind jedoch nur Frauen tätig. Die Beraterstellen sind in der Mehrzahl mit BAT
IVb-O und die Koordinatorenstellen in der Regel nach BAT III-O bzw. die zwei Stellen in
Berlin nach BAT IVa-O eingruppiert.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
75
2 Regionale und lokale Rahmenbedingungen Mobiler
Beratung
Auf der regionalen und lokalen Ebene finden die MBTs jenseits der unterschiedlichen Problembelastung von Rechtsextremismus und Gewalt gegen Minderheiten4 eine strukturelle
Problemlage vor, die die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Beratungsarbeit maßgeblich prägen. Im Folgenden soll diese Hintergrundsfolie anhand von Schilderungen der Interviewten
beleuchtet und mit einigen demographischen Daten untersetzt werden. Bei dieser exemplarischen Darstellung von Rahmenbedingungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass
diese in der dargestellten Form für alle Bundesländer gleich sind. So gibt es beispielsweise
schon erhebliche Differenzen zwischen der ökonomischen und sozialen Situation in der
Grenzregion Mecklenburg-Vorpommerns zu den alten Bundesländern und der Grenzregion
zu Polen. Solche erheblichen Unterschiede lassen sich auch für andere Regionen der Flächenländer feststellen. Generell ist davon auszugehen, dass jeder (kommunale) Beratungsfall
seine je spezifischen lokalen und sozialen Rahmenbedingungen hat, die ein auf diesen Fall
zugeschnittenes Vorgehen erfordern. Dennoch wurde in den Interviews deutlich, dass es trotz
diverser Unterschiede ein Bündel an Problemlagen gibt, mit denen sich insbesondere die
MBTs in den drei Flächenländern neben der konkreten Problembearbeitung des Themas
Rechtsextremismus auch oder sogar primär auseinandersetzen müssen. Um nun die Möglichkeiten und Grenzen der Mobilen Beratung angemessen beurteilen zu können, ist es notwendig, die wichtigsten Kontextbedingungen Mobiler Beratung zu skizzieren. Was sind also die
zentralen Problemlagen und Gegebenheiten, mit denen die MBTs in ihrer Arbeit vor Ort konfrontiert sind? Welche auch makrostrukturellen Faktoren prägen die Beratungstätigkeit?
2.1 Sozial-ökonomische Rahmenbedingungen
Auch dreizehn Jahre nach der Vereinigung befinden sich die neuen Bundesländer noch in
einem gesellschaftlichen Transformationsprozess, der von vielfältigen Veränderungen und
sozialen Verwerfungen gekennzeichnet ist. So werden die hohe Arbeitslosigkeit, die sozialen
Verwerfungen in Folge der gesellschaftlichen und staatlichen Umstrukturierungen nach der
Vereinigung, eine sich ausbreitende Perspektivlosigkeit gerade bei Jugendlichen und eine
weitverbreitete resignative bis depressive Stimmung vielerorts von den MBTs als prägnante
Hintergrundfolie ihrer Arbeit beschrieben.
„Ich erlebe hier eine weitverbreitete Apathie oder Resignation und Frustration über sowohl
persönliche als auch gesellschaftliche Zustände.“ (b-MBT 4, 1559-1560)
4
Die besondere Ausprägung und das Gefahrenpotenzial des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern sind ausführlich im ersten Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung dargestellt worden (vgl. Vossen/Lynen von Berg/Palloks 2002). Auch die Evaluierung von Rommelspacher
zeigt eine spezifische Problemlage des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern auf, mit dem
die Projekte des CIVITAS-Programms konfrontiert sind (vgl. Rommelspacher u.a. 2002, 2003; siehe
auch Roth 2003). Zur aktuellen fachwissenschaftlichen Diskussion vgl. Decker u.a. 2003; Heitmeyer
2002, 2003; Stöss 2000).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
76
Von den Berater/innen wird herausgestellt, dass diese makroökonomischen und sozialen
Rahmenbedingungen sich in konkreten Desintegrationserscheinungen auf der Alltagsebene
niederschlagen, die sich neben Apathie beispielsweise auch in einer hohen Gewaltbereitschaft
im Umgang miteinander oder im Alkoholismus zeigen können.
„Alkohol spielt eine ganz große Rolle, nebenbei gesagt. Alkohol und akzeptierte Gewalt in der
Familie und im Umgang miteinander.“ (b-MBT 4, 1674-1675)
Diese von den Interviewten geschilderten (Alltags-)Erfahrungen von Desintegrationserscheinungen werden auch durch Studien und die aktuelle Berichterstattung in der Tagespresse, wie
im folgenden Beispiel für Mecklenburg-Vorpommern, bestätigt. „Sozialarbeiter und Gemeindehelfer in Mecklenburg-Vorpommern sind besorgt. Gewalt herrsche in immer mehr Familien; vor allem in ländlichen Gegenden gebe es Verwahrlosung und viel versteckte Armut,
sagt ein Referatsleiter für Kinder- und Jugendhilfe im Diakonischen Werk MecklenburgVorpommern. (...) Das Maß an Desintegration steige. ‚Die soziale Verfassung der Gesellschaft hier befindet sich im freien Fall.’“ (Wenz 2003)
Die Flächenländer sind – in einem zwar unterschiedlichem Ausmaß – mit einer starken Abwanderung konfrontiert, die sich von Region zu Region unterschiedlich deutlich bemerkbar
macht. Neben gravierenden Rückgängen bei Steuereinnahmen und der Kaufkraft sowie der
Nachfrage nach Dienstleistungen und kulturellen Gütern führt dies zu einer Verknappung des
Angebots gerade qualifizierter Arbeitskräfte und einer tendenziellen Unterauslastung infrastruktureller Einrichtungen (vgl. Jurczek 2003). Vor dem Hintergrund, dass die mobilen und
qualifizierten Jugendlichen als erste abwandern, baut sich hier ein Problemfeld auf, mit dem
die MBTs in ihrer konkreten Arbeit konfrontiert sind. In einem Interview wird explizit daraufhingewiesen, dass gerade junge, qualifizierte Frauen abwandern5, womit sich nicht nur im
Hinblick auf die Jugendarbeit eine problematische Gemengelage abzeichnet. Dies könnte
einerseits zu der Stabilisierung eines Milieus des dominanten maskulinen Handlungstyps mit
sexistischem Verhaltenskodex über das Jugendalter hinaus führen und andererseits die demographische Entwicklung gravierend prägen. So bestätigt das Institut für Regionalentwicklung
und Strukturplanung in Erkner die Schilderungen der Mitarbeiter/innen der MBTs und
kommt in einer Studie zu Brandenburg zu dem Ergebnis, dass eine Überlagerung von negativen Entwicklungen in ,Sterbenden Städten´ Brandenburgs zu verzeichnen sei:6
5
Dieser Befund wird auch von Studien zur Abwanderung belegt. So hat das Statistische Bundesamt für
den Zeitraum von 1991 bis 2001 eine wesentlich höhere Abwanderung von Frauen als von Männer von
den neuen in die alten Bundesländer festgestellt. Von den 620 000 Abgewanderten waren 409 000
Frauen und nur 211 000 Männer (vgl. Tkalec 2003); für Thüringen vgl. dazu u.a. Kühn (2001: 1 u. 1012); für Mecklenburg-Vorpommern vgl. Statistisches Landesamt Mecklenburg-Vorpommern (2002:
255).
6
Zur Abwanderung und Bevölkerungsentwicklung in den anderen neuen Bundesländern siehe für
Sachsen-Anhalt und allgemein für die neuen Bundesländer z.B. Sahner (2002: 14ff.); für Mecklenburg-Vorpommern vgl. z.B. den Monatsbericht 10/2003 des Statistischen Landesamtes MecklenburgVorpommern (2002: 249ff.); für Thüringen vgl. z.B. Kühn (2001); für Sachsen vgl. z.B. Jurczek
(2003). Zur Bevölkerungsentwicklung und Wanderungsverluste der neuen Bundesländer für den Zeitraum 1990-1999 vgl. Statistisches Landesamt Mecklenburg-Vorpommern (2002: 252 insb. Tabelle 1).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
1.
wachsende Arbeitslosigkeit
2.
(„brain drain“) also Abfluss von Kompetenzen
3.
Männerüberschuss (vgl. Matthiesen 2003: 2).
77
Für Matthiesen verdichtet sich diese Entwicklung zu einer Art „sozialer Abwärtsspirale“.
„Fügen wir diese drei Prozesse (wachsende Arbeitslosigkeit, brain drain, Männerüberschuss)
zusammen, sehen wir in der Überlagerung dieser Tendenzen das Schreckbild ,Sterbende
Stadt´ heraufziehen. Um es ganz krass auszudrücken – die Gefahr ist groß, dass sich in der
Abwanderung folgendes Bild verdichtet: Die Städte würden überdurchschnittlich bevölkert
von arbeitslosen Männern mit niedrigem I.Q., ohne Chance auf Arbeit, aber auch ohne Chance auf gelingende Familien- oder Paarbeziehungen! Damit verringert sich drastisch die Chance auf eine kräftig nachwachsende nächste Generation. Womit die Schrumpfungsspirale in
diesen Städten in eine nächste, noch härtere Phase schliddert.“ (Matthiesen 2003: 2; vgl. auch
Mara 2003) Diese Entwicklungstendenzen dürften sich in strukturschwachen ländlichen Regionen noch deutlicher abzeichnen.
2.2 Defizite in der Jugendarbeit
Die MBTs stoßen so bei einem für ihre Arbeit wichtigen Bereich wie der Jugendarbeit auf
gravierende strukturelle Defizite. Die Kommunen und Kreise haben nicht genügend Mittel
zur Verfügung, um über ihre Pflichtaufgaben hinaus weitere Angebote in der Jugendarbeit zu
machen. In einem Teil der Landkreise, in denen die MBTs tätig sind, ist es den zuständigen
Behörden der Jugendhilfeplanung nicht gelungen, ein attraktives Grundangebot für Jugendliche zu machen. Erst recht werden den Jugendlichen kaum Möglichkeiten gegeben, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv gestalterisch einzubringen. Auch Träger der Jugendarbeit und zuständige Mitarbeiter der Jugendverwaltungen beklagen das fehlende Interesse
für die nachwachsende Generation und den Mangel an Eigeninitiative der Kommunen (vgl.
Fallvergleich in Kap. 4). So sind Jugendeinrichtungen häufig mit befristeten und nicht für
diesen Bereich qualifizierten SAM- und ABM-Kräften besetzt. Die langfristige Finanzierung
von Einrichtungen und Stellen ist vielerorts nicht gesichert und gutes Personal ist für die
schlecht eingruppierten und gute Qualifikationen erfordernden Stellen gerade auf dem Land
kaum zu bekommen.
„Wir haben aber in vielen Bereichen momentan das Problem, dass eben viele Jugendclubmitarbeiter über SAM beziehungsweise ABM gefördert sind, eigentlich ist das mehr SAM momentan, und dass die, ja, ganz viele Clubs von Schließungen bedroht sind. Und ich hatte also
letztens ein Beratungsgespräch, wo (...) ein Träger dabei war, wo Jugendclubmitarbeiter dabei waren, wo auch vom Amt Leute dabei waren. Und wo sich also relativ schnell herausstellte, dass das Mobile Beratungsteam in der momentanen Situation überhaupt keine weitere
Beratung machen kann, weil klar ist, dass innerhalb des nächsten Monats eben die Stellen
wegfallen. Beziehungsweise dass die Finanzierung der Stellen nicht gesichert ist, was dazu
führt, dass die Mitarbeiter dann natürlich auch nicht offen sind für Weiterqualifizierungsmaßnahmen oder für Konzepte jetzt zur Änderung der Clubarbeit.“ (b-MBT III L, 80-89)
Dieses geringe und zum Teil unattraktive Angebot in der Jugendarbeit hängt auch damit zusammen, dass es relativ wenige Träger gibt, die auf Jugendarbeit spezialisiert sind und nach
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
78
Auskunft einiger MBTs eine qualitativ gute Jugendarbeit machen (vgl. z.B. b-MBT 1; bMBT III L; Fallvergleich Kap. 4).
Auch gibt es im ländlichen und kleinstädtischen Raum kaum Jugendorganisationen der demokratischen Parteien, in denen engagierte Jugendliche eine Betätigung finden könnten. Diese Jugendorganisationen könnten wiederum ein Ansprechpartner für die MBTs sein und sich
als Akteure in einem kommunalen Netzwerk z.B. für Demokratieentwicklung und Weltoffenheit engagieren.
„In ((Ort)) haben es beispielsweise die Parteien nicht geschafft, Jugendorganisationen aufzubauen. Also wie ((Name der Jugendorganisation einer Partei)) oder so, das gibt es eben nicht.
Und ich denke, das ist ein weites Problem. Also da ist sicherlich im Angebot: Freiwillige Feuerwehr, Schützenverein oder sonst was. Das ist sozusagen mehr in diesem bürgerlichen, aber
unpolitischen Milieu, dass es da schon Strukturen gibt, aber dass das doch sehr begrenzt ist.
Und das hängt sicherlich auch mit der schwachen Trägerlandschaft zusammen und eben auch
mit dem Problem der Massenabwanderung.“ (b-MBT III L, 185-191)
Andere Beratungsteams berichten, dass in den Kommunen die bestehende Jugendarbeit zum
Teil vernachlässigt wird. So kommt es nicht selten vor, dass gerade die Jugendeinrichtungen
und Träger alleine gelassen werden, die mit Problemgruppen und rechtsextrem-orientierten
Jugendlichen arbeiten bzw. zwangsläufig „umgehen“ müssen. Im folgenden Zitat werden
nicht nur die verschiedenen Facetten der Problemlagen angesprochen, sondern auch die Ausweichstrategien sichtbar, mit denen kommunale Verantwortungsträger und Teile der Bevölkerung rechtsextreme Erscheinungen und deren Ursachen „bewältigen“.
„Das hatten aber auch in den Gesprächen die Stadträte und zumindest auch der Bürgermeister selbst erkannt, dass sie sich in der Vergangenheit einfach zu wenig um die Jugendarbeit im
Ort gekümmert haben. Sie haben lediglich festgestellt, dass Jugendliche abwandern, und dass
sie ein Problem haben, dass vor allem eben eher sozial benachteiligte Jugendliche, die weniger flexibel sind, die auch diese Begleitung bezüglich anderer Lebenskonzepte aus dem Elternhaus nicht kriegen, dass die dableiben, dass es natürlich da auch Probleme gibt und dass
einfach in dem Ort auch ein Stück soziale Infrastruktur wieder geschaffen werden muss. Und
sie nicht so in ihrer Rückwärtsgewandtheit verharren, ‚zu DDR-Zeiten war alles besser’, solche Sprüche kamen da schon, weil sie einfach eine sehr, sehr hohe Arbeitslosigkeit haben, ein
Viertel der Leute sind dort ohne Arbeit.“ (b-MBT 1, 171-180)
Neben den sehr problematischen Entwicklungen in der Jugendarbeit und Jugendhilfeplanung
kommen aufgrund der demographischen Entwicklung im Schulbereich Schließungen und
Verlagerung von Schulen hinzu. Die damit zusammenhängenden Veränderungen und ungewissen Zukunftsperspektiven haben auch zur Folge, dass gerade die von Schließungen bedrohten Schulen mit sich selbst und ihrer Zukunft beschäftigt sind und trotz bestehender
Probleme – beispielsweise mit rechtsextremen Provokationen – für eine Auseinandersetzung
mit Rechtsextremismus nur bedingt offen sind (vgl. Fallvergleich Kap. 4). Hinzu kommen in
manchen Bundesländern grundsätzliche Änderungen im Schulsystem wie beispielsweise die
Verkürzung der Schuldauer bis zum Abitur.
„Im Bereich der Schule auch eine ziemlich konfuse Schulpolitik. Angefangen bei mal 13. mal
12. Schuljahr, das ist jetzt schon der dritte Wechsel innerhalb von 10 Jahren, dann massive
Zusammenlegungen von Schulen, Stellenkürzungen bei Lehrern, Stundenreduzierungen mas-
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
79
siv, damit verbunden auch hohe Frustration. Im Jugendbereich genau dasselbe.“ (b-MBT 4,
1691-1695)7
Diese als defizitär zu bezeichnenden Strukturen in der Jugendarbeit, insbesondere die geringe
Planungssicherheit aufgrund ungewisser Finanzierungen und das für eine qualitative Jugendarbeit nicht ausgebildete Personal sowie das geringe und wenig attraktive Jugendfreizeitangebot bilden für die MBTs eine schwierige Ausgangslage. In vielen Regionen fehlen schlicht
wichtige Kooperationspartner und Anlaufstellen, an denen ihr Beratungsangebot ansetzen
kann.
2.3 Mangelndes Problembewusstsein
Ein anderer Aspekt für die Beratungsarbeit, der nach wie vor wichtig ist, ist das vielerorts
geringe Interesse an einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus. Schon in der Evaluierung der MBTs von Rommelspacher wird festgestellt, „wie wenig
der Rechtsextremismus selbst bei Vertretern kommunaler oder staatlicher Organe als Problem
wahrgenommen wird“ (Rommelspacher u.a. 2002: 45). Dieser Befund hat – neben auch positiven Beispielen einer offenen Auseinandersetzung mit dem Thema – nach wie vor Bestand.8
„Das Problem hat der Bürgermeister auch lange so beschrieben, der hat ja nicht gesagt, wir
haben rechte Orientierung oder rechtsextreme Jugendliche, sondern der hat gesagt, wir haben
viele ‚fehlerzogene’ und ‚fehlgeleitete’ Jungs, die aus schwierigen Elternhäusern kommen, also eher dieser Defizit-Ansatz.“ (b-MBT 1, 181-184)
Ein anscheinend nicht unerheblicher Teil (kommunaler) Verantwortungsträger möchte nach
Schilderungen der MBTs aus Angst vor einem Imageverlust ihrer Kommune/Einrichtung das
Thema Rechtsextremismus nicht öffentlich aufgreifen. Dabei bestehen vor allem gegenüber
den Medien Befürchtungen, dass mit einer einseitigen Skandalisierung negativer rechtsextremer Erscheinungen nicht nur ein Imageverlust einhergehe, sondern die vielen Gegenaktivitäten nicht in angemessener Weise wahrgenommen werden.
„Weil in dem Moment, wo sich jemand bekennt und sagt: ‚Jawohl, wir haben das Problem’,
stürzen sich die Medien dermaßen unqualifiziert Schlagzeilenmäßig auf Städte, und ich könnte
das ja von ((Ort)) über zehn Jahre nachvollziehen, nach den ausländerfeindlichen Übergriffen
die hier waren, dass alles das, was dagegen gemacht wird, nichts gilt. Dass die Medien immer
nur danach suchen, wo wieder mal irgendeine Sache auftaucht. Und damit sind natürlich
Bürger, sind Vereine sehr sensibel, die sich dann jahrelang bemühen, ob in präventiven oder
auch in unmittelbaren Arbeitsbereichen (...).“ (c-MBT 1 Koop 4, 69-77)
7
Hinzu kommen in manchen Bundesländern Umstrukturierungen in den Verwaltungen. „Im Moment
auch starke Umstrukturierungsprozesse, was Verwaltung betrifft aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten, was auch Frustrationen erzeugt bei den Leuten, die auch Verantwortung tragen. Im Schulbereich ist das ganz massiv, aber auch im Verwaltungsbereich, wo immer weiter Stellen reduziert werden
und Aufgaben zurückgefahren werden.“ ( b-MBT 4, 1686-1690)
8
Vgl. hierzu auch die beiden jüngst erschienenen Zeitungsartikel: Honnigfort, Bernhard (2003): „Bloß
keinen Aufstand! Totschweigen lautet vielerorts die Devise, wenn es um Rechtsextremismus geht.“
Frankfurter Rundschau, 08.10.2003: 27; sowie: Seils, Christoph (2003): „’Schnappt euch die Blonden’.
In Potsdam häufen sich Meldungen über rechtsextreme Gewalt, aber die Polizei sieht nur normale
Schlägereien.“ Frankfurter Rundschau, 18.08.2003: 27.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
80
Trotz auch zu verzeichnender Bemühungen sich mit dem Thema Rechtsextremismus intensiv
zu beschäftigen, wird von den MBTs nach wie vor berichtet, dass in einem Teil der Beratungsfälle diejenigen als Nestbeschmutzer bezeichnet und ausgegrenzt werden, die in Kommunen oder Einrichtungen wie Schulen und Verwaltungen das Thema Rechtsextremismus
offen ansprechen und eine Auseinandersetzung einfordern.
„Man muss einfach sehen, dass in den Gemeinden selbst ein wahnsinniger Druck da ist, und
dass Leute eben dann selbst schnell als Nestbeschmutzer auch geoutet werden. Sich selbst
auch so verstehen. Und dass einfach sehr viel Angst davor ist, sozusagen in einer Kommune zu
wirken.“ (b-MBT III L, 487-493)
Diese Angst in den Kommunen wird von einem Teil der MBTs als lähmend oder gar blockierend für eine offene Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus empfunden.
„Manchmal weiß ich nicht, inwieweit das vorgeschoben ist, in einigen Kommunen ist die
Angst einfach sehr stark, da bin ich immer noch hin- und hergerissen, ob es mehr ein Alibi ist,
nichts zu tun, oder ob es wirkliche Angst ist. (...) Die muss auf jeden Fall überwunden werden,
wenn wir uns dem Thema stellen und irgendwo in einer Kommune auch etwas bewegen wollen. Und da ist die Angst eher lähmend, in den Städten, wo wir es erlebt haben, ist es echt
lähmend, immer wieder damit konfrontiert zu sein, dass da eine große Angst ist.“ (b-MBT 1,
1888-1896)9
Dieser „Mangel an Problembewusstsein im Sinne eines strategischen oder auch tatsächlichen
Verleugnens des Problems“ (Rommelspacher u.a. 2002: 29) bildet je nach Fall im unterschiedlichen Ausmaß eine wesentliche Hintergrundfolie der Arbeit der MBTs.10
2.4 Fremdenfeindliche und antidemokratische Grundhaltungen
Neben dem Mangel an Problembewusstsein sehen sich alle MBTs mit einer in weiten Teilen
der Bevölkerung verbreiteten aber auch bei kommunalen Verwaltungsträgern vorfindbaren
Fremdenfeindlichkeit konfrontiert, die durch wissenschaftliche Studien belegt wird (vgl. u.a.
Heitmeyer 2002, 2003). Ein Großteil der Berater/innen stellt zudem eine grundsätzliche Distanz zum demokratischen System und demokratischen Beteiligungsformen fest (vgl. Stöss
2000). Dies gehe auch mit einer Apathie einher, die sich nicht nur auf politische Themen,
sondern auf die kommunalen öffentlichen Bereiche insgesamt beziehe.
„Es sind natürlich alle noch sozusagen aus der DDR-Tradition gegen Rechts, aber was Ausländerfeindlichkeit anbetrifft ist das wirklich enorm, insbesondere auch an der ganzen ‚Ostflanke’ sozusagen, alles was zur polnischen Grenze ist, dass man da erst mal die Partner fin-
9
Eine Mischung aus Hilflosigkeit, Angst und Lähmung treffen die MBTs auch in Schulen an (vgl.
Fallvergleich in Kap. 4.3). „Also, das war häufiger so, dass eine Situation da war, dass das ganze
Kollegium in so einer Lähmung drin war, im Sinne von ‚Ich wage es nicht, das als erstes anzusprechen, dass ich ein Problem habe, weil, das könnte als persönliches Versagen ausgelegt werden.“ (bMBT 5, 166-176)
10
Die Deutung von Rommelspacher wird auch überwiegend in den Äußerungen der MBTs bestätigt.
„Diese Beschwichtigungsstrategien der ‚Normalbevölkerung’ resultieren unter anderem aus dem Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung und der Ablehnung jedes extremen Agierens in irgendeiner Form. Es
werden Normalisierungsstrategien entwickelt, um den Rechtsextremismus als normal zu vereinnahmen
und damit das Problem zu leugnen.“ (Rommelspacher u.a. 2002: 29; vgl. auch Strobl u.a. 2003)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
81
den muss, die bereit sind, diese Themen aufzugreifen und dann breitenwirksam zu werden.“
(b-MBT III L, GD 1, 127-1349)
Eines der MBTs stellt dabei noch explizit eine Gemengelage mit tradierten und in der DDR
konservierten Mentalitäten heraus, die konkret für ein agrarisch strukturiertes Flächenland
angeführt wurden.
„Das ist eine Mentalität, die ist schon älter als die DDR, durch Gutsbesitz und ähnliches geprägt: ‚Fürst befiehl, wir folgen dir oder auch nicht’, oder ‚wir trinken lieber’.“ ( b-MBT 4,
1672-1673)
Es kann hier nicht geklärt werden, inwieweit Fremdenfeindlichkeit und distanzierte Haltungen gegenüber demokratischen Institutionen und Verfahren auf autoritäre Sozialisationsmuster und Traditionen in der ehemaligen DDR zurückgehen oder hier darüber hinaus eine spezifisch gewachsene und konservierte fremdenfeindliche Vorurteilsstruktur zu verzeichnen ist
oder aber der Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern primär Folge der Umbruchprozesse nach der Vereinigung und des schnellen sozialen und kulturellen Wandels im Rahmen von Modernisierungsprozessen ist. In den jeweiligen Beratungsprozessen kommen unterschiedliche Facetten an Problemlagen und deren Genese zum Vorschein, die eine komplexe Gemengelage widerspiegeln, auf die die MBTs differenziert und einfühlsam reagieren
müssen. Dabei kann es sein, dass eine hohe „Sensibilität“ für das Thema auf Landesebene
besteht,11 die mit Ignoranz und Desinteresse im kommunalen Nahbereich einhergehen kann.
Und umgekehrt kann von dem Versuch, das Problem auf Landesebene durch eine Dethematisierung des Themas durch die totalitarismustheoretische Gleichsetzung von Links- und
Rechtsextremismus zu entschärfen,12 nicht auf den Umgang von bestimmten Einrichtungen
und Akteuren mit dem Problem in kommunalen Kontexten geschlossen werden.
2.5 Grundvoraussetzungen für Mobile Beratung
Der im Rahmen des CIVITAS-Programms geförderte Strukturschwerpunkt Mobile Beratung
setzt bis zu einem gewissen Grad funktionierende staatliche Institutionen und ein gewisses
Maß an sozialer Interaktion sowie die dazu notwendigen zivilgesellschaftlichen Strukturen
voraus. Denn Beratung als Befähigung zur Eigenaktivität unter effektiver Nutzung von vorhandenen Ressourcen und deren Vernetzung braucht verlässliche Partner und auch kommunale Verantwortungsträger, die Kapazitäten und auch die Bereitschaft haben, sich mit dem
Thema Rechtsextremismus längerfristig auseinanderzusetzen. Diese substantielle Beratungs-
11
„Man muss sagen, die Sensibilität für das Thema Gewalt und Rechtsextremismus, die ist relativ
hoch in der Landesregierung. Über die Konzepte lässt sich streiten, über die Umsetzung. Was ich ein
bisschen enttäuschend finde oder bemängele, ist wenig Vision, wenig praktikable Visionen, wenig
Ideen. Man verwaltet die Mängel ganz unauffällig und wenig spektakulär und macht so seine Arbeit.
Auch eine ziemlich verkrustete Verwaltung, habe ich den Eindruck. Ich habe das Gefühl, man sieht
zwar die Probleme, die gerade auch mit der demographischen Entwicklung verbunden sind, aber diesen Ruck vermisse ich.“ (b-MBT 4, 1698-1707)
12
Zu dieser Dethematisierungsstrategie des Rechtsextremismus und zur totalitarismustheoretischen
Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus im Konzept der streitbaren Demokratie vgl. u.a.
Leggewie/Meier (1995); Lynen von Berg (1997, 2000).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
82
voraussetzung ist allerdings vielerorts nicht gegeben, so dass sich die MBTs zunächst Strukturen (mit-)aufbauen mussten, an denen Beratung ansetzen konnte und weiterhin kann. Dieser
dem Beratungsprozess vorgelagerte und ihren Aufgabenbereich übergreifende Strukturaufbau
mussten die MBTs in unterschiedlichem Ausmaß mitinitiieren und aktiv begleiten. Zwischen
den einzelnen Bundesländern und im Verhältnis Stadt-Land gab und gibt es jedoch erhebliche
Unterschiede.13
Mobile Beratung „setzt eigentlich verlässliche Strukturen voraus. Weil diese Strukturen
nicht verlässlich sind, versuchen wir jetzt, mit Strukturen aufzubauen, beziehungsweise Leute
zu unterstützen. Und sozusagen über den partizipativen Ansatz dann auch einen, denke ich,
wichtigen Punkt des CIVITAS-Programms umzusetzen. Wenn man jetzt eben nicht nur diesen
Rechtsextremismus als Aspekt sieht, sondern Demokratieentwicklung, dass das sicherlich ein
ganz wichtiger Punkt ist, Schaffung überhaupt von zivilgesellschaftlichen Strukturen.“ (BMBT III L, 226-231)
Ein Beispiel aus einem anderen Bundesland zeigt, dass das MBT seitens der Kommune aufgefordert wird, bei der Suche nach einem Trägerverbund für offene Jugendarbeit zu helfen,
Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten und an der Konzeption mitzuarbeiten (vgl. Fallvergleich in Kap. 4). Von einem landesweit tätigen MBT wurde versucht, durch die Unterstützung von Initiativen bei der Antragstellung von Netzwerkstellen verlässliche Kooperationspartner durch eine CIVITAS-Förderung zu etablieren. Zwar konnte dies durch andere Förderentscheidungen nicht in dem gewünschte Maße erfolgen, dennoch konnte ein Teil der Initiativen zu verlässlichen Kooperationspartnern aufgebaut werden.14 Da in einem anderen Fall
die offiziellen Vertretungsstrukturen in der Jugendarbeit nicht gegeben waren, hat ein MBT
an der Wiedereinrichtung eines Kreisjugendrings mitgewirkt, um darüber sein Beratungsund Fortbildungsangebot an Institutionen, Mitarbeitern sowie Einrichtungen der Jugendarbeit
vermitteln zu können.
„Ist-Zustand ist, dass viele von denen nicht qualifiziert sind. Und deshalb haben wir also im
Landkreis ((Name des Landkreises)) jetzt auch angefangen, zusammen mit einem Regionalzentrum, was auch vom ((Name der Förderinstitution)) gefördert ist, einen richtigen Strukturaufbau zu betreiben. Das heißt, wir haben also vor ein paar Wochen eine Fachtagung gemacht zum Thema Jugendarbeit im Landkreis. Und aus dieser Fachtagung sollen jetzt unterschiedliche Projekte entstehen. Ein Projekt wird sein, oder soll sein, dass sich so was wie ein
‚Runder Tisch Jugendarbeit’ gründet als eine Lobby für Jugendarbeit im Landkreis. Weil sich
13
Die folgenden Schilderungen der MBTs beziehen sich vor allem auf die Situation in den ländlichen
Gebieten der Flächenländer, in denen dieser Strukturaufbau besonders notwendig war. So geht aus den
Interviews hervor, dass in einem Bundesland die MBTs beider Träger gerade sehr stark beim Aufbau
von Strukturen involviert waren und sich dies auf lange Sicht sehr positiv auf ihre Beratungsarbeit
auswirkte. In anderen Flächenländern wird von regional unterschiedlichen Erfahrungen berichtet, so
dass dort auch in Abhängigkeit von den jeweiligen lokalen Gegebenheiten, mehr oder weniger intensiv
Tätigkeiten zum Strukturaufbau bzw. deren Revitalisierung notwendig waren.
14
„Wir können nicht mit unseren Mobilen Beraterinnen und Beratern ins weite Land fahren und niemanden treffen. Wir brauchen Strukturen vor Ort. Wir haben deswegen zum Beispiel auch Netzwerkstellen haben wollen. Wir haben deswegen verschiedene Initiativen beraten. Ob sie nun Netzwerkstelle sind oder nicht. Diese Strukturen gibt es.“ (b-MBT I L, GD 2, 87-879)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
83
im Landkreis rausgestellt hat, dass also nur sozusagen die Soll-Zahlen für Finanzierung erfüllt werden. Aber dass das wirklich nur das unterste Niveau ist.“ (b-MBT III L, 164-172)15
Dieser Strukturaufbau geht so weit, dass sich zwangsläufig die Tätigkeiten der MBTs mit den
Aufgaben der von den Kommunen bzw. Kreisen zu verantwortenden „normalen“ Jugendarbeit überlappen. Ohne den fachlichen Input und das Engagement der MBTs würden aber
oftmals die notwendigsten Angebote der „normalen“ Jugendarbeit nicht zustande kommen
und ein Standbein für eine zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus im Jugendbereich wegbrechen bzw. nicht entstehen können.16 Ansatzpunkt und
gleichzeitig hoher Bedarf besteht gerade in der Fortbildung und Qualifizierung der Mitarbeiter/innen in der Jugendarbeit. Dieser Qualifizierungsbedarf geht weit über die Behebung von
Informationsdefiziten zu Jugendkulturen und rechtsextremen Erscheinungen hinaus und erstreckt sich auch auf die Vermittlung von Fachkenntnissen der Jugendarbeit bis hin zur Organisation des Austausches von Praxiserfahrungen.
„Ein zweiter Aspekt ist, dass wir versuchen, die gesamten Jugendsozialarbeiter innerhalb eines Arbeitskreises zusammenzuführen. Also dass die in einem Arbeitskreis zusammenfinden,
um da sich konkrete Überlegungen zu machen zu Qualifizierung von Jugendsozialarbeit und
dass wir da natürlich dann auch versuchen werden, unsere Inhalte, nämlich Aufklärung über
Rechtsextremismus dann sozusagen in diese Fortbildungen mit einzubinden. Es gibt auch andere, also in anderen MBTs ist es durchaus so, also jetzt auch in ((Name des Bundeslandes)),
dass da eben schon vorhandene Strukturen da sind und dass da zum Beispiel regelmäßige
Fortbildungen eben in Zusammenarbeit mit dem Kreisjugendring angeboten werden.“ (bMBT III L, 237-245)
Vor dem Hintergrund, dass in der offiziellen Jugendarbeit auch keine Stetigkeit gewährleistet
ist, Einrichtungen nicht wissen, wie sie weiterfinanziert werden und Stellen befristet sind, ist
es nicht nur sehr schwierig, beständige Strukturen aufzubauen, sondern überhaupt Mitarbeiter/innen zu finden, die für ein Beratungsangebot offen sind. So sind ein Teil der Mitarbeiter/innen in prekären Arbeitsverhältnissen für einen notwendig längerfristigen Beratungsprozess kaum ansprechbar und auch nicht geeignet, weil sie möglicherweise in absehbarer Zeit
gar nicht mehr in der Einrichtung arbeiten oder die Projekte auslaufen bzw. ganze Einrichtungen geschlossen werden. Selbst in den Großstädten der Flächenländer und Berlin kann
trotz des Bedarfs an Beratung diese wegen unsicherer und wegbrechender Strukturen nicht
immer abgerufen werden.
„Das ist eine Erfahrung, die ich auch gemacht habe, man kommt zu Leuten, wo Interesse besteht, die wollen was machen, und wenn man dann bei jeder Überlegung, in welche Richtung
15
Diese Notwendigkeit, selbst Akteur zu sein, wird auch von einem Kleinteam aus dem gleichen Bundesland bestätigt. „Das Mobile Beratungsteam hat gar keine Chance, hier nicht Akteur zu sein, weil
das Problem, das wir haben ist, dass wir ganz häufig in Beratungssituationen da sind, wo wir gar
nicht auf andere Akteure zurückgreifen können, das heißt, wenn es darum geht, Fortbildungen zu machen oder Sensibilisierung zu leisten, müssen wir in die Rolle der Akteure oft rein. Also, wir bemühen
uns nach Kräften, alles, was es gibt auch zu nutzen, also sei es hier ((Name Xenos-Projekt)). Also es
gibt sehr gute Angebote, aber es ist einfach manchmal schlicht und ergreifend nicht möglich, andere
heranzuziehen, das heißt wir müssen es selber leisten.“(b-MBT 5, 144-152)
16
Diese Unterstützungsleistung wird auch von kommunalen Verantwortungsträgern, der Verwaltung
und freien Trägern der Jugendarbeit sowie zivilgesellschaftlich engagierten lokalen Eliten in positiver
Weise bestätigt und als unverzichtbare Hilfestellung betont (vgl. u.a. c-MBT A Koop 1; c-MBT A
Koop 2; c-MBT B Koop 1; c-MBT B Koop 5, siehe dazu insb. den Fallvergleich in Kap. 4).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
84
man was machen könnte, feststellt, dafür ist überhaupt kein Geld da, ist das natürlich ein
Problem, und teilweise gibt es dann auch Leute, die sagen, ‚Mensch, ihr könnt euch hier ausdenken, was ihr wollt, wir haben einfach kein Geld, tschüss’.“ (b-MBT 6, 1558-1563)
Zudem kann es vorkommen, dass den MBTs mit großer Skepsis oder auch Neid begegnet
wird, weil für die vor Ort unter sehr schwierigen Arbeitsbedingungen tätigen Mitarbeiter/innen ein für ihre Verhältnisse gut ausgestattetes und vom Bund ins Leben gerufene Projekt, ihnen die zivilgesellschaftliche „Bekämpfung“ des Rechtsextremismus als dringlichstes
Thema auf die Tagesordnung setzen will. Diese Skepsis und Ablehnung einerseits paart sich
andererseits mit hohen Erwartungen, die sich nicht selten auch auf finanzielle Unterstützung
fokussieren.
„Wir können eigentlich keine Konzepte entwickeln mit den Jugendsozialarbeitern, weil klar
ist, dass sie innerhalb des nächsten Monats alle gekündigt werden. Dass sozusagen die Finanzierung nicht steht. Und das heißt, es werden ganz vielfältige Erwartungen an uns rangetragen. Also sei es Sicherung von Finanzierung, was wir natürlich alles auch nicht leisten können.“ (b-MBT III L, 212-216)
So kann es auch vorkommen, dass von solchen in prekären Arbeits- und Projektverhältnissen
beschäftigten Mitarbeitern das Thema Rechtsextremismus und ein Beratungsangebot dazu als
„Luxus“ empfunden wird.
„Auf dieser unteren Ebene ist es für die Leute ganz schwer zu begreifen, was wir da eigentlich
machen, bzw. zu abstrakt. ‚Beratung zu Rechtsextremismus’ das ist so ein bisschen wie ein
Orchideenfach. (...) Und deshalb (...) versuchen wir, Projekte vor Ort zu machen.“ (b-MBT III
L, 1567-1571)
Die MBTs hatten und haben so nicht nur die Aufgabe, Zielgruppen für das Thema „Rechtsextremismus“ zu sensibilisieren, sondern mussten und müssen sich in solchen Kontexten
zunächst Akzeptanz und Vertrauen durch aktive Beteiligung an Projektarbeit, Unterstützung
von Trägern bei Förderanträgen oder durch ihre Fortbildungsangebote erarbeiten.
„Aber ich denke erst über diese konkrete Arbeit kriegen wir eine Akzeptanz. Das ist mir noch
einmal in einer Region aufgefallen, wo ich mit Kirchen-Jugendgruppen gearbeitet habe und
wo ich auch zum Thema Gewalt gearbeitet habe, und ich denke das sind einfach Türöffner für
uns.“ (b-MBT III L, 1571-1574)
Der Großteil der befragten Verantwortungsträger aus Politik und Verwaltung sowie freie
Träger und zivilgesellschaftliche Akteure bestätigen die oben dargestellten Befunde. Dabei
wird häufig auch eine Mischung aus hoher Erwartung und Skepsis bis hin zu einer deutlichen
Distanz gegenüber dem CIVITAS-Programm sichtbar. Neben der Hoffnung, dass möglichst
viele Mittel auch für die eigene Jugend- und Projektarbeit fließen, wird vor allem kritisiert,
dass das Programm ohne Einbeziehung der lokalen Akteure oder der zuständigen Gremien
auf Landkreis- und Landesebene zentral von Berlin aus implementiert wurde, ohne auf die
spezifischen Gegebenheiten vor Ort einzugehen bzw. diese angemessen zur Kenntnis zu
nehmen.
„Die Bedarfslage, was Rechtsextremismus betrifft, gerade bei uns im Landkreis, der gute Organisationsgrad, fehlendes Bürgerengagement manchmal, auch unter Erwachsenen, fremdenfeindliche Umgebung hier – immer schon gewesen – ist das Thema. Dass da ein Bundesprogramm aufgelegt worden ist, ist natürlich super, auch was die finanziellen Mittel anbetrifft.
Wir sind hier in der höchsten Arbeitslosigkeit: ((Ort)) 33%. (...)
Es ist an sich eine gute Sache, hat dann allerdings – da wird ((Name)) schon etwas gesagt haben – den Nachteil als Bundesprogramm: es wird zentral gesteuert, es wird zentral in Berlin
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
85
bewilligt und der Kontakt zu den einzelnen Kreisen kann eigentlich nicht so groß sein.“ (cextern Exp, hier Jugendverwaltung, 592-602)
2.6 Positive Entwicklungen
Neben den skizzierten Problemlagen steht gleichzeitig die von MBTs gemachte Erfahrung,
dass sie trotz einer verbreiteten Bagatellisierung des Phänomens Rechtsextremismus zunehmend auf Offenheit für ihr Beratungsangebot stoßen und kommunale Verantwortungsträger
(wie lokale Politik, Polizei und vor allem auch Schulen) sich zunehmend einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus stellen.
„Durchweg (...) ist eine große Offenheit da gewesen. Es gibt Einzelpersonen, wo es einzelne
Gemeinden manchmal betrifft, das sind eher diese kleineren Nester, wo wir glatte Ablehnung
hatten, wo das Thema überhaupt nur beim Nennen des Namens schon ‚tschüs’ gesagt wurde,
‚muss ich nichts zu sagen.’ Das haben wir auch. (...) Aber durchweg ist da schon eine Sensibilität da. Eigentlich wollen sie das Problem gerne loswerden, weil es auch einen ImageSchaden darstellt, die Herangehensweise ist etwas unterschiedlich.“ (b-MBT 4,970-984)
Zu der Bereitschaft, sich in Schulen mit dem Thema auseinander zu setzen, gibt es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Einschätzungen. Aufgrund einer Sensibilisierung für
dieses Thema und wohl auch aufgrund des Problemdrucks gibt es immer mehr Schulen oder
einzelne Lehrer/innen, die bei den Mobilen Beratungsteams Fortbildungen und Kollegiumsberatungen anfordern. Der Zugang zu Schulen ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. So werden in einem Bundesland aufgrund eines Erlasses des für Schulen zuständigen Ministeriums die MBTs für Lehrfortbildungen im Themenkontext „Rechtsextremismus“ regelmäßig angefragt (b-MBT 5, 2671-2682).17 Mittlerweile sind auch verstärkt Anfragen von Verbänden wie der IHK und öffentlichen Einrichtungen nach Fortbildungen und
Informationsveranstaltungen zu rechtsextremen Erscheinungen und dem Umgang damit zu
verzeichnen (vgl. Kap.3.2.3; b-MBT 2, 874-878).
Auch wird von einem Teil der Teams auf eine stärker zu verzeichnende Nachfrage bei Polizei
und Verwaltung nach Informationsveranstaltungen sowie Formen der Kooperation verwiesen. Diese positiven Beispiele können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade in den
problembelasteten Regionen die oben geschilderten Rahmenbedingungen zum Teil sehr
schwierige Voraussetzungen für eine zur Eigenaktivität befähigende Beratung darstellen.
Auch zeigen sich erst ein Teil der schwierigen Zugänge und Kontextbedingungen bei intensiverem Einstieg in kommunale Beratungsprozesse. So werden durchweg von allen Beratungsteams Kommunikationsblockaden und persönliche Animositäten sowie aus der Vergangenheit fortwirkende Konflikte zwischen lokalen Akteuren als ein sehr schwierig aufzulösendes Problem angesehen. Die gerade in kleinen Städten und Gemeinden vorfindbaren negativen Formen sozialer Kontrolle sowie die stark auf persönliche bzw. „Nachbarschaftsbeziehungen“ basierenden sozialen Interaktionen auch in den auf Funktionalität ausgerichteten
Institutionen bilden für die MBTs ein oft kaum zu durchschauendes „Spinnennetz“. Hinzu
kommen die aus dörflichen und kleinstädtischen Zusammenhängen bekannten Formen sozi-
17
Aus einem anderen Bundesland wird von einer guten Zusammenarbeit des MBTs mit einem Fortbildungsinstitut für Lehrerfortbildung berichtet (vgl. b-MBT II L, 1478-1480).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
86
aler Distanz gegenüber „Neuhinzugezogenen“. Dies betrifft in den neuen Bundesländern auch
die Haltung gegenüber Bürger/innen aus den alten Bundesländern.
„Und das ist ja sozusagen auch das Problem im ländlichen Raum, dass es sehr stark zu Polarisierungen kommt. Polarisierungen, die sehr oft über die Schiene laufen zwischen Alteingesessenen und Neuzugezogenen. Und dass es dann oft eben sehr schwer ist, wenn man, sage ich
mal, mit marginalisierten Gruppen im ländlichen Raum arbeitet, dann noch irgendwo einen
Fuß in die Tür reinzukriegen.“ (b-MBT III L, 1192-1195)
Um dennoch einen Zugang zu den Kommunen zu finden, versuchen die MBTs mit zunehmendem Erfolg kommunal geschätzte und einflussreiche Persönlichkeiten anzusprechen.
„Also ich denke, Bürgermeister spielen eine ganz große Rolle. Und natürlich, denke ich, einfach politisch aktive Leute, die vor Ort auch akzeptiert sind. Weil oft ist es ja so, dass wir von
Leuten angesprochen werden, die selbst in einer völligen Minderheitenposition sind (...). Was
oft sich als positiv gestaltet hat, ist die Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden. Also weil die
Pfarrer ja oft ein sehr genaues Wissen auch über ihre, über die Region haben. Und einen sehr
direkten Einstieg auch haben in die Problematik, dass man da also einen Türöffner findet.“
(b-MBT III L, 1189-1198)
2.7 Fazit
Anhand der geschilderten Rahmenbedingungen wird sichtbar, dass die MBTs in der Regel
auf eine sehr komplexe Problem- und Bedarfslage treffen. Gerade in den stark ländlich geprägten Regionen mit wenig ausgebildeten zivilgesellschaftlichen Strukturen und defizitären
staatlichen Regelstrukturen z.B. in der Jugendarbeit fehlten und fehlen den MBTs wichtige
Andockstellen, an denen ihre Beratungsarbeit ansetzen kann. So haben die MBTs in unterschiedlichem Ausmaß zunächst viel Zeit und Energie in den Aufbau von Kooperationsnetzwerken und die Unterstützung von Regelstrukturen insbesondere in der Jugendarbeit gesteckt. Dieser Strukturaufbau und dessen Stabilisierung ist ein kontinuierlicher Prozess, der
Voraussetzung und gleichzeitig Resultat von Mobiler Beratung ist.
So muss man im Folgenden auch immer die Rahmenbedingungen vor Augen haben, die die
Möglichkeiten und Grenzen Mobiler Beratung maßgeblich prägen. Trotz dieser schwierigen
Ausgangsbedingungen lassen sich jedoch – wie zu zeigen sein wird – unterschiedlich erfolgversprechende Umgangsweisen mit diesen Rahmenbedingungen feststellen.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
87
3 Ansätze und Tätigkeiten Mobiler Beratungsteams
3.1 Ansätze und Ziele Mobiler Beratung
Ein wichtiges Beurteilungskriterium für den Förderschwerpunkt Mobile Beratung sind die
Grundzüge des Ansatzes und seine unterschiedlichen Anwendungsweisen. Mit dem Grundverständnis sind auf das engste die Zielsetzungen Mobiler Beratung verbunden. Im folgenden
Kapitel soll deshalb den Fragen nachgegangen werden: Was ist Mobile Beratung? Welche
unterschiedlichen Ausrichtungen des Ansatzes lassen sich feststellen? Und welche Zielsetzungen verfolgen die MBTs mit diesem Ansatz?
Mobile Beratung soll Akteure und Institutionen in einer Kommune dazu befähigen, mit Konflikten und Problemen im Kontext von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und undemokratischen Erscheinungen sowie Gewalt gegen Minderheiten unter möglichst optimaler
Ausnutzung ihrer Ressourcen umzugehen. Alle untersuchten MBTs verfolgen in ihrem konzeptionellen Selbstverständnis einen Ansatz zum Self-Empowerment, der in der Regel mit
„Hilfe zur Selbsthilfe“ umschrieben wird. Wie dieser in der Praxis Mobiler Beratung umgesetzt wird, wird von den MBTs in der Regel nur auf einer sehr allgemeinen Ebene formuliert
und ist zudem auch sehr heterogen. Diese Unbestimmtheit der Zielsetzung ist nach Auskunft
von Berater/innen auch darauf zurückzuführen, dass in den CIVITAS-Leitlinien, „die Aufgabe von Mobiler Beratung mehr oder weniger schwammig definiert“ sei (b-MBT 4, 1026f.).
Trotz der oftmals vorzufindenden gleichen Begriffsverwendungen und konzeptionell ähnlich
formulierten Ansätze in den Förderanträgen lassen sich in der Beschreibung der Beratungspraxis deutliche Unterschiede feststellen. Deshalb sollen im Folgenden in Ergänzung zu den
– zum Teil bereits dargestellten – Grundzügen Mobiler Beratung zwei prägnante Ausrichtungen der Mobilen Beratung dargestellt werden. Dabei können diese Ausrichtungen oder Elemente davon bei den Beratungsansätzen der einzelnen MBTs nebeneinander bestehen und mit
einander kombiniert werden. Dennoch lässt sich hier eine erste Typologisierung von zwei
Ausrichtungen und deutlich unterscheidbaren Vorgehensweisen Mobiler Beratung vornehmen. Während sich der eine Ansatz eher auf ein – auch im einzelnen Beratungsfall – positiv
ausformuliertes zivilgesellschaftliches Konzept beruft, sieht sich der andere in direkter Gegnerschaft zum Rechtsextremismus, woraus sich unterschiedliche Vorgehensweisen der jeweiligen MBTs ableiten lassen. Diese Typologisierung basiert auf der Verdichtung eines aus der
Gesamtschau gewonnenen Ergebnisses, das im Verlauf der Untersuchung weiter ausdifferenziert und in seinen wichtigsten Facetten dargestellt wird.
3.1.1 Der offene moderierende Ansatz
Von einem Teil der Teams wird die allgemeine Leitfigur „Hilfe zur Selbsthilfe“ als ressourcenorientierter Ansatz weiter konkretisiert. Mobiler Beratung geht es demnach darum, die bei
einzelnen Personen oder Personengruppen sowie in Institutionen und im Gemeinwesen vorhandenen Ressourcen sichtbar zu machen und in einer optimalen Ausnutzung zur Lösung von
Problemen zu bündeln.
„Es ist nicht so dieser defizitär orientierte helfende Ansatz, sondern eher ein ressourcenorientierter Ansatz, was ist da, was schlummert da in diesen Menschen und wie kriegen wir das mit
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ihnen zusammen, ohne sie zu überfordern, entwickelt. Danach arbeiten eigentlich alle Teams
hier in ((Name Bundesland)), orientiert an der Lage vor Ort, an den Menschen vor Ort. Das
haben wir auch oft erfahren, dass es andere Angebote gibt, die die Menschen dann völlig überfordern, die ihrer Situation überhaupt nicht gerecht werden.“ (b-MBT 4, 19061-1067)
Die Mobile Beratung kann in diesem konzeptionell idealtypischen Sinne als eine „Hebammentechnik“ verstanden werden, mit der es gelingt, Akteure zur (Selbst-)Wahrnehmung sowohl von Problemen als auch von Kompetenzen zu befähigen und zur Eigenaktivität zu ermutigen. So sehen einige Berater/innen Mobile Beratung primär als eine Methode und Arbeitstechnik, als eine professionell eingesetzte moderierende Kommunikationsstrategie. Die
Teams, die zu einer moderierenden Beraterrolle tendieren und sich nicht mit einer Konfliktpartei identifizieren, wollen auch nicht als „Heilsbringer“ auftreten. Sie versuchen die – auch
bei den anderen MBTs konzeptionell – eingeforderte Klientenorientierung in ethischen Beratungsstandards, wie dem „Überwältigungsverbot“18 oder dem Vermeiden von moralischem
und politischem Druck in der Beratungspraxis durchzuhalten.
„Ich würde sagen, dass sich unsere Beratung (...), die ist ja erst mal aufsuchend, das ist schon
wichtig, auch ziemlich niedrigschwellig, wir versuchen also sanft einzusteigen und nicht konfrontativ, wir sind schon sehr auf die Interessen und Bedürfnisse der Leute, die wir beraten,
orientiert. Die bestimmen auch das Tempo, auch ein Stück weit die Richtung solch eines Prozesses, in die es gehen soll. Wir sind nicht die Heilsbringer, sondern wir sind (...), ich habe
das mal so ausgedrückt: wir sind eine ,vermittelnde Struktur´. Das ist eigentlich auch der
Grundsatz, nach dem alle Teams hier in ((Name Bundesland)) arbeiten.“ (b-MBT 4, 10151021)
Für einen Befragten gehört deshalb zu professioneller Beratung, Respekt und Distanz gegenüber den Klienten, sowie eine gezielte „Dosierung“ an Beratung.
„Von den Ressourcen der Menschen, mit denen man zu tun kriegt vor Ort, ausgehen. Für sie
Respekt haben, finde ich professionell. Nicht tot beraten, nicht über sie herfallen. Sondern
man muss gucken, um sie zu motivieren oder zu stärken.“ (b-MBT I L, GD 2, 935-937)19
18
Die im „Beutelsbacher Konsens“ aufgestellten Prinzipien politischer Bildung können auch in gewisser Weise auf den klientenorientierten Beratungsansatz der MBTs übertragen werden. Nicht nur das
Prinzip des „Überwältigungsverbots“ sollte ein immer zu beachtender ethischer Standard Mobiler
Beratung sein. Auch die beiden anderen Prinzipien (Kontroversitäts- und Engagementgebot) können in
Abwandlung auf die Mobile Beratung übertragen werden: 1. Überwältigungsverbot: „Es ist nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‚Gewinnung eines selbständigen’ Urteils’ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar
mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.“ 2. Kontroversitätsgebot: „Was in Wissenschaft und
Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen (...).“ 3. Analysefähigkeit und
Engagementgebot: „Der Schüler muss in die Lage versetzt werden eine politische Situation und seine
Interessenslage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische
Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen (...).“ (Wehling 1977: 179f.; vgl. auch Gagel/Menne
1988)
19
In ähnlicher Weise formuliert der Leiter des MBT Brandenburg die Prinzipien professioneller Beratung. „Ein Wissen um eine notwendige ständige politische Klärung der Sachverhalte. Und hinsichtlich
der zu Beratenden, für uns sehr wichtig und ein Zeichen von Professionalität,(...) das Austarieren (...)
von Nähe und Distanz zu den Menschen, die man berät. (...). Das sind so zwei Dinge auf der Bezie-
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So stellen einige Berater/innen heraus, dass es ihnen in erster Linie darum geht, ein Vertrauensverhältnis und eine positive Arbeitsperspektive zu den Beratenden aufzubauen.
„Wir versuchen schon, den Leuten das positive Gefühl zu geben, es lohnt sich, mit uns zusammenzuarbeiten, sie profitieren davon, es geht wie gesagt nicht um Stigmatisierung, es geht
nicht um Skandalisierung, sondern es geht darum, mit dem Skandal, der ja da ist, anders umzugehen.“ (b-MBT 4, 998-1001)
Für ein anderes Team schließt die auf Vertrauen aufbauende Klientenorientierung eine „absolute“ Diskretion ein, auch dann, wenn die zu Beratenden Ansichten vertreten, die man eventuell außerhalb des Beratungszusammenhangs nicht tolerieren würde.
„Ein Prinzip, was ich persönlich für mich oder für unser Team sehe, ist Diskretion und Verschwiegenheit, das ist zumindest eins unserer wichtigsten Arbeitsmittel, was bisher immer
wieder gezeigt hat, dass das genau der Punkt ist, worauf die Leute auch bauen. Wo man dann
von der Skandalierung von Zuständen in verschiedenen Orten absieht. Das muss man auch um
der Leute willen, die dort leben, zum Teil wirklich in Kauf nehmen, auch wenn die Umstände
schlimm sind.“ (b-MBT 2, 272-278)
Dieses oben zitierte Kleinteam sieht in Mobiler Beratung vom Grundansatz her eine Form
von Bildungsarbeit. Durch die Beratung sollen die Akteure in der Subjektwerdung und Urteilsbildung gestärkt sowie ihnen zur Eigenaktivierung nötiges Wissen vermittelt werden.
A:20 „Ich finde, die Arbeit, die wir machen, ist im weitesten Sinne Bildungsarbeit. Wir versuchen, mit Leuten Wege zu erschließen, wie man mit Rechtsextremismus umgehen kann, was
man dagegen tun kann, wenn die Leute merken, dass es für sie ein Problem ist. Das ist eigentlich eine Form von Bildung bzw. es geht zum Teil so weit, dass man mit Leuten Seminare
macht usw. zu einem bestimmten Thema. Aber das ist nicht vordergründig, eine Seminartätigkeit zu machen. Aber den Weg, den man gemeinsam beschreitet und was man zusammen tut in
der Kommune oder in einem Verein, worüber man da redet, das ist eigentlich eine Form von
Bildung, so würde ich eher meine Arbeit beschreiben. Die kann unterschiedliche Form haben,
die kann eine beratende Form haben, die kann eine moderierende Form haben usw. Wo ich
eher sagen würde, das sind für mich Methoden, Beratung ist für mich eine Methode, wo wiederum bestimmte Dinge dazugehören, Werkzeuge, mit denen ich das machen kann. Moderieren genauso.“
B: „Das, was du mit dem Bildungsaspekt meinst, würde ich formulieren, dass wir versuchen,
die Leute zu befähigen, damit umzugehen, insofern ist das in einem ganz weiten Sinne natürlich Bildung, das stimmt. Nicht klassische Bildung, aber das ist das, was man vielleicht auch
als Nachhaltigkeit bezeichnen könnte.“
A: „Es ist eine unterschwellige Form von Bildung. Es ist die, die den Leuten angemessen ist,
mit denen wir es zu tun haben.“ (b-MBT 2, 39-51)
Zwar mag es zunächst befremden, Mobile Beratung als eine Form von (politischer) Bildung
zu betrachten, da Beratung auf einen konkreten Problemfall reagiert und zugeschnitten ist,
währenddessen Bildungsarbeit einen allgemeinen Anlass und Auftrag hat. In dem dargestell-
hungsebene.“ (Hülsemann GD 2, 947-952) Eine Kollegin eines anderen Teams ergänzte dies um den
Aspekt der ständigen Reflexion der eigenen Arbeit. „Ergänzend oder vielleicht betonend noch mal
eine fachliche und auch politische Reflexion innerhalb des Teams und darüber hinaus. Also auch im
Permanenten Austausch halt. Und den Eiertanz zwischen persönlichem Engagement und professioneller Distanz hinzukriegen.“ (b-MBT 7, GD 2,958-961).
20
Die Abkürzungen „A“ und „B“ in den Interviewzitaten bezeichnen den Dialog zwischen den interviewten Berater/innen.
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90
ten Ansatz werden aber in idealtypischer Weise dennoch die Schlüsseltätigkeiten benannt, die
für Mobile Beratung charakteristisch sind. So werden hier zentrale Tätigkeiten der Beratungsarbeit in einem Zusammenhang gebracht, der von Sensibilisierung über Befähigung z.B.
durch Wissen zur Aktivierung führen kann. Diese und die oben dargestellten Aspekte zeigen
eine sehr reflektierte und sachlich „nüchterne“ Auffassung von Mobiler Beratung. Mobile
Beratung wird als ein Ansatz, als eine Methode gesehen, die in Teilbereichen auch auf bekannten Standards der politischen Bildungsarbeit fußt (zur politischen Bildung vgl. z.B.
Giesecke 2000; Kohls 1991).21 Diese bekannten Standards müssten dann mit den Basiskriterien von Beratungsarbeit zusammengeführt und dann auch in der Beratungspraxis angewendet werden. Für Mobile Beratung ist im Unterschied zur Bildungsarbeit wichtig, dass sie sich
intensiv und langfristig auf Prozesse einlassen kann und sich dann wieder sukzessive herauszieht, wenn es ihr gelungen ist, ein gewisses Maß an Selbstorganisation mit aufzubauen.
„Eigentlich verstehe ich Beratung als Begleitungsprozess, dass man Kommunikationsstrukturen aufbaut und ein Stück weit begleitet und dann rausgeht“. (b-MBT 2, 122-124)
Dieser auf Langfristigkeit ausgerichtete und eine verlässliche Beziehung zwischen Berater/innen und zu Beratenden voraussetzende Ansatz benötigt seitens des Programms Planungssicherheit, Vertrauensschutz und ein hohes Maß an Gestaltungsspielraum, um auf die
jeweiligen lokalen Gegebenheiten eingehen zu können.
3.1.2 Der Ansatz der Gegnerschaft zum Rechtsextremismus
Im Unterschied zu den oben dargestellten Auffassungen von Mobiler Beratung sehen andere
Teams das „Besondere“ des Ansatzes „Mobile Beratung“ in seiner explizit inhaltlichen Ausrichtung gegen Rechtsextremismus. Auch hier werden eine „Akteurszentrierung“ und „Ressourcenorientierung“ sowie eine „Nachfrageorientierung“ als Prinzipien Mobiler Beratung
benannt (vgl. b-MBT V L, 164f.), aber ein zentraler Fokus liegt darauf, wogegen sich Mobile
Beratung richtet.
„Also wir richten uns ganz klar gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und
sind da auch nicht besonders bereit, über andere Diskurse irgendwie in die Sachen einzusteigen. Also wir arbeiten jetzt nicht nur ausschließlich mit dem Begriff ,rechte Gewalt’ oder so
was. Also das heißt, wir haben schon eine sehr eindeutige Festlegung auf dieses Gebiet und
sind da auch sehr standfest, würde ich sagen. Also was die inhaltliche Arbeit angeht.“ (b-MBT
V L, 167-171)
In diesem Beispiel kommt neben der inhaltlichen Ausrichtung bzw. „Problemzentrierung“ (bMBT V GD 1, 102 u. 1247) auch eine Fixierung auf den zumeist „manifesten“ Rechtsextremismus zum Vorschein, wodurch ein Teil der MBTs mit dieser Ausrichtung häufig auch eine
Haltung der (politischen) Gegnerschaft zum Rechtsextremismus einnehmen. Dieser dezidiert
21
Kohlstruck definiert zusammenfassend politische Bildung in Anlehnung an Claußen und von Hentig
als einen „intransitiven Prozess“ (Bernhard Claußen), demnach ist politische Bildung wie Bildung
überhaupt „der Vorgang des Sich-Bildens (Hartmut von Hentig), Bildung ist im emphatischen, neuhumanistischen Sinn dieses Konzepts nicht ein Formungsprozess, der von den Bildnern an den zu Bildenden vollzogen wird. Es ist ein Prozess der Persönlichkeitsentwicklung, in den Informationen und
Erfahrungen, Zweifel und Fragen und individuelle biographische Perspektiven eingehen - ein Prozess,
der letztlich in die Freiheit des sich bildendenden Subjekts gestellt ist und gestellt bleiben muss.“
(Kohlstruck 2002 b): 2)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
91
auf eine Gegenhaltung zum Rechtsextremismus ausgerichtete Ansatz, kann – wie im folgenden Zitat zu sehen ist – mit inhaltlichen Vorgaben einhergehen, die mit einer offenen Haltung
gegenüber den zu beratenden Akteuren nicht im gleichen Maße gegeben ist, wie der oben
dargestellte Beratungsansatz. Durch diese Ausrichtung können die MBTs von der Anlage her,
nicht mit der – noch weiter unten ausführlich dargestellten – Offenheit gegenüber allen potenziellen Zielgruppen operieren und deren Anliegen „unvereingenommen“ aufgreifen. Es
stellt sich zudem die Frage, inwieweit solche inhaltlichen Festlegungen für eine Beratungstätigkeit mit einem liberalen Verständnis von Demokratie und einer zivilgesellschaftlichen
Werteorientierung, die auf der Mündigkeit der Bürger/innen fußt, vereinbar sind.
Wir müssen uns „im Gegensatz zu anderen MBTs (...) nicht so bemühen (...), jetzt mit irgendwelchen Vorwandthemen in irgendwelche kommunalen Diskurse einzudringen. Sondern
wir agieren wirklich nur dann, wenn eine Person eine bestimmte Wahrnehmung, eine Problemwahrnehmung, besitzt bezüglich Rechtsextremismus. Und da auch eine Lösung von uns
erwartet. Und da begeben wir uns dann halt eben mit ihm in Diskussionsprozesse. Und da
werden eigentlich die inhaltlichen Standards relativ schnell klar. Und werden dann halt auch
diskutiert mit dem Akteur. Also der weiß, glaube ich, ziemlich schnell, worauf er sich mit diesem Team dann eben auch einlässt. So!“ (b-MBT V L, 176-183)
Bei diesem inhaltsbezogenen Ansatz wird dann unter professioneller Beratung auch nur eine
Beratung zu diesem Themenfokus verstanden.
„Professionell ist glaube ich auch, sich auf das Thema Rechtsextremismus zu beschränken
und nicht dem Akteur noch zu vermitteln, was man sonst noch glaubt, darüber hinaus. Sondern sich wirklich nur zu dem Thema äußern, was auch unser Fachgebiet und unser Auftrag
ist.“ (b-MBT 6, 34-37)
3.1.3 Ziele Mobiler Beratung
Vor dem Hintergrund der breit und offen angelegten Zielsetzung des CIVITAS-Programms
formulieren auch die MBTs die Ziele Mobiler Beratung sehr allgemein und unspezifisch,
auch wenn sie sich – wie in dem zuletzt dargestellten Fall – in einer zugespitzten Gegnerschaft zum Rechtsextremismus befinden. Dabei lassen sich bei einem breiten Spektrum der
Formulierung der Hauptziele zwei grundlegende Ausrichtungen identifizieren, die bei den
einzelnen MBTs auch neben einander stehen können. So stellen einige der interviewten Berater/innen eine Zielsetzung heraus, die sich von der fixierten Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus löst und eine umfassende Demokratieentwicklung in den Gemeinwesen
anstrebt.
„Wir sehen uns wirklich als ‚vermittelnde Struktur’ zwischen dem Oberauftrag, den wir vom
Bund mitbekommen haben, demokratische Kultur zu entwickeln oder ein tolerantes gesellschaftliches Klima hier zu fördern (...).“ (b-MBT 4, 1021-1024).
Die Befähigung zu demokratischen Auseinandersetzungsformen geht dabei weit über das
Thema Rechtsextremismus hinaus.
„Das Thema Rechtsextremismus (...), das ist zu eng, wie wollen wir miteinander umgehen,
welche politische Kultur, welche menschliche Kultur wollen wir hier miteinander etablieren,
das ist wieder ein Thema. Ich merke das auch gerade bei Kindern und Jugendlichen. Die haben schon wieder Vorstellungen, die haben Werte.“ (b-MBT 4, 1575-1579)
Bei diesem Ansatz geht es „selbstverständlich“ auch um die Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus, diese ist aber dann eher der Ausgangspunkt und Aufhänger für eine viel
weiter gefasste Zielsetzung.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
92
„Ein Ziel ist erst mal, sich überhaupt offen mit der Thematik vor Ort auseinanderzusetzen. (...)
Da die Leute aufzuschließen und zu sagen, das ist ein Thema, das uns alle angeht, ist eigentlich auch ein Ziel der Beratung.“ (b-MBT 4, 1554-1557).
Zielsetzung dieses Verständnisses von Beratung ist vielmehr, die Bürger dazu zu ermutigen,
ihre eigenen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. „Es geht um ihre Belange. Es
geht darum: wie wollen sie miteinander leben?“ (b-MBT 4, 1177). Diese aktive Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit Problemen des Gemeinwesens zielen auf ein demokratisches Selbstverständnis, auf demokratische Gestaltungs- und Aushandlungsprozesse, die als
eine positive Lebensqualität gesehen werden. So ist dann im weiteren ein konkretes Ziel, den
Akteuren Räume und Möglichkeiten der Beteiligung zu eröffnen. Es geht primär darum, den
Akteuren vor Ort – auch durch das „Vorleben“ eines demokratischen Verhaltens – Wege und
Kompetenzen sichtbar zu machen, die ein Interesse und Engagement für öffentliche Angelegenheiten wecken können. Interessenartikulation und Selbstorganisierung der Bürger/innen
sind dabei sowohl Ziel als auch Methode. Ob, zu welchen Inhalten und in welcher Form sich
die Bürger/innen engagieren ist ihre Sache. Ein wichtiger Schritt ist es dabei, dass die Bürger/innen die Erfahrung machen können, dass es sich lohnt und Spaß macht, sich für öffentliche Angelegenheiten einzusetzen (vgl. auch b-MBT V L).
„Ich finde auch diesen politischen Diskurs wichtig, aber auch erreicht zu haben, dass man –
es wird immer gesagt, ‚es kommt alles aus der Gesellschaft, es ist ein gesellschaftliches Problem, ein Regierungsproblem’ – dass man erreichen kann, dass Leute merken, sie können auf
ihrer Ebene etwas tun und kriegen das Gefühl dafür, auch angesprochen und miteinbezogen
zu werden in solchen Prozessen. Ich merke, das ist bei vielen überhaupt nicht mehr da, ‚Gesellschaft und mein Privatleben, das läuft getrennt’. Da Formen zu entwickeln, die es in ganz
unterschiedlichen Weisen möglich machen, Leute mit reinzunehmen.“ (b-MBT 4, 1580-1587)
Bei dem Ansatz, der eher auf die inhaltliche Fokussierung des Themas und Gegnerschaft zum
Rechtsextremismus ausgerichtet ist, werden hingegen Zielsetzungen genannt, die sich primär
auf den Umgang oder die „Bekämpfung“ rechtsextremer Erscheinungsformen richten (vgl.
insb. Kap. 3.4.4 u. 4.3; b-MBT 6, 990-994; b-MBT V L; b-MBT 3)
3.1.4 Fazit
Der hier exemplarisch dargestellte offene moderierende Ansatz auf der einen und der inhaltlich auf das Thema Rechtsextremismus und seine Gegnerschaft fixierte Ansatz auf der anderen Seite mögen je nach Problem- und Bedarfslage ihre Berechtigung haben. So werden sie
auch als verschiedene Ansatzpunkte und Zielsetzungen bei einem Teil der MBTs neben einander genannt. Dennoch stellt sich die Frage, ob die auf einen Gegner und ein Thema fixierte
Bearbeitung nicht in einer unterkomplexen Dichotomie von „Guten“ auf der einen und „Bösen“ auf der anderen Seite verhaftet bleibt? Diese „Bekämpfungshaltung“, die sich durch eine
politische und moralische Gegnerschaft definiert, ist nach der vorliegenden Beurteilung des
Materials, mehr mit der Analyse22 und vor allem der direkten „Bekämpfung“ bzw. Ausgren-
22
So wird im folgenden Zitat sichtbar, wie die intensive Bemühung um die richtige Analyse mit einer
großen Hilflosigkeit bezüglich Vorschlägen zur Verbesserung einer Situation korrespondieren kann.
„(Ich würde) in der Auswertung noch mal Kriterien entwickeln. Wohin soll das Ganze gehen? Worüber reden wir hier eigentlich? Warum ist es so, dass es notwendig ist, das Problem beim Namen zu
nennen und nicht über Gewalt zu reden, sondern über Rechtsextremismus, Rassismus. Und warum
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
93
zung des – zumeist manifest sichtbaren – Rechtsextremismus beschäftigt, als der offene und
auf „neutrale“ Moderation ausgerichtete Ansatz. Beratungsansätze, die in einer positiven und
offenen Ausrichtung auf alle zivilgesellschaftlichen Akteure und deren Anliegen zugehen,
versuchen von der Anlage her, dies auch in den Methoden umzusetzen und verfolgen so einen
partizipativen Beratungsansatz. So ist es ein Hauptziel dieses Beratungstyps, die positive
Vision eines demokratischen Gemeinwesens mit den zu Beratenden zu entwickeln und die in
der Praxis vorfindbaren gegenläufigen undemokratischen Tendenzen dabei zu integrieren
bzw. zum Gegenstand der Bearbeitung zu machen.
Beratungsansätze, die sich stark über eine inhaltliche Fixierung auf und in Absetzung vom
Rechtsextremismus definieren, befürworten in der Tendenz die Exklusion des „Unerwünschten“. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass eine der Hauptproblemgruppen rechtsextrem-orientierte Jugendliche sind, und es stellt sich die Frage, ob diese Jugendlichen mit ihren
subkulturell bedingten und sozialisationsspezifischen Verhaltensweisen überwiegend dem
ideologisch gefestigten Rechtsextremismus oder gar Organisationen zuzurechnen sind.23
Durch diese „Bekämpfungshaltung“ und damit befürworteter repressiver Ausgrenzungsstrategien ist – im Freudschem Sinne – die Abspaltung des auch zur Zivilgesellschaft gehörenden
„Negativen“ impliziert. Letztlich wird das, was als „Rechtsextremismus“ definiert wird, außerhalb eines sozialen Zusammenhangs angesiedelt. Diesen Ort „Nirgends“ gibt es nicht, und
die Vorstellung, „den“ Rechtsextremismus „beseitigen“ zu können, verschließt sich der Möglichkeit, auf ihn und seine Entstehungsgründe pädagogisch oder mit anderen demokratischen
Mitteln reagieren bzw. präventiv einwirken zu können.
Deshalb wird im weiteren Verlauf der Untersuchung auch der Frage nachzugehen sein, welche Ansätze und Vorgehensweisen in Inhalt und Form selbst demokratische Methoden beinhalten und eine positiv formulierte Zielsetzung verfolgen. Es ist allerdings auch kein Zufall,
dass die meisten MBTs sich in einer Gegnerschaft zum Rechtsextremismus auch namentlich
positionieren. So ist zu fragen, ob nicht mit der Ausrichtung auf eine Gegnerschaft, mit dem
„Bekämpfungsansatz des „Gegen“ ein Programm formuliert wird, das sich in der negativen
Selbstdefinition selbst verengt und möglicherweise der Schwierigkeit aus dem Weg geht,
positiv zu formulieren, was in der Grundzielsetzung Mobiler Beratung einerseits und im konkreten Beratungsfall andererseits eine zu befördernde zivilgesellschaftlich orientierte Auseinandersetzungsform ist. Was für ein positiv formulierter Zustand soll durch Mobile Beratung
erreicht werden? Was heißt „Zivilgesellschaft“ im konkreten Beratungsfall und wie kann
dieser „catch-all“ Begriff auch für die Akteure vor Ort in einer für sie handhabbaren bzw.
lebbaren Form vermittelt werden?
(…). Und dann zu überlegen: ,Wie können wir es schaffen?´ Wir haben darauf keine Antworten. Also
dafür sind wir eigentlich auch noch in der Aufbauphase, in der Erprobungsphase, so würde ich sagen.“ (b-MBT 3, 342-347)
23
So wäre beispielweise in einem Fall genauerer zu prüfen, ob es sich bei den von einem Team angeführten fünfzehnjährigen Jugendlichen um rechtsextreme „Kader“ handelt (vgl. b-MBT 6, 504-506;
siehe dazu ausführlich Kap. 3.4.5).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
94
3.2 Zielgruppen Mobiler Beratung
3.2.1 Allgemeine Bestimmung der Zielgruppen
Ein wichtiges Beurteilungskriterium für eine Evaluierung der MBTs ist die Frage nach den
Zielgruppen Mobiler Beratung. An wen richtet sich Mobile Beratung? Welche Zielgruppen
werden primär erreicht und welche nicht?
Die MBTs haben in ihren Konzepten einen breiten Adressatenkreis, den sie zu ihren Zielgruppen zählen. Zielgruppen sind „im Prinzip alle, die etwas unternehmen möchten“ (b-MBT
V L, 649). Diese unspezifische Zielgruppenbestimmung wird von Teilen der MBTs als Ausdruck der Offenheit des Beratungskonzepts und als Anspruch dargestellt, möglichst viele
Akteure zu erreichen.
„Laut Konzept ist das ja wirklich von A bis Z, in dem Sinn. Also von Schule, Jugendinitiativen,
Polizei, Justiz, Parteien, Sozialarbeit, öffentliche Verwaltung. Also laut Konzept sind das eigentlich alle, die irgendein Problem haben oder was sehen, was zum Thema Rechtsextremismus oder Rassismus sich als ein Problem darstellen könnte vor Ort. Und das ist schon ziemlich breit (…).“ (b-MBT II L, 1136-1140)
Diese Breite der Zielgruppen wird in den seltensten Beratungsfällen angesprochen. So werden in Abhängigkeit von lokalen Gegebenheiten des jeweiligen Beratungsfalls, von den Zugangsmöglichkeiten zu den Kommunen bzw. bestimmten Institutionen und Akteursgruppen,
sowie durch die in dem Selbstverständnis der Berater/innen zum Ausdruck gebrachten Haltungen und (politischen) Ausrichtungen bestimmte Zielgruppen eher und häufiger erreicht als
andere. Diese Diskrepanz zwischen konzeptionellem Anspruch und Wirklichkeit ist den
betreffenden MBTs auch bewusst, was sich allerdings – wie im folgenden Fall – nicht in einer Änderung der Zielsetzung niederschlägt.
„Wir sprechen prinzipiell alle Menschen an, die Aktivitäten von Rechtsextremen wahrnehmen.
Wir haben keine konkreten Zielgruppen. (...) Letztendlich ist es aber in der Realität so, dass
die Hauptzielgruppe durchaus Jugendeinrichtungen darstellen, ich würde sagen: Jugendeinrichtungen, zivilgesellschaftliche Initiativen und Bündnisse.“ (b-MBT 6, 1061-1068)
3.2.2 Hauptzielgruppen
Generell lässt sich anhand der Auskünfte der Berater/innen feststellen, dass vor allem in der
Anfangszeit die MBTs zuerst und zumeist die bereits engagierten Initiativen und Akteure
erreicht haben, da diese den größten Problemdruck hatten und für das Thema bereits sensibilisiert waren und sind. Neben diesen lokalen Initiativen und Bündnissen sind je nach MBT in
unterschiedlichen Ausmaß andere Zielgruppen hinzugekommen. So werden von allen MBTs
Multiplikatoren in der Jugend- und Bildungsarbeit als Kooperationspartner einerseits und
auch als Zielgruppen von Fortbildungen andererseits gesucht und nach Auskunft der MBTs
mit unterschiedlichem Erfolg erreicht.
„Also in erster Linie Multiplikatoren. Das war auch der Bereich, wo wir viel uns vorgestellt
haben. Also alle Pädagogen, Erzieher, Jugendclubleiter, Lehrer, Lehrerinnen (…). Also dieser
ganze Bereich der Pädagogik.“ (b-MBT 3, 908-910)
Dabei kann bei den MBTs in der Regel ein deutliches Übergewicht der Beratungstätigkeiten
gerade in der Jugend(sozial)arbeit und den dafür zuständigen Institutionen gesehen werden.
Bei den Akteuren dieser Zielgruppe besteht aufgrund der auch oben beschriebenen Problem-
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
95
lagen ein großer Bedarf an Unterstützung sowohl im Umgang mit rechtsextrem-orientierten
Jugendlichen als auch bei der Entwicklung attraktiver und demokratiefördernder Angebote
für Jugendliche. Neben dem hohen Fortbildungsbedarf sind die Multiplikatoren und Verantwortungsträger dieses Feldes wichtige Türöffner, um im kommunalen Bereich Zugang zu
finden. So verwundert es nicht, dass ein großer Teil der MBTs „in erster Linie mit Jugendeinrichtungen“ zusammenarbeiten (b-MBT 6, 1086-1087) und „Hauptzielgruppen (...), Multiplikatoren der Jugendarbeit im weitesten Sinne (...)“ sind (b-MBT 5, 2443-2444). Die starke
Fixierung auf den Bereich Jugendarbeit wird aber von einem Teil der MBTs als sehr problematisch gesehen und eine Ausweitung des Tätigkeitsprofils gefordert.
„Was sich verändern muss und was zum Beispiel jetzt über diese in alle Richtungen gehenden
Ansätze hinausgeht und versucht wird ist, dass wir aus dieser Zielgruppe ‚Jugend’, die uns
wichtig ist, mehr hinausmüssen, in andere Bereiche. Also, Zielgruppe, abgesehen vom einzelnen Sozialbereich, dass da ‚Jugend’ halt meistens hervorsticht. ‚Soziales’ auch bis hin zu
‚Wirtschaft’, für das gesamte Projekt wichtige Zielgruppen sind halt behördliche Strukturen.
Und innerhalb des Teams gibt es mit unterschiedlicher Betonung auch ‚Polizei’.“ (b-MBT 7,
1610-1616)
3.2.3 Ausweitung der Zielgruppen
Neben einem bereits sensibilisierten Personenkreis aus dem kirchlichen Umfeld sowie den
Gewerkschaften und Initiativen ist es den MBTs mit unterschiedlichem Erfolg gelungenen,
auch Vertreter der kommunalen Politik und Verwaltung, öffentliche Einrichtungen und Verbände sowie Mitarbeiter und Einrichtungen der Polizei und Justiz zu erreichen.24
„In letzter Zeit war es vor allen Dingen kommunaler Bereich. Politik und Verwaltung, auch
Vereine. Pfarrer ist weder Politik noch Verwaltung, also Kirche.“ (b-MBT 2, 833-834)
Der Zugang zu Schulen ist indes von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. So
kann es sein, dass in einem Bundesland die MBTs sehr gut mit kommunalen Verantwortungsträgern und öffentlichen Einrichtungen und der Polizei zusammenarbeiten, Schulen –
trotz positiver Tendenzen zu einer intensiveren Auseinandersetzung – nur begrenzt erreicht
werden.
„Von der Tendenz gestaltet sich Schule am schwierigsten, Sozialarbeiter eher leichter, weil
sie das Problem mit Jugendlichen im Freizeitbereich öfter haben als Schule das wahrhaben
will (...).“ (b-MBT 3, 854-856)25
24
Ein anderes Team stellt hingegen sehr bewusst die Orientierung auf Initiativen in den Vordergrund:
„Deswegen sozusagen unsere Herangehensweise, auch glaube ich, im Unterschied zum anderen MBT
hier in ((Name Ort)), nie die gewesen, dass wir uns am Anfang in den gesamten Verwaltungsstrukturen
vorgestellt haben und erst mal so Türklinkenputzen gemacht haben. Sondern sozusagen gleich in Basisinitiativen auf die ersten Anfragen gestoßen sind, die wir bearbeitet haben.“ (b-MBT V L, 133-137)
25
Diese zurückhaltende Bereitschaft, sich an Schulen mit dem Thema zu beschäftigen, wird auch in
anderen Bundesländern festgestellt, wobei von den meisten MBTs seit längerem eine positive Tendenz
der Schulen zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema festgestellt wird „Es gibt grade
im Bereich Schule, fällt mir da so ein, gibt es manchmal - wobei das sich auch verändert im positiven
Sinne - gab es aber häufig auch so eine Haltung: ‚Wir haben keine Probleme und hier ist alles wunderbar’.“ (b-MBT 5, 166-168))
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96
In einem anderen Bundesland hingegen werden aufgrund eines Erlasses des für Schulen zuständigen Ministeriums die MBTs für die Schulinterne Lehrfortbildung im Themenkontext
Gewaltprävention regelmäßig angefragt.
„Ich glaube, die armen Kolleginnen und Kollegen in ((Name eines anderen Bundeslandes))
haben da irgendwie andere Brötchen noch zu knabbern (...). Ich denke, dass so ein Erlass vom
((Name Ministerium)) zum Beispiel: Alle Schulen müssen flächendeckend ((Lehrerfortbildungen durchführen)), das hat uns geholfen, oder wir arbeiten ganz eng zusammen hier mit dem
bildungspolitischen Sprecher der ((Name der Partei)) und werden vermutlich für alle Schulen
im Land eine Ausstellung machen. Auf Anweisung der Landesregierung sind wir angewiesen
worden, alle Schulräte des Landes zu schulen und zu beraten. Wir sind in diesen beiden großen Projekten „Demokratie leben und lernen“ der Bund-Länder-Kommission auf Einladung
wiederum von sozusagen Landesstrukturen. Wir kriegen viele Türen geöffnet, nicht alle, aber
viele, vor allem die, wo es nichts kostet. Das ist nützlich, das ist ganz klar nützlich. Ich denke,
unter einer anderen landespolitischen Regentschaft könnte es sehr viel schwerer sein.“ (bMBT 5, 2671-2682; vgl. auch b-MBT II L 1160-1161)
Auch gibt es mittlerweile Nachfragen von Verbänden wie der IHK und öffentlichen Einrichtungen nach Fortbildungen und Informationsveranstaltungen zu rechtsextremen Erscheinungen und dem Umgang damit.
„Oder auch Wirtschaft, damit haben wir auch sehr stark zu tun, wir haben einen dicken Fisch
an Land gezogen (...). ((Name des Betriebs)). (...) Die Wirtschaft ist gerade unser größter Posten im Augenblick.“ (b-MBT 2, 874-878)
3.2.4 Offenheit der Zielgruppen
Auf die Frage, ob es bestimmte Zielgruppen und Personengruppen gäbe, die eher offen oder
ablehnend auf Beratungsangebote reagieren würden, wurde durchweg von den Befragten
geäußert, dass dazu keine generalisierbaren Aussagen möglich seien. Vielmehr hänge dies
von der Offenheit und Persönlichkeit sowie der Professionalität der jeweiligen Person ab.
„Also ich würde mich dagegen wehren, solche Akteursgruppen zu benennen. Also das hat
mich noch mal unsere Beratungsarbeit im Strafvollzug gelehrt. Es gibt überall Leute, die ein
hohes Maß an Engagement und Offenheit haben. Die ein großes Bedürfnis nach Veränderung
haben. Und es gibt immer Leute, die bremsen. Das würde ich nicht an Berufsgruppen festmachen. Das ist sicherlich eine Frage (…). Was entscheidend sein kann, ist so etwas wie Professionalität. Dass Leute die Fähigkeit haben, ihre eigene Arbeit zu reflektieren.“ (b-MBT II L,
1317-1322)
Generalisierbare Aussagen lassen sich auf kommunaler Ebene auch nicht für die parteipolitische Zugehörigkeit machen.
„Aber vor Ort ist das nicht in erster Linie immer parteipolitisch einzuordnen. Also wenn in einem Ort ein großes Problem besteht mit einer rechtsextremen Jugendclique, die in einem Jugendclub die Fenster einschlägt, dann ist das erst mal nicht so wichtig, ob das ein ((Name der
Partei))-Bürgermeister ist. Da gibt es nicht so große Unterschiede.“ (b-MBT 3, 961-963)
Auch lassen sich keine verallgemeinerbaren Aussagen im Hinblick auf Offenheit oder Ablehnung von/für Beratungsangebote in Abhängigkeit von bestimmten institutionellen Funktionen
oder Zuständigkeiten machen.
„Das kann man pauschal nicht sagen. Es gibt offene Schulen, es gibt aber auch geschlossene
Schulen. Es gibt offene Bürgermeister, es gibt offene und geschlossene Kirchen. Das ist ganz
unterschiedlich. Es hängt viel von der Persönlichkeit ab und von der Lage vor Ort. (...) Mit
dem einen Mitarbeiter im Jugendamt kann man, mit dem anderen kann man es vergessen.“ (bMBT 4, 1603-1606)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
97
Dies bedeutet für den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen, dass es neben den infrastrukturellen Rahmenbedingungen auch auf die Bereitschaft und Offenheit von den jeweiligen Akteuren vor Ort ankommt, sich für öffentliche Belange zu engagieren und sich einer
Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu stellen. Dabei spielen persönliche Charaktereigenschaften und Haltungen anscheinend eine ebenso große Rolle wie (partei-)politische Zuordnungen.
3.2.5 Fazit
Eine abschließende Festlegung, welche Zielgruppen in welcher Häufigkeit und in welchen
Beratungszusammenhängen wirklich erreicht wurden und werden, lässt sich aufgrund der
Materialbasis nicht feststellen. Die Erreichung der Zielgruppen ist neben den oben genannten
Faktoren auch abhängig von der Entwicklungsphase des Teams und von der Art der Beratungsprozesse, die gerade stattfinden. So wurde beispielsweise in einem Bundesland von den
MBTs versucht, sich über Fortbildungsveranstaltungen im Jugendbereich und an Schulen bekannt zu machen und dadurch eine Nachfrage anzustoßen. Dies hat sich als eine erfolgreiche
Strategie bewährt, so dass die MBTs mittlerweile nachfrageorientiert arbeiten und von einem
breiten Spektrum angefragt werden, das in einem Fall bis in den Wirtschafts- und Tourismusbereich hinein reicht (vgl. b-MBT 4; b-MBT II L).
Bei einigen untersuchten MBTs richtet sich das Beratungsangebot neben der Jugendarbeit
sehr stark an engagierte Initiativen. Wohingegen kommunale Verwaltungen und andere staatliche Institutionen sowie die lokalpolitischen Eliten und Polizei in Relation zu anderen MBTs
scheinbar weniger erreichte Zielgruppen sind. Diese Fokussierung kann nach Einschätzung
der vorliegenden Datenlage nicht allein auf die politischen Konstellationen auf Landes- oder
Kommunalebene oder den örtlichen Gegebenheiten einzelner Beratungsprozesse zurückgeführt werden, da in verschiedenen Bundesländern unter – im großen Rahmen vergleichbaren
Bedingungen – andere Zielgruppen wie beispielsweise Verantwortungsträger aus unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung und Politik neben den auch dort feststellbaren Schwerpunkten im Jugendbereich erreicht werden. Diese Verengung auf bestimmte Zielgruppen
hängt auch mit den eigenen Schwerpunktsetzungen der jeweiligen MBTs und wahrscheinlich
noch mehr mit dem im nächsten Kapitel (3.3) ausführlich behandelten Rollenverständnis der
Berater/innen zusammen. Das oben dargestellte Selbstverständnis, das eine stark politisierte
Positionierung in den Vordergrund stellt und sich primär den politisch engagierten Initiativen
zuwendet, ist nicht im gleichen Maß für diejenigen offen, die dem engagierten Milieu und
einer betont politischen bis zu konfrontativen Auseinandersetzung mit rechtsextremen Erscheinungsformen distanziert bzw. skeptisch gegenüberstehen. Jedenfalls scheint es einem
Teil der MBTs besser zu gelingen, ein breiteres Spektrum an Zielgruppen und damit auch
kommunale Verantwortungsträger und einflussreiche lokale Eliten zu erreichen als anderen.
Dadurch verschieben sich auch die zentralen Tätigkeitsbereiche. So können bei einer breiten
Nachfrage unterschiedlichster Zielgruppen die für die Beratungsarbeit wichtigen Schlüsseltätigkeiten wie „Befähigung“, „Aktivierung“ und „Vernetzung“ auf einem ungleich höheren
Level ansetzen und eine größere Breitenwirkung entfalten, währenddessen sich bei den auf
bestimmte Spektren orientierten MBTs eher die Frage nach einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit rechtsextremen Aktivitäten und Fremdenfeindlichkeit stellt. Damit bleiben sie
häufig auf einen sehr kleinen Kreis von Zielgruppen begrenzt, der in der Regel diejenigen
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98
umfasst, die bereits für das Thema Rechtsextremismus sensibilisiert sind und sich in einem
(begrenzten) Gegenmilieu engagieren.
3.3 Rollen- und Selbstverständnis der Mobilen Beratungsteams
Das Selbst- und Rollenverständnis bildet eine der zentralen Grundlagen für die Beratungstätigkeit. So sagt das jeweilige Rollenverständnis etwas darüber aus, mit welcher Haltung der
Berater den zu Beratenden auf der einen und dem zu bearbeitenden Thema auf der anderen
Seite gegenüber tritt. Deshalb wird im Folgenden der Frage nachgegangen, welche Rollenverständnisse haben die Berater/innen? Lassen sich verschiedene Selbstverständnisse der
einzelnen MBTs feststellen? Worauf sind die unterschiedlichen Verständnisse zurückzuführen? Und wie wirken sich die Rollenverständnisse auf den Beratungsprozess aus?
3.3.1 Grundzüge und Ambivalenzen des Rollenverständnisses
In dem Rollenverständnis, mit denen die Berater/innen den Zielgruppen gegenübertreten bzw.
in die Beratungsprozesse hineingehen, lassen sich bezeichnende Unterschiede zwischen den
einzelnen MBTs feststellen. Die Differenzen in den Rollenverständnissen hängen zum einen
mit einem grundsätzlichen Verständnis der Arbeit der MBTs zusammen, das von einer Vielzahl von Elementen und Einflussfaktoren geprägt wird. Dies reicht von konzeptionellen und
methodischen Überlegungen, spezifischen Qualifikationen und Arbeits- und Lebenserfahrungen bis hin zu politisch-ideologischen Begründungen und Haltungen.26 Dabei können sich
konzeptionelle Überlegungen und politische Haltungen durchmischen, in dem Sinne, dass
nicht immer eindeutig methodisches Vorgehen auf eine bestimmte Konzeption zurückzuführen ist und/oder die Beraterrolle von einer politischen oder moralischen Haltung geprägt wird.
Um diese einzelnen Facetten und ihre Durchmischungen genau bestimmen zu können, wären
allerdings längere und sehr intensive Begleitprozesse in Form von beispielsweise teilnehmender Beobachtungen bei Beratungs- und Moderationsprozessen notwendig gewesen.
Bei einem Großteil der interviewten Kleinteams wird sichtbar, dass sie sich intensiv mit ihrem Rollenverständnis auseinandersetzen und sich um eine selbstreflexive und gezielte Rollenwahrnehmung bemühen. Hierbei zeigen sich entwicklungsfähige Ansätze zu einem reflektierten, in sich konsistenten und gefestigten Rollenverständnis, das sich über die auszuübende Funktion als Berater/in und die notwendige Distanzierungsfähigkeit gegenüber den
Klienten sowie dem Beratungsgegenstand bewusst ist. In einem Fall wurde hingegen explizit
darauf hingewiesen – was bei anderen MBTs wenn auch weniger prägnant ebenfalls zu beobachten ist –, dass die Frage nach der Rolle, nach dem Selbstverständnis noch im Fluss ist
und im Team auch noch grundsätzlich diskutiert wird. Dies zeigt sich beispielweise daran, ob
man sich selbst als Akteur versteht und wie weit diese Akteursrolle reicht.
„Also auch das ist im Team ein großes Diskussionsfeld. Seitdem es ((Name des MBT)) gibt,
natürlich. Inwieweit sind wir Akteure, wo liegen die Grenzen, aber auch die Grenzen des Zumutbaren, nicht Akteur zu sein. Also ich finde es so schwierig, das so klar zu beantworten,
26
Ein wichtiger Untersuchungsgegenstand wäre der Habitus, mit dem die Berater/innen im Beratungsprozess oder in der Öffentlichkeit auftreten bzw. wahrgenommen werden. Da sich die Untersuchung in
erster Linie auf Interviewmaterial stützt, konnte dieser Aspekt nicht analysiert werden.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
99
weil es zumindest für uns in den Teams auch noch keine klaren Antworten gibt! Also es sind
viele Dinge, die wir noch diskutieren.“ (b-MBT 3, 677-692)
In Hinblick auf die in den Interviews thematisierte Frage, ob die Berater/innen in einer „neutralen“27 Haltung den zu Beratenden gegenübertreten oder „Position beziehen“ sollten, wird
von den meisten Interviewten auf die Ambivalenz der Rolle hingewiesen und eine Mischform
beschrieben. So wird einerseits geltend gemacht, dass man bei solch einem Thema nicht
„neutral“ sein könne und man Position beziehen müsse. Andererseits wird herausgestellt, dass
man schon durch das Aufgreifen des Themas und durch den Auftrag zivilgesellschaftliches
Engagement anregen zu wollen, von den Akteuren vor Ort als Berater/in in einer bestimmten
Position wahrgenommen werde bzw. einem eine politische Positionierung zugeschrieben
werde. Von einem Teil der Interviewten wird dann auch zwischen Tätigkeiten getrennt, in
denen eher eine „neutrale“ Rolle wie bei der Moderation von Bündnissen eingenommen werden könne oder wo eine Positionierung erforderlich ist, wie bei dem Aufgreifen und sogenanntem „Benennen“ eines Themas. Es scheint hierbei den Interviewten wichtig zu sein, dem
Gegenüber zu vermitteln, dass sie selbst über eine „sichtbare“ politische Position verfügen,
die sich als Gegnerschaft zu jeglichen Formen des Rechtsextremismus definiert und von ihnen auch nach außen wahrnehmbar vertreten wird. Das eigene Rollenverständnis wird dabei
bis zu einem gewissen Grad – wie im folgenden Zitat zu sehen ist – an den (unterstellten)
Erwartungen der zu Beratenden bzw. den engagierten Akteuren vor Ort abhängig gemacht.
Wobei dieses von sich selbst eingeforderte „Position beziehen“ offenbar bis auf wenige Ausnahmen durchgängig praktiziert wird, so auch bei Fortbildungen.
„Neutralität sehe ich nur wichtig zu wahren, was die Befindlichkeiten der Menschen untereinander betrifft, also wenn es Kommunikationsprobleme in einer Kommune gibt, dass wir uns da
auf eine neutrale Position stellen und das, was die Leute aus ihrer Geschichte und aus ihrem
gemeinsamen Leben haben, nicht in die Beratung mit reintragen. Aber was unseren Beratungsansatz betrifft, sehe ich durchaus keine Neutralität, das würde für mich nicht gehen, weil
wir die Sachen in einer Region schon konkret benennen müssen. Das erwarten auch die Menschen von uns (...). Und das müssen wir auch machen, denke ich. Und dann gerade auch im
Rahmen von Fortbildungen, die wir auch für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder,
breiter angelegt, auch in Kommunen machen, ist es wichtig, dass wir Position beziehen. Ich
glaube, wenn man diese Arbeit macht, solche rassistischen Vorurteile, muss man die auch benennen und dann muss man auch gucken, wo sie in der Gesellschaft oder direkt auch in der
Kommune vorkommen. Die kommen eben nicht nur vor in irgendwelchen Extremen, rechts
und links am Rand, sondern die kommen ganz normal vor, unter Stadträten oder auch bei der
Polizei hatten wir das jetzt an einem Beispiel. Da ist das Benennen einfach wichtig, da geht
Neutralität für mich nicht.“ (b-MBT 1, 18-35)
Wenn von Berater/innen diese Positionierung deutlich gemacht worden ist, werden auch andere Aspekte thematisiert, die ein differenzierteres Rollenverständnis zum Vorschein bringen.
So sehen einige Mobile Beratungsteams – wie auch die oben zitierte Beraterin – einen Teil
ihrer Arbeit als eine Dienstleistung, die in Form von Weitergabe von Informationen, in dem
Zusammenführen verschiedener Gesprächspartner, in der Herstellung von Transparenz des
Beratungsprozesses besteht.
27
Die „Neutralität“ bezieht sich hier nur auf die Haltung und das Vorgehen als Berater/in. Davon ist
die Frage nach einer „Neutralität“ im Hinblick auf eine Werteorientierung bei der Thematisierung
eines Beratungsgegenstands zu unterscheiden.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
100
„Es ist dann auch eine Dienstleistung, (...) etwas zu leisten, und zwar einen Dienst zu leisten,
Informationen zu sammeln und sie anderen wieder zur Verfügung zu stellen, oder eben auch
konkret die anderen, die diese Informationen haben oder auch die Wahrnehmungen haben
zum Thema Rechtsextremismus, an einen Tisch zu holen. Das beschreiben wir dann und machen das Angebot. (...) Und wir sind Dienstleister, aber eben nicht neutral in dem Sinne, sondern weil bei diesen Informationen die wir sammeln, das sind ja unterschiedlichste Quellen,
(...) ich sage immer so ein bisschen: ein Puzzlebild von Zivilgesellschaft, von Entscheidungsträgern, von denen, die gefragt sind in der Auseinandersetzung. Da ergibt sich ja auch ein
Bild. Und dieses zusammenzukriegen und auch entgegenzusetzen, ich denke das ist auch eine
Aufgabe, das ist auch wieder eine Leistung, wie auch immer, da ist Analyseleistung dabei, da
müssen wir uns auch zurücknehmen, Distanz ist gefragt ( ...).“ (b-MBT 1, 62-79)
An diesen Äußerungen einer Beraterin zeigt sich auch das Hin- und Herchangieren zwischen
der Rolle eines distanzierten Dienstleisters und der des sich positionierenden Beraters, der bei
dem Thema „Rechtsextremismus“ nicht „neutral“ sein kann oder darf.
Von einem anderen Befragten wird Mobile Beratung viel entschiedener und klarer als Dienstleistung betrachtet. Mobile Beratung ist ein professionelles Dienstleistungsangebot, das eine
Vielzahl von Qualifikationen voraus setzt.
„Ich denke, dass ein Eckpunkt ist, dass man sich als Dienstleister versteht. Dass man sich
nicht als Akteur begreift, sondern als Dienstleister für Akteure. Ich denke, dass das ein Punkt
für Mobile Beratung ist, damit sie funktioniert – Professionalität. Und das heißt, sich nicht nur
im Gebiet Rechtsextremismus auszukennen. Das ist sicherlich eine Voraussetzung. Sondern
außerdem in den Bereichen, wo es eine Rolle spielt; sich in Fortbildung auskennt, sich in
Moderation, Mediation im Zweifel auskennt, dass man sich in Sozialpädagogik, bzw. Pädagogik auskennt. Und da das nicht einer alleine kann, müssen die Teams dafür sorgen in ihrer
Gesamtbesetzung, dass das gewährleistet ist.“ (b-MBT VI L, 15-22)
3.3.2 Berater oder Akteur
Ein wesentlicher Aspekt, der von den Interviewten in Bezug auf das Rollenverständnis thematisiert wurde, betrifft die Frage, ob sich die MBTs selbst als Akteure sehen bzw. in bestimmten Fällen eine Akteursrolle übernehmen oder ob die MBTs die Akteure vor Ort nur
beraten und dabei für sich eine externe und im Rollenverständnis „neutrale“ Beraterrolle einnehmen.
Hier lässt sich innerhalb des befragten Kreises der Berater/innen ein heterogenes Spektrum
feststellen. Ein Großteil sieht sich in ihrem konzeptionellen Selbstverständnis und dem Anspruch nach in ihrer Praxis in der Rolle eines externen unabhängigen Beraters. Da die Bedingungen für eine an der Nachfrage orientierten und eine auf die beratende Hilfestellung begrenzte Beratungssituation vielerorts nicht gegeben sind, müssen die Berater/innen oftmals
zumindest vorübergehend in eine Akteursrolle schlüpfen, um sich die entsprechenden Beratungssituationen erst zu schaffen. Dieser Wechsel in den Rollen wird von den Teams mit
„erster“ und „zweiter“ Reihe umschrieben.28
28
„Na, erste Reihe heißt, also jetzt mal ganz platt formuliert, organisiere ich eine Demonstration in
einer Kleinstadt von 7000 Leuten. Ich als ((Name des MBT)), oder ((Name des MBT)) macht das. Das
wäre erste Reihe. Und zweite Reihe wäre, in dieser Kleinstadt moderiert ((Name des MBT)) den ‚Runden Tisch’ oder das Bündnis, und das Bündnis meldet die Demo an. Und organisiert die. Das ist zweite
Reihe.“ (b-MBT II L, 234-238)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
101
„Ich denke, was wichtig ist, ist, dass es eben diese erste und die zweite Reihe gibt. Von unserem Konzept her in ((Name Bundesland)) würde ich denken, (...) dass wir wirklich im Hintergrund beratend tätig sind. Aber das geht einfach nicht, weil das Strukturen voraussetzt, die
man beraten kann und die ein Problembewusstsein haben. Das ist, denke ich, das große Problem, vor dem wir uns befinden, dass es diese Strukturen nicht gibt. (...) Das heißt, das wir eigentlich unserem ureigensten MBT-Auftrag, Leute zu Rechtsextremismus zu beraten, insofern
gar nicht gerecht werden können, weil wir erst mal Strukturen schaffen müssen, in denen wir
dann zukünftig beraten können und wollen.“(b-MBT III L GR, 106-123; b-MBT 5, 143-152)
Diese aufgrund von mangelnden Gelegenheiten und Strukturen für Beratung ausgeübte Akteursrolle wurde insbesondere von MBTs in den Flächenländern während der Aufbausphase
eingenommen und wird heute noch im Rahmen von Fortbildungen sichtbar. So sehen sich
einige MBTs explizit als Akteure, wenn sie von sich aus Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen anbieten.
„Wo wir eher Aktionen machen, das ist auf der Landesebene. Dass wir da Sachen thematisieren, Fachtage oder solche Geschichten anbieten, aber das ist eine andere Geschichte. Ansonsten sehen wir uns eher als Dienstleister. Es hat einen Dienstleistungs-, Service-orientierten Charakter.“ (b-MBT 4, 1092-1096 )
3.3.3 Bewegungs- und politischer Akteur
Von dem oben dargestellten Akteursverständnis ist allerdings ein Rollenverständnis grundsätzlich zu unterscheiden, nach dem sich die Berater/innen bzw. die MBTs selbst als politische bzw. als Bewegungsakteure verstehen. Auch wenn dies nur bei wenigen Berater/innen
explizit geäußert wird, schwingt doch bei einem nicht unwesentlichen Teil der Berater/innen
die Auffassung mit, selbst aktiv zu werden oder von sich aus eine (gezielte) politische Einflussnahme auf einen Prozess und/oder die zu beratenden Akteure ausüben zu wollen bzw.
dies als ihren Auftrag zu sehen.
„Sondern das Konzept ermöglicht auch, wenn vor Ort keine Akteure vorhanden sind, selbst
aktiv zu werden. Also diesen Konflikt, den man ja in der Beratung und gerade in dem Thema
hat, mit erster oder zweiter Reihe sein zu dürfen, müssen oder zu können (…). Zum einen hat
man das Konzept zwar festgeschrieben, aber schon noch Klauseln drin gelassen, dass man
auch aktiv werden kann. Und zum anderen muss man sich aber auch vorstellen, im Team, dass
die anderen, ehemals aus erster Reihe kommend, also immer aktiv in Projekten oder zu diesem
Thema waren, sich plötzlich in der zweiten Reihe wiederfanden. Die (...) viele Erfahrungen,
Kompetenzen mitgebracht haben, aber ja in erster Reihe anders gedacht haben, andere Strategien entwickelt haben, gab es da auch schon im Vorstand und im Team immer wieder Auseinandersetzungen und Diskussionen, Klausuren zu diesem Thema. Also wie man damit umgeht.“ (b-MBT II L, 223-229)
An der Thematisierung dieses offenbar noch nicht geklärten Rollenverständnisses kommt
eine grundlegende Erscheinung zum Vorschein, die auch bei anderen MBTs und von CIVITAS geförderten Projekten sichtbar wird. Dies hängt möglicherweise auch mit einer zu wenig
klar definierten und operationalisierten Förderstrategie des CIVITAS-Programms zusammen.
So wird in einem allgemeinen Bezug auf einen auch in der wissenschaftlichen Debatte umstrittenen und sehr weit definierten Begriff von „Zivilgesellschaft“ (vgl. Kocka 2003) nicht
klar zwischen einer professionsbezogenen, fachspezifischen Bearbeitung des Themas Rechtsextremismus – zu der auch Mobile Beratung vom Ansatz her zuzurechnen ist – und einer an
politischem Engagement und persönlicher Einmischung orientierten Herangehensweise unterschieden. In dem oben dargestellten Fall kommt dies auch dadurch zum Vorschein, dass
zwischen einem vor und möglicherweise parallel zu der Förderung durch das CIVITAS-
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
102
Programm praktizierten politischen Tätigkeit und einer Beratertätigkeit im Auftrag des CIVITAS-Programms keine klaren Rollentrennungen vorgenommen werden. Politisches bzw.
persönliches Engagement und Beratertätigkeit überlagern und durchmischen sich und dies
nicht nur punktuell (vgl. Fallvergleich in Kap. 4.2). Weiter wird an diesem Beispiel auch
sichtbar, dass diese Mischung von persönlichem Engagement, biographischen Bezügen zu
politischen Zusammenhängen und professioneller Arbeit im Rahmen einer mit öffentlichen
Mitteln finanzierten Stelle als Berater aus dem Blickwinkel der zu beratenden Klienten nicht
unproblematisch sein dürfte. Diese haben die berechtigte Erwartung, auf eine unvoreingenommene und offene Beratersituation zu treffen. Auch um das eigene Selbstverständnis zu
klären und ein professionelles Beratungsangebot anbieten zu können, wären in solchen Fällen
die Rollenverständnisse von den einzelnen Mitarbeiter/innen und Teams intern vor Beginn
eines Arbeitsprozesses zu klären und transparent zu machen. Denn ein nicht eindeutig geklärtes Rollenverständnis führt zwangsläufig zu im Beratungsprozess mitlaufenden Ambivalenzen, die den Klienten nicht verborgen bleiben und Irritationen hervorrufen können.
Ein Teil der Berater/innen sieht aber eine Notwendigkeit darin, in bestimmten Fällen aktiv
werden zu müssen, wenn z.B. die Akteure vor Ort nicht auf rechtsextreme Aktivitäten reagieren. Hier wird eine große Spannbreite sichtbar, die von einem Eingreifen bei einer die
menschliche Integrität bedrohenden Handlung bzw. verletzenden Äußerung bis hin zur Kritik
an einem mangelnden Engagement der Akteure vor Ort reicht. So sehen einige Berater/innen
auch ihre Aufgabe darin, selbst aktiv zu werden, wenn bei dem Auftreten rechtsextremer
Erscheinungen – zumeist sind damit Aktivitäten des organisierten oder militanten Rechtsextremismus gemeint – vor Ort keiner aktiv ist oder das Thema nicht artikuliert wird.
„Aber man muss natürlich auch der Tatsache ins Auge schauen, dass es in bestimmten Situationen, bestimmten Regionen keine Akteure gibt, die das machen würden. Das heißt, es geht
jetzt nicht mal nur um eine Demonstration, sondern einfach auch um das Thema. Um es zu
thematisieren. Und wenn es da niemanden gibt, dann muss es halt auch ((Name des MBTs))
machen. So, und das heißt dann halt, erste Reihe zu sein.“ (b-MBT II L, 245-249)29
An einer anderen Stelle wird deutlich, wie schwierig es für einem Teil der Berater/innen ist,
sich auf eine rein beratende Funktion zurückzuziehen und damit aushalten zu müssen, dass
die von ihnen beratenden Akteure nicht in dem gewünschten Sinne aktiv werden.
„Na ja, es heißt dann, inwieweit, wenn ich in einer beratenden Funktion bin, von jemanden.
Und bin dann aber in einer öffentlichen Veranstaltung oder in einer Diskussion, und inwieweit
bringe ich genau die Themen ein, die hier brennen, formuliere die in dieser Kommune, oder
setze ich darauf, dass ich sage: ‚Mein beratender Akteur, der Akteur, den ich berate, wird das
vielleicht in einem halben Jahr formulieren.’“ (b-MBT II L, 254-258)
An den beiden letzten Textstellen wird deutlich, dass solch ein Rollenverständnis je nach
(Beratungs-)Situation auch mit einer konfrontativen oder gar polarisierenden Kommunikations- und Handlungsstrategie einhergehen kann. Es kann dabei nach dem jetzigen Stand der
Evaluation nicht abschließend geklärt werden, ob solche Polarisierungen zu vermeiden sind
29
Dennoch wird auch bei diesem Team herausgestellt, dass die Beratungstätigkeit aus der zweiten
Reihe im Vordergrund stehe. „Und natürlich ist das Konzept und die Idee, die zweite Reihe zu besetzen. Da zu unterstützen, was ja auch sozusagen dem Prinzip ‚Hilfe zur Selbsthilfe’ entspricht, was
benötigt man, um aktiv zu werden, um sich Wissen anzueignen, um Wissen weiterzugeben, ist zweite
Reihe. Und das ist das Konzept von ((Name des MBT)).“ (b-MBT II L, 242-245)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
103
oder ob sie sogar in Einzelfällen den Beratungsprozess positiv beeinflussen können. Fraglich
ist jedoch, ob dadurch der Beratungsprozess für alle Interessierten und potenziell zu Aktivierenden offen gehalten werden kann oder ob nicht sogar Lagerbildungen wie im folgenden
Beispiel im Kauf genommen werden.
„Also, was wir manchmal machen müssen, ist sozusagen ‚die Instrumente zeigen’, so hat man
das im Mittelalter mal genannt, es gab mal einen Fall, das war aber noch in ((ehemaliger Arbeitsort)), wo es eine große Nichtbereitschaft der Gemeinde gab, es aber einen großen Leidensdruck von vielen anderen in der Gemeinde gab, und um den Bürgermeister überhaupt dazu zu bringen, sich mit uns an einen Tisch zu setzen, da haben wir dann mal gesagt: Na ja, also es könnte ja auch eine Situation geben, dass man mal an die Presse geht und sagt: Es gibt
hier ein Faschismusproblem. Also, nicht, dass wir gesagt haben, wenn Sie nicht mit uns reden,
machen wir das, sondern wir haben gesagt: So kann es eskalieren, wenn das hier so weiter
geht, und dann haben Sie ein wirkliches Problem, jetzt haben Sie noch Handlungsfähigkeit. –
In so eine Richtung! Oder, wo sind wir sonst noch fürchterlich polarisierend unterwegs?“ (bMBT 5, 1313-1323)
3.3.4 Mobile Beratung als Moderation
Es stellt sich hier die noch weiter unten ausführlich zu erörternde Frage, inwieweit die zentralen Schlüsseltätigkeiten wie „Befähigen“ und „Vernetzen“ mit einer eindeutig positionierten oder gar konfrontativen Herangehensweise zu vereinbaren sind? So wird jedenfalls solch
eine polarisierende Haltung explizit auch von einem Teil der Berater/innen zurückgewiesen
und durch eine moderierende und begleitende Rolle ersetzt, die sich auch keinem „Lager“
zuschlägt.
A: „Wir versuchen schon, den Leuten das Problem plausibel zu machen, um sie dann zu gewinnen, etwas anderes zu tun. Auf Polarisierung haben wir es nie hinauslaufen lassen. Wir
haben eigentlich versucht, Probleme und Potenziale aufzuzeigen auf beiden Seiten, das ist ja
meistens so, dass es durchaus berechtigte Kritikpunkte gibt, wenn es da irgendwo eine Ini
gibt, die mit der Stadtverwaltung meinethalben nicht klarkommt. Dass man sozusagen auch
mal die andere Seite sieht. Und z.B. in ((Ort)) hat es funktioniert.“
Frage: „Eure Aufgabe wäre dann, (...)?“
B: „Eine Kommunikation herzustellen, eigentlich eine Moderation (…).“
A: „Ja. Nicht von vornherein auszuschließen, ‚die wollen sowieso nicht’ oder ‚mit denen
brauche ich nicht zu reden’. Woher will ich das wissen. Eigentlich verstehe ich Beratung als
Begleitungsprozess, dass man Kommunikationsstrukturen aufbaut und ein Stück weit begleitet
und dann rausgeht. Es kann ja sein, dass das mit einer Polarisierung begonnen hat.“ (b-MBT
2, 111-125)
Eine explizit moderierende und auf eine „neutrale“ Haltung begrenzte Beratungsrolle beschreiben die wenigsten MBTs. In einem der untersuchten Fälle korrespondierte ein dezidiertes Rollenverständnis als Moderator, als (neutraler) Vermittler mit einer vor dem CIVITAS-Projekt erfolgten Zusatzqualifizierung als Mediator. Diese Zusatzqualifikation zeigte
sich beispielsweise in der gezielten Anwendung von für den Beratungsprozess wichtigen
Kommunikationsstrategien.
„Ich denke, wir beide sind durch die Mediation ein bisschen ‚geschädigt’, haben eine Gesprächstechnik entwickelt, die sehr aus dieser Mediationsecke kommt. Abholen bei den Positionen, dann langsam, immer wieder verständnisvolles Fragen was sind die Interessen, was
sind die Bedürfnisse, was steht dahinter. (...) Ich muss sagen, das Instrumentarium bewährt
sich da. Man hat diese Gesprächstechniken, aktives Zuhören, verschiedene Fragetechniken,
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
104
das hat man da einfach gut lernen können. Das hatte man vorher vielleicht intuitiv drauf, aber
kann man jetzt professioneller umsetzen.“ (b-MBT 4, 1247-1267)
„Es spielt auch dieses systemische Denken ein Stück mit rein, das System nicht außen vor zu
lassen sondern zu gucken, was verbirgt sich denn wirklich dahinter, was spielt da mit rein.“
(b-MBT 4, 1275-1277)
Dieses Team sieht in Mobiler Beratung vom Grundsatz her – wie auch einige andere MBTs –
eine (Kommunikations-)Technik, als ein an den Bedarfslagen der Klienten orientiertes Kommunikationsangebot. Dieses Rollenverständnis als „Vermittler“ erfordert eine gleiche Distanz
zu allen zu beratenden Akteuren und muss auf Polarisierungen und Konfrontationen verzichten. Die Berater/innen nehmen allerdings auch für sich in Anspruch, sich für Randgruppen
einzusetzen „oder wirklich Position zu beziehen und das Thema offen zu machen“ (b-MBT 4,
1177). So kann in bestimmten Fällen, das Anliegen einer Minderheit in einer Kommune der
Ausgangspunkt eines Beratungsprozesses sein, wobei dann Themen dieser Minderheit wie
Rechtextremismus, Bedrohung durch fremdenfeindliche Gewalt etc. in einem größeren Kreis
thematisiert werden sollen. In solchen Fällen kann das MBT eine Art anwaltlicher Funktion
für den Transport von Themen und Anliegen übernehmen, die dann in einem größeren Kreis
von möglichst vielen Akteuren auf gleicher Augenhöhe erörtert werden sollen. Das MBT
versteht sich zwar dafür zuständig, dass das Thema aufgegriffen wird, nimmt aber – nach
seiner Darstellung – in seiner Moderationsrolle die gleiche Distanz zu allen anderen Akteuren
ein.
„Wir haben nicht nur in ((Ort)), sondern auch als Gesamtteam, ziemlich klare Positionen zum
Thema Rassismus, zum Thema Demokratie, zum Thema demokratische Entwicklung auch in
((Bundesland des MBT)), in der Alltagsarbeit sind wir aber schon bemüht, die erste These als
Maxime unseres Handelns umzusetzen. Dass wir schon versuchen, eine Distanz zu wahren,
nicht gleich mit unseren Positionen in die Beratung reingehen, sondern im Laufe von Gesprächen, von Beratungen, (…) diese Themen (...) angesagt sind, da mit einzubringen. Ich verstehe
uns schon ein Stück weit als Anwälte oder Anwältinnen dieser Minderheiten oder der Opfer.“
(b-MBT 4, 62-71)
Grundanliegen eines solchen Beratungsansatzes ist es, die zu Beratenden dazu in die Lage zu
versetzen, das von ihnen angesprochene Problem unter Zuhilfenahme externer Beratung mit
den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu lösen. In diesem Rollenverständnis versucht
das MBT Möglichkeiten und Wege zur Eigeninitiative aufzuzeigen und andere dazu zu befähigen, ihre Interessen und Angelegenheiten unter Nutzung ihrer Ressourcen selbst in die
Hand zu nehmen. Diese Beratungshaltung beschränkt sich idealtypisch darauf, „Hilfe zur
Selbsthilfe“ zu sein, ohne den oder die zu Beratenden zu etwas bewegen zu wollen, was diese
nicht wollen. Diese Haltung der Berater/innen kann dennoch gleichzeitig damit einhergehen,
den Akteuren vor Ort durch ihr Handeln und die Art und Weise der Thematisierung eines
Themas eine Orientierung, ein Beispiel für eine demokratische und konstruktive Auseinandersetzung zu geben.
An diese Beraterrolle sind vielfältige Anforderungen gestellt. So setzt sie voraus, dass Meinungen und Ansichten des zu Beratenden als gleichberechtigt anerkannt werden – vorausgesetzt, sie richten sich beispielsweise nicht gegen die Integrität von Personen oder rufen zur
Verherrlichung des Nationalsozialismus oder zur Gewalt und anderen Straftaten auf. Dazu
bedarf es eines hohen Maßes an Distanzierungsfähigkeit und an psychischer Belastbarkeit, da
die zu beratende Person Sachen vertreten kann, die dem Berater als Person nicht passen oder
zuwider sind, die er aber in seiner Rolle/Funktion als Berater vorübergehend integrieren
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
105
muss. Diese beschriebene Haltung kennzeichnet ein konzeptionell-methodisches Vorgehen,
dass in den untersuchten MBTs in dieser stringenten Form nur bei einer kleinen Minderheit
von Teams vorzufinden war. Allerdings kann dieses Rollenverständnis als ein wichtiger Orientierungspunkt bei einem Teil der Berater/innen festgestellt werden. Ob allerdings die von
vielen Berater/innen behauptete Distanzierungsfähigkeit sowie das „Überwältigungsverbot“
in der Beratungspraxis immer eingehalten wird, müsste in einem längeren Begleitprozess der
Beratungstätigkeiten untersucht werden. Eindrücke von Begleitprozessen und viele Aussagen
in den Interviews belegen aber, dass es für einen Teil der Berater/innen sehr schwierig ist, bei
diesem emotional und moralisch aufgeladenen Thema eine distanzierte Moderationsrolle
einzunehmen und durchzuhalten. Einige Berater/innen sagen auch explizit, dass sie dies nicht
wollen.
„Ja, also auf jeden Fall ist das so, dass das Thema an sich Abwehrreaktionen hervorruft. Und
wir verstehen uns nicht so, dass wir das moderieren und Konflikte versuchen zu reduzieren,
sondern wir verstehen uns eher als die, die auch mit Abwehr sich konfrontativ auseinandersetzen. Also, wenn beispielsweise in einem Ort ein ‚Bündnis gegen Rechts’ entsteht, in dem aber
in der Diskussion um die Namensgebung über Rechts- und Linksextremismus diskutiert wird,
dann polarisieren wir in dem Sinne, dass wir darüber sprechen, was Rechtsextremismus ist
und warum. Und was der Unterschied zwischen Rechts- und Linksextremismus ist. Und warum wir ein Team sind, was berät gegen Rechtsextremismus und nicht gegen Extremismus. Also in dem Sinne polarisieren wir dann.“ (b-MBT 3, 61-69)
Rollenvielfalt und -flexibilität
Aus den Interviews wurde insgesamt ersichtlich, dass für die praktische Beratungstätigkeit
ein hohes Maß an Rollenflexibilität, gefestigter Persönlichkeit gefordert ist, sowie hohe Anforderungen an kommunikative und soziale Kompetenzen wie insbesondere die Fähigkeit zu
Perspektivenwechsel und Einfühlungsvermögen gestellt werden, um den vielfältigen und
auch den berechtigten Erwartungen im Beratungsprozess gerecht zu werden.
„Es gibt schon Dinge, wo von uns eine Trauerposition auch gefordert wird, wo man merkt,
dass man nicht mehr eine moderierende Rolle hat, oder eine unterhaltende, oder wie auch
immer, eben mit jemand nur spricht, sondern dass die Leute auch ein Interesse haben zu erfahren, was wir über eine bestimmte Situation denken. Insofern nehmen wir eine Position ein,
die allerdings eine ist, die nicht auf einer Absolutheit beharrt. Ich lasse mich auch gerne korrigieren, das ist so: wir haben ja im Prinzip nur eine subjektive Sichtweise mit einem bestimmten Wissen, mit einer bestimmten Erfahrung von einem Problem in dem Ort, und damit
gehen wir dorthin, reden mit den Leuten, die Leute merken, die haben darüber nachgedacht,
die denken dann ja auch selber darüber nach und entwickeln eine eigene Sichtweise.“(b-MBT
3, 439-448)
Wichtig scheint dabei zu sein, dass die Berater/innen in der Lage sind, sich selbst zurückzunehmen und dadurch die Möglichkeit zu schaffen, dass die Akteure von ihren Bedarfslagen,
Kenntnissen und Ressourcen ausgehend selbst handeln. Nur wenn ein behutsames Vorgehen
verfolgt wird, scheinen Skepsis, Zurückhaltung und Selbstblockaden sich auflösen zu können.
„Im Prinzip ist dann der Punkt gekommen, wo ich dann auch viel von den Leuten lerne, es ist
ja nicht nur so, dass ich denen eine riesengroße Weisheit bringe, die wissen schon, was in ihrem Ort zum Teil abgeht. Die Frage ist nur: Können sie es kommunizieren? Wie vor allen
Dingen, und das ist ja oftmals eine große Ratlosigkeit.“ (b-MBT 2, 448-452)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
106
3.3.5 Fazit
Ob es den MBTs gelingt, die Akteure vor Ort zu einer Bearbeitung ihrer Probleme zu befähigen und den Anstoß zu einer vernetzten Aktivierung zu geben, hängt sehr stark von den örtlichen Konstellationen und Problemlagen ab. Dennoch dürften neben den Kenntnissen zu den
unterschiedlichen Erscheinungsformen von Rechtsextremismus in erster Linie hohe soziale
Kompetenzen und ein abgeklärtes und selbstreflektiertes Rollenverständnis sowie dessen
Niederschlag im Auftreten von großer Wichtigkeit sein, damit Beratungsprozesse erfolgreich
sein können.
So zeigte sich, dass ein bewusstes Rollenverständnis, nach dem die Berater/innen gleichermaßen zu allen Beteiligten offen sind und eine annähernd gleiche Distanz wahren, am ehesten in der Lage ist, ein möglichst breites Spektrum an Interessierten anzusprechen. Durch
dieses Selbstverständnis als Moderator wird den Akteuren vor Ort Gestaltungsraum für ihre
Eigenaktivierung überlassen. In bestimmten Phasen und Situationen scheint jedoch die Übernahme einer Akteursrolle unumgänglich, weil die Andockpunkte fehlen, an denen Mobile
Beratung ansetzen kann. Die Rolle des politisch Agierenden bzw. des staatlich finanzierten
Bewegungsakteurs ist allerdings problematisch und im Rahmen eines Programmauftrags, der
sich potenziell an alle Mitglieder der Zivilgesellschaft richtet, zu hinterfragen.
In der Beratungspraxis kann eine (politisch) positionierte Akteursrolle zu einer Interaktionsdynamik führen, bei der sich die Wahrnehmung einer Beraterrolle für die Akteure vor Ort mit
der Wahrnehmung eigener politischer Interessen vermischt. Dadurch kann der Beratungsprozess nicht mehr für alle Interessierten gleichermaßen offen gehalten und die konzeptionell
eingeforderte Klientenorientierung nicht durchgehalten werden. Eine derartige Konstellation
sollte vermieden werden, da so das Gestaltungspotenzial des Beratungsansatzes und möglichst viele Ressourcen zu einer gemeinsamen Problemlösung nicht genutzt werden können.
3.4 Vorgehen und Methoden der Mobilen Beratungsteams
Das Vorgehen und die angewendeten Kommunikationsstrategien können von Beratungsfall
zu Beratungsfall, aber auch zwischen den Teams sehr unterschiedlich sein. Diese Unterschiede haben mehrere Gründe. Jeder einzelne Beratungsfall erfordert ein auf ihn zugeschnittenes Vorgehen, das sich an den lokalen Gegebenheiten, der Problem- und Bedarfslage
sowie den Erwartungen und Ressourcen der zu beratenden Akteure vor Ort orientieren muss.
Unterschiede im methodischen Vorgehen hängen aber zu einem nicht unwesentlichen Teil
auch von dem eigenen Rollen- oder gar politischem Verständnis der Teams bzw. der Berater/innen ab. Weiterhin sind auf Seiten der Berater/innen die jeweiligen (zusätzlichen) Qualifikationen, Berufs- und Lebenserfahrung und subjektive Interessen von Bedeutung. Persönliche Ausstrahlung und Auftreten bei den unterschiedlichen Zielgruppen haben ebenso erheblichen Einfluss auf den Beratungsablauf, konnten aber anhand der Datenlage nicht näher untersucht werden. Das Vorgehen ist zudem von den Einschätzungen der Berater/innen über die zu
erwartenden Reaktionen in der Kommune und den Interaktionsmustern innerhalb des Gemeinwesens abhängig. Diese Faktoren und deren Deutungen prägen im Wesentlichen die
Rahmungen und sozialen Konstruktionen des jeweiligen Beratungsfalls bis in seine vielfältigsten Facetten hinein. Von den jeweils immer auch neu zu bestimmenden Konstellationen
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
107
des einzelnen Beratungsfalls hängt dann auch das jeweilige weitere Vorgehen ab. Aus diesem
Grund lassen sich die Vorgehensweisen der Mobilen Beratung auch nicht in einer technokratischen Weise vereinheitlichen. Zwar gab es bei mehreren MBTs mehr oder weniger stark
den Versuch, ein Beratungsraster zu entwickeln, nach dem Beratungsprozesse strukturiert
werden sollten. Diese Tendenzen der Vereinheitlichung und Systematisierung sind aber letztlich auch aus den oben genannten Gründen nicht weiter verfolgt worden.
Dennoch lassen sich einige Grundzüge der Mobilen Beratung in einem idealtypischen Ablauf
darstellen. Diese Systematisierung hat ein MBT-Großteam anhand einer Graphik versucht,
die eine Verallgemeinerung auch für andere MBTs beanspruchen kann (vgl. Kulturbüro
Sachsen 2002). So finden sich die in der Graphik aufgeführten Tätigkeiten und Beratungsschritte in unterschiedlicher Bearbeitungsintensivität und unter Anwendung verschiedener
Methoden auch bei anderen untersuchten MBTs wieder.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
Grafik: Ablauf
tungsarbeit
Mobiler
Bera-
108
Problemanzeige
Erstgespräch - Klärung des Beratungsauftrages
Polizei/Staatsschutz
Kommunalverwaltung
Kommunalpolitik
regionale Kontaktgespräche mit lokalen
Akteuren
Vereine
Leitfadeninterview
Kirchen
zivilgesell. Initiativen
lokale Sozialraumanalyse
Auswertung der Interviews und Bewertung der
Ergebnisse
demokatisches Engagment lokaler Akteure
Netzwerkbildung
Problembeschreibung
Beschreibung lokaler Akteure (Ressourcen
und Probleme)
Handlungskonzept
Umsetzung der Ideen in der Region
Engagierte Bürgerinnen
und Bürger
MBT - Arbeitsintensität
Schule/Eltern
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
109
3.4.1 Erst- und Kontaktgespräche
Diese Graphik kann als eine Abstraktion des methodischen Vorgehens bei einem zum Idealtypus konstruierten Beratungsfall verstanden werden, der in der von den Interviewten geschilderten Praxis so nicht vorfindbar ist. Die Schritte „Problemanzeige“ und „Erstgespräch“
zur „Klärung des Beratungsauftrags“, werden von den MBTs auch so benannt. Des weiteren
betonen die MBTs bei Fragen zum Vorgehen, dass sie „im Team“ arbeiten und insbesondere
die Erstgespräche – bis auf Ausnahmen – nur zu zweit durchführen. Dabei gibt es bei manchen Teams eine verabredete Rollenteilung. Zwar führen beide das Gespräch, aber einer
schreibt Protokoll und nimmt möglichst viele Eindrücke auf und achtet auf den Subtext. Das
Erstgespräch dient zunächst dazu, die Problemlage zu sondieren, sich anzuhören, warum das
MBT kontaktiert wurde, welche Erwartungen bestehen, wie das Problemfeld und die Interventionsmöglichkeiten beschrieben sowie welche Akteure und Kooperationspartner genannt
werden. Von einigen Teams wurde sehr deutlich herausgestellt, dass es ihnen zunächst darum
gehe, Vertrauen zu schaffen, sich abzutasten und bestehende Vorbehalte abzubauen.
„Es gibt so eine Aufwärmphase, man lernt sich kennen. Wir versuchen dann eher partnerschaftlich (...) die Leute zu Wort kommen zu lassen. In der Regel klappt das auch, dass die
dann von selber anfangen, eine Lage von sich selber oder von der Situation vor Ort darzustellen. Dann kann man sich schon aus diesem Gespräch ein Bild machen. Dann versuchen
wir, die Punkte herauszufiltern, wo wir denken, er hat Bedarf und wir sehen da auch Bedarf.
Meistens deckt sich das auch.“ (b-MBT 4, 1184-1190)
Auch die in der Graphik im zweiten Schritt durchzuführenden „Kontaktgespräche mit lokalen
Akteuren“ werden von allen MBTs angeführt. Allerdings gibt es hier in der Art der Durchführung erhebliche Unterschiede. So werden die in der Graphik aufgeführten Leitfadeninterviews von nur wenigen Beratungsteams in dieser Form – wenn überhaupt regelmäßig –
durchgeführt. Der Großteil der Berater/innen führt Gespräche, die mehr oder weniger ausführlich protokolliert werden. So werden die Leitfadeninterviews in der Regel als ein zu hoher Aufwand angesehen. Auch ist unwahrscheinlich, dass die Akteure vor Ort zu einem für
sie teilweise heiklen Thema bei einem Interview bzw. einem vorstrukturierten und ständig
protokollierten Gespräch so offen reden, wie in einer auf Vertrauen und Diskretion beruhenden Kommunikation. Wesentlich wichtiger scheinen aber Unterschiede in der Rolle zu sein,
die die MBTs gegenüber den zu Beratenden einnehmen.
Wie in jeder sozialen Begegnung hängt es sehr von dem ersten Aufeinandertreffen ab, ob sich
daraus eine offene Interaktion entwickeln kann.
„Ich würde versuchen, erst mal herauszubekommen, was die Leute wollen, z.B. in Bezug auf
das Thema Rechtsextremismus. (...) Auch was sie darüber wissen oder nicht wissen und solche
Dinge. Dass die Leute in die Lage versetzt werden abzuwägen, ob es Sinn macht, sich dieses
Thema etwas näher anzugucken und sich dazu zu positionieren oder auch nicht.“ (b-MBT 2,
104-105).
Hier ist von den MBTs Fingerspitzengefühl und Zurückhaltung gefordert. In der unten zitierten Interviewpasssage wird diesbezüglich ein Lernprozess von den Berater/innen eines
Kleinteams beschrieben, der auch bei anderen MBTs in der ein oder anderen Form abgelaufen sein dürfte. Neben der Beziehungsarbeit ist von den Berater/innen gerade in der ersten
Phase eine Rücknahme ihrer Person und ihrer Einschätzungen erforderlich, wenn sie eruieren
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
110
wollen, was ihre Klienten als Problem sehen und welche Ansätze zu deren Lösung sie bereits
haben oder in ihren Situations- und Interventionsbeschreibungen angelegt sind.
A.: „Aber wir sind inzwischen weniger offensiv geworden. Wir lassen kommen.“
B: „Wir lassen kommen und lieber in mehreren Schritten das zu machen, als zu versuchen,
gleich in diesem Erstgespräch alles haben zu wollen. Mehr als Partner, wirklich so einen Beziehungsaufbau zu machen.“
A: „Das haben wir auch erst lernen müssen. Wir waren stark drauf, Informationen zu bekommen, Analyse, Analyse, aber das kommt von ganz alleine, haben wir festgestellt. Die Leute
kommen doch relativ auf den Punkt und mögen es auch nicht, wenn man da rumeiert, sondern
die haben auch ein Anliegen. Und über dieses Erstgespräch kriegt man entweder Signale, ,es
ist gut, dass ihr da seid, wir brauchen hier Unterstützung´, dann kommt es manchmal drauf
an, da guckt man mit demjenigen, mit dem man da spricht, ,was ist denn dein Interesse, hast
du schon mal etwas unternommen oder was könnte man übernehmen, wen gibt es denn hier
vor Ort, wer ist wichtig´." (b-MBT 4, 1191-1204)
Von einigen Berater/innen wird deshalb betont, dass diese Kontaktgespräche hohe soziale
und kommunikative Kompetenzen erfordern. Deshalb ist „Zuhören“ eine ganz wichtige Bedingung, damit die zu Beratenden in einer aktiven Rolle bleiben und nicht durch vorschnelle
Einschätzungen und Ratschläge oder zu stark gelenkte Kommunikation „überfahren“ werden.
Auch ist gerade in Beratungsprozessen, die tiefer in soziale Beziehungen hineinreichen, eine
„neutrale“ Beraterrolle deshalb wichtig, weil aufgrund von Befindlichkeiten zwischen den
Akteuren vor Ort sowie durch hohe Erwartungshaltungen, die teilweise bis in den persönlichen Bereich hineingehen (z.B. „Abladen“ von Sorgen und Problemen), die Gefahr besteht,
dass die Berater/innen in eine Interaktionsdynamik bzw. in ein bestimmtes „Lager“ hineingezogen werden (vgl. Fallvergleich insb. Kap. 4.2).
Ein davon deutlich zu unterscheidendes Verfahren geht von (impliziten) Voraussetzungen
aus, indem z.B. eine gemeinsame Problemdefinition zwischen Berater/in und zu Beratenden
eine mehr oder weniger anvisierte Voraussetzung für einen weiteren Beratungsprozess ist.
Auch besteht bei einem Teil der Berater/innen der unbewusste/bewusste Wunsch oder die
(implizite) Erwartung, dass die Akteure vor Ort oder die zu beratende Person das Thema „als
solches benennen“ oder dass eine gemeinsame Problemdefinition erarbeitet werden muss,
damit eine gemeinsame Handlungsgrundlage gegeben ist.
„Ohne eine Problemwahrnehmung macht Beratung auch wenig Sinn. Man berät die Leute ja
nicht in allen möglichen Fragen, sondern konkret dazu, wie sie Rechtsextremismus, Rassismus
und Antisemitismus auf eine sinnvolle Art und Weise begegnen können. (...) Mit dem größten
Teil der Leute, mit denen wir zu tun haben, herrscht da Konsens. Natürlich, da, wo es dann
auseinander geht, sind immer solche Sachen, wie sieht das Problem konkret aus, ist das jetzt
schon Rechtsextremismus? Ist das ein Schwerpunktgebiet? Um solche Sachen gibt es natürlich
Auseinandersetzungen, ich würde eher von Kontroversen sprechen als von Konflikten, weil es
kann ja auch sehr sachliche und vernünftige Kontroversen geben, an deren Ende wieder ein
Konsens steht. Es muss ja nicht immer zu verhärteten Fronten und Konflikten führen. Und
dann gibt es wieder andere Punkte, zum Beispiel das Reizthema ist natürlich immer so etwas
wie akzeptierende Sozialarbeit. Klar, wenn es darum geht, hat man auch immer irgendwie
Konflikte, mit denen auf verschiedene Art und Weise umgegangen werden kann.“
„Wir gehen halt davon aus, dass ohne, dass man sich grundlegend darauf einigt, was liegt überhaupt für ein Problem vor, ist ein gemeinsames, koordiniertes Handeln schwierig.“ (bMBT 6, 308-327; 349-351)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
111
Diese Haltung in der Beratung kann dazu führen, dass die Berater/innen mit einer voreingenommenen Position wahrgenommen und möglicherweise dann als parteilicher Akteur in den
Beratungsprozess involviert werden. Dieses kann auch bei einem Selbstverständnis der Fall
sein, bei dem sich der Berater als „externer Experte“ versteht. Diese Rolle als „externer Experte“, die mit einer in ihrem Selbstverständnis auf „objektiven“ Daten basierenden Expertise
oder Expertisenhaltung in den Beratungsprozess geht, kann für die Einnahme einer vermittelnden Moderationsrolle kontraproduktiv sein. Dies wird zum Teil auch – wie im folgenden
Zitat – von einem interviewten Berater selbst so gesehen, was aber nicht wie in diesem Fall
zu einer Änderung der methodischen Vorgehensweise führen muss.
„Aber auch gerade bei so was kommt es darauf an, wann und wie die Mobile Beratung in so
etwas involviert wurde. ((Name Kollegin)) hat es genau richtig gesagt, wenn man selbst schon
so was gemacht hat wie einen Problemaufriss oder eine Problemdarstellung, eignet man sich
nicht mehr so gut zum Moderator, weil man eben schon eine Position hat. (...) An Stellen, wo
man selbst involviert ist, z.B. über eine Konzeption, die man erstellt, oder einen Problemaufriss, da ist es in der Moderation in der Regel schwierig.“ (b-MBT 6, 328-338)
Es stellt sich hier bereits die weiter unten ausführlich zu erörternde Frage, ob und inwieweit
ein MBT parteilich und positionell in einem Beratungsprozess als sozialer oder gar politischer Akteur involviert sein kann, ohne dass dadurch bereits Möglichkeiten der Beratung zur
Befähigung von Eigenaktivität von einem möglichst breiten Akteursspektrum unter Wahrung
ihrer Vorstellungen blockiert werden? Andere Teams betonen, dass auf jeden Fall diese Gefahr bestehe und nehmen deshalb gezielt eine „neutrale“ oder „vermittelnde“ Moderationsrolle ein, die es ihnen ermöglicht, den Beratungsprozess für alle an einem demokratischen
Miteinander interessierten Akteure offen zu halten.
„Aber Ziel ist schon, eine moderierende Rolle einzunehmen? Wir verstehen uns schon ein
Stück weit als ,vermittelnde Instanz´.“ (b-MBT 4, 466-467)
Ein Konsens zwischen den Akteuren steht bei dieser moderierenden Herangehensweise zumeist am Ende und nicht am Anfang der Beratung und ist Ergebnis eines konstruktiven Aushandlungsprozesses, der gleichzeitig ein zentraler Teil der demokratischen Auseinandersetzung – nicht nur – mit dem Thema Rechtsextremismus ist. Denn wenn die Lösung bei den
Akteuren vor Ort liegt, müssen auch unter Hilfestellung externer Beratung die Lösungswege
von den Akteuren selbst entwickelt und in einem Konsens ausgehandelt werden. In einem auf
Self-Empowerment setzenden Ansatz werden die Akteure nur Lösungswege entwickeln, die
auch für sie gangbar sind. Deshalb müssen nach diesem Beratungsansatz die Beratungsprozesse offen sein und sich auf lange Aushandlungs- und Konsensfindungsprozesse einstellen.
„Es sind teilweise längerfristige Prozesse bis es dann wirklich, wenn es auch einen Runden
Tisch gibt, aber eine gemeinsame inhaltliche Richtung gefunden wird. Es ist nicht ‚knall, jetzt
machen wir etwas zusammen und jetzt gehen Aktionen los’. Das haben wir jetzt auch wieder
gemerkt, wenn es zu schnell geht, dann bleiben Fragen offen, es sind durchaus längere Geschichten, bis man so einen Minimalkonsens hat oder eine inhaltliche Richtung hat.“ (b-MBT
4, 477-482)
3.4.2 Analyse und Recherchetätigkeiten
Als eine zentrale Tätigkeit innerhalb jedes längerfristig angesetzten Beratungsprozesses wird
von allen MBTs wie auch in der Graphik die Sozialraumanalyse oder Recherche genannt.
Nach und neben den ersten Kontaktgesprächen geht es darum, sich ein Bild von der Prob-
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
112
lemlage, den sozioökonomischen Rahmenbedingungen der Kommune, den sozialen und kulturellen Interaktionsformen, den Problembelastungen und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, der Situation der Jugendarbeit und des Vereinslebens sowie bereits vorhandener zivilgesellschaftlicher Aktivitäten und Ressourcen zu machen.
„Dann geht meistens so ein Prozess los, dass wir dann diese Leute aufsuchen aber auch durch
andere Recherchen gucken, wer ist denn auch noch wichtig, wen sollte man auf jeden Fall
noch mal sprechen, wen sollte man mit ins Boot holen. Wir machen uns ein Bild. Das ist dann
eher dieser Analyseschritt. Wir versuchen, uns ein objektiveres Bild von der Situation vor Ort
zu machen unabhängig von dem Erstgespräch.“ (b-MBT 4, 1204-1209)
Für diese Recherchetätigkeit werden je nach Beratungsfall und den Interessen bzw. Qualifikationen der Berater verschiedene Quellen herangezogen, um sich möglichst viele verschiedene Sichtweisen von relevanten Akteuren sowie vorhandene ,objektive´ Daten und Fakten
zu vergegenwärtigen.
A: „Zum einen versuchen wir, noch andere Quellen zu erschließen und uns aus verschiedenen
Blickwinkeln von den Leuten vor Ort ein Bild auf die Situation oder auf das Gemeinwesen zu
machen. Dann gucken wir einfach mal im Internet nach, was gibt es denn so, wie stellt die
Stadt oder das Gemeinwesen sich z.B. selber dar.“
B: „Was gibt es an Vereinen?“
A: „Wie sieht die rechte Szene aus? Es geht ja doch meistens um Rechtsextremismus, wie stellt
sich die Situation vor Ort dar, was gibt es in der Presse in letzter Zeit. Manchmal auch geschichtlich, das ist auch ganz spannend. Es gibt hier ein paar Orte, die haben eine sehr grauenhafte Vergangenheit, die bis heute durchschlägt. (...)“
B: „Was gibt es an reellen Zahlen, von Seiten der Polizei oder der ((Sondereinheit der Kriminalpolizei)), wie ist die Wahrnehmung bei den Leuten, auch wenn vielleicht zahlenmäßig nicht
so viel aufläuft, aber wie wird das Bedrohungspotenzial wahrgenommen. Auch ein Stück Befindlichkeit der Leute vor Ort aber auch sachlich Zahlen und Fakten zusammenzukriegen.“
A: „Auch mit Jugendlichen.“ (b-MBT 4, 1215-1229)30
Im Anfangsstadium eines Beratungsprozesses nimmt diese Recherchetätigkeit viel Zeit in
Anspruch. Ein Team schätzt 50% des Zeitbudgets für die Analysetätigkeit, die sich dann auf
ca. 15% im Verlauf eines Beratungsprozesses einpendeln kann, also mehr und mehr abnimmt
(vgl. b-MBT 4, 1231-1233).
Von einem Teil der Teams werden diese Analysen – wie auch in der Graphik – als „Sozialraumanalysen“ bezeichnet, deren Methoden und Umfang aber sehr verschieden sind. Eine
systematische Auswertung der in der Graphik erwähnten Leitfadeninterviews wird wohl in
den seltesten Fällen vorgenommen. Es ist auch fraglich, ob solche Sozialraumanalysen für
eine an praktischen Handlungsoptionen orientierte Beratung nicht eine methodische und zeitliche Überforderung darstellen und dies in dem manchmal behaupteten Stellenwert notwen-
30
Von einem anderen Team wird die Recherchetätigkeit und deren Gegenstand folgendermaßen
beschrieben. „Die ist ja weitergehender, vielleicht etwas weniger vollmundig, aber selbstverständlich
geht es sozusagen darum, den berühmten Ist-Zustand aus unserer Wahrnehmung, aus der Wahrnehmung der Akteure und möglichst auch aus der Wahrnehmung Dritter zu eruieren. In dem Zusammenhang gehört es auch immer dazu, zu fragen, und zwar permanent zu fragen, was denn eigentlich das
Ziel der Fragestellung der Beratung ist.“(b-MBT 7, 1152-1157)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
113
dig ist.31 Deshalb betrachten viele MBTs diese Recherchen als auf ihre konkrete Arbeit bezogene Akteurs- und Interaktionsanalysen.
„Der Ausgangspunkt von einer Beratung ist überhaupt erst mal, sich ein Bild von einer Situation zu machen. Zumindest ist das dann unsere Grundlage, erstmal Sozialraumanalyse oder
wie auch immer. Sozialraumanalyse klingt immer so hochtrabend, aber überhaupt mal einen
Überblick über einen Ort zu kriegen: Wer hat da was zu melden, wer hat welche Meinung
usw. Und daraus dann, aus den unterschiedlichen Gesprächen, die wir mit den Leuten führen,
so ein Bild zusammenzusetzen, das im Wesentlichen immer wieder die subjektiven Sichtweisen
der Leute, die wir mitgekriegt haben, zueinander positioniert, und daraus ein Bild strickt, was
z.B. zum Thema Rechtsextremismus im Ort los ist, wie sich die Jugendarbeit gestaltet oder wer
mit wem vielleicht nicht kann.“ (b-MBT 2, 249-258)
„Das ist im Prinzip ein Abfragen. Also, zumindest, wenn es um den Akteur geht. Rauszukriegen, wo er sich befindet in seinem Netzwerk. Was Sozialraumanalysen angeht, wo ((Name der
Kollegin)) schon sagte, dass wir da nicht so vollmundig sind, das ist schon, dass wir, glaube
ich, uns sehr gut in diesem ((Ort)), in dem wir agieren uns auskennen und viele, viele Leute
kennen.“ (b-MBT 7, 1162-1166)
Durch solch eine Situations- und Akteursbeschreibung werden dann auch Blockierungen
zwischen einzelnen Akteuren sichtbar, was die Beratungsteams in einem gewissen Grad davor schützt, nicht in alle „Fettnäpfchen“ treten zu müssen.
„Und dann geht es auch weniger um Raster, sondern um andere Sichtweisen oder Fragestellungen zuzulassen. Wenn ich beispielsweise von einem Nachbarschaftsraum rede, muss ich
mir erst mal klarmachen, ob die mit Nachbarschaft das gleiche meinen, wie ich. (...) Ob es eklatante Unterschiede gibt, was noch als Nachbarschaft und was nicht wahrgenommen wird.“
(b-MBT 7, 1168-1172)
Einen weiteren Unterschied zwischen den Vorgehensweisen zeichnet sich in dem Stellenwert
und der Einbindung der sogenannten Sozialraumanalyse ab. 32 In der Regel nutzen die MBTs
die Recherchen primär als eine Hintergrundfolie zur Reflexion und qualitativen Untersetzung
31
So machte eine Beraterin darauf aufmerksam, dass es zwar wünschenswert wäre, mehr Zeit für Analysetätigkeiten zu haben, diese aber in der Hierarchie der zu erledigenden Tätigkeiten nach hinten
angestellt werden müssten, da es Wichtigeres zu tun gäbe. „Na, was wir vorhin diskutiert haben, diese
rechtsextremistischen Strukturen auf einer sehr gefestigten Ebene: Das sich einmal genauer anzugucken, das wäre natürlich schon dienlich, das zu wissen, es ist aber nicht so, dass wir das so entbehren, dass wir sagen: Okay, das hat jetzt solch eine Priorität für uns, das müssen wir machen. Weil, wir
sind ja die ganze Zeit in Mängelverwaltung unterwegs, es ist ja nie so, dass wir irgendwie auch nur
eine Sekunde sagen können: Och, toll, heute haben wir mal einen ganz ruhigen Tag! Sondern es ist
immer eine Prioritätenliste, wo ohnehin klar ist, dass die Hälfte 'runter fällt. Also, von den Sachen, die
überhaupt schon mal auf diese Liste gekommen sind! Das heißt, es ist also immer so ein Hinterherhetzen hinter den aktuellen Bedürfnissen und da ist Sozialraumanalyse sozusagen ziemlich weit unten.
Also, was über das hinaus geht, dass wir wirklich fallbezogen wissen müssen.“ (b-MBT 5, 1946-1956).
32
Über die Frage, wie eine Sozialraumanalyse in Stellenwert und Umfang beschaffen sein müsste, gibt
es sehr unterschiedliche Auffassungen. Manche Berater/innen würden gerne diesem Tätigkeitsbereich
eine größere Bedeutung zuschreiben, wie dies im folgenden Zitat zu sehen ist. „Vielleicht ist es unser
Job, eine gute Kommunalanalyse zu machen und all diese Dinge mal sozusagen nebeneinander zu
schreiben ohne den Anspruch auf Vollständigkeit. Und zu sagen: Das ist die Problemlage dieses Ortes,
jetzt lass uns mal gucken, wie wir jetzt einen kleinen Ausschnitt darauf verändern zu können.“ (b-MBT
I L, GD 2, 725-728)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
114
ihrer Beratungsarbeit. In diesem Fall kommt den Recherchen in erster Linie eine Selbstvergewisserung ihrer Arbeit zu, wobei auch Ergebnisse in den Beratungsprozess je nach Bedarf
und Situation sukzessiv einfließen können. Einige Berater/innen sehen sich aber eher als Experten für Rechtsextremismus und bringen ihre Rechercheergebnisse in Form von „Expertisen“ direkt in den Beratungsprozess mit ein. Dabei nehmen sie dann auch die Akteursrolle
„externer Experten“ ein. Diese Rolle unterliegt der Gefahr, ein Gefälle zwischen Experten
und zu Beratenden offensichtlich werden zu lassen. Die Beratungsrolle kann dann – wie im
folgenden Zitat – zugunsten einer engagierten Akteursrolle verlassen werden. Denn auch der
externe Experte ist ein Akteur mit einer spezifischen Sicht auf die Dinge. Und wenn er seine
Sicht versucht durchzusetzen, kann er in eine Interaktionsdynamik verstrickt werden, wodurch er zumindestens situativ die Beraterrolle verlässt.
„In einer Situation, wo wir zum Beispiel in einem Lehrerkollegium, in einem Kollegium einer
Jugendeinrichtung einen Problemaufriss vom Sozialraum vorstellen, und ein Teil des Kollegiums der Meinung ist, dass wir übertreiben, können wir nicht mehr moderieren, weil wir ja
selbst eine Position vorgetragen haben, und in der Situation dann auch selbst Konfliktpartei
sind, als die wir uns dann auch empfinden. Wir vertreten dann auch die Position, die wir vorher dargestellt haben.“(b-MBT 6, 288-295)
Bei dieser positionierten Herangehensweise, die nicht selten mit bestimmten Erwartungen zu
einer gemeinsam geteilten Einschätzung von selbst in der Wissenschaft umstrittenen Phänomenen einherzugehen scheint, besteht die Gefahr, dass es schnell zu Polarisierungen und
Konfrontationen kommt, ohne dass eine auf Eigeninitiative beruhende Aktivierung der zu
beratenden Akteure überhaupt in Gang gekommen wäre.
„Das ist immer eine Abwägungsfrage, wie viel Leute im Kollegium teilen diese Einschätzung,
dass ein bisschen Rassismus unter Schüler/innen okay ist, und wie verhält sich das Lehrerkollegium zu diesem Kollegen. Ich würde nicht sagen, wenn ein Lehrer so eine Position vertritt, brechen wir den Beratungsprozess ab, das ist natürlich Quatsch. Aber auch das entscheiden wir von Fall zu Fall, wie viele im Kollegium stimmen unserer Definition von Rechtsextremismus und unserer Problemanalyse zu, und dann können wir mit denen auch in einen
Prozess gehen.“ (b-MBT6, 418-425)
Diese Ambivalenzen und Widersprüche zwischen Berater- und Akteursrolle werden zwar
gesehen; sie bleiben aber nebeneinander bestehen. So kommt es, dass im Beratungsprozess
zwischen Akteurs- und Moderationsrolle je nach Situation oder auch Eigeninteresse gewechselt und die methodische Konsistenz des eigenen Vorgehens nicht eingehalten werden kann.
Dies steht aber dann mit den selbst formulierten eigenen Standards im Widerspruch, „nicht
Akteur“ zu sein bzw. nur in der „zweiten Reihe“ zu operieren, wie es die Koordinatorin dieses oben angeführten MBTs formuliert.
„Na ja, Standards sind vor allem eben die, dass wir selbst nicht Akteur sind. Also, wir sind
halt wirklich in der zweiten Reihe. Was natürlich immer dann auch bei so Teilnahme in Bündnissen und so natürlich ein Problem darstellt. Also, sind wir dann halt schon wieder Akteur,
oder? Also das ist halt ein Standard, dass wir im Prinzip nie in der ersten Reihe stehen, sondern in der zweiten. (...). Und sie ((die Akteure)) wissen halt eben, dass wir vor allem uns bemühen, bei ihren Anfragen auch konfliktmoderierend zu sein. Das heißt irgendwie, sie wissen
auch, dadurch, dass wir halt eben in der zweiten Reihe stehen, dass wir sie in ihren Konflikten
beraten und begleiten.“ (b-MBT V L, 205-213)
Von dieser Herangehensweise unterscheidet sich ein Beratungsverständnis, dass durch eine
begleitende Beratung Angebote macht und gleichzeitig die Akteure vor Ort als die Experten
wahrnimmt und behandelt. So stellt auch der Leiter des MBT Brandenburg heraus, dass es
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
115
darauf ankommt, den Akteuren vor Ort mit einer Wertschätzung gegenüberzutreten und sie
als die „eigentlichen“ Experten zu betrachten.
„Und da muss man nicht sagen: ‚Wir möchten sie beraten!’ Sondern wir sind diejenigen – und
das ist wohl so eine Art Schlüssel für unsere Arbeit, die auch von den MBTs anderer Bundesländer übernommen wurde-, die von vornherein sagen, die Experten vor Ort sind die Menschen vor Ort. Die müssen wir finden, ohne die erfahren wir nichts. Also, den Leuten mit
Wertschätzung begegnen und den Leuten deutlich machen, wir brauchen sie. Und dann ergeben sich neue Beratungssituationen.“ (Hülsemann, 137-142)
3.4.3 Entwicklung von (lokalen) Handlungsstrategien
Die MBTs entwickeln ausgehend von der Analyse der örtlichen Erscheinungen von Rechtsextremismus und den Gegenbewegungen mit ihren Ressourcen ihre Strategien. Diese sind je
nach Beratungsfall sehr verschieden. Die vom Beratungsfall abhängige Spannbreite kann
dabei von der Unterstützung und Beratung einer Einrichtung oder eines wichtigen Akteurs
ausgehen und versuchen, in einer späteren Phase immer mehr Akteure einzubeziehen. In anderen Fällen wird gleich eine Doppelstrategie befürwortet und ausgehend vom ursprünglichen Ausgangspunkt der Beratung sollen möglichst schnell viele andere Akteure einbezogen werden. Oftmals wird von einem Fokus ausgehend ein Netz von Akteuren gesponnen
und sich mehr und mehr in die Kommune vorgetastet. Es gibt aber auch Beratungsfälle, bei
denen sich die Berater/innen aufgrund der Problemlage (z.B. „Unterwanderung“ oder Bedrohung einer Jugendeinrichtung durch rechtsextreme Jugendliche) und mangels anderer Ansprechpartner auf eine Einrichtung oder eine sehr begrenzte Akteursgruppe konzentrieren.
Durch eine zu enge Begrenzung des Beratungsprozesses auf einen (isolierten) Akteurskreis
oder eine Einrichtung wird es allerdings kaum möglich sein, eine Verankerung und Breitenwirkung im Gemeinwesen zu erlangen. So berichten einige MBTs, dass die Beratungsfälle, in
denen sie sich zu sehr auf eine Einrichtung oder wenige Akteure konzentriert haben, schnell
und unvermeidlich an strukturelle Grenzen stoßen (vgl. Fallvergleich insb. Kap. 4.2). Von
den meisten Teams wird deshalb herausgestellt, dass es wichtig oder gar unabdingbar ist,
kommunale Verantwortungsträger wie beispielsweise Bürgermeister oder wichtige Entscheidungsträger in der Verwaltung und angesehene, einflussreiche Persönlichkeiten, die eine
Vorbildfunktion übernehmen können, mit ins Boot zu holen. In dieser Phase der Einbindung
lokaler Verantwortungsträger und kultureller Eliten kommt es sehr auf die Integrationsfähigkeit und Offenheit des jeweiligen MBTs an.
„Wenn es solche Gruppen gibt, die so polarisierend sind, das ist schwierig. Mir geht es schon
darum, diese Leute wie Bürgermeister usw., solche kommunalen ,Würdenträger´, in einen
Prozess mit einzubeziehen, so dass sie auch die Möglichkeit haben und kriegen bzw. vielleicht
dadurch auch mal genötigt werden, über die Dinge, die in ihrem Ort abgehen, nachzudenken
und vielleicht auch mal eine Position dazu zu finden, die vielleicht eine andere ist, als sie bisher hatten. Ansonsten hast du ja nie die Möglichkeit, das mal einer Form von Kritik zuzuführen. Und eine Konfrontation bringt da relativ nichts.“ (b-MBT 2, 171-178)
Auch in einem anderen Fall, in dem das MBT von einer Schulsozialarbeiterin wegen rechtsextremer Erscheinungen an einer Schule gerufen wurde, versuchte das Team möglichst
schnell viele kommunale Verantwortungsträger und lokale Akteure einzubinden (vgl. b-MBT
4, 514-522; insb. Fallvergleich Kap. 4.3)
So ist es oft ein Ziel und ein Ergebnis der Beratungsarbeit, Formen und Orte der Auseinandersetzung zu schaffen, die längerfristig tragfähig sind. Dies können Foren und (Fach)- Ar-
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
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beitskreise, Runde Tische, sich regelmäßig treffende Bündnisse etc. sein. Viele Beratungsprozesse sind zur Zeit in einer Phase, in der es darauf ankommt, die angestoßenen Auseinandersetzungsprozesse sowohl zu vertiefen als auch einen breiteren Kreis von Akteuren aktiv
einzubinden.
In einem Zwischenfazit eines MBTs33 wird aus der kritischen Selbstreflexion heraus konstatiert, dass ein kommunales Handlungskonzept zu entwickeln sei, damit die durch den Beratungsprozess wieder eingerichtete und mit einer Fachkraft ausgestattete Jugendeinrichtung
eine größere Verankerung in der Kommune bekäme. Im dem zuständigen Kleinteam war
noch offen, wie weit das Beratungsteam für die Entwicklung eines verzahnenden lokalen
Handlungskonzepts zuständig sei oder darauf gesetzt wird, dass durch die Eigenaktivität der
Akteure vor Ort die Entwicklung eines lokalen Handlungskonzepts in Angriff genommen
wird.
3.4.4 Vorgehen bei der Beratung von Jugendeinrichtungen – ein Fallbeispiel
Im Folgenden soll exemplarisch eine Vorgehensweise behandelt werden, die einige Berater
Jugendeinrichtungen vorschlagen, die von rechtsextrem-orientierten Jugendlichen (stark)
frequentiert werden. Es soll dabei der Frage nachgegangen werden, ob das Vorgehen des
MBTs sowohl die unmittelbaren, mittelbaren als auch die langfristigen Folgen des eigenen
bzw. vorgeschlagenen Handelns mit einbezieht. Es ist weiter zu fragen, ob das MBT auch in
schwierigen Situationen auf die Nachhaltigkeit der Interventionsstrategien achtet? Ein weiterer wichtiger Aspekt, der sich der Frage nach der Nachhaltigkeit anschließt, ist „demokratietheoretischer Natur“. Sind die hier vorgeschlagenen Mittel und Vorgehensweisen – also die
Formen – mit den Wertorientierungen einer offenen, an Gleichheit und Freiheit ausgerichteten (Zivil-)Gesellschaft vereinbar? Sind also in den Methoden demokratische oder zivilgesellschaftliche Werteorientierungen und Handlungsweisen angelegt, auf die eine demokratische Zivilgesellschaft aufbauen kann?34
In einem Interview schilderten die Berater/innen dieses MBTs ihren Ansatz, den sie anwenden, wenn sie Jugendeinrichtungen beraten, die auch von ihnen besucht oder nach ihrer Auskunft von rechtsextremen Jugendlichen dominiert werden (könnten). Ihre Interventionsstrategie zielt nach ihrer Darstellung darauf ab, die rechtsextremen Jugendszenen zu spalten in
rechtsextrem gefestigte Jugendliche bzw. „Kader“35 auf der einen Seite und das Umfeld von
33
Dieses MBT wurde intensiver begleitet und wird im Fallvergleich als Fall A bzw. MBT A detaillierter untersucht (vgl. Fallvergleich Kap. 4.2).
34
Um das Vorgehen des MBTs plastisch darzustellen werden zunächst längere Textauszüge dargestellt, die dann interpretiert werden.
35
Von dem Team wird berichtet, dass sie es mit 15jährigen Kadern zu tun hätten. „Aber auch das
finden wir ja nicht mehr so klassisch, in mehreren Einrichtungen, in denen ich arbeite, haben wir es
mit Kadern zu tun, die fünfzehn sind.“ (b-MBT 6, 504-506) Als Kader definieren die beiden Berater/innen: A: „Also, Kader würde ich sagen, sind Menschen, die entweder organisatorisch ein- oder
angebunden sind, entweder an eine Kameradschaft, oder an die NPD, die an Schulungen teilgenommen haben und denen man das auch anmerkt ...“ B: „Die die rechtsextreme Ideologie schon mehr
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
117
„Mitläufern“ auf der anderen Seite und/oder aber auch ganze Cliquen rechtsextremer Jugendlicher aus den Einrichtungen zu verdrängen. Erst auf Nachfrage seitens der wissenschaftlichen Begleitforschung wurde die Vorgehensweise in Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit relativiert, da der Verdrängungsprozess nicht als hinreichendes Mittel gesehen werden kann.
„Zurückdrängung des Rechtsextremismus. Da sehen wir auch immer wieder, dass es auch
ganz gegenläufige Prozesse geben kann, dass zum Beispiel in dem Moment, wo man Rechtsextremismus zum Thema macht, es vielleicht sogar erst mal schlimmer wird, weil Rechtsextreme sich bedroht fühlen und Angst haben, dass ihnen das Feld genommen wird. Man kann
jetzt nicht unbedingt immer sagen, da, wo Rechtsextremismus sofort zurückgeht, sind wir erfolgreich. Man könnte sagen, da, wo es irgendeine Reaktion gibt, sind wir erfolgreich, und wo
es irgendeine Veränderung gibt. Das darf natürlich nicht darin enden.“ (b-MBT 6, 10101018)
„Ja, es ist klar, man hat nur begrenzt Handhabe. Unser klassischer Zugang zu so etwas wäre,
wenn jemand anders das als Problem begreift, dass da Jugendliche rekrutiert werden, und
wenn das jetzt einfach auf der Straße in dunklen Ecken stattfindet, haben wir selbst gar keine
Handhabe, dann kann man nur Leute, die vor Ort etwas dagegen machen möchten, befähigen,
indem man ihnen Wissen, Strukturen, und so weiter, liefert, und ihnen dazu verhilft, im ((Verwaltungseinheit des Bundeslandes)) mit den richtigen Leuten in Kontakt zu kommen. Aber jetzt
allgemein, dass Rechtsextreme irgendwie propagandistisch tätig werden, da können wir nichts
machen.“ (b-MBT 6, 629-637)
„Aber ich denke schon, dass es ein Vorteil ist, und dass es nicht das Gleiche ist, ob der Jugendliche auf der Straße oder in der Einrichtung rekrutiert. In der Einrichtung hat er einfach
eine Infrastruktur, und ich denke, es ist schon sinnvoll, ihm die zu entziehen. Die Frage ist ja
auch, wenn man den Kader rausschmeißt, geht sein Cliquenumfeld mit? Meistens geht es nicht
mit. Und wenn man an dem Punkt erstmal die Spaltung geschafft hat, was ist dann auf der
Straße sein Zielobjekt? Da muss er sich erstmal ein neues suchen.“ (b-MBT 6, 639-645)
Bei diesem Vorgehen ist die Frage zu diskutieren, ob die hier angewendeten Mittel angemessen sind und welche demokratietheoretischen Implikationen mit ihnen einhergehen? Problematisch erscheint die Grundannahme der Berater, dass das Hervorrufen einer wie auch immer
gearteten Reaktion als Erfolg zu bewerten ist. So wird auch von einem anderen Kollegen
dieses im Zitat geschilderte Vorgehen skeptisch betrachtet und der Erfolg in Zweifel gezogen,
da die rechtsextreme Clique bei einer anderen Einrichtung wieder auftauchen kann.
„Denn was ist Erfolg? Wenn es uns gelingt, in einem Jugendclub den Nazikader herauszudrängen? Jugendlichen eine gute Jugendarbeit zu bieten? Dann kann das für diesen Club ein
Supererfolg sein. Aber dann taucht der Nazikader im nächsten Club auf. Dann sagen die: ‚Na
toll, euer Erfolg. Jetzt hängt er bei uns rum.’“ (a4, GD 2, 597-601)
Weiter wird bei diesem und auch anderen Interviews der Eindruck vermittelt, als seien zur
„Bekämpfung“ des Rechtsextremismus auch Mittel annehmbar, die mit rechtsstaatlichen
Prinzipien und demokratischen Gleichheitsansprüchen nur schwer in Einklang zu bringen
sind. Von dem befragten Team wurde auch vorgeschlagen, rechtsextrem-orientierte Jugendliche aus der Einrichtung zu verdrängen, indem ihnen gegenüber mit härteren (juristischen)
Sanktionen begegnet werden soll als gemeinhin üblich, selbst wenn sich diese Jugendlichen
nichts zu Schulden hätten kommen lassen.
verinnerlicht haben.“ A: „Genau, die sie argumentieren können, die die rechtsextreme Ideologie argumentieren können. Und die darauf ausgerichtet sind in ihrem Handeln, diese an ihre Freunde und
an die Leute, die sich auch in der Jugendeinrichtung aufhalten, weiterzuvermitteln.“ (b-MBT 6, 514524)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
118
„Ja, rechtlich kann man da nichts machen, deswegen müssten es ja auch gerade solche Sachen sein, wie sie ((Name der Kollegin)) beschrieben hat. Es gibt natürlich schon auch den
Fall, dass zum Beispiel so ein rechtsextremer Kader sich vielleicht auch in einem Jugendzentrum Sachen zuschulden kommen lässt, die man vielleicht anderen Jugendlichen durchgehen
lassen würde, die könnte man theoretisch zum Anlass nehmen, bei dieser Person besonders
streng zu sein, um sie rauszubekommen ( ...).“ (b-MBT 6,, 530-537)
„Weil die lassen sich ja oft nichts zu Schulden kommen. Da sage ich halt, man kann andere
Vergehen zum Anlass nehmen, wenn sie sich politisch nichts zu Schulden kommen lassen, und
ein Vorteil unserer Arbeit ist ja auch, dass wir es mit ganz verschiedenen Akteuren zu tun haben in einer Jugendeinrichtung, nicht nur mit dem Jugendclubleiter, der möglicherweise gar
nicht mitbekommt, dass er einen Kader in seiner Einrichtung hat, weil er sich eben so geschickt verhält und auch noch so jung ist, und irgendwie auch immer ganz nett, sondern wir
haben es z.B. auch mit der nichtrechten Jugendgruppe zu tun, die sich dort auch aufhält und
eben diesen Repressalien ausgesetzt ist. Und ich denke, das ist der erste Weg, weil wir aufgrund unserer externen Funktion viel mehr wissen, weil wir mit viel mehr Leuten sprechen,
dass wir das erstmal dem Jugendclubleiter mitteilen, also Informationen von Menschen zu anderen weitergeben, die sich sonst einfach nicht unterhalten, aus welchen Gründen auch immer, wir verstehen es auch manchmal nicht. Und wenn er es weiß, wie gesagt, dann kann man
sich überlegen, wie man denjenigen aus der Einrichtung rausbekommt, und da ist eine Möglichkeit, andere Vergehen zum Anlass zu nehmen. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten.
Zum Beispiel ist es gar kein Problem, wenn zum Beispiel Kader in der Schule oder in ihrer
Freizeit außerhalb der Jugendeinrichtung andere Jugendliche bedrohen, das ist natürlich
auch ein Grund, jemanden aus einer Jugendeinrichtung rauszuschmeißen, das Vergehen muss
nicht in der Jugendeinrichtung stattfinden. Und auch das teilen wir natürlich dem Jugendclubleiter mit.“ (b-MBT 6, 558-581)
„Wir hatten zum Beispiel einen konkreten Fall, von einem, ich möchte sagen, rechtsextremen
Kader. Der hat in der Schule seinen Banknachbarn irgendwelche antisemitischen, rassistischen Schmierereien gemalt, und sie ihm gewidmet. Die haben wir in die Finger bekommen,
und das war ein Grund, ihm Hausverbot auszusprechen, das hat dann sogar das Jugendamt
für den Jugendclubleiter gemacht. Also das geht schon, das ist kein Problem.“ (b-MBT 6, 617623)
Die (vorgeschlagenen) Sanktionen beziehen sich in den oben genannten Fällen nicht – wie im
Rechtsstaat vorgesehen – auf das einzelne und juristisch nachzuweisende Delikt, sondern sie
werden als Mittel eingesetzt, Jugendliche mit einer bestimmten politischen Einstellung auszugrenzen. Die Bestrafung des Delikts wird so zum Vorwand, um etwas anderes – nämlich
politische Gesinnung oder nicht akzeptables Verhalten – zu „bekämpfen“. Diese Form von
Intervention hat den Charakter einer Art Präventivstrafe. Rechtsstaatliche Bedenken gegenüber dieser Form von Intervention werden zugunsten einer als politisch und moralisch legitim
erscheinenden „Ausgrenzungs- und Bekämpfungsstrategie“ ausgeblendet.
Mit dem Mittel einer repressiv und rigide angewendeten Form sozialer Kontrolle sollen
rechtsextrem-orientierte Szenen gespalten bzw. rechtsextreme Jugendliche ausgegrenzt werden. Das Mittel der Verdrängung oder andere repressive Interventionsformen mögen in bestimmten Konflikt- und Krisensituationen gerechtfertig sein, wenn z.B. eine Minderheit von
rechtsextremen Jugendlichen eine Mehrheit terrorisiert und diese aus einer Jugendeinrichtung
verdrängt. Welche Mittel für eine nachhaltige Bearbeitung solcher rechtsextremer Erscheinungen angemessen sind, ist jedoch immer im Einzelfall zu entscheiden. Für eine fachliche
Beratung sind pauschale und nicht am Einzelfall orientierte Vorgehensweisen, die den Charakter und Anspruch von Patentrezepten haben, als nicht angemessen zu betrachten. Dies gilt
ebenso für grundsätzliche Vorbehalte gegenüber bestimmten, zudem in der Fachdebatte aner
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
119
kannten, pädagogischen Ansätzen. So wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen eine
soziale Arbeit mit den Jugendlichen, die hier ohne Unterscheidung alle gleichermaßen als
„rechtsextrem“ definiert werden, abgelehnt bzw. kommt nicht mehr in Betracht. Dabei wird
in Kauf genommen, dass auch „Mitläufer“ durch das Hinausdrängen aus Jugendeinrichtungen
dem noch möglichen sozialarbeiterischen Zugriff entzogen werden. Zu bedenken ist dabei
zum einem, dass es sich um Jugendliche handelt, die möglicherweise vorschnell als „rechtsextrem“ eingestuft bzw. etikettiert werden, ohne sie näher und länger zu kennen. Zum anderen müssen und sollen Sozialarbeiter per Auftrag auch mit als rechtsextrem geltenden Jugendlichen arbeiten. Wer – wenn nicht sie – hat sonst einen Zugang zu dieser problematischen Gruppe. Im dargestellten Beispiel bleibt allerdings offen, was mit den aus der Öffentlichkeit verdrängten Jugendlichen geschehen soll.
Der zivilgesellschaftliche Ansatz scheint – wie das Beispiel zeigt – an gewisse Grenzen zu
stoßen. Bildlich gesprochen, wird die Zivilgesellschaft die rechtsextrem eingestellten oder
handelnden Personen nicht los; sie gehören ebenso – wenn auch auf der Schattenseite – zu
modernen Gesellschaften, wie die positiv formulierten zivilgesellschaftlichen Werte. Eine
unterkomplexe Dichotomisierung von den „Guten“ auf der einen und den „Bösen“ auf der
anderen Seite hilft darüber auch nicht hinweg. Externalisieren lässt sich der Rechtsextremismus ebenso wenig wie „beseitigen“. Daher bleibt nur der Weg, sich mit dem Phänomen und
seinen Ursachen auseinanderzusetzen und sich dabei in Form und Inhalt an demokratische
Spielregeln zu halten. Dort, wo es möglich und erfolgversprechend ist, sollte versucht werden, mit pädagogischen oder Mitteln der politischen Bildung zu intervenieren. Für die ebenfalls notwendige repressive Bekämpfung sind bei Gesetzesverstößen – wie sonst auch – die
Strafverfolgungsbehörden nach den geltenden rechtsstaatlichen Prinzipien zuständig.
3.4.5 Ein weiterer Tätigkeitsbereich: Fortbildung
Fortbildungen und Informationsveranstaltungen bilden bei einzelnen MBTs einen weiteren
Schwerpunkt, in dem die Kerntätigkeit „Sensibilisieren“ im Vordergrund steht. Die Fortbildungen richten sich in erster Linie an Multiplikatoren aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen.
So konnte ein Teil der MBTs über Fortbildungen insbesondere im Jugendbereich aber auch
bei Verwaltungen und Polizei sowie Verbänden und Initiativen einen Zugang zu Zielgruppen
der Beratungsarbeit finden. Vor allem im Jugendbereich diente die Qualifizierung von Jugend- und Sozialarbeiter/innen, Mitarbeiter/innen in Verwaltungen sowie Vertreter/innen von
Verbänden einem – oben bereits dargestellten – Strukturaufbau von Arbeits- und Kooperationsbeziehungen (vgl. Kap. 2).
„Ja, und auch in Jugendclubs, wo es darum geht, Konzepte (...) noch mal zu beleuchten oder
die Arbeit zu reflektieren. Wie bekomme ich auch andere Jugendliche, das heißt nicht rechtsorientierte oder nicht rechte Jugendliche in meinen Jugendclub? Welche Angebote müsste ich
schaffen? Welche Unterstützung will ich innerhalb der Kommune auch erfahren? Weil oft ist
es ja auch so, dass sich die Jugendsozialarbeiterin als die Feuerwehr im Ort sieht. Oder halt
als die, die für alles zuständig ist oder immer schuld ist, wenn irgendwas passiert. Also wie
kann man ihr mehr Akzeptanz in der Kommune oder mehr Unterstützung schaffen? So, das
sind auch Themen, also Anfragen, die kommen, von Jugendsozialarbeit.“ (b-MBT II L, 12791286)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
120
„Fortbildung ist natürlich wichtig, wobei die in fünf Jahren nicht mehr aktuell ist. Aber auch
da kann man ja den Leuten Sachen vermitteln, wo sie das Wissen herbekommen können, auch
in Eigenregie. Dann sind Kontakte enorm wichtig, dass man die Leute tatsächlich vor Ort
vernetzt, sofern das noch nicht der Fall ist.“ (b-MBT 6, 1035-1039)
Nachdem sich die MBTs in der Region bekannt gemacht haben und einige sich als Experten
für die Themen Rechtsextremismus, (Jugend-)Gewalt und rechtsextrem-orientierte Jugendkulturen profiliert haben, werden sie nun vermehrt zu Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen angefragt. Neben dem engeren Themenkreis zum Rechtsextremismus bieten einige
MBTs auch Fortbildungen zur Projektarbeit und -management sowie zu Methoden der Jugend- und Sozialarbeit an, wenn dies als Teil einer Beratung notwendig erscheint. Einigen
MBTs ist darüber gelungen, staatliche Einrichtungen und Institutionen, wie Jugendstrafanstalten, die Polizei und Verwaltungen anzusprechen. Weitere Adressaten von Fortbildungen
und Informationsveranstaltungen sind Verbände wie Gewerkschaften und IHK sowie Vereine
und Initiativen. Eine wichtige Zielgruppe von Fortbildungen und politischer Bildung sind
zudem Schulen, z.B. in Form von schulinternen Lehrerfortbildungen oder Dienstberatungen.
Die Fortbildungen haben in der Regel zum Ziel, die Wahrnehmung der Teilnehmer/innen zu
Rechtsextremismus und seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu schärfen. Ein weiterer
wichtiger Aspekt liegt in der Vermittlung von Handlungsstrategien zum Umgang mit rechtsextremen Provokationen und Symbolen.
„Das Ziel der Fortbildung war zum einen (...) für uns, erstmal zu gucken, welche Sensibilität
dem Thema gegenüber vorhanden ist von Seiten (...) der drei Sozialarbeiterinnen. (...). Dann
natürlich (...) zu sensibilisieren und natürlich viel zu informieren. Das Erkennen und letzten
Endes natürlich eben ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten zu besprechen und zu forcieren.
Handlungskompetenz zu stärken, wohl wissend, dass das mit so einer zweistündigen oder
zweieinhalbstündigen Fortbildung nicht ohne weiteres machbar ist, eine große, gute Handlungskompetenz zu haben.“ (b-MBT1 F 1, 15-21)
Im Tätigkeitsbereich Fortbildungen haben sich zwei unterschiedliche Strategien herauskristallisiert. Ein Teil der MBTs macht Fortbildungen unabhängig von laufenden Beratungsprozessen, auch um Arbeitsweise und Angebote Mobiler Beratung bekannt zu machen. Sie werden dann im Bereich politische Bildung angefragt und bieten z.B. Seminare oder Workshops
zu Themen wie Rechtsextremismus, Rassismus oder interkulturelle Pädagogik an.36 Gerade
bei politischen Bildungsveranstaltungen mit ABM- und SAM-Kräften kann es sein, dass die
Teilnehmer/innen nicht immer freiwillig zu den Veranstaltungen kommen. Mit diesen Angeboten der politischen Bildung nehmen die MBTs die Funktion einer Art „Handlungsreisendem“ in Sachen politische Bildung „gegen“ Rechtsextremismus und „für“ Demokratieentwicklung ein. Diese Aufgabe ergibt sich in manchen Regionen schon alleine daraus, dass es
keine anderen Angebote politischer Bildung zu diesem Themenkomplex gibt.
In einigen Fällen haben sich allerdings aus Fortbildungsveranstaltungen heraus – nach den
Auskünften eines Koordinators und von Kleinteams – langfristige Beratungsprozesse entwickelt.
36
Über einzelne Formate kann nur in den beiden Falluntersuchungen exemplarisch etwas ausgesagt
werden (vgl. Kap. 4).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
121
„Das ist ein Klassiker eigentlich auch, vom Einstieg her. Wir sind angefragt worden von der
Schulsozialarbeiterin. Auf einer Fortbildung hatten wir die zum Thema Rechtsextremismus.
Die sagte, sie beobachtet bei sich an der Schule schon seit längerer Zeit Jugendliche und Hakenkreuzschmierereien und Lehrer werden drangsaliert und andere Schüler werden terrorisiert. ‚Könnt ihr nicht mal kommen’.“ (b-MBT 4, 487-492)
Hingegen bieten andere MBTs nur in Ausnahmefällen Fortbildungen außerhalb von Beratungsprozessen an.
„Das machen wir auch, aber wir haben zumindest gesagt, für unser Team, auf politische Bildung in einem klassischen Sinne, dass man Seminare macht und immer wieder mit anderen
Gruppen, vielleicht zu einem unterschiedlichen Thema, zu Symbolen usw., so was machen wir
nicht schwerpunktmäßig. Das machen wir in Ausnahmefällen, wenn wirkliche ein extrem hoher Bedarf da ist, ansonsten verweisen wir auf Leute, die das leisten können.“ (B-MBT 2, 951956)
Die in Beratungsprozesse eingebundenen Fortbildungen sind spezifisch auf die jeweilige
Zielgruppe und deren Bedarf ausgerichtet. Deshalb sind die Formate und Inhalte auch sehr
individuell. So gehen die im Kontext von Beratungsprozessen angebotenen Fortbildungen
nach Kenntnis der Materiallage wesentlich differenzierter und zielgenauer auf den jeweiligen
Bedarf vor Ort ein und gehen oft über den Themenkomplex Rechtsextremismus hinaus.
3.4.6 Reflexion der Arbeit
Die Erfahrungen in den Beratungsprozessen, Einschätzungen zu bestimmten Akteuren, Überlegungen zum weiteren Vorgehen und Ergebnisse von Recherchen werden in der Regel zunächst im Kleinteam ausgetauscht und reflektiert.
„Dann setzen wir uns hier hin, wir schreiben ja auch ziemlich umfangreiche Arbeitsberichte
oder haben ein Raster, wo ja auch immer unsere Rolle reflektiert wird und wir gucken müssen,
was haben wir denn jetzt wahrgenommen, was ist das Problem, wie ist unsere Rolle, wie kann
unsere Rolle weiter sein, auch wo blockt das, wo stockt das, haben wir auch schon ein Stück
weit so etwas wie einen Auftrag rausgehört, sind wir auch gewollt? Wir sprechen seit fast einer Stunde ja über einen einzigen Begleitungs- und Beratungsfall, der auch seit über einem
Jahr anhält“ (b-MBT 1, 624-630)
Umfang und Art der Reflexion der Arbeit sind sehr unterschiedlich. Nach den vorliegenden
Interviews findet die intensivste Auseinandersetzung zumeist in den Kleinteams statt. Die
Verschriftlichung und Dokumentation der einzelnen Beratungsfälle bis hin zu protokollierten
Telefonnotizen wird auch sehr unterschiedlich gehandhabt und wird oft nicht praktiziert. Dies
hängt sicherlich noch mit zu entwickelnden professionellen Formen der Arbeitsorganisation,
aber auch mit dem zur Verfügung stehenden Zeitbudget aufgrund der unterschiedlichen Dichte an Nachfragen zusammen.
Eine wichtige Form der Reflexion der Arbeit sehen viele in den kollegialen Beratungen im
Großteam. Hier werden bei einigen Teams Sachstandsberichte bzw. sogenannte Baustellenund Lageberichte zu einzelnen Beratungsfällen in verschiedenen Zeitabständen und unterschiedlicher Intensität mit den Kollegen beraten. In manchen Teams findet dies zum Teil
auch unter Einbeziehung einer externen Beratung, z.B. in Form von Supervision statt.
„(...) es erfolgt in den Arbeits- und Dienstbesprechungen oder Praxisberatungen und Dienstbesprechungen, die haben wir einmal im Monat. (...)
Im Großteam hat dann jedes Team die Möglichkeit, einen umfangreichen Fall zu schildern wo
dann sich entsprechend Zeit genommen wird und die Kolleginnen und Kollegen sagen, wie sie
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
122
darüber denken, Nachfragen usw. Das ist eine Möglichkeit, die zweite Möglichkeit. Die dritte
Möglichkeit ist dann eben auch die Fallsupervision. Wo wir sagen, jetzt holen wir mal einen
Supervisor/Supervisorin und wir besprechen den Fall (...).“ (b-MBT 1, 634-643)
Von einem Kleinteam innerhalb des oben angesprochenen Großteams, in dem die Projektleitung schon sehr viel Wert auf eine intensive Reflexion der Arbeit legt, wurde allerdings
kritisch angemerkt, dass innerhalb des Teams Kritik eher ausgeblendet wird und es gerade an
der Thematisierung von Schwachstellen, von Fehlentenwicklungen und Selbstkritik mangelt.
„Aber wenn die Fragen in unserem Team kamen, zumindest von unserem Team der Bedarf
nach Evaluation und Kritik dessen, was wir tun, ins Großteam kommuniziert wurde, wurde
das eigentlich abgelehnt. (...) Aber es wurde nie als eine Form von Chance begriffen, dass
man dadurch auch eine Entwicklung in Gang setzen kann, sich selber mit seiner Konzeption
überprüfen kann und vielleicht die Konzeption so entwickeln kann, auf die Bedürfnisse zuschneiden kann, die eigentlich gebraucht werden. (...) Das Problem ist nur, dass das nicht interessiert. Alles das, was irgendwie mit Kritik zu tun hat, interessiert nicht. Es ist schon ein
bisschen (...): wir sind schön lieb zueinander.“ (b-MBT 2, 771-792)
3.4.7 Fazit
An den vielseitigen Aufgaben, die Mobile Beratung abdeckt, wird sichtbar, dass es sich der
Anlage nach um einen komplexen Beratungsansatz handelt. Ausgangspunkt und Fokus sind
die Gegebenheiten vor Ort. So müssen sich die MBTs auf die Akteure und ihre Schilderungen sowie deren Erwartungen einlassen, um einen Zugang zu dem jeweiligen Gemeinwesen
zu bekommen. Gelingt es ihnen die „Klientenorientierung“ in einer für die zu Beratenden
authentischen Weise umzusetzen, können sich langfristige Beratungsprozesse entwickeln.
Dazu sind aber eine Vielzahl von Tätigkeiten notwendig. Neben den Gesprächen mit möglichst vielen und vor allem den einflussreichen Akteuren, kommen Recherche- und Analysetätigkeiten, sogenannte „Sozialraumanalysen“ hinzu. Die sich aus unterschiedlichen Quellen
speisenden Einschätzungen und Erfahrungen werden bei größeren Beratungsprozessen von
einem Teil der Teams in einer Art „Lagebilder“ bzw. „Expertise“ zusammengefasst. Bei den
meisten Teams bilden die Analyseergebnisse eine Hintergrundfolie für ihre Arbeit, andere
bringen diese als „Expertise“ in den Beratungsprozess ein.
Eine wichtige Aufgabe besteht in der Entwicklung von Interventionsstrategien mit den Akteuren vor Ort. Dies setzt ein hohes Maß an Flexibilität, Toleranz und Geduld voraus. Idealtypisch lässt sich hier das Diktum Max Webers modifiziert anwenden: Mobile Beratung ist
das Bohren dicker und manchmal wie Gummi nachgebender Bretter mit Leidenschaft, Augenmaß und Umsicht für die Belange der Bürger/innen vor Ort. Deshalb ist auch eine der
wichtigsten Tätigkeiten die ständige Reflexion der Arbeit und insbesondere der eigenen Rolle
und deren möglicher Wirkung in den kommunalen Beratungsprozessen. Regelmäßige Supervision in den Klein- und Großteams kann diesen notwendigen Reflexionsprozess professionalisieren. Wichtig erscheint es, sich für Reflexion und Konzeption der Arbeit Zeit zu nehmen und unbedachte Reaktionen bzw. Überreaktionen zu vermeiden, da ein oftmals fragiles
Kommunikationsnetz zerstört werden könnte.
Der bereits oben analysierte offene und moderierende Beratungsansatz bietet auf der Grundlage des Datenmaterials einen günstigen Ansatzpunkt, eine verlässliche Kommunikationsstruktur aufzubauen und die Akteure in die Entwicklung eines lokalen Handlungskonzepts
einzubeziehen, bzw. diese zu den Gestaltern und Verantwortlichen ihrer eigenen Interessen
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
123
und Anliegen zu machen. Hier hat eine vermittelnde Rolle der MBTs die besten Chancen, zu
einer Aktivierung und Verantwortungsübernahme der Akteure beizutragen. So gehören neben
„face to face“-Beratung auch die Moderation von „Runden Tischen“ und Netzwerktreffen zu
den Aufgaben der MBTs. Vernetzungsarbeit ist ein langwieriger Prozess, der nicht alleine an
Netzwerktreffen festgemacht werden kann. Hier können sich neben manifesten Netzwerken
auch Kommunikationsstrukturen entwickeln, die nicht institutionalisiert sind und dennoch
einen demokratischen Auseinandersetzungsprozess und die Eigenbeteiligung fördern können.
Damit solche Beratungsprozesse überhaupt entstehen können, müssen einerseits Strukturen
gegeben sein, an denen Mobile Beratung ansetzen kann und andererseits muss eine Sensibilität bei den Akteuren vorliegen. Wo dies nicht vorhanden ist, versucht ein Teil der MBTs
über Fortbildungen diese Grundlagen für die Beratungsarbeit zu legen. In den strukturschwachen Regionen hat sich dies als eine gute Basisarbeit erwiesen, um einen Zugang zu Multiplikatoren oder zu Kommunen zu bekommen. Andere Teams machen solche Fortbildungen
nur noch innerhalb von langfristigen Beratungsprozessen, um dadurch die Akteure zu ihnen
wichtigen Themen zu informieren und fortzubilden. Nicht nur in diesem Bereich zeigen sich
Überschneidungen und Ähnlichkeiten der Mobilen Beratung zu Methoden und Inhalten politischer Bildungsarbeit.
In dem oben behandelten Themenkomplex werden die Kerntätigkeiten und Formen Mobiler
Beratung prägnant sichtbar. So dienen die Fortbildungen in erster Linie der „Sensibilisierung“ von Akteuren für das Thema Rechtsextremismus. In dem als moderierenden beschriebenen Beratungsansatz verdichten sich in positiver Weise die in den Schlüsselkategorien
enthaltenen Kerntätigkeiten. Im Mittelpunkt steht die klientenorientierte „Befähigung“ der
Akteure, ihre Problemlösungskompetenzen wahrzunehmen und mit anderen gemeinsam
Handlungsstrategien zu entwickeln. Durch die Moderation der MBTs können die vorhandenen Ressourcen zusammengeführt und die Basis für ein vernetztes Vorgehen gelegt werden.
Die vielfältigen Ansprüche an die Beraterrolle machen eine ausgiebige Reflexion der Arbeit
der Berater/innen notwendig. Die Sensibilisierung der Berater/innen im Hinblick auf die
Wahrnehmung der Anliegen der Akteure vor Ort einerseits und für die Wirkung ihrer Rolle
und ihres Auftretens andererseits sollte deshalb verstärkt ausgebaut werden.
3.5 Ergebnisse und Erfolge der Mobilen Beratungsteams
Um Ergebnisse oder gar Folgen der Mobilen Beratung über die Selbstdarstellung der Befragten hinaus beurteilen zu können, wäre es wichtig, die jeweiligen Ausgangsbedingungen
der Teams sowie sämtliche Rahmenbedingungen und Kontexte der Beratungsprozesse zu
kennen. Dies würde eine Erhebung zu Beginn des Beratungsprozesses und eine kontinuierliche Begleitung sowie eine Messung am Ende voraussetzen, was im Rahmen des Evaluationsauftrags nicht zu leisten war. Wie in Kapitel (3.1) gezeigt wurde, haben sich die MBTs zwar
die allgemeine Zielstellung des CIVITAS-Programms zu eigen gemacht,37 jedoch nur in sehr
37
Ein Berater macht darauf aufmerksam, dass sie sich auch von den Überladungen des Programms erst
befreien mussten, um auf die konkreten Gegebenheiten vor Ort eingehen zu können. „Das hat eine
ganze Zeit gedauert, bis wir uns von diesem ganzen ideologischen Ballast, von dieser ganzen Antragslyrik befreit haben. Und versuchen, also sehr pragmatisch in den Regionen, auf die Bedürfnisse in der
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
124
begrenztem Rahmen eine Operationalisierung dieser allgemeinen Programmziele vorgenommen. Dieser markante Mangel an Operationalisierung, der aber auch bei vielen anderen Projekten mit solchen „weichen Zielsetzungen“ festgestellt werden kann (vgl. Benack u.a. 2003),
liegt aber auch bis zu einem gewissen Grad in dem Beratungsansatz selbst begründet. Denn
bei einem Ansatz, der dem Anspruch nach auf Partizipation der Bürger/innen ausgerichtet ist
und sich damit an deren Anliegen und Kompetenzen orientiert, ist es aufgrund seiner Offenheit schwierig, vorab konkrete Zielsetzungen festzulegen. Da kein Abgleich zwischen festgelegten Zielen zu Beginn der Beratungsarbeit der MBTs mit den Resultaten ihrer Arbeit
möglich ist, kann auch nicht beurteilt werden, ob die MBTs in der Umsetzung der Ziele erfolgreich waren. Deshalb kann nur anhand von Erfolgskriterien das beschrieben werden, was
die MBTs als ihren Erfolg ansehen. Aus diesem Blickwinkel wird im Folgenden den Fragen
nachgegangen: Was sehen die MBTs als Erfolg ihrer Beratungsarbeit an? Welche unterschiedlichen Formen und Gewichtungen lassen sich in der Darstellung von Erfolgen zeigen?
Und welche „manifesten“ Ergebnisse lassen sich feststellen?
3.5.1 Kann man den Erfolg Mobiler Beratung messen?
Wie sich bereits bei der Darstellung der anderen Untersuchungsbereiche abzeichnete, fallen
auch die Darstellungen der Ergebnisse und Erfolge bei einem Großteil der Teams sehr allgemein und heterogen aus. Dabei ist zu beobachten, dass fast alle befragten MBTs Schwierigkeiten hatten, operationalisierbare Erfolgskriterien für ihre Arbeit zu benennen. Manchen
Teams gelingt es allerdings besser als anderen, ihre Erfolge zu präsentieren.38 Bei einigen der
befragten Berater/innen mag die Zurückhaltung, sich zu diesem Fragekomplex zu äußern,
auch damit zusammenhängen, dass sie noch nicht so lange tätig waren und beispielsweise
wegen häufiger Personalwechsel nur begrenzt aussagefähig zu den Erfolgskriterien und Erfolgen des jeweiligen MBTs sind.
Von fast allen MBTs wird jedoch herausgestellt, dass es nur schwer möglich ist, für den Zeitraum von etwa zweieinviertel Jahren konkret messbare und auf ihre Beratungsarbeit ursächlich zurückgehende Erfolge zu benennen.
„Was ist der Effekt, der jetzt von uns kommt? Und was ist sozusagen das Klima, was sich vielleicht gesamtgesellschaftlich geändert hat. Und man muss ja auch sehen, wir arbeiten jetzt
ein, na ja knapp zwei Jahre in den Regionen. Das heißt, bestimmte Sachen nehmen wir ja auch
Region einzugehen. Und das unterscheidet sich sehr stark. Ob das jetzt nun ((Ort)) ist, als, sage ich
mal, der einzigen Großstadt, oder eben ganz ländlich dünn besiedelter Raum in ((Region des Bundeslandes)).“( b-MBT II L,GD 2, 98-102)
38
Die Auffassung und die seitens des Programms und der Öffentlichkeit erzeugte Erwartung, möglichst sichtbare Erfolge nachzuweisen, schlägt sich beispielsweise in negativer Weise auf das Berichtswesen und den Umgang damit nieder. „Und zum anderen natürlich auf Grund der Verkürzung
dieser Modellphase der extreme Druck auf die Projekte, Erfolge vorweisen zu müssen. Aus einer ganz
anderen Perspektive heraus, unsere Arbeit irgendwie zu bewerten. Und da sieht man ja auch eben,
dass auch das Berichtswesen ein ganz anderes ist, als sozusagen eine tatsächliche Darstellung unserer
Arbeit. Also da sind wir ja zum Teil auch genötigt, die Zahlen zu dokumentieren. Also wie viel Fortbildungen usw. usf. wurden gemacht? Das ist natürlich einfach etwas ganz anderes, als das, was wir als,
ja, als Prozesse und als gute Prozesse unserer Arbeit definieren würden.“ (b-MBT V L, GD 2, 640647)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
125
erst mit der Zeit wahr. Also ich denke, gerade was die EU-Osterweiterung anbetrifft. Mit dieser Vehemenz, auch dieser Polenfeindlichkeit, auf die wir treffen innerhalb der Bevölkerung.
Das hat schon zugenommen. Das kann sein, dass es reell zugenommen hat. Das kann aber
auch sein, dass wir das nur sehr viel verschärfter wahrnehmen.“ (b-MBT II L, GD 2, 624-631)
In diesem von vielen Einflussfaktoren geprägten Feld lassen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen dem Input einer Intervention und der von ihr herbeigeführten Wirkungen
messen (vgl. auch Konzept der WB). Die von den MBTs angeführten und auch in der Wissenschaft so gesehenen kritischen Einwände machen deutlich, dass man Projekte politischer
Bildung oder Beratungsansätze kaum nach monetarisierbaren Kosten-Nutzen-Kalkulationen
bewerten kann (vgl. auch b-MBT GD 2).39
So wird es von allen MBTs auch abgelehnt, den Erfolg ihrer Arbeit an einem Rückgang
rechtsextremer Straftaten oder der Abnahme der Anzahl von Kameradschaften oder der Mitgliederzahlen von rechtsextremen Organisationen festzumachen. Mancherorts können trotz
der durch das CIVITAS-Programm bewirkten positiven Veränderungen gegensätzliche Entwicklungen wie die Steigerung rechtsextremer Straftaten eintreten.
„Die Frage ist, auf welcher Ebene man das ((den Erfolg; der Autor)) beschreibt. Also man
kann es für den Beratungsprozess im Konkreten einfacher beschreiben als für die gesellschaftliche Wirkung. (...) Also wir versuchen zumindest beispielhaft, Beratungsprozesse zu beschreiben, von denen wir glauben, sie hatten Erfolg. (...) Also, die Frage steht ja immer im
Raum, gerade von Politik: Lässt es sich jetzt in Zahlen messen? Guck dir das mal an, beispielsweise in ((Bundesland)) ist die Zahl rechtsextremer Kameradschaften in den letzten Jahren stetig gestiegen. Mit oder ohne CIVITAS. Sie ist gestiegen im Vergleich zu Westdeutschland, wo sie gesunken ist. Oder die Zahl von Gewaltbereiten, wie auch immer sie gemessen
wird. (...) Da muss man noch mal überlegen: Was sagen diese Zahlen aus? Wie werden sie
gemessen? Wir reden nicht nur über straffällige Leute, sondern wir reden eben auch um ein
weites Spektrum drum herum.“ (b-MBT I L, GD 2, 558-571)
Bezeichnend ist, dass nur einige Befragte die Ergebnisse ihrer Arbeit explizit an der Diskrepanz zwischen dem Ausgangszustand ihrer Arbeit und nachweisbaren Entwicklungen in einzelnen Beratungsprozessen festmachen.
A: „Ich finde es interessant, dass zumindest wir als Team das geschafft haben, die Kommunikation über fast zwei Jahre mit Leuten aufrechtzuerhalten, wo ich es mir vor dem Anfang, bevor ich angefangen habe, hier zu arbeiten, hätte vorstellen können. Das finde ich schon enorm. (...).
B: Erfolg insofern, was wir vorhin mal hatten. Wir sind nie wirklich überall aufgelaufen, und
es gibt eben Beratungsprozesse, wo man das Gefühl hat, man hat bei den Leuten vielleicht ein
paar Gedanken angeregt. Die sind alle nicht abgeschlossen, die sind alle nicht in dem Topf,
wo ich sage, OK, das kocht auf der richtigen Flamme, aber es ist auch nicht so, dass man sich
nur die Zähne ausbeißt.“ (b-MBT 2, 1154-1162)
39
Vor einer zu hohen Erfolgserwartung und einer sehr unterkomplexen Wahrnehmung von
Bildungsprozessen wird auch in einer der wenigen aktuellen Zeitungsartikel zum Thema Rechtsextremismus gewarnt. So sind nach von Bebenburg keine in Zahlen messbaren Erfolge zu erwarten. „Der
Kampf gegen Rechtsradikalismus und Gewalt ist in dieser Hinsicht viel undankbarer. Er setzt in den
Köpfen an, er muss die gesamten gesellschaftlichen Bedingungen ins Auge fassen, er baut nicht nur
auf kurzfristige Repression, sondern vor allem auf Prävention. Die aber wird in Zeiträumen gemessen,
die wesentlich länger sind als Legislaturperioden.“ (von Bebenburg 2003: 2)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
126
Von einem Team wird herausgestellt, dass man sich der Gefahr bewusst sein sollte, dass
durch die hohen und hehren Zielsetzungen, wie „das politische Klima in der Kommune ändern“, die erreichten „kleinen“ Erfolge leider abgewertet werden.
„Also die Ziele, die hehren Ziele sind ja nicht weg, wenn man gleichzeitig halt bestimmte Erfolge halt einigermaßen bescheiden definiert. Es ist ein Erfolg, wenn ein Projekt ein Prozess
halt einigermaßen rund läuft, die Leute aufmachen. (...) Die kommen ja auch nicht nach drei
Tagen Bekanntmachung und erzählen dir, was da wirklich los ist. Sondern das ist eine Geschichte, die sich erst mal entwickelt, wo du das Gefühl hast, da kannst du was bewirken, da
erreichst du gerade was. Und da findet auch was statt, was sich vielleicht hoffentlich mal
nachhaltiger verselbständigt. (...) Das hat natürlich nichts damit zu tun, oder muss nicht zwingend damit zu tun haben, dass man die hehren Ziele vielleicht nicht in dem Maße erreicht, wie
sie dann statistisch messbar wären.“ (b-MBT VI L GD 2, 650-659)40
Von einigen MBTs wird indessen der Erfolg konkret auf ihr MBT bezogen. Das kann darin
bestehen, dass sie sich durch die Nachfrage und Anerkennung in ihrer Arbeit bestätigt sehen.
Erfolg ist „wenn positive Erfahrungen weitergegeben werden, zu sehen, was die Einrichtungen vor Ort machen, dass das ausstrahlt.
B: Erfolg ist für mich auch, dass Leute jetzt von sich aus kommen. (...) gleich, (...) kommt aus
((Ort)) der Amtsjugendpfleger, den wir noch nie gesehen haben, wo sich herumgesprochen
hat: ‚Da gibt es welche in ((Sitz des MBTs)), das lohnt sich vielleicht, mit denen zu sprechen’.“ (b-MBT 4, 1784-1787)
Von dem Leiter des MBTs Brandenburg – wie auch von den vom CIVITAS-Programm geförderten MBTs – wird dann auch grundsätzlich die Frage nach dem Erfolg von Mobiler Beratung gestellt.
„Aus grundsätzlichen Erwägungen bestreite ich die Sinnhaftigkeit dieser Frage nach dem Erfolg. Weil wir zunächst mal sagen, was vor Ort passiert, wenn ich Beraterin oder Berater bin,
wenn sich da etwas zum Besseren bewegt, (...) muss das als Erfolg der Akteure vor Ort gewertet werden.“ (Hülsemann, GD 2, 574-578)
Deshalb können nach Hülsemann nur Veränderungsprozesse beschrieben werden, an denen
das MBT mitgewirkt hat.
„Und dann kann ich sagen: Bei aller Unsicherheit, weil ich nicht nachweisen kann, (...) welchen Anteil wir an den jeweiligen Veränderungen haben, sagen wir, wir sind sozusagen im gesamtgesellschaftlichen Kontext mit wirksam gewesen. Aber ich bestreite (...) diese Gradlinigkeit zwischen dem Ziel, das wir zu beschreiben haben für unsere Auftraggeber und die so genannten Erfolge unserer Arbeit.“ (Hülsemann, GD 2, 488-594)
Auch wird vor der Illusion gewarnt, es könnten schnelle Änderungen in den Einstellungen
und Haltungen möglich sein, indem man „die Leute irgendwie umdreht und dann ändert sich
alles“ (b-MBT II L, GD 2, 613-614). Diese Einschätzung deckt sich auch mit Befunden aus
der Evaluationsforschung.
40
Die Relativität der Aussagekraft von messbaren Daten und deren subjektive bzw. vereinnahmende
Interpretationsmöglichkeit zeigt folgende Äußerung eines Beraters: „Und umgekehrt kann man sich
natürlich die eine oder andere Statistik zusammenlügen. Wir haben beispielsweise einen Bezirk, in dem
rechtsextreme Straftaten halt und Täterdominanz zur Zeit halt drastisch zurückgegangen sind. Das
hängt damit zusammen, dass die Kader gerade halt alle im Knast sitzen. Natürlich können wir das
zusammenlügen halt als einen der großen Erfolge von CIVITAS. Das ist, das wäre, glaube ich, sehr
banal.“ (b-MBT VI L GD 2, 659-664)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
127
„Einen ursächlichen Bezug zwischen Programm und Einstellung herzustellen, ist meines
Erachtens – und da befinde ich mich in guter Gesellschaft – ein Trugschluss, erzählt den Leuten Geschichten, die nicht stimmen. Wir können Wirkungsorientierungen benennen, wir können Plausibilitäten benennen, wir können Effekte nachzeichnen, aber wir können letztendlich
nicht von einem Programm ursächlich auf eine Wirkung, zum Beispiel ein Einstellungsverhalten schließen." (Brüggemann/Klingelhöfer 2003: 437-442)
Eine andere Befragte stellte heraus, dass es ihr nach zwei Jahren nur möglich ist, eine erste
Zwischenbilanz zu ziehen.
„Also, ich möchte ungern hier die große Bilanz ziehen, weil wir vielleicht so eine winzig kleine Zwischenbilanz ziehen könnten. Und was man auch sicherlich, bestimmte Sachen, die man
ändern müsste, wo man noch mal einen anderen Weg einschlagen könnte, wo man, was weiß
ich, noch mal einen anderen Kooperationspartner vor Ort suchen müsste, so was.“ (b-MBT II
L, 1798-1802)
Auch wenn sich der Erfolg der MBTs schwierig messen lässt, so lassen sich die von den
MBTs aufgestellten Erfolgskriterien und angestrebten bzw. realisierten Ergebnisse einer kritischen Bewertung unterziehen. Hierbei geht es nicht um Wirkungen, sondern um die Frage, ob
die Erfolgskriterien und Zielsetzungen im Hinblick auf den Arbeitsauftrag und die Rahmenbedingungen angemessen und deren Begründungen nachvollziehbar sind. Eine Frage wird
dabei sein, ob die in den Erfolgskriterien zum Ausdruck kommenden Zielsetzungen und Vorgehensweisen der MBTs mit einem offenen und auf Partizipation angelegten Demokratieverständnis und den normativen Prinzipien des Rechtsstaates einhergehen.
3.5.2 Sensibilisierung durch Mobile Beratung
In der Regel wird von den Teams sehr allgemein berichtet, dass es ihnen in den intensiv begleiteten Beratungsprozessen gelungen ist, Anregungen zu geben und eine Sensibilisierung
für das Thema Rechtsextremismus herbeizuführen und unterschiedliche Formen von Eigenaktivierung anzustoßen. So wird es als ein Erfolg der Arbeit gewertet, dass die Akteure vor
Ort anfangen sich selbst Gedanken zum Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus und
den Zustand der Kommune zu machen. Dabei geht es auch um die Formen des demokratischen Umgangs miteinander.
„Wenn Leute anfangen, zu denken und Fragen zu stellen, finde ich das schon erfolgreich. Weil
ich finde schon, dass es in vielen Orten einfach einen völligen Mangel an Auseinandersetzungsfähigkeit gibt, an Demokratieverständnis, also ,Basics´. Wer redet wann? Wer lässt wen
ausreden?“ (b-MBT II L, GD 2, 1746-1749)
Eine breitere Sensibilisierung für das Thema sehen die Mehrzahl der MBTs als ein zentrales
Ergebnis ihrer Arbeit. Diese Einschätzung ist jedoch schwierig zu quantifizieren, denn sie
kann nicht an einer Anzahl von Personen festgemacht werden, die nun rechtsextreme Erscheinungen eher wahrnehmen als zuvor. Ein sehr weicher und zum jetzigen Zeitpunkt nur
auf den Einschätzungen der MBTs beruhender Indikator ist die Zunahme von Anfragen nach
Beratungen. Es wird darauf verwiesen, dass von bestimmten Personengruppen, die zu Beginn
des Projekts keine Anfragen gestellt haben, jetzt häufiger und auch mehrmals Anfragen gestellt werden (vgl. z.B. B-MBT GD 2; b-MBT 2; b-MBT 4; b-MBT 7).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
128
Als ein weiterer Erfolg werden die positiven Rückmeldungen zu den Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen verbucht.
„Ein anderer Erfolg ist, dass Feedback in Fortbildungen oder internen Schulungen, wenn das
positiv ist. Wenn da neue Fragen entstanden sind oder angeknüpft wird an die Arbeit von
((Name MBT)). Das ist ein Erfolg.“ (b-MBT II L, 1766-1768)
3.5.3 Aktivierung durch Mobile Beratung
Die Frage, inwieweit durch die Beratung eine Befähigung zur Aktivierung erfolgt ist, lässt
sich hier nur skizzieren. Einigen MBTs ist es nachweisbar gelungen, einen breiten Adressatenkreis anzusprechen, der von Initiativen über kommunale Bündnisse, Schulen bis hin zu
Verantwortungsträgern in der Kommune, dem Landkreis oder sogar auf Landesebene reicht.
„Das hehrste Ziel war es doch, demokratische Kultur zu stärken. Also müsste man sich mal
fragen: Sind denn jetzt verschiedene Initiativen entstanden, die es vorher nicht gegeben hätte?
Sind Menschen jetzt in der Lage, organisierter miteinander arbeiten zu können in verschiedenen Regionen, die es ohne CIVITAS und anderer Bundesprogramme nicht gegeben hätte? (...)
Ich glaube ja. Wenn ich mir angucke, wie das Netzwerk ((Name des Netzwerkes)) sich entwickelt hat. Wer da am Anfang war, wie viele es heute sind. Was sich da an Spektrum erweitert
hat, auch an Altersmischung, sehe ich da schon eine Entwicklung. Ob sich das jetzt sozusagen
in Zahlen niederschlägt, ist die Kriminalitätsrate rechtsextremer Gewalt zurückgegangen oder
so, das ist eine ganz andere Frage. Das lässt sich so kurzfristig, glaube ich, nicht messen.“ (bMBT I L, GD 2, 492-504)
Hingegen sehen einige Befragte ihren Erfolg darin, dass ein bereits sensibilisiertes und engagiertes Spektrum gestärkt wurde. Dabei handelt es sich in diesen Fällen um die MBTs, die
von den Zielgruppen und Zielsetzungen her stark auf den bereits engagierten Initiativbereich
oder Jugendbereich ausgerichtet sind und die in der Regel auch den Ansatz einer „Gegnerschaft“ zum Rechtsextremismus verfolgen.
„Ich glaube nicht, dass es, seitdem es uns gibt, unbedingt mehr Leute geworden sind, die sich
zum Thema engagieren. Aber vielleicht sind ein paar mehr bestärkt worden, das zu tun. Und
ein paar, die sich vielleicht, Gruppen oder Initiativen, Einzelpersonen auch, die sich vielleicht
zurückgezogen hatten oder manche Situationen in ihrer, sei es Verwaltung oder Kommune, so
nicht beschrieben hätten, es jetzt tun würden, vielleicht. Zum Thema halt. Das ist vielleicht so
das kleine Etwas.“ (b-MBT II L, 1066-1071) 41
Die Aktivierung muss sich nicht als eine positiv formulierte Zielsetzung in Hinblick auf eine
Stärkung und Ausweitung zivilgesellschaftlicher Werteorientierung definieren, sondern Aktivierung kann im Verständnis einiger MBTs auch als Mobilisierung gegen einen als Gegner
bzw. „Feind“ verstandenen Rechtsextremismus erfolgen und Strategien der Exklusion nach
sich ziehen. So lassen sich gerade bei den Beratungsansätzen, die beispielsweise eine direkte
Verdrängung und Ausgrenzung von rechtsextremen Cliquen zum Ziel haben, Erfolgskriterien
beobachten, bei denen die Folgen des eigenen Handelns nicht weit genug einbezogen sind.
41
Dennoch wird auch hier unter professioneller Beratung ein Ansatz verstanden, der sich aus einer
Distanz heraus an unterschiedliche Zielgruppen wendet und sich nicht in den Befindlichkeiten der
Politik und Akteure untereinander verfängt. „Professionell heißt für mich zum einen, verschiedene
Zielgruppen beraten zu können. Nicht sozusagen den Befindlichkeiten ((Bundesland)) oder innerhalb
einer Kommune, das muss jetzt gar nicht ((Name des Bundeslandes)), innerhalb einer Kommune, da so
einwickeln zu lassen. Sondern den ‚Draufblick’ zu bewahren.“ (MBT II L, 1727-1730)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
129
Dies wurde bereits exemplarisch an der Beratung von Jugendeinrichtungen dargestellt, die
von rechtsextremen Jugendlichen frequentiert werden (vgl. Kap. 3.4.5).
3.5.4 Netzwerkbildung und Bündnisse
In vielen Fällen ist es nach Darstellung der MBTs gelungen, Netzwerke und Bündnisse anzustoßen bzw. zu reaktiveren und auszuweiten (vgl. b-MBT I L, GD 2, 492-504). Besonders im
Bereich der Jugendarbeit sind viele Initiativen zu Vernetzungen zu verzeichnen, die von
„Runden Tischen“ zur Jugendarbeit über „Arbeitgemeinschaften“ zum fachlichen Austausch
von Sozialarbeiter/innen bis hin zu Arbeitskreisen verschiedener Akteure eines Gemeinwesens zu einer Jugendeinrichtung und Elterninitiativen reichen (vgl. insb. Kap. 4.3).
So ist es nach Darstellung einiger MBTs gerade in intensiven kommunalen Beratungsprozessen gelungen, verschiedene Akteure miteinander in Verbindung zu bringen, die vorher nichts
oder nur begrenzt miteinander zu tun hatten (vgl. Kap. 4.2). Trotz oft schwieriger lokaler und
politischer Rahmenbedingungen konnten sich MBTs gemäß ihrer Darstellung als fachlich
kompetente Ansprechpartner etablieren, ohne die bestimmte auch über das Thema Rechtsextremismus hinausgehende Initiativen nicht zustande gekommen wären. Die Kooperationsnetze können Bürgermeister, Verwaltungen und andere öffentliche Einrichtungen, Schulen
und Jugendeinrichtungen, Kirchen, Verbände, Vereine sowie Initiativen und anerkannte engagierte Persönlichkeiten sowie Multiplikatoren aus den verschiedensten Bereichen (z.B.
Bildung und Jugendarbeit) umfassen (vgl. Kap. 3.2 u. 4.3). Dieses in den einzelnen Beratungsprozessen unterschiedlich stark und intensiv ausgeprägte Netz ist Grundlage und
zugleich Ziel von erfolgreichen Beratungsprozessen.
Allerdings kann die nicht erfolgte Implementierung oder der Niedergang von Bündnissen und
Netzwerken nicht als eindeutiger Indikator für eine erfolglose Arbeit betrachtet werden. So
berichten einzelne MBTs, dass sich Netzwerke in ihren zuständigen Arbeitsgebieten aufgelöst
hätten, ohne dass dies in einem Zusammenhang mit ihrer Beratungsarbeit stehe. Dies kann
auch in den Regionen geschehen, in denen ein nachgewiesenermaßen sehr verlässlich und in
seiner Arbeit geschätztes Team arbeitet (vgl. MBT 2, 1191-1194).
3.5.4.1
Zusammenarbeit der MBTs mit OBS und NWS
Die Zusammenarbeit mit den anderen Strukturprojekten des CIVITAS-Programms wird
durchweg als wichtig beschrieben, aber mit sehr unterschiedlichen Bewertungen versehen.
Dabei kommt insbesondere der Zusammenarbeit mit den Opferberatungsstellen eine große
Bedeutung zu, wobei es in konkreten Beratungsfällen nach Auskunft der MBTs auch zu Konflikten und für den kommunalen Beratungsprozess kontraproduktiven Entwicklungen gekommen ist. Dies wird einerseits auf die unterschiedliche Rollenauffassung – hier die auf
Moderation- und Konsensfindung orientierten MBTs und dort die zum Teil polarisierend und
konfrontativ auftretenden OBS – zurückgeführt.
„Die Opferperspektive ist schon eine Grundlage, die immer wieder deutlich zu machen, ist sicherlich auch ein Anliegen. Aber im Gegensatz zu ((Name OBS)) ist nicht unsere Aufgabe, zu
skandalisieren, Leute an den Pranger zu stellen, jedenfalls nicht zunächst erst mal so einen
frontalen antirassistischen Ansatz da reinzubringen. Das ist auch immer ein Konfliktpotenzial
in der Arbeit mit ((Name OBS)). (...)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
130
Uns wird von ((Name OBS)) immer so eine gewisse Staatsnähe unterstellt, wir würden zu wenig skandalisieren, wir würden (...) zu eng mit staatlichen Organen zusammenarbeiten, mit
der ((Name der Sondereinheit der Kriminalpolizei)), (...) oder der Staatsschutz oder der Verfassungsschutz. Und wir würden, wenn wir z.B. ,Runde Tische´ initiieren, auch Beteiligte holen, wo ((Name OBS)) vielleicht sagen würde, das sind ja eigentlich rassistische Normalmenschen, oder solche Gruppen. Wo auch mal ein Spruch fällt, wo ein Bürgermeister vielleicht
nicht ganz so politisch denkt, wie ((Name OBS)) denkt.“ (b-MBT 4, 71-76 u. 83-91)
Andererseits oder gleichzeitig werden die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit auch auf
persönliche Verhaltensweisen und zumeist damit zusammenhängender Positionierungen zurückgeführt.
Das ist die Schwierigkeit. In diesen großen Runden (...), das muss man auch sagen, da sind so
einige bei ((Name OBS)) – in der Rolle des Agent Provokateur, der darauf dringt, ,das sind
doch alles Rassisten’, und ‚eigentlich kann man doch da gar nichts machen’. Es ist manchmal
nicht ganz einfach.“ (b-MBT 4, 93-96)
Die Zusammenarbeit mit den Netzwerkstellen ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Dies
hängt auch mit den nicht klar definierten unterschiedlichen Aufgabenbereichen sowie der
jeweiligen Schwerpunktsetzungen der Netzwerkstellen zusammen. Gelingt zwischen MBT
und NWS eine Abgrenzung und verlässliche Absprache über die Zuständigkeiten, dann kann
es auch zu einer konstruktiven Zusammenarbeit kommen. So werden beispielsweise in einem
Fall die NWS gezielt in größere Beratungsprozesse einbezogen. Wenn dann der Beratungsprozess eine gewisse Stabilität hat, übergibt das MBTs – aufgrund ihrer Arbeitsüberlastung
und anderer dringlicher Anfragen – die Moderation des von dem MBTs aufgebauten Netzwerkes an die NWS in der Region.
„Wir sind mit den Netzwerkstellen so verblieben, wenn wir merken, der Prozess ist an einem
gewissen Punkt, wo es vielleicht für uns nicht mehr unbedingt erforderlich ist, dass wir die
Moderation oder die große Begleitung machen, das übergeben wir dann den Netzwerkstellen.
Die Netzwerkstellen versuchen dann, die Akteure vor Ort zu bündeln und aus dem, was wir
initiiert haben, etwas weiterzuentwickeln.“ (b-MBT 4, 241-246)
Neben positiven Beispielen einer guten Zusammenarbeit wird aber auch davon berichtet, dass
es mit manchen Netzwerkstellen keine Zusammenarbeit gibt.
„Und der Netzwerker in ((Ort)) hat wirklich die Orientierung nur auf sein Gebiet, kooperiert
natürlich in friedlicher und deutlicher Eintracht mit uns, wenn das angesagt ist, hat überhaupt nicht diesen Ansatz, den zum Beispiel ((Namen von Mitarbeitern anderer NWS)) haben,
die ja ganz klar sagen: ‚Wir sind für eine bestimmte Region zuständig und gucken erst mal,
wer sind da die ganzen Akteure, und arbeiten dann ganz eng mit dem MBT auch zusammen.’
Das ist bei uns und der Netzwerkstelle in ((Ort der NWS)) gar nicht so, also ((Name des
Netzwerkers)) agiert da so ein bisschen autark vor sich hin, macht eine gute Arbeit, aber ist
gar nicht so in der Fläche wirksam. Und wir haben auch wenig Berührungspunkte miteinander.“ (b-MBT 5, 503-511)
Eine systematische und kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Kleinprojekten des CIVITAS-Programms oder gar mit Projekten des entimon- oder des Xenos-Programms kann anhand der Aussagen der MBTs nicht festgestellt werden. Die MBTs suchen in der Regel ihre
Kooperationspartner danach aus, wer für sie in den jeweiligen Regionen für die Beratungsprozesse wichtig ist. Es kann anhand des Datenmaterials letztlich nicht geklärt werden, weshalb anscheinend ein Teil der Projekte nebeneinander her arbeitet. Ein wesentlicher Grund
scheint aber zu sein, dass die Förderung nicht genug darauf ausgerichtet ist, in bestimmten
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
131
Kommunen oder Regionen einen aufeinander bezogenen und miteinander verzahnten Projektzusammenhang zu fördern. In solch einem kommunalen Interventionsnetzwerk könnten
jeweils einzelne Projekte in Abstimmung mit anderen Projekten mit spezifischen Interventionsstrategien bestimmte Bedarfe abdecken und sich gegenseitig ergänzen. Dies würde eine
sehr genaue Kenntnis der lokalen Gegebenheiten voraussetzen, damit eine darauf zugeschnittene Förderstrategie entwickelt werden kann. Dabei könnten die MBTs die Rolle der
Experten für die lokale Bedarfslage übernehmen; seitens des Programms wäre aber ein operatives Vorgehen zur Identifizierung von sinnvollen Projekten notwendig.
3.5.4.2
Zusammenarbeit der MBTs untereinander
Es hat sich eine unterschiedlich starke Zusammenarbeit zwischen einzelnen MBTs des CIVITAS-Programms und auch dem MBT Brandenburg herausgebildet. Diese Zusammenarbeit ist
auf der Arbeitsebene nach Beurteilung der Materiallage als eine bilaterale und punktuelle
Kooperation zu betrachten, die auf inhaltliche Übereinstimmungen und insbesondere auf
gewachsene Kontakte sowie auf Sympathien zurückzuführen ist. Ein Team hat z.B. eine Hospitation beim MBT Brandenburg durchgeführt, woraus ein weiterer fachlicher Austausch
hervorging. Andere Mitarbeiter/innen haben zuvor bei einem anderen MBT gearbeitet und
haben so noch Kontakte zu früheren Mitarbeiter/innen.
In den Bundesländern, in denen zwei MBTs unterschiedlicher Träger arbeiten, lassen sich
sehr deutliche Differenzen in der Zusammenarbeit feststellen. In einem Fall ist es trotz zunächst schwieriger teaminterner Voraussetzungen gelungen, dass sich die beiden Teams als
gemeinsam operierendes MBT verstehen und auch so organisiert sind. So gibt es eine funktionierende territoriale Aufteilung des jeweiligen Einsatzgebietes einerseits und der gemeinsam
zu erfüllenden Aufgaben und Zuständigkeiten andererseits. Dies hat sich in positiver Weise
in einer gemeinsamen Antragstellung für die Kofinanzierung beim Land niedergeschlagen,
die auch zusammen durchgefochten wird. Ohne dies im Detail beurteilen zu können, konnte
die „übliche“ Konkurrenzsituation zwischen zwei Trägern durch eine produktive Teamzusammenarbeit überwunden werden. So werden auch die Teamsitzungen gemeinsam durchgeführt und die Öffentlichkeitsarbeit in großen Teilen gemeinsam gestaltet. Sowohl die Koordinatoren als auch die Mitarbeiter/innen beider Teams sehen einen wesentlichen Grund für
diesen Erfolg darin, dass sie nur eine flache Hierarchie haben und alle Mitarbeiter/innen
durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung auch Funktionen (z.B. Gespräche mit Vertretern
der Landespolitik) mit übernehmen, die bei hierarchisch aufgebauten Organisationen die Leitungsebene übernimmt. Wichtig zum Verständnis dieses Falls ist es aber zu wissen, dass bei
einem anderen Team zuvor ein hierarchischer Führungsstil zu einer unproduktiven bis blockierenden Arbeitweise geführt hat. Diese konnte durch einen Personalwechsel behoben werden.
In einem anderen Fall haben die beiden MBTs es nicht geschafft, ihre Arbeitsgebiete territorial oder nach eindeutigen Zuständigkeiten in produktiver Weise aufzuteilen. Ohne näher ins
Detail zu gehen, wurden von beiden MBTs in den Interviews Schwierigkeiten in der Absprache der Zuständigkeiten der Teams genannt. Diese Konflikte führten auch zu Irritationen bei
anderen CIVITAS-Projekten. Durch einen regelmäßigen Austausch auf der Geschäftsführerebene der beiden Träger unter Einbeziehung der Koordinatoren hat sich eine Verbesserung
der Zusammenarbeit entwickelt. Allerdings konkurrieren beide MBTs bei der Akquirierung
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
132
der Kofinanzierungsmittel und treten so den Vertretern der Landespolitik und Landesverwaltung als zwei konkurrierende Bewerber desselben Bundesprogramms gegenüber.
Überregional gibt es eine Vernetzung der CIVITAS geförderten MBTs unter Einschluss des
MBT Brandenburg durch regelmäßige Treffen der Leiter/innen bzw. der Koordinatoren der
MBTs. Des weiteren gibt es noch eine AG „Qualität“ und eine AG „Analyse“, in denen jeweils Mitarbeiter/innen der verschiedenen MBTs mitarbeiten. Inwieweit gerade die beiden
letzten AGs für die konkrete Arbeitspraxis der Berater/innen eine Relevanz haben, ist schwierig zu beurteilen. In den Interviews werden sie nur selten als Bezug für die eigene Arbeit
erwähnt.
Öffentliche Resonanz auf Mobile Beratung
Ein weiterer Erfolg wird darin gesehen, dass die MBTs Prozesse anstoßen, die in der Medienöffentlichkeit dann auch wahrgenommen werden.
„Das ist ein Erfolg. Wenn in der Zeitung was zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus
drinsteht, wenn wir wissen, wir haben das mit angestoßen, dass in der Kommune da was läuft.
Wenn da was öffentlich gemacht wird. Wenn wie in ((Ort)) eine öffentliche Veranstaltung zu
Rechtsextremismus im Rathaus stattfindet und verschiedenste Leute der Kommune, auch Entscheidungsträger, wie aber auch Nachbarn und das alles, auf dieser Veranstaltung sitzen, obwohl das Sonntag Nachmittag um drei ist! Das ist auch ein Erfolg. Wenn die Landesregierung
in ((Bundesland)) ((Name MBT)) erwähnen muss in bestimmten Zusammenhängen. Dann ist
das ein Erfolg!“ (b-MBT II L, 1768-1775)
Insbesondere in der letzten Zeit haben einige MBTs durch eine gute Lobbyarbeit und ihrer
anerkannten Arbeit bei Verantwortungsträgern aus Politik und Verwaltung auf Landesebene
Zuspruch bekommen. Dies scheint sich im Einzelfall auch positiv auf eine mögliche Kofinanzierung durch das Land bzw. der nachdrücklichen Befürwortung der MBTs auszuwirken.42
3.5.5 Nachhaltigkeit und „manifeste“ Ergebnisse
Auch zu den Einschätzungen, welche Interventionen eine nachhaltige Wirkung haben, gibt es
eine Vielzahl von Aussagen, die in der Regel aber sehr allgemein bleiben. Konkretisierungen
werden in Hinblick auf Folgen der Vernetzungsarbeit und Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen gemacht. Dabei wird – wie im folgendem Zitat – eine Rückkopplung zu dem
Grundansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ hergestellt. Wenn diejenigen, die durch Beratung sensibilisiert und zur Eigenaktivität angeregt wurden, selbst ohne fremde Unterstützung weiterhin
für das Thema sensibel sind und/oder sich weiterhin engagieren, dann kann von Nachhaltigkeit der Beratungsarbeit gesprochen werden.
Es ist ja auch eine Annahme, dass nur das, was die Leute vor Ort, wenn sie dann dazu befähigt sind, selbst durchführen können, auch nachhaltig ist. Nur, wenn die selbst in der Lage
sind, dauerhaft aktiv zu sein, kann man davon sprechen, dass da wirklich nachhaltig etwas ge-
42
Die öffentliche Resonanz auf CIVITAS-Projekte sowie die Interaktionen der CIVITAS-Projekte mit
kommunalen Akteuren auf der einen und Projekten der Bundesprogramme CIVITAS, entimon und
Xenos auf der anderen Seite sollen ab 2004 in den kommunalen Kontextanalysen näher untersucht
werden.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
133
schehen ist, dass also die Zivilgesellschaft aktiv wird. Deswegen ist gerade dieser Fortbildungs-, Aufklärungs-, Aktivierungsaspekt wichtig.“ (b-MBT 6, 913-918)
„Nachhaltigkeit hat auch was zu tun damit, alle in der Kommune wissen: ‚Wir haben hier ein
Bündnis.’ Oftmals ist das ja überhaupt nicht bekannt. Warum haben wir ein Bündnis? Was ist
die Geschichte dazu? Das ist langfristiges Arbeiten und da ist halt dieses ,Hilfe zur Selbsthilfe´, dass wir uns überflüssig machen. Dass Leute, das klingt völlig arrogant, selber denken
können zu diesem Thema. Aber wenn man sich als Experte in diesem Bereich als Projekt sieht,
dann finde ich, kann man das schon auch formulieren. Dass die Leute zu dem Thema selber
denken sollten.“ ( b-MBT II L, 1789-1794)
Es bleibt allerdings in den meisten Fällen völlig offen, wie es – mindestens konzeptionell und
vom Vorgehen her – erreicht werden kann, dass die anvisierte Nachhaltigkeit auch erzielt
wird. So wird unter nachhaltiger Beratung im folgenden Fall verstanden,
„die Menschen vor Ort zu befähigen, effektiver gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Und
das möglichst nachhaltig. Wenn ein Problem gelöst ist, und fünf Jahre später wieder eins
kommt, sollen sie möglichst auch dann noch in der Lage sein, aufgrund ihrer Erfahrungen, ihres Wissens, ihrer Kontakte, sich weiterhin positionieren oder was unternehmen zu können.“
(b-MBT 6, 990-994)
A: „Professionalisierung, das ist etwas ganz Wichtiges, was wir vergessen haben, Professionalisierung der Akteure. Das ist im weitesten Sinne das, was ((Name der Kolleg/in)) beschrieben hat, ,Hilfe zur Selbsthilfe´. Dass es möglich wird, sich aus Prozessen raus zu ziehen und
sich ersetzbar zu machen.“
B: „Das gewährleistet unserer Meinung nach Nachhaltigkeit, weil wenn die Leute selbst fähig
sind, aktiv zu werden, und an so einer Sache lernen, Leute kennen lernen und sich mit anderen
vernetzen, können sie bei neuen Problemen, die in anderen Fällen entstehen, dass das nächste
Mal selbst machen.“ (b-MBT 6, 920-931)
Bei Nachfragen zu den Möglichkeiten der Verstetigung wird von einem Teil der Befragten
die Professionalisierung und Vernetzung der Akteure vor Ort angeführt. Von den Befragten
wird auf die Schwierigkeit hingewiesen, dafür belegbare Daten anzuführen.
„Zum einen die Akteursebene, da hast du (der Kollege; der Autor) eben schon gesagt, Professionalisierung der Akteure, ,Hilfe zur Selbsthilfe´, Vernetzungsprozesse anregen, langfristige
Vernetzung und sinnvolle Vernetzungsprozesse anzuregen, die den Akteuren auch helfen. Und
dann gibt es natürlich die Fallebene, oder die Ebene ,Bekämpfung von Rechtsextremismus´.
Und ich denke, dass diese Ebene sehr viel schwieriger zu untersuchen ist als die Akteursebene. Da kann man zählen, wie viele Akteure haben wir dazu gewonnen, und man kann
schauen, wie viele Veranstaltungen haben die inzwischen ohne uns organisieren können, oder
wie oft hat sich dieses Netzwerk in letzter Zeit getroffen. Und das ist auf der Ebene des
Rechtsextremismus schwieriger.“ (b-MBT 6, 996-1006)
Der im Zitat angesprochene Weg, die Zahl der hinzu kommenden Akteure und die Anzahl der
Veranstaltungen zu zählen, ist mit Skepsis zu betrachten. So wird auch in einer Gruppendiskussion mit den MBT-Leiter/innen darauf hingewiesen, dass es oft keine Hinweise gibt, warum die Leute sich gerade jetzt engagieren. Dies muss keineswegs auf die Beratungsarbeit
zurückgehen, sondern kann ganz andere Gründe haben, die auch nicht einen politischen Hintergrund haben müssen (vgl. b-MBT GD 2, 607ff.).
Einigen MBTs ist es gelungen, kommunale Einrichtungen zu beraten und/oder mit ihnen
Projekte durchzuführen. So konnte ein MBT in einer Großstadt eine Straßenbahn mit Informationen und Anregungen zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus gestalten. Aus
der Zusammenarbeit mit den Verkehrsbetrieben ist dann eine Fortbildung der Fahrer zum
Umgang mit rechtsextremen Provokationen entstanden. Die Nachhaltigkeit solcher Prozesse
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
134
lässt sich schwer bestimmen, aber das Zustandekommen von Entscheidungen und Veränderungen ist mit auf die Beratungsarbeit der MBTs zurückzuführen.
„Es gibt Dinge, die bleiben, wo Leute mithilfe von unserer Beratung eine Entscheidung getroffen haben. Die einen Fakt geschaffen haben, z.B. den Jugendklub zuzumachen in ((Ort)),
oder die Frage, wie z.B. in ((Ort)), dass sich eine Stadtverwaltung der Jugend nochmal in einer anderen Form nähern muss als wie sie es bisher getan haben, dass es auch Arbeit ist, sich
mit den Menschen zu beschäftigen, die in dem Ort leben, und wenn sie halt jung sind. Das sind
Dinge, die durchaus bleiben. Die Frage ist, inwieweit wir, in welcher Form wir da mit dran
gewirkt haben, die Frage kann man nicht beantworten. Ich denke, es gab da Fünkchen, wo wir
mitgeholfen haben.“ (b-MBT 0, 1197-1204)
Auffallend ist bei den Interviews, dass die Teams, die – wie auch das oben erwähnte Team –
mit einem Teil ihrer Beratungsprozesse einiges bewegt und erreicht haben, bei der Einschätzung der Nachhaltigkeit mit sich und den Möglichkeiten Mobiler Beratung sehr kritisch sind.
Dennoch sehen auch sie, dass die von ihnen angelegten Prozesse bisher positive Entwicklungen nehmen. Wo sie letztlich hinführen, können sie nicht steuern. Dies liegt in der Hand der
Akteure vor Ort. Hinter dieser Zurückhaltung verbirgt sich nicht selten eine sehr reflektierte
Haltung, die – wie im folgenden Fall – auf die Eigenaktivität und Demokratisierungsfähigkeit
der Akteure vor Ort vertraut.
„Ich glaube schon, dass es eine gewisse Nachhaltigkeit hat, wenn Leute anfangen aufzustehen,
sich zu bewegen, mal raus aus ihren vier Wänden, sich mit anderen zusammensetzen, was sie
vorher vielleicht nie gemacht haben. Das haben wir jetzt in ((Ort)), dass Mütter anfangen,
sich so für ihre Kinder zu engagieren, dass es für die Täter unangenehm wird. Dass das dann
in die Kommune ausstrahlen wird, oder sich rumspricht in so einer Region, hier sind die Bürger wachsam, hier müssen wir uns (...). Das ist immer das Schwierige mit dieser Nachhaltigkeit, die Rechten suchen sich dann ein anderes Aktionsfeld.“ (b-MBT 4, 1798-1805)
Trotz der Erfahrungen von Misserfolgen sehen die MBTs mit unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Regel ihre Arbeit als erfolgreich an. Durch intensive Beratungsprozesse sind
nach ihren Erfahrungen in Regionen, wo sie tätig waren, positive – wenn auch oft nur kleine
– Veränderungen zu verzeichnen. Insbesondere eine Sensibilisierung und eine deutlich gesteigerte Nachfrage lassen sich – nach Auskunft der MBTs – auch in Regionen mit schwierigen Rahmenbedingungen feststellen.
„Eines der Ziele ist zum Beispiel auch, einen demokratischen Diskurs anzustoßen. Auch so eine Sensibilität für das Thema erstmal zu wecken in bestimmten Regionen. Also das ist ein Ziel,
was ich auch nach wie vor sehe. Ganz klar neben dem auch Stärkung von zivilgesellschaftlichen Strukturen. Wo ich auch denke, zum Teil funktioniert das. Aber ganz kleine
Schritte. Ich sage mal so, diese Sensibilität zum Thema, da habe ich auch das Gefühl, so nach
und nach, auch durch die Präsenz von Mobilen Beratungsteams auch manchmal, ich sage
mal, gegen den Widerstand von vielen, die sich dann doch nicht wirklich mit dem Thema auseinandersetzen müssen, gelingt es doch, das zu erreichen. Also so, dass dann doch irgendwie
immer mehr Leute auch ankommen und fragen: ,Könnt ihr nicht mal irgendwie hier auch eine
Fortbildung machen oder eine Beratung oder...´ Also verschiedenste Formen, sich mit dem
Thema auseinander zusetzen. (...) Da bräuchte man so die vergleichende Analyse und Blick
auf die letzten Jahre zum Teil. Aber ich glaube, dass es die zum Teil so nicht gegeben hat in
bestimmten Regionen.“ ( b-MBT II L GD 2, 514-526)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
135
3.5.6 Misserfolge
Von einem Teil der MBTs werden ebenfalls Misserfolge angeführt. Auch bei der Einstufung
von Misserfolgen gibt es eine heterogene Spannbreite. So wird es mehrmals als ein Misserfolg angesehen, wenn aufgebaute Kommunikationsprozesse wieder zusammenbrechen. Dabei
ist keineswegs immer auf das Vorgehen der MBTs zurückzuführen. So können zwischen den
Akteuren vor Ort noch andere zum Teil nicht durchschaubare Konflikte (aus der Vergangenheit) schwelen, die in der Auseinandersetzung um das Thema Rechtsextremismus wieder
hervortreten oder andere (persönliche) „Befindlichkeiten“ zwischen Akteuren auftreten, die
die Kommunikation zwischen wichtigen Verantwortungsvertretern aus Politik und Verwaltung erschweren.
„Ein gravierender Misserfolg ist, wenn ein Kommunikationsproblem nicht zu lösen ist. Also
wenn es einfach dabei bleiben soll (...) Also, wo man sagen kann, das hat überhaupt nichts mit
dem Team zu tun, sondern das hat eine Vorgeschichte überhaupt mit diesem Thema. Und was
wir nie lösen werden! Also da sind einfach Befindlichkeiten da, und da könnte man noch so
was machen, die werden sich nicht lösen. Und das finde ich dann schon einen Misserfolg.“ (bMBT II L, 1811-1816)
In einem anderen Fall wurde der Beratungsprozess abgebrochen, weil die Kommunikation
festgefahren war bzw. der Beratungsprozess nicht weiter kam. Die bewusste und artikulierte
Beendigung der Beratung führte dann aber wieder zu einer Aufnahme der Kommunikation.
Dieses Vorgehen kann – so auch Hülsemann – in manchen Fällen geradezu wieder eine Belebung der Auseinandersetzung fördern.
„Nein, einen richtigen Misserfolg gibt es in dem Sinne nicht, weil die meisten Leute, mit denen
wir bisher etwas gemacht haben, mit denen haben wir immer noch eine Kommunikation zu
dem Thema. Es gab verschiedene Einzelschritte, wo wir sagen können, das ist abgeschlossen,
bei dem Beispiel ((Ort)) kann man sagen, der Zwischenschritt, den haben wir selber abgebrochen, weil wir gefunden haben, dass es dort sinnlos ist, das ist vielleicht eine Form von Misserfolg, aber es gibt dann eine neue Form von Kommunikation. Die Leute haben uns offensichtlich nicht vergessen. Jetzt wollen sie wieder etwas. Es gibt da wieder einen Neuanfang.“
(b-MBT 2, 1177-1184)
Ein Berater sieht einen Misserfolg darin, dass sich das MBT intensiv um eine politische Positionierung eines Bündnisses gegen eine rechtsextreme Demonstration bemüht hat; die Akteure vor Ort sich aber letztlich nicht mit den diskutierten Inhalten und Formen identifizieren
wollten.
„Wenn man zu einer Nazidemo, die groß angekündigt war und die auch gute Resonanz gefunden hat, also die gut besucht war, man lange Bündnisarbeit vorher unterstützt und begleitet
hat, auch öffentliche Veranstaltungen dazu mitgemacht hat, also Wissensvermittlung, im Gremium, im städtischen Gremium dann dort diskutiert hat, inwieweit man denn sich politisch positionieren kann, darf und muss auch als Stadtverwaltung und so was. Und viele winzige
Schritte gegangen ist, und es gab auch eine Zeitungsannonce mit dem Versuch einer Positionierung der Stadtverwaltung auf den Weg gebracht hat. Und dann aber das ,Bündnis gegen
Rechts´, was es da schon viel länger gibt und was eigentlich auch so eine Dynamik eine andere hat, dann aber zu der großen Gegenveranstaltung soviel Zeit und Energie rein verwendet, ein Riesentransparent zu malen, wo drauf steht: ,Das ist keine politische Veranstaltung´.
Da steht man schon mal immer da und denkt: ,Warum diese Zeit, Kraft da hinein, wenn Diskussionen gelaufen sind, die auch mitgekriegt haben, und die Stadtverwaltung, die versucht
hat, das Thema Rechtsextremismus und Rassismus nicht Neutralität bedeutet, und warum
muss man da dieses Riesentransparent malen?´ Aber man kann nicht hingehen und es abreißen.“ (b-MBT II L 1837-1850)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
136
Hier wird deutlich, dass die Bewertung als Misserfolg auch mit der Rollenauffassung und
dem politischen Selbstverständnis sowie den damit verbundenen Erwartungen der Berater/innen zusammenhängen kann. Es ist im vorliegenden Fall nicht klar zu trennen: wo ist der
Berater bzw. die Person „Berater“ in einem klientenorientierten Prozess und wo sieht die
Person sich als Akteur und möchte ihre politische Auffassung durchgesetzt wissen. Letztere
Position hat durchaus – in einem anderen Feld mit einem anderem Auftrag – in einer politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ihre Berechtigung. In einem auf die
Ressourcen und Anliegen der Akteure zugeschnittenen klientenorientierten Beratungsansatz
ist hingegen ein distanzierteres Vorgehen eher geeignet, dem partizipativen Anspruch Mobiler Beratung gerecht zu werden.
3.5.7 Fazit
Auch wenn sich die Wirkungen der Beratungsarbeit nicht messen und konkret benennen lassen, kann doch festgehalten werden, dass, nach Beurteilung der MBTs durch Mobile Beratung, positive Prozesse in Gang gesetzt wurden. Neben dem in Kapitel (2.) behandelten
Strukturaufbau, hat der Ansatz der Mobilen Beratung die Potenz, auch unter schwierigen
Rahmenbedingungen über eine Sensibilisierung zu einer Befähigung von Eigenaktivität beizutragen. So lässt sich in den Augen der großen Mehrheit der Befragten eine Zunahme an
Aktivierung auch bei den Personengruppen feststellen, die bis dahin eher nicht angesprochen
werden konnten. Manchen MBTs ist es so in größeren kommunalen Beratungsprozessen gelungen, unterschiedliche Personenkreise und auch verschiedene Einrichtungen und Organisationen in einen durch sie vermittelten Kommunikationsprozess einzubeziehen. Diese positiven Ergebnisse konnten insbesondere bei den Beratungsansätzen festgestellt werden, die mit
ihrem moderierenden Rollenverständnis43 die Klientenorientierung nach ihren Darstellungen
auch in der Beratungspraxis konsequent durchhalten. Der auf die direkte Auseinandersetzung
oder Zurückdrängung des Rechtsextremismus und in einer politischen Gegnerschaft orientierte Ansatz erreicht hingegen das Spektrum, was bereits sensibilisiert ist. Es kann dann zu
einer intensiven Förderung und Stärkung dieses (Bewegungs-)Milieus kommen, wobei die
Aussichten auf eine breite und viele verschiedene Akteursgruppen umfassende Bündnis- und
Netzwerkbildung aber begrenzt sind.
Insgesamt ist es nach der Darstellung der Befragten dem Ansatz Mobiler Beratung – wenn
auch in unterschiedlichem Ausmaß – gelungen, eine zivilgesellschaftlich orientierte Auseinandersetzung zu befördern. Dennoch sind gleichzeitig Vorgehensweisen zu verzeichnen,
die sich in einer politischen Gegnerschaft zum Rechtsextremismus „verbeißen“ und dabei die
Folgen ihres Handelns zu wenig abschätzen.
43
Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass bei ein und dem selben MBT sowohl der offene moderierende als auch der polarisierende und auf politische Gegnerschaft orientierte Ansatz auftreten kann.
Diese beiden „Grundströmungen“ können selbst bei ein und der selben Person in unterschiedlichen
Situationen angewendet werden. Dennoch lassen sich zwischen den Teams deutlich feststellbare Akzentuierungen und Prioritätssetzungen zwischen den einzelnen Auffassungen von Mobiler Beratung
feststellen.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
137
4 Vergleichende Fallbeschreibung zweier Beratungsprozesse
4.1 Auswahl der beiden Mobilen Beratungsteams
Für die Auswahl der beiden MBTs war primär entscheidend, dass sie aus verschiedenen Flächenländern kommen und mit ihrem Beratungsangebot in Regionen, Orten oder Einrichtungen tätig sind, wo es im besonderen Maße der Entwicklung und Stärkung zivilgesellschaftlicher Kompetenzen bedarf. Es sollten deshalb möglichst einige der im Kapitel 2 beschriebenen Problemlagen gegeben sein,44 um so im konkreten Beratungsfall die Wirkungsmöglichkeiten Mobiler Beratung und einige Reaktionen darauf beobachten zu können. Ein weiteres
Auswahlkriterium war, dass nach den zum Erhebungszeitpunkt möglichen Einschätzungen
diese beiden MBTs eine Aussicht auf einen Fortbestand nach dem 31.12.03 haben könnten,
um auch darüber hinaus langfristige Beratungsprozesse begleiten zu können. Zwar kann auch
jetzt noch nicht definitiv gesagt werden, ob beide MBTs über die Modellphase hinaus weiter
gefördert werden, dennoch haben die beiden Träger der MBTs positive Voten seitens der
jeweiligen Landesregierung für das Jahr 2003 erhalten und können auf eine gute Resonanz
ihrer Arbeit in den Regionen verweisen. Ein nicht unerheblicher Grund für die Auswahl der
beiden Kleinteams war zudem, dass in ihren Einsatzgebieten auch die anderen Strukturprojekte in einer gewissen Dichte tätig sind und so ab 2004 die Zusammenarbeit und Interaktionen zwischen den Strukturprojekten intensiver betrachtet werden können.
Im folgenden werden die zum Verständnis des Beratungsprozesses wichtigen Hintergründe
und Problemkonstellationen zunächst für das erste Fallbeispiel (Fall A in A-Stadt) beschrieben. Dem schließt sich eine Analyse und Bewertung einzelner Vorgehensweisen an. In gleicher Weise wird das zweite Fallbeispiel (Fall B in B-Stadt) behandelt. Bei den Beschreibungen wird zu ungunsten der Schilderungen von einigen Details und Besonderheiten darauf
Wert gelegt, dass die Fälle nicht erkennbar sind. Deshalb werden die beiden MBTs auch anders als bisher vercodet (b-MBT A für Fall A und b-MBT B für Fall B).
Ziel des Fallvergleichs ist es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Tätigkeiten und
Vorgehensweisen zweier Kleinteams anhand eines konkreten Beratungsfalls herauszustellen.
Dabei sollen die jeweiligen Stärken und Schwächen der MBTs herausgearbeitet werden, um
so zu allgemeingültigeren Aussagen zu der Leistungsfähigkeit des Ansatzes „Mobile Beratung“ zu gelangen.
44
Zu diesen Problemlagen und Gegebenheiten gehören insbesondere das Vorhandensein rechtsextremer Erscheinungen bei einer zunächst mangelnden Wahrnehmung dieser sowie defizitäre Strukturen in
der Regelarbeit (z.B. im Jugendbereich) und ein zu Beginn des Beratungsprozesses geringes zivilgesellschaftliches Engagement.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
138
4.2 Beschreibung Fall A
4.2.1 Lokale Rahmenbedingungen und Anlass der Mobilen Beratung
In der Kleinstadt A mit 6.000 Einwohnern ist nach Auskunft des MBTs eine Gruppe von
rechtsextremen Jugendlichen zu verzeichnen, von denen einige einer Kameradschaft angehören sollen. Das Verhalten dieser vom MBT nicht weiter differenzierten Gruppe rechtsextremer Jugendlicher war Ende 2001 mit verantwortlich für die Schließung einer Jugendeinrichtung.
Wie auch in anderen Regionen ist in A Stadt und ihrer Umgebung eine hohe Arbeitslosigkeit
von ca. 27% zu verzeichnen. Viele der gerade besser qualifizierten Jugendlichen wandern
wegen des Mangels an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen ab. In dem Ort ist eine größere Anzahl von Spätaussiedlern aus Russland, Kasachstan und anderen östlichen Ländern angesiedelt worden, die in einer Plattenbausiedlung abgeschottet leben und nach Auskunft des Bürgermeisters nicht ins soziale Leben der Stadt eingebunden sind. Nach Auskunft eines Beraters des zuständigen MBTs, der sich intensiv mit dem Fall befasst hat, ist der „soziale
Sprengstoff“ groß, der zwischen der autochthonen Bevölkerung und den Spätaussiedlern
besteht.
In der dörflich strukturierten Kleinstadt war es auch zu öffentlichen Manifestationen und
Demonstrationen von organisierten Rechtsextremen gekommen. Diese Demonstrationen
wurden alljährlich an dem Todestag „eines Kameraden“ durchgeführt, der in einer gewalttätigen Auseinandersetzung von einem 15-jährigen Jugendlichen ausländischer Herkunft erstochen worden war. Vorausgegangen war, dass aus einer Gruppe von ca. 20 Skinheads auf einem Markt in der Kleinstadt die Eltern des Jugendlichen mit rassistischen Parolen angepöbelt
wurden und die Warenauslage umgeworfen wurde. Daneben gab es in den letzten Jahren in
der näheren Umgebung der Stadt Skinheadkonzerte, zudem waren auch massive Gewalttaten
von zur rechtsextremen Clique gehörenden Jugendlichen zu verzeichnen.
Im Spätherbst 2001 wurde das MBT von einer engagierten Pastorin im Vorfeld des ersten
Trauermarsches für den getöteten rechtsextremen „Kameraden“ angesprochen. Um sich ein
eigenes Bild von den Gegebenheiten vor Ort zu machen, nahm das MBT zunächst Kontakt
zum Bürgermeister sowie zur Schulleitung einer Mittelschule auf.
Nach Auskunft der beiden Berater/innen des MBT gab es in der Stadt erhebliche Kommunikationsprobleme zwischen wichtigen Akteuren. So zeichneten sich zwischen dem Bürgermeister, der auch schon zur DDR-Zeit dieses Amt inne hatte, und der Direktorin der Mittelschule, an der der Bürgermeister selbst einmal Lehrer gewesen war, sowie zwischen diesen
beiden und der Pastorin kommunikative „Barrieren“ ab. Hinzu kommt, dass die Pastorin aus
den alten Bundesländern kommt und engagiert ins soziale Leben der Stadt eingreift. Diese
Art von sozialen „Befindlichkeiten“ und aus der Vergangenheit stammender Konflikte scheinen – wie die Auskünfte auch anderer MBTs belegen – für Beratungsprozesse in solch einem
kleinstädtischen oder dörflichen Milieu typisch zu sein.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
139
4.2.2 Tätigkeiten des MBT A
Nach den ersten Gesprächen zeichnete sich bald ab, dass die Jugendarbeit in der Stadt überdacht und ein Neuanfang gemacht werden musste.45 Die Pastorin hatte zu einer Neukonzeptionierung der Jugendarbeit zwei potenzielle Jugendhilfeträger, einen Landtagsabgeordneten,
eine Vertreterin eines Wohlfahrtsverbandes und einen Sozialarbeiter aus einer anderen Stadt,
der die rechtsextreme Szene in der Region gut kennen sollte sowie das MBT eingeladen. Das
MBT warb von Anfang an dafür, dass die an einem neuen Konzept der Jugendarbeit interessierten Personen versuchen sollten, die Stadt mit „ins Boot“ zu holen. Dabei stellte sich die
externe und neutrale Rolle des MBTs als positiv heraus. Die Berater/innen konnten zwischen
den einzelnen Personen vermitteln und eine an der Sache orientierte Zusammenarbeit herstellen. Der Bürgermeister, der nach Auskunft des MBT in einem ersten Gespräch von „fehlerzogenen und fehlgeleiteten Jungs“ (b-MBT A, 183)46 sprach, war auch zu einem Neuanfang
in der Jugendarbeit bereit und sagte seitens der Stadt Räumlichkeiten zu.
Auch an der Entwicklung der Konzeption beteiligte sich das MBT mit hohem Engagement.
Der Einbezug von Jugendlichen erfolgte nach Darstellung des MBT durch eine Art Zukunftswerkstatt und einer Stadterkundung, mit der die Jugendlichen die Freizeitmöglichkeiten
und die Haltungen der Bevölkerung gegenüber den Jugendlichen und gegenüber einer neuen
Jugendeinrichtung erheben sollten. Für diesen Workshop wurde vom Bürgermeister der Ratssaal kostenlos zur Verfügung gestellt. Zudem eröffnete er die Veranstaltung, zu der ca. 30
Jugendliche (überwiegend aus der Mittelschule) kamen. Eine Vielzahl von interessanten Vorschlägen zu einer attraktiven Jugendarbeit wurden auch anwesenden Stadträten vorgestellt.
So sollte beispielsweise eine Bürgerversammlung durchgeführt werden, um mit den Bürgern
über die Anliegen der Jugendlichen und insbesondere mit den Anwohnern über Vorbehalte
gegen eine neue Jugendeinrichtung zu diskutieren. Um mit den Bürgern und vor allem den
Anwohnern ins Gespräch zu kommen, luden die Jugendlichen zu einer Grillparty ein. Die im
Rahmen der Erkundung und Zukunftswerkstatt entwickelten Ergebnisse wurden einer Konzeptionsgruppe übergeben.
Aufgrund der oben geschilderten Befindlichkeiten übernahm das MBT als externer und neutraler Akteur die Moderation dieser Konzeptionsgruppe, an der alle Akteure teilnahmen, die
beim ersten Treffen im Haus der Pastorin auch zugegen waren. Die Treffen fanden nicht wie
bisher im Pfarrhaus statt, sondern wurden an einen „neutralen“ Ort, dem Rathaus, verlegt. Zu
einer intensiveren Bearbeitung verschiedener Aspekte wurden drei Arbeitsgruppen gegründet: AG Trägerverbund, AG Rahmenbedingungen und AG Inhalt. Durch die intensive Unter-
45
In einer Zukunftswerkstatt mit Jugendlichen zum Thema „Wie will ich meine Freizeit in A-Stadt
gestalten und was brauche/n ich/wir dazu?“ wurde sichtbar, dass es einen großen Mangel an attraktiven
und bezahlbaren Angeboten für Jugendliche gab: kein Kino, keine Disko keine öffentlich zugängliche
Sporthalle und kommerzielle Angebote, die zu teuer sind, sowie Angebote außerhalb der Stadt können
von den nicht motorisierten Jugendlichen nicht genutzt werden.
46
Diese Einschätzung hat sich offenbar nicht geändert. So sind es für ihn „ungebildete dumme Jungs.
Die wissen nicht, was sie tun. Sie wissen vom Nationalsozialismus verdammt wenig und wissen aber,
dass das, was sie tun, verboten ist. Und das, was verboten ist, reizt hier die Jugendlichen besonders.“
(Interview mit dem Bürgermeister aus A-Stadt am 10.10.03, 109-112)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
140
stützung und Mitarbeit des MBTs konnte nach drei Monaten ein Konzeptionsentwurf für die
Jugendarbeit vorgelegt werden.
Zusammengefasst bestand die Hauptaufgabe des MBT A bis zu dieser Phase darin, die für die
Jugendarbeit wichtigen Institutionen einerseits und die sich um dieses Problem engagierenden Akteure andererseits in eine transparente Kommunikation einzubinden. Dabei übernahm
das MBT auch selbst viele der anstehenden Aufgaben.
„Die haben uns im Prinzip geholfen (...) bei der Konzeptionserstellung für den Jugendclub
((Ort)). Bei Stellenbeschreibungen, bei dem ganzen Organisatorischen, aber natürlich auch
inhaltlichen Aufbau. Also die waren richtig voll involviert. Also Sie wären normalerweise in
unserem Dreier-Träger-Verbund eigentlich die Vierten.“ (c-MBT A Koop 3, 37-41)
Trotz der immer wieder zum Vorschein kommenden Befindlichkeiten gelang eine an der
Sache orientierte konstruktive Zusammenarbeit. Das MBT war nicht nur beratend, sondern
auch gestaltend in einem intensiven Interaktionsprozess eingebunden. Ein Berater war zudem
mehr und mehr in die Rolle eines immer zur Verfügung stehenden Ansprechpartners gerutscht. Dabei versuchten einzelne Akteure den Berater für sich zu vereinnahmen.
„Das hängt alles an Befindlichkeiten. Und jedes mal nach so einer Sitzung, da kannst du darauf warten, kommt ((Name der Vertreter/in eines Trägers)) und sagt: ,Da hast du es wieder
mal gesehen. Mit der Schule kann man doch nicht zusammenarbeiten.´ Und das ist, das sehe
ich als ein riesen Problem. Und da habe ich auch immer mal Schwierigkeiten wirklich gehabt
mit meiner Rolle.“ (b-MBT A F 2, 102-107)47
Auch die Konstruktion eines Trägerverbundes geht auf die Initiative des MBT A zurück.
Trotz einer anfänglichen Zurückhaltung gelang es, selbst die Stadt mit einzubeziehen. So
konnte ein Trägerverbund von zwei Trägern aus einer benachbarten Stadt unter Einschluss
des Bürgermeisters gegründet werden. Von den beiden auswärtigen Trägern war bis dahin
nur einer in der Jugendarbeit tätig. Der einzige Träger der Jugendarbeit im Nordteil des
Landkreises, der die Trägerschaft der geschlossenen Einrichtung hatte, wurde nicht einbezogen, da es seitens der Stadt starke Vorbehalte wegen der Führung der ehemaligen Einrichtung
gab (vgl. c-MBT Koop 3). Sowohl das MBT als auch einige befragte externe Akteure sehen
aber die Verantwortung für die Schließung der Jugendeinrichtung nicht allein oder primär bei
dem Träger, sondern machen auch die Stadt mit ihrem zu geringen Engagement dafür verantwortlich.
„Ich hatte das Gefühl und das Gefühl bin ich auch heute noch nicht los, dass die Stadt ((Ort))
ihre Verantwortung für ihre Jugend eigentlich noch nicht erkannt hat. Im Prinzip würden sie
die Verantwortung gern abgeben. Und wir haben gerade auch durch die Hilfe von ((Name der
Beraterin)) und ((Name des Beraters)) dort auch erkannt beziehungsweise wir haben es schon
alle richtig erkannt, dass wir gesagt haben: ,Wir können die nur mit ins Boot nehmen. Dass
die halt ihre Verantwortung merken.´ Und das sind jetzt erste Schritte, dass sie das auch wirklich erkennen. Und da ist eben auch, dort sind auch vielfältige Gespräche durch die ((Name
der Beraterin)) und den ((Name des Beraters)) mit dem Bürgermeister gewesen. Er hat sich
47
Durch Supervision konnte der Berater dieses - generell auch bei anderen Berater/innen - auftretende
Problem von Nähe und Distanz und von moralischer und emotionaler Vereinnahmung für sich klären
(b-MBT A F 2, 107f.).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
141
auch sehr oft an die beiden gewandt. Die haben dort einen wesentlichen Anteil dran, dass das
jetzt erst mal wieder losgegangen ist.“ (c-MBT A Koop 3, 65-75)48
Auch konnte das zuständige Jugendamt einbezogen werden, wodurch dem Jugendhilfeplaner
die Brisanz der Jugendarbeit und die Notwendigkeit der Finanzierung einer Fachkraft nach
dem ortsüblichen Tarif (BAT Vc) vermittelt werden konnte.49
Entwicklung der Jugendeinrichtung und Rolle der zuständigen Träger und Mitarbeiter
Im Februar 2003 konnten sowohl ein Sozialarbeiter als auch zwei ABM-Kräfte aus ganz anderen Berufsfeldern eingestellt werden. Die ABM-Kräfte hatten nur eine befristete Anstellung von sechs Monaten und neben urlaubsbedingten freien Tagen noch ein sechswöchiges
Praktikum außerhalb der Einrichtung zu absolvieren. Die Stadt stellte Räume zur Verfügung,
die aber einer intensiven Sanierung bedurften. Ortsansässige Firmen beteiligten sich sowohl
materiell als auch durch die Übernahme von Sanierungsarbeiten an der Herrichtung der
Räumlichkeiten. Dem Sozialarbeiter gelang es zudem, eine Gruppe Jugendlicher für die Gestaltung der neuen Einrichtung zu gewinnen.
Die aktiv mitarbeitenden Jugendlichen entpuppten sich nach Darstellung des MBTs aber bald
als Kern bzw. Mitläufer der rechtsextremen Clique. So wurden noch während der Bauphase
das Tragen und Zeigen von rechtsextremen Symbolen sowie das Hören rechtsextremer Musik
untersagt. Die Jugendlichen versuchten, diese Verbote zu unterlaufen, indem sie die Unkenntnis und Unsicherheiten der Mitarbeiter/innen ausnutzten und diese gegeneinander ausspielten. Das Bemühen des Sozialarbeiters, die aufgestellten Verbote konsequent durchzusetzen, führten zunächst dazu, dass einer der Jugendlichen in der Mittelschule eine Unterschriftensammlung zur Entlassung des Sozialarbeiters durchführte. Nach Auskunft des MBTs wurde diese Unterschriftensammlung von der Lehrerschaft nicht zu einer Auseinandersetzung
genutzt, sondern es wurde abwiegelnd reagiert: „Ach der, aus dieser Ecke kommt das also.“
(internes Papier des MBT A).
Zur offiziellen Eröffnungsfeier der Jugendeinrichtung im April 2003 kamen die Verantwortungsträger der Stadt und der zuständigen Einrichtungen des Landkreises wie der Dezernent
für Jugend und Soziales des Kreises, der Jugendamtsleiter und der Jugendhilfeplaner, der
Bürgermeister und einige Stadträte, die beiden anderen Vertreter/innen des Trägerverbundes
sowie die Presse und Polizei. Selbst einige Anwohner/innen und viele Jugendliche der Stadt
waren da. Trotzdem erlebten die beiden Berater/innen die Eröffnungsfeier als herben Rückschlag ihrer Beratungsbemühungen, denn die rechtsextreme Clique von etwa 20-25 Personen
erschien im szenetypischen Outfit und setzte sich damit über alle Vereinbarungen hinweg.
Nach der Darstellung der Berater/innen trugen die überwiegend männlichen Jugendlichen mit
48
Die Stadt stellte im Jahr 2003 insgesamt 5000 Euro an Sachmitteln für die Jugendeinrichtung, insbesondere für die Renovierung, bereit. Nach Auskunft des Bürgermeisters ist für 2004 mit weniger Mitteln zu rechnen.
49
Der zuständige Jugendhilfe- und Sozialplaner, der sich sehr positiv über die Arbeit des MBTs äußerte, stellte aber heraus, dass er erst dann angesprochen worden war, als es um die Finanzierung der
Stelle für eine Fachkraft gegangen ist. So wünsche er sich für die Zukunft, dass er mehr und frühzeitiger in die Kommunikation einbezogen werde. Falls die beiden Berater/innen genügend Ressourcen
hätten, würde er eine noch stärkere Präsenz vor Ort für gut erachten (vgl. c-MBT Koop 1).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
142
„kurzen Haarschnitt“ Polohemden mit Thorshammer, Skrewdriver und Bündchen in den Farben der Reichskriegsflagge sowie T-Shirts u.a. mit der Aufschrift „Europa-Tournee von
1939-1945“. Von dem größten Teil der Anwesenden wurde dies nach Darstellung der Berater/innen nicht bemerkt bzw. es wurde nicht darauf eingegangen.
Die weitere Entwicklung kann hier nicht im Detail dargestellt werden. Die Geschichte lässt
sich in aller Kürze folgendermaßen beschreiben. Wenige Tage nach der Einweihungsfeier
hörten Jugendliche aus der rechtsextremen Clique bei dem ortsüblichen Flechten einer Maibaumgirlande indizierte rechtsextreme Musik bei gleichzeitig hohem Alkoholkonsum. Der
Sozialarbeiter versuchte vergeblich, dies zu unterbinden. Das MBT riet ihm, den Bürgermeister einzuschalten, der den Jugendlichen nach Auskunft des MBTs auch erlaubt hatte,
Alkohol zu trinken und für das später zu eröffnende Maibaumaufstellen zuständig war. Da
dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen konnte, wurde die Polizei eingeschaltet,
die einige indizierte CDs der Bands „Landser“ und „Skrewdriver“ beschlagnahmte. In der
folgenden Zeit versuchte der Sozialarbeiter mit einer von ihm aufgestellten und nach Auskunft des MBTs mit vielen und rigiden Sanktionen drohenden Hausordnung, das Tragen auch
von nicht gesetzlich verbotenen rechtsextremen Symbolen und anderer szenetypischer Äußerungsformen zu unterbinden. Einer der beiden Berater, der selbst über Erfahrungen in der
Jugendarbeit verfügt, versuchte durch viele Hinweise und Vorschläge, ihn zu unterstützen.
Das MBT führte etwa einen Monat nach Eröffnung der Jugendeinrichtung für alle Mitarbeiter/innen eine dreistündige Fortbildung durch. Nach Beurteilung des zur Verfügung stehenden Materials ging es dabei vor allem um eine Sensibilisierung der Wahrnehmung rechtsextremer Symbolik, einer Information über strafrechtlich verbotene Zeichen und darum, welche
Interventionsstrategien (z.B. im Rahmen einer Hausordnung) möglich sind. Dieses Informationsgespräch hatte auch zum Ziel, ein nach außen einheitliches Auftreten der Mitarbeiter/innen zu befördern. Der rechtsextremen Clique gelang es aber immer mehr und dreister,
sich gegen Verbote (insbesondere von Alkohol, aber auch von Symbolen) durchzusetzen und
den Sozialarbeiter sowohl in seiner Funktion, als auch als Person mit Missachtung gegenüber
zu treten. Dieser hatte zur Durchsetzung von Verboten mehrmals die Polizei eingeschaltet,
die ihn nach seiner Auskunft und der des MBTs bei der Durchsetzung des Alkohohlverbots
und anderer Verbote der Hausordnung nicht unterstützte.50 Jedenfalls wurde dadurch und
durch sein – nach Auskunft der drei Träger und des MBTs – ungeschicktes Agieren seine
Autorität völlig unterwandert (vgl. b-MBT A F 1, 244f.; c-MBT A Koop 2, 252-274).
Der Sozialarbeiter wollte sich in einem Interview nicht näher zu seinem früheren Arbeitgeber
äußern, dennoch scheint er nur Unterstützung insbesondere von einem Berater des MBTs
bekommen zu haben (vgl. c-MBT A Koop 6). Eine gezielte Fortbildung des Sozialarbeiters
und seiner Mitarbeiter/innen zum pädagogischen Umgang bzw. zur sozialen Arbeit mit
rechtsextremen Jugendlichen oder eine konzeptionelle Umsteuerung erfolgte nicht mehr. Dies
wäre aber gerade in dieser schwierigen Phase notwendig gewesen. Seitens des MBTs wurde
dies mit der sich abzeichnenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Sozialarbeiters begründet, das noch im Juli 2003 beendet wurde (vgl. c-MBT A Koop 1; c-MBT A Koop 3).
50
Wenn die Jugendlichen keine strafbaren Handlungen begangen haben sollten - was hier nicht beurteilt werden kann –, dann hatten die Polizisten rechtlich auch keine Handhabe einzuschreiten.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
143
Danach schlug das MBT eine Pause zur Neuorientierung vor. Die negativen Erfahrungen
sollten reflektiert werden und in eine überarbeitete Konzeption mit einfließen. Um nicht
gleich wieder in eine neue Dynamik mit der problematischen Gruppe rechtsextremer Jugendlicher zu geraten, sollte über die Sommerferien die Einrichtung geschlossen und nur für Kinder und Jugendliche der 4. bis 7. Klasse ein Tagesangebot gemacht werden.
Die Träger sahen sich aufgrund von Zwängen bei der Finanzierung (Einstellung der Förderung der ABM-Stellen und der Fachkraft) nicht in der Lage, einen bewussten Einschnitt zu
machen. Am Tag der Entlassung des Sozialarbeiters wurde gleich eine neue Mitarbeiterin
eingestellt, die gerade erst ihr Studium abgeschlossen und keine Berufserfahrung hat, außer
dass sie bei einem Träger ein Praktikum in der Jugendarbeit absolviert hatte. Die Sozialarbeiterin wird allerdings aus persönlichen Gründen nur bis zum 31.12.2003 bleiben können.
Des weiteren wurden wieder für ein halbes Jahr zwei neue ABM-Kräfte eingestellt.
Fortbildung der Mitarbeiter/innen durch das MBT
Das MBT führte mit allen drei neuen Mitarbeiter/innen im September 2003 eine etwa zweistündige Fortbildung zu Erscheinungsformen von Rechtsextremismus in der Region sowie zu
rechtsextremen Symbolen, Musik und szenetypischer Kleidung durch. Neben einer Erörterung von Handlungsmöglichkeiten zum Umgang mit Jugendlichen, die strafrechtlich verbotene oder über eine Hausordnung möglicherweise zu verbietene Symbole tragen, wurde vom
MBT mit den Mitarbeiter/innen zudem noch über die weitere Konzeption der Jugendeinrichtung und das Problem gesprochen, wie die anvisierten Jugendlichen zu erreichen seien. Von
den Mitarbeiter/innen der Jugendeinrichtung wurde betont, zunächst die eher „unproblematischen“ Jugendlichen ansprechen zu wollen, die überwiegend in der Mittelschule anzutreffen
wären. Neben den rechtsextremen „Mitläufern“ waren zu diesem Zeitpunkt auch die jugendlichen Spätaussiedler keine Zielgruppe, die einbezogen werden sollte. Die Mitarbeiter/innen
der Jugendeinrichtung wollten diese als „schwierig“ eingestufte Gruppe erst ansprechen,
wenn die Einrichtung wieder ein positives Image habe.51 Allerdings blieb völlig offen, wie
die anvisierten Zielgruppen konkret erreicht werden sollten und wie es langfristig möglich
wäre, zu verhindern, dass die Jugendeinrichtung wieder aus dem „Ruder laufen“ könnte. Da
seitens der Mitarbeiter/innen der Bedarf an Fortbildung und Information fürs erste abgedeckt
schien, schlug die Sozialarbeiterin vor, sich wieder an das MBT zu wenden, wenn sie mit den
in der Fortbildung dargestellten rechtsextremen Erscheinungen (wie Musik und Symbole)
direkt konfrontiert würde, um dann das weitere Vorgehen zu klären. Das MBT machte sowohl das Angebot, mit Informationsmaterial und für Nachfragen zu rechtsextremen Erscheinungen als auch für eine Konkretisierung der Konzeption zur Verfügung zu stehen.
51
Bei der Fortbildung - bei der auch die wissenschaftliche Begleitforschung zugegen war - begründeten die Mitarbeiter/innen den vorerst nicht gezielt geplanten Einbezug der Spätaussiedler-Jugendlichen
damit, dass sie aus eigener Erfahrung einige derselben als unfreundlich und unhöflich erlebt hätten und
diese Jugendlichen „schwierig seien“ und dass sie schwer einen Zugang zu ihnen fänden. Von einem
Berater des MBT wurde versucht, diese Haltung gegenüber den Spätaussiedlern zu hinterfragen und
einen Einblick in deren Lebenssituation zu geben, um den zum Ausdruck kommenden Vorurteilen
etwas entgegen zu setzen.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
144
Gegenwärtiger Stand der Jugendeinrichtung
Über die weitere konzeptionelle Ausrichtung herrscht bei den Trägern weiterhin Unsicherheit. Die Träger und die Mitarbeiter/innen der Jugendeinrichtung wollen vor allem jüngere
Jugendliche der Mittelschule ansprechen. Das von den drei Mitarbeiter/innen vorgeschlagene
Angebot zielt von Inhalt und Form auf die Gruppe der nicht auffälligen und eher „braven“
Jugendlichen. So wird in einem in der Schule ausgelegten Flyer ein Herbstferienangebot unterbreitet, das für eine Woche folgende Angebote vorsieht. Montag: Halloweenkürbisse aushöhlen, Tischtennisturnier/Volleyballturnier (je nach Wetter); Dienstag: Kegeln mit Preisen,
Kreativangebot „Tassengestalten“ (zum Mitnehmen!); Mittwoch: Ulksportfest, Kreativangebot „Gestalten Pinnwand“ (für zu Hause!); Badevergnügen ((in einem Spaßbad einer benachbarten Stadt)), Videonachmittag; Freitag: Große Halloween-Abschlussparty mit Kostüm,
Schminken, Schatzsuche und Abschlussfoto (zum Mitnehmen). Dafür und inklusive eines
täglichen Mittagessens ist ein Unkostenbeitrag von 25 Euro zu entrichten, wobei nach einer
Intervention eines Trägers auch einzelne Angebote wahrgenommen werden können. Bei der
Befragung aller Träger und auch der Berater/innen des MBTs wird dieser Betrag als wesentlich zu hoch und unangemessen angesehen (vgl. c-MBT A Koop 2; c-MBT A Koop 3). Dennoch wurde das Angebot so aufrecht erhalten. Nach Auskunft eines Beraters des MBT fand
das Ferienangebot jedoch bei den Jugendlichen der Stadt keine Resonanz.
Von den Vertreter/innen der drei Träger werden – im Unterschied zu den drei Mitarbeiter/innen – die „Mitläufer“ als eine sehr wichtige Zielgruppe gesehen. Die rechtsextrem auffälligen und als „Drahtzieher“ agierenden Jugendlichen sollen – so ein Träger und auch ein
Berater des MBTs – durch persönliche Hausverbote aus der Einrichtung herausgehalten werden, um so mit den „Mitläufern“ pädagogisch arbeiten zu können (vgl. b-MBT F 2; c-MBT A
Koop 2). Allerdings bleibt in den Interviews mit den Trägern offen, mit welchen Angeboten
und mit welchen Methoden die „Mitläufer“ erreicht werden sollen (vgl. b-MBT A F 1245252). Die Arbeit mit dieser Problemgruppe ist auch dem zuständigen Jugendhilfeplaner ein
wichtiges Anliegen, da er rechtfertigen muss, weshalb er bei knappen Mitteln diese Einrichtung mit einer Fachkraft fördert und andere Einrichtungen nicht (vgl. c-MBT Koop 1).52
Zu Ende des Erhebungszeitraums (Mitte Oktober 2003) regte das MBT eine weitere Überarbeitung des Konzepts insbesondere im Hinblick auf die Erreichung von Zielgruppen an und
sagte den Trägern dazu ihre Unterstützung zu. Des weiteren wurde vom MBT in einer einstündigen Fortbildungs- und Informationsveranstaltung bei der Verwaltung von A-Stadt über
52
In dem für A-Stadt zuständigen Landkreis stehen dem Jugendhilfe- und Sozialplaner von den ca.
sechs Millionen Euro für die Jugendhilfe nur 200.000 Euro für die freie Vergabe von Projekten in der
Jugendarbeit zur Verfügung. Etwa drei Millionen Euro sind alleine schon für stationäre Hilfen zur
Erziehung gebunden. Dabei ist mit weiteren Kürzungen schon aufgrund des hohen Rückgangs der
Bevölkerungszahlen zu rechnen (Auskunft des zuständigen Jugendhilfe- und Sozialplaners vom
3.11.03). Grundlage für die Jugendhilfeplanung des Landkreises, der für A-Stadt zuständig ist, ist eine
sehr detaillierte Zusammenstellung der Sozialstruktur. Danach lebten 2002 in A-Stadt 148 Kinder
zwischen 12 und 14 Jahren, 570 Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren sowie 381 junge Erwachsene
zwischen 21 und 27 Jahren. Die Altersgruppe von 7 - 25 Jahren umfasste 1.199 Kinder und Jugendliche, darunter sind 91 aus Spätaussiedlerfamilien, damit liegt ihr Anteil an dieser Altersgruppe bei
knapp 8 % (vgl. Statistisches Material der Stadtverwaltung A-Stadt).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
145
rechtsextreme Erscheinungen in der Region und Interventionsmöglichkeiten der Verwaltung
auch über die Jugendeinrichtung informiert und an die Verantwortung der Stadt für ihre Jugendlichen appelliert.
4.2.3 Auswertung Fall A
Die hier dargestellte Gemengelage ist – nach Auskunft auch anderer MBTs – in ländlichstrukturierten Regionen kein Ausnahmefall. Mit wenig finanziellen Mitteln soll in der Regel
mit für diesen schwierigen Arbeitsbereich unerfahrenem Personal, das zumeist für die soziale
Arbeit mit dieser Problemgruppe nicht qualifiziert ist, eine demokratisch-orientierte Jugendarbeit in einem Umfeld etabliert werden, das – wie in diesem Fall – von einer rechtsextremen
Subkultur geprägt ist. Vor diesem Hintergrund muss die Arbeit der MBTs gesehen und daran
die von Programm, Politik und Öffentlichkeit nicht selten auch überzogenen Erwartungen
gemessen werden.
Vorgehen und Rolle des MBTs
Dennoch lassen sich unabhängig von den Rahmenbedingen auch bei anderen MBTs sowohl
Überdehnungen ihrer Konzepte einerseits und Lücken und Schwachstellen in ihrer konkreten
Arbeitspraxis andererseits feststellen. So wird in einer selbstkritischen Einschätzung des hier
näher untersuchten MBTs darauf verwiesen, dass es versäumt wurde, die Verantwortung für
einen Neuanfang der Jugendarbeit „auf mehreren Schultern“ zu verteilen (vgl. b-MBT A F 1;
b-MBT A F 2). Auch macht das Lehrerkollegium bei einer Fortbildung von sich aus darauf
aufmerksam, dass die Vereine der Stadt ein wichtiger Ansprechpartner seien, um die Jugendlichen zu erreichen und über die Erwachsenen einen positiven Einfluss auf diese ausüben zu
können. Das MBT selbst hat die Vereine in diesem intensiven und etwa ein dreieinviertel
Jahre dauernden Beratungsfall nicht angesprochen, sondern darauf gebaut, dass diese Aufgabe der Sozialarbeiter der Jugendeinrichtung wahrnehme, was dieser trotz vieler Anregungen nach Auskunft des MBTs nicht tat. Auch ist ein Berater des MBTs skeptisch, dass die
neue Sozialarbeiterin einen bis in die Vereine und städtischen Einrichtungen hineinreichenden gemeinwesenorientierten Ansatz verfolgt; zudem sie nach seiner Einschätzung das Problem mit der rechtsextremen Clique nicht im notwendigen Maße wahrnehme. Gegenüber der
wissenschaftlichen Begleitforschung führte die Sozialarbeiterin an, dass sie zwar über keine
Erfahrungen im Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen verfüge, sie habe aber im Rahmen
des Praktikums an Jugendfreizeitmaßnahmen teilgenommen. Fraglich ist allerdings, ob jemand ohne Berufserfahrung und besondere Qualifikation im Bereich sozialer Arbeit mit
schwierigen Jugendlichen für diese Stelle geeignet sein kann.
Der mangelnden Verankerung der Jugendarbeit generell und insbesondere der Jugendeinrichtung im städtischen Leben soll auch dadurch begegnet werden, dass eine engere Verzahnung zwischen Schule und der Jugendeinrichtung entwickelt werden soll. So ist die Direktorin der Schule unter starker Mithilfe eines Beraters des MBTs bemüht, zwei Stellen für
Schulsozialarbeiter/innen an der Schule zu schaffen, wodurch eine gezielte und verlässliche
Kooperation zwischen Schule und Jugendeinrichtung und eine Vernetzung von schulischer
und außerschulischer Arbeit ermöglicht werden soll. Dadurch – so die Hoffnung – könnte es
gelingen, einen Teil der Schüler der Mittelschule an die Jugendeinrichtung zu binden und ein
demokratisches und weltoffenes Klima in der Jugendeinrichtung zu etablieren.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
146
Die von dem anderen Berater des MBTs geäußerte Hoffnung, dass die Stadt oder die engagierten Akteure jetzt ein lokales Handlungskonzept entwickeln sollten oder müssten, ist nach
Beurteilung der vorliegenden Daten als unrealistisch einzuschätzen. Es stellt sich vielmehr
die Frage, wieso dies nicht vom MBT A gezielter in Angriff genommen wurde, auch weil
dieser Beratungsfall vom MBT als eine Art „good practice“ dargestellt wird. Zwar hat sich
um die Auseinandersetzung mit der Jugendarbeit und den rechtsextremen Erscheinungen in
A-Stadt eine Zusammenarbeit von einigen Akteuren entwickelt, diese scheint aber noch sehr
punktuell und stark von bilateralen Kommunikationswegen und insbesondere vom Input des
MBTs abhängig zu sein. Zudem besteht die Gefahr, dass bei einem Rückzug des MBTs in
dieser Phase des erneuten Neuanfangs einer der Träger sich bei nächst bester Gelegenheit aus
der Verantwortung zieht. Es scheint so, dass in diesem Beratungsprozess vieles durch das
MBT in Gang gekommen ist, dass aber die Beteiligten von sich aus und insbesondere die
Stadt noch nicht im hinreichenden Maße ihre eigene Verantwortung wahrnehmen und steuernd und gestaltend auf die Entwicklung der Jugendeinrichtung Einfluss nehmen. Bei den
Interviews drängt sich zudem der Eindruck auf, dass sich die Träger einerseits bisher zu sehr
auf das MBT verlassen und andererseits die Trägerschaft der Jugendeinrichtung nicht zu ihren vordringlichsten Aufgaben rechnen. Ein Träger hatte auch eine stärkere inhaltliche Unterstützung zugesagt (z.B. durch Fortbildung und inhaltliche Begleitung), was nach Auskunft
des MBTs nicht im gewünschten bzw. zugesagten Umfang realisiert werden konnte. So hat
das MBT bzw. ein Berater sich intensiv in die praktische Implementierung der Jugendeinrichtung eingebracht, damit das Projekt nicht auf halber Strecke hängen blieb. Ob es zu den
Vorgehensweisen des MBT A keine Alternativen gab, kann hier nicht geklärt werden.
Als ein Resultat kann festgehalten werden, dass ein auf Befähigung zur Eigenaktivierung
fußendes Beratungskonzept ein gewisses Maß an Sensibilisierung und Bereitschaft zur aktiven Auseinandersetzung voraussetzt, was in A-Stadt im Vergleich zum unten dargestellten
Fall in B-Stadt als sehr begrenzt einzustufen ist.
Damit der Neuanfang in der Jugendarbeit in A-Stadt kein vorübergehendes Strohfeuer war,
sollte das MBT seine Beratungsarbeit jetzt einerseits auf die Kommune ausdehnen und andererseits vorübergehend intensiver auf die Jugendeinrichtung ausrichten. Dabei ist zunächst zu
klären, welche Ressourcen dem MBT zur Verfügung stehen und welche Potenziale seitens
der Kommune und der interessierten Akteure eingebracht werden könnten. Insbesondere mit
den Trägern wären klare Vereinbarungen zu treffen, welche Rolle und Aufgaben das MBT
übernimmt.
Ein (vorübergehend) intensiverer Einstieg in die Beratung heißt nicht – wie es bisher der Fall
gewesen zu sein scheint –, dass die Akteure vor Ort sich dann nach dem Motto zurücklehnen
können, „das MBT macht das schon.“ Ein Berater hat vorgeschlagen, in die Begleitung der
Jugendeinrichtung selbst stärker einzusteigen und für eine gewisse Zeit eine Art coaching der
Mitarbeiter/innen zu übernehmen. Dies könnte für eine begrenzte Zeit eine Möglichkeit sein,
eine intensivere Auseinandersetzung der Träger untereinander und mit den Mitarbeiter/innen
über die Zielsetzung der Jugendeinrichtung direkt an der konkreten Arbeit zu initiieren. Allerdings bedeutete dies vorübergehend ein Ausstieg aus der Beraterrolle bzw. deren grundlegende Modifikation. Ob eine intensive „Einzel bzw. Organisationsberatung“ der Jugendeinrichtung vorübergehend angemessen ist, sollte meines Erachtens nach pragmatischen und
operativen Gesichtspunkten entschieden werden. Neben der Klärung, welche Ressourcen zur
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
147
Verfügung stehen, wäre abzuschätzen, ob durch eine solche „Krisenintervention“ die Einrichtung und die dafür verantwortlichen Träger sowie die Mitarbeiter/innen in die Lage versetzt werden können, dauerhaft ein attraktives Angebot für die Jugendlichen zu machen und
dies professionell unter Anwendung von Mindeststandards der Jugendsozialarbeit umzusetzen. Allerdings kann das MBT nicht all das kompensieren, was Aufgabe der Träger, der
zuständigen Jugendverwaltung, der städtischen Verwaltung ist und/oder der zivilgesellschaftlichen Unterstützung der Bevölkerung bedarf.
Verlässlichkeit und Kontinuität
An diesem Fall wird weiter sichtbar, wie wichtig einerseits die Präsenz der Berater/innen vor
Ort und andererseits verlässliche Ansprechpartner am Ort sind. Die MBTs können Impulse
geben und Kompetenzen freisetzen, sie benötigen aber zur Umsetzung von gemeinsam entwickelten Konzepten Andockstellen, die eine Art Multiplikatorenfunktion übernehmen. Im
Idealfall könnte die Fachkraft der Jugendeinrichtung solch eine Funktion übernehmen und
das vom MBT angeregte Netzwerk für sich nutzen und sukzessive ausweiten. Dies setzt aber
eine beiderseits auf Dauer ausgerichtete Zusammenarbeit voraus. Seitens der Jugendeinrichtung ist dies durch den erneuten Personalwechsel zum Ende des Jahres erst einmal nicht gegeben. Ebenso ist die Weiterexistenz des MBTs wegen der ungeklärten Fortführung der Förderung noch offen.
Wenn dieses „Pflänzchen“ zivilgesellschaftlicher Betätigung aber weiter wachsen und nicht
eingehen soll, dann würde bei Weiterbestehen des MBTs die Entwicklung und insbesondere
Umsetzung eines lokalen Handlungskonzepts meines Erachtens auf der Tagesordnung stehen.
Dabei wäre auch zu überlegen, ob nicht von der Programmebene aus in Absprache mit dem
MBT gezielt einige begleitende Projekte gefördert werden könnten, die zu einer Verzahnung
bestehender Ansätze führen und eine Stabilisierung des bisher Erreichten bewirken könnten.
Kritische Anmerkungen zum Vorgehen des MBTs
Der vorliegende Fall macht aber auch deutlich, dass das MBT sich hier anscheinend davor
scheut, sich ohne Vorbehalte damit auseinander zu setzen, ob in diesem oder anderen Fällen
nicht auch eine gezielte soziale Arbeit bzw. Beziehungsarbeit mit rechtsextrem-orientierten
Jugendlichen angebracht bzw. unausweichlich ist, da die Jugendlichen nun mal in der Einrichtung sind und mit ihnen – wenn auch möglicherweise nicht gezielt – „gearbeitet“ wird.
Jedenfalls geht aus dem vorliegenden Material nicht hervor, dass die Mitarbeiter/innen der
Jugendeinrichtung eine Fortbildung zur sozialpädagogischen Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen erhalten haben. In diesem Punkt zeichnen sich auch Unterschiede in den Auffassungen zwischen den beiden Beratern ab. Der sehr in den Fall eingebundene Berater steht
dieser Frage offener gegenüber als sein Kollege. Auch in anderen Interviews kann ein Ausweichen vor einer konkreten Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit und Angemessenheit eines auf sozialer Beziehungsarbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen fußenden
Ansatzes beobachtet werden (vgl. b-MBT 6). Dabei wird der mit einem negativen Etikett
behaftete Ansatz der akzeptierenden Sozialarbeit als Beispiel des Scheiterns von sozialer
Arbeit mit rechtsextrem eingestellten Jugendlichen angeführt. Dies ist allerdings nicht bei
allen MBTs der Fall, wie das zweite Fallbeispiel zeigen wird.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
148
Es stellt sich hier auch die Frage, ob es in dieser entscheidenden Phase nach der Eröffnung
der Einrichtung nicht auch eine Aufgabe des MBTs gewesen wäre, insbesondere die Träger,
aber auch Mitarbeiter/innen zu einer intensiven Auseinandersetzung zu den sich abzeichnenden Entwicklungen zu animieren und dazu auch selbst vor Ort präsent zu sein. Eine dreistündige Information zu rechtsextremer Symbolik und möglichen Interventionsstrategien scheint
dafür kaum ausreichend zu sein.
Diese Distanzierung von bestimmten Ansätzen (insbesondere der sozialen bzw. der „akzeptierenden“ Arbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen) geht nicht selten auch der konkreten Beantwortung der Frage aus dem Weg, was denn diejenigen tun sollen, die mit solchen
Jugendlichen arbeiten müssen bzw. die als Sozialarbeiter/innen oder Lehrer/innen – wie in
einer Fortbildung eines Lehrerkollegiums zu beobachten war – in solch schwierigen Gemengelagen um Rat suchen. Diese auch für die MBTs schwierig oder kaum zu lösenden Fragen
werden – wie auch im vorliegenden Fall – zum Teil durch eine sehr idealistische und voluntaristische Auffassung von den Möglichkeiten des zivilgesellschaftlichen Ansatzes zu umgehen
versucht. In einem Interview wurde sichtbar, dass ein Berater in vielen Situationen den starken Wunsch hegt, dass die verantwortlichen Entscheidungsträger und Mitarbeiter/innen von
Verwaltungen sich positionieren sollten oder gar müssten. Die Forderung nach mehr Zivilcourage von Bürger/innen ist nur zu begrüßen, aber dies kann nicht vorausgesetzt oder (moralisch) erzwungen werden.53
Im Rahmen einer etwa einstündigen Fortbildungs- und Informationsveranstaltung der Verwaltung von A-Stadt wurde der Vorschlag zur Diskussion gestellt, ob es nicht angebracht und
wünschenswert wäre, dass die Verwaltungsangestellten Antragsteller von beispielsweise
Wohngeld, die mit einer szenetypischen Kleidung und entsprechenden Symbolen erscheinen
würden, diese darauf ansprechen sollten. Dabei ging es auch um solche Symbole, die zwar
nicht strafrechtlich verboten sind, aber bei genauer Kenntnis als Abänderungen bzw. Synonyme rechtsextremer Symbolik einzuordnen sind.
„Unsere Position war die, zu sagen, zu raten, den Jugendlichen direkt auf dies T-Shirt anzusprechen, deutlich zu machen, dass ich das im Blick habe, dass ich das erkenne. Dass ich es
entschlüsseln kann. Und dass ich es auch nicht wertschätzen kann, sondern im Gegenteil, dass
ich das ein Stück weit verurteile. Und sage, ich finde das nicht gut. Und warum machst du
das? Also ins Gespräch darüber, sehr sachlich, sehr ruhig, darüber erst mal einbeziehe. Und
dann zu sagen auch: ‚Ich würde mir wünschen, du kommst das nächste Mal oder Sie kommen
das nächste Mal hier in mein Amtszimmer zu dieser Antragsgeschichte mit einem anderen TShirt.’“ (b-MBT A F 1, 638-646)
„Die Stadt ((A)) hat 5000 Einwohner. Ich gehe davon aus, wir gehen davon aus, wenn man
ein bisschen ein Auge dafür hat und sich da irgendwie (…). Die Leute kennen ihre Pappenheimer. Und wer da an irgendwelchen Aktionen beteiligt ist und wer mit wem rumhängt. Das
akzeptiere ich mittlerweile nicht mehr.“ (b-MBT A F 1, 688-691)
„Die (Stadtverwaltung; der Autor) ist eine Institution. Aber die, in dem Sinne, wie soll man
sagen, als eine Stadtverwaltung und vor dem Hintergrund auch einer gewissen Verantwortung
53
Dies gilt für die Zivilgesellschaft insgesamt. „Zivilgesellschaft lässt sich weder dekretieren noch
einfach erfinden. Sie ist historisch voraussetzungsvoll. Sie ist immer auch ein Produkt der Geschichte.
Man kann sie behindern, man kann sie befördern, dekretieren und machen lässt sie sich nicht.“ (Kocka,
2003: 36)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
149
und demokratisch legitimiert, auch, was ich mir wünsche, ein Stück weit ihre persönliche…
Ich würde es auch nicht als persönliche Ebene reinbringen! Sondern zu sagen: Hier ist ein
Haus. Das ist die Stadtverwaltung. Die hat ein gewisses Hausrecht. Hier gelten bestimmte,
wie soll man sagen, Regeln, Normen, Verständnisse, demokratische Normen, Werte usw.“ (bMBT A F 1, 698-703)
Auf die Anmerkung hin, dass die Verwaltung nach rechtsstaatlichen Prinzipien und Gesetz
alle Bürger/innen unabhängig von ihrer Gesinnung gleich behandeln müsse, wurde der Vorschlag von dem Berater dahingehend gewendet, dass dieses Einschreiten wünschenswert,
aber nicht als institutionelles Handeln verordnet werden könne.
„Nein, ist für mich eine Diskussion. Sage ich, würde ich auch jedem so raten. Sagen: ‚Der
Mann hat recht. Es ist nichts Strafbares. Er ist 18 Jahre alt.’ Aber ich würde mir schon wünschen, und was zu wenig gemacht wird, dass einfach die konfrontiert werden mit einer anderen Wertschätzung. Dass sie konfrontiert werden mit ihrem Äußeren. Das, was sie zur Schau
tragen. Das, was sie vielleicht auch innerlich durch das Äußere zur Schau tragen und was sie
auch innerlich mittlerweile ein Stück weit denken und fühlen. Und damit müssen sie konfrontiert werden. Und diesen Konfrontations- oder diesen Ansprechkurs, der wird zu wenig gefahren. Und irgendwo müssen wir ihn anbringen in einer Kommune. Wenn man überlegt, dass die
traditionell das Maibaumsetzen machen. Die ganze Akzeptanz. Da muss ich vor diesem Hintergrund natürlich Leute ermutigen und sagen: Wenn ihr ein Problem hier lösen wollt, dann
auf den verschiedenen Wegen. Dann auch dadurch, dass ich das T-Shirt auch bei einem 18Jährigen einfach mal so anspreche und sage: Ich finde das einfach nicht gut. Punktum.“ (bMBT A F 1, 657-668)
Es wäre zu diskutieren, ob Jugendliche, die aus Provokation oder auch Überzeugung nicht
goutierbare Zeichen und Äußerungen zur Schau stellen, durch solche punktuellen Reaktionen
sich nicht eher bestätigt fühlen und die Macht ihrer provokanten Rolle spüren. So sieht der
Kollege des oben zitierten Beraters in solchen Formen „sozialer Kontrolle“ eher ein ambivalentes Mittel. Einerseits kann so auf informellem Wege auf bestimmte ablehnungswürdige
Verhaltensweisen hingewiesen werden, andererseits kann sich die Kontrolle gegen alle möglichen Abweichungen richten und gerade für ein jugendliches Provokationsverhalten, das
nicht unbedingt ideologisch und politisch motiviert sein muss, unangemessen sein.
„Das Wort ,soziale Kontrolle´ oder was ich eben darunter verstehe, hat für mich zwei Seiten.
Es hat einfach diese positive Seite, dass du eben auch mal zum Großvater oder zur Großmutter hingehen kannst, oder dass man einfach in einem ganz normalen Verbund wohnt, sich gegenseitig kennt und dann eben sagen kann, was dein Enkel macht, ist nicht okay oder guckt ihr
da mal mit drauf oder so was. Das ist sicher eine positive Geschichte. Aber dass man auch aus
bestimmten Rollen gar nicht heraus kann, durch diese soziale Kontrolle, dass man eben weiß,
wie einer früher war, und dass sie dir das zum Teil in Sitzungen ja auch vorhalten. Das hat für
mich zwei Seiten. Also, es engt Jugend, meines Erachtens, auch sehr ein. Einfach in dem, was
sie an Freiheiten haben und was sie leben können.“ (b-MBT A F 2, 349-359)
Die auch von einem Teil der Berater/innen anderer MBTs befürworteten repressiven und auf
Verbote setzenden „Bekämpfungsstrategien“ wurden auch in einer Fortbildung an der Schule
und dem anschließenden Interview deutlich. So wird von einem Berater des Teams – wie
auch anderen Berater/innen – sehr stark auf eine Ausweitung der Strafbarkeit von Propagandadelikten orientiert. Der damit zustande kommende Teufelskreis, dass mit immer neuen
Verboten den Abänderungen der Symbole „hinterhergelaufen“ werden muss, wird zwar gesehen, aber als eine notwendige und unverzichtbare Maßnahme befürwortet.
„Die wenigsten dieser Sachen sind verboten. Und ich sage immer: Natürlich sehe ich diese
Konsequenz oder die Gefahr, dass man sich andere Symboliken sucht. Aber da müssen wir uns
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
150
dann einfach weiter kundig machen. Und wenn wir den politischen oder sonstigen Willen auch
haben, die Leute damit zu konfrontieren und zu sagen: ‚Ich erkenne das.’ Dann müssen wir
uns kundig machen und sagen: ‚Ich finde es einfach nicht gut. Ich akzeptiere es auch nicht und
ich will es auch nicht akzeptieren.’ Ich würde mir wünschen hier oder ich setze es auch per
Hausordnung an der Schule um, dass ein neutrales T-Shirt getragen wird. Unifarben oder wie
auch immer. Oder ein Pulli getragen wird ohne Zahlenkombination. Ohne Symboliken, die
nicht verboten sind.“ (b-MBT A F 1, 755-763)
Es stellt sich hier die Frage, ob dies ein praktikables und auch wünschenswertes Instrument
ist, freien Bürger/innen eine Art Kleiderordnung vorzuschreiben. Nicht nur, dass dies mit den
Prinzipien einer offenen Gesellschaft und den Werteorientierungen einer Zivilgesellschaft,
die auf Mündigkeit und Diskursfähigkeit sowie die Meinungsfreiheit der Bürger/innen setzt,
schwierig zu vereinbaren ist, sondern es könnte doch geradezu die Jugendlichen herausfordern, sich neue Provokationen einfallen zu lassen. Zudem wäre zu prüfen, ob die Fixierung
auf das „Aufspüren“, „Erkennen“ und „Sanktionieren“ des Tragens von nicht goutierbaren
Symbolen und Äußerungsformen diese nicht sogar aufwertet. Solche Formen der Auseinandersetzung sind immer auf den spezifischen Einzelfall hin auch in ihren Folgen zu hinterfragen. Die hier zum Vorschein kommende starke moralische und emotionale Umgangsweise
mit dem Rechtsextremismus mag vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte immer mitschwingen, ob sie im Sinne einer positiven und demokratisch-orientierten Veränderung wirkt,
ist aber eine andere Frage, deren Beantwortung den Rahmen der Begleitforschung zum jetzigen Zeitpunkt sprengen würde.
4.3 Beschreibung Fall B
4.3.1 Lokale Rahmenbedingungen und Anlass der Mobilen Beratung
Ausgangspunkt der Beratungstätigkeit von MBT B war eine Problemanzeige einer Schulsozialarbeiterin. Diese hatte ein Weiterbildungsangebot des MBTs wahrgenommen und die Berater um Unterstützung gebeten. An ihrer Schule waren ihr rechtsextrem-orientierte Schüler
aufgefallen, die sich nicht nur durch ihr äußeres Erscheinungsbild als solche zu erkennen
gaben, sondern andere Schüler und auch Lehrer tyrannisierten. Außerdem brachten sie auch
Propagandamaterial mit in die Schule. Dort reagierte nach Auskunft der Schulsozialarbeiterin
und des MBTs anscheinend keiner auf deutlich sichtbare Schmierereien mit rechtsextremer
Symbolik.
Die Schulsozialarbeiterin ist (wie fast alle Schulsozialarbeiter/innen im Landkreis) an zwei
Schulen in einer Kleinstadt mit 6.000 Einwohnern tätig. Auch hier handelt es sich um eine
ländlich-agrarisch geprägte Region. Aufgrund der Nähe zu den alten Bundesländern ist in BStadt die Arbeitslosigkeit mit ca. 13% nicht ganz so hoch wie in A-Stadt, dennoch wandern
viele Jugendliche mit guten Schulabschlüssen in die alten Bundesländer ab. Das Angebot an
Ausbildungsplätzen, insbesondere für wenig qualifizierte Jugendliche, ist unzureichend und
wird in der Regel durch überbetriebliche Ausbildungseinrichtungen abgedeckt. Das gesellschaftliche Leben spielt sich nach Darstellung des MBTs in Vereinen, Sportklubs und in den
umliegenden Dörfern vor allem in den freiwilligen Feuerwehren ab. Gewerkschaften, Parteien und Kirchen nehmen hingegen eine eher untergeordnete Rolle ein. Für die Jugendlichen
gibt es neben einigen kommerziellen Angeboten, wie Bowlingcenter und Diskothek, kaum
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
151
attraktive Freizeitangebote. Nach Auskunft des MBTs gab es zu dem Zeitpunkt der Problemanzeige einige engagierte Akteure, die aber unkoordiniert nebeneinander herarbeiteten. Die
Grundstimmung sei eine weitverbreitete Skepsis gegenüber den Institutionen und Akteuren
des politischen Systems. Der Umgang mit rechtsextremen Erscheinungen wird als ratlos charakterisiert (vgl. b-MBT B F 1).
Zum Verständnis des Falls ist es wichtig zu wissen, dass sich die folgende Beschreibung sowohl in Hinsicht auf die Problemlage rechtsextremer Erscheinungen als auch in Bezug auf
die zivilgesellschaftlichen Interventionen auf eine größere Region bezieht, in der B-Stadt eine
Art kleinstädtisches Zentrum ist, das mit den umliegenden Gemeinden demnächst auch verwaltungsmäßig zusammengeführt wird. So soll ab dem 1.1.2004 die Stadt mit den umliegenden Gemeinden, aus denen ein Großteil der Schüler/innen in B-Stadt kommen, zu einer Verwaltungseinheit fusionieren. Neben der ersten Haupt- und Realschule, an der zuerst die
rechtsextremen Erscheinungen entdeckt wurden, gibt es in der Stadt noch eine weitere zweite
Realschule, ein Gymnasium und eine Förderschule, an der auch eine Schulsozialarbeiterin
mit einer halben Stelle beschäftigt ist. Während sich mittlerweile ein Lehrer aus der Förderschule auch zusammen mit der Schulsozialarbeiterin gegen Rechtsextremismus engagiert,
wird das Problem am Gymnasium nach Auskunft der Schulsozialarbeiterin und des MBT
„bagatellisiert“.
Durch eine Schulauflösung in einem Nachbarort, in dem NPD-nahe Funktionäre sich schon
Anfang der 90er Jahre niedergelassen hatten, kam zum Schuljahr 2001 eine rechtsextreme
Clique und deren „Anführer“ in die achte Klasse der Hauptschule. Neben strafbaren Propagandadelikten wie Zeigen des Hitlergrusses oder Singen des Deutschlandliedes mit allen
Strophen im Unterricht gingen sie auch gewaltsam gegen Mitschüler und eine Lehrerin vor.
Nach Auskunft der Schulsozialarbeiterin wurde die aus England stammende Englischlehrerin
von mehreren Jugendlichen festgehalten und ein Schüler versuchte, ihr mit einem Eddingstift
ein Hakenkreuz auf die Stirn zu malen.54 Die Kollegin, die nach Darstellung der Schulsozialarbeiterin und des MBT von der Schulleitung keine Unterstützung bekam, erstattete Anzeige.
Beim Prozess, zu dem sie auch wiederum alleine ging – die erst neu an der Schule eingestellte Schulsozialarbeiterin wusste nichts von dem Prozess –, wurde sie von rechtsextremen Jugendlichen, die mit den Angeklagten befreundet waren, attackiert. Die Lehrerin hat mittlerweile die Schule verlassen. Auch außerhalb der Schule nahmen mit dem Schulbesuch dieser
aus den Nachbarorten stammenden rechtsextremen Clique die Übergriffe und Gewalttaten zu.
So kam es zu mehreren gewalttätigen Übergriffen von Rechtsextremen auf Jugendliche eines
selbstverwalteten „linksalternativen“ Jugendzentrums. Diese Jugendlichen setzten nach Auskunft der Sozialarbeiterin und der Polizei auch gewalttätige Mitteln gegen die Rechtsextremen ein. Die oben geschilderte Gemengelage durchmischt sich offenbar in bestimmten Be-
54
„Das war die schlimmste. Das war die achte Hauptschulklasse. Und diese Klasse hat dann auch
noch eine Engländerin zum Englischunterricht bekommen. Und diese Lehrerin ist ganz massiv angegriffen worden. Also, sie ist reingekommen, da sind Schüler aufgestanden und haben erst einmal das
Deutschlandlied, aber gesamte Strophen, gesungen. Und sie ist von einem Schüler mit ausgestrecktem
rechten Arm begrüßt worden. Und der krönende Abschluss war dann, dass sie von einem Schüler festgehalten wurde und der andere hat versucht, ihr mit Edding ein Hakenkreuz auf die Stirn zu schreiben.“ (c-MBT B Koop 1, 171-177)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
152
reichen mit einer Auseinandersetzung zwischen sogenannten „rechten“ und „linken“ Jugendlichen und weist für diesen Bereich auch Charakteristika von gewalttätigen Gruppenkonflikten auf. Die Polizei versucht nach Auskunft der Schulsozialarbeiterin, die rechtsextremen
Erscheinungen in B-Stadt in das Erklärungsmuster von Auseinandersetzungen zwischen
„rechten“ und „linken“ Jugendlichen zu pressen und die Provokationen der „linken“ Jugendlichen als verantwortlichen Auslöser der Gewaltspirale darzustellen.55 Dies sah auch das
MBT zunächst so.
„Die Schwierigkeit mit der Polizei ist immer an dem Punkt, ‚ja, wir haben Gewalt von beiden
Seiten’. Das wird dann als Jugendproblem, als Bandenkrieg zwischen diesem linken Jugendzentrum und der rechten Szene aus dem Umland abgetan. Da versuchen wir, sukzessive ein
bisschen politische Bildung (auch) zu machen und sagen. ,Es ist schon etwas anderes, was die
Rechten hier machen, als was die Linken machen, wenn die mal einen Heuhaufen anzünden,
weil sie gegen Atomkraft sind (...).´ Es ist uns bisher noch nicht untergekommen, dass die Linken von sich aus losgezogen sind und Leute plattgemacht haben. Gut, in den Auseinandersetzungen sind sie dann auch nicht ohne, aber von sich aus eigentlich weniger.“ (b-MBT B, 565574)
Das MBT und der zuständige Leiter der Polizeiinspektion tauschen sich seit geraumer Zeit
regelmäßig aus und kommen in der Lageeinschätzung zu ähnlichen Ergebnissen.56
Ende 2002 /Anfang 2003 kam es zu einer Eskalation rechtsextremer Gewalttaten insbesondere gegen Jugendliche aus dem links-alternativen Spektrum. So wurden am 31.12.02 Jugendliche aus der Hiphopper-Szene (vor allem Schüler der zweiten Realschule) angegriffen;
eine Person erlitt erhebliche Verletzungen. Es wurde Anzeige erstattet, woraufhin es später zu
massiven Bedrohungen durch rechtsextreme Jugendliche kam. Mitte Januar wurden mehrere
Schüler (auch vom Gymnasium und der Förderschule) von einem einschlägig bekannten
rechtsextremen Jugendlichen angegriffen und verletzt. Die Schüler bzw. Eltern wollten aus
Angst zunächst keine Anzeige stellen. Durch eine Beratung des von CIVITAS geförderten
Opferberatungsprojekts und der Schulsozialarbeiterin erstatteten die Eltern und die Schüler
dann aber doch Anzeige. Diese wurde allerdings nach Auskunft des MBTs von der Polizei
sehr „stiefmütterlich“ behandelt. Als Reaktion auf diese und die Anzeigen zum Vorfall vom
55
Für den Leiter der Polizeiinspektion von B-Stadt stellt sich das Problem folgendermaßen dar. „Ich
würde also die Gewaltproblematik - das ist so ein bisschen die Tendenz, Gewalt von rechts zu betrachten - ich würde Gewalt als gesellschaftliches Phänomen in den Vordergrund stellen und sagen,
Gewalt von Rechts ist Teil der Gesamtproblematik. Ich würde, so sind also auch unsere Bemühungen,
dass diese Gewaltproblematik generell angegangen werden muss und dabei ist natürlich rechte Gewalt
ein Bestandteil, aber jetzt nicht einseitig nur die Problematik in Anführungsstrichen rechts zu betrachten. (....) Aber, wenn ich jetzt sage, der Komplex Gewalt, will ich das nicht verniedlichen, damit
wir uns da richtig verstehen. Das ist nicht meine Absicht. Gewalt ist immer schlimm. Wir haben leider
auch Gewalt bei uns hier im Bereich, die von einer anderen Seite kommt, nämlich die von links.“ (cMBT B Koop 3, 189-213)
56
Der Leiter der Polizeiinspektion, der auch in einer Arbeitsgruppe des örtlichen „Runden Tisches“
mitarbeitet, betrachtet den regelmäßigen Austausch als sehr positiv und schätzt die Kompetenz und
Sachlichkeit der beiden Berater/innen. „Aus meiner Sicht ist die Zusammenarbeit (...) eine sehr sachliche und konstruktive. Muss ich wirklich sagen. Ich habe also auch bei den Gesprächen, die wir hier
individuell zur Lage geführt haben doch eine sehr sachliche Argumentation und Gespräch mit ihnen
führen können.“ (c-MBT B Koop 3, 142-145)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
153
31.12.02 kündigte ein Jugendlicher von der ersten Haupt- und Realschule an, dass Mitglieder
der rechtsextremen Szene mit 30 Leuten aus dem rechtsextremen Spektrum aus den Städten
in der Nähe Rache nehmen wollten und Gewalttätigkeiten vor den Schulen B-Stadts planten.
Diese Aktion kam nicht zustande; eine durch das MBT informierte Sondereinheit der Kriminalpolizei war mit einem großen Aufgebot in der Stadt präsent. Die Schulen reagierten nach
Darstellung des MBTs auf diese angekündigten Gewalttaten panisch und hilflos. Dadurch,
dass dieses Szenario auch die Öffentlichkeit erreichte, war bei einigen Verantwortungsträgern
und Bürger/innen der Stadt eine Schmerzgrenze erreicht, was zu einer Aktivierung von einigen Bürger/innen führte. Dabei nahm und nimmt die Schulsozialarbeiterin eine wichtige
Funktion ein; sie ist Ansprechpartnerin für die Akteure vor Ort und zugleich Schlüsselperson
und Türöffnerin für das MBT, das sie wiederum regelmäßig konsultiert und um Rat fragt.
4.3.2 Tätigkeiten des MBT B
Nachdem im November die Schulsozialarbeiterin das MBT wegen der massiven offen rechtsextremen Schmierereien in der Schule und den oben beschriebenen Übergriffen ansprach,
erfolgte ein erstes Beratungsgespräch, um die verunsicherte und Hilfe suchende Sozialarbeiterin zu unterstützen. Neben einem ersten Problemaufriss, der Vermittlung von Hintergrundwissen und Erörterungen von Handlungsmöglichkeiten der Schulsozialarbeiterin erfolgten
erste Überlegungen, wie die Schule einerseits schnell auf die Situation reagieren könnte und
wie andererseits ein langfristiges regionales Konzept zu entwickeln wäre. Als erstes wurde
seitens des MBTs zusammen mit der Schulsozialarbeiterin das Gespräch mit der Schulleitung
der ersten Haupt- und Realschule und dann auch mit der Schulleitung und den Lehrer/innen
der zweiten Realschule gesucht. Das Lehrerkollegium und die Schulleitung der ersten Hauptund Realschule, an denen die rechtsextremen Erscheinungen nicht mehr zu übersehen waren
(die Schulsozialarbeiterin entfernte selbst mit einer Bandschleifmaschine die strafbaren
rechtsextremen Symbole von den Wänden), waren froh, dass sich jemand engagierte und das
Thema aufgriff. Sie selbst werden von der Schulsozialarbeiterin und dem MBT als gelähmt
und hilflos bzw. resigniert beschrieben (vgl. c-MBT B Koop 1; b-MBT B F 1).
Ab Ende 2001 wurden dann vom MBT in Absprache mit den Akteuren vor Ort – insbesondere mit der Schulsozialarbeiterin, später auch der Leiterin der zweiten Realschule, eine Vielzahl von Maßnahmen in die Wege geleitet, von denen hier auf Grund der Fülle nur die wichtigsten beschrieben werden können. Die Schulsozialarbeiterin konnte den Schulleiter der
ersten Haupt- und Realschule dazu bewegen, dass sämtliche interne Lehrerfortbildungen zu
dem Thema Rechtsextremismus und Reaktionsmöglichkeiten der Lehrer/innen durchgeführt
wurden. In dieser Schule wurden vom MBT im Verlaufe des Beratungsprozesse vier Fortbildungen (zwei Lehrerfortbildungen und zwei Dienstberatungen) für alle Lehrer/innen der
Schule durchgeführt. Ein Großteil der Lehrer/innen hatte zunächst den Anspruch, fertige Rezepte zu erhalten, um mit rechtsextremen Provokationen umgehen zu können. Das Konzept
des MBTssetzt dagegen neben Informationen und Hintergrundwissen auf die gemeinsame
Entwicklung von Handlungskompetenzen, die auf den jeweiligen Fall bezogen sind. Dabei
wird an konkreten Fallbeispielen versucht, die bereits vorhandenen oder in anderen ähnlichen
Fällen angewendeten Reaktionsformen auch auf den Umgang mit diesem Thema anzuwenden.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
154
Neben Einzelgesprächen mit den Schulleitungen und interessierten Lehrer/innen wurde in der
ersten Haupt- und Realschule auch eine Dienstberatung zu den rechtsextremen Erscheinungen durchgeführt. Auf Vorschlag des MBTswurden zudem die Polizei und die Opferberatung
eingeladen, um die Lehrer/innen über bestehende (ordnungs- und strafrechtliche) Handlungsmöglichkeiten zu informieren. Ausgehend von den Fragen der Lehrer/innen wurde versucht, Reaktionsmöglichkeiten auch unter Einbezug der Polizei zu diskutieren. Das MBT
machte zudem auf die Hintergründe und Zusammenhänge dieser rechtsextremen Clique zu
Organisationen, auch in den alten Bundesländern, aufmerksam und stellte ein bis dahin aus
Gesprächen gewonnenes erstes „Lagebild“ zu den rechtsextremen Erscheinungen in der
Schule, der Stadt sowie dem Umland vor. An dieser Schule war es erst einmal wichtig, für
das Thema zu sensibilisieren und zu versuchen, die bestehende Lähmung und Angst zu überwinden. Nach Auskunft des MBTs ist diese Schule wegen einer möglichen Schließung sehr
mit sich selbst beschäftigt;57 deshalb sind nur wenige Lehrer/innen für eine intensivere Auseinandersetzung zu gewinnen. Dies bestätigt auch indirekt der Leiter der Schule.
„Das ist eigentlich auch so ein Grund warum eben ganz schwer Ruhe rein zu bringen ist.
Einmal diese Perspektive von den Schulen her (...). Also es wechselt ständig, auch das Kollegium von Jahr zu Jahr. Also es kommen eben auch von geschlossenen Schulen Lehrer dann
hier unter und umgekehrt. Also viele Auswärtige hier, die 25 bis 35 km fahren oder mehr.“ (cMBT B Koop 4, 426-429)
In der zweiten Realschule, die nach Schilderung der Schulsozialarbeiterin von eher als
„links“ einzustufenden Schülern besucht wird, ist ein offeneres Klima anzutreffen. Die Leiterin der Schule befördert die Auseinandersetzung ihres Kollegiums, der Schülerschaft und den
Eltern mit dem Thema, obwohl an dieser Schule diese manifesten rechtsextremen Erscheinungen kaum zu verzeichnen sind.
„Uns geht es eigentlich darum, dass die Eltern ansagen, wo sie meinen dass ihre Kinder Gewalt erlebt haben, ob das in der Schule, im Bus ist – im Elternhaus werden sie weniger sagen;
eigentlich sollen das kleine Schritte sein. Und dass die Eltern vielleicht auch selber merken
oder mit den Kindern auch sprechen, wenn sie so was sagen, dass das kein Petzen ist, immer
nach dem Motte ‚Wehret den Anfängen’. Das haben wir uns vorgenommen.“ (c-MBT A Koop
2, 111-116)
Auch an dieser Schule führte das MBT drei Lehrerfortbildungen durch. Da das Thema bei der
ersten Fortbildung nicht im ausreichenden Maße behandelt werden konnte, wurde es zusätzlich in einer Dienstbesprechung wieder aufgenommen. Hier ging es der Schulleiterin und
dem MBT auch darum, abzugleichen welcher Bedarf und welche Erwartungen die Lehrer/innen an das MBT bei weiteren Beratungen und Fortbildungen haben. In dieser Schule
ergänzten sich der konsequent verfolgte klientenorientierte Ansatz des MBTs mit den Erwartungen und der Vorgehensweise der Schulleiterin.
Der klientenorientierte Ansatz des MBTs beschränkt sich nicht nur auf die Beratung von Unterstützung suchenden Erwachsenen. Durch eine vom MBT durchgeführte Befragung von
Schülern/innen beider Schulen sollten deren Ansichten zu Problemen, Fragen und Visionen
57
Der Leiter der Schule glaubt, dass bei einer guten Prognose die Schule noch für zwei Jahre eine
Überlebenschance hat, bei einer eher schlechten Prognose muss aufgrund des starken Schülerrückgangs bereits in einem Jahr mit der Schließung gerechnet werden (vgl. c-MBT B Koop 4, 399-422).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
155
für die Region erhoben werden. Dabei äußerten sich diese u.a. zu dem autoritären Unterrichtsstil einiger Lehrer/innen, zu den selbst erlebten Bedrohungen durch rechtsextreme Jugendliche (sie gehen den „Glatzen“, die „Stress machen“, aus dem Weg) oder zu dem unzureichenden Freizeitangebot für Jugendliche in der Stadt und den Dörfern der Umgebung.
Diese Befragung wurde auch in dem „links-alternativen“ Jugendzentrum durchgeführt.
Netzwerkbildung – „Runder Tisch gegen Gewalt“
Neben der zunächst starken Fokussierung auf die Schulen und Einzelberatungen wurde der
Aktionsradius im Hinblick auf eine sozialraumorientierte Gemeinwesenarbeit ausgedehnt. So
konnte parallel zu der zunächst intensiven Beratungstätigkeit an den Schulen mit Unterstützung des MBTs eine Ausweitung des engagierten Kreises erreicht werden. Dieser Kreis bezog sich nicht nur auf B-Stadt, sondern – wenn auch nur punktuell – auf Personen, die beruflich in der Jugendarbeit und Gewaltprävention in den umliegenden Kommunen tätig sind und
z.T. mit den rechtsextremen Schülern der ersten Haupt- und Realschule zu tun haben. Das
MBT versucht, mit einer langfristigen Zielsetzung ein regionales Handlungskonzept anzustoßen und mit zu entwickeln, das sich schwerpunktmäßig auf B-Stadt konzentriert. Dennoch
werden die mit der Verwaltungsfusion einhergehenden Veränderungen bei der Entwicklung
von Präventionsstrategien berücksichtigt.58 Ein Schritt in Richtung regionales oder lokales
Handlungskonzept ist die von den engagierten Akteuren und dem MBT betriebene Gründung
eines „Runden Tisches gegen Gewalt“. Dabei wurde zunächst ein starker Fokus auf den Bereich Jugendarbeit gelegt, weil es da gerade in den Kommunen der Umgebung, aber auch in
B-Stadt, an Angeboten mangelt.
„Dann haben wir mit ihr gemeinsam überlegt zu Anfang, was können wir eigentlich machen,
oder was ist dein Interesse, was soll hier in B Stadt und Umgebung – es war nicht nur auf diese kleine Stadt begrenzt, sondern auch auf die Umlandgemeinden – was gibt es hier für Möglichkeiten. Wir sind dann ziemlich schnell darauf gestoßen, dass es zum einen Probleme mit
der Schule gab, insbesondere mit der Schulleitung, die sehr passiv und resigniert war und
dass in ((A-Stadt)) selber und in der Region die Jugendarbeit völlig unprofessionell und halbherzig durchgeführt wird bzw. gar nicht durchgeführt wird. Das waren dann unsere beiden
Arbeitsschwerpunkte. Letztendlich hat es dazu geführt, dass wir wahnsinnig viel zum Teil Opfergruppen aber auch Lehrerinnen und Lehrer, Bürgermeister, Polizei, Kirche, Vereine, was
da so kreucht und fleucht, die haben wir alle abgeklappert und aufgesucht und haben mit denen noch mal die Lage besprochen. Haben diese beiden Schwerpunktthemen, wie kriegen wir
eine professionelle Jugendarbeit in der Region hin, die ein Stück weit das Problem wieder
raus nimmt und auch als Ansprechpartner für diese Jugendlichen da ist, und wie kriegen wir
mit den wenigen Ressourcen, die ja überall nur da sind, was Vernünftiges gebacken. Daraus
ist dann diese Idee des Runden Tisches entstanden.“ (b-MBT B, 506-522)
„Das Ziel ist eigentlich, dass wir dort ein Zeichen setzen, dass es Leute gibt, die reagieren.
Reagieren und dann eben auch agieren. Das wir ganz einfach was tun. Dass wir nicht nur zugucken und uns das gefallen lassen, sondern wir wollen den Bürgern der Stadt ((A)) ganz einfach zeigen, wir tun was, ihr könnt das auch. Und das eben mit dieser Aktion ... ich denke der
Elternabend, wenn der stattfindet, dass der ganz viele Leute wachrüttelt, hoffe ich zumindest.“
(c-MBT B Koop 1, 901-906)
58
Ob die Gründung eines regionalen Präventionsrats zu allen Formen der Gewalt eine Ergänzung oder
eine Parallelstruktur ist, muss sich in der Praxis zeigen. Zu diesem vom Präventionsbeauftragten der
Landesregierung eingerichteten regionalen/kommunalen Präventionsrat, sollen u.a. sämtliche Bürgermeister der Gemeinden der neuen Verwaltungseinheit eingeladen werden.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
156
Inhaltlich richtet sich der „Runde Tisch“ nicht nur auf die Behandlung von Interventionsstrategien zum Rechtsextremismus, sondern ist – aufgrund des Interesses der Teilnehmer/innen –
auf das Thema Gewalt (insb. von und gegen Jugendliche) ausgerichtet. So stellt die Schulsozialarbeiterin heraus, dass es ihr wichtig ist, jede Form von gewalttätigen Auseinandersetzungen zu behandeln und keine Konflikte auszusparen.
„Wir wollen das nicht auf rechte Gewalt einschränken. Dadurch, dass wir unseren linken Jugendclub hier haben, wollen wir, dass alles beguckt wird. Und ja, ich denke, dass ist ziemlich
spannend. Weil es sind ja auch immer Streitigkeiten zwischen diesen beiden Gruppen.“ (cMBT Koop 1, 4003-406)
Bildung von Arbeitsgruppen
Aus den entwickelten Vorschlägen der Teilnehmer/innen des „Runden Tisches“ zu Schwerpunkten der Arbeit des Netzwerkes wurden vier Arbeitsgruppen gebildet.
Die Arbeitsgruppe „Jugend“ will sich mit dem Stand und den Perspektiven der Jugendarbeit
in B-Stadt und Umgebung beschäftigen. Dabei stellt sie sich den Fragen: Welche Möglichkeiten gibt es, mit rechts-orientierten Jugendlichen zu arbeiten? Welche Ansätze und Projekte
gibt es in der Region? Und welche Ansätze wären für die Problemlage angemessen? Die Berater arbeiten in dieser Arbeitsgruppe aktiv mit und steht den anderen Arbeitsgruppen für
Nachfragen oder als Referent/innen zur Verfügung.
Die Arbeitsgruppe „Fest“ wollte ein „Fest der Begegnung“ veranstalten, damit möglichst
viele Interessierte zusammenkommen und der Kreis der Engagierten ausgeweitet wird. Diese
Idee wird momentan nicht mehr verfolgt.
Die Arbeitsgruppe „Befragung“ ist ein Projekt von Jugendlichen im Kontext des „links-alternativen“ Jugendzentrums. Sie wollen das rechtsextreme Einstellungspotenzial in der Region
erheben.
Die Arbeitsgruppe „Schule und Elternarbeit“59 war und ist der Schulleiterin und der Schulsozialarbeiterin ein großes Anliegen, da sie hier große Möglichkeiten sehen, die Eltern für jugendkulturelle Ausdrucksformen mit auch einem rechtsextremen Hintergrund zu sensibilisieren. So stellen beide fest, dass viele Eltern gar nicht wissen, was ihre Kinder machen.
„Und dann gibt es die AG Eltern, wo ich auch mit drin sitze und die Schulleiterin. (...) wir bereiten im Prinzip einen großen Elternabend vor. (...) Da soll es ein großes Begleitheft zu geben, wo wir auch Gewalt thematisieren, was Gewalt ist. Da habe ich auch zu Mobbing was zu
geschrieben, weil das ist ja an Schulen auch immer etwas Besonderes. Und dann aber eben
auch rechte Gewalt, verbotene Zeichen und so was alles. Dass Eltern auch mal einen Blick
kriegen, wie die Kinderzimmer aussehen (...). ((Namen der Berater/innen des MBTs)), die beireiten dann auch so eine Arbeitsgruppe vor. Eltern können sich vorher anmelden in welche
AG sie rein wollen, dass in jeder etwa gleich viel drin sind. Und dass sie zu einem bestimmten
Thema was arbeiten und dann auch dem Gesamten das vorstellen zum Schluss. Aber da sind
wir eben noch in der kreativen Phase, das zu erarbeiten.“ (c-MBT B Koop 1, 416-427)
Ein weiteres Thema ist – wie oben angeführt – Mobbing in der Schule bzw. der Umgang mit
Konflikten (Mediation etc.), was auch in dieser Arbeitsgruppe behandelt werden soll. Diese
59
Aufgrund von Interviews mit mehreren Mitgliedern dieser Arbeitsgruppe wird diese Arbeitsgruppe
hier ausführlicher beschrieben.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
157
Arbeitsgruppe, in der auch die Polizei sehr engagiert mitarbeitet, bereitet eine Elternseminarreihe an der Schule vor, in der Themen behandelt werden, die die Eltern zuvor anhand der
Einladung auswählen können. Das MBT bietet das Thema „Umgang mit Gewalt und Rechtsextremismus“ an. Auch soll eine Elternzeitschrift gemacht werden, in der über Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, Symbole und andere jugendkulturelle Aspekte informiert
werden soll. Ein weiteres Ziel dieser Arbeitsgruppe ist die Ausbildung der Schüler/innen zu
Streitschlichter/innen und deren Einbeziehung in das Konfliktmanagement der Schule.
Der leider auch im Rahmen des CIVITAS-Programms nur selten zu beobachtende generationenübergreifende Ansatz wird gerade von dieser Arbeitsgruppe konkret angewendet. So soll
eine Befragung von Eltern und Schülern durchgeführt werden. Ein zentrales Thema dieser
„Erhebung“ ist die Befragung von Jugendlichen zu eigenen Gewalterfahrungen. Wo haben
sie Gewalt erlebt? Wer hat ihnen die Gewalt warum zugefügt? Wie haben sie sich gefühlt und
wie sind sie, ihre Eltern oder Freunde etc. damit umgegangen? Ergebnisse dieser Erhebung
sollen dann in die Arbeit des „Runden Tisches“ einfließen.
Die Arbeitskreise arbeiten selbständig an denen von ihnen als wichtig erachteten Fragen. Das
MBT wird für besondere Zuarbeiten als Berater angefragt, und hat vor allem eine Vermittlerfunktion. Der augenblickliche Stand der Arbeitskreise wird in den ca. alle 8-10 Wochen stattfindenden „Runden Tischen“ ausgetauscht. Nachdem sich eine gewisse Stabilität des sich
entwickelnden Netzwerkes abzeichnete, hat das MBT die Moderation und Organisation des
„Runden Tisches“ an eine von CIVITAS geförderte Netzwerkstelle übertragen. Dies erfolgte
zum einen, um die nicht eingebundene Netzwerkstelle in ein langfristig zu entwickelndes
Netzwerk zu integrieren und zum anderen, um dem MBT Freiräume für andere Beratungsprozesse zu schaffen. Allerdings sehen die beiden Berater/innen diese Delegierung eines von
ihnen mit Erfolg aufgebauten Prozesses auch mit einem „weinenden Auge“. Sie geben gerade
dann ein Projekt ab, wenn es auf eine positive Entwicklungsbahn gesetzt worden ist. Um die
Akteure vor Ort nicht zu irritieren und um doppelte Arbeit und Kompetenzwirrwarr zu vermeiden, favorisieren die Berater/innen des MBTs aufgrund der gemachten Erfahrungen mittlerweile eher eine Beratung aus „einer Hand“ (vgl. b-MBT B, F 1). Auch scheint den beiden
Berater/innen sowie auch extern befragten Akteuren die Arbeit der Netzwerkstelle an manchen Punkten verbesserungsbedürftig.60
Die „Netzwerkstellen sind immer noch dabei, sich zu definieren. Was sind denn eigentlich ihre
Aufgaben, und was können sie leisten, auch im Zusammenhang mit uns, wo sind Abgrenzungen nötig usw.? Ich denke, die haben eine ganz schwierige Position. Also, um wirklich auch
ihren Arbeitauftrag für sich ein Stück klar zu kriegen. Und was wir gemerkt haben, ist einfach,
wenn die Anbindung intensiver wäre, könnte man so einen Prozess von vornherein auch ein
Stück anders stricken. Was Einbeziehung betrifft oder so. Ansonsten ist es durchaus wirklich
schwierig, die Netzwerkstelle immer zu involvieren, was Gespräche betrifft. Umgekehrt genauso.“(b-MBT B F 1, 886-894)
60
So wird aus der folgenden Interviewpassage deutlich, dass das MBT höhere Ansprüche an die Netzwerkarbeit stellt, als die Netzwerkstelle sie möglicherweise leistet. „Da man sich aber auch auf die
Umsetzung letztendlich verlassen muss, und es ist einfach schwierig, wenn man selber andre Erwartungen dann doch hatte an bestimmte Sachen, ja hat man dann nur noch schwer einen Einfluss drauf.“
(b-MBT B F 1, 907-910)
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
158
Nach Darstellung der Sozialarbeiterin arbeiten jetzt kontinuierlich ca. 15-20 Personen aus
Schulen, aus der Jugendhilfe, der Polizei, der evangelischen Kirchengemeinde, der Verwaltung der Stadt und des Landkreises zusammen mit Jugendlichen am „Runden Tisch“ mit. Je
nach Einbindung in dieses Netzwerk findet die Hauptarbeit zumeist in den Arbeitskreisen
statt, die mit unterschiedlicher Intensität arbeiten.
Vorgehen und Methoden des MBT
Von den extern Befragten wird immer wieder die Art und Weise hervorgehoben, mit der die
beiden Mitarbeiter/innen des MBTs sowohl Fortbildungen als auch Beratungsgespräche
durchführen. Schulleiterin und Schulsozialarbeiterin stellten heraus, dass beide Berater/innen
nicht mit einer vorgefertigten Meinung kämen und so nicht als selbstgewisse Experten auftreten würden.
„Also, dass ich auch wirklich das Gefühl habe, dass sie kompetent sind. Also, dass sie nicht
irgendwelche ‚Schnacker’ sind und das Fahrrad neu erfinden, sondern dass sie wirklich kompetent sind und auch zuhören und zwar auch nicht auf jedes sofort ein Rezept haben. Aber,
sage ich mal, zumindest die Zutaten, dass man sich dann selbst was zusammenrühren kann.“
(c-MBT B Koop 1, 1146-1140)
Mit ihrer auf die anderen Beteiligten ausgerichteten Gesprächsführung stellten sie eine offene
Situation her. Sie versuchen so, einen Raum zu schaffen, in dem die zu Beratenden Fragen
stellen und mit ihnen im Dialog Antworten entwickelt werden können.61
„Was ich gut finde, dass die uns nicht irgendwie eine vorgefertigte Meinung vorsetzen oder
nicht sagen, so und so ist das und fertig, sondern dass sie in erster Linie fragen; wie wir das
sehen und wie wir das erlebt haben und von da ausgehend dann was man machen könnte.“
„Und, ich meine, da sind so einige Fragen (von Kolleg/innen in einer Fortbildung; der Autor)
gestellt worden da muss man vielleicht erstmal schlucken und da muss man dann eben drauf
auch antworten. Und das haben sie gut gemacht.“ (c-MBT B Koop 2, 64-6; 71-72)
Auch bei den Fortbildungen verfolgen die beiden Berater/innen laut Auskunft der extern Befragten einen partizipativen Ansatz. So war in der ersten Lehrerfortbildung an der zweiten
Realschule neben einer Information zu verschiedenen Erscheinungsweisen des Rechtsextremismus, der Aspekt der Handlungsoptionen für den Schulalltag aufgrund der knappen Zeit zu
kurz gekommen. Das Thema sollte deshalb in einer Dienstbesprechung ausführlich behandelt
werden. Um nun genau zu erfahren, mit welchen Situationen die Lehrer/innen Schwierigkeiten haben umzugehen, welche Erwartungen und Fragen sie haben, ermittelten die beiden
Berater/innen gezielt den Bedarf, um nicht – wie dies bei solchen Informationsveranstaltungen des öfteren zu beobachten ist – mit vorgefertigten Folienvorträgen an den Interessen
der Lehrer/innen des Kollegiums vorbeizureden.
„Das war in der letzten Dienstberatung, da waren die eigentlich da, um festzustellen, was hat
sich im Laufe oder seit dem letzten ((Lehrerfortbildung)), was hat sich ereignet oder worauf
sollen sie genau eingehen. Und das haben wir ihnen dann auch eben gesagt, was wir gerne in
der nächsten Lehrerberatung dann besprechen würden. Das haben sie sich aufgeschrieben
und ja, das ist das denn was wir dann behandeln wollen.“
61
Die Schulsozialarbeiterin berichtet, dass es ihr hilft, von außen anregende Fragen gestellt zu bekommen, auch hätte sie selbst schon einen Teil der Antworten, sie habe sich diese aber nicht vergegenwärtigen können (vgl. c-MBT B Koop 1).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
159
„Ich meine, die machen schon Angebote, aber richten sich da im Grunde genommen nach uns,
auch was wir gerne hören möchten oder worüber wir gerne sprechen möchten.“ (c-MBT B
Koop 2, 76-80; 151-152)
Eine weitere Form, auf die Anliegen und Lösungskompetenzen der zu Beratenden einzugehen, erfolgt durch die Arbeit in Arbeitsgruppen. So wird eine günstige Mischung aus informativem Input und der Erarbeitung von Themen und Lösungsansätzen durch die Rezipienten
politischer Bildung selbst erreicht (vgl. c-MBT B Koop 4). Nach Auskunft der Schulleiterin
gelingt es den Berater/innen, das schwierige und auch überladene Thema Rechtsextremismus
in einer Form und Dosierung zu behandeln, die keinen Überdruss erzeugt.
„Das ist eine sehr offene Gesprächsführung, und das ist eigentlich, das ist kein Monolog, das
ist wirklich ein Dialog. (...) Es ist ja auch oft so, ich will jetzt nicht, dieses Thema kann ja auch
sehr schnell ‚satt’ machen. (...) Und da muss man ja auch aufpassen, dass das nicht so geballt
ist, dass die Lehrer beim ersten Mal sagen, also, es reicht mir jetzt für die nächsten zehn Jahre. Da muss man auch aufpassen, das machen die eigentlich ganz geschickt.“ (C-MBT B,
Koop 2, 165-170)
Diese Art von Gesprächsführung setzt ein hohes Maß an Flexibilität und Aufgeschlossenheit
gegenüber den Anliegen und Ansichten der zu Beratenden voraus. Diese offene Gesprächsführung und ihre Fähigkeit, „zuhören“ zu können, werden als konstruktiv und auch persönlich angenehm beschrieben. So stellt die Schulleiterin nicht nur die Gesprächs- und Fachkompetenz heraus, sondern betont, dass sie auch gerne mit ihnen zusammenarbeitet.
Ich muss ehrlich sagen, ich arbeite mit den beiden sehr gerne zusammen.(...) Weil sie sehr
aufgeschlossen sind und auch wie gesagt, weil sie nicht kommen und sagen, wir sind hier die
Fachleute, wir haben Ahnung und ihr hört uns ganz einfach zu, sondern weil sie ganz einfach
sagen; worüber wollen wir sprechen, welche Erfahrung habt ihr gemacht und so. Das find ich
schon gut.“ (c-MBT B Koop 2, 153-160)
4.3.3 Auswertung des Falls B62
An dem untersuchten Beratungsfall wird sichtbar, wie wichtig einerseits bestimmte Rahmenbedingungen und andererseits aber auch die kommunikativen und sozialen Kompetenzen der
Berater/innen sind. Ein gewisses Maß an Sensibilität und Aktivierungsbereitschaft sind günstige, wenn nicht sogar notwendige Voraussetzungen, damit eine Beratung die Eigenaktivierung ermöglichen kann. Andererseits wird hier deutlich, dass kommunikative und soziale
Kompetenzen diesen Prozess positiv fördern können. So wird neben ihrer fachlich-inhaltlichen insbesondere die methodische Kompetenz, die Art und Weise, wie die Berater/innen
ein Thema behandeln, als sehr konstruktiv und produktiv eingeschätzt. Da Team B Mobile
Beratung als eine Technik, andere zu ihren Zielen zu begleiten, versteht, können sie sich nach
den Darstellungen der Kooperationspartner auch inhaltlich zurücknehmen. Durch ihr Rollenverständnis als „Vermittler“ und „Begleiter“ gelingt es ihnen, die Entwicklung von zivilgesellschaftlich-orientierten Auseinandersetzungsformen den Akteuren vor Ort zu überlassen.
So konnte das MBT sich zu einem gewissen Grad aus dem anfangs sehr intensiven Bera-
62
Um Wiederholungen bei dem sich anschließenden kontrastiven Fallvergleich zu vermeiden, erfolgt
hier nur eine sehr komprimierte Zusammenfassung der Auswertung des Falls B, die in der Gesamtauswertung des Fallvergleichs integriert ist.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
160
tungsprozess herausnehmen und ein Stück ihres Ziels erreichen, sich „überflüssig zu machen“.
Von allen extern befragten Akteuren aus den unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen (Schule
und Schulsozialarbeit, Polizei, Stadtverwaltung und Jugendamt) werden bei beiden Berater/innen ihre Fachkompetenz und ihre kommunikativen und sozialen Fähigkeiten als sehr
positiv eingeschätzt. Lediglich ein extern Befragter wünschte sich – dies betrifft aber seine
generelle Kritik an dem zivilgesellschaftlichen Ansatz –, dass mehr direkt mit rechtsextremen
Jugendlichen gearbeitet werde. So sollte durch individuelle Beziehungsarbeit auch der Frage
nachgegangen werden, was bei jedem einzelnen Jugendlichen die Hintergründe für seine
rechtsextreme Orientierung seien, wie und warum er rechtsextrem geworden sind (vgl. cMBT A Koop 7). Das MBT versucht dieses Defizit aufzugreifen und steht – als einer der
ganz wenigen Teams – einer sozialen Arbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen unter
Anwendung qualitativer Standards offen gegenüber. So findet im Rahmen von Fachtagungen
auch eine offene Auseinandersetzung mit dem Konzept der akzeptierenden Jugend- und Sozialarbeit statt.
4.4 Kontrastiver Fallvergleich und Fazit
Jeder Beratungsfall hat seine eigenen „Gesetze“ und spezifischen Rahmenbedingungen. Inwieweit die Rahmenbedingen in beiden Fällen mehr Übereinstimmungen oder Unterschiede
aufweisen, kann im jetzigen Stadium der Untersuchung nicht beurteilt werden. So kann auch
kein Urteil gefällt werden, warum der eine Beratungsfall in der Tendenz bisher eine scheinbar
kontinuierlich positive Entwicklung nach sich zieht, der andere von deutlichen Rückschlägen
gekennzeichnet ist. Erst recht kann nicht beurteilt werden, ob die Verläufe auf die Arbeit der
Beratungen zurückzuführen sind.
Allerdings lassen sich Unterschiede im Rollenverständnis, in der Anlage des Falls, sowie
einige konkrete Beobachtungen zum methodischen Vorgehen beider Teams feststellen. In
beiden Fällen wird sichtbar, dass beide MBTs mit großem Einsatz und Ausdauer bei der Sache sind. Von externen Beobachtern werden den Berater/innen beider Teams eine hohe Fachund soziale Kompetenz bescheinigt. Im Fall A hat man allerdings den Eindruck, dass die
Kooperationspartner „erst mal froh“ sind, dass überhaupt jemand da ist, der ihnen auch einen
Teil ihrer Arbeit abnimmt und zudem ein offenes Ohr für ihre (auch nicht unmittelbar zum
Thema gehörenden) Probleme hat. In Fall B werden die Kompetenzen und Tätigkeiten der
Berater/innen von den Kooperationspartnern von sich aus differenzierter beschrieben und ihre
spezifischen Kompetenzen als ein fachliches Angebot dargestellt. Die Darstellungen vermitteln den Eindruck, dass man den beiden Berater/innen von Team B auf gleicher Augenhöhe
begegnet und ihre Fachkompetenz als (funktionales) Angebot nutzt, sie aber nicht versuchen,
die Berater/innen für sich zu vereinnahmen, um bestimmte anfallende Aufgaben zu lösen.
Vorgehensweisen im Beratungsprozess
Im Fall A ist zu vermuten, dass einerseits die Träger einer enormen Unterstützung bedürfen
bzw. diese insbesondere die Träger der Jugendeinrichtung in Anspruch nehmen und andererseits die Berater/innen des Teams A ihnen durch ihre Beraterrolle vermutlich in dieser Anspruchshaltung entgegengekommen sind oder diese in der Interaktion mitgeschaffen haben.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
161
Es entsteht der Eindruck, dass ein Berater aus Team A sehr intensiv in den Beratungsprozess
eingestiegen ist, um den Neuanfang in der Jugendarbeit zu befördern. Dies ist ihm durch sein
großes Engagement und seine Fachkompetenz gelungen, die ihm von allen Kooperationspartnern bescheinigt wird. Allerdings ist auffällig, dass das MBT A in einer brisanten Entwicklungsphase der Jugendeinrichtung anscheinend selbst nicht genug präsent war, jedenfalls
ist es ihnen (damals) nicht gelungen, den Trägerverbund und die interessierten Akteure vor
Ort zu einer intensiven Auseinandersetzung über die Jugendeinrichtung insbesondere und die
Jugendarbeit im allgemeinen in A-Stadt zu animieren.63
Möglicherweise ist die stark unterstützende Haltung des MBT A auch damit zu erklären, dass
die Eigenaktivierung der Akteure in A-Stadt nur sehr begrenzt in Gang kam. Man kann sich
des Eindrucks nicht erwehren, als würde hier mit „angezogener Handbremse“ gefahren. Ob
wiederum das sehr engagierte Verhalten des MBTs und insbesondere ihre Bereitschaft, den
Akteuren Aufgaben abzunehmen, der Eigenaktivierung entgegen gewirkt hat, ist zu vermuten, kann aber letztlich anhand des Materials nicht nachgewiesen werden. Es scheint als hätte
sich die Interaktionsweise des MBTs mit der Reaktionsweise der Akteure vor Ort ergänzt.
Vor dem Hintergrund, dass sich hier im Gegensatz zu Fall B doch eher langsam und ein nur
punktuelles Engagement insbesondere der kommunalen Verantwortungsträger abzeichnet, ist
verwunderlich, wie seitens eines Beraters des MBT A mit einer sehr hohen Erwartungshaltung und einer volontaristischen Herangehensweise auf die Eigenaktivierung kommunaler
Institutionen gesetzt, ja diese quasi moralisch eingefordert wird, währenddessen beide Berater/innen sich so intensiv einbringen, dass sie von den anderen Kooperationspartnern als eine
Art vierter Träger wahrgenommen werden, der einen Teil der Aufgaben übernimmt, die die
anderen zuständigen Verantwortungsträger übernehmen müssten.
Das hier nicht näher zu analysierende Interaktionsverhältnis von Berater/innen und zu Beratenden scheint einen sehr zentralen und noch ungeklärten Punkt Mobiler Beratung anzusprechen, der das eigene Rollenverständnis und die ethischen Standards Mobiler Beratung betreffen. Dies betrifft sowohl das Verhältnis von Nähe und Distanz zu den zu Beratenden als auch
die Frage, wie weit eine beratende Intervention in den Selbstbestimmungsprozess eines Gemeinwesens eingreifen darf. Dabei gilt es auch, moralische Überhöhungen bzw. implizite
oder explizite moralische und politische Erwartungshaltungen zu hinterfragen, mit denen
einige Berater/innen ihren Klienten – wie bei Team A insbesondere bei Fortbildungen zu
beobachten – gegenübertreten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass eine zu große Unterstützung der lokalen Akteure durch das MBT deren Eigenaktivität hemmt und den Aufbau von
zivilgesellschaftlichen Strukturen langfristig nicht von den Akteuren selbst getragen werden
kann.
Methodenkonsistenz – Form und Inhalt
Auffallend ist bei Team A, dass es in den Fortbildungen auf eine Art Kurzzeit- und Kompaktpädagogik setzt und möglichst viele Themen in kurzer Zeit abhandeln will. Mehrere
63
Dies bestätigt übrigens indirekt der zuständige Jugendhilfepfleger, der von der Zuspitzung um die
Einrichtung erst auf einer Krisensitzung im Juli erfuhrt, auf der die Kündigung des Sozialarbeiters
mitgeteilt wurde.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
162
Fortbildungen und Informationsveranstaltungen64 in diesem Beratungsprozess dauerten nur
zwischen einer bis höchsten drei Stunden. Dabei verfolgte das Team A beispielsweise bei
einer Fortbildung des Lehrerkollegiums der Mittelschule einen Ansatz, der weniger partizipativ und klientenorientiert zu sein scheint. So wurden die Lehrer/innen erst nach Beendigung ihres mehr als dreiviertelstündigen Vortrags nach ihren Problemen und Anregungen
gefragt.
Hingegen ist die Methode des Team B konsequent klientenorientiert und auf aktive Partizipation der beteiligten Akteure ausgerichtet. So scheint Team B aufgrund einer Mediationsausbildung über gezielt einsetzbare Kommunikationstechniken und soziale Kompetenzen zu
verfügen, welche die zu Beratenden bzw. Fortzubildenden bei ihren Anliegen und Interessen
ansprechen und ihre Eigenaktivität zur Basis der Interaktion machen. Durch diese Vorgehensweisen scheinen sie es zu vermeiden, dass ihre Beratungen und Fortbildungen einen belehrenden Charakter haben und auf Ablehnung stoßen. Dieses Vorgehen folgt dem pädagogischen Grundsatz, dass Belehrung gegen Erfahrungen und erst recht gegen Vorurteile
nicht ankommt.
Es kann hier allerdings nicht beurteilt werden, inwieweit die kommunikativen Kompetenzen
und das methodische Vorgehen letztlich für das Gelingen des jeweiligen Beratungsprozesses
verantwortlich sind.65 Allerdings macht der Fallvergleich deutlich, dass die Beratungstechnik,
die kommunikativen und auch persönlichen Kompetenzen eine große Rolle spielen. Dabei
wird gerade im Fall B sichtbar, wie wichtig der Zusammenhang von Inhalt und Form ist. So
wird nach dem vorliegenden Datenmaterial von Team B ein konsistenter Zusammenhang
zwischen Inhalten zivilgesellschaftlichen Engagements und den Mitteln und Methoden sichtbar, mit denen dies erreicht wird. Ein demokratisches Gemeinwesen kann nur mit demokratischen Mitteln entstehen, und dies zieht sich bis in die kleinsten Kapilaren sozialer Beziehungen und demokratisch-orientierter Bildungs- und Beratungsansätze durch. So lehnen die Berater/innen in Team B auch die bei Team A und auch anderen MBTs anzutreffende „Verbotspädagogik“ ab. Sie setzen auf die Mündigkeit und das Selbstbestimmungsrecht der Bürger/innen und sind auch bei heiklen Themen für eine offene Auseinandersetzung, die ihnen
bei sehr politisch positionierten und moralisch argumentierenden Kooperationspartnern nicht
nur Sympathien einbringen. So hat das Team B im Gegensatz zu Team A auch keine Scheu,
sich mit der sozialen Arbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen auseinander zu setzen
und diese unter bestimmten Bedingungen auch als eine geeignete und notwendige Methode
zu befürworten. So soll in der Umgebung von B-Stadt versucht werden, durch Streetwork mit
64
Eine Fortbildungs- und Informationsveranstaltung im Lehrerkollegium der Mittelschule im September 2003 konnte die wissenschaftliche Begleitung ganz mitverfolgen und auswerten; eine Fortbildung
der drei Mitarbeiter/innen der Jugendeinrichtung am gleichen Tag nur punktuell. Beide Berater/innen
sowie einzelne Teilnehmer/innen wurden aber zu diesen beiden Fortbildungsveranstaltungen befragt.
65
Um das Wirkungsverhältnis von kommunikativem Input und erfolgten Veränderungen bestimmen
zu können, müssten sämtliche Kontextfaktoren isoliert und ihre Wirkung auf den Beratungsprozess
identifiziert werden können, was nicht möglich ist. Mobile Beratung ist immer eine in bestehende, zum
Teil nicht ein- und übersehbare Kontexte eingelagerte Beratung. Ein experimentelles Forschungsdesign lässt sich nur schwer herstellen (zu den Schwierigkeiten eines experimentellen Forschungsdesigns
am Beispiel der Kriminalitätsprävention vgl. Schumann 2001).
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
163
rechtsextrem-orientierten Jugendlichen zu arbeiten. Team A vermeidet hier eine Auseinandersetzung, obwohl in der Jugendeinrichtung akut das Problem mit rechtsextrem-orientierten
Jugendlichen besteht.
Es stellt sich auch hier die Frage von Inhalt und Form. Steht eine auf Offenheit und Selbstbestimmungsrecht fußende Bürgergesellschaft nicht diametral einer auf Ausgrenzung und
Stigmatisierung setzende Strategie entgegen? Geht mit dieser Bekämpfungshaltung des „Gegen“ nicht gleichzeitig eine Dichotomisierung von den „Guten“ auf der einen und den „Bösen“ auf der anderen Seite einher.
Die beiden Fälle zeigen dazu in unterschiedlicher Art Vorgehensweisen in einer schwierigen
Beratungspraxis. Der Ansatz, der Mobile Beratung als eine Technik, als eine an den Anliegen
und der Eigenaktivität der Akteure ansetzende aber auch den Eigen- und Gestaltungswillen
der Bürger/innen respektierende Methode versteht, scheint dabei eher ein innovatives und
aktivierendes Potenzial zu haben. Bei diesem Ansatz kommen sowohl in den Inhalten als
auch den Methoden demokratische bzw. zivilgesellschaftliche Werteorientierungen zur Geltung. Damit kann diese Form von Mobiler Beratung selbst zum Vorbild und zu einer Lernmethode für demokratische Verhaltensweisen in der „Alltagspraxis“ werden.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
164
5 Zusammenfassung und Resümee der Evaluierung der
Mobilen Beratung
Die Untersuchung hat eine komplexe Problem- und Bedarfslage herausgearbeitet. Von der
konzeptionellen Anlage, den Methoden und vom Tätigkeitsprofil her ist Mobile Beratung in
der Lage, auf diese vielfältigen und heterogenen Anforderungen zu reagieren. Ob der Ansatz
allerdings seine Potenzen voll entfalten kann und diese in der Beratungspraxis umgesetzt
werden, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die in der Untersuchung herausgearbeitet
werden konnten. Im Folgenden werden entlang der untersuchten Bereiche die wichtigsten
Ergebnisse der Evaluierung dargestellt und defizitäre Entwicklungen beleuchtet. Im Anschluss daran werden Thesen zur Weiterarbeit der MBTs formuliert.
5.1 Ergebnisse der Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
Konzeptioneller Ansatz Mobiler Beratung
Die Untersuchung hat deutlich gemacht, dass die MBTs ein breites Tätigkeitsprofil entwickelt haben, um auf die vielfältigen Anforderungen reagieren zu können. Im Mittelpunkt ihrer
Tätigkeiten steht die Beratung von lokalen Akteuren sowie Verantwortungsträgern aus Politik
und Verwaltung zum Umgang mit rechtsextremen Erscheinungen. Mobile Beratung setzt sich
zum Ziel, ein auf die jeweiligen lokalen bzw. institutionellen Gegebenheiten und Bedarfslagen zugeschnittenes Beratungsdesign zu entwerfen. Dadurch sollen die Anliegen und Interessen der Akteure vor Ort wahrgenommen und ihre Sicht der Dinge zum Ausgangspunkt der
Beratung gemacht werden. Da sich Mobile Beratung als „Hilfe zur Selbsthilfe“ versteht, sollen die Akteure – unter möglichst optimaler Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen – dazu befähigt werden, ihre Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen, um diese in die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Rechtsextremismus einzubringen. Mobile Beratung kann und soll zu zivilgesellschaftlichem Engagement aktivieren. Die
Bürger/innen vor Ort sollen aber die Akteure dieses Selbstorganisations- und Auseinandersetzungsprozesses bleiben.
Ziele Mobiler Beratung
Die Ziele Mobiler Beratung werden von den meisten MBTs sehr allgemein formuliert. Eine
Operationalisierung der allgemeinen Programmleitlinien in mittelfristige Projekt- und kurzfristige Handlungsziele ist offensichtlich nur bei den wenigsten MBTs systematisch verfolgt
worden. Die Schwierigkeit einer Konkretisierung von Beratungszielen hängt allerdings auch
damit zusammen, dass Mobile Beratung als offener Ansatz verstanden wird, dessen Zielbestimmungen sich jeweils aus dem konkreten Beratungsfall ergeben. Aussagen zu einer Zielerreichung von selbstgestellten Projektzielen lassen sich deshalb seitens der wissenschaftlichen
Begleitforschung nur begrenzt machen.
Zielgruppen Mobiler Beratung
Mobile Beratung ist vom Anspruch her an all diejenigen Akteure und Institutionen gerichtet,
die sich für eine Stärkung der Zivilgesellschaft engagieren wollen bzw. für die Entwicklung
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
165
einer Zivilgesellschaft wichtig sind. Die Breite der Zielgruppen erstreckt sich von zivilgesellschaftlichen Initiativen, kommunalen Verantwortungsträgern aus Politik und Verwaltung,
Multiplikatoren und Mitarbeiter/innen im Jugend- und Bildungsbereich, Lehrer/innen und
Schulsozialarbeiter/innen bis hin zu Polizei, Justiz und Wirtschaft. Gemessen an dem Anspruch der MBTs ist die reale Erreichung der Zielgruppen sehr begrenzt. Einige Kleinteams
erreichen nur einen sehr kleinen Kreis von Zielgruppen, der die bereits für das Thema sensibilisierten Akteure kaum überschreitet. Allerdings gelingt es einem Teil der MBTs mit zunehmenden Erfolg, ein breiteres Spektrum im kommunalen Bereich und hier auch einflussreiche Verantwortungsträger und (politische) Institutionen anzusprechen. Dennoch zeigt sich
bei den Zielgruppen deutliches Übergewicht bei Multiplikatoren und Akteuren aus dem Jugend- und Initiativenbereich.
Tätigkeitsbereich Fortbildung
Neben dem eigentlichen Kernbereich der Beratung haben einige MBTs den Tätigkeitsbereich
„Fortbildungen und Informationsveranstaltungen“ auf- und ausgebaut. Zu Themen wie
„Rechtsextremismus“, „rechtsextreme Jugendkulturen und Symbolik“ konnte sich so ein Teil
der Berater/innen als Experten profilieren. Nicht nur an diesem Tätigkeitsfeld wird deutlich
sichtbar, dass bei der Mobilen Beratung die Übergänge zur politischen Bildung fließend sein
können. Begründet wird die Ausübung dieser Tätigkeit damit, dass darüber Ansprechpartner
für Beratungen gefunden werden können und die hohe Nachfrage nach Fortbildungen abgedeckt werden kann/muss, weil es in manchen Regionen keine oder kaum Anbieter für politische Bildung zu den Themenbereichen Jugendgewalt und Rechtsextremismus gibt. Diese
offensichtlich notwendige Fokussierung auf Tätigkeitsbereiche der Sensibilisierung bilden
einerseits eine Teilvoraussetzung für Beratung. Andererseits entziehen allzu viele Fortbildungen und Informationsveranstaltungen dem Kernbereich Mobiler Beratung als Befähigung zur
zivilgesellschaftlichen Aktivierung die nur begrenzt vorhandenen Arbeitskapazitäten.
Rollen- und Selbstverständnis
Zentral für die Bewertung der Mobilen Beratung ist das Rollen- und Selbstverständnis der
Berater/innen. Die Frage des Rollenverständnisses hat bei den untersuchten Teams eine große
Bedeutung und ist für einen Teil der Berater/innen auch nach zwei jähriger Beratungspraxis
noch nicht (abschließend) geklärt. Das hohe Engagement, mit dem die Berater/innen sich
zum Teil der Anliegen der zu Beratenden annehmen, kann leicht mit dem Verlust einer notwendigen Distanz einhergehen (vgl. Kap. 3.3 und insb. 4.2). Als ein generelles Problem kann
das Verhältnis von Nähe und Distanz zum Beratungsgegenstand einerseits und zu den Beratenden andererseits festgehalten werden.
Ein weiterer Befund ist, dass die Beraterrolle häufig nicht konsequent durchgehalten wird
oder werden kann. So wurde von vielen Teams darauf hingewiesen, dass sie selbst mitunter
in eine Akteursrolle treten müssen, um Veranstaltungen und Fortbildungen zum Rechtsextremismus durchzuführen, damit sie sich einen Zugang zu Multiplikatoren und anderen Adressaten von Beratung verschaffen können. Ein Teil der MBTs hat dabei aktiv auch an der
Strukturerhaltung bzw. an dem -aufbau insbesondere im Jugendbereich mitgewirkt, um sich
so ein Kooperationsnetzwerk aufzubauen und darüber eine Nachfrage nach Beratung zu initiieren. Eine wesentlich problematischere Form des Wechsels zwischen Berater- und Ak-
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
166
teursrolle stellt die Einnahme einer politischen Akteursrolle dar. Einige Berater/innen sehen
es als ihren Auftrag an, auch als MBTs (politisch) aktiv gegen Rechtsextremismus tätig zu
werden und nehmen damit – wie folgend dargestellt – die Rolle von Bewegungsakteuren ein.
Verschiedene Ansätze Mobiler Beratung
Ein zentrales Ergebnis der Evaluierung ist die Herausarbeitung von zwei in der Ausrichtung
verschiedenen Ansätzen und Vorgehensweisen Mobiler Beratung. Diese beiden „Grundströmungen“ treten nicht in Reinform auf, sondern können bei einzelnen Teams oder auch Berater/innen neben einander bestehen. Der eine Ansatz kann als offener moderierender Ansatz
charakterisiert werden. Der andere Ansatz ist gekennzeichnet durch seine inhaltliche Fixierung auf den Rechtsextremismus und die Haltung einer Gegnerschaft zu diesem; was sich
häufig in reaktiven und auch repressiven Bekämpfungsstrategien niederschlägt. An diesen
beiden Grundausrichtungen können die Potenziale Mobiler Beratung näher bestimmt werden.
a) Offener moderierender Ansatz
Der offene moderierende Ansatz ist aufgrund seiner Anlage und den vorgestellten empirischen Befunden am ehesten in der Lage, eine demokratische Auseinandersetzung unter Einbezug möglichst aller Akteure vor Ort zu befördern. Dieser Befund lässt sich anhand aller
Analysebereiche zeigen. Berater/innen, die diesen Ansatz konsequent verfolgen, stellen die
Anliegen der Akteure durchweg in den Mittelpunkt ihres Vorgehens. Dieses wird möglich, da
hier Mobile Beratung als eine Kommunikationsstrategie verstanden wird, die darauf ausgerichtet ist, „zuhörend“ die Sichtweisen der Akteure vor Ort zu erfragen. Die Beratung hilft
den Akteuren durch eine spezifische Gesprächsführung, die man als „Hebammentechnik“
bezeichnen kann, ihre bereits vorhandenen Kompetenzen zu erkennen und in einer gemeinsamen Entwicklung von Handlungsstrategien umzusetzen. Den verschiedenen Akteuren vor
Ort wird so mit einer Wertschätzung und Akzeptanz begegnet, die eine wichtige Grundlage
für eine langfristige Zusammenarbeit ist. Mit solch einem Vorgehen bleibt die Selbstbestimmung der Aktiven vor Ort gewahrt; sie sind und bleiben die Akteure des Geschehens. Die
Beratung dient „lediglich“ dazu, die Eigenkompetenzen zu stärken, die vorhandenen Ressourcen herauszuarbeiten und zu bündeln. Die Berater/innen nehmen dabei auch eine Art
„Vorbildfunktion“ für demokratisches Verhalten und zivilgesellschaftliche Werteorientierung
ein. Form und Inhalt einer an demokratischen Prinzipien orientierten Beratung bilden hier
eine Einheit.
Auf Seiten der zu Beratenden setzt dies die Bereitschaft und Freiwilligkeit voraus, sich zu
engagieren. Dieser Beratungstyp baut auf die Mündigkeit der Bürger/innen und ihre Selbstorganisationspotenziale. Für die Berater/innen setzt dies voraus, sowohl Empathie für die zu
Beratenden zu entwickeln, als auch immer wieder eine professionelle Distanz herzustellen
und es dabei auszuhalten, dass die Akteure andere Handlungsstrategien verfolgen können als
die Berater/innen für angebracht halten. Dieses professionelle Rollenverständnis und die Offenheit des Ansatzes sind am ehesten geeignet, viele Akteure aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen anzusprechen (vgl. Kap. 3.1.2; 3.2.3). Wie insbesondere die Darstellung des
Fallvergleichs zeigte (vgl. Kap. 4), kann es mit solch einer offenen und moderierenden
Kommunikationsstrategie gelingen, eine gemeinwesenorientierte Auseinandersetzung mit
antidemokratischen Erscheinungen zu befördern.
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
167
b) Mobile Beratung als Gegnerschaft zum Rechtsextremismus
Der zweite Ansatz zeichnet sich durch eine Fixierung und ein reaktives Vorgehen auf zumeist manifeste Erscheinungsformen von Rechtsextremismus aus. Die eigene Beraterrolle
und das Vorgehen definieren sich in negativer Absetzung vom Rechtsextremismus. Die Beratung zielt tendenziell auf die Entwicklung direkter und häufig auch repressiver „Bekämpfungsstrategien“. Die Mobilisierung gegen einen negativ definierten Gegner bzw.
„Feind“ kann unter bestimmten Bedingungen eine starke Ressource sein. Die bereits Sensibilisierten und zum Engagement Bereiten werden aufgewertet und erfahren durch das gemeinsame Vorgehen eine Solidarität und Stärkung des Gruppenzusammenhalts. Durch Mobile
Beratung können möglicherweise die Handlungsansätze solcher bereits engagierter Gruppen
und Einzelpersonen optimiert werden.
Die Untersuchung hat jedoch deutlich gemacht, dass mit diesem Beratungsansatz eine Vielzahl von negativen Implikationen einhergehen können und seine Leistungsfähigkeit, zivilgesellschaftliches Engagement nachhaltig zu verbreitern, darum hinterfragt werden muss. So
führen „Bekämpfungsstrategien“ des „Gegen“ zu einer unterkomplexen Bearbeitung des
Rechtsextremismus, da in Dichotomien gedacht und gehandelt wird: die „Guten“ auf der
einen Seite, die „Bösen“ auf der anderen Seite. Solche „Bekämpfungsstrategien“ gehen von
der Grundannahme aus, dass durch die Verdrängung des Rechtsextremismus an dessen Stelle
quasi automatisch zivilgesellschaftliche Strukturen und Potenziale entstehen würden. Positiv
formulierte Konzeptionen und Strategien zur Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft und die Frage, wie diese beschaffen sein müsste, damit sich antidemokratische Erscheinungen nicht verfestigen bzw. ausbreiten können, kommen so weniger zur Geltung.
Hingegen reiben sich solche „Bekämpfungsstrategien“ der Gegnerschaft zumeist an einzelnen
manifesten Erscheinungen und Ereignissen von Rechtsextremismus auf. Die dabei zu beobachtenden konfrontativen und polarisierenden Formen der Auseinandersetzung schrecken
solche Bürger/innen ab, die für diese (politisierten) Formen und Stile der Konfliktaustragung
nicht empfänglich sind. Die bei diesem Beratungsansatz auch zu verzeichnende Klientenorientierung gilt dabei nicht im gleichen Maße für alle möglichen Zielgruppen, sondern insbesondere für diejenigen Akteure, die eine ähnliche Problemdefinition annehmen. Hier wird
eine unterschiedliche Distanz und Nähe zu den zu beratenden Akteuren eingenommen. Auch
die Akzeptanz der Meinungspluralität und der Eigenwille der Akteure vor Ort kommt bei
diesem Ansatz weniger zum Tragen. In der Untersuchung zeigte sich, dass es manchen Beratern schwer fällt zu akzeptieren, dass die von ihnen beratenen Akteure andere Handlungsstrategien verfolgen, als die, die sie selbst im Beratungsprozess befürwortet haben. Zudem
können gerade bei den Befragten, die sich diesem Beratungsansatz zuordnen lassen, fließende
Übergänge zwischen Beraterrolle und Akteursrolle festgestellt werden. Mobile Beratung
kann dann allzu leicht in eine politische Akteursrolle hineinrutschen. Dies steht jedoch einer
Moderationsrolle entgegen, die zwischen den Anliegen und Interessen verschiedener Akteure
zu vermitteln versucht und diese dazu befähigen soll, gemeinsam demokratische Auseinandersetzungsformen gegen antidemokratische Strömungen zu entwickeln.
Die dargestellten negativen Implikationen dieses Ansatzes der Gegnerschaft und die konfrontativen Formen der Konfliktaustragung machen deutlich, dass dieser Beratungsansatz
von der Anlage her – im Unterschied zum offenen Ansatz – nur sehr begrenzt das Potenzial
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
168
zu haben scheint, zu einer nachhaltigen Verbreiterung bürgerschaftlichen Engagements über
das Bewegungsmilieu hinaus beizutragen.
Rahmenbedingungen und Tätigkeiten der MBTs
Die MBTs hatten seit ihrer Implementierung im Sommer/Herbst 2001 ein breites Bündel von
Problemlagen und Aufgaben zu bearbeiten. In der Regel fanden sie in den Ländern zunächst
nicht die Gegebenheiten und Strukturen vor, an denen sie mit ihrem Beratungsangebot ansetzen konnten. Eine zentrale Aufgabe bestand deshalb zunächst darin, sich Kooperationsbeziehungen und Netzwerke zu schaffen, an denen ihre Beratung „andocken“ konnte. Für diesen
Strukturaufbau entwickelten die MBTs unterschiedliche Strategien. Neben Öffentlichkeitsarbeit und dem „üblichen Klinkenputzen“ wurde versucht, über Fortbildungen Zugang zu Multiplikatoren und Verantwortungsträgern insbesondere in der Jugendarbeit zu finden. Eine
weitere Strategie bestand darin, Projekte zu initiieren und diese und ihre Träger bei der Konzeption, Antragstellung und Umsetzung zu unterstützen.
Über diese Arbeitszusammenhänge sowie Fortbildungen und Informationsveranstaltungen ist
es den MBTs mit unterschiedlichem Erfolg gelungen, sich als verlässlicher Partner zu etablieren und die anfänglich bestehende Skepsis ihnen gegenüber zu entkräften. Dieser Prozess war
langwierig und hat auch vieler teaminterner Klärungsprozesse bedurft, wobei es auch nötig
war, sich von unrealistischen Zielsetzungen und „weltverbesserischen“ Ansprüchen zu befreien. Dieser Klärungsprozess scheint nach den vorliegenden Beobachtungen bei den MBTs
unterschiedlich konsequent angegangen worden zu sein.
Die in der Untersuchung skizzierten Rahmenbedingungen machen exemplarisch auf einen
grundlegenden Mangel an zivilgesellschaftlichen Strukturen aufmerksam. An den Fallbeispielen konnte zudem deutlich gemacht werden, dass die als defizitär zu charakterisierenden
staatlichen Regelstrukturen insbesondere in der Jugendarbeit für die Arbeit der MBTs prägend sind. Die ungenügende Ausstattung der Jugendarbeit, die unsicheren Perspektiven von
Einrichtungen und Projekten und die immer knapper werdenden Mittel für die Regelarbeit
stellen für die MBTs eine schwierige Ausgangslage dar, die sie in ein kaum aufzulösendes
Dilemma bringt. Die Bemühungen der MBTs, hier über ihren Beratungsauftrag zum Umgang
mit Rechtsextremismus hinaus tätig zu werden, erklären sich aus der Notwendigkeit, sich für
ihre Arbeit wichtige Strukturen aufbauen zu müssen. Ein Teil der MBTs löst dieses Dilemma
in einer strategisch produktiven Weise. Durch Kooperationen und unentgeltliche Fortbildungs- und Beratungsangebote (auch in Antrags- und Projektberatung) machen sie sich zu
verlässlichen und unverzichtbaren Partnern und speisen gleichzeitig ihre Inhalte in die jeweiligen Einrichtungen und Netzwerke ein. Es scheint, dass es den meisten MBTs gelungen ist,
pragmatische Antworten auf diese Anforderungen zu finden. Dennoch stellt sich die Frage,
ob es nicht auch eine Überforderung der MBTs ist, die nicht nur im Jugendbereich zu verzeichnenden defizitären Strukturen auffangen zu müssen bzw. zu wollen, wodurch die Tätigkeit der Befähigung zu zivilgesellschaftlichem Engagement zu kurz zu kommen droht.
Weiter machen die schwierigen Rahmenbedingen deutlich, dass die MBTs und auch der zivilgesellschaftliche Ansatz als solcher nicht alle Missstände und Defizite in den staatlichen
Regelstrukturen und Institutionen kompensieren kann. Die gravierenden sozialen Desintegrationsprozesse, die den MBTs einerseits als resignative Stimmung in den Kommunen entgegentritt und sich andererseits auch in manifesten Formen in einem „abgehängten“ gewaltbe-
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
169
reiten Jugendmilieu zeigen, sind durch noch soviel Einsatz und bürgerschaftliches Engagement nicht aufzufangen. Diese strukturellen Grenzen des zivilgesellschaftlichen Ansatzes gilt
es zu beachten, damit man nicht zu idealistischen Erwartungen der Leistungsfähigkeit des
zivilgesellschaftlichen Ansatzes neigt und so Projekte und Programm vor unerfüllbare Aufgaben stellt.
5.2 Anregungen für die weitere Arbeit
Mobile Beratung ist ein auf Vertrauen und Kontinuität basierender Prozess. Dies setzt sowohl
bei den Berater/innen als auch bei den zu Beratenden Planungssicherheit und eine langfristige
Arbeitsperspektive voraus. Irritationen in diesem oft auch störungsanfälligen Verhältnis von
Berater/innen und zu Beratenden behindern den Beratungsprozess. So kann bei den in der
Vergangenheit zu verzeichnenden unsicheren Förderperspektiven der MBTs eine verantwortungsvolle und auf langfristige Zusammenarbeit angelegte Beratungsperspektive nur schwerlich anvisiert werden. Deshalb sind klare und verbindliche Zusagen über Förderperspektiven
und -umfang für eine auf Nachhaltigkeit angelegte Beratungsarbeit unablässlich.
Mobile Beratung setzt Vertrauen und Gestaltungsfreiheit gegenüber den Berater/innen und
Trägern der MBTs voraus. Die aus der Modellphase gewonnenen Erfahrungen sollten die
Grundlage der weiteren Förderung sein. Dabei zeigte die Untersuchung, wie wichtig es ist,
dass die MBTs auch weiterhin flexibel auf die jeweiligen Anforderungen reagieren können.
Unter der Wahrung der Möglichkeit flexiblen Vorgehens sollten dennoch langfristig verbindliche Rahmenzielvereinbarungen mit den MBTs – auch in Abgrenzung zu den Arbeitsbereichen der Netzwerkstellen – ausgehandelt werden.
Die Komplexität der Aufgaben und die Tatsache, dass es kein Berufsbild „Mobile Beratung“
gibt, stellen die Berater/innen vor die hohe Anforderung, selbst ein professionelles Beratungsverständnis zu entwickeln und dies in die Praxis umzusetzen. Diesen Anforderungen
versuchen sie durch Fortbildung und Supervision zu begegnen. Nachdem eine fachliche
Kompetenz zum Rechtsextremismus weitgehend erarbeitet worden ist, kommt es nun darauf
an, Fortbildungen in Beratungstechniken und Kommunikationsstrategien wahrzunehmen.
Gerade wenn es gelingen soll, klientenorientiert auf die sehr heterogenen Anliegen und „Befindlichkeiten“ der Akteure einzugehen sowie die unvermeidlichen Konflikte zu moderieren,
sind Qualifizierungen in Moderationstechniken und Mediation unerlässlich. Es wäre deshalb
darüber nachzudenken, ob nicht für alle MBTs eine begleitende Fortbildung zu Beratungsund Konfliktbearbeitungsmethoden angeboten werden sollte.
Da Mobile Beratung auch aufgrund des hohen Bedarfs sehr stark im Jugendbereich tätig ist,
müssten die Berater/innen auch für diesen Bereich inhaltlich und methodisch spezifisch qualifiziert sein. Wenn möglich sollten in den Großteams Berater/innen mit Berufserfahrungen in
der Jugendarbeit angestellt sein, um so die Einrichtungen auch vor dem Hintergrund von
Erfahrungswissen beraten zu können. Fehlen diese praktischen Erfahrungen, wäre es ratsam,
auch zu diesem Themenkomplex regelmäßig Fortbildungen durchzuführen.
Die Untersuchung hat gezeigt, dass bei einem Teil der MBTs pauschale Vorbehalte gegenüber einer sozialen Arbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen bestehen. Dies ist insofern von Bedeutung, da in den Einrichtungen, die sie beraten, dieser Personenkreis anzutref-
CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams
170
fen ist. Eine auf die jeweiligen lokalen und institutionellen Gegebenheiten zugeschnittene
Beratung sollte ihre vorgeschlagenen Interventionsstrategien von dem jeweiligen Fall abhängig machen und für alle Methoden gleichermaßen offen sein. Bestimmte Ansätze der Jugendarbeit sollten nicht kategorisch abgelehnt werden, wie dies öfters bei der „akzeptierenden“
(Jugend-)Sozialarbeit der Fall zu sein scheint.
Eine wichtige Aufgabe der MBTs wird in Zukunft die Entwicklung von ethischen Standards
der Beratung sein. Dabei ist zu klären, wie weit die Berater/innen in die Selbstorganisationsprozesse der Akteure vor Ort eingreifen sollen und dürfen. Hier geht es um das demokratische Selbst- und Rollenverständnis, mit denen die Berater/innen den zu Beratenden gegenübertreten. Auch geht es dabei um Standards zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte der zu
Beratenden aber auch derer von Bürger/innen, die fremdenfeindliche bzw. antidemokratische
Meinungen vertreten. Welche Verhaltensformen sind für Berater/innen zulässig, um auf nicht
geteilte Auffassungen zu reagieren?
Mobile Beratung ist ein für alle interessierten Akteure offener Prozess. Deshalb sollte auch
das Beratungsangebot offen und in einer positiven Zielsetzung formuliert werden. Die Ausrichtung auf eine Gegnerschaft zum Rechtsextremismus geht der Formulierung einer positiven Zielsetzung aus dem Weg. Ein positiver formulierter Beratungsansatz würde bei jedem
Beratungsfall erneut die Frage auf die Agenda stellen, wie ein demokratisches Gemeinwesen
unter der Beteiligung möglichst vieler Akteure aussehen soll.
Vor dem Hintergrund der vielfältigen Problemlagen und der Schwierigkeit, konkrete handhabbare Formen für die lokalen Gegebenheiten zu entwickeln und dadurch den Programmauftrag der Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements und demokratischer Auseinandersetzungsformen mit Rechtsextremismus zu befördern, sind nach Darstellung der Berater/innen viele positive Entwicklungen angelaufen, die aber in vielen Beratungsprozessen nun
an einem Scheideweg stehen. Wird aus den entwickelten Ansätzen und Vernetzungen ein auf
einander abgestimmtes und verzahntes Handlungskonzept mit auf verschiedene Zielgruppen
ausgerichteten Interventionsansätzen, oder werden die durch die Beratungsprozesse angeschobenen Aktivitäten eine Episode bleiben? Die Entwicklung lokaler auf einander abgestimmter und verzahnter Handlungsstrategien setzt bei einem Teil der Teams Umsteuerungen
voraus. Auf Seite des Programms müssen zur Implementierung und Begleitung nachhaltiger
und verlässlicher Beratungsprozesse stabile und längerfristig planungssichere Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden. Planungsunsicherheiten des Programms oder die ungewissen Förderungen durch die Länder sind nach Auskunft der MBTs mit solch einem notwendig auf Langfristig- und Nachhaltigkeit angelegten Beratungsansatz nicht vereinbar.
Damit die durch die Mobilen Beratungsteams geschaffenen Foren der Auseinandersetzung
mit dem Rechtsextremismus nicht wieder in sich „zusammenfallen“, scheint vielerorts eine
weitere Begleitung der Beratungsfälle durch die Mitarbeiter/innen der MBTs notwendig.
Dabei versprechen die Methoden und Vorgehensweisen, die sich an dem offenen moderierenden Ansatz als Modell orientieren, am ehesten die angeregten Auseinandersetzungsprozesse und Netzwerke auf Dauer zu stellen. Für diese noch notwendige „Entwicklungsarbeit“
ist die Sicherung der Kontinuität der Projektarbeit eine wichtige Voraussetzung.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
171
IV B Opferberatungsstellen (von Johannes Vossen)
1
2
Idealtypische Beschreibung der CIVITAS-Opferberatungsstellen ........................ 173
1.1
Kurzcharakterisierung des Ansatzes ..................................................................... 173
1.2
Schlüsselkategorien............................................................................................... 174
1.3
Die durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen .............. 175
Methodisches Vorgehen.............................................................................................. 178
2.1
Untersuchungsschwerpunkte und Fragestellungen ............................................... 178
2.2 Datenbasis und thematische Ausrichtung der qualitativen Interviews mit
Mitarbeiter/innen ...................................................................................................... 178
2.3 Vergleichsuntersuchung von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte
............................................................................................................................... 179
2.4
3
Beurteilung und Bewertung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen................... 180
Externe und interne Rahmenbedingungen ............................................................... 182
3.1 Umgang mit dem Thema „Rechtsextremismus“ in der Landes- bzw.
Kommunalpolitik ..................................................................................................... 182
4
3.2
Das CIVITAS-Programm: Ressourcen und Begrenzungen .................................. 183
3.3
Interne Rahmenbedingungen: Träger und Teamstrukturen................................... 187
Tätigkeitsfelder der CIVITAS-Opferberatungsstellen............................................ 190
4.1
Unterstützung von Individuen durch Beratung und Begleitung............................ 190
4.1.1
Grundprinzipien der Beratung....................................................................... 190
4.1.2
Zielsetzungen ................................................................................................ 193
4.1.3
Zielgruppen der Beratung.............................................................................. 194
4.1.4
Zugangswege zu den Betroffenen ................................................................. 197
4.1.5
Opferdefinition/Prüfung der Tatumstände .................................................... 200
4.1.6
Rollendefinition der Beratenden/Methodeneinsatz ....................................... 203
4.1.7
Ablauf und Phasen der Beratung bzw. Begleitung........................................ 205
4.1.8
Grenzen und Ende der Beratung bzw. Begleitung ........................................ 207
4.1.9
Multiplikation des Beratungsansatzes ........................................................... 208
4.2 Unterstützung von kollektiven Prozessen bzw. kollektiver Akteure zur Förderung der
gesellschaftlichen Integration der betroffenen Personen(gruppen) .......................... 210
4.2.1
Aktivierung von Unterstützung für die Opfer ............................................... 210
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
5
4.2.2
Vernetzung .................................................................................................... 212
4.2.3
Förderung bzw. Stärkung der Selbstorganisation.......................................... 214
4.2.4
Sensibilisierung für das Problemfeld durch Öffentlichkeitsarbeit ................ 216
4.2.5
Kommunale Interventionen........................................................................... 220
4.2.5.1
Begriff/Kriterien/Voraussetzungen/Zielsetzungen.................................... 220
4.2.5.2
Verläufe..................................................................................................... 222
4.2.5.3
Zusammenarbeit mit Mobilen Beratungsteams......................................... 224
4.2.5.4
Anregungen zu Verbesserungen................................................................ 229
Vergleich von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte ............... 231
5.1
Die Untersuchung der beiden Kleinteams aus der Innenperspektive .................... 231
5.1.1
Kurzbeschreibung der Kleinteams, lokale Rahmenbedingungen und
Trägerhintergrund.......................................................................................... 231
5.1.2
Projektauftrag und Zielsetzungen.................................................................. 233
5.1.3
Zielgruppen ................................................................................................... 234
5.1.4
Fachliche Grundprinzipien............................................................................ 235
5.1.5
Tätigkeitsfelder.............................................................................................. 235
5.1.6
Ergebnisse ..................................................................................................... 237
5.1.7
Zusammenfassender Vergleich der beiden Kleinteams ................................ 240
5.2
Die Untersuchung der beiden Kleinteams aus der Außenperspektive .................. 241
5.2.1
Beurteilung des Bedarfs für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer
Straf- und Gewalttaten .................................................................................. 241
5.2.2
Beurteilung des Bekanntheitsgrades ............................................................. 243
5.2.3
Tätigkeitsfelder/Zielgruppen/Beurteilung des Angebots .............................. 245
5.2.4
Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit............................................................ 248
5.2.5
Beurteilung des Beratungsansatzes ............................................................... 250
5.2.6
Beurteilung der Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen ...................................... 253
5.2.7
Beurteilung der Ergebnisse ......................................................................... 255
5.2.8
Weitere Anregungen zur Projektarbeit.......................................................... 259
5.3
6
172
Zusammenfassende Beurteilung der Tätigkeit der beiden Kleinteams ................. 262
Zusammenfassende Bewertung der CIVITAS-Opferberatungsstellen.................. 266
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
173
1 Idealtypische Beschreibung der CIVITAS-Opferberatungsstellen
1.1 Kurzcharakterisierung des Ansatzes
Mit Beginn des CIVITAS-Programms im Juli 2001 wurde erstmals eine flächendeckende Beratung für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in den neuen Bundesländern eingerichtet. Grundimpuls war dabei, die bis dahin im Bereich der Programme und Maßnahmen
gegen Rechtsextremismus vorherrschende Fixierung auf die Täter zu überwinden und für die
neuen Bundesländer ein flächendeckendes Netz von Unterstützungsangeboten für die Opfer
rechtsextremer Straf- und Gewalttaten aufzubauen.
Die Tätigkeit der von CIVITAS geförderten Opferberatungsstellen soll sich idealtypisch nach
den vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlassenen Leitlinien
an Menschen richten, die innerhalb eines regionalen Zusammenhangs als Angehörige ethnischer, kultureller oder sozialer Minderheiten angesehen werden und die deshalb Opfer rechtsextremer, fremdenfeindlicher oder antisemitischer Körperverletzungen bzw. anderer Verletzungen ihrer Integrität (zum Beispiel Bedrohungen oder Ehrverletzungen) werden. Bei der
Beurteilung der Tat als Ausgangspunkt für eine Intervention sind neben der subjektiven Interpretation des bzw. der Betroffenen auch glaubhafte Indizien für eine rechtsextreme oder
rassistische Tätermotivation zu ermitteln.
Die Opferberatungsstellen haben bei ihrer Tätigkeit die besondere Situation der Opfer von
rechtsextremen Straf- und Gewalttaten zu berücksichtigen, „die gekennzeichnet ist von mangelnder Mobilität, großer Rechtsunsicherheit, sprachlichen Verständigungsproblemen und
tiefem Misstrauen gegenüber Behörden und Institutionen“ (CIVITAS-Leitlinien 2003: 3). Die
Arbeit der Opferberatungsstellen soll menschenrechtsorientiert sein und die Perspektive der
Opfer als zentralen Ausgangspunkt aller Aktivitäten im Blick haben. Der Beratungsansatz
soll niedrigschwellig und aufsuchend angelegt sein und den Grundsatz einer „Hilfe zur
Selbsthilfe“ umsetzen. Durch die Tätigkeit der Opferberatungsstellen soll den Betroffenen
rechtsextremer Straf- und Gewalttaten ein breites Spektrum von Unterstützungsleistungen zur
Verfügung gestellt bzw. vermittelt werden. Das Beratungsangebot ist freiwillig, vertraulich
und auf Wunsch anonym. Es reicht von der psychosozialen Krisenintervention über die Vermittlung therapeutischer und/oder rechtlicher Unterstützung, die Begleitung und Unterstützung im Rahmen von Straf- und Zivilverfahren bis zur Hilfe bei der Beantragung von (Entschädigungs-)Leistungen.
Die Beratungstätigkeit soll auch darauf hinarbeiten, mit den betroffenen Personen(gruppen)
und ihrem Umfeld gemeinsam Strategien zu entwickeln, mit denen ihre gesellschaftliche Integration verbessert werden kann. Dabei sollen die Sachkompetenz der Betroffenen(gruppen)
genutzt und gefördert werden, damit sich die betroffenen Personen(gruppen) längerfristig gesellschaftlich integrieren und diskriminierenden Alltagserfahrungen entgegentreten können.
Zusätzlich sollen dabei bestehende lokale zivilgesellschaftliche Initiativen für die Unterstützung von Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten sensibilisiert und zum Beispiel beim
Aufbau von Unterstützungsnetzwerken einbezogen werden. Um bei diesen Prozessen beste-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
174
hende lokale Sach- und Handlungskompetenzen zu nutzen, wird eine enge Zusammenarbeit
mit den CIVITAS-geförderten Mobilen Beratungsteams und den lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren, empfohlen.
Die Opferberatungsstellen sollen sich in die örtliche Infrastruktur von (Opfer-)Beratungen integrieren, dabei ihr eigenes Profil entwickeln und so das vorhandene Beratungsangebot ergänzen. Dabei soll auch eine Multiplikation des Handlungsansatzes durch eine enge Zusammenarbeit mit Trägern und Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren, sowie durch Maßnahmen zur Sensibilisierung und
Kompetenzbildung erreicht werden.
1.2 Schlüsselkategorien
Die folgenden Schlüsselkategorien strukturieren das Tätigkeitsfeld und dienen der folgenden
Beschreibung des Tätigkeitsbereichs der Opferberatungsstellen als analytische
Hintergrundfolie. Sie wurden für die Opferberatungsstellen durch den aus dem CIVITASProgramm stammenden konzeptionellen Rahmenauftrag und aus ersten empirischen
Ergebnissen über die Projektpraxis inhaltlich gefüllt.
Teilbereich „Befähigen“
Durch die Tätigkeit der Opferberatungsstellen sollen von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten betroffene Einzelpersonen bzw. betroffene Gruppen unterstützt und im Rahmen einer
Strategie von „Hilfe zur Selbsthilfe“ gezielt befähigt werden, die eigenen Ressourcen und
Kompetenzen zur Verarbeitung der Tat und zur Überwindung der Opferrolle zu nutzen. Die
Beratungsgespräche sollen dabei neben der psychosozialen Krisenintervention und der Klärung von Rechtsfragen darauf abzielen, gemeinsam lokale Strategien zu entwickeln, damit
sich die betroffene Person bzw. Gruppe längerfristig gesellschaftlich integrieren und diskriminierenden Alltagserfahrungen selbständig entgegentreten kann.
Teilbereich „Sensibilisieren“
Sensibilisierung zielt auf die Erzeugung von Problembewusstsein und Handlungsbedarf im
Hinblick auf die Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Die Tätigkeit der Opferberatungsstellen richtet sich dabei zunächst auf die Kompetenzbildung und Sensibilisierung von
zivilgesellschaftlichen Initiativen. Durch die Erstellung und Verbreitung von Informationsmaterialien und Dokumentationen soll auch eine breitere Öffentlichkeit für die Belange der
Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten sensibilisiert werden.
Teilbereich „Mobilisieren/Aktivieren“
Durch Impulse zur Mobilisierung/Aktivierung sollen die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen im Rahmen fallbezogener Interventionen im kommunalen Raum Engagement
und Handlungspotential zur Unterstützung der Opfer und damit gegen rechtsextreme Akteure
erzeugen. Dabei geht es vor allem um die Stärkung der Selbstorganisation und -artikulation
von Betroffenen(gruppen) rechtsextremer Gewalt.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
175
Teilbereich „Vernetzen“
Zentral ist in diesem Bereich der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken für von rechtsextremen Straf- bzw. Gewalttaten betroffenen Einzelpersonen oder Personengruppen sowie die
Kooperation mit anderen Beratungsstellen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Neben der
Zusammenführung der zivilgesellschaftlichen Initiativen zielt diese Schlüsseltätigkeit auf eine Stärkung der Selbstartikulation bzw. -organisation von Betroffenen(gruppen). Dadurch
soll neben dem Schutz und der Unterstützung der Opfer auch längerfristig eine Multiplikation
des Beratungsansatzes in der Initiativenlandschaft erreicht werden.
1.3 Die durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen
Im Rahmen des CIVITAS-Förderschwerpunkts „Beratung von Opfern rechtsextremer Strafund Gewalttaten“ sind seit 2001 kontinuierlich acht Projekte gefördert worden. Fünf dieser
Projekte agieren in Flächenländern: die „Opferperspektive“ in Brandenburg, AMAL in Sachsen, LOBBI in Mecklenburg-Vorpommern, ABAD in Thüringen und die Mobile Beratung
für Opfer rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt. Vier dieser fünf Projekte (in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) haben für ihre Arbeit jeweils zwei bis drei
über das jeweilige Bundesland flächendeckend verteilte Regionalbüros mit mehreren Mitarbeiter/innen eingerichtet. In Sachsen-Anhalt waren die Büros der Mobilen Beratung bisher
mit den Regionalbüros des Trägers Miteinander e.V. verbunden, in denen neben anderem
Personal jeweils ein Opferberater tätig war. Drei der acht Projekte sind in städtischen Gebieten bzw. im städtischen Umland angesiedelt (Reach Out für Berlin, die Beratungsstelle für
Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten für Dessau und Anhalt und die CIVITASfinanzierte Opferberatung für Opfer rechtsextremer Gewalt der RAA Leipzig für das Leipziger Umland). Je nach Größe des Einzugsbereichs und der Zahl der vorhandenen Regionalbüros wurden für das jeweilige Projekt eine bis sechs Stellen zur Verfügung gestellt (vgl. Tabelle 1).
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
176
Tabelle 1: Durch das CIVITAS-Programm geförderte Opferberatungsstellen (Stand:
Juli/August 2003)
Projekt
Bundesland
Träger
Regionalbüros
Stellenumfang
ABAD (Anlaufstelle für Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen
und Diskriminierungen)
Thüringen
Flüchlingsrat
Erfurt, Gera
4 Vollzeit-Stellen
AMAL
Sachsen
Thüringen e.V.
1 80%-Stelle
Netzwerk für De- Dresden, Görlitz,
mokratische Kultur Wurzen
e.V.
1 Vollzeit-Stelle
Beratungsstelle für Sachsen-Anhalt
Opfer rechtsextremer Straf- und
Gewalttaten für
Dessau und Anhalt
Multikulturelles
Zentrum Dessau
e.V.
Dessau
1 Vollzeit-Stelle
LOBBI (Landesweite Opferberatung, Beistand und
Information für
Betroffene rechter
Gewalt) e.V.
LOBBI e.V.
Neubrandenburg,
Rostock, Schwerin
6 Vollzeit-Stellen
(davon 1 z.Zt. gesperrt)
Mobile Beratung
Sachsen-Anhalt
für Opfer rechtsextremer Gewalt in
Sachsen-Anhalt
Miteinander e.V.
Halberstadt, Halle,
Magdeburg,
Salzwedel
4 Vollzeit-Stellen
Opferperspektive
e.V.
Opferperspektive
e.V.
Potsdam, Cottbus
5 Vollzeit
Beratungsstelle für Sachsen
Opfer rechtsextremer Gewalt in
Leipzig und Nordwestsachsen
RAA Leipzig
Stadt Leipzig;
1 Vollzeit
Kreis Leipziger
Land, Muldentalkreis, Kreis TorgauOschatz, Kreis Delitzsch
Reach Out
ARIBA e.V.
Berlin
3 Vollzeit-Stellen
Opferperspektive
e.V.
Potsdam
1 halbe Stelle
Koordination
MecklenburgVorpommern
Brandenburg
Berlin
8 halbe Stellen
2 halbe Stellen
(z.Zt. gesperrt)
Mit Jahresbeginn 2002 wurde zusätzlich zu den acht seit Juli 2001 geförderten Projekten eine
eigene Koordinationsstelle für diesen Programmschwerpunkt als neuntes Projekt mit separater Finanzierung eingerichtet. Die Koordination wird von einem Mitarbeiter der „Opferperspektive e.V.“ auf der Basis einer halben Stelle wahrgenommen, der mit der anderen Hälfte
seiner Arbeitszeit als Opferberater tätig ist. Die Koordinationsstelle hat in den Jahren 2002
und 2003 eine wichtige Rolle beim Erfahrungstransfer von der bereits seit 1998 in Brandenburg tätigen „Opferperspektive“ hin zu den neu gegründeten Opferberatungsstellen, bei der
Entwicklung und Durchführung eines kontinuierlich betriebenen, selbstgesteuerten Fortbil-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
177
dungsprogramms der Opferberatungsstellen und bei der internen Vernetzung innerhalb dieses
Programmschwerpunkts gespielt.
In den CIVITAS-Opferberatungstellen sind z.Zt. 36 Personen hauptamtlich tätig, zum Teil in
Teilzeitbeschäftigung, meist aber auf vollen Stellen; es handelt sich um 17 Frauen und 19
Männer. Die Stellen der Berater/innen werden mit BAT IVb-O vergütet. Fünf der acht Projekte verfügen über CIVITAS-finanzierte Projektleitungen bzw. Koordinationsstellen. Diese
sind nach BAT III-O eingruppiert. Drei der Stellen für Berater/innen sind z.Zt. im Zuge von
Überprüfungen der BAT-Einstufungen der betreffenden Mitarbeiter/innen gesperrt.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
178
2 Methodisches Vorgehen
2.1 Untersuchungsschwerpunkte und Fragestellungen
Im Mittelpunkt der vorliegenden Teiluntersuchung steht eine Beschreibung und Bewertung
des Tätigkeitsbereichs der durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen
auf der Basis von qualitativen, problemzentrierten Interviews mit zahlreichen Mitarbeiter/innen der durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen.
Dazu werden zunächst die externen und internen Rahmenbedingungen für die Tätigkeiten
dargestellt, die nach Einschätzung der Mitarbeiter/innen unmittelbar auf die eigene Projektarbeit und ihr personelles und institutionelles Umfeld einwirken. Zentrale Fragestellung war
hier: Welche Rahmenbedingungen gelten unter den Mitarbeiter/innen als förderlich, welche
hingegen als hemmend für ihre Projektarbeit (vgl. Kap. 3)?
Der eigentliche Untersuchungsschwerpunkt befasst sich anschließend mit dem Tätigkeitsbereich der Opferberatungsstellen. Zentrale Fragestellungen der vorliegenden Untersuchung
waren: Welche Tätigkeiten üben die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen aus? Wie
gehen sie dabei vor? Welche Probleme erleben sie dabei? Welche Lösungsansätze für diese
Probleme sehen sie bzw. setzen sie ein? (vgl. Kap. 4) Die Ausrichtung der Fragen zielte neben der Beschreibung des Tätigkeitsbereichs darauf ab, Bewertungen der eigenen Tätigkeit
aus der Perspektive der Mitarbeiter/innen zu erheben.
2.2 Datenbasis und thematische Ausrichtung der qualitativen
Interviews mit Mitarbeiter/innen
Datenbasis der vorliegenden Teiluntersuchung sind problemzentrierte Leitfaden-Interviews
(vgl. Witzel 2000), die im Frühjahr und Sommer 2003 durchgeführt wurden. Insgesamt umfasst die Materialbasis drei explorative Interviews mit Kleinteams der Opferberatungsstellen
(durchgeführt im März und Juni 2003), eine Gruppendiskussion mit Vertreter/innen von
sechs der acht Opferberatungsstellen einschließlich Koordinator (durchgeführt im Juni 2003)
und 15 jeweils zwei- bis dreistündige Telefoninterviews mit Mitarbeiter/innen und dem Leitungspersonal (durchgeführt vom 11. Juli bis 22. August 2003), die protokolliert wurden.
Herzstück der Datenbasis sind zweifellos diese Telefoninterviews, die in der letzten Fassung
(der Leitfaden wurde während der Interviewphase immer wieder leicht verändert, wenn Fragen nicht verstanden wurden oder sich als überflüssig herausstellten, weil es Überschneidungen gab) 44 Fragen umfassten. Während durch Frage 1 die Kleinteamstruktur erhoben wurde
und die Fragen 2 und 3 auf aktuelle Probleme eingingen, die die Projektarbeit beeinträchtigten, befasste sich das Gros der Fragen mit dem Auftrag, den leitenden Prinzipien und den
Zielen der Projektarbeit (Fragen 4-10) sowie den konkreten Tätigkeiten der Opferberatungsstellen (Fragen 11-27). Anschließend (Fragen 28-37) wurden die Interaktionen innerhalb und
außerhalb des CIVITAS-Programms und die fördernden bzw. hemmenden Rahmenbedingungen (Frage 38) erhoben. Den Abschluß der Erhebung bildeten Fragen nach den Resonanzen im näheren und weiteren Umfeld (Frage 39-42) und auf Erfolge oder Misserfolge bzw.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
179
auf Nachhaltigkeit und Verstetigung der Projektarbeit bezogene Frageimpulse (Fragen 4344).
Bei den unterschiedlichen Befragungen wurden insgesamt 29 verschiedene Mitarbeiter/innen
und Leiter/innen der CIVITAS-Opferberatungsstellen interviewt, bei einer Zahl von zur Zeit
36 hauptamtlich Beschäftigten entspricht das einer Quote von 80,5%. Dabei wurden Mitarbeiter/innen aller von CIVITAS geförderten Opferberatungsprojekte und der Koordinator
einbezogen. Die Interviews mit den Mitarbeiter/innen wurden auf Audio-Kassetten aufgenommen und komplett transkribiert. Mit Hilfe des Software-Pakets WinMax wurden drei Interviews komplett kodiert und eine exemplarische Einzelfallauswertung erstellt. Dabei wurde
die Feinsystematik zu den Untersuchungsschwerpunkten aus dem Interviewmaterial herausgearbeitet, die diesem Bericht zugrunde liegt (vgl. Kap. 3-5). Die weiteren relevanten Interviewpassagen wurden dieser Systematik bei der Niederschrift dieses Berichts zugeordnet.
Aus der Fülle des Datenmaterials wurden dabei diejenigen Interviewpassagen ausgewählt, die
als verallgemeinerungsfähig für das Interviewmaterial insgesamt gelten können. Ergab sich
aus dem empirischen Material kein einheitliches, verallgemeinerungsfähiges Bild, wurden zu
ein und demselben Phänomen Varianten herausgegriffen und gegeneinander kontrastiert, um
ein Spektrum von unterschiedlichen Umsetzungsweisen zu markieren.
2.3 Vergleichsuntersuchung von zwei Kleinteams verschiedener
Opferberatungsprojekte
Im Anschluß an die Befragung von Mitarbeiter/innen aller CIVITAS-Opferberatungsstellen
wurde eine vertiefende Untersuchung von zwei Kleinteams durchgeführt. Die Untersuchungsschwerpunkte und Fragestellungen entsprachen der obigen Systematik.
Die Auswahl der Kleinteams erfolgte nach den im Konzept genannten Kriterien: enge Zusammenarbeit mit anderen CIVITAS-Projekten, Wahrscheinlichkeit des Fortbestehens über
das Jahr 2004 hinaus, Zusammenhang mit den geplanten kommunalen Kontextanalysen.Es
wurden zwei Kleinteams von Opferberatungsprojekten ausgewählt, bei denen Ausgangsbedingungen und Entwicklungsstand vergleichbar sind. Beide Projekte sind aus ehrenamtlichen
Wurzeln hervorgegangen und leisten ihre Arbeit in Flächenländern. Die Beratungstätigkeit
wird in über das jeweilige Bundesland verteilten Regionalbüros durchgeführt, von denen eines für die vertiefende Untersuchung ausgewählt wurde.
Für die Befragung der Kooperationspartner wurden zunächst Vorschläge des Kleinteams eingeholt. Aus den Vorschlägen wurde eine Auswahl getroffen, da bestimmte Personen bereits
im Rahmen von Befragungen zu den Kooperationspartnern der Netzwerkstellen interviewt
worden waren und deshalb nicht nochmals befragt werden sollten. Diese Auswahl wurde um
Personen ergänzt, deren Relevanz sich aus dem vorangegangenen Telefoninterview mit einem Kleinteammitglied ergeben hatte. Wo schriftliche Kooperationsvereinbarungen bestanden, wurden diese Personen bevorzugt interviewt. Die Befragung der Kooperationspartner
wurde durch einige Interviews mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Justiz, Polizei, Ministerien und Zivilgesellschaft ergänzt, wobei Vorschläge des jeweiligen Kleinteams
berücksichtigt wurden.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
180
Insgesamt wurden im Rahmen dieses Untersuchungsschritts bei zwei Projektbesuchen zwei
mehrstündige face to face-Interviews mit zwei Mitarbeiter/innen der jeweiligen Kleinteams,
bei Team A zehn Interviews mit Kooperationspartner/innen und Experten und bei Team B
acht Befragungen von Kooperationspartnern und Experten durchgeführt. Die niedrigere Zahl
bei Team B erklärt sich daraus, dass fest zugesagte Interviews nicht zustande kamen und in
der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht ersetzt werden konnten. Die Befragungen
der Kooperationspartner und Experten wurden zum Teil face to face beim Projektbesuch vor
Ort, zum Teil telefonisch und in einem Fall schriftlich durchgeführt und bilden die Grundlage
für Kapitel 5 dieser Teiluntersuchung.
2.4 Beurteilung und Bewertung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen
Die Beurteilung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen erfolgt im Bericht auf drei Ebenen:
Innenperspektive der Mitarbeiter/innen:
Bestandteil der Mitarbeiterbefragung waren Fragen nach aktuellen Problemen bei ihrer Tätigkeit und Möglichkeiten bzw. Strategien diese zu lösen. Außerdem wurde nach den Ergebnissen bestimmter Teiltätigkeiten bzw. der Tätigkeit insgesamt gefragt, so dass Erfolge bzw.
Misserfolge artikuliert werden konnten und wurden. Dadurch war bereits durch die Mitarbeiter-Interviews eine erste Grundlage für Beurteilungen gegeben.
Außenperspektive der Kooperationspartner/innen und Experten:
Bestandteil des Kleinteamvergleichs war eine detaillierte Erhebung der Beurteilungen von
Kooperationspartnern und Experten zu den Tätigkeitsbereichen der Opferberatungsstellen.
Dabei wurden meist positive, zum Teil aber auch kritische Stellungnahmen abgegeben und
eingefangen. Damit wurde weiteres Material zur Beurteilung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen zur Verfügung gestellt.
Außenperspektive der fachlichen Prinzipien und Standards:
Für die politische Bildung gilt seit 1976 der Beutelsbacher Konsens (Schiele/Schneider 1996:
226-227). Die grundlegenden Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses haben für (sozial-)
pädagogische Arbeit generelle Bedeutung und haben deshalb auch für die Tätigkeit der Opferberatungsstellen eine Leitfunktion. Er formuliert drei wesentliche Prinzipien: 1. das Überwältigungsverbot, 2. das Kontroversitätsgebot, 3. die Berücksichtigung der Interessenlage.
Das Überwältigungsverbot verankert den Grundsatz, dass der Mensch Subjekt des pädagogischen Prozesses ist und nicht manipuliert, benutzt oder indoktriniert werden darf. Das
Kontroversitätsgebot besagt, dass Unterrichtungen mehrperspektivisch und nicht einseitig erfolgen sollten, um Indoktrinierungen zu vermeiden. Bei der Berücksichtigung der Interessenlage kommt es darauf an, das Unterrichtsgeschehen in Beziehung zu den Interessen der Schülerinnen und Schüler zu bringen. Dieser Grundsatz lässt sich zu dem Postulat erweitern, dass
es erforderlich ist, bei den Bedürfnissen und Problemlagen der jeweiligen Zielgruppen anzusetzen.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
181
Für die Beurteilung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen wurden außerdem die „Qualitätsstandards für eine professionelle Unterstützung von Kriminalitätsopfern, Standards des Arbeitskreises der Opferhilfen in der Bundesrepublik Deutschland (ado)“ nach dem Stand vom
November 1996 herangezogen.
Es wurde versucht, aus den drei Beurteilungsperspektiven Schnittmengen zu bestimmen. Wo
decken sich Innenperspektive und Außenperspektiven? Wo gibt es Lernprozesse bzw. Problemlösungen, die das eine Projekt bereits vollzogen hat, ein anderes Projekt noch nicht? Welche Vorgehensweisen haben sich als sinnvoll herausgestellt bzw. umgekehrt, haben permanente Blockaden bzw. Misserfolge produziert? Die drei Perspektiven wurde mit Hilfe derartiger Auswertungsfragen zu Bewertungen verdichtet, die in das abschließende Kapitel 6 eingegangen sind.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
182
3 Externe und interne Rahmenbedingungen
3.1 Umgang mit dem Thema „Rechtsextremismus“ in der Landes- bzw. Kommunalpolitik
Ein wesentlicher Rahmenfaktor ist die Wahrnehmung des Themas Rechtsextremismus in der
jeweiligen Landes- bzw. kommunalen Politik und die vorhandene Initiativenlandschaft gegen
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Davon werden die Handlungsmöglichkeiten
der Berater/innen vor Ort direkt beeinflusst.
Es lassen sich nach Wahrnehmung der Befragten zwei Hauptkonstellationen ausmachen:
a) In größeren Städten, vor allem an den eigenen Standorten, finden die Opferberatungsstellen oft eine gute Aktionsbasis vor, hier gibt es in aller Regel auch bereits die erforderliche
Initiativenlandschaft zur Unterstützung ihrer Tätigkeit und zum Aufbau von Unterstützungsnetzwerken für die Betroffenen:
„Das Gegenbeispiel war immer ((Stadt)). ((Stadt)) hat die reichhaltigste Initiativenlandschaft
in ganz ((Bundesland)), hat auch eine ganz offene Verwaltung. Also so eng, wie wir da mit der
Ausländerbeauftragten zusammenarbeiten und so intensiv, nirgendwo sonst. Also in ((Stadt))
bleiben keine Wünsche offen. (...) Du hast einfach eine reichhaltige Initiativenlandschaft, die
eine ganz lange Tradition hat. Also ein langes, langes, langes Leben. Und du hast über mehrere Jahre einen sehr liberalen Bürgermeister, Oberbürgermeister, der bereit war, Veränderungen, die an die Verwaltung herangetragen wurden von außen. Also Wunsch nach Veränderungen, die mitzutragen und mit umzusetzen. Eine ganz offene BVV, wo auch Leute aus der
Zivilgesellschaft in der BVV sitzen (...) Und normalerweise hat man ja nur irgendwelche Vertreter von Parteien, die aber irgendwie eher… Wo man sich fragt, was die für eine Motivation
haben, im Kreistag zu sitzen. Und das ist in ((Stadt)) auch schon anders.“ (b-OBS 14, 34013438)
b) In Kleinstädten und ländlichen Regionen wird das Problem Rechtsextremismus nach
Wahrnehmung der Opferberatungsstellen dagegen häufig noch gemieden bzw. „unter den
Teppich gekehrt“. Als Gründe werden neben Einflüssen der Landespolitik in CDU-regierten
Ländern die demographische Entwicklung und die Abwanderungen von jungen Menschen,
die den Aufbau einer Gegenbewegung behinderten, und spezifische politische Traditionsbestände gesehen (vgl. auch Kap. IV, A, 2). Als entsprechend schwieriger gilt hier die Ausgangsbasis der jeweiligen Opferberatungsstellen, da die Initiativenlandschaft in diesen Gebieten deutlich kleiner sei bzw. erst aufgebaut werden müsse. Öffentlichkeitsarbeit sei schwieriger, weil die entsprechenden Lokalzeitungen das Thema Rechtsextremismus seltener aufgriffen. Eine Ausnahme seien Städte bzw. Kommunen, in denen ein für die Thematik aufgeschlossener Bürgermeister amtiere, wobei die Parteizugehörigkeit variieren könne. Die Haltung des Bürgermeisters habe direkten Einfluß auf die Aufgeschlossenheit der Verwaltung
für das Thema Rechtsextremismus und eröffne Zugangsmöglichkeiten, die sonst unter Umständen verschlossen geblieben wären. In solchen Kommunen besteht nach Einschätzung der
Mitarbeiter/innen für die Arbeit der Opferberatungsstellen daher eine bessere Ausgangsposition:
„Erstmal vor Ort sehe ich, jetzt auf unsere Region, unser Beratungsgebiet bezogen, dass wir
in einigen Kommunen das Problem haben, dass das Thema rechte Gewalt gemieden wird. Es
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
183
gibt da keine hohe Akzeptanz, das Thema in die Presse zu kriegen, oder überhaupt an die Öffentlichkeit, dass teilweise kommunale Vertreter da auch sehr abwehrend sind. Das ist eigentlich in der ganzen Region so, finde ich. Der Bürgermeister in ((Ortsname)) hat das ziemlich
öffentlich aufgegriffen, der ist offensiv dagegen vorgegangen, das ist aber eher eine Ausnahme. (...) Es gab da eine sehr große Pressekampagne, weil das ein schlimmer Übergriff war.
Ich weiß jetzt nicht, inwieweit er das von selber initiiert hat. Das ist halt immer schwierig zu
sagen. (...) Dass das Thema rechte Gewalt gemieden wird, denke ich, hat auch was mit der
Landespolitik zu tun. Es ist natürlich auch in der Bundespolitik jetzt kein großes Thema mehr.
Ich denke, das ist auch ein Kreislauf, der sich selbst noch mal beschleunigt. Und natürlich,
dass ((Bundesland)) von der Politik her eine sehr konservative Einstellung hat, dass die CDU
allein regiert. Und das ist auch so in der Region, in ((Ortsname)) gibt es einen PDSBürgermeister. (...) Eine große Rolle in der Region spielt auch die demographische Entwicklung, dass viele Wegzüge sind, vor allen Dingen junge Leute ziehen weg, und damit fehlt einfach Energie, fehlen neue Einflüsse und Ideen. Es ziehen wenige Leute her. Das merkt man
einfach, wenn man in Berlin ist, da ist ein anderes Zusammenleben. (...) Es fehlt eine Gegenbewegung, oder sie kann sich auch ganz schwer etablieren, wenn immer wieder Leute weggehen. Das ist halt jetzt schwierig, das so kurz abzuhandeln, ich denke auch,(...) in den letzten
zehn Jahren wurde auch vieles in der Jugendpolitik falsch gemacht, wo man rechte Strukturen
noch begünstigt oder ihnen nicht entschieden entgegengewirkt hat. Und das jetzt in einem kurzen Zeitraum aufzubrechen, ist schwierig. Es gibt dann noch das ((regionale)) Traditionserbe,
das hat natürlich auch großen Einfluss.“ (b-OBS 4, 165-244)
Die unterschiedlichen Einstellungen zum Thema Rechtsextremismus können allerdings nicht
eindeutig parteipolitisch zugeordnet werden, sondern sind offenbar stark abhängig von den
Haltungen einzelner Schlüsselakteure (vor allem der Bürgermeister) bzw. von der lokalen politischen Kultur. In einer Stadt veränderte sich die ablehnende Haltung der Stadtverwaltung
zum Beispiel deutlich, als der von der SPD gestellte Bürgermeister von einem CDU-Mitglied
abgelöst wurde (b-OBS 14, 2787-2884).
3.2 Das CIVITAS-Programm: Ressourcen und Begrenzungen
Ein zweiter wesentlicher Rahmenfaktor für die Arbeit der Opferberatungsstellen ist das CIVITAS-Programm und die durch das Programm bereitgestellten Ressourcen, aber auch die
mit der Förderung verbundenen Verpflichtungen und Beschränkungen. Im Vergleich zu den
ehrenamtlichen Anfängen wird von den Befragten immer wieder der quantitative und qualitative Schub für ihre Arbeit hervorgehoben, der durch das CIVITAS-Programm bewirkt worden sei. Erst durch die CIVITAS-Förderung habe eine Konzentration auf die Beratungsarbeit
im Rahmen hauptamtlicher Beschäftigung erfolgen können. Dadurch sei die Arbeit der Opferberatungsstellen in der jetzt vorliegenden Form, vor allem der aufsuchende Ansatz, erst
dauerhaft ermöglicht worden:
„Wir haben das davor meist natürlich ehrenamtlich gemacht aber schon mit einem Aufwand,
der eher zu einem Vollzeitjob tendierte, der aber nicht bezahlt wurde. Das kann man nur eine
begrenzte Zeit machen. 2001 hat es die Möglichkeit gegeben, weiterzumachen, weiterzuarbeiten. Darüber hinaus hat es die Arbeitsbedingungen erstmal verbessert. Dass es dann auch einen Dienstwagen gab und wir nicht mehr mit dem kaputten Auto durch die Gegend fahren
mußten usw. (...) Es hat uns die Möglichkeit gegeben, uns darauf zu konzentrieren und nicht
noch nebenbei die Miete, und bei mir war es dann noch vor allem die Krankenkasse, finanziell
organisieren zu müssen. Das war erstmal großartig, sich darum nicht mehr kümmern zu müssen, das war eine ganz okaye Geschichte.“ (b-OBS 15, 772-785)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
184
„Aber ansonsten, momentan kann man ja sagen, die Rahmenbedingungen sind eigentlich ganz
gut, wir haben Autos, wir haben Geld (...) Also, wenn man das jetzt mal so vergleicht, wenn
ich jetzt ehrenamtlich arbeiten müsste.“ (b-OBS 3 II, 533-540)
Betont werden immer wieder andere positive Seiten der Bundesförderung, man könne dadurch freier agieren als wenn man aus Landesmitteln finanziert würde und es sei auf kommunaler Ebene ein Vorteil, sich als ein bundesgefördertes Projekt vorstellen zu können. Außerdem findet die durch das CIVITAS-Programm bereitgestellte Infrastruktur in Form der Koordinationsstelle und der regelmäßigen Fortbildungen breite Anerkennung:
“Natürlich hat eine Bundesförderung auch ihre positiven Seiten, weil man sich, was in den
CIVITAS-Leitlinien ja gefordert ist, dass man verankert ist im Land oder in Regionen oder sogar lokal. Also, dass man mit jedem gut kann und jeder einen kennt. Sind natürlich Sachen,
die die Arbeit vielleicht erleichtern oder vielleicht die Finanzierung erleichtern, aber die Arbeit auch erschweren, weil wir ja in bestimmten Situationen Druck ausüben und die Bösen
sein wollen und müssen, um eine Veränderung zu erreichen. Vor dem Hintergrund ist es natürlich besser, wenn man eine Finanzierung von einer höheren Ebene als die Landes- oder sogar lokale Ebene hat. Es hat schon auch seine Vorteile zu sagen, dass man ein bundesgefördertes Projekt ist, weil das auch deutlich macht, dass es schon ein politisches Interesse auch
an der Unterstützung von Opfern rechter Gewalt gibt, oft über unsere Person, unser Projekt
hinaus. Die Möglichkeit mit den Regionalbüros, ja, ich meine, so kann man viele Sachen, die
uns strukturell zur Verfügung stehen, aufzählen, aber es ist schon gut, diese Regionalbüros zu
haben. Wenn ich sehe, wieviel wir schon zu fahren haben und wie wichtig auch der Kontakt
ist, räumlich, auch um bestimmte Prozesse begleiten zu können oder bestimmte Personen auch
zu, würde ich, glaube ich, so eine Zentrale oder so eine Verkleinerung der Anlaufstellen oder
Büros nicht gut finden. Was auch ein wichtiger Punkt ist, sind diese Weiterbildungen. Die
nicht nur inhaltlich..., also, bestimmte Sätze sind einem ja schon aus dem Studium bekannt oder kann man sich auch anlesen. Aber diesen gemeinsamen Austausch fand ich sehr fördernd
für die Arbeit.“ (b-OBS 11, 964-981)
Als nachteilig wird dagegen von vielen Mitarbeiter/innen die zunehmende Bürokratisierung
und formaljuristische Handhabung des CIVITAS-Programms empfunden. Wiederholt wurde
dabei auf das im Vergleich zu den Vorjahren als deutlich aufwändiger angesehene Antragsverfahren hingewiesen. Als weiteres Merkmal dieser stärker formaljuristischen Handhabung
des Programms wurde von den betroffenen Projekten das Ausmaß der Überprüfungen der
BAT-Eingruppierungen der Mitarbeiter/innen hervorgehoben. Fünf der acht Opferberatungsprojekte hatten nach den Ergebnissen der Trägerbefragung im Jahre 2003 Schwierigkeiten
mit der BAT-Eingruppierung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hintergrund ist, dass die
BAT-Eingruppierung nach dem Eindruck der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jahre 2003
in einem größeren Ausmaß geprüft wurde, um den Vorgaben des Bundesrechnungshofes zu
genügen. Als Ergebnis dieser Überprüfung sind seit dem 1. April 2003 drei Stellen im Bereich Opferberatung mit der Begründung gesperrt, dass die beschäftigten Personen nicht
durch eine entsprechende Fachausbildung für ihre Tätigkeit qualifiziert seien. Zwei der betroffenen Personen haben eine regional verankerte Opferberatungsstelle aufgebaut, durch die
Stellen- und Finanzsperre und die Monate lange Unklarheit über die weitere Entwicklung ist
dieser Standort jetzt akut gefährdet:
„A: Ich meine, dass im Sommer 2002 von der Servicestelle der CIVITAS Anfragen an die Projekte gingen, zur Qualifikation einzelner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das hat damals
auch uns schon betroffen, wir sollten nachweisen, dass wir qualifiziert sind für die Arbeit, die
wir machen. Es wurden dann Nachweise von Tätigkeiten und Fortbildungen eingereicht, dann
hat sich eine Weile nichts getan in der Richtung. Die Förderung für die ersten drei Monate
2003 ging dann auch weiter. Am 31. März 2003 kam dann ein Fax, ein Schreiben, dass die
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
185
Stellen ab dem 1. April gesperrt sind. Wir haben also von heute auf morgen erfahren, dass wir
kein Geld mehr bekommen.
I: Ist das begründet worden?
A: Das ist insofern begründet worden, dass es dort eine Vorprüfung gab der Unterlagen, und
das dort als aussichtslos eingeschätzt wurde. Es hat zu dem Zeitpunkt (...), wo es weiterhin
Prüfungen geben sollte. Die Situation war dann die, dass wir noch mehr Unterlagen eingereicht haben, zum Beispiel dieses Gutachten, und seitdem ist nichts Wesentliches mehr passiert aus unserer Sicht. Natürlich Gespräche geführt usw. usf. Aber da sich an der Situation
nichts geändert hat, wie die Zuwendungsbescheide gekommen sind und die Stellen immer noch
gesperrt sind, und sich das mittlerweile über 3 Monate hinzieht, dass wir nicht wissen, wie wir
weiter arbeiten sollen und das überhaupt können. Mit dem Effekt, ganz unabhängig von den
individuellen Perspektiven, dass das Projekt hier in ((Ortsname)) so nicht mehr weiter arbeiten wird. Was einfach damit zusammenhängt, dass wir beide mit den bezahlten Stellen einen
Rahmen sichern und eine Kontinuität sichern für die Leute, die das ehrenamtlich machen.
Wenn wir das nicht garantieren können, hängt das alles gesamt in der Luft und die Leute suchen sich dann natürlich neue Perspektiven. (...) So dass wir davon ausgehen, dass mit dem
eigenständigen Projekt, wo ehrenamtliche Leute arbeiten, dass das zum Jahresende aufhört.
I: Wenn nicht doch noch die hauptamtlichen Stellen freigegeben werden?
A: Realistisch gesehen wird sich das verändern, das zieht sich jetzt so lange hin, dass sich die
Leute - gerade was Ehrenamtliche angeht - sich umorientieren müssen. Um ein Beispiel zu
nennen, jemand der ehrenamtlich bei uns arbeitet hätte gerne sein soziales Jahr gemacht, er
konnte sich hier darum kümmern, das entscheidende war, wenn wir nicht als bezahlte Stellen
existieren, kann er das auch nicht machen, und dann muss er sich etwas anderes suchen, weil
es gleich losgehen soll. Wenn Leute anfangen müssen, einen Acht-Stunden-Job irgendwo zu
machen, dann verändert sich so ein Projekt natürlich auch. Und das macht es einfach auch
kaputt.“(b-OBS 15, 7-31)
Die betreffenden Personen bekommen seit dem 1. April 2003 keine Bezüge mehr und haben
inzwischen das Angebot erhalten, im Rahmen von BAT Vc-O-Stellen mit veränderter Tätigkeitsbeschreibung weiterzuarbeiten. Gleichzeitig werden Rückforderungen der an die betreffenden Träger überschüssig gezahlten Personalmittel geltend gemacht. Die damit verbundenen Konflikte und Auseinandersetzungen haben aus Sicht vieler Mitarbeiter/innen der Opferberatungsprojekte das Klima innerhalb des CIVITAS-Programms im Jahre 2003 nicht unerheblich belastet.
Ein zusätzlicher Konfliktherd im CIVITAS-Programm war nach Wahrnehmung einiger Projekte im zurückliegenden Jahr die Auseinandersetzung um die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit im und für das CIVITAS-Programm. Durch neue Richtlinien, deren zentrale Aussagen auch in den Zuwendungsbescheiden für die Projekte enthalten waren, wurde die Öffentlichkeitsarbeit für das Gesamtprogramm dem Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend vorbehalten. Außerdem wurde verfügt, dass alle Veröffentlichungen und
Plakate der einzelnen Projekte zur Veröffentlichung von der Servicestelle freigegeben werden
müssten. Dies ist in einer ganzen Reihe von Projekten mit Unverständnis aufgenommen und
als eine Einschränkung der Tätigkeitsmöglichkeiten aufgefasst worden, womit zum Teil auch
eine berufliche Abwendung vom CIVITAS-Programm begründet wurde:
„Was natürlich gerade wieder so ein Problem, CIVITAS mit ihrem Maulkorb-Erlass. Solche
Sachen sind natürlich auch sehr einschränkend. Also gerade, wenn man mal davon ausgeht,
dass wir natürlich auch eine Politik machen wollen, also politische Konsequenzen haben wollen aus unserer Arbeit heraus und das hemmt dann natürlich, wenn wir uns, was weiß ich,
nicht äußern dürfen gegenüber anderen über CIVITAS, über das, wodurch es uns eigentlich
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
186
gibt. Das ist schon ein bisschen komisch. Na ja und da gibt es dann halt immer wieder Diskussionen, inwieweit können wir das auch mitmachen, so eine Einbeziehung in solche nicht unbedingt demokratischen Sachen, wo wir große Probleme haben damit. Was auch durchaus soweit geht, dass die Leute sagen, also Leute, aus dem Projekt raus, also, da will ich nicht hin.“
(b-OBS 3 II, 544-553)
Ein weiterer Belastungsfaktor, auf den von einigen Mitarbeiter/innen hingewiesen wurde, ist
die durch die Jährlichkeit der Haushaltsführung hervorgerufene Unregelmäßigkeit der Projektfinanzierung, die sich direkt auf die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter/innen auswirkt.
Im Jahr 2003 wurden die Mittel für den Zeitraum April bis Juni erst im Juni an die Opferberatungsstellen überwiesen. Bei den Befragungen wurden in diesem Zusammenhang vor allem
die mangelnde Transparenz und die unzureichende Informationspolitik auf der Geldgeberseite immer wieder kritisiert:
„Nachdem wir dann Anfang April das Geld für die ersten drei Monate bekommen haben, hat
es ja dann wieder ungefähr zwei Monate gedauert bis wir dann das Geld ab April bekommen
haben. Das sind natürlich schon Sachen, die einfach unnötige Belastung bringen und den
Kopf nicht frei machen, um sich auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Also, im Laufe der
Entwicklung ist doch auch immer weniger eine Transparenz der Entscheidungsprozesse dort
von Geldgeberseite zu erkennen. Wo der Austausch zum Anfang doch eigentlich ganz gut war
und auch gerade inhaltlich begründet war. So ist es mittlerweile auch eine sehr formelle Ebene, wo dann aber ganz bestimmte, eigentlich ganz normale Formalitäten nicht eingehalten
werden: wie rechtzeitige Bezahlung, rechtzeitige Hinweise auf mögliche Probleme und Ähnliches, teilweise widersprüchliche Aussagen, mündliche Zusagen oder verschiedene mündliche
Zusagen an einzelne Teile eines Projektes oder an verschiedene Projekte, was dann auch wieder für Verwirrung sorgt.“ (b-OBS 9, 60-84)
Eine weitere Beeinträchtigung der Projektarbeit lag in der Wahrnehmung vieler Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen im Jahr 2003 in der Notwendigkeit begründet, eine Kofinanzierung zur Bundesförderung in Höhe von 20% des Projektvolumens aus Landes- oder
sonstigen Mitteln für das Haushaltsjahr 2004 einwerben zu müssen, um die Weiterbewilligung und damit die Fortexistenz des Projekts zu sichern. Der dafür erforderliche Zeitaufwand
war nach Darstellung der Mitarbeiter/innen zum Teil erheblich und die für einige Projekte
schlechten Aussichten, eine Kofinanzierung zu erlangen und damit ihr Überleben zu sichern,
haben nach den vorliegenden Interviewäußerungen die eigentliche Beratungsarbeit belastet,
die Motivation der Mitarbeiter/innen nicht verbessert und teilweise zu Überlegungen geführt,
die Stelle zu wechseln:
„Im Moment ist unser größtes Problem, mit dem wir konfrontiert sind, gibt es uns in 2004
noch oder nicht. Und da, wie können wir Kofinanzierung ansprechen, Möglichkeiten erschließen, die Fragestellung überhaupt, ob Kofinanzierung außerhalb des Landes möglich ist, die
ist noch nicht abschließend geklärt. Deswegen ist es auch ein bisschen ein Motivationsding,
inwieweit man sich anderweitig schon engagiert und schaut. Worauf ich das zurückführe, ist
dass der Bund sagt, dass die Länder in der Finanzierung mit einsteigen sollen, dass es Modellprojekte sind und die Anschließung an das Land passieren soll. Und das Land sagt, dass
sind Bundesprojekte und wir haben damit nichts zu tun, der Bund kann nicht Projekte anstoßen und die dann quasi im Regen stehen lassen. Beide schieben den Schuh in die andere Richtung und wir haben eigentlich gar nichts dazu zu sagen. [I: Sie sitzen also gewissermaßen
zwischen den Stühlen?] In dieser Argumentation fühle ich das so, dass wir zwischen den Stühlen sitzen. Ich denke, dass insgesamt das Land kein Interesse hat an Projekten explizit gegen
Rechtsextremismus und die zu fördern und die einzustellen, aber so argumentieren sie in der
Öffentlichkeit nicht. Mit der öffentlichen Argumentation sitzen wir zwischen den Stühlen. Das
andere sind nur vermutete Sachen, es gibt letztendlich keine expliziten Äußerungen, zumindest
keine öffentlichen.“ (b-OBS 13, 21-37)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
187
3.3 Interne Rahmenbedingungen: Träger und Teamstrukturen
Die CIVITAS-Opferberatungsstellen weisen auf der Strukturebene eine relativ große Homogenität auf. Die meisten Träger entstammen der Initiativenlandschaft, die Mitarbeiter/innen
waren vor ihrer hauptamtlichen Tätigkeit im Bereich Opferberatung häufig in antifaschistischen oder antirassistischen Initiativen tätig oder waren bzw. sind politisch gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit engagiert. Als Folge der Herkunft aus der Initiativenlandschaft und durch den ehrenamtlichen Vorlauf, der durch die bereits seit 1998 tätige „Opferperspektive Brandenburg“ moderiert wurde, zeigen sich auch starke Übereinstimmungen
in konzeptioneller Hinsicht und bei den ausgeübten Tätigkeiten.
Die interne Struktur ist bei zwei Trägern von Opferberatungsstellen von einer stärker formalisierten Hierarchie mit Geschäftsführern (bei den Trägern) und Projektleitungen (bei den Opferberatungsprojekten) geprägt. Dieser ‚Instanzenzug’ hat in der Vergangenheit wiederholt zu
Konflikten geführt, die u.a. zum Ausscheiden von zwei Projektleitungen nach nur kurzer Beschäftigungsdauer führten. Es ist besonders die Schnittstelle zwischen Trägerinteressen und
den Anforderungen des Projekts mit zum Teil mehreren Kleinteams, in der sich die Projektleitungen bewegen, die potentiell ausgesprochen konfliktträchtig war bzw. ist (b-OBS 2,
2368-2391).
In vier weiteren Opferberatungsprojekten wird eher im Rahmen „flacher Hierarchien“ gearbeitet. Zwar gibt es zum Teil Koordinatoren bzw. Projektleitungen, diese sind aber aus den
Teams heraus gewachsen und verstehen sich eher als ‚primus inter pares’, so dass es in diesen
Opferberatungsprojekten eher „kollektive Projektleitungen“ gibt:
„A 1: Also ich meine, wir haben pro forma eine Projektleitung, das bin ich. Aber das ist pro
forma. De facto haben wir eine kollektive Projektleitung. Natürlich, insofern, dass jeder die
Verantwortung hat, auch den Überblick zu haben. Natürlich habe ich auch den Überblick, vor
allem, aber jeder.
A 2: Aber es gibt mehr Probleme im Großteam, als in dem Kleinteam der ((Ortsname)). Also
mit den Leuten in ((Ortsname)) gibt es mehr Probleme, als wir untereinander haben, genau,
weil wir diesen engen Austausch haben, wöchentlich. Weil wir uns oftmals tagtäglich sehen
und Probleme sofort besprechen. Und Fälle sofort besprechen oder Strategien, wo wir wie
was machen. Uns gegenseitig beraten. Also diese kollegiale Beratung total im Mittelpunkt
steht. Und die ((Ortsname)) einfach noch viel weiter entfernt sind und wir uns dann als Gesamtteam nur einmal im Monat treffen. Und das schafft ganz große Kommunikationsprobleme,
also einfach auch ganz viele Missverständnisse.“ (b-OBS 14, 2382-2395)
Die Arbeit in den Kleinteams der Opferberatungsstellen erscheint insgesamt als weitgehend
spannungsfrei, zumal sich die jeweiligen Personen lange (zum Teil noch aus ehrenamtlichen
Vorläufen) kennen und auch privat zum Teil eng verbunden sind.
Personelle Fluktuationen bei den Opferberatungsstellen sind in den zurückliegenden Jahren
nach den Ergebnissen der Trägerbefragung bei sechs Projekten zu verzeichnen gewesen,
während die übrigen zwei Projekte personell gleich geblieben sind.
Darüber hinaus kündigen sich aktuell bei mehreren Trägern eine ganze Reihe von Weggängen von bewährten Mitarbeiter/innen an bzw. sind bereits erfolgt. Dabei spielt meist ein Bündel von Gründen eine Rolle, wobei sich häufig Unzufriedenheit mit der Durchführung des
CIVITAS-Programms und Unzufriedenheit mit den Träger- bzw. Leitungsstrukturen mi-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
188
schen. Es handelt sich hier vor allem um die beiden Träger von Opferberatungsstellen, die
über stärker formalisierte Leitungsstrukturen verfügen:
„Also, die sind eben manchmal die Struktur innerhalb oder (...) zwischen Team, Projektleiter
und Geschäftsführer und Träger. Also, die erlebe ich als wenig sinnvoll an vielen Punkten.
Oder zunächst (...). Und gleichzeitig die Struktur dann noch im Hinblick auf CIVITAS. Also
wo aus meiner Sicht unklar ist an vielen Punkten, was eigentlich gewollt ist. Von CIVITAS,
sage ich mal. Und dann aufgrund unserer unglücklichen Trägerstruktur sage ich mal und
dann diese unklaren Äußerungen von ganz oben, die genauso unklar immer weiter runterkommen, das ist einer der Punkte. Der andere Punkt ist, dass ich mit der Situation zwischen
Team und Projektleitung, der Projektleiterin einfach unzufrieden bin. Und mich dem nicht
länger aussetzen möchte.“ (b-OBS 2, 10-24)
„Es gibt halt einfach wirklich ein Sammelsurium von Gründen. Das sind interne Gründe, die
nicht das Kleinteam betreffen. Die beim Großteam und beim Träger anfangen. Es sind externe
Gründe, die mit CIVITAS zu tun haben. Mit Strukturen, mit Umgehensweisen. Und es sind natürlich noch persönliche Gründe dazu. Also ich glaube, ich möchte das jetzt wirklich nicht
noch genauer sagen müssen. Aber es ist halt eine Unzufriedenheit dagewesen und ja, dann
denke ich einfach, ist es notwendig, eine Konsequenz zu ziehen.“ (b-OBS 5, 522-528)
Am stabilsten erscheint der Zusammenhalt und die Zusammenarbeit dort, wo sich das Personal schon lange kennt und ‚flache Hierarchien’ bestehen, die dem stark basisdemokratisch orientierten Selbstverständnis vieler Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen entgegenkommen.
Kommentar:
Die externen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen sind weiterhin nicht selten schwierig, da die Thematisierung
von Rechtsextremismus und rechtsextrem motivierter Gewalt vor allem in kleineren Städten
und ländlichen Gebieten noch immer häufig auf Vorbehalte stößt, während das Klima in den
Großstädten und den eigenen Standorten oftmals aufgeschlossener ist. In den Großstädten
gibt es in der Regel auch ein intaktes Netz von zivilgesellschaftlichen Initiativen, auf die sich
die Opferberatungsprojekte bei ihrer Arbeit stützen können. Dies ist auf dem Land und in den
Kleinstädten oftmals nicht der Fall, nicht selten müssen die Opferberatungsprojekte daher
hier mit hohem Engagement kompensatorisch tätig werden oder sich resignierend zurückziehen, da die Regelstrukturen, die sie für ihre Arbeit benötigen, kaum vorhanden sind und zum
Teil im Rahmen von Sparmaßnahmen derzeit noch weiter abgebaut werden. Insgesamt zeigen
sich durch diese Rahmenbedingungen deutliche Belastungen der Projektarbeit. Entsprechend
reduziert sollten die Erfolgserwartungen an die Projekte sein, denn sie haben auf diese politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen nur sehr begrenzten Einfluß.
Die für eine Bearbeitung des Problems Rechtsextremismus schwierigen politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen in den neuen Bundesländern sind für die Einrichtung des
CIVITAS-Programms handlungsleitend gewesen. Eine spezielle Beratung für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten wäre ohne eine Bundesförderung in diesem Umfang niemals
möglich gewesen. Der Bund hat hier seine Anregungsfunktion in deutlicher Weise wahrgenommen. Das Zeichen, das die Bundesregierung durch das CIVITAS-Programm und die
Aufnahme einer speziellen Opferberatung gesetzt hat, wurde in den Befragungen immer wieder gewürdigt. Die Beziehungen zwischen Programmebene und Projekten waren allerdings
im Jahre 2003 aus einer ganzen Reihe von Gründen stärker belastet als in den Vorjahren. Die
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
189
Fördermittel wurden in gleicher Höhe weiter zur Verfügung gestellt, jedoch gingen die Mittel
zum Teil zeitverzögert ein, was Folgeprobleme verursachte. Zudem nahm der bürokratische
Aufwand insgesamt zu und damit das Zeitbudget für die eigentliche Tätigkeit ab. Durch die
Umsetzung des Programms ist es nach Darstellung der Mitarbeiter/innen (allerdings von Projekt zu Projekt in unterschiedlichem Umfang) im Jahre 2003 immer wieder zu Beeinträchtigungen für die Projektarbeit gekommen. Diese sollten in der nächsten Phase des Programms
nach Möglichkeit wieder reduziert werden.
Im Gegensatz zu den externen Rahmenbedingungen, die die Projektarbeit eher belastet haben,
haben die internen Strukturen insgesamt eher entlastende Wirkung gehabt. Vor allem die
Kleinteams vieler Projekte verstehen sich gut und arbeiten gern zusammen. Einige Projekte
hätten das schwierige Jahr 2003 wohl kaum durchgestanden, wenn das Binnenklima nicht so
gut gewesen wäre. Konflikte bis hin zu Kündigungen gab es dort, wo Opferberatungsprojekte
von ihren Trägern mit einer formalisierten Hierarchie konfrontiert wurden. Da die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen eher basisdemokratisch orientiert sind, wurden dadurch
Konfrontationen erzeugt, die sich zum Teil in – noch nicht gelösten – Dauerkonflikten niedergeschlagen haben, die das interne Klima weiterhin belasten.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
190
4 Tätigkeitsfelder der CIVITAS-Opferberatungsstellen
Opferberatungsstellen wollen Betroffene rechtsextrem motivierter Straf- und Gewalttaten oder fremdenfeindlicher Diskriminierungen dazu befähigen, sich mit ihrer Situation auseinander zu setzen und dabei selbst wieder handlungsfähig zu werden, also die Opferrolle zu überwinden. Zu diesem Zweck unterstützen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der CIVITASOpferberatungsstellen Betroffene rechtsextrem motivierter Straf- und Gewalttaten oder fremdenfeindlicher Diskriminierungen durch Beratung und Begleitung. Außerdem wird angestrebt, den Beratungsansatz zu multiplizieren und dadurch eine dauerhafte Unterstützung für
Betroffene rechtsextremer Straf- und Gewalttaten zu erreichen.
Die Opferberatungsstellen gehen davon aus, dass Betroffene rechtsextremer Straf- und Gewalttaten nicht als Individuen, sondern deshalb angegriffen werden, weil sie Angehörge einer
Personengruppe sind, die als unliebsame ethnische, kulturelle oder soziale Minderheit begriffen wird. Der zweite große Tätigkeitsbereich der Opferberatungsstellen besteht daher in der
Unterstützung kollektiver Prozesse und Akteure, sowohl im Bereich von Betroffenengruppen
als auch im Bereich zivilgesellschaftlicher Initiativen, zur Förderung der gesellschaftlichen
Integration von Betroffenengruppen. Zentrale Tätigkeitsfelder sind dabei die Mobilisierung
von Unterstützung für die Opfer und die Förderung der Selbstorganisation der Betroffenengruppen, die Öffentlichkeitsarbeit und die Vernetzung. Ein weiteres Tätigkeitsfeld zielt auf
eine nachhaltige und längerfristige Verbesserung der Situation der Opfer rechtsextremer
Straf- und Gewalttaten in ihren jeweiligen Heimatkommunen ab. Dazu werden von den Opferberatungsstellen in ausgewählten Fällen im Rahmen kommunaler Interventionen mit Betroffenengruppen wie mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und weiteren CIVITAS-Projekten
gemeinsam lokale Strategien zur Verbesserung der gesellschaftlichen Integration der Betroffenen und zur Veränderung des lokalen Klimas entwickelt und umgesetzt.
Beide Tätigkeitsbereiche werden in der folgenden Analyse voneinander unabhängig dargestellt und daher getrennt beschrieben. Allerdings können sie in der Realität auch zum Teil
aufeinander aufbauen bzw. aneinander anknüpfen, müssen dies aber nicht tun.
4.1 Unterstützung von Individuen durch Beratung und Begleitung
4.1.1 Grundprinzipien der Beratung
Zentrales Tätigkeitsfeld und Ausgangspunkt aller weiteren Aktivitäten ist die Individualberatung der betroffenen Personen. Grundprinzip und Ausgangspunkt der Beratung ist die Einnahme der Opferperspektive. Daraus leiten die Opferberatungsprojekte die Parteilichkeit des
Vorgehens und die Orientierung an den Bedürfnissen und Interessen der betroffenen Person
ab.
„Bei der Beratung lasse ich mich von dem Grundprinzip hauptsächlich leiten, dass der Betroffene oder die Betroffene diejenigen sind, auf die ich zu achten habe. Dass mein Gespräch, was
ich führe mit ihnen, an ihrer Persönlichkeit und ihren persönlichen Problemen sich danach
richtet sozusagen und nicht nach dem, wie ich jetzt vielleicht gerne vorgehen möchte.“ (b-OBS
12, 678-683)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
191
Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen wollen ihre Klienten dazu befähigen, die Opferrolle zu überwinden, die Tat zu verarbeiten und ihr bisheriges Leben wieder aufnehmen zu
können. Oberster Grundsatz ist die Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung der Betroffenen. Das zugrunde liegende Menschenbild im folgenden Interviewzitat kann für die Arbeit
der Opferberatungsstellen allgemein unterstellt werden:
„Als erstes wollen wir ihnen helfen, aus dieser Opferrolle, in der sie zwangsläufig sind, wieder rauszukommen. Was ich schon gesagt hatte von diesem Bild, was wir von den Menschen
haben, die eben Opfer von rechter Gewalt werden, sie sind dadurch nicht handlungs- oder
entscheidungsunfähig. Sie sind maximal durch eine Traumatisierung oder durch eine körperliche Verletzung eingeschränkt in der Wahrnehmung dieser Fähigkeiten. Da geht es natürlich
darum, ihnen dabei zu helfen, dass das wieder möglich ist. Und eben auch zu verhindern, dass
sie sich sozusagen, was nicht selten stattfindet, auch in so einer Opferrolle einrichten. Also, im
Sinne von – ich bin selber schuld – warum war ich zu dem Zeitpunkt da – ich bin nun mal so
hilflos – mir wird das immer wieder passieren – und ähnliches. Das sind so Sachen, die in der
Folge von solchen Übergriffen sehr häufig stattfinden. Da geht es dann natürlich schon darum, die Betroffenen erstmal wieder dazu zu bringen: ‚Mir ist es zwar passiert und das muss
ich jetzt auch so akzeptieren, muss lernen damit umzugehen, aber ich kann doch versuchen,
wieder selber zu entscheiden was ich will im Leben.’ Da schließt sich der Kreis wieder so.
Entsprechend treten wir dann natürlich auf, dass wir versuchen maximale Entscheidungsfreiheit den Betroffenen dort einzuräumen.“ (b-OBS 9, 598-612)
In der praktischen Umsetzung orientieren sich die Beratungen daher häufig an klientenzentrierten Gesprächsverfahren und zielen darauf ab, die Ressourcen und Potentiale der betroffenen Person zu ermitteln und zu aktivieren, d.h. zu schauen, „was bringt die Person mit“ (bOBS 13, 167). Wichtiger Grundsatz dieser Klientenzentrierung ist, „dass wir dem Opfer glauben.“ (b-OBS 3, 745)
Ein weiteres zentrales Leitprinzip, das als Grundlage der Beratungspraxis immer wieder benannt wurde, ist dabei der Grundsatz der „Hilfe zur Selbsthilfe“, der zu einem Empowerment
der betroffenen Person beitragen soll:
„Fördern, dass die Menschen -, das gelingt punktuell auch, freut man sich auch, dass die Leute wieder aktiv werden, dass sie spüren – ich hab doch Möglichkeiten, dass in Eigeninitiative,
dass wir uns eigentlich als Hilfe zur Selbsthilfe verstehen. Dass die Menschen wieder anfangen Anteil zu nehmen am Leben. Und wenn es nur punktuell ist, so ganz kleine Schritte. Aber
dass sie wieder Fuß fassen im Leben. (...) Das gelingt natürlich nur punktuell oder nicht
durchgängig.“ (b-OBS 16, 440-450)
Eine Opferberatungsstelle berichtet dabei von einem Lernprozeß, den sie im Hinblick auf die
Anwendung des Prinzips „Hilfe zur Selbsthilfe“ durchlaufen hat. Am Anfang ihrer Tätigkeit
wurden die Betroffenen regelrecht ,bemuttert’. Inzwischen ist das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ aber bei den betreffenden Mitarbeiter/innen verinnerlicht worden, weil es sich als sinnvolles Arbeitsprinzip zur Aktivierung der Klienten herausgestellt hat:
„A: Also am Anfang waren wir schon so übermuttermäßig. Also ganz viele Sachen halt noch
hinterher tragen und noch mal anrufen und noch mal anrufen und noch mal fragen. So. Und
das ist einfach…
I: Überbehütend würde man wahrscheinlich sagen.
A: Ja, so was. Und jetzt ist es halt einfach wirklich so: Also diese Hilfe zur Selbsthilfe haben
wir selber mehr für uns verinnerlicht.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
192
I: Wie kam das, dass sich das gewandelt hat? War das ein Anstoß von außen oder haben Sie
gesehen, dass Sie die Leute dadurch eher unselbständiger machen, als sie ohnehin schon
sind? Oder wie kam das?
A: Ich glaube, das kam einfach durch die Erfahrung, dass wir einfach an bestimmten Fällen
gemerkt haben: Wir haben jetzt da so viel gemacht, aber der Betroffene oder die Betroffene
macht einfach nicht mit. Und dadurch, dass wir regelmäßige Fallbesprechungen haben und
da über jeden Fall teilweise auch recht lange diskutieren, ist das uns irgendwann… Also das
ist ja, das kam ja nicht komplett so an einem Tag die Weisheit jetzt. Sondern das war ein Prozess und das hat sich halt dahingehend entwickelt, dass wir jetzt… Was ((Name)) vorhin schon
gesagt hat, dass wir am liebsten einen Arbeitsauftrag abholen oder genauer die Sachen absprechen. Also auch genauer gucken: Welches Ziel haben die Betroffenen mit uns? Und nicht
nur: Was wollen wir denen denn helfen?“ (b-OBS 5, 491-511)
Die Beachtung und Anwendung des Prinzips „Hilfe zur Selbsthilfe“ zieht sich nach den Aussagen der Projektmitarbeiter/innen bis in die Anlage der Beratung. Meist wird ausgehend von
den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen eine Aufgabenteilung zwischen Berater und
Klient vereinbart, die dann nach und nach abgearbeitet wird. Dabei sind die Transparenz des
Beratungsprozesses und ständige Rückkoppelungen wesentliche Gestaltungselemente. Als
wesentlich erscheint dabei die Abgrenzung von den Wünschen der Klienten nach stärkerer
Aktivität der Berater/innen und der ständige Verweis darauf, dass die Klienten den Verlauf
des Beratungsprozesses steuern:
„Konkret gestalten wir den Beratungsprozess transparent. Darüber hinaus äußern wir auch
den Wunsch, was die Leute selber machen können. Meist kommt das auch von ihnen selber,
aber wenn wir das Gefühl haben, die binden uns zu sehr ein, wir werden, ich sag jetzt mal böse, ‚die Mutti für alles’, dann gibt es eine klare Aufgabenteilung, wo wir sagen, ‚das könntest
du machen’. (...) Das ist vielleicht in der Beratung auch ganz gut, es gibt bestimmte Punkte,
wenn man ihnen nicht über den Mund fährt, gibt es Knackpunkte, da muss der oder die Betroffene Entscheidungen treffen, und damit bestimmen sie den weiteren Verlauf.“ (b-OBS 4, 13521371)
Je nach den persönlichen Voraussetzungen sind die Ergebnisse dieser auf „Hilfe zur Selbsthilfe“ ausgerichteten Beratungsprozesse nach den Berichten der Opferberater/innen unterschiedlich. Bei schwer traumatisierten oder stark verletzten Personen ist der Umfang der Unterstützung am Anfang größer und der Aktivierungsprozeß im Ergebnis schwieriger als bei
leichter beeinträchtigten Klienten:
„Man hat natürlich da auch Leute da, die wirklich so sehr am Boden sind, und wir alles auch
machen, uns mit dem Opfer treffen und fragen, so wir haben jetzt das und das vor, das wäre
günstig weil, wo dann Betroffene auch sagen, ja, Mensch machen sie eben, das ist o.k. so, die
sich aber damit eben auch nicht auseinandersetzen, was wir jetzt so machen, das ist aber relativ selten, Gott sei Dank. Also die meisten wissen schon, aha o.k., das hat die und die Konsequenz, ja will ich oder will ich nicht, also dass die sich damit auch auseinandersetzen. Aber
solche Erfahrungen haben wir natürlich auch gemacht, klar, dass Leute da...[I:...sich hängen
lassen....] Ja. [I: Aber Sie würden nicht sagen, das ist die überwiegende Zahl?] Nein, nein.“
(b-OBS 3, 377-393)
Kommentar:
Die wesentlichen Grundprinzipien Parteilichkeit, „Hilfe zur Selbsthilfe“ und Ressourcenorientierung sind in den Opferberatungsstellen mit wenigen Ausnahmen offenbar weitgehend
verankert, wobei die Selbstbestimmung der betroffenen Person oberster Grundsatz ist. Die
Prinzipien entsprechen den Arbeitsgrundsätzen in vergleichbaren Beratungseinrichtungen und
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
193
sind durch entsprechende Standards, z. B. des „Arbeitskreises der Opferhilfen in der Bundesrepublik Deutschland (ado)“, empfohlen.
4.1.2 Zielsetzungen
Als Zielsetzung im Nahbereich wird meist zunächst die Unterstützung für Opfer rechtsextremer Übergriffe benannt: „Menschen unterstützen, Menschen nicht alleine stehen lassen.“ (bOBS 13, 222) Daran knüpfen sich zusätzlich relativ allgemeine Globalziele, wie der Rückgang von Rechtsextremismus (b-OBS 8, 122) oder die Änderung des politischen Klimas in
der Region im Sinne einer Anerkennung des Problems Rechtsextremismus (b OBS 3 I, 449450) bzw. die Verstärkung der Solidarität mit den Betroffenen (b-OBS 8, 124-129), beispielsweise durch „kommunale Sensibilisierungsprozesse“ (b-OBS 13, 231), die präventive
Wirkung haben sollen. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Öffentlichkeitsarbeit
angesiedelt:
„Erstmal, Betroffenen zu helfen, das klingt jetzt ein bisschen lapidar. Sie zu unterstützen, in
dem Gefühl, dass sie angegriffen wurden, dass sie stellvertretend für eine Gruppe angegriffen
wurden, und dass das Umfeld teilweise nicht adäquat und ihren Wünschen entsprechend reagiert, diesen Leuten zu helfen, sie bei der Aufarbeitung zu unterstützen, selbst wenn es nie zu
einer Anzeige gekommen ist, so etwas wieder in ihr Leben als ein Erlebnis einzuordnen, und
nicht als abgespaltene Sache. Und natürlich darüber hinaus eine öffentliche Akzeptanz für die
Betroffenen zu schaffen. Nicht, dass die Betroffenen sich noch dafür rechtfertigen müssen,
dass sie zusammengeschlagen wurden. Und über diese Akzeptanz natürlich auch ein öffentliches Klima zu beeinflussen. Und damit ist man dann auch wieder an der Thematik dran, dass
man irgendwann fragen muss, woher kommt es, dass Leute angegriffen werden. Da muss man
Stellung beziehen, man muss versuchen, eigene Erklärungsmuster zu geben. Und natürlich
auch andere Leute zu unterstützen, die das gleiche Ziel haben, in der Thematik, eine andere
öffentliche Meinung herbeizuführen. Auch Kooperationspartner suchen, es nützt ja nichts,
wenn das unser Ziel ist, und es haben mehrere Leute das Ziel, aber untereinander ist kein Austausch. Sich zu ergänzen und zu versuchen, zusammen eine Strategie zu finden.“ (b-OBS 4,
601-619)
Die Leitziele sind bei den meisten Projekten im Zuge der jeweiligen Tätigkeiten konkretisiert
worden, außerdem erfolgte eine Konkretisierung im Rahmen der Betreuung einzelner Klienten:
„Konkretisiert haben wir sie in unserer Arbeit, dass wir uns zusammengesetzt und gesagt haben, was sind potentielle Opfergruppen, was sind potentielle Unterstützergruppen, wo können
wir Kooperationspartner finden und dann gezielt die Leute ansprechen oder über die Arbeit
den Kontakt halten. Und in der Arbeit werden die natürlich konkretisiert. Wenn man in dem
Netzwerk vor Ort aktiv ist, gibt es ja einen bestimmten Anlass, warum man sich trifft. Und das
ist ja dann ein konkretes Ziel. Die Überprüfung, ja, da hoffe ich, dass es Aufschluss gibt von
der wissenschaftlichen Begleitung. Und wir überprüfen das für uns selber kritisch, ob wir in
dem Netzwerk wirklich noch aktiv sind, ob wir da überhaupt hingehören, ob wir da mitmachen. Und vor allen Dingen auch so eine Erfolgskontrolle, meinetwegen dass man sagt, ja,
was haben wir im letzten halben Jahr dort wirklich gemacht, was war unser aktiver Part.“ (b
OBS 4, 625-637)
Eine Systematisierung der Ziele ist in den Projekten bisher, soweit erkennbar, nicht erfolgt:
„Also, wir haben im Team bestimmte Diskussionen an Fällen und an bestimmten Regionen
und wir haben auch (...) mehrere Treffen gehabt, was diese Richtung und was auch genauere
Ziele betrifft. Aber im Sinne einer Qualitätsentwicklung, dass wir jetzt ein Handbuch haben,
wo das konkret aufgeschrieben und für alle transparent ist, worauf wir uns geeinigt haben,
hab ich nicht.“ (b-OBS 11, 316-320)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
194
Entsprechend erfolgt auch eine Überprüfung bzw. Auswertung der Zielerreichung in der Regel fallbezogen, meist bei Fallbesprechungen (b-OBS 5, 739-743), zum Teil wurde sie auch
„nie institutionalisiert, sondern es passiert halt manchmal nebenbei“ (b OBS 2, 547-548):
„I: Wenn Sie jetzt in so einem Prozess bestimmte Ziele sich setzen, also zusammen mit den Betroffenen ja dann wahrscheinlich in aller Regel. Wie überprüfen Sie die, ob die erreicht wurden?
A: Durch unsere Fallbesprechungen. Wir haben ja zu jedem Betroffenen diese Akte, wo halt
jede Gesprächsnotiz, alles drin steht. Und es gibt ein Blatt in der Akte, ‚zu erledigende Aufgaben’ nenne ich das jetzt mal. Ja, wir diskutieren das dann halt in unseren Fallbesprechungen.
Nachdem Teile von uns das halt mit den Betroffenen diskutiert haben. Was ist jetzt nötig, was
ist zu tun? Ja, und nachher werden da einfach Haken drangemacht.“ (b-OBS 5, 739-743)
Kommentar:
Eine Operationalisierung der Leitziele in Feinziele (Mittler- und Handlungsziele) ist bei Projektstart offenbar unterblieben. Durchgeführt wurde dagegen meist eine Konkretisierung der
Ziele in spezifische Handlungsaufträge. Die Aussagen über die zu erreichenden Ziele bewegen sich auf einer globalen oder auf einer personenbezogenen (Fall-)Ebene. Eine Auswertung
erfolgt in der Regel am Fall und wird offenbar kaum systematisiert. Durch die fehlende Operationalisierung der Ziele wurde die Orientierung an unrealistischen Leitzielen begünstigt.
Dies hatte Auswirkungen zumindest auf die ‚innere’ Erfolgsbilanz der Mitarbeiter/innen, wie
noch gezeigt wird. Insbesondere dort, wo große Erwartungen an gesellschaftliche Veränderungspotentiale durch die Arbeit der Opferberatung bestanden, konnte die Bilanz nur negativ
aussehen. Sinnvoll wäre daher für die Zukunft ein stärker kleinschrittiges Vorgehen und damit verbundene realistischere Erfolgserwartungen, wozu eine Operationalisierung der Leitziele in Feinziele zweifellos beitragen könnte.
4.1.3 Zielgruppen der Beratung
Hauptzielgruppen der CIVITAS-Opferberatungsstellen sind zum einen Asylbewerber/Flüchtlinge oder Migranten, zum anderen „nicht-rechte“, alternative Jugendliche. Kontakte zu anderen potentiellen Zielgruppen (zum Beispiel Obdachlose, Schwule und Lesben, jüdische Menschen etc.), die ebenfalls von rechtsextremen Übergriffen bedroht sind, bestehen
kaum, was von den Mitarbeiter/innen damit erklärt wird, dass diese Personengruppen über
jeweils eigene private Netzwerke verfügen, die sie im Notfall auffangen. Das Mischungsverhältnis zwischen den beiden Hauptzielgruppen ist unterschiedlich. Einige Opferberatungsstellen haben eine deutlich stärkere Nachfrage aus dem Kreis von Flüchtlingen bzw. Migranten.
Eines dieser Regionalbüros wird in starkem Maße von Flüchtlingen aufgesucht, die sich dort
Hilfe bei zentralen Flüchtlingsproblemen erhoffen, was von der zuständigen Mitarbeiterin
wegen des zusätzlichen Arbeitsanfalls als Problem angesehen wird. Dies ist neben den in dieser Stadt fehlenden Angeboten an allgemeiner Flüchtlingsberatung (zum Beispiel über Aufenthaltsprobleme oder Familienzusammenführung) nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass
der Tätigkeitsbereich der betreffenden Opferberatungsstelle auch die Beschäftigung mit Diskriminierungen umfasst, was die Flüchtlinge offenbar in starkem Maße dazu veranlasst, die
Opferberatungsstelle aufzusuchen (b-OBS 12, 72-107). Dies ist offenbar ein genereller
Trend: auf Grund eines besonderen Trägerhintergrundes, verstärkter Nachfrage und fehlender
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
195
Alternativen nimmt allgemeine Flüchtlingsberatung bei einigen Opferberatungsstellen offenbar einen breiten Raum ein:
„Das machen manche auch so mit. Also ob das in den Konzepten drin steht. Aber das macht
bei manchen Projekten doch wirklich einen Großteil ihrer Arbeit aus. Also dann auch wieder
der Unterschied, dass es in ((Bundesland)) noch andere Strukturen gibt. Und es in anderen
Bundesländern diese zivilgesellschaftlichen Strukturen von Beratungsstellen und Unterstützungsgruppen gar nicht so gibt. Und aus so einer Notwendigkeit heraus, die sie jedenfalls für
sich so sehen, die Notwendigkeit, dass sie denken oder den Ansatz haben: ‚Das müssen wir mit
machen.’ Und das ist in ((Bundesland)) einfach noch mal ein bisschen anders.“ (b-OBS 14,
974-983)
Andere Opferberatungsstellen konzentrieren sich dagegen überwiegend auf Klienten aus
„nicht-rechten“, alternativen Jugendgruppen, was damit zusammenhängt, dass die Berater/innen selbst aus der entsprechenden Jugendszene stammen, dort über bestehende Netzwerke weiterhin eingebunden sind und deshalb bei rechtsextrem motivierten Angriffen
schneller als Berater/innen angesprochen werden bzw. eher von entsprechenden Vorfällen erfahren.
Die beiden Hauptzielgruppen (Asylbewerber/Flüchtlinge bzw. Migranten und „nicht-rechte“
Jugendliche) erfordern durch ihre strukturell unterschiedlichen Voraussetzungen ein unterschiedliches Vorgehen bei der Beratungstätigkeit (vgl. b-OBS 13, 171-200). Bei Asylbewerbern sind typischerweise asylverfahrensrechtliche Fragen mit einzubeziehen, außerdem treten
häufig Sprachprobleme auf, die die Verständigung und die Handlungsfähigkeit der betreffenden Person beeinträchtigen. Die schwierigen Lebensbedingungen von Asylbewerbern (geprägt durch Residenzpflicht, Sammelunterbringung, finanzielle Unterversorgung, Angst vor
der Abschiebung) „konterkarieren“ nach Meinung eines Opferberaters die Beratungsprozesse
und verringern die Erfolgsaussichten, dass der Beratungsprozeß im Sinne einer Wiedererlangung von Selbstbestimmung erfolgreich abgeschlossen werden kann, weil der Selbstbestimmung von Asylbewerbern im Hinblick auf ihre alltägliche Lebensführung rechtliche Grenzen
gesetzt seien:
„Na die gesetzlichen Bestimmungen, unter denen die Asylbewerber leben, die konterkarieren
viele Schritte unserer Arbeit. Wenn wir uns bemühen, denen zu helfen, selbstbestimmt zu leben, steht das auf der einen Seite. Auf der anderen Seite steht, dass sie der Residenzpflicht unterliegen und halt ihr Essen kaufen. Und ein minimales Taschengeld ausgezahlt bekommen.
Also was mit Menschlichkeit, denke ich, nichts zu tun hat. Oder wenn wir versuchen, die zu
ermuntern, in die Gesellschaft zu gehen, Kontakte zu suchen und zu pflegen, steht das dagegen, dass sie meist am Rand der Städte leben oder der Ortschaften oder mitten im Wald. Und
das es da keine Busverbindung gibt. Wenn ja, dann wären sie zu teuer und die ja in der Regel
in der Gesellschaft ausgegrenzt sind. Oder wenn sie sich einbringen wollen oder sich integrieren wollen, einen Deutschkurs machen wollen, steht dagegen, dass das für sie sehr schwierig
ist, oder irgendjemand bezahlen muß. Und sie selber kein Geld haben. Also das meine ich
jetzt, dass mit Augenwischerei bzw. dass unsere Bemühungen da einfach konterkariert werden. Und ja, das macht es schon etwas schwierig oder halt auch für die Betroffenen natürlich.
Also da müßte halt, das hatten wir schon am Anfang, das gesellschaftliche Umdenken einsetzen. Und so können wir natürlich immer wieder anhand der konkreten Überfälle tätig werden.
Aber die Situation der Betroffenen ändert sich nicht wirklich. Oder traumatisierte Flüchtlinge,
denen es schon enorm viel helfen würde, wenn sie jetzt einen sicheren Duldungsstatus hier
hätten, den haben sie aber nicht und diese (...) haben sie dann auch noch im Kopf und können
sich eigentlich kaum auf irgendeine Problemlösung einlassen, weil sie im Kopf Tausende verschiedene Probleme haben. (...) Also eben aus diesem Grund, einfach um gesunden zu können,
brauchen die auch einen geregelten, gesicherten Aufenthaltsstatus. Und das ist eigentlich ge-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
196
rade bei Flüchtlingen oder Asylbewerbern eher schwierig, also das ist bei anderen Gruppen
dann natürlich einfacher, also wo man schneller und konkreter zum Ziel kommen kann, also
dann auch entsprechend ‚mehr Erfolge’ erkennen kann.“ (b-OBS 2, 1193-1232)
Von einer Opferberatungsstelle werden bestimmte, von rechtsextremer Gewalt betroffene
Personen prinzipiell nicht beraten, zum Beispiel Aussteiger aus der rechten Szene. Dabei
wird allerdings zum Teil eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen: Wenn sich die betroffene Person konsequent aus der Szene gelöst hat, erscheint eine Beratung möglich:
„Also, ich kann nicht jemanden beraten, der kontinuierlich rassistische Statements von sich
gibt und die auch verinnerlicht hat, also den ich eher in der Täterrolle wahrnehmen würde,
dem kann ich nicht eine Opferrolle zuschreiben. Also, zum Beispiel Aussteiger aus der rechten
Szene, die gesagt haben..., es ist erstmal so prinzipiell nicht die Zielgruppe unserer Arbeit. [I:
Also, die beraten Sie dann nicht?] Nein, also jedenfalls nicht so prinzipiell. Im Einzelfall,
wenn jemand sich tatsächlich konsequent von der Szene gelöst hat und dort zum Opfer geworden ist oder vor Jahren irgendwie in der Szene drin war, ist es was anderes. Aber wenn jetzt
jemand sagt ich bin Aussteiger, und wurde jetzt deshalb angegriffen, ist es erstmal für uns keine Sache, die wir so übernehmen würden.“ (b-OBS 9, 534-540).
Eine andere Opferberatungsstelle hat sich nach kontroverser Diskussion darauf geeinigt, dass
keine „Täterarbeit“ gemacht wird (b-OBS 6, 473-478, 503-513). Beide Positionen sind vor
dem Hintergrund der Ausrichtung des CIVITAS-Programms auf Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen und seiner impliziten Abgrenzung zum AgAG-Programm zu sehen und
dürften unter den CIVITAS-geförderten Opferberatungsstellen weithin Konsens sein.
Kommentar:
Als Hauptzielgruppen haben sich aus den potentiell denkbaren Betroffenengruppen aus dem
Kreis ethnischer, kultureller und sozialer Minderheiten Asylbewerber/Flüchtlinge bzw.
Migranten und „nicht-rechte“ Jugendliche herausgebildet. Andere Zielgruppen werden kaum
erreicht bzw. offenkundig auch zu wenig aufgesucht. Zum Teil gibt es offenbar bei einigen
Opferberatungsteams bestimmte „Vorlieben“, indem zum Beispiel bevorzugt im Jugendbereich gearbeitet wird, weil die Berater/innen dort persönlich verwurzelt sind und gute Netzwerke bestehen. Notwendig wäre aber gerade ein Zugehen auf „fremde“ Zielgruppen, die
auch Unterstützung benötigen und bislang zu wenig erreicht wurden, zum Beispiel Obdachlose oder Homosexuelle.
Bei der Umsetzung der Grundprinzipien stossen die Mitarbeiter/innen bei den Hauptbetroffenengruppen auf Hindernisse, die neben persönlichen Voraussetzungen (physische und psychische Verfassung, Persönlichkeitsmerkmale) vor allem in den ungünstigen Rahmenbedingungen liegen, denen von den hauptbetroffenen Personengruppen insbesondere die Asylbewerber ausgesetzt sind (u.a. durch Residenzpflicht, Sammelunterbringung, finanzielle Unterversorgung, Angst vor der Abschiebung). Von daher sind nachhaltige Erfolge im Bereich Individualberatung schwierig und stets gefährdet. Dennoch werden gerade in diesem Bereich
der Individualberatung von den Mitarbeiter/innen vielfach die eigentlichen Erfolge ihrer Tätigkeit verortet.
Zum Teil wird von einigen Opferberatungsstellen einseitig eine Begrenzung der Zielgruppe
vorgenommen, indem „Aussteiger“ nicht beraten werden und keine „Täterarbeit“ geleistet
wird. Diese Grundorientierung erscheint zwar auf Grund der Anlage und der Zielstellung des
CIVITAS-Programms und der besonderen Hinwendung der CIVITAS-Beratungsstellen zu
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
197
den Opfern rechtsextremer Straf- oder Gewalttaten begründbar, sollte jedoch bei der Anmeldung eines Bedarfs aus dieser Personengruppe von Fall zu Fall überprüft werden. Es ist zu
fragen, ob die menschenrechtliche Grundorientierung des Programms nicht durchbrochen
wird, wenn eine Personengruppe, die eindeutig auch Opfer rechtsextremer Gewalt werden
kann – nämlich die „Aussteiger“ – von der Beratung aus Prinzip ausgeschlossen wird.
4.1.4 Zugangswege zu den Betroffenen
Auf Grund der besonderen Situation der Betroffenen(gruppen), vor allem wegen ihrer Immobilität und ihrer schlechten Finanzlage, erfolgt der Zugang zu ihnen im wesentlichen aufsuchend. Dieser Ansatz gilt in der Fachwelt für die betreffenden Zielgruppen allgemein als
sinnvoll und wurde von Kooperationspartnern und Experten immer wieder als unverzichtbar
hervorgehoben, „weil die Leute nicht von alleine kommen“ (c-OBS A, Koop 1).
Als Voraussetzung für das Gelingen dieses aufsuchenden Ansatzes wurde zunächst in der
Presse nach Betroffenen recherchiert und ein Netz von Kontakt- und Kooperationspartnern
geknüpft, über das Informationen über Gewalttaten bzw. andere rechtsextrem motivierte Delikte gesammelt werden konnten. Die meisten Opferberatungsprojekte haben diese Aufgabe
am Anfang ihrer Tätigkeit im Rahmen einer landesweiten „Vorstellungsrunde“ erledigt. Ein
tragfähiges Netzwerk von Kooperationspartnern und parallel dazu erfolgte Öffentlichkeitsarbeit erhöhten den Bekanntheitsgrad des Projektes und führten zu steigenden Beratungszahlen:
„Also wir sind davon ausgegangen: Es gibt eine Anzahl an Betroffenen. Unser Problem ist
nur, an die Leute ranzukommen. Also da war unser Augenmerk am Anfang zum einen die Recherche. Also Auswertung der Medien. Was eher wenig brachte. Nutzen der Kontakte, die man
schon hatte. Das brachte mehr. Und, ganz wichtig, Aufbau neuer Kontakte. (...) Also zu überlegen, in den einzelnen Städten oder Gemeinden: ‚Wer könnten die Ansprechpartner sein?’
Dahin zu fahren, die Faltblätter dazulassen, zu sagen, wer man ist. Und natürlich immer parallel zu fragen: ‚Wie ist die Situation bei euch oder bei Ihnen? Kennen Sie vielleicht so ein
paar Leute, die angegriffen wurden?’ Und das hat eigentlich funktioniert. Also wir hatten nie
den Eindruck, wirklich überall rumgekommen zu sein auf Grund der Größe des Beratungsgebietes. Dass wir jetzt flächendeckend tatsächlich bekannt sind. Aber das hat dazu geführt, dass
wir relativ schnell steigende Fallzahlen hatten.“ (b-OBS 5, 328-344)
Auf der anderen Seite birgt der aufsuchende Ansatz auch die Gefahr der Viktimisierung
durch Beratungsangebote im Sinne eines „Bedrängens“ von potentiellen Klient/innen, was im
Bereich der Opferberatungsstellen reflektiert wurde (u.a. im Rahmen einer Fortbildung, vgl.
b-OBS GD, 791-804):
„Was auch immer ein sehr schwieriger Punkt ist, ist die Freiwilligkeit. Dadurch dass wir aufsuchend tätig sind im Gegensatz zu anderen Methoden der Sozialarbeit. Ist ja nicht mehr so
üblich aufzusuchen. Wo wir denken, dass das auch schon Bedrängen ist. Wir gehen ja wirklich
auf Leute zu, die weder von uns gehört haben, wo wir angerufen haben. Das Freiwillige ist
uns immer im Hinterkopf. Also, wer nicht will, will nicht. Und wir werden auch, wenn es gut
wäre, also, wir hatten da ab und zu, dass es gut wäre, wenn sich irgendwer an uns wendet,
weil in der lokalen Situation wär das zu thematisieren. Dass das aber dann nicht geschieht,
wenn die Leute das nicht wollen.“ (b-OBS 11, 273-280)
Als Informationsgrundlage über Angriffe oder sonstige rechtsextrem motivierte Vorfälle
spielt dabei die Lektüre der Tagespresse oder von amtlichen Unterlagen und die anschließende Recherche nach der Identität der betroffenen Person eine wichtige Rolle. Darüber hinaus
wird von einzelnen Opferberatungsstellen generell nach rechtsextremen Organisationen re-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
198
cherchiert und die rechtsextreme Szene beobachtet, was so weit gehen kann, dass die Gesamtsituation in einer Kommune im Hinblick auf Rechtsextremismus und entsprechende Gegenkräfte untersucht wird. Dabei werden auch bereits mögliche Kooperationspartner eruiert
und Unterstützungsnetzwerke vorbereitet:
„Und auch Recherche, damit ist gemeint, nach Fällen suchen, und wenn man in der Fallarbeit
steckt, bestimmte Sachen recherchieren, Zeugen, wer hat was gesehen, Zeugen befragen, (...).
Presserecherche, Medien. Und herauszufinden, wer sind mögliche Kooperationspartner vor
Ort, wer kann uns helfen, wer kann die Betroffenen unterstützen, so was meine ich mit Recherche. Es geht auch in Richtung Kontextanalyse. Aber das, was wir machen, wird dem Wort
nicht so gerecht. Aber wir streben das an. [I: Wer kann uns helfen, in den Kommunen als Unterstützer.] Genau. Auch das Klima, was läuft drum rum, gibt es da eine Kameradschaft, gibt
es da eine organisierte Szene oder sind es eher Cliquen, gibt es eine rechte Parteivernetzung,
sind die angedockt, gibt es Kontakte untereinander, überregional. Das sind alles Einflusspunkte.“ (b-OBS 4, 710-724)
Die ermittelten Angriffe werden in einer öffentlich (in der Regel über Internet) zugänglichen
Chronik dokumentiert.
Ein zweiter Weg ist die Vermittlung der betroffenen Person an die Opferberatungsstelle
durch Kooperationspartner. Eine Kontaktaufnahme durch die betroffene Person und ein von
ihr ausgehendes Aufsuchen der Opferberatungsstelle ist eher selten und findet häufiger nur in
städtischen Kontexten statt:
„Es ist unterschiedlich. Es kann sein, dass jemand an die Tür klopft und zu uns kommt. Hat
von irgendjemand oder irgendwo von uns gehört. Oder ruft uns an. Das ist meistens, was passiert. Dass man uns anruft und einen Termin mit uns macht. Aber es passiert auch manchmal,
neulich war eine Frau einfach so gekommen. Sie hatte den Zettel, unsere Anzeige gelesen und
so ist sie gekommen. Aber am meisten ist es, dass sie uns anrufen. Oder wir lesen Zeitungen
oder Polizeiberichte und dann recherchieren wir. Und dann wäre das vielleicht ein Fall für
uns, wäre das vielleicht auch nicht.“ (b-OBS 6, 768-774)
Die direkte Kontaktaufnahme erfolgt zum Teil durch persönlichen Besuch, zum Teil durch
Telefonanruf, zum Teil durch briefliche Anfrage. Die Nachfrage aus beiden Hauptzielgruppen wird dabei als unterschiedlich intensiv wahrgenommen, was darauf zurückgeführt wird,
dass „nicht-rechte“ Jugendliche eher über Beratungsangebote Bescheid wissen, Hilfe aktiv
einfordern und dazu auch Beratungsstellen aufsuchen, während Asylbewerber auf Grund fehlenden Wissens über ihre Rechte und Möglichkeiten (u.a. auch über die Beratungsangebote
der CIVITAS-geförderten Opferberatungsstellen) in aller Regel aufgesucht werden müssen:
„Also aus der nichtrechten Szene kommen mehr mit Bewußtsein: Wir wollen Hilfe in Anspruch
nehmen. Weil sie einfach letztendlich das schon irgendwie kennen, dass man in Deutschland
in der Gesellschaft alle möglichen Hilfsangebote hat und die auch durchaus annehmen kann.
Wogegen da Asylbewerber das weniger von sich aus machen, häufig weil sie gar nicht wissen,
dass es das gibt. Und sie wissen auch nicht, dass sie dazu berechtigt sind, sowas in Anspruch
zu nehmen, und haben natürlich auch logistische Schwierigkeiten, überhaupt an uns ranzukommen. Und wenn es das Telefonat ist, wofür sie kein Geld haben. Aber wenn wir dann im
Heim sind sozusagen. Also wir haben irgendeinen Fall nachrecherchiert und haben jetzt den
Kontakt zu dem Betroffenen, haben den angerufen, fahren ins Heim und quatschen mit dem,
dann ist es fast immer so, dass noch eine ganze Reihe anderer dabei sitzen und irgendwann
auch was zu erzählen haben. Und dann sind wir für einen Fall ins Heim gefahren und kommen
mit mehreren Fällen zurück. Weil die Leute uns halt persönlich kennen. Deshalb ist gerade im
Bereich der Flüchtlinge und Asylbewerber dieses niedrigschwellige Angebot, dass man zu den
Leuten hinfährt, also das A und O, würde ich sagen.“ (b-OBS 2, 2053-2070)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
199
In einem Projekt ist unklar, welche Personen eigentlich beraten werden sollen: alle Menschen, die angegriffen wurden oder nur diejenigen, die aus rechtsextremer Motivation heraus
angegriffen wurden. Die Antwort ist klar: Es geht ausschließlich um den letzteren Personenkreis. Außerdem gibt es hier ein Auswahlproblem, weil mehr Fälle recherchiert wurden, als
bearbeitet werden konnten. Es gibt in diesem Fall offenbar Schwierigkeiten mit der genauen
Fassung bzw. Definition der Zielgruppe bzw. des Aufgabenspektrums, die durch eine Präzisierung des Konzepts behoben werden könnte:
„Also, wir haben ja jetzt verschiedene Arbeitsbereiche sozusagen als Opferberatung. Was jetzt
speziell die Beratung von Betroffenen betrifft, habe ich oder haben wir die grundsätzlichen
Schwierigkeiten in unserem Bereich - also, wir reden ja von unserm Kleinteam -, hinterherzukommen. Wir machen jeden Morgen eine Presseschau und lesen dort halt von Angriffen, die
vielleicht als rechts erkennbar sind oder nicht erkennbar sind als rechts. Und vor der Frage
stehen, ob es unser Ziel ist, alle Menschen zu beraten, die angegriffen wurden oder wirklich
jeden rechten Überfall herauszufinden oder ob wir uns auf die konzentrieren, die wir jetzt sozusagen schaffen. (...) Das liegt, glaube ich daran, dass wir genauer gucken müssten (...), also,
haben wir den Anspruch, alle zu beraten oder haben wir den Anspruch, alles was in der Zeitung steht zu beraten oder was meiner Meinung nach zu kurz kommt, ob man sich auf Sachen
konzentriert, die eben nicht in der Zeitung stehen. Weil es ja auch ein Auftrag von uns war,
verdeckte Angriffe, die nicht veröffentlicht werden, zu finden.(...) Das ist wirklich eine Forderung dann, uns jetzt, das zu entscheiden. Das nicht einfach hinzunehmen und dann fällt halt
was runter, sondern das zu definieren. Haben wir noch nicht gemacht bis jetzt. Definition der
Zielgruppe sozusagen.“ (b-OBS 11, 36-45, 68-82)
Zwei Regionalbüros berichten von Schwierigkeiten, Klienten zu finden, da sich die Hoffnung, dass Betroffene sich auch selbst nach einem Übergriff melden, bisher nur „relativ selten“ erfüllt habe und die Recherche sehr zeitaufwendig sei und oftmals auch im Sande verlaufe (vgl. auch b-OBS 13, 48-60):
„Ja, im Moment, grundsätzlich, denke ich, ist es halt so, dass wir, denke ich mal, Probleme
haben mit dem Bekanntheitsgrad. Wir suchen natürlich Opfer auf, ganz klar, aber wir haben
halt auch gehofft, dass wir mit Öffentlichkeitsarbeit, was wir ja auch immer wieder getan haben und sehr intensiv, dass vielleicht doch eher, auch vielleicht Leute mal anrufen, hier gab´s
ein Problem und könnt ihr mal kommen. So ist es leider nicht, dass sich Leute, Opfer, Betroffene melden bei uns ist relativ selten, kommt auch vor, aber... das ist vielleicht auch so ein
Problem, weil wir erfahren immer vieles nur über Zeitungen, da steht ja auch nicht immer alles drin, und machen halt online-Recherche oder arbeiten mit Leuten zusammen, also Kooperationspartnern, die uns dann Hinweise geben, hier war was, guckt mal nach. Das ist vielleicht auch so ein Problem an die Opfer überhaupt ranzukommen. Und wenn man dann vielleicht nur Zeitung gelesen hat und dann mit Polizei, die geben natürlich keine Namen raus, die
Recherche ist manchmal sehr, ja, aufwendig und manchmal verläuft sie auch im Nichts.“ (bOBS 3,119-134)
Diese Probleme werden in einem Fall auf den mangelnden Bekanntheitsgrad des Projekts zurückgeführt, dem man durch verbesserte Öffentlichkeitsarbeit begegnen will, im anderen Fall,
„weil die denken, wir melden uns, das ist unsere Aufgabe, oder weil eine Scham da ist, weil
die Hürde zu hoch ist, sich zu melden.“ (b-OBS 13, 56-57)
Voraussetzungen für die Aufnahme der Beratung sind die Einwilligung der bzw. des Betroffenen und die Freiwilligkeit der Beratung. Außerdem muß die Kommunikationsfähigkeit sichergestellt sein. Zum Teil werden dazu Dolmetscher eingesetzt. Außerdem wird die Beratungssituation vorstrukturiert, dabei werden Wünsche der betroffenen Person, von wem sie
beraten werden will, berücksichtigt:
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
200
„A: Der Betroffene muss freiwillig zu uns kommen. (...) Er muß unsere Unterstützung und das
Gespräch wollen. Und dann muß sichergestellt sein, dass er uns versteht, also sprich ...
I: ... Verständnis, Kommunikationsfähigkeit.
A: Sonst braucht man einen Dolmetscher. Was dann noch sichergestellt sein muss, ist, ob er
jetzt mit mir reden möchte oder mit meiner Kollegin.
I: Also es wird geklärt Dolmetscher und dann wer der Berater, also ob er mit Ihnen als ...
A: Als Mann oder mit meiner Kollegin als Frau. Oder ob es ihm egal ist oder manche die haben auch irgendwie von irgendeinem Mitarbeiter von ((Opferberatungsstelle)) gehört und
wollen dann nur mit ihm sprechen oder mit ihr. Also was wir noch klären, ist, ob die Person
jetzt alleine sein oder kommen will oder noch jemand mitbringt.“ (b-OBS 2, 882-894)
Kommentar:
Der aufsuchende Ansatz ist angesichts der besonderen Probleme der Hauptzielgruppen notwendig und sinnvoll, da die Hauptzielgruppen anders nicht zu erreichen sind. Die Tatsache,
dass einige Projekte Probleme mit dem Zugang zu den Betroffenen haben, lässt sich auf den
angesichts der Kürze der Tätigkeitsphase noch vielfach zu niedrigen Bekanntheitsgrad, auf
noch zu schwache Kommunikationsnetze und auf die Tatsache, dass Betroffene aus Angst
schweigen bzw. über eigene Netzwerke verfügen, die sie im Notfall auffangen, zurückführen.
Der aufsuchende Ansatz birgt allerdings auch die Gefahr, dass Personen in eine Opferrolle
hineingedrängt und so Opfer gewissermaßen sozial konstruiert werden. Diese Gefahr wurde
in einer Fortbildung der Opferberatungsprojekte reflektiert, ist den Berater/innen also bewusst und kann durch die Orientierung an der Selbstbestimmung der Betroffenen balanciert
werden.
4.1.5 Opferdefinition/Prüfung der Tatumstände
Bei den CIVITAS-Opferberatungsstellen gibt es ein breites Spektrum an Gewaltdefinitionen
und Interventionsgründen. Eine Opferberatungsstelle wird nur aktiv, wenn sich physische
Gewalt und eine rechtsextreme Motivation der Tat nachweisen lassen:
„A 2: Also unser Konzept hatte ganz zentral, dass wir uns konzentrieren auf Opfer rechtsextremer Gewalt. Und das so als Ausgangspunkt nehmen für eine Thematisierung allgemein von
der Situation von Flüchtlingen und nichtrechten Jugendlichen, Thematisierung von Rechtsextremismus und wie sich da alle möglichen Stellen dazu verhalten. Und damit auch eben die
Erfahrung gemacht haben, dass wir damit Einbrüche in so einen festgefahrenen Mediendiskurs eine Zeit lang machen konnten. Wir hatten aus verschiedenen Gründen Diskriminierungen, die nicht mit Gewalt verbunden waren, nicht in dieses Konzept aufgenommen. Das heißt
nicht, dass wir nicht am Rande, inoffiziell sozusagen, einzelne Betroffene nicht unterstützt haben. (...)
A 1: Also die wichtigsten Varianten finde ich, dass wir uns konzentrieren auf Opfer rechtsextremer Gewalt.
I: Physischer Gewalt. Nicht psychischer. (...)
A 1: Was immer psychische Gewalt sein soll, das ist sehr schwer zu definieren. Erstmal die
handfeste, die böse Gewalt.
A 2: Körperliche Gewalt.“ (b-OBS 14, 895-950)
Andere Opferberatungsstellen gehen von einem weiten Gewaltbegriff aus und werden auch
bei Beleidigungen und/oder Diskriminierungen aktiv, recherchieren aber nicht gezielt nach
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
201
diesen. Bei diesen Opferberatungsstellen ist typisch, dass sie, zum Teil in sehr engem Zusammenhang mit ihrem weiten Gewaltbegriff und einer Ausweitung des Tätigkeitsspektrums
in die „Antidiskriminierungsarbeit“, in hohem Maße Flüchtlinge zu ihren Klienten zählen und
daher zusätzlich auch in starkem Maße allgemeine Flüchtlingsberatungen übernehmen und
durchführen:
„Wir haben hier einen Großteil von Klienten, gerade in ((Ort)), die eigentlich nicht Opfer
rechtsextremer Gewalt sind, sondern Diskriminierungsfälle. (...) Ja, das machen wir, das
hängt aber vor allem an ((Name)). Der sagt, wie ich finde zu Recht, warum soll ich die einfach
abweisen. Das sind überwiegend Asylbewerber, die Probleme haben mit Behörden, und es
passiert im übrigen auch, dass manchmal die Ausländerbehörde jemanden hierher schickt.
Man kann das nicht unbedingt unter Beratung von Opfern rechter Gewalt verbuchen, sondern
eher unter Antidiskriminierungsarbeit.“ (b-OBS 17, 233-244)
In aller Regel erfolgt eine Überprüfung der Tathintergründe, wobei zunächst von der Darstellung des Betroffenen ausgegangen wird. Die Vorgehensweisen und die Ergebnisse dieser Überprüfung sind unterschiedlich. Eine Variante ist, dass ausgehend von der Darstellung des
Tathergangs durch die betroffene Person und deren schriftliche Fixierung umfangreiche Eigenrecherchen des Beraters bei der Polizei und bei anderen beteiligten Behörden durchgeführt werden:
„A: Ich überprüfe noch mal den Fall, ob dies ein Fall für mich ist.
I: Wie machen Sie das, welche Kriterien legen Sie da zugrunde?
A: Erstens: Falsches oder ein Opfer. Und ich beginne nicht gleich die Beratung, sondern ich
lasse erst mal das Opfer ein Gedächtnisprotokoll schreiben. Oder mir erst mal schildern, was
jetzt war. Und den Fall schildern und erzählen, so kann ich erfahren, ob es einen rechtsextremen Hintergrund gibt. Oder ob eine schwere Körperverletzung noch (...). Und manchmal gibt
es einige Fälle, die direkt sind. Ich weiß schon, das ist ein rassistischer oder rechtsextremer
Fall, vermittelt durch die Polizei.
I: Und bei den anderen, wo Sie sich nicht sicher sind?
A: Bei den anderen, wo ich nicht sicher bin, zum Beispiel die diskriminierenden Fälle... (...)
Bei diesen Fällen gucke ich erst mal, wer ist beteiligt? Welche Leute sind in dem Fall beteiligt? Da lasse ich das Opfer schildern, was es selber erlebt hat und wer an diesem Fall beteiligt ist. Das können Behörden sein, oder außerhalb der Behörde, oder Sozialamt oder das
Standesamt oder andere Ämter. Dann fahre ich selber hin, aber mit einer anderen Strategie,
die ich nutze, um die Wahrheit von der anderen Seite auch zu kriegen. (...) dann kann ich diesen Fall auch übernehmen.“ (b-OBS 19, 726-762)
Eine andere Variante geht ebenfalls von einem breiten Gewaltbegriff aus, der neben physischer auch psychische und strukturelle Gewaltformen (zum Beispiel Diskriminierungen) umfasst, wobei auch hier von der Wahrnehmung des Betroffenen ausgegangen wird. Im folgenden Zitat wird deutlich, dass eine politische Motivation im Zusammenhang mit einer Alltagsauseinandersetzung (hier eine Eifersuchtsgeschichte) von dem betreffenden Beratenden angenommen bzw. unterstellt wird, damit eine Beratung aufgenommen werden kann. Auch
wenn nur eine politische Teilmotivation angenommen werden kann, werden die betreffenden
Fälle als Beratungsfälle definiert, weil „ein rassistischer Kern“ unterstellt wird. Auf diese
Weise könnten diverse Alltagssituationen zu Interventionsanlässen gemacht werden, was jeweils abhängig vom Vorverständnis des Beraters und von der Bereitschaft der betroffenen
Person ist. Letztlich entscheidet in der Logik der Opferberatungsstellen die Wahrnehmung
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
202
des Betroffenen über die Motivation und damit über den Beratungsbeginn (vgl. auch b-OBS
4, 1001-1023):
„Ja als erstes muss natürlich eine rechts motivierte oder auf Diskriminierung aufbauende Tat
vorliegen. Was nicht unbedingt eine physische Gewalttat sein muss, sondern durchaus auch
eine Diskriminierung sein kann, also auch eine verbale Geschichte sein kann. (...) Wir betreuen auch Leute, die mit rassistisch motivierter Schikane durch staatliche Institutionen konfrontiert sind. (...) Das ist die erste Voraussetzung, die gegeben sein muss. Und das ist auch die
grundlegendste. (...) Das ergibt sich eigentlich aus der Schilderung des Vorfalls. Also, wir
stellen auch die Wahrnehmung des Betroffenen erstmal nicht in Frage. Gut, wenn jemand uns
erzählen würde, bei einer Auseinandersetzung wo klar ist, es ging um Beziehungsprobleme
und er würde uns vormachen wollen, dass es in irgend einer Art und Weise eine politische
Motivation hat, sind wir auch sensibel genug das mitzukriegen. Aber auf der anderen Seite ist
das im ersten Moment nicht unbedingt klar erkennbar. Ein Angriff von rechts motivierten Jugendlichen auf einen Flüchtling, der als Eifersuchtsgeschichte dargestellt wird, häufig auch in
der Presse oder in der öffentlichen Wahrnehmung so dargestellt wird, hat natürlich durchaus
in den meisten Fällen einen rassistischen Kern. Denn klassische Auseinandersetzung in der
Disco oder in der Gaststätte ist ganz klar, dass jemand, der rassistisch eingestellt ist und das
Gefühl hat, seine Freundin wurde von einem irgendwie dunkelhäutigen Menschen komisch
angeguckt, wird er dort ganz anders reagieren als bei jemand, den er als mit ihm ebenbürtig
oder wie auch immer ansehen wird. Oder auch Raubdelikte, die stattfinden, durch Rechte begangen sind gegenüber so einer typischen Zielgruppe, dort vermischt sich das sehr häufig
auch mit einer politischen Motivation. Also, das ist sozusagen die Grundvoraussetzung.“ (bOBS 9, 505-525)
Eine weitere Variante ist, dass – wieder ausgehend von der Wahrnehmung des Betroffenen –
mögliche andere (zum Beispiel unpolitische) Erklärungen für den Vorfall bzw. die Tat durchaus zugelassen und im Rahmen einer gemeinsamen Situationsanalyse, die erst einmal ergebnisoffen ist, zu einer endgültigen Definition des Tatmotivs verdichtet werden. Hier wird also
nicht von vorne herein von einer „rassistischen“ Motivation bei Alltagsauseinandersetzungen
ausgegangen, sondern konstatiert, dass Auseinandersetzungen zum Beispiel zwischen Jugendlichen unterschiedlicher politischer Couleur auch andere, unpolitische Hintergründe haben können:
„Ich sage mal die Wahrnehmung der Betroffenen, die gilt jetzt für uns. Wenn sich dann aber
herausstellt sozusagen, dass die Polizei das partout nicht als rechtsextrem einstuft, daraus
entnehmen wir noch nicht so viel, weil das ist nichts Neues. Und aber wenn jetzt, also man hat
ein Feeling nachher. Also wenn der Betroffene sagt: ‚Ich habe in der Straßenbahn drei junge
Mädchen gehabt, die haben über mich gelacht, weil ich Schwarzer bin’, dann (...) würden wir
mit dem also einfach nachfragen und versuchen, mit dem Betroffenen zu erarbeiten, welche
Erklärungsmuster gibt es denn noch. Also zuallererst gilt natürlich die Wahrnehmung des Betroffenen. (...) Und wir klären das dann nach. Und je nachdem, was sich herausstellt, vermitteln wir ihn entweder weiter, also an die ‚Opferhilfe’ von mir aus (...) oder wenn halt was
Rechtes der Hintergrund ist, dann unterstützen wir ihn, wenn er das will.“ (b-OBS 2, 936-954)
Wenn eine rechtsextreme Motivation nicht nachgewiesen werden kann, erfolgt meist eine
Überweisung an andere Opferberatungsstellen, in aller Regel an die „Beratungsstelle für Opfer von Straftaten. Opferhilfe“, die in den neuen Bundesländern zumindest in den größeren
Städten ein relativ dichtes Netz von Niederlassungen unterhält.
Kommentar:
Die Opferdefinition ist bei vielen Opferberatungsstellen sehr weit gefasst, eine Orientierung
an einem engen, physisch umrissenen Gewaltbegriff ist eher die Ausnahme. Eine Überprü-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
203
fung der Tatumstände findet in mehr oder minder intensivem Ausmaß statt, der weite Opferbegriff führt aber dazu, dass eine ganze Reihe von unterschiedlichen Tatbeständen zum Beratungsanlaß gemacht werden können. Dadurch wächst die Gefahr der interessengeleiteten sozialen Konstruktion von Opfern bzw. Interventionsanlässen.
Bei einigen Opferberatungsstellen ist der Trend zu einer verstärkten Hinwendung zu allgemeiner Flüchtlingsberatung unverkennbar. Die Gründe dafür sind vielfältig: konzeptionelle
Berücksichtigung von Diskriminierungstatbeständen auf Grund von Trägerbindungen, Nachfrage aus der betreffenden Personengruppe, aufsuchende Beratung von „potentiellen Opfergruppen“, die neue Beratungstatbestände zu Tage fördern, sowie fehlende Beratungsalternativen.
Dort, wo allgemeine Flüchtlingsberatung neu in den Kanon der Tätigkeiten aufgenommen
wurde, sollte eine entsprechende Ergänzung der Konzepte erfolgen. Generell ist zu fragen, ob
eine allgemeine Flüchtlingsberatung nicht eine sinnvolle Ergänzung zum Tätigkeitsbereich
Beratung von Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten darstellen würde, da die entsprechenden Beratungsstrukturen in den neuen Bundesländern noch wenig ausgebaut sind und
zumindest in einem Bundesland flächendeckend implementiert werden sollen.
4.1.6 Rollendefinition der Beratenden/Methodeneinsatz
Die Rollendefinition der Beratenden und die davon abhängige Haltung zu den Klienten umfasst ein breites Spektrum. Das Interviewmaterial zeigt dabei, dass es unterschiedlich starke
Annäherungen an die Klienten und, davon abhängig, ein unterschiedliches Ausmaß an Distanz gibt. Eine Variante ist, dass der betreffende Berater die Distanz zu ihrem Klienten zu
wahren versucht und dafür ein bestimmtes Setting einsetzt (hier den Tisch, der zwischen Berater und Klient positioniert wird). Die betreffende Person sieht sich als professioneller Berate und möchte keine private oder freundschaftliche Beziehung zu ihren Klienten herstellen:
„Ich bin zunächst distanziert. (...) Das heißt, ich sieze meine Klienten immer. Und ich bevorzuge das, das klappt nicht immer, ich bevorzuge das, dass zwischen uns ein Tisch ist. Das
klappt nicht immer bei uns wegen Räumlichkeiten. Manchmal ist es nicht so. Aber ich bevorzuge das. Das heißt, diese Distanz erstmal, ist mir ganz wichtig. Und ich sitze und ich notiere
so wenig wie möglich. Wir haben einen Bogen, Standardbogen, den fülle ich danach dann aus.
Und dann schreibe ich mein Protokoll. Aber ich notiere nicht viel. Und dann sage ich auch,
wenn die Person das möchte, kann sie auch meine Notizen angucken, weil in meinen Notizen
steht nicht viel. Und ich bin, ja, wie soll ich sagen, am Anfang bin ich sehr sachlich und eher
distanziert und jetzt nicht auf Freundschaftsebene. Auf keinen Fall.“ (b-OBS 6, 805-818)
Ein weiterer Berater fasst eine vergleichbare Rollengestaltung mit dem Begriff „dezent distanzierte, kollegiale Zusammenarbeit“ (b-OBS 20, 462) zusammen. Es handele sich nicht um
ein „privates Verhältnis“ (b-OBS 20, 467), was sie damit begründet, dass man sich ja anschließend auch wieder voneinander lösen wolle.
Eine weitere Variante, die Beraterrolle zu definieren, verbindet die Beratungsfunktion mit einem hohen Maß an Empathie, was mit einer starken Hinwendung zum Opfer und einer tendenziellen Aufweichung der Distanziertheit einhergeht:
„((Name))ist sehr schnell auch sehr freundlich und eher so, also schon distanziert, aber trotzdem viel… Nein, ((Name)) ist relativ distanziert. ((Name)) ist sehr schnell dann auch mitgenommen. Sie ist dann sehr, sehr, na ja, diese Klienten nimmt sie auch sehr ernst natürlich.
Und dadurch ist sie auch sehr schnell wütend auf die Tatsache, dass es passiert ist. Deshalb
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
204
ist sie auch sehr emotional dann, ja, mitgenommen. Also, emotionaler als ich zum Beispiel. Ich
bin da nicht besonders emotional. Aber damit meine ich nicht, dass ich nicht ernst nehme oder
diese Taten mir gleichgültig sind. Aber ich weiß es, für mich ist es wichtig, dass sie erstmal
auch diese Sachlichkeit bewahren können. Das heißt, natürlich passiert das oft, dass die auch
heulen, weinen und so. Aber je mehr, ich denke, je emotionaler ich werde, desto schwieriger
ist es für mein Gegenüber.“ (b-OBS 6, 822-830)
Als Ausnahmefall kann eine dritte Ausgestaltung der Rolle gelten. In dieser Variante wird die
Rolle sehr stark fürsorgerisch bzw. betreuend gefasst. Sie zielt darauf ab, dass Vertrauen des
Klienten zu gewinnen, weswegen die Distanz reduziert wird. Ausgehend von einer starken
Vertrauensbasis wird in dieser Variante versucht, die Klienten relativ stark zu führen. Der
betreffende Berater besucht zum Beispiel seine Klienten häufig unangemeldet nach Feierabend, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Diese Rollenfassung führt auch dazu,
dass seitens des Beratenden beabsichtigt ist, den Kontakt auch nach Ende der Beratung aufrecht zu erhalten, so dass er im Prinzip niemals endet. Der Berater stellt in dieser Variante ein
stark paternalistisches Verhältnis zu seinen Klienten her, wodurch sich ihre Abhängigkeit
nicht reduziert und der Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ in Frage gestellt ist:
„A: Zu meinen Klienten bin ich erst mal ganz freundlich, ohne freundlich zu sein, kriege ich
auch dieses Vertrauen nicht. Da würde sich mein Klient auch selber die Frage stellen: Was
will er von mir? Also freundlich zu sein. Nicht gleichzeitig distanziert, weil, wenn man von
seinem Klienten auch sehr distanziert ist, dann wird die Wertung nicht richtig. Und enger
Kontakt, also, mehrmals Besuch. (...) Ja, meistens abends, wenn ich Feierabend... (...) Also,
bei manchen unangemeldet. Weil, wenn ich deren Vertrauen habe, mache ich ein Angebot,
dass ich auch meine Klienten besuchen würde. Und wenn meine Klienten ein Problem damit
hätten... Manche sagen: Nein, nein, wir haben kein Problem, du kannst jederzeit...(...) Mein
Kontakt bleibt, denn ich besuche meine Klienten. (...) Und meine Klienten besuchen mich
auch, entweder hier im Büro, oder je nachdem. Ja. Es gibt kurzfristige Betreuung, Beratung,
und es gibt langfristige. Und kurzfristig kann sein, dass mein Klient, meine Klientin abgetaucht ist, nicht mehr da ist oder außerhalb Deutschlands ist. Oder es kann sein, dass ein
Klient umverteilt wird in ein anderes Bundesland. Trotzdem versuche ich immer, den Kontakt
beizubehalten.
I: Auch wenn...?
A: Auch wenn er umverteilt wurde, ja.
I: So dass an sich die Kontakte niemals enden?
A: Nein, ja. Bei mir werden meine Kontakte niemals enden.“ (b-OBS 19, 837-863,1062-1090)
Ein Methodeneinsatz erfolgt in den Beratungen in unterschiedlichem Umfang. Zum Teil werden, vor allem dann, wenn entsprechende pädagogische, sozialpädagogische oder psychologische Fachausbildungen vorliegen, häufig klientenzentrierte, seltener systemische Gesprächsverfahren eingesetzt. Andere Mitarbeiter/innen, die stärker aus der ehrenamtlichen Beratungspraxis stammen, setzen eher auf Erfahrungswissen und selbst entwickelte, ihrer Meinung nach in der praktischen Arbeit bewährte Fragetechniken.
Kommentar:
Viele Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen waren vor ihrer hauptamtlichen Tätigkeit
als Opferberater/innen bereits ehrenamtlich in antifaschistischen und antirassistischen Initiativen tätig. Daraus resultiert ihre hohe Motivation und ihre besondere Hinwendung zu den
Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten im Sinne des Rahmenkonzepts „Opferperspektive“. Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen sind, wie die Befragungen immer wie-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
205
der gezeigt haben, oftmals unter Einsatz ihrer ganzen Person und mit großem Engagement für
die Betroffenen tätig. Gleichzeitig liegen in dieser besonderen Hinwendung aber auch Gefahren, die in den Befragungen deutlich geworden sind und die reflektiert werden sollten. Es besteht die Gefahr der „Überbemutterung“ der Klienten und die Gefahr zu großer Nähe bzw.
mangelnder Distanz zur Klientel. Diese klassischen Probleme einer zu engen Bindung zwischen Berater und Klient bei besonders engagierten Berater/innen können dann, wie auch in
den Interviewzitaten beschrieben, zu einer Abhängigkeit der Klienten verbunden mit späteren
Ablösungsproblemen, zu verstärkter Belastung der Beratenden und im Endergebnis leicht zu
Burn-out-Problemen bei den Berater/innen führen. Notwendig erscheint daher eine klarere
Abgrenzung von der Klientel und eine deutlichere Trennung des politischen Engagements der
Beratenden von den Beratungsvorgängen. Diese Trennung von Beratungsarbeit und politischem Engagement für die Betroffenen (beispielsweise im Rahmen einer teaminternen Arbeitsteilung) wird in der Fachliteratur und durch Beratungsstandards immer wieder empfohlen. Außerdem ist zu fragen, ob nicht auch verstärkt das Methodenrepertoire weiter ausgebaut
werden sollte, denn die Befragungen haben gezeigt, dass in diesem Bereich noch vieles
„selbstgestrickt“ ist und weiterer Reflexion und fachlicher Vertiefung bedarf.
4.1.7 Ablauf und Phasen der Beratung bzw. Begleitung
Ausgangspunkt der Beratung ist ein Erstgespräch, das in der Regel von zwei Berater/innen
gemeinsam durchgeführt wird und in dem typischerweise die Angebote der Opferberatungsstelle erläutert und vorgestellt werden. Dabei spielt die Erhebung des Tatverlaufs und die Unterstützung bei der juristischen Aufarbeitung der Tat durch entsprechende Informationen zu
den Themenbereichen Anzeigeerstattung, Nebenklage, Gerichtsverfahren und Entschädigung
eine wesentliche Rolle:
„Naja, also einerseits natürlich das Erstgespräch, das ist, glaube ich, immer ganz wichtig.
Das ist so ein Arbeitsschwerpunkt, da ist zu klären, was ist überhaupt passiert, das hilft vielen
Leuten wahrscheinlich auch schon am meisten, wenn sie sehen, o.k., da gibt es jemanden, der
interessiert sich schon alleine für mich, der eben auch konkrete Vorschläge hat. Dann natürlich die gewissen rechtlichen Sachen, also Anzeige, was passiert wenn, oder kommt es zu einem Prozess. Also, dass man da guckt, was ist da möglich, dass man den Leuten erklärt, was
hast du eigentlich für Rechte, wie ist das, das ist ein Arbeitsschwerpunkt. Finanzielle Unterstützung, auch zu gucken, was ist jetzt möglich oder was können wir jetzt machen, Opferantrag, Entschädigungsantrag, solche Sachen. Aber der Hauptarbeitsschwerpunkt ist erstmal
diese rechtlichen Sachen zu gucken. Was können sie eben selber auch tun, haben sie Hilfe in
der Familie, wie sieht das da aus, oder vielleicht auch das Andocken an Initiativen, Vereine
vor Ort, sag´ ich jetzt mal, der Kontakt und dann eben auch die Begleitung.“ (b-OBS 2, 621635)
Erfolgt keine Resonanz, ist der Beratungsprozeß beendet:
„Also das ist ja, denke ich, das erste Beratungsgespräch kann ja sehr wohl damit enden, dass
man sagt: ‘Wenn es in ihrem Interesse ist oder so, dann können wir Ihnen das und das anbieten und wir können das und das machen.’ Und dann geht man auch eben solche Schritte weiter. Und wenn es da keinen Bedarf gibt, in dem ersten Beratungsgespräch, an weiteren Schritten, dann ist es eben bei einem Gespräch geblieben.“ (b-OBS 12, 758-770)
Die Beratungen enthalten einerseits Informationsanteile zu den relevanten Themen (Anzeigeerstattung bzw. Verfolgung der Straftat, Ablauf des Gerichtsverfahrens, Entschädigungsmöglichkeiten, Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit) und psycho-soziale Anteile, die die Persönlichkeit der betroffenen Person stabilisieren und ihre Eigenpotentiale stärken sollen.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
206
Neben den Beratungen ist die Begleitung der Betroffenen bei der Bewältigung der Tat und
ihrer Folgen ein zweites wesentliches Tätigkeitsfeld. Opferberatungsstellen wollen die Betroffenen dazu in die Lage versetzen, die notwendigen Behördengänge und den erforderlichen
Schriftwechsel so weit wie möglich selbst durchzuführen, sie unterstützen sie dabei und übernehmen selbst nach Absprache auch Teilaufgaben in diesem Bereich.
Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen begleiten den Prozeß der Anzeigeerstattung
und sind auf Wunsch bei Zeugenaussagen anwesend. Diese Teilfunktion wurde von den befragten juristischen Experten als ausgesprochen wichtig hervorgehoben, denn die Opfer seien
oftmals stark verunsichert und es sei daher die Funktion der Opferberater/innen, sie „als Gegengewicht im Strafverfahren“ zu stabilisieren und zur Anzeige zu ermuntern (c-OBS A,
Koop 8). Außerdem würden viele Straftaten, gerade im Bereich von Jugendauseinandersetzungen, bisher nicht angezeigt und könnten daher nicht verfolgt werden. Deshalb sei die Ermunterung zur Anzeigeerstattung durch die Opferberater/innen sehr wichtig (c-OBS A, Koop
9). Nicht immer verläuft dieser Begleitungsvorgang allerdings störungsfrei, weil nach Erfahrung eines Opferberaters in den von ihm betreuten ländlichen Gebieten die Anzeigebegleitung von der Polizei nicht gern gesehen wird:
„Man muss um Sachen kämpfen, die in Großstädten schon gang und gäbe sind. (...) Zum Beispiel Anzeigebegleitung. Da kommt es durchaus vor, dass Polizisten das zwar kennen, das
stellt sich dann im Gespräch raus, aber dass sie das nicht möchten. Bei einer Anzeige gibt es
den Zusatz, dass man eine Person seines Vertrauens mit rein nehmen darf, wenn man Opfer
einer Körperverletzung wurde, oder im Gesetz stehen noch andere Bedingungen, und dass
man dann einfach drauf drängen kann. Eigentlich wird das sonst überall gehandhabt. Es ist
nicht vorgeschrieben, es ist eine Soll-Regelung, schon ein höheres Rechtsgut als Kann, aber es
ist halt kein Muss. Aber in anderen Großstädten wird halt gesagt, okay, der Opferzeuge oder
die Opferzeugin ist das wichtigste Glied bei der Aufdeckung einer Straftat, also müssen wir alles versuchen, um alles Gute herauszufinden. Ich sehe das auch generell, das kommt auch
durch diesen ländlichen Einfluss hier. Ich weiß nicht, wie Polizisten strafversetzt werden, keine Ahnung, aber die Polizei sieht sich hier noch als bestimmend, und nicht als Dienstleister.
Ich bin immer freudig überrascht von einer Ausnahme, das ist bei uns immer ein Highlight.
Die Ausnahmen gibt es, aber es ist noch so, dass man überrascht ist.“ (b-OBS 4, 2176-2197)
Außerdem stehen die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen während der Gerichtsverfahren (Straf- und Zivilprozeß) als Begleitung bzw. zur Beobachtung zur Verfügung. Gerade
die Begleitung bei den Schritten der juristischen Aufarbeitung, vor allem während des Prozesses, hat für die Betroffenen eine wichtige unterstützende und stabilisierende Funktion:
„Also aus diesem Grund machen wir Prozessbegleitung, weil wir halt der Meinung sind, wenn
die Täter drin sitzen mit ihren Freunden, ist das eine als bedrohlich zu erlebende Situation für
die Betroffenen, und da versuchen wir halt mitzugehen oder noch andere Leute zu animieren
mitzugehen, dass sie da halt im Gerichtssaal auch nicht so alleine sind und wissen, hinter ihnen sitzen auch noch paar Leute, die es nett meinen. Oder versuchen, dann auch dem Gericht
deutlich zu machen, dass das Gericht dann auch erkennt, was sich da im Saal abspielt. Und da
gibt es überall solche Beispiele.“ (b-OBS 2, 466-474)
Kommentar:
Ablauf und Phasen der Beratung entsprechen soweit erkennbar den grundlegenden Arbeitsprinzipien. Unterstützung wird dort angeboten, wo sie im Rahmen des Auftrages erforderlich
erscheint und nachgefragt wird. Das Angebot der von CIVITAS geförderten Opferberatungsstellen geht dabei deutlich über das Angebot üblicher Beratungsstellen hinaus, die sich im
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
207
Rahmen einer „Komm-Struktur“ auf Beratungen im engeren Sinne konzentrieren und Begleitungen beispielsweise nur in geringem Maße durchführen können.
4.1.8 Grenzen und Ende der Beratung bzw. Begleitung
Beratungen können aus einer ganzen Reihe von Gründen Grenzen haben oder abgebrochen
bzw. beendet werden. Als Gründe wurden jeweils von einzelnen Opferberatungsstellen benannt, dass die beratene Person selbst rechtsextremistische oder rassistische Einstellungen
zeigt (b-OBS 11, 291) oder wenn Beraterinnen sexuell belästigt werden, was aber nur als theoretische Möglichkeit bezeichnet wird (b-OBS 4, 1334-1346). Eine andere Grenze ist dann
erreicht, wenn der Berater sich fachlich überfordert sieht (zum Beispiel bei diffizilen Rechtsfragen), üblicherweise erfolgt dann eine Überweisung an einen Rechtsanwalt (b-OBS 12,
832-852). Betroffene, die psychologische Hilfe benötigen (zum Beispiel bei Traumatisierungen) werden soweit wie möglich an Psychologen überwiesen (b-OBS 11, 580-582), wobei es
aber nach dem Bericht einer Opferberatungsstelle Probleme gibt, da entsprechende Psychologen nicht in der gewünschten Schnelligkeit zur Verfügung stehen. Die Folge davon ist, dass
das entsprechende Projekt, in dem ein/e Mitarbeiter/in auch Psychologie studiert hat, zum
Teil seine Klienten auch psychologisch betreut:
„Nach diesen Angriffen haben sie große psychische Probleme. Und wir betreuen die auch
psychologische Beratung machen wir, da es sehr wenige Stellen gibt, wo wir die vermitteln
können. Aus zwei Gründen: Entweder sind sie zu voll, dass sie keine Termine geben können
innerhalb von zwei bis vier Wochen. Oder es gibt wenige Psychologen oder Therapeuten, die
auf Kasse finanziert sind, und dadurch unsere Klienten die nicht in Anspruch nehmen können.
Das ist ein großes Problem, dass wir (...) damit konfrontiert sind. Wir sind ständig am Suchen.“ (b-OBS 6, 195-200)
Zunehmend wichtig wird bei einigen Opferberatungsstellen auch die Begrenzung des Beratungsumfangs auf Grund steigender Nachfrage bei gleichbleibenden Personalkapazitäten.
Beratungen bzw. Begleitungen können enden, wenn die Betroffenen den Beratungsprozeß
abbrechen oder beenden. Ein Abbruch ist darin zu sehen, wenn der Betroffene auf Versuche
der Kontaktaufnahme nicht mehr reagiert oder zu verstehen gibt, dass er keine weitere Beratung mehr will, zum Beispiel weil sein Informationsbedürfnis erfüllt ist oder weil er sich die
Beratung anders vorgestellt hatte (b-OBS 2, 1127-1135). Der Abbruch wird also einseitig von
dem Betroffenen ausgelöst. Eine Beendigung erfolgt im gegenseitigen Einvernehmen, wobei
in einem Projekt ein abschließendes Auswertungsgespräch am Ende des gemeinsamen Prozesses steht (b-OBS 4, 1316-1327). Als Endpunkt des Prozesses kommt dem Gerichtsverfahren – wenn ein solches stattfindet – in aller Regel eine Schlüsselfunktion zu, wobei in seltenen Fällen noch eine Nachbetreuung erforderlich sein kann (vgl. b-OBS 2, 1135-1149):
„Ja, also in der Regel, endet sie für jeweils den Betroffenen oder die Betroffenen dann, wenn
eine Gerichtsverhandlung stattgefunden hat und wenn diese beendet ist. Also in der Zwischenzeit ruht das natürlich, denn es gibt ja nicht ständig irgendwas zu begleiten etc. Aber es kann
natürlich sein, dass es in diesen Monaten, wo darauf gewartet wird, dass es zu einer Gerichtsverhandlung (kommen) wird, es einfach ruht und dann gibt es nochmal eine Gerichtsverhandlung und wenn die natürlich so für den Betroffenen ausgeht, dass er also auch dann selber
sieht, dass die Begleitung nicht mehr nötig ist, dann endet das. Deswegen ist das ein schon
häufig anvisierter Abschluss, weil in dieser Ruhezeit es eigentlich schon oft geklärt ist, dass
diese Betroffenen entweder außer diesem Gerichtstermin einen nicht mehr anfragen oder wenig anfragen oder das da in der Zeit, in der Zwischenzeit, sehr viel schon geklärt ist.“ (b-OBS
12 I, 1212-1224)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
208
Kommentar:
Die Grenzen der Beratung bzw. Begleitung werden im wesentlichen durch Grenzüberschreitungen der Klienten im Rahmen des Beratungsverhältnisses, Kompetenz- und Kapazitätsgründe markiert. Bei Spezialfragen bzw. Spezialproblemen (Therapien, Rechtsberatung) erfolgt eine Überweisung an die entsprechenden Spezialisten, wobei einige Opferberatungsstellen über ein gutes Netzwerk an Rechtsanwälten verfügen. Größere Schwierigkeiten gibt es
hier allerdings im Bereich der Überweisungen an Psychologen, die sich wegen deren Überlastung und wegen der Problematik der Kostenübernahme nicht so leicht durchführen lassen.
Diese Schwierigkeiten verführen offenbar dazu, psychologische Beratungen selbst zu übernehmen. Hier ist im Einzelfall sorgfältig zwischen den Bedürfnissen der Klienten auf schnelle
Hilfe und ihrem Recht auf eine psychologische Fachbehandlung abzuwägen, damit Folgeschäden durch unsachgemäße Behandlung vermieden werden.
4.1.9 Multiplikation des Beratungsansatzes
Mehrere Opferberatungsprojekte haben sich um eine Multiplikation ihres Beratungsansatzes
bemüht. Multiplikation des Beratungsansatzes heißt, das eigene Beratungskonzept an andere
Personen, Institutionen bzw. Organisationen weiterzuvermitteln, damit diese es übernehmen
und in der praktischen Arbeit einsetzen. Dies zielt darauf, sich nach einer begrenzten Modellphase „überflüssig zu machen“. Dazu sind entsprechende Qualifizierungen erforderlich, die
von den Berater/innen der von CIVITAS geförderten Opferberatungsprojekte durchgeführt
werden. Die Ergebnisse sind nach Darstellung der befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
unterschiedlich. Zum Teil wird die bisherige Erfolglosigkeit dieser Bemühungen konstatiert,
was auf eine fehlende Strategie und Zeitmangel zurückgeführt wird:
„Nochmal zu dem Punkt davor, was natürlich auch so ein Schritt ist um so eine Beratung sicherzustellen, wenn es so viele Angriffe gibt, also, was wir im Konzept hatten, dass wir auch
in den Regionen Leute finden die so eine Beratung übernehmen. Gruppen oder Träger, die
vielleicht andere Sachen machen, aber so was mitmachen würden. Das hatten wir im Konzept
stehen, aber da hat jetzt auch die Strategie oder die Zeit gefehlt, das zu erreichen. (...) Es beginnt Kooperation über einen Informationsaustausch, dass wir immer mehr auch informiert
werden von Leuten, die wir entweder schon beraten hatten oder die Kooperationspartner sind.
Und wir arbeiten auch bei regionalen oder lokalen Sachen zusammen. Aber dass man jetzt direkt Leute findet, die eine Opferberatung übernehmen, das war ja sozusagen Ziel, sich selbst
überflüssig zu machen, dass wir direkt fachlich Leute finden, die dazu auch in der Lage sind...
(...) Wir haben gemerkt, dass es nicht realistisch war.“ (b-OBS 11, 111-133)
Ein anderes Projekt hat kontinuierlich Weiterbildungen zum Thema Opferberatung für Mitarbeiter/innen aus dem Bereich der Jugendberufshilfe durchgeführt, um damit einen Multiplikationseffekt zu erzielen. In diesem Rahmen wurden Seminare zum Konzept Opferperspektive
und zu psychologischen und rechtlichen Aspekten der Opferunterstützung durchgeführt:
„Was wir in letzter Zeit, mittlerweile seit einem Jahr, versuchen, ist eine Art Multiplikatorenarbeit zu leisten über Weiterbildung zu einzelnen Themen im Bereich Opferberatung. Das sind
teilweise psychologische, strafrechtliche Aspekte, Bedrohungssituationen, was heißt dieses
Prinzip Opferperspektive überhaupt. Wir haben die Veranstaltungen teilweise mit Kooperationspartner/innen organisiert, die öffentlich eingeladen wurden, und kooperieren im Moment
mit der Jugendberufshilfe, wo wir auf Seminaren regelmäßig – die Leute sind alle im Bereich
Jugendarbeit, Jugendberufshilfe tätig – Weiterbildung anbieten.“ (b-OBS 13, 278-285)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
209
Diese Aktivitäten sind mittlerweile in die Qualifizierung von Mitarbeiter/innen für ein Notruf-Telefon für Betroffene rechtsextremer Straf- und Gewalttaten eingemündet, das in dem
betreffenden Bundesland eingerichtet wurde (b-OBS 13, 864-871).
Ein drittes Projekt hat in seine Tätigkeit sehr stark andere CIVITAS-Projekte einbezogen
(vgl. b-OBS 3 II, 126-236, 323-401). Durch die Mitarbeiter/innen dieses Projekts sind drei
CIVITAS-Netzwerkstellen zu ehrenamtlichen Opferberater/innen ausgebildet worden, wobei
der Anstoß vom Trägerverein einer Netzwerkstelle ausging:
„Also, die haben uns kennengelernt und haben eben gefragt, Mensch, irgendwann würden wir
das auch gerne mal machen, so eine Opferberatung, zumindest so in Ansätzen, ja, könnt ihr
uns da weiterhelfen. Ja und da haben wir uns da so ein paar Sachen hin und her geschickt oder telefoniert und irgendwann kam es dann halt auch zu Terminen und man hat das gemacht.
Im Gegenzug haben wir, also, wenn wir jetzt jemanden haben in der Region ((Ortsname)), der
da vielleicht auch die Möglichkeit hat, nach ((Ortsname)) zu fahren, dann machen wir auch
das Angebot, Mensch, vielleicht können wir uns auch mal dort treffen, dann lernst du das mal
kennen und wir treffen uns dort in ((Ortsname)). Die sind fit, das sind gute Leute, und wo
dann der Kontakt natürlich auch entsteht. Wo wir dann natürlich auch ((Trägername)) fragen,
passt mal auf, wir haben hier ein Opfer, können wir uns bei euch im Büro treffen oder im Café, oder können wir das nutzen. Also, das ist schon ganz konkret und ein bisschen zu veranstalten, wo wir dann anfragen, Mensch, könnt ihr da kommen und einen Vortrag halten oder eine
Abendveranstaltung machen oder einen Infostand, weil wir machen gerade hier eine Tagung
gegen Rassismus. Also, so weit geht das dann schon bis hin, dass man in verschiedenen Gremien mal sitzt, also wie jetzt das ((Gremium)), wo man dann zusammenarbeitet und guckt, was
können wir machen. Vernetzung ist ganz wichtig. Ja, was gibt es noch so konkret, also was
uns so interessiert, waren eben auch diese ehrenamtlichen Schulungen und dass es Leute vor
Ort gibt, die eben auch für Opfer potentielle Anlaufstellen sind und die eben auch eine Lobbyarbeit betreiben, also die das ähnlich sehen, die Situation vor Ort, mit Kommunen Türöffner
sein können, weil sie eben Leute kennen. Das ist glaube ich, ganz wichtig.“ (b-OBS 3, 329349)
Ergebnis dieser Bemühungen ist, dass die drei Netzwerkstellen mittlerweile auch als Anlaufstellen für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten fungieren, Recherche betreiben, Erstkontakte zu den Betroffenen aufnehmen und damit die hauptamtlichen Opferberater/innen,
die sie ausgebildet haben, bei den genannten Tätigkeiten entlasten. Dies sei bereits „eine große Unterstützung“ (b-OBS 3 II, 389), auch wenn die betreffenden Personen derzeit noch nicht
alle Aufgaben einer Opferberatungsstelle übernehmen könnten, „weil sie auch nicht so ausgebildet sind wie wir“ (b-OBS 3 II, 390).
Kommentar:
Im Hinblick auf die Multiplikation des Beratungsansatzes sind erste Ansätze erfolgt, die aber
noch deutlich ausgebaut werden könnten. Erkennbar ist dieser Themenbereich für die Opferberatungsstellen ein minder wichtiger Tätigkeitsbereich, der nur dann gepflegt wird, wenn
man sich davon eine direkte Entlastung bei der Arbeit verspricht. Eine Intensivierung der Tätigkeiten in diesem Bereich erscheint allerdings erforderlich, um den Beratungsansatz intensiver zu verankern.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
210
4.2 Unterstützung kollektiver Prozesse bzw. kollektiver Akteure zur Förderung der gesellschaftlichen Integration der betroffenen Personen(gruppen)
Die Unterstützung von Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten durch Beratung
und Begleitung wird in der Arbeit der Opferberatungsstellen in aller Regel ergänzt durch
Versuche, die Situation der betroffenen Personen(gruppen) in ihrem jeweiligen sozialen Umfeld zu verbessern und ihre gesellschaftliche Integration und Akzeptanz zu fördern. Dadurch
gewinnt die Tätigkeit der Opferberatungsstellen Anschluss an die Gemeinwesenorientierung
des CIVITAS-Programms und setzt Impulse zur Verbesserung des lokalen politischen Klimas
im Hinblick auf die Wahrnehmung und die Bearbeitung des Problems Rechtsextremismus
vor Ort:
„Und dann ist ein wesentliches Merkmal unseres Ansatzes, dass wir so eine Verbindung von
einer individuellen Betreuung, Fürsorge und einem politischen Ansatz haben, indem wir ständig nach Möglichkeiten suchen, in kommunalen Verhältnissen zu intervenieren auf Seiten von
betroffenen Gruppen. Diese betroffenen Gruppen zu stärken und ihre Handlungsfähigkeit
beim Agieren in der Kommune zu stärken.“ (b-OBS 14, 985-990)
4.2.1 Aktivierung von Unterstützung für die Opfer
Der Aktivierung von Unterstützung und der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken in ihrer
näheren Umgebung hat eine wichtige Funktion für die Betroffenen rechtsextremer Straf- und
Gewalttaten. Dadurch soll ein Schutz für die Betroffenen rechtsextremer Angriffe gewährleistet, eine kontinuierliche Aufmerksamkeit für ihre Belange sichergestellt und ihre Handlungsfähigkeit gestärkt werden:
„Also das Ziel ist beispielsweise dann eine Mobilisierung von einem Unterstützerkreis, der bereit ist, sich da sehr schnell dazwischen zu stellen. (...) Telefonkette. Kommen dann zusammen.
Aber noch mehr. (…) Viele dieser Angriffe können auch nur passieren, weil eben einige der
betroffenen Gruppen so isoliert sind. Und weil gleichzeitig die Tätergruppen so einer Gleichgültigkeit begegnen. Das heißt, sie können machen, was sie wollen, weil Leute sich eben nicht
dazwischen stellen. (...) Und diese Konstellation kann nur aufgebrochen werden, wenn nicht
nur jetzt staatliche Instanzen von oben intervenieren. Weil dadurch ändert sich in den sozialen
Interaktionsverhältnissen nichts. Sondern nur, wenn wirklich eine aktive Gruppe von Bürgern
sich solidarisch verhält mit dieser betroffenen Gruppe. Was eben auch eine praktische Solidarität bedeutet. Also eben ein Schutz in bestimmten Situationen. Und die dann auch eine aktive
Konfrontation eingeht mit der Tätergruppe oder ihrem Umfeld. Also sie so ein bisschen herausfordert“ (b-OBS 14, 1057-1077)
Hierbei stoßen einige Opferberatungsstellen auf Probleme bzw. Schwierigkeiten, die den Erfolg ihrer Tätigkeit in diesem Teilbereich ihrer Arbeit gefährden. Besonders in Flächenländern und ländlichen Regionen ist es oftmals schwierig, in den Orten, in denen Anschläge
vorgefallen sind, Personen zu finden, die bereit sind, sich für die Opfer zu engagieren, zum
Teil ist es auch von den Betroffenen gar nicht gewünscht:
A: Das ist ein schwieriger Punkt, das Umfeld zu mobilisieren. Es ist oft so, dass wir das Umfeld sozusagen abfragen, über den Betroffenen erfahren. Wenn wir aber in dieser Region oder
in dem Gebiet selber nicht viel aktiv sind oder dort leben, ist es auch ganz schwer, da was zu
mobilisieren. Wir machen das oft so, dass wir im Umfeld dieses Übergriffs, wenn das gewünscht ist, auch berichten, und den Betroffenen selber aufzeigen, dort und dort sind geschützte Räume, da kannst du hingehen. Wenn es Übergriffe jetzt gerade in unserer Region
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
211
gibt, mit der ((Netzwerk))vernetzung, gibt es Mitteilungen und auch Unterstützung, meinetwegen bestimmte Soli-Aktionen, wenn das gebraucht wird, das kann man über einen Spendenaufruf machen.
I: Würden Sie sagen, diese Unterstützung für die Opfer kommt in der Regel nicht zustande?
Beziehungsweise sie bereitet größere Probleme?
A: Ob Mobilisierung des Umfelds vom Betroffenen gewollt ist, das erkennt man daran, wie
derjenige auf das Umfeld zugeht. Und was sollen wir mobilisieren, wenn derjenige gar nicht
dafür offen ist?
I: Das ist also eher ein Hinderungsgrund,
A: ...wenn der Betroffene das nicht richtig wünscht oder das nicht erkennbar ist, ja.“ (b-OBS
4,1395-1417)
Im städtischen Zusammenhang wird in einem Fall von der Ineffektivität des dortigen „Aktionsbündnisses für Toleranz“ als Anlaufpunkt zur Rekrutierung von Unterstützern für die Betroffenen berichtet. Es sei zu groß und zu heterogen, lautet die Kritik. Als wichtige potentielle
Kerngruppe für die Unterstützung der Betroffenen wird die Gruppe der ortsansässigen
Migranten genannt. Immerhin konnten durch die Mitarbeit des Beraters in diesem Aktionsbündnis Kontakte zu zwei Vereinen geknüpft werden, durch die eine Unterstützung von Opfern möglich erscheint:
„A: Also, bei den Migranten ist es natürlich so, dass die hauptsächlich eben auch von anderen
Migranten wieder unterstützt werden können und dass es eigentlich da eine relativ große Solidarität gibt in dem Bereich, so untereinander, aber eben nur da. Dass es schwierig ist für sie,
nach außen hin Unterstützung zu suchen. Das funktioniert für alle zwar eben dann über das
‚Bündnis gegen Rechts’, Kooperation mit der Netzwerkstelle ((Name)). Dann gibt es noch in
((Ort)) ein ‚Aktionsbündnis für Toleranz’, was sich allerdings noch nicht als sehr hilfreich da
in dem Zusammenhang eigentlich erwiesen hat. (...) Es gibt ein Bündnis gegen Rechts, also,
darüber gibt es nicht nur den Informationsaustausch, da wird eben auch geguckt, ob andere
Mitglieder dieses Bündnisses irgendwas in dem Bereich leisten können für das Opfer.
I: Und wie sind da Ihre Erfahrungen?
A: Bisher gegen Null. Also, ich sage mal, großes Bündnis, viele Kooperationspartner (...) relativ uneffektiv. (...) Was aber nicht bedeutet, dass ich sie nicht ein Stück weit mit auf den Weg
bei den Opfern die wir haben... Also, die Informationen, die laufen darüber schon, aber ansonsten...
I: An Aktivitäten für die Opfer konkret?
A: Gemeinsame Aktivitäten bisher nicht. Aber dass man mit eins, zwei Vereinen daraus, dass
man eine kleinere Sache vielleicht macht, dass man das Opfer da irgendwo mit einbinden
kann und vielleicht auch eine Hilfeleistung noch kriegt. Das funktioniert mal. Ansonsten liegt
es auch einfach daran, dass ich relativ neu bin und kein Vertrauensverhältnis groß zu irgendwelchen Leuten genieße, denke ich mir.“ (b-OBS 20, 673-699)
Hier ist aber sicher auch die Tatsache in Rechnung zu stellen, dass der betreffende Berater
erst seit kurzem in dem jeweiligen Ort tätig ist, aus Zeitgründen noch wenig Kontakte knüpfen konnte und von daher das Unterstützungsnetzwerk noch relativ klein ist.
Opferberatungsprojekte mit kontinuierlicher Besetzung und einem längeren zeitlichen Vorlauf können dagegen in aller Regel auf ein Netzwerk von Unterstützern zurückgreifen bzw.
verfügen über Know how, um ein solches zu rekrutieren (vgl. Kap.4.2.2).
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
212
Kommentar:
Die Aktivierung von Unterstützung für die Betroffenen ist ein wichtiges Element der Umfeldarbeit der Opferberatungsstellen. Allerdings gibt es auch hier Schwierigkeiten mit dem
Zugang in der Initiativenlandschaft, während Unterstützer aus der Eigengruppe (zum Beispiel
der Migranten) offenbar leichter gewonnen werden können. Mit steigendem Beziehungsnetz
und in größeren Städten mit einer besseren Infrastruktur sind dagegen schnellere Erfolge bei
der Aktivierung von Unterstützung für die Opfer erwartbar.
4.2.2 Vernetzung
Vernetzung zielt vor allem auf eine Rekrutierung von Unterstützung für die Arbeit der Opferberatungsstellen. Vernetzung bedeutet in dieser Hinsicht für die Opferberatungsstellen im
wesentlichen Kontaktaufbau und Kontaktpflege zu Kooperationspartnern, durch die sie auf
Anschläge bzw. Gewalttaten aufmerksam gemacht werden und an die sie Betroffene auch
wieder abgeben können (zum Beispiel zur Betreuung in der Freizeit):
„Na das Ding ist, dass wir uns halt hauptsächlich schon mit den Betroffenen und mit den Fällen beschäftigen. Das spielt zwar eine Rolle, Netzwerkarbeit, Kooperationspartner, das ist
wichtig. Aber für uns ist jetzt in der direkten Arbeit, also kein so wirklich von allen Seiten
funktionierendes Netzwerk wichtig. Sondern für uns sind Ansprechpartner wichtig. Und ich
denke, also zu den Netzwerken kann gerade das MBT oder die Netzwerkstellen wirklich
bedeutend mehr sagen, weil das einfach denen ihr zentraler Punkt.“ (b-OBS 5, 1682-1687)
Es handelt sich dabei in aller Regel um eher sporadische Kontakte, die allerdings fallbezogen
jederzeit aktiviert werden können:
„A 1: Bei den anderen Kontakten, die sind meistens fallbezogen. Also der Kontakt kommt zustande: Entweder wir werden angerufen, dort und dort ist das und das passiert. Oder wir fragen nach, mit mehr oder weniger Erfolg. Da befürchte ich, also da ist einfach die Basis nicht
so stark.
A 2: Oder umgekehrt. Vielleicht sind wir die Basis. Also die Fäden laufen ja bei uns zusammen. Wir haben verschiedene Leute in verschiedenen Orten, die wir anrufen. Aber die Leute
haben untereinander oftmals nicht soviel miteinander zu tun.“ (b-OBS 5, 1630-1637)
Bei der Vernetzung bilden die beiden übrigen Struktursäulen des CIVITAS-Programms (Mobile Beratungsteams und Netzwerkstellen) einen wichtigen Ausgangspunkt. In einer ganzen
Reihe von Regionen bildet nach Auskunft der Opferberater/innen die Zusammenarbeit mit
den Mobilen Beratungsteams eine stabile Achse in den Netzwerken der Opferberatungsstellen. Zu den übrigen CIVITAS-Projekten in der jeweiligen Region bestehen in der Regel dann
Kontakte, wenn es eine thematische Nähe zu ihrer Arbeit und inhaltliche Überschneidungen
gibt (b-OBS GD, 542-579)
Darüber hinaus haben die Opferberatungsstellen im Laufe der Jahre einen „Set“ an Kooperationspartnern versammelt, die sie bei Bedarf aktivieren können (vgl. b-OBS GD, 645-757).
Dabei spielen nach den Interviewäußerungen in der Regel die meisten Ausländerbeauftragten,
Flüchtlingsräte bzw. -initiativen und Migrantenorganisationen eine wichtige Rolle. Auch die
Beziehungen zu den Staatsanwaltschaften und Gerichten sind in der Regel konstruktiv und
können für Informationen nach dem Ermittlungsstand bei Gerichtsverfahren genutzt werden.
Als eine andere Gruppe regelmäßiger Ansprech- und Kooperationspartner werden lokale Antifa- und Jugendgruppen und örtliche „Runde Tische“ oder Bürgerinitiativen benannt, die als
wichtiger Lieferant von Informationen fungieren (b-OBS GD, 678-682). Außerdem stützt
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
213
sich die Arbeit der Opferberatungsstellen auf „ganz viele Einzelpersonen, die in einer Region
eine Rolle spielen, die aber nicht organisiert sind oder irgendwelchen Strukturen zuzurechnen
sind.“ (b-OBS GD, 688-690)
Ein weiterer Bereich von Kooperationspartnern sind die anderen Opferberatungsstellen, also
vor allem die „Opferhilfe“ und der „Weiße Ring“ sowie die sozialen Dienste der Justizverwaltungen. Mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Einrichtungen bestehen in den
meisten Regionen Kontakte, die zum Teil auch in praktische Zusammenarbeit, zum Beispiel
durch Überweisungen von Klienten in Einzelfällen, einmünden.
Über den Kreis der Kooperationspartner im engeren Sinne hinaus bestehen in vielfältiger
Hinsicht Kontakte zu den Verwaltungsbehörden, die in ihrem Verwaltungshandeln mit den
Belangen von Klienten der Opferberatungen befasst sind (vor allem Ausländerbehörden, Sozial- und Jugendämter sowie Polizeibehörden). Unterschiedlich werden dabei von den Opferberatungen die Beziehungen zur Polizei beschrieben. Die Varianten reichen von konstruktiver
Zusammenarbeit mit einzelnen Polizeidirektionen bis zu Dienstaufsichtsbeschwerden über
Polizeibeamte. Die Zusammenarbeit der Opferberatungsstellen mit Polizeidienststellen erweist sich aus den Interviews als potentiell spannungsträchtig und in ihrer Quantität und Qualität stark abhängig von der jeweiligen persönlichen Ausgestaltung der Rolle auf beiden Seiten:
„Sehr unterschiedlich. Also, wenn wir vielleicht mal bei der Polizei bleiben, weil wir mit der
Polizei ja sehr viel zu tun haben. Anzeigen, Zeugenaussagen und ähnliches. Dort sind die Erfahrungen je nach Polizeidirektion aber noch mehr je nach einzelnem Beamten sehr unterschiedlich. Von wirklich ganz klarer ehrlicher Solidarität mit den Betroffenen bis hin zu Ablehnung und Zweifeln an den Aussagen des Betroffenen, Unterstellung von Mitschuld, also die
gesamte Bandbreite. Das ist natürlich auch je nachdem wie die Situation ist, ist auch unterschiedlich darauf zu reagieren. Also, von in Einzelfällen, von einer guten erfolgreichen Kooperation bis hin zu rechtlichen Schritten auch gegen einzelne Beamte. Dienstaufsichtsbeschwerden, unterlassene Hilfeleistung, Strafvereitelung im Amt und ähnliches. Also, das lässt
sich überhaupt nicht verallgemeinern, weil es doch sehr von einzelnen Beamten und auch von
einzelnen Polizeistationen sehr unterschiedlich ist.“ (b-OBS 9,1033-1042)
Gute Kontakte können dort entstehen, wo der Beratende unvoreingenommen auf die Behörden zugeht. Wichtig erscheint der Kontaktaufbau zu einer konkreten Ansprechperson in jeder
Behörde und die entsprechende kontinuierliche Beziehungspflege. Dies sei eine wesentliche
Voraussetzung für einen Einsatz im Sinne der Probleme der Klienten:
„Diesen Kontakt habe ich bis jetzt zu den Behörden, zum Beispiel Jugendämter und um mit
den Behörden zu kooperieren, muss ich ganz freundlich sein, egal, wie schwer das Problem
meines Klienten ist. (...) Erst mal muss ich freundlich sein, sonst habe ich es nicht geschafft
und meine Klienten stehen mit ihren ganzen Problemen da. Erst mal muss ich freundlich sein
um zu kooperieren und danach erfahre ich auch von Behördenseite, was die über diese Diskriminierungsfälle denken. Danach machen wir einen Termin aus, fahre ich selber allein, ohne meinen Klienten dorthin, dann diskutieren wir auch über den Vorfall bei dem Sachbearbeiter oder bei der Sachbearbeiterin. Aber ich muss dazu sagen, in allen Bereichen hier habe ich
auch Kooperations- und Ansprechpartner. Bei den Behörden, beim Jugendamt, Standesamt,
Ausländerbehörde, habe ich auch jeweils einen Ansprechpartner, mit dem ich klarkomme. Das
habe ich zu Beginn des Projektes auch versucht für mich aufzubauen. Ohne das... Weil, die
Behörden arbeiten zusammen.“ (b-OBS 19, 1264-1279)
Zusätzlich stellen einige CIVITAS-Opferberatungsstellen auch Engagement und Ressourcen
bereit, um Vernetzungen und Zusammenarbeit zu fördern. Eine wichtige Serviceleistung der
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
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Opferberatungsstellen ist dabei die Verbreitung von Informationen: Wesentliche Informationen zu rechtsextremen Straf- und Gewalttaten werden durch einen E-Mail-Verteiler gebündelt und verbreitet. Die von den Opferberatungsstellen erstellte und regelmäßig erweiterte
Chronik rechtsextremer Vorfälle ist auf den Homepages der Projekte eingestellt und dient der
Öffentlichkeit als wichtiges außerstaatliches Informationsmedium über rechtsextreme Vorfälle aus Opfersicht.
Kommentar:
Die Ergebnisse im Bereich der Vernetzung sind insgesamt als gut zu bezeichnen. Es ist den
meisten Opferberatungsstellen (zumindest dort, wo personelle Kontinuität besteht) gelungen,
ein stabiles Netz an Kooperationspartnern aufzubauen, die im Prinzip auch zur Unterstützung
für die betreuten Klienten aktivierbar sind. Mit den beiden übrigen Struktursäulen des Programms wird eine meist intensivere Zusammenarbeit gepflegt, auch wenn es immer wieder
Gegenbeispiele gibt, bei denen die Zusammenarbeit nicht funktioniert (vgl. Kap. 4.2.5.3). Eine nachvollziehbare Distanz besteht zu den Teilen der öffentlichen Verwaltungen, die Kontrollfunktionen für die Klienten wahrnehmen (Ausländerbehörden, Polizei, Sozialamt), während zu anderen staatlichen oder kommunalen Institutionen meist gute Beziehungen existieren (zum Beispiel Staatsanwaltschaften, Ausländerbeauftragte). Das Netzwerk der Opferberatungsstellen geht insgesamt meist über den Kreis der zivilgesellschaftlichen Initiativen und
der ohnehin schon engagierten Institutionen bzw. Personen nicht hinaus. Hier ist zu fragen,
ob nicht weitere Anstrengungen eines Kontaktaufbaus gerade in Richtung der „Mitte der Gesellschaft“ erforderlich erscheinen. Wie bei der Durchführung der Erhebungen deutlich wurde, bestehen überdies meist nur schwache Kontakte zu den zentralen Landesbehörden und zu
Ministerien. Dazu ist zu fragen, ob in diesen Bereich in Zukunft nicht verstärkt Zeit für einen
Kontaktaufbau investiert werden sollte, denn die Opferberatungsprojekte sind auf Landesebene eindeutig noch zu wenig bekannt, was gerade bei den Bemühungen um weitere Kofinanzierungen einen Nachteil bedeutet. Um die bestehenden Kooperationsbeziehungen abzusichern und auf eine dauerhafte Basis zu stellen, erscheint außerdem zumindest bei größeren
Projekten die Einrichtung eines Beirats sinnvoll.
4.2.3 Förderung bzw. Stärkung der Selbstorganisation
Einige Opferberatungsstellen unterstützen auch die Selbstorganisation von betroffenen Akteuren bzw. Akteursgruppen, zum Beispiel indem sie Ressourcen für Vereinsgründungen bereitstellen. Typisch ist dabei, dass sich die jeweilige Opferberatungsstelle nach der von ihr
initiierten oder angeregten Gründung des Vereins bzw. der Initiative aus der aktiven Arbeit
zurückzieht, aber diese Vereine bzw. Initiativen nach ihrer Gründung weiter begleitet. Dies
geschieht einerseits für Jugendclubs aus dem Bereich der alternativen Jugendszene, mit denen
einige Opferberatungsstellen sehr eng zusammenarbeiten:
„A: Na, wir sehen unsere Aufgabe im Rahmen der Vernetzung also einmal darin sozusagen,
die Infrastruktur, die wir haben, also durch hauptamtliche Stellen, durch ein festes Büro und
finanzielle Mittel, anderen gerade ehrenamtlichen Strukturen jetzt in den verschiedenen Vereinen, Projekten, interessierten Leuten zur Verfügung zu stellen und sozusagen eine Schnittstelle zwischen denen zu bieten. Ich hatte ja das Beispiel der (...) Vernetzung gebracht. Also
wo sozusagen von ((Projektname)) das mit initiiert wurde, also durch die praktische Arbeit
von ((Projektname)) sind wir überall rumgekommen, haben überall in den Jugendclubs, in den
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
215
nichtrechten Jugendklubs ähnliche Probleme gesehen oder erkannt oder auch mit den Leuten
besprochen.
I: Welche Probleme sind das denn?
A: Na zum Beispiel Organisation und Durchführung von Veranstaltungen. (...) Oder dass sie
da selber ein bisschen überfordert sind als Ehrenamtliche, oder auch Unkenntnis eine Rolle
spielt. Oder auch überall in ((Region)) so eine rechte Hegemonie, teilweise eine extreme rechte Hegemonie. Überall also ähnliche Problemlagen, die von den Jugendlichen, also den Vereinen gekommen sind oder von ((Projektname)) quasi initiiert wurde, die könnten sich ja untereinander vernetzen. Wo ((Projektname)) am Anfang dann noch aufgrund der Infrastruktur
eine maßgebliche Rolle spielte, sich dann aber zurückgezogen hat, weil Jugendkulturarbeit ist
halt nicht unsere Hauptaufgabe. (...) Also die unterschiedlichen Ressourcen, die vorhanden
sind, werden dann quasi gebündelt, das sehen wir sozusagen als einen Sinn der Vernetzung.“
(b-OBS 2, 1396-1424)
Eine andere Opferberatungsstelle ist dabei, ein Netz von Basisinitiativen mit dem Ziel aufzubauen, sich „überflüssig zu machen“. Die Initiativen werden geschult, damit ihre Mitglieder
selbständig Hilfe bei rechtsextrem oder fremdenfeindlich motivierten Übergriffen anbieten
und leisten können:
„Das Ziel ist, uns überflüssig zu machen durch zwei konkrete Arbeiten. Einmal die Basisselbstorganisation, Initiativen zu initiieren. Verschiedene Selbstorganisationen zu initiieren.
Das ist uns ganz wichtig und das versuchen wir, so viel wie möglich zu machen überall, wo
wir sind. In verschiedenen Netzwerken. Wir machen auch Fortbildungen mit denen. Verschiedene Organisationen. (...) Wir sind dabei, in verschiedenen Bezirken, wo wir auch immer arbeiten, (...) so eine Elterninitiative zu gründen, deren Kinder alle angegriffen worden sind.
Dann haben wir in ((Ortsname)) so eine Selbstorganisation initiiert. Das ist die Frage, ob diese Initiativen dann langfristig sind. Das können wir nicht garantieren. Was wir nur machen
können, ist, solche Initiativen zu unterstützen oder zu initiieren. (...) Die rufen uns an und wir
haben eine lange Zeit Kontakt mit denen. (...) Aber wir ziehen uns dann zurück. Oder wenn sie
jetzt Fragen an uns haben, auch so fachliche Fragen, dann sind wir natürlich da.“ (b-OBS 6,
529-542, 565-583)
Das betreffende Projekt sieht im Aufbau dieses Netzwerkes neben der Beratung ein Hauptanliegen seiner Projektarbeit und schätzt die Erfolgsaussichten für das Erreichen dieses Ziels bis
zum Jahresende 2003 als gut ein. Dabei spielt allerdings eine wesentliche Rolle, dass das Projekt in einem großstädtischen Rahmen agiert, in dem es bereits eine ganze Reihe von entsprechenden Initiativen gibt:
„Dass wir viele solche Selbstorganisationen, Selbsthilfegruppen und Organisationen initiiert
haben und einige vielleicht auch schon angefangen haben, zu arbeiten. Das heißt, diese Stärkung basisdemokratischer Strukturen. Das wollen wir auf jeden Fall erreicht haben. Wo wir
dabei sind, das zu erreichen. Da sind wir auch ganz glücklich darüber, dass wir so weit sind.
Und ein breiteres Spektrum oder Netzwerk durch Zusammenarbeit mit verschiedenen Antirassismusorganisationen oder Antidiskriminierungsorganisationen, diesen Solidarisierungsprozess mit den Opfern zu initiieren. Das sind zwei Sachen, die wir gerne erreicht haben möchten. Wobei wir bei einem relativ sicher sind, dass wir das erreichen können. Und bei dem
Zweiten sind wir dabei, jetzt auch mit ((Verein)), die haben auch dieses Antidiskriminierungsnetzwerk gegründet. Da sind wir auch drin und mit denen arbeiten wir auch ganz eng zusammen. Weil, wie Sie wissen, in ((Stadtname)) ein großer Teil Menschen mit Migrationshintergrund türkischstämmig sind. Mit denen arbeiten wir zusammen und dabei diesen Solidarisierungsprozess mit den Opfern zu initiieren, wissen wir nicht, ob wir das erreichen können
bis Ende Dezember.“ (b OBS 6,589-601)
Die betreffende Opferberatungsstelle sieht ihre Aktivitäten zur Förderung von Selbstorganisation allerdings durch eine ganze Reihe von Faktoren behindert (vgl. b-OBS 6, 621-633).
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
216
Neben der eigenen Personalknappheit würden auch die zum Teil in der Initiativenlandschaft
bestehenden Konkurrenzgefühle gegenüber neuen Initiativen bzw. Netzwerken und der erhöhte Arbeitsaufwand für ein neues Netzwerk das Vorhaben belasten.
Kommentar:
Die Förderung bzw. Stärkung der Selbstorganisation von Betroffenengruppen oder im Rahmen einer „Gegenbewegung“ ist wichtig, aber nicht leicht umzusetzen. Die meisten Opferberatungsprojekte haben sich in diesem Beeich mit wechselndem Erfolg betätigt, wobei ein
städtischer Hintergrund die Arbeit offenbar bedeutend erleichtert. Fehlende Bereitschaft bzw.
mangelnde personelle Ressourcen behindern die Arbeit, Konkurrenzgefühle hemmen das
Fortkommen. Außerdem gibt es Aktivierungsprobleme gerade bei der Zusammenarbeit mit
Migranten. Dennoch ist dieser Bereich wichtig, da die entsprechenden Organisationen Teilaspekte der Arbeit der Opferberatungsprojekte übernehmen und vielleicht auch irgendwann
die Arbeit für ihre Mitglieder ganz übernehmen könnten.
4.2.4 Sensibilisierung für das Problemfeld durch Öffentlichkeitsarbeit
Sensibilisierung zielt auf die Erzeugung von Problembewusstsein und Handlungsbedarf im
Hinblick auf die Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen wollen durch eine gezielte fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit für die Belange und Lebensumstände der Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten sensibilisieren und versuchen dadurch in der (lokalen) Öffentlichkeit Empathie zu erzeugen und Engagement zu wecken. Sie leisten dabei auch eine Lobbyarbeit für Betroffene rechtsextremer
Gewalt. Wichtigster Grundsatz ist auch hier, dass eine fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit nur
mit Zustimmung der Betroffenen in die Wege geleitet wird. Medien dieser Öffentlichkeitsarbeit sind üblicherweise Pressemitteilungen, zum Teil auch Pressegespräche oder Interviews.
Außerdem wird von den Opferberatungsstellen in der Regel eine Chronik rechtsextremer Angriffe geführt und im Internet veröffentlicht, um dadurch auf das Ausmaß der Gewalt aus Opfersicht aufmerksam zu machen.
Einige Opferberatungsstellen thematisieren darüber hinaus allgemeine politische Zusammenhänge, die die Lebensumstände der Betroffenen beeinflussen und als mitverantwortlich für
die Taten angesehen werden, zum Beispiel die durch die Asylverfahrensbestimmungen hervorgerufenen Lebensumstände der Migrantenbevölkerung oder Phänomene von Alltagsrassismus. Dabei werden neben der üblichen Pressearbeit auch andere Vorgehensweisen eingesetzt, die stärker aktivierend orientiert sind (also zum Beispiel Kampagnen, öffentliche
Kundgebungen oder die Mitwirkung bei der Organisation von Demonstrationen).
Außerdem führen die meisten Opferberatungsstellen Informations- und Aufklärungsveranstaltungen zur Situation der Betroffenen aus der Opferperspektive durch, zum Beispiel in
Schulen oder in anderen öffentlichen Einrichtungen:
„Also prinzipiell richtet es sich danach, was die Leute wollen, welches Angebot sie in Anspruch nehmen wollen. Und das ist dann einmal eine fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit, Pressemeldungen oder Pressearbeit gibt es konkret zu einem bestimmten Fall. Oder was, das ist
aber eher die Ausnahme, weil eben das wenige wollen, findet das halt allgemeiner statt, also
dass wir jetzt die dokumentierten Übergriffe oder Aktivitäten veröffentlichen oder Journalisten
zur Verfügung stellen. Und dass wir allgemein sozusagen anhand der analysierten Beispiele
quasi die Situation darstellen. Und dann Öffentlichkeitsarbeit auf einer anderen Ebene, dass
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
217
wir durch Veranstaltungen, also Aufklärungsveranstaltungen bzw. Informationsveranstaltungen, einmal zur Situation der Betroffenen, also aus der Opferperspektive heraus zu argumentieren versuchen. Und auf der anderen Seite, dass wir halt zu Rassismus oder Rechtsextremismus (...) also ganz profan unsere Arbeit als Veranstalter machen.“ (b-OBS 2, 1243-1256)
Die zentralen Handlungsstrategien changieren sowohl bei der fallbezogenen wie bei der thematisch ausgerichteten Öffentlichkeitsarbeit situationsbedingt und interessengeleitet zwischen Information/Aufklärung und Konfrontation/Skandalisierung. Dadurch soll die Öffentlichkeit für das Problem „Rechtsextremismus/Rassismus“ sensibilisiert und Handlungsdruck
erzeugt werden.
Von den befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit nach eigener Darstellung das Hauptaugenmerk auf die Veröffentlichung sachlicher und
durch Recherchen belegbarer Informationen gelegt, wobei aber auch dies in der Wahrnehmung der Rezipienten als „skandalisierend“ empfunden werden kann:
„Skandalisierend wird es meistens von der Seite empfunden, die sich angegriffen fühlt. (...)
Und zum anderen gebietet das auch unsere eigene Seriosität. Also dass wir da uns einmal
rechtlich absichern müssen und da keinen Unfug behaupten können. Und zum anderen, das
auch nicht unsere Ebene ist. Also wir veröffentlichen nichts, was nicht recherchiert wurde oder was nicht belegbar ist. Ob die Quelleninterpretation, also unsere Quelleninterpretation
immer die gleiche ist wie die der anderen Seite, das ist was anderes. Also so gesehen bemühen
wir uns, immer sachlich zu bleiben.“ (b-OBS 2, 1357-1369)
Bei durch Öffentlichkeitsarbeit ausgelösten Konflikten liegt der Dissens nach Darstellung eines Interviewpartners in der Beurteilung der Sachlage. Es handelt sich also letztlich um (interessengeleitete) unterschiedliche Wahrnehmungen ein und desselben Sachverhalts bzw. Problems, in aller Regel um umstrittene Ausprägungen von Rechtsextremismus:
„Oder einfach, dass gesagt wird: das stimmt nicht, oder das ist eine Überspitzung des Problems und das ist imageschädigend für unsere arg gebeutelte Region. Rassismus gibt es überall, auch in anderen Ländern und solche Allgemeinplätze, die manchmal vielleicht gar nicht
böse gemeint sind, aber einfach von viel Unwissenheit und Unkenntnis zeugen. So eine Bunkermentalität kommt häufig vor. Also dass diese Befürchtung, dass wenn wir dieses Thema
jetzt thematisieren, dass das Problem schon eine Nestbeschmutzung ist und schlecht für uns
ausgeht und für die Region. Die kann teilweise ausgeräumt werden, die Befürchtung, das machen ja auch viel gerade diese mobilen Beratungsteams, also gerade in diesem Bereich. Oder
manchmal kann es halt auch nicht ausgeräumt werden. Und je nachdem wie prägnant uns das
dann scheint, also wenn es von mir aus ein Ort ist, wo die rechte Szene gesellschaftlich mehr
oder weniger anerkannt ist oder teilweise auch unterstützt wird und es dann noch eine ganze
Reihe Übergriffe gibt, dann können wir uns natürlich nicht mehr damit zufriedengeben, wenn
der Bürgermeister partout das Problem nicht als solches erkennen möchte. Dann sehen wir
das als unsere Aufgabe, das öffentlich zu machen. Wenn das jetzt eine einmalige Sache ist,
dann kann man immer nochmal anders damit umgehen. (...) Oder dass teilweise den Betroffenen deren Wahrnehmung abgesprochen wird, also dass das nicht stimmt, also dass teilweise
den Betroffenen vorgehalten wird, die tun die Nester beschmutzen und das skandalisieren, also lügen quasi. Aber auf uns jetzt direkt bezogen eine Reaktion, die gibt es dann eigentlich
nicht so häufig. Oder vielleicht waren wir noch nie kontrovers genug, das kann auch sein. (...)
Also immer eine unterschiedliche Wahrnehmung.“(b-OBS 2, 1331-1388)
In Streitfällen mit öffentlichen Einrichtungen, was die Wahrnehmung bzw. Bewertung bestimmter Fakten anbetrifft, wird mittlerweile häufig zum „kleinen Dienstweg“ gegriffen, also
das persönliche Gespräch gesucht oder die Vermittlung von anderen Personen in Anspruch
genommen, um den Konflikt bzw. das Problem aus der Welt zu schaffen:
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
218
„Das waren insbesondere zwei Dinge, wo Flüchtlinge, die im Heim lebten, keine Sozialhilfe
mehr bekamen. Und da haben wir sehr viel Öffentlichkeitsarbeit mit denen gemacht, was dann
sozusagen als, ich sage es mal so leicht, als Frevel, also so hingestellt wurde, als würden wir
die Sozialbehörden in ((Ortsname)) verunglimpfen und sie machen sehr viel für Flüchtlinge.
Ja. Das mussten wir wieder klarstellen. (...) Das war 2002. Und da gab es jetzt, dieses Jahr,
einige Gespräche. Und dann habe ich auch eigentlich geguckt, dass ich bei jedem Problem,
das wir nicht bewältigen können, sofort mit der Ausländerbeauftragten Kontakt aufgenommen
habe und das läuft, denke ich, jetzt ganz gut. (...) (Das) hat sie auch sofort gesagt, das wäre
ihr auch..., das war das, was sie auch sehr negativ fand an dem vergangenen Jahr. Mit den
Problemen umzugehen, was da so an Problemen war. Und das habe ich dann auch gleich
wahrgenommen und das hat geklappt.“ (b-OBS 12 I, 342-363)
Ein skandalisierendes Vorgehen wird aber in der Regel als letzte Möglichkeit im Repertoire
angesehen, wenn alle anderen Möglichkeiten versagt haben, auf die betreffenden Sachverhalte bzw. Vorfälle aufmerksam zu machen. Dabei wurden aber in den Interviews immer wieder
Lerneffekte bei den beteiligten Berater/innen deutlich. Es wird intensiver als früher abgewogen, ob ein skandalisierendes Vorgehen sinnvoll ist oder ob es nicht eher die Fronten verhärtet, eventuell auch kontraproduktive Wirkungen erzielt:
„A 1: Also es gab Provokation. Aber das ist halt die Frage, ob wir das heute immer noch so in
dem Sinne machen würden. (…) Wir würden da lange darüber diskutieren und würden sehr
abwägen. Welchen Zweck wir damit erreichen wollen. Also da hat sich schon vieles weiterentwickelt. (...) Ich denke so und so, dass wir in unserer Pressearbeit also nicht vorsichtiger
geworden sind, sondern wesentlich… Also eher dieser Moment, dass wir gemeinsam überlegen: ‚Wo macht es Sinn? Wo ist es sinnvoll?’, das sich das verstärkt hat. Als relativ schnelle
Reaktionen auf irgendetwas. Sondern dass wir schon wesentlich mehr überlegen, also mit der
Zeit, mit den Jahren, welchen Zweck wollen wir damit verbinden? (…)
I: Das heißt im Prinzip, dass die ‚Stilmittel’, also Skandalisierung, Provokation, zwar immer
noch mit im Repertoire sind, aber seltener eingesetzt werden?
A 1: Ja, dass sie gezielter eingesetzt werden, höchstens. Sparsamer. (...)
A 2: Ja, oder wenn absehbar ist, dass sich absolut überhaupt nichts bewegt, also dass die sozusagen alles mögliche versucht haben. Und dann ist es mitunter so ein letztes Mittel. So ein
Skandal kann natürlich auch bewirken, dass sich in der Kommune was bewegt. (…) Also auch
mal was zu skandalisieren, da eine große Bombe platzen lassen. Aber dann muss eine bestimmte Zeit vergehen.“ (b-OBS 14, 1590-1773)
Eine zentrale Frage ist, ob die von den Opferberatungsstellen vorbereiteten und durchgeführten Veranstaltungen überhaupt eine breite Öffentlichkeit erreichen. Nach Aussagen eines Beraters kommen Begegnungsfeste in der Bevölkerung gut an, während Tagungen meist nur das
jeweilige Fachpublikum erreichen (das sich meistens vorher schon kennt) und von der breiten
Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden:
„Also, was mehr so Marke Begegnungsfest ist, kommt gut an bei der Bevölkerung. Bei den
Tagungen kann ich es bisher nicht sagen, weil die erste kommt erst, die ich gemeinsam mache.
Aber meine Erfahrung von den andern Tagungen, die ich nicht als Opferberater mitgemacht
ist, dass man ziemlich im eignen Saft schwimmen bleibt. Also, hauptsächlich werden Leute
angesprochen, die sowieso interessiert am Thema sind und da mit arbeiten. Ist mehr ein Stück
weit auch Weiterbildung und Austausch für die Leute, die sowieso (engagiert) sind. Da ist von
außen wenig bis kaum Resonanz aus meiner Erfahrung gewesen. Ich erwarte auch nicht wirklich, dass sich das jetzt ändert.“ (b-OBS 20, 929-936)
Ein anderer Berater zieht ein skeptisches Fazit der von dem eigenen Projekt durchgeführten
Öffentlichkeitsarbeit. Der Anspruch, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, sei nicht umgesetzt worden. Zum Teil hätten die Medien Pressemitteilungen nicht gebracht – ein Grund-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
219
problem aller Opferberatungsstellen –, so dass die Veranstaltungen nicht breit wahrgenommen und besucht wurden, zum Teil habe man es im Projekt nicht geschafft, systematisch
Kontakte zu Pressevertretern aufzubauen, da die dafür zuständigen Mitarbeiter/innen häufig
gewechselt hätten und zum Teil nicht kontaktfreudig genug gewesen seien:
„A: Teilweise sind die Veranstaltungen darauf ausgelegt, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Eine Veranstaltung, die wegen einem polizeigewaltlichen Angriff oder Diskriminierung
war, das war eine Straßenaktion. Diese Kundgebung, die auf der Straße war, das sind Sachen,
die natürlich eine breite Öffentlichkeit ansprechen sollen, die erstmal einfach zum Mitmachen
und Hingehen potentiell Interessierte oder zumindest aufmerksame Menschen ansprechen sollen, ich nenne sie liberale Öffentlichkeit. Solche Veranstaltungen haben den Charakter und
haben das Ziel, deutlich über Menschen, die im Antirassismus- oder GegenRechtsextremismus-Bereich tätig sind, zu mobilisieren und aufzuklären. Den Anspruch haben
die auf jeden Fall. (...) Dahingegen hat diese Broschüre, die wir regelmäßig mit herausgeben,
den Charakter, schon potentiell interessierte Menschen aufzuklären und zu informieren darüber, was denn wirklich passiert.
I: Würden Sie sagen, der Anspruch, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, der wird auch erreicht?
A: Nein.
I: Wie kommt das?
A: Man kann zwei große Thesen aufstellen. Es wird von der Presse nicht aufgegriffen, die es
dann ja doch weitertragen müßte. Oder wir sind so schlecht, dass es niemand wahrnimmt.
Doch nochmal konkret an den Fällen, die wir hatten: Ich denke, dass die Presse hier sehr,
sehr schlecht aufgreift. (...) In ((Region)) und in ((Region)) ist es etwas besser. Es gab letztes
Jahr eine Veranstaltung, das war in dem Ort über Wochen Thema, wo es um rechtsextreme
Angriffe ging, wo wir eine Demonstration mitorganisiert haben. Das wurde von einer breiten
Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert und debattiert. Insofern haben wir in ((Ortsname)) und in ((Ortsname)) Veranstaltungen, die eher verpuffen. Was aber nochmal dieser andere Part ist, wir sind so schlecht: Was ((Projektname)) denke ich, versäumt hat oder nicht
richtig gewährleistet hat, ist kontinuierliche Ansprechpartner/innen bei der Presse zu haben.
Menschen zu gewinnen, die man auf dem kurzen Draht anrufen kann (...). Das ist ein Teil der
Erklärung, ein anderer Teil ist vielleicht, dass es den Personen, die jetzt hier sind, auch etwas
schwierig fällt in dem Bereich Kontakteknüpfen. Darunter leidet leider an der Stelle das Projekt.“ (b-OBS 13, 715-745)
Kommentar:
Die Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiges Tätigkeitsfeld im Rahmen der Bemühungen zur
Sensibilisierung der Öffentlichkeit und zur Erzielung präventiver Effekte. Sie wird in der Regel fallbezogen betrieben, einige Opferberatungsprojekte führen darüber hinaus eine thematisch orientierte Öffentlichkeitsarbeit durch, bei der Themen angesprochen werden, die die
Lebensbedingungen der Hauptzielgruppen betreffen, zum Beispiel die Gutscheinregelung bei
Asylbewerbern. Zum Teil ergibt sich daraus die Mitwirkung bei Kundgebungen, Demonstrationen oder Kampagnen, mit denen auf bestimmte Tatbestände, die als diskriminierend angesehen werden, aufmerksam gemacht werden soll. Dabei zeigt sich immer wieder ein Grundkonflikt der Opferberatungsstellen. Obwohl sie nach eigener Darstellung sachlich bzw. faktenorientiert berichten, erfolgt die Aufnahme ihrer Botschaften kaum, die Presse veröffentlicht die Pressemitteilungen nicht oder wenn doch, reagieren die angesprochenen Behörden
gar nicht oder gereizt. Der anvisierte Zweck wird jedenfalls über den Weg der Öffentlichkeitsarbeit zum Teil nicht erreicht.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
220
Zum Teil ist dieser strukturelle Konflikt sicher den Rahmenbedingungen geschuldet, unter
denen die Opferberatungsstellen weiterhin vielfach tätig sind: Rechtsextremismus wird geleugnet, weil er als Imageproblem gilt. Zum Teil ist er aber auch Ausdruck einer Grundhaltung vieler Mitarbeiter/innen von Opferberatungsstellen: Man sieht sich im Besitz der Wahrheit (die Anderen sind immer im Unrecht), man will diese unbedingt thematisieren und macht
sich dabei über die Kommunikationspartner keine Gedanken, denn es geht ja um die Opfer
und um die eigene richtige, gute Sache. Auf diese Weise wird die Kommunikation zu den
Personen(gruppen), die man doch eigentlich erreichen will bzw. von denen Verhaltensänderungen gewünscht werden, nicht selten belastet. Es kommt zum Zusammenstoß und zum
Kontaktabbruch. Neuansätze sind im Interviewmaterial aufgezeigt worden: Wenn Bedarf gesehen wird, es also Gesprächsbedarf wegen Dienstverletzungen etc. gibt, erst einmal den
‚kleinen Dienstweg’ beschreiten, also Gespräche suchen und dabei geräuschlos und ‚hinter
den Kulissen’ im Sinne der Opfer tätig sein und nur im Ausnahmefall in die Öffentlichkeit
gehen, nicht mit Öffentlichkeit drohen und Skandalisierungen nur im Ausnahmefall und dosiert einsetzen, so könnte man diese abgestufte Strategie beschreiben, zu der viele Opferberatungsprojekte auf Grund eigener Erfahrungen inzwischen gefunden haben.
4.2.5 Kommunale Interventionen
4.2.5.1
Begriff/Kriterien/Voraussetzungen/Zielsetzungen
Durch Impulse zur Mobilisierung bzw. Aktivierung versuchen Mitarbeiter/innen einiger Opferberatungsstellen im Rahmen fallbezogener Interventionen im kommunalen Raum Engagement und Handlungspotential zur Unterstützung der Opfer und damit gegen rechtsextreme
Akteure zu erzeugen. Der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken (siehe oben) kann in eine
längerfristige kommunale Intervention (meist in Zusammenarbeit mit dem Mobilen Beratungsteam) münden, wenn sich Gewalttaten in einer Kommune häufen oder wiederholen. Bei
den meisten Opferberatungsstellen haben sich derartige regionale Tätigkeitsschwerpunkte
herausgebildet. Dabei handelt es sich in der Regel um Kommunen bzw. Regionen, in denen
es eine Häufung rechtsextrem motivierter Angriffe bzw. entsprechende Sachbeschädigungen
oder Schmierereien gab.
Die kommunale Intervention ist für einige Opferberatungsstellen gewissermaßen die Endform ihres Handlungsansatzes, in der sich Beratung und politische Intervention miteinander
verbinden: „Beratung von rechter Gewalt ist eben nicht ‚nur’ die professionelle individuelle
Beratung, sondern es ist gleichzeitig auch eine politische Intervention im kommunalen Kontext. Und das muss es sein, das ist ganz eng miteinander verknüpft.“ (b-OBS GD, 74-77) Dies
geschieht in der Regel fallbezogen: „Wir machen fallbezogene Intervention, wir machen keine Intervention der Intervention wegen, sondern es ergibt sich aus der Beratung der Opfer
rechter Gewalt, dass da eine Möglichkeit ist, die aber systematisch angelegt ist aufgrund der
Ursache des Angriffs, dass sich daraus eine Intervention ergeben kann.“ (b-OBS GD, 202205)
Voraussetzung für den Beginn einer kommunalen Intervention ist die Einwilligung und die
Mitarbeit der Betroffenen, denn für die Opferberatungsstellen ist die Verbesserung der individuellen Situation des jeweiligen Opfers oberster Grundsatz. Ohne Einwilligung oder wenn
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
221
die Intervention die Lage der Betroffenen zu verschlechtern droht, findet keine Intervention
statt:
„Der Kern ist im Grunde genommen, die Opfer darin zu unterstützen, dass sich ihre Situation
verbessert. Und das ist manchmal eben auch eine Intervention in der entsprechenden Kommune, manchmal aber eben auch nicht, weil einige Leute wollen dann weggehen oder wollen in
der Kommune gar nichts anrühren. Es geht ja nicht um die Unterstützung um der Unterstützung willen, sondern erreicht werden soll ja, dass es den Leuten, wenn sie es denn auf einer
individuellen Ebene wollen, besser geht, und wenn sie das gesellschaftliche Umfeld miteinbezogen haben wollen, dann muss es miteinbezogen werden.“ (b-OBS GD, 175-183)
Weitere Voraussetzungen sind neben der besonderen Schwere des Angriffs und der Einwilligung der Betroffenen die Existenz von Kontaktpartnern in der betreffenden Kommune:
„A 1: Also erstens ist wichtig: Was war es für ein Angriff? Was möchten die Betroffenen? Das
hat also absolute Priorität. Viele wollen auch gar keine Öffentlichkeit. Viele wollen den Prozess überstehen und für sich selber wieder eine neue Lebensperspektive entwickeln und für die
ist es eher hinderlich, damit eine öffentliche Auseinandersetzung anzutreten. Als erste Priorität. Dann muss man natürlich in den Orten auch immer ein Gegenüber haben!
I: Einen Ansprechpartner.
A 2: Mit dem man irgendwie agieren kann.
I: Einen Kooperationspartner.
A 2: Ja, genau. Man muss irgendwie Leute finden, wenigstens eine Person finden, mit der man
gemeinsam ein Konzept entwickeln kann und die auch die lokale Struktur kennt.“ (b-OBS 14,
1003-1018)
Die Einleitung einer kommunalen Intervention ist außerdem an die vorhandenen personellen
Ressourcen der Berater/innen gebunden. Je stärker sie sich um Individualberatung kümmern
müssen, desto weniger Zeit bleibt für kommunale Interventionen:
„Es ist, glaube ich, nicht so ganz Konsens bei uns aber in der Tendenz schon, dass wir das
auch so sehen: je mehr Angriffe es hat, je weniger Wert kannst du auf Intervention legen. Und
da werden dann - nicht immer, es kommt immer darauf an, was man am Laufen hat - da werden in der Regel dann die Abstriche gemacht. Wenn du plötzlich innerhalb einer Woche fünf
neue Angriffe hast, du hast halt nur ein Team aus soundsoviel Leuten, und du hast den Anspruch, dass - was wir wichtig finden - dass die Beratungsgespräche zu zweit stattfinden, dann
ist das Team einfach eine Woche beschäftigt durch diese Angriffe, und dann haben bestimmte
Termine zu leiden, wo du versucht hast, irgendwelche Termine mit Bürgermeistern oder mit
irgendwelchen örtlichen Honoratioren oder mit der örtlichen Antifa oder sonstwas zu machen,
gemacht hast. Das ist das Problem an sich.“ (b-OBS GD, 346-356)
Ziel der kommunalen Interventionen ist der Aufbau einer Gegenbewegung gegen Rechtsextremismus und die Veränderung des lokalen Klimas. Sehr wohl bewusst ist den beteiligten
Akteuren dabei die Gefahr der Instrumentalisierung der Opfer für eigene politische Zwecke,
die durch die ständige Kontrolle der eigenen Tätigkeit an den Bedürfnissen der Betroffenen
vermieden bzw. ausgeschlossen werden soll:
„Was ein bisschen das Problem ist, was wir zumindest in ((Name des Projekts)) immer mal
wieder diskutieren mussten oder müssen, ist dass es auch eine gewisse Gefahr gibt, Opfer zu
instrumentalisieren, für eigene politische Interessen zu instrumentalisieren. Insofern dass
man, als Beispiel, jetzt zum fünften Mal in einer Kommune einläuft, wo etwas passiert ist, und
zum fünften Mal erlebt, dass sich keine Sau darum kümmert und niemand ansprechbar ist. Da
könnte man versucht sein, wenn man da jetzt jemanden hat, ich mache es jetzt mal ein bisschen zugespitzt, der sich gut für eine Öffentlichkeitsarbeit einsetzen ließe, zu sagen, man instrumentalisiert dieses Opfer, um es einfach in der Kommune mal zu thematisieren und, mög-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
222
lichst auch mit Pressearbeit verknüpft, Druck auf diese Kommune auszuüben, damit da überhaupt mal was in Bewegung kommt. Es wurde in der Form noch nie gemacht, es ist wie gesagt
sehr überspitzt, aber das sind Gefahren, die immer da sind, wo ich zumindest sagen würde, die
schwingen da mit in dem ganzen Ansatz, und die muss man immer reflektieren. Dass man immer genau guckt, was sind das für Opfer, was sind die Bedürfnisse von den Betroffenen, und
was wollen die. Ist eine Intervention mit denen zu machen oder nicht, wollen sie es, brauchen
sie es.“ (b-OBS GD, 206-222)
4.2.5.2
Verläufe
Der Idealverlauf einer kommunalen Intervention sieht dabei in der Theorie so aus, dass ein
Betroffener rechtsextremer Straf- und Gewalttaten den Angriff in die Öffentlichkeit bringt,
sich mit anderen Betroffenen und Unterstützern zusammentut und politisch aktiv wird und
zur Moderation dieses Prozesses die Unterstützung der Opferberatungsstelle anfordert.
„Ich würde das auch so sehen, dass wir über die Betroffenen erstmal die Zugänge in die
Kommunen kriegen, dass wir ja nicht von Anfang an in irgend eine Kommune gehen und voraussetzen, da gibt es Betroffene. Für mich gestaltet sich das immer als Idealfall, wenn man in
einer Kommune oder in einem kleineren Ort einen Betroffenen hat, der dann möglicherweise
auch noch bereit ist, Öffentlichkeit zu machen oder auch noch andere kennt, die angegriffen
worden sind und die sich dann miteinander solidarisieren und vielleicht auch individuelle Unterstützungskonzepte für sich entwickeln. Und dann auch noch an politisch Verantwortliche
heranzugehen oder an Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren, dann finde ich das
genau bis zum Ende durchgespielt, was wir miteinander verknüpfen wollen. Aber ich habe den
Eindruck, das passiert relativ selten, dass man tatsächlich dann in jedem Einzelfall diese Verknüpfung mit der Kommune und diesem ganzen Schwanz an Organisation, Gesprächsführung,
Einbinden von Menschen, Sensibilisierung von unterschiedlichen Gruppen füreinander,
Bündnisarbeit, alles in jedem Fall wirklich bis zum Ende durchspielen kann. Da gibt es nur
ein paar exemplarische Gemeinden, wo das funktioniert.“ (b-OBS GD, 122-137)
Dieser obige „Idealverlauf“ ist aber nach Darstellung mehrerer Berater/innen in der Realität
bisher kaum eingetreten, sieht man einmal von einigen wenigen exemplarischen Kommunen
ab. In der Realität der praktischen Arbeit sind die Opferberatungsstellen bei ihren kommunalen Interventionen auf eine ganze Reihe von Hindernissen gestoßen, die deren Umsetzung erschweren bzw. häufig unmöglich machen:
„Ich habe da einen ganz speziellen Fall vor Augen, wo das im Moment für uns drängt, es ist
ganz wichtig, da in der Kommune was zu machen, weil alle Nase lang passieren irgendwelche
Übergriffe, die Leute reden nicht mehr darüber, die schweigen das tot, die Betroffenen selber
erstatten keine Anzeige, die lassen sich noch nicht mal ihre Sachbeschädigung von der Versicherung bezahlen, weil das sowieso alles keinen Zweck hat, weil nächste Woche die Schaufensterscheibe wieder eingeschlagen ist. Die Initiative von uns geht immer in die Richtung,
Leute zu finden, die man dafür sensibilisieren kann, die man damit konfrontieren kann, die
sich dann auch mal äußern dazu, und wir nicht von außen kommen und sagen: ‚In eurem Ort
passiert das’. Im Moment ist das eine ewige Kleinarbeit. Für mich ist es total wichtig, das zu
tun, um denen auch eine Lobby zu verschaffen und auch die Perspektive der Betroffenen dort
ins Zentrum zu rücken, aber es funktioniert nicht immer.“ (b-OBS GD, 139-151)
Auch in einer anderen Opferberatungsstelle werden die bisherigen Ergebnisse bei den kommunalen Interventionen eher als wenig erfolgreich angesehen:
„Grundsätzliche Probleme bei der lokalen Intervention. Also, wir haben Städte wo was passiert und wir schon ausgehend von Angriffen auch was über die Beratung der einzelnen Betroffenen hinaus wir auch was machen: Mit Leuten reden, (...) oder Öffentlichkeitsarbeit oder
so. Da fehlen mir jetzt bisschen die Erfolge.“ (b-OBS 11, 54-57)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
223
Aus dem Interviewmaterial lassen sich zusammenfassend einige Begründungen für die aus
Sicht vieler Mitarbeiter/innen nicht selten fehlenden Erfolge und enttäuschenden Verläufe
kommunaler Interventionen herausarbeiten:
a) Die Betroffenen verhalten sich nicht so, wie dies für eine kommunale Intervention erforderlich wäre. Sie scheuen aus Angst vor weiteren Angriffen die Öffentlichkeit, verweigern
die Anzeigeerstattung oder zeigen aus anderen Gründen kein Interesse, so entziehen sie einer
möglichen kommunalen Intervention die Grundlage.
b) Die Opferberatungsstellen finden keine Unterstützung in den betreffenden Kommunen, das
heißt, es gelingt nicht, im Bereich der vor Ort tätigen zivilgesellschaftlichen Initiativen Unterstützer/innen zu rekrutieren, weil es diese Initiativen, die potentiell ansprechbar wären, oftmals gar nicht gibt.
c) Die Lokalpolitik und/oder die örtliche Presse (vor allem der Bürgermeister) verhalten sich
ablehnend, so dass die für eine kommunale Intervention notwendige Öffentlichkeit nicht hergestellt werden kann.
d) Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen agieren provokativ, setzen stark auf konfrontative Strategien und verursachen dadurch eine Blockade oder einen Abbruch des Prozesses.
e) Die Zusammenarbeit mit dem MBT funktioniert nicht wegen mangelnder Absprachen, der
Provokationsstrategie der Opferberatungsstellen, oder die Opferberatungsstelle wird von
vornherein vom Mobilen Beratungsteam an dem betreffenden Beratungsprozeß nicht beteiligt.
Die Misserfolge bei den kommunalen Interventionen sind darüber hinaus von den hohen Erwartungen der Mitarbeiter/innen beeinflusst, wozu überdimensionierte Zielsetzungen und unklare Umsetzungsstrategien zusätzlich beigetragen haben dürften:
„Ich habe eher die Misserfolge auf dieser politischen Ebene, dass ich da viel eher an meine
Grenzen komme, der Möglichkeiten Einfluß zu nehmen und dann da scheitere. Eher an meinen
Erwartungen und meinen Plänen scheitere und dadurch sich ein Misserfolg einstellt als an
dem, was real wirklich möglich ist.“ (b-OBS GD, 1141-1144)
Bei der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Interventionen spielen jeweils auch unterschiedliche Kontexte eine Rolle. Im ländlichen Raum werden sie offenbar
von Betroffenen eher nachgefragt als in Städten, wo es nach Darstellung der befragten Person
häufiger Gruppenstrukturen gibt, die die Opfer im Krisenfall auffangen können:
„Ich habe gerade überlegt, ob zum Beispiel dort mehr Interventionsbedarf von den Betroffenen selbst signalisiert wird, wenn sie sich recht alleine fühlen, sei es irgendwelche jugendlicheren Leute, die irgendwo auf dem Land oder in einer Kleinstadt leben und dort recht alleine
sind und dann natürlich, nachdem sie zum zehnten Mal auf die Fresse bekommen haben, natürlich wollen, dass das endlich aufhört, möglichst auch ohne dass sie weggehen wollen, obwohl das oft die zwangsläufige Konsequenz daraus ist. Oder auch bei Flüchtlingen, die per se
schon marginalisiert sich in dieser Gesellschaft befinden. Bei Leuten, die in einer größeren
Stadt leben und angegriffen wurden, haben wir das selten, dass die mehr als diese Unterstützung wollen, zum Beispiel einen BAW-Antrag zu stellen oder beim Rechtsanwalt-Suchen helfen usw. Dass sich aus so einer Gruppenzugehörigkeit oder einem Umfeld, das da ist, dass
sich dadurch eine Sicherheit - das brauche ich wohl gar nicht als These aufzustellen wenn ich
das so erzähle - Sicherheit auch durch eine Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, und die
vielleicht auch Schutz geben kann, dass da vielleicht das Gesamte etwas unwichtiger er-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
224
scheint, sondern mehr als etwas hingenommen wird, was nunmal passiert.“ (b-OBS GD, 296312)
Einzelne Opferberatungsstellen engagieren sich darüber hinaus (meist an ihren Standorten)
im Rahmen von „Runden Tischen“, kriminalpräventiven Räten etc. längerfristig im kommunalpolitischen Bereich, um dort die Anliegen der Betroffenen bzw. die Opferperspektive zu
vertreten und Lobbyarbeit für die Betroffenen zu leisten.
4.2.5.3
Zusammenarbeit mit Mobilen Beratungsteams
Neben der Öffentlichkeitsarbeit und der Tatsache, dass einige Opferberatungsstellen ebenso
wie die Mobilen Beratungsteams Aufklärungsveranstaltungen zu Rechtsextremismus und
Rassismus anbieten (vgl. b-OBS 2, 1646-1652), liegt der Schwerpunkt der Zusammenarbeit
zweifellos im Bereich der kommunalen Intervention.
Die Quantität und Qualität der Zusammenarbeit zwischen Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen ist unterschiedlich und kann von Regionalbüro zu Regionalbüro variieren.
Als Begründungen wird wiederholt der häufige Personalwechsel bei den Mobilen Beratungsteams angeführt. Zum Teil waren auch die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit nicht
gegeben, zum Beispiel wegen mangelndem Interesse an der Arbeit des Mobilen Beratungsteams durch die betreffende Kommune:
„Das ist bei uns regional unterschiedlich. In dem westlichen Teil läuft es total gut und auch
im nördlichen Teil wird es besser. Leider ist es im Osten..., ich kann nicht sagen, dass es
schlecht läuft, es läuft eher gar nicht. Wir treffen uns regelmäßig und reden über bestimmte
Dinge, aber durch die Nichtbesetzung des einen Büros für eine ganze Weile und diesen ständigen Personalwechsel war es doch schwierig, eine Basis und ein Zusammenarbeiten hinzukriegen. Es gab einfach auch nicht viele Fälle, wo eine klassische Zusammenarbeit sich anbot.
Wir hatten auch viele Fälle, wo die Voraussetzungen für das MBT nicht da gewesen wären,
dass zum Beispiel dieses Interesse aus der Kommune kommt und unsere MBTs arbeiten ja nur
auf Anfragen einer Kommune.“ (b-OBS GD, 428-437)
Nach Darstellung eines MBT-Mitarbeiters können sich die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche durchaus fruchtbar ergänzen, so dass in seinem Tätigkeitsfeld eine weitgehend störungsfreie Zusammenarbeit mit der dort zuständigen Opferberatungsstelle besteht. Die Aufgabe der
Opferberatungsstelle in kommunalen Interventionsprozessen sei primär die Betreuung/Begleitung von Opfern, „natürlich genauso mit Gesprächen und einer Partnersuche in
Kommunen wie wir sie machen, die Partnersuche ist ja ausschlaggebend, da muss man sich
halt absprechen und sagen, wenn es in den Bereich von Runden Tischen, Fortbildungsveranstaltungen, Überprüfungen von Qualitäten in der Jugendsozialarbeit, Jugendclubs, Begleitung
usw. geht, das ist eher unser Bereich, so versteh ich den Arbeitsauftrag über das Ministerium.“ (c-OBS A, Koop 5)
In Einzelfällen wird aus Sicht der Opferberatung von persönlichen Vorbehalten gegenüber
einzelnen Mitarbeiter/innen von Mobilen Beratungsteams berichtet (b-OBS 2, 1581-1586).
Ein weiteres Argument, das zum Teil auftaucht und eine Distanz zwischen einigen Opferberatungsstellen und einigen Mobilen Beratungsteams begründet, ist die Einschätzung der Opferberatungsstelle, die Mobilen Beratungsteams arbeiteten eher mit Institutionen bzw. Verwaltungen zusammen und weniger mit Initiativen, wie es die Opferberatungsstellen tun:
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
225
„A: Dieses Mobile Beratungsteam vom ((Träger)). Mit denen arbeiten wir sehr eng zusammen. Und ((Projektname)) arbeiten wir punktuell zusammen. Ich muss sagen, da gibt es bis
heute keine ganz enge Zusammenarbeit.
I: Wie kommen diese Unterschiede zustande?
A: Ich glaube, die Unterschiede sind… Einmal ist natürlich diese Antipathie und Sympathie,
wenn man mit Menschen arbeitet, das kann man nicht vermeiden. Mit bestimmten Menschen
arbeitet man lieber als mit bestimmten anderen. Das ist immer da. Aber ich denke, das ist
nicht der einzige Grund. Der andere Grund ist, glaube ich, sie arbeiten sehr strukturell, institutionell. (...) Das heißt, sie arbeiten viel mit Jugendamt usw. Und wir arbeiten viel mehr mit
Organisationen, Trägervereinen. Weniger mit Institutionen. Auch. Wir arbeiten auch mit
Schulen usw. arbeiten wir auch. Aber viel mehr mit Trägervereinen usw. Und Mobile Beratungsteams des ((Träger)) auch. Und dadurch haben wir viel mehr Berührungspunkte, würde
ich sagen.“ (b-OBS 6, 1254-1275)
Dies kann sich dann leicht zu dem Eindruck verdichten, das betreffende Mobile Beratungsteam sei zu sehr „auf bestehende Strukturen setzend“ und agiere daher zu „staatsnah“, also
„zu wenig in Fundamentalkritik zu bestehenden Verhältnissen“ (b-OBS 6, Koop 1).
Bei kommunalen Interventionen überschneiden sich die Tätigkeitsbereiche von Opferberatungsstellen und Mobilen Beratungsteams. Initiativen für kommunale Beratungsprozesse
können sowohl von den Opferberatungsstellen wie von den Mobilen Beratungsteams initiiert
werden. In dem folgenden Beispiel ging die Initiative für eine kommunale Intervention von
der zuständigen Opferberatungsstelle aus. Dem Mobilen Beratungsteam wird durch die Opferberatungsstelle die Funktion eines „Nacharbeiters“ zugewiesen. Die Opferberatungsstelle
hat also in diesem Fall die Funktion eines „Türöffners“ übernommen, um durch die Problemanzeige und durch Gespräche mit den lokalen Verantwortungsträgern das Terrain vorzubereiten, damit das MBT von der Verwaltung ‚gerufen’ wird und sich in den Prozess einschalten
kann. Aufgabe des Mobilen Beratungsteams wäre in diesem Fall die Initiierung und Begleitung von Aktivitäten gegen rechtsextremistische Erscheinungen:
I: Wo konkret sehen Sie Ihre Grenze und wo beginnt das Aktionsfeld des MBT?
A: Wenn es in einem lokalen Zusammenhang um das Anstoßen oder Weiterführen von Strukturen oder Aktivitäten geht, die eine Veränderung in der Stadt hinsichtlich des Problems
Rechtsextremismus ist. Weil wir das nicht längerfristig machen können und weil wir natürlich
auch auf diesen Opferberatungsansatz reduziert werden. Er ist ja der Ausgangspunkt und er
ist auch gut um das zu thematisieren, aber, wenn es zum Beispiel um das Entwickeln von Strategien in so einem komplexen Rahmen wie in der Stadt geht, können wir dort die Position der
Betroffenen stärken oder auch vermitteln, aber darüber hinaus bietet sich eigentlich das MBT
an. Das Problem ist, dass sie natürlich auch auf Freiwilligkeit angewiesen sind. Und da sehen
wir auch einen Teil unseres Beitrags, dass wir mit dazu beitragen, dass die Leute wollen. Dass
sie jetzt freiwillig so ein MBT einbinden.
I: Könnten Sie ein Beispiel für eine Kooperation zwischen Ihrer Opferberatungsstelle und einem MBT beschreiben.?
A: Einer erfolgreichen?
I: Ja.
A: Wie gesagt, ich hatte einige kurze Kooperationen mit diesem ((Ortsname)) Beratungsteam,
aber sie waren halt nicht langfristig. Es gibt jetzt gerade, wie gesagt, dass wir zu den rechten
Aktivitäten gegen die Wehrmachtsausstellung zusammen Stände machen oder wir was als Betroffenenorganisation sozusagen vermitteln, was jetzt aktuell lokal auf ((Ortsname)) oder in
dieser Gegend los ist. Dass wir das mit einbinden in die Diskussion um die Wehrmachtsaus-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
226
stellung. Oder dass ich versuche in ((Ortsname)) als Opferberatungsstelle ein Gespräch mit
der Bürgermeisterin zu erreichen und...
I: Das machen Sie?
A: Ja.
I: Wäre das nach Ihrer Beschreibung nicht eher eine Aufgabe für das MBT?
A: Nein, so würde ich schon den idealen Ablauf sehen.
I: Wie sieht der aus?
A: Dass wir ankommen und sagen: Hier gibt es ein Problem, wir wissen das. Und zwar hier
an der Straße und an der Straße die Leute werden angegriffen und die Leute. Ich versuche über so Kontaktpersonen das der Bürgermeisterin zu vermitteln und entweder kommt das MBT
gleich mit, wenn sie das wollen. Aber idealerweise wäre das Ergebnis, dass diese Bürgermeisterin oder die Verwaltung halt das MBT anruft oder engagiert sozusagen. (...) Also, dass wir
auch so das Problem beschreiben und dort das machen und das MBT einsteigt sozusagen. (...)
Also, eine Sensibilisierung dafür und die Entwicklung der Gegenstrategien würde dann idealerweise von dem MBT begleitet werden.“ (b-OBS 11, 814-846)
Eine andere Variante einer Arbeitsteilung ist es, wenn das Mobile Beratungsteam eine Person
durch Bedrohungen gefährdet sieht und die Opferberatungsstelle einschaltet, um die Person
schützen zu lassen, da es diese Aufgabe selbst nicht übernehmen kann. Das MBT konzentriert sich dann auf das „grundsätzliche Problem“ in der jeweiligen Kommune:
„Wir haben relativ selten Fälle, wo wir konkret Situationen haben, wo es darum geht, dass
wir einzelne Personen geschützt haben müssen. Was wir selber nicht leisten können. Ich hatte
eben das mit dem Mädchen beschrieben. Da wird sofort ((Opferberatungsstelle)) eingeschaltet
von uns. Und da geben wir die komplette Kompetenz dafür dann ab. Das heißt, das ist ein
Vorgang gewesen, wo wir dann dieses Mädchen nicht mehr betreut haben, sondern ganz klar
gesagt haben, ((Opferberatungsstelle)) versucht hier Schutz herzustellen und wir arbeiten in
der Gemeinde, um das grundsätzliche Problem in Bewegung zu versetzen. Also das ist ganz
klar, sobald es um eine Situation geht, hatten wir mehrfach zum Beispiel, dass Schüler in
Schulbussen drangsaliert wurden oder auf Schulhöfen, wo eine starke rechte Hegemonie war,
sozusagen Abweichler bedroht wurden, das ist immer ganz klar, da wird sofort Kontakt mit
((Opferberatungsstellen)) aufgenommen.“ (c-OBS B, Koop 3, 364-373)
Ein Dauerthema bei der Zusammenarbeit zwischen Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen sind die unterschiedlichen Rollenauffassungen in kommunalen Beratungsprozessen. Dem Mobilen Beratungsteam wird von den Opferberatungsstellen in der Regel der Kontaktaufbau zur Politik und zu den beteiligten Verwaltungsbehörden sowie eine moderierende,
ausgleichende Rolle zugewiesen. Für sich selbst beanspruchen die beteiligten Opferberatungsprojekte die Vertretung der Opfer(perspektive) in den jeweiligen Beratungsprozessen.
Dies schließt das Bemühen ein, dass die Betroffenen (wenn sie das wollen) in den Beratungsprozessen angemessen vertreten sind und zu Wort kommen. Ist dies nicht gewährleistet, übernimmt die Opferberatung stellvertretend oder ergänzend diesen Part:
„Das strukturelle Problem grundsätzlich bei mobiler Beratung im Vergleich zur Beratung von
Opfern rechter Gewalt ist, dass Mobile Beratung eher auf konsensuale Prozesse abzielt. Die
wollen in Kommunen reingehen und wollen da etwas vermitteln und etwas aufbauen, gehen
dann in Bündnisse rein und moderieren zum Teil auch Bündnisse. Und du trittst natürlich
grundsätzlich strukturell anders auf wenn du als Berater von einem Opfer parteiisch da rein
kommst und in ein Bündnis dich reinsetzt und dann auch ganz zugespitzt die parteiische Rolle
übernimmst. Das birgt nochmal andere Konfliktbereiche, die man dann in bestimmten Situationen vielleicht auch bewußt wählt, verglichen mit dem was MBTs machen. Das kann sich natürlich aber ganz gut ergänzen, das ist ja keine Frage.“ (b-OBS GD, 447-457)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
227
Aus der grundsätzlich parteilichen Ausgestaltung der Rolle wurde in einigen kommunalen
Beratungsprozessen von den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Berechtigung
einer Provokationsstrategie abgeleitet, die von Mitarbeitern des zuständigen Mobilen Beratungsteams vor Ort als wenig hilfreich für den Beratungsprozeß empfunden wurde. Daraus
kann in Einzelfällen resultieren, dass das Mobile Beratungsteam nach Wahrnehmung zweier
Befragter die zuständige Opferberatungsstelle bewusst aus einer Kommune fernhält, damit es
dort ungestört seine Arbeit tun kann:
„A 2: Also es ist eben auch schon vorgekommen, dass es einfach so war, dass das MBT uns
auch als Störenfriede sieht. Weil wir sehr parteilich arbeiten. Selten, ganz selten, aber so etwas kommt eben auch vor, dass wir als Störenfriede wahrgenommen werden, weil wir natürlich auch Prozesse beeinflussen. Und MBTs, also die Teams, ja auch selber für sich ein Konzept und eine Strategie im Kopf haben, und wir dann störend sein können in ihrer Strategie.
Und das dann ganz schwierig ist, dass wir uns miteinander auseinandersetzen, um gemeinsam
eine Strategie zu entwickeln. Dafür sind wir im Endeffekt auch zu weit entfernt und sehen uns
zu selten. Und können genau diese gemeinsamen Strategien so nicht ohne weiteres entwickeln.
A 1: Ja, Meinungsverschiedenheiten gab es gerade in ((Ortsname)), das ist ein Beispiel. Und
((Ortsname)).
A 2: Stimmt. Ein großes Beispiel.
I: Was war in ((Ortsname)) sozusagen der Kernpunkt?
A 2: Also unser Kernpunkt war, dass sie uns ausgebootet haben und uns weggehalten haben.
Und teilweise die Arbeit von ((Opferberatungsstelle)) gemacht haben. Aber das muss auch
erstmal miteinander noch mal ausgewertet werden. Wirklich, also was da die Ursache war.
Das ist jetzt unsere Wahrnehmung. Ohne dass das ausgewertet wurde. Dieses Gespräch gibt
es jetzt noch.“ (b-OBS 14, 1398-1420)
Die unterschiedlichen, zum Teil noch uneinheitlichen und diffusen Rollen von Mobilem Beratungsteam und Opferberatungsstelle können sich nach Auffassung einer MBT-Mitarbeiterin
im Rahmen eines produktiven Konfliktszenarios durchaus ergänzen. Sie wurden als hilfreich
in einem konkreten Beratungsprozeß wahrgenommen, weil durch diese Rollenverteilung die
Bereitschaft der kommunalen Verantwortungsträger gefördert wurde, mit dem Mobilen Beratungsteam als „kleinerem Übel“ zusammenzuarbeiten:
„Und so dass wir da relativ schnell gefordert waren, um abzuklären, welche Arbeitsfelder nun
arbeitsteilig zu beackern sind in Anführungsstrichen, was dahin geht, dass man zum Teil auch
unterschiedliche Rollen eingenommen hat, die mentalitätsmäßig auch durchaus passten.
((Projektname)) zum Teil eher in eine Rolle gegangen ist auch ein bisschen zu provozieren an
manchen Punkten, was für unsere Arbeit sehr dienlich war. Und wir eher in eine moderierende Rolle reingegangen sind. Also weniger Problemanzeigen formuliert haben, sondern eher in
eine Rolle gegangen sind, wie soll ich das sagen, Aufregung abzufangen und eher ein bisschen
Ruhe in das ganze reinzubringen. Und das hat eigentlich sehr gut funktioniert, weil wir in so
einer Rollenarbeitsteilung waren, was sehr gut war und was gute Effekte auch auf die Kommune hatte, dass dann auch wirklich – so hatte ich den Eindruck – eine Bereitschaft seitens
der Kommune entwickelt wurde mit dem MBT ganz stark zusammen zu arbeiten, was man vielleicht ein bisschen interpretieren könnte so als kleineres Übel. Ist jetzt aber eine persönliche
Einschätzung. (...) Prinzipiell würde ich sagen, dass die allergrößte Mehrheit problemlos in
der Lage ist, Auftreten zu variieren, also zweckdienlich zu variieren. Und das machen wir ja
auch. Wir gehen auch manchmal in die Rolle der Provokateure, gezielt, wenn uns das notwendig erscheint, um die Struktur ein bisschen aufzubrechen, um Bewegung in kommunale Strukturen rein zu bringen. Sind andererseits aber manchmal auch in der Rolle eher der sehr engen
Partner.“ (c-OBS B, Koop 3, 88-100, 146-151, vgl. auch 347-357)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
228
Diese Rollen sind zwar den beteiligten Akteuren in aller Regel klar, werden aber offenbar
nach außen hin nicht immer hinreichend transparent gemacht, was bei Beratungsprozessen zu
Beeinträchtigungen führen kann, wenn die zu beratenden Akteure (Bürgermeister etc.) nicht
wissen, welcher Akteur sie nun gerade mit welchem Ziel berät (vgl. auch b-OBS 5, Koop 3):
„In der Fremdwahrnehmung ist es natürlich von Seiten des Bürgermeisters oder auch der
Presse ein Stück weit...ein bisschen schwer nachvollziehbar, wie arbeiten die denn jetzt, welche Kompetenzen haben die, für welche Bereiche sind die denn zuständig. Ich glaube, dass es
hin und wieder mal vorgekommen ist, wo man uns sagte: ,Na ja, ((Opferberatungsstelle)) war
aber auch schon hier, was machen Sie denn jetzt hier? Wie unterscheiden sie sich denn?’ Und
ich meine, das ist eine berechtigte Nachfrage. Gut dass sie das ansprechen, dann versuchen
wir doch mal in den nächsten drei Minuten die unterschiedlichen Arbeitsaufträge deutlich zu
machen. Ich glaube, das kommt immer vor. Es ist ja auch für Außenstehende schwer vermittelbar bzw. schwer einzusehen.“ (c-OBS A, Koop 5)
Generell kann nach den vorliegenden Interviewbefunden nicht von einer unter allen Umständen erfolgreichen Strategie für eine gelingende kommunale Intervention ausgegangen werden. Sowohl Provokation wie Integration/Konsens sind Vorgehensweisen, deren Einsatz unter bestimmten Voraussetzungen bzw. in bestimmten Situationen von den Mitarbeiter/innen
für sinnvoll gehalten werden und die sowohl vom Mobilen Beratungsteam wie von der Opferberatungsstelle eingesetzt werden können. Bei dem hier zitierten Mobilen Beratungsteam
hat sich dabei als eine Leitlinie im Rahmen eines zweijährigen Lern- und Findungsprozesses
der Trend durchgesetzt, von Provokationen so weit wie möglich Abstand zu nehmen und diese nur noch punktuell und im Notfall einzusetzen:
„A: Also es ist situationsabhängig, ganz klar. Es ist in manchen Situationen, nehmen wir noch
mal das Beispiel ((Ortsname)), war es dienlich, war es gut. In anderen Situationen hat das
gleiche Verhalten Prozesse durchaus erschwert bis verunmöglicht, weil einfach die Schotten
dann dicht gegangen sind, auch gegenüber dem MBT.
I: Trotz oder wegen ((Projektname))? Wegen des Vorgehens von ((Projektname))?
A: Sagen wir wegen eines gemeinsamen Vorgehens.
I: ...wegen eines gemeinsamen Vorgehens, in das aber das provokative Element gewissermaßen als integriertes Element eingebaut war.
A: Genau. Ich habe ja auch gesagt, es gab bei uns auch eine Auseinandersetzung, einen Findungsprozess und eine Selbstauseinandersetzung quasi. Und das sagt natürlich schon was
aus, wie wir das bewerten was sinnvoller ist. Und es ist ganz klar so, dass wir es natürlich –
was heißt natürlich – aber, dass wir zu dem Ergebnis gekommen sind, es ist sehr viel sinnvoller nicht sehr stark provokativ aufzutreten, sondern es wenn, dann sehr punktuell zu machen.
Aber sich sozusagen erst mal eine Basis des Vertrauens zu schaffen. Und das ist zum Teil nur
um des Preises möglich auch in Selbstverleugnung wäre zu viel, aber schon eine große Duldsamkeit zu entwickeln. Und da ist die Strategie von ((Opferberatungsstelle)), die dem entgegenspricht, meiner Ansicht nach eher nicht dienlich gewesen. Aber ich würde sagen, dass der
überwiegende Teil der Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich jetzt zu tun hatte, auch eine
andere Strategie verfolgt.“ (c-OBS B, Koop 3, 213-235)
Die Zusammenarbeit zwischen Opferberatungsstellen und Mobilen Beratungsteams ist also
einerseits relativ intensiv, wobei aber zwischen einzelnen Teams der beiden Strukturprojektgruppen deutliche Distanzen bestehen. Auf der anderen Seite gibt es eine ganze Reihe von
Strukturproblemen besonders im Rahmen der Zusammenarbeit im kommunalen Bereich.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
4.2.5.4
229
Anregungen zu Verbesserungen
Die Mitarbeiter/innen von Opferberatungsstellen, die im Bereich kommunaler Intervention
tätig waren, stellen für sich deutliche Misserfolgserlebnisse fest. Gleichzeitig gibt es in den
Interviews eine Reihe von Anregungen, wie in Zukunft sinnvoller vorgegangen werden könnte. Als sinnvoll wird zum einen ein weiterer kontinuierlicher Aufbau von Kontakten in den
Kommunen herausgestellt. Dadurch sollen gewissermaßen das kommunale Beziehungsnetzwerk exploriert und besonders einflussreiche Schlüsselpersonen oder mögliche Ansprechpartner für die Opferberatungen identifiziert werden. Diese – überaus sinnvollen – kommunalen Analysen würden eine ständige intensive Beobachtung der öffentlichen Belange in einer
Kommune und eine Dauerpräsenz der Opferberatungsstelle in den entsprechenden kommunalen Gremien bzw. Initiativen erfordern. Sie ließen sich aber wohl nur in einigen Schlüsselkommunen bzw. am jeweiligen Standort der Opferberatungsstelle realisieren. Dabei ist auch
ein Lernprozeß erforderlich, durch den erst einmal ein „gemeinsamer Nenner“ auf der Sachund der Beziehungsebene gesucht wird, von dem aus die weitere Zusammenarbeit erfolgen
kann. Denkbar wäre hier zum Beispiel eine positive Rahmung des RechtsextremismusThemas im Sinne einer stärkeren Bezugnahme auf bestimmte Grundwerte wie Demokratieförderung oder Weltoffenheit und der verstärkte Einsatz entsprechender Argumentationsfiguren1:
„Natürlich, was viel besser werden muss, der Kontakt zu Kommunen. Da muss man eine Ebene finden, wo man sich mal trifft, vielleicht auch jenseits dieser Arbeit, und erstmal eine gemeinsamen Nenner finden, und versuchen, darüber zu unserer Tätigkeit zu kommen. Ich denke, das haben wir in vielen Kommunen noch nicht geschafft. (...) Das führe ich auf beide Seiten zurück. Das liegt nicht nur an unserer Seite, und ich muss ehrlich sagen, ich kann jetzt nur
für mich reden, es ist für mich schwierig, da bestimmte Kompromisse oder Argumentationsschritte mitzugehen. Wenn ein Bundestagsabgeordneter vor der Wahl sagt, die Sicherheit
muss erhöht werden, die Überwachung an der Grenze. (...) Und mit solchen Leuten sich dann
unterhalten und versuchen, irgendwie..., also ich meine, der ist ja immerhin politisch gewählt,
persönlich gesehen, muss ich ehrlich sagen, habe ich dazu nicht so den Nerv. (...) Das ist aber
halt genau die Sache, da kann man auch keinen Austausch herbeizwingen. (...). Aber es gibt
da bestimmt auch Leute, die muss man in den Kommunen finden, die in dieser starren Hierarchie nicht ihre Meinung sagen dürfen oder Angst haben vor bestimmten Sachen. Einfach noch
das Innenleben besser kennen lernen, das ist eine Sache, auf die man dann auch setzen kann.
Aber das geht nur mit der Zeit, das kann man nicht innerhalb von zwei Jahren, diese ganzen
Ränkespiele hier in der Kommune mitbekommen.“ (b-OBS 4, 2362-2399)
Voraussetzung für ein erfolgreiches kommunales Engagement wäre in jedem Fall eine ausgeprägte Gesprächsbereitschaft mit allen relevanten kommunalen Akteuren, auch solchen, mit
denen ein politischer Dissens besteht oder zu denen es Berührungsängste gibt. Dies muß keine Aufgabe der eigenen Grundprinzipien, zum Beispiel des Grundsatzes der Parteilichkeit für
die Opfer bedeuten:
„Was man schon leisten muss oder leisten sollte, das ist, dass man parteiliches Auftreten verknüpft mit einem gewissen professionellen Auftreten, dass man in der Lage ist zu sprechen,
das hat diese große Reihe der Kooperationspartner auch gezeigt, man muss in der Lage sein
zu sprechen mit den Antifas vor Ort aber auch mit dem Pfarrer und mit dem Polizeipräsidium
1
Vgl. Rainer Strobl/Stefanie Würtz/Jana Klemm (2003): Demokratische Stadtkultur als Herausforderung. Stadtgesellschaften im Umgang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Weinheim/München: Juventa.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
230
und mit der Staatsanwaltschaft. Mit allen muss man sprechen können, rein von der Kommunikationsfähigkeit her. Und da gibt es doch diverse Unterschiede zwischen dem Antifa vor Ort
und dem Staatsanwalt oder dem Pfarrer, wie die Kommunikation abläuft. Das muss man auch
lernen. Das ist auch in der ((Opferberatungsstelle)) ein Lernprozeß gewesen, das war ja nicht
von Anfang an da, da hat man sich bestimmten Dingen auch erst später schrittweise angenähert. Ich glaube schon, was man zum Teil braucht, ist diese Parteilichkeit professionell zu machen, professionell heißt dann, auch zu gucken, wo bewegt man sich, in welchem gesellschaftlichen Raum, und wie bringt man diese Parteilichkeit dann auch rüber. Was für eine Funktion
hat man in welchen Momenten, in welchen gesellschaftlichen Räumen. Das sind Lernprozesse,
die gemacht werden müssen. Aber dann muss Parteilichkeit kein Hindernis sein.“ (b-OBS GD,
951-967)
Kommentar:
Die kommunalen Interventionen sind für einige Opferberatungsstellen ein besonders attraktiver Tätigkeitsbereich, wobei die Herkunft vieler Mitarbeiter/innen aus antifaschistischen Initiativen sicherlich motivationsleitend ist. Gleichzeitig wird häufig von Misserfolgen in den
Kommunen und von nachlassender Motivation der Mitarbeiter/innen wegen dieser Misserfolge berichtet. Dafür sind eine Fülle von Gründen verantwortlich: weiterhin schwierige
Rahmenbedingungen für eine Thematisierung von rechtsextremer Gewalt in einigen Kommunen, besonders im ländlichen Bereich; Ängste bei den Betroffenen; fehlende Kooperationspartner in den Kommunen; die Abwehrhaltung der lokalen Öffentlichkeit, die durch ein
zum Teil konfrontatives bzw. provokatives Vorgehen der Mitarbeiter/innen von Opferberatungsstellen nicht selten noch verstärkt wird.
Die Befragungen haben gezeigt, dass der Bereich der kommunalen Interventionen stärker
systematisch angegangen werden sollte. Es fehlen Kriterien für die Interventionsanlässe und
für die Beendigung der Prozesse. Die Rollen von Opferberatungsstellen und Mobilen Beratungsteams sind diffus und zum Teil widersprüchlich, was bisweilen bis zu Konkurrenzsituationen eskalieren kann. Durch wechselnde Berater und unklare Arbeitsteilung können Verwirrungen bei den beratenen kommunalen Akteuren ausgelöst und Beratungsprozesse verkompliziert werden.
Es ist zu fragen, ob der Bereich der kommunalen Interventionen nicht konzeptionell stärker
durchdacht und gefasst werden sollte, wobei besonders die Abgrenzung bzw. Zusammenarbeit mit den Mobilen Beratungsteams zentral ist und zum Gegenstand von Gesprächen gemacht werden sollte. Zu vereinbaren wären die Kriterien für die Interventionsanlässe, das
Vorgehen (vor allem die Zusammenarbeit mit dem MBT) im Rahmen möglicher Szenarien
und Kriterien für den Abschluss bzw. die Beendigung eines derartigen Prozesses. Hilfreich
wäre dazu eine wissenschaftlich begleitete Auswertung von bereits abgeschlossenen bzw.
noch laufenden Fallverläufen kommunaler Interventionen. Dieser Bereich sollte durch Fortbildungen weiter professionalisiert werden. Dazu könnten beispielsweise Angebote zu Moderations- und Mediationsverfahren, Kommunikationstrainings und Gesprächsführung zur
Verfügung gestellt werden.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
231
5 Vergleich von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte
Der Kleinteamvergleich soll durch eine intensivere Untersuchung von zwei Kleinteams ein
vertieftes Bild der Opferberatungsprojekte und ihrer Wahrnehmung in der (Fach-)Öffentlichkeit vermitteln. Exemplarisch werden Tätigkeitsbereiche und Ergebnisse der Projekttätigkeit
aus der Innenperspektive beschrieben und aus der Außenperspektive um die Beurteilung von
Kooperationspartnern und Experten ergänzt.
5.1 Die Untersuchung der beiden Kleinteams aus der Innenperspektive
Die Anlage des Kleinteamvergleichs folgt weitgehend der in Kapitel 4 eingeführten Systematik. Untersucht wurden zunächst auf der Basis der Befragungen der Mitarbeiter/innen die Aspekte:
•
Kurzbeschreibung der Kleinteams, lokale Rahmenbedingungen, Trägerhintergrund;
•
Projektauftrag und Zielsetzungen;
•
Zielgruppen;
•
Fachliche Grundprinzipien;
•
Tätigkeitsfelder;
•
Ergebnisse.
5.1.1 Kurzbeschreibung der Kleinteams, lokale Rahmenbedingungen und
Trägerhintergrund
Team A agiert in einem Flächenland der neuen Bundesländer. Der Standort des Teams befindet sich in einer Kleinstadt. Es handelt sich um eine Region, in der eine starke rechtsextreme
Szene existiert, der eine hohe Anziehungskraft auf Mitläufer und Jugendliche zugeschrieben
wird. Zudem agiert in der Region eine rechtsextreme Kameradschaft mit einer gewissen Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Der Standort des Teams befindet sich in einer Stadt, die nach
Einschätzung eines Kooperationspartners „nicht sehr fremdenfreundlich“ (c-OBS A, Koop 1)
ist. Von Team A wurden nach eigener Darstellung seit Beginn der Tätigkeit im zweiten Halbjahr 2001 16 Übergriffe mit 45 Betroffenen und im Jahre 2002 45 Übergriffe mit 115 Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten ermittelt. Ein Großteil dieser Personen wurde
auch beraten.2 Trotz gegenläufiger Entwicklungen in der Vergangenheit nimmt nach Einschätzung eines Mitarbeiters des Kleinteams die rechtsextreme Belastung im Einzugsgebiet
immer mehr zu (b-OBS A 1, 691-694). Team A berichtet von steigenden Beratungszahlen
2
Die genaue Zahl kann das Team nicht angeben, da nach Aussage des Teams in den Jahren 2001 und
2002 keine Statistik über die Zahl der beratenen Personen geführt wurde. Diese wurde inzwischen in
allen Opferberatungsprojekten eingeführt.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
232
und der Schwierigkeit „hinterherzurennen“ (b-OBS A 1, 278-279): „Der Bedarf an Beratung
übersteigt derzeit unsere Kräfte.“ (b-OBS A 1, 282) Auf der anderen Seite ist das Einzugsgebiet von einem Mangel an zivilgesellschaftlichen Initiativen gekennzeichnet:
„Ja, die spezifischen Rahmenbedingungen in ((Region)). Also es gibt für meine Begriffe relativ wenige Leute, die sich wirklich am Thema bewegen. Es gibt im Gegensatz zu anderen Städten oder Kommunen kaum so eine Zivilgesellschaft, so ein engagiertes, na ja Bürgertum ist ein
blödes Wort, aber halt engagierte Leute, die sich wirklich intensiver damit auseinandersetzen.
Es ist halt sehr flächig, sehr groß. So dass wir es einfach auch definitiv nicht schaffen, überall
im Beratungsgebiet gleich präsent zu sein.“ (b-OBS A 2, 395-400)
Das Opferberatungsprojekt, dem Team A zugeordnet ist, hat sich aus ehrenamtlichen Anfängen heraus entwickelt, wobei die „Opferperspektive Brandenburg“ eine Anregungsfunktion
hatte (b-OBS A 2, 50-75). Eine kleine Gruppe von Ehrenamtlichen gründete daraufhin im
Vorfeld des CIVITAS-Programms einen Verein, der nach dem Vorbild der „Opferperspektive“ mit der Beratung von Opfern rechtsextremer Gewalt begann. Als das CIVITASProgramm eingerichtet wurde, meinte dieser Verein die Trägerschaft der Opferberatungsstelle nicht übernehmen zu können. Daher wurde ein externer Träger gesucht und gefunden. Von
diesem Träger wurde eine formalisierte Hierarchie zwischen dem Träger und seinem Geschäftsführer, der Projektleitung und den Kleinteams installiert (b-OBS A 1, 807-808), die
potentiell konfliktträchtig ist, da in den Kleinteams gleichberechtigt gearbeitet wird. Das Personal von Team A besteht aus jüngeren Sozialarbeiter/innen, die zum Teil bereits vorher ehrenamtlich in der Opferberatung tätig waren, zum Teil aus der örtlichen Jugendszene stammen, an der örtlichen Fachhochschule gemeinsam studiert haben und bereits vor der gemeinsamen Tätigkeit als Opferberater/innen befreundet waren. Zusätzlich arbeiten die drei Berater/innen auch ehrenamtlich in einem alternativen Hausprojekt zusammen, das sich zum Ziel
gesetzt hat, eine Stärkung der alternativen Jugendkultur in der Region zu befördern (b-OBS A
2, 115-183).
Auch Team B agiert in einem Flächenland der neuen Bundesländer, wobei sich der Standort
des Teams in einer Großstadt befindet. In der stark ländlich geprägten, dünn besiedelten Region um den Standort des Teams haben sich rechtsextreme Kameradschaften zu einem flächendeckenden Netz ausgebreitet. Im gesamten Aktionsgebiet wird flächendeckend von regelmäßigen Angriffen berichtet (b-OBS B 1, 392-409). Ein Mitarbeiter konstatiert, dass sich
im Einzugsgebiet „nicht so wirklich richtig friedliche Regionen benennen“ (b-OBS B 1, 410)
ließen. Im zweiten Halbjahr 2001 wurden von Team B nach eigener Darstellung elf Fälle mit
einer unbekannten Zahl von Betroffenen betreut. Im Jahre 2002 registrierte das Team 28 Angriffe mit 97 Betroffenen, die Anzahl der beratenen Klienten lag im Jahre 2002 bei 38 Personen.
Ähnlich wie bei Team A ist auch das Opferberatungsprojekt von Team B aus ehrenamtlichen
Anfängen hervorgegangen, wobei auch hier die „Opferperspektive Brandenburg“ am Anfang
eine Informations- und Anregungsfunktion wahrgenommen hat (b-OBS B 1, 163-179). Anders als bei Team A wurde der nach diesen Anfängen durch die ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen im Vorfeld des CIVITAS-Programms gegründete Verein dann auch Träger des Opferberatungsprojekts. Bei dem Opferberatungsprojekt von Team B gibt es daher im Gegensatz zu Team A eine weitgehende personelle Identität von Konzeptentwicklern und Mitarbeiter/innen. Die Tätigkeit ist aus ehrenamtlichen Anfängen heraus entstanden und weitgehend
mit dem gleichen Personal hauptamtlich weitergeführt worden. Es gibt daher in diesem Pro-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
233
jekt außerhalb der satzungsmäßig vorgeschriebenen Vereinsstrukturen keine formalisierten
Hierarchien und damit auch nicht die bei Team A latent bestehenden Konfliktstrukturen. Das
Personal von Team B besteht ebenfalls aus jüngeren Pädagogen und einem Mitarbeiter mit
einer handwerklichen Fachausbildung, der sich durch die durch das CIVITAS-Programm ermöglichten Qualifizierungsmaßnahmen zum Opferberater weitergebildet hat.
Im Vergleich zeigen sich bei den beiden Teams ähnliche Rahmen- bzw. Ausgangsbedingungen und eine vergleichbare Personalstruktur. Bei Team A ist der Arbeitsdruck sicherlich größer, weil das Team in einer dichtbesiedelten Region agiert, in der von höheren Fallzahlen
auszugehen ist. Ein Unterschied in den internen Rahmenbedingungen ist die stärker formalisierte Hierarchie beim Träger von Team A, während Team B stärker selbstgesteuert agieren
kann, da es bei ihm keinen externen Träger gibt.
5.1.2 Projektauftrag und Zielsetzungen
Hauptauftrag für die Arbeit von Team A „ist ganz klar Betreuung und Beratung, Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt.“ (b-OBS A 1, 465-466) Diese Beratungstätigkeit wird
in engem Zusammenhang mit der „Berücksichtigung des Lebensumfeldes“ gesehen, wobei
auch die beiden weiteren Schlüsselprozesse „Mobilisieren“ und „Vernetzen“ zentral sind, indem „man Netzwerke aufbaut, sich aktiv einbringt, also nicht, dass man nur teilnimmt, sondern auch mit gestaltet, und dass man wirklich auch ein öffentliches Klima mit beeinflusst,
dass man Stellung bezieht, vorausprescht bei bestimmten Sachen und versucht, Diskussionen
anzuregen“ (b-OBS A 1, 471-476). In einer Kurzformel zusammengefasst hat das Opferberatungsprojekt von Team A „ja eine relativ klare Zielrichtung (...) als Hilfe für Betroffene rechter Gewalt. Und natürlich gehört ein Stück Prävention und Kooperation dazu.“ (b-OBS A 2,
191-192)
Zentrales Ziel bei Team A ist zum einen, Betroffenen rechtsextremer Gewalt Unterstützung in
Form von Gesprächen und Hilfsangeboten anzubieten, die sie in die Lage versetzen, die erlebte Gewalttat zu verarbeiten (b-OBS A 2, 603-637). Das zweite Ziel richtet sich darauf, die
Betroffenen aus der Opferrolle hinauszubegleiten, wobei Aktivierungen eine zentrale Rolle
spielen. Dabei können beispielsweise eine fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit oder Nebenklageerhebungen als Aktivierungsprojekte eine zentrale Rolle spielen (b-OBS A 2, 633-645).
Auch bei Team B wird der Hauptauftrag mit dem Aufgabengebiet „Beratung von Opfern
rechter Gewalt“ gefasst. In Anlehnung an das fachliche Konzept „Opferperspektive“ wird der
Gesamtauftrag nicht auf Individualberatung begrenzt, sondern geht „über die reine
Opferberatung im engeren Sinne hinaus“ und schließt Präventionsmaßnahmen ein. Diese
umfassen einerseits den Versuch, die Opferperspektive in die Öffentlichkeit zu vermitteln,
damit „Solidarisierungseffekte“ auszulösen und dadurch auch die Betroffenen und ihr Umfeld
zu stärken. Insgesamt wird erhofft, damit auf das gesamtgesellschaftliche Klima im Sinne
einer Verbesserung der Position der Betroffenen(gruppen) einzuwirken (b-OBS B 1, 138155).
Erste Zielsetzung von Team B ist es, den Betroffenen und sein Umfeld bei der Aufarbeitung
des Erlebten zu unterstützen (b-OBS B 1, 266-268). Daraus können sich für Team B dann auf
Nachfrage weitere Maßnahmen entwickeln, also etwa die Unterstützung bei der juristischen
Aufarbeitung der Tat oder die Unterstützung bei medizinischen, psychologischen oder finan-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
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ziellen Problemen der betroffenen Personen oder bei einem von ihnen ausgehenden Interesse,
vor Ort aktiv zu werden (b-OBS B 1, 269-277).
Darüber hinaus wird zweitens im Rahmen eines weiteren Zielbündels versucht, die Situation
vor Ort, aus der der Übergriff hervorging, zu beeinflussen, dazu zunächst die Betroffenen zu
stärken und sie bei der Wahrnehmung ihrer Interessen zu unterstützen (b-OBS B 1, 295-306).
Drittens zielt die Arbeit von Team B auf eine Sensibilisierung in der Öffentlichkeit und auf
den, „manchmal leider sehr wenig erfolgversprechenden“ Versuch, dort auch Solidarisierungsprozesse für die Betroffenen rechtsextremer Gewalttaten „bei gleichzeitiger klarer Distanzierung von den Tätern“ anzuregen (b-OBS B 1, 306-322).
Im Vergleich zeigt sich, dass die Aufträge und Ziele beider Kleinteams weitgehend identisch
sind, wobei als Hauptauftrag und Ausgangspunkt aller weiteren Aktivitäten die Beratung von
Betroffenen rechtsextremer Übergriffe im Mittelpunkt steht. Dazu entwickeln beide Projekte
Zielsetzungen, die zentral auf eine Aktivierung der Klienten im Rahmen einer „Hilfe zur
Selbsthilfe“ ausgerichtet sind.
5.1.3 Zielgruppen
Team A betreut überwiegend „nicht-rechte“ Jugendliche (b-OBS A 1, 348-362; b-OBS A 2,
772-785), da es durch den jugendlichen Habitus der Mitarbeiter/innen und deren ehrenamtliche Betätigung vor und während ihrer Tätigkeit als Opferberater/innen in einem örtlichen Jugendverein eine Nähe und enge persönliche Verbindungen zur örtlichen Jugendszene gibt (bOBS A 1, 2151-2154). Der geringere Kontakt zu Asylbewerbern bzw. Migranten wird bei
Team A dadurch begründet, dass niemand im Team Migrant sei. Es sei insgesamt schwierig
gewesen, Kontakte zu Asylbewerberheimen aufzubauen und nur dadurch ansatzweise gelungen, dass eine dort lebende Kontaktperson das Team auf in ihrem Heim lebende Betroffene
aufmerksam gemacht habe. Seitdem diese Person dort nicht mehr lebe, sei der Kontakt wieder abgebrochen. Ein erneuter Kontaktaufbau sei derzeit nicht zuletzt ein Zeitproblem, zumal
der Kontaktaufbau zu Asylbewerbern „noch ein Stück weit schwieriger“ sei „als bei den Jugendlichen“ (b-OBS A 2, 787-807; vgl. auch b-OBS A 1, 198-199) Außerdem sei es auch nie
gelungen, Kontakte zu Aussiedlern aufzubauen (b-OBS A 1, 1694- 1695).
Bei Team B sind dagegen die Hauptzielgruppen Asylbewerber/Flüchtlinge bzw. Migranten
und „nicht-rechte“ Jugendliche ungefähr gleich stark vertreten, außerdem wurden in Einzelfällen Betroffene rechtsextremer Straf- und Gewalttaten aus den Gruppen der Obdachlosen
und der Homosexuellen betreut (b-OBS B 1, 278-292). Bei Team B lässt sich zudem eine
Ausweitung der Tätigkeit in den Bereich allgemeine Flüchtlingsberatung beobachten, wobei
dies aber vor allem darauf zurückzuführen ist, dass es Beratungsangebote für Flüchtlinge in
den ländlichen Regionen, in denen Team B tätig ist, kaum gibt und diese Funktion deswegen
kompensatorisch vom Team in begrenztem Rahmen mit übernommen wird (b-OBS B 2, 363369)
Im Vergleich zeigt sich bei der Erreichung der Zielgruppen ein deutlich unterschiedliches
Profil. Während Team A sich aufgrund der dort vorhandenen Netzwerke weitgehend auf die
Hauptzielgruppe der „alternativen Jugendlichen“ konzentriert, stehen bei Team B „alternative
Jugendliche“ und Flüchtlinge bzw. Migranten als Hauptzielgruppen ungefähr gleichgewichtig
im Mittelpunkt der Beratungstätigkeit.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
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5.1.4 Fachliche Grundprinzipien
Von den Mitarbeiter/innen von Team A werden als Grundprinzipien die Freiwilligkeit und
Sinnhaftigkeit der Beratung für den Betroffenen, die Transparenz der Beratung durch permanente Rückkoppelungen und die Aktivierung von Eigenaktivitäten genannt (b-OBS A 2, 576594). Dabei geht es wie in den meisten Interviews vor allem um die Vermittlung von „Hilfe
zur Selbsthilfe“, hier im Sinne einer Aktivierung der Klienten (b-OBS A 1, 1174-1214, 13521389). Dies geschieht auf der Grundlage einer non-direktiven, klientenzentrierten Haltung,
die die Beratungsschritte nach außen hin transparent macht, die Wünsche und Vorstellungen
des Betroffenen als Ausgangspunkt aller Aktivitäten ansieht und die Entscheidungsverantwortung den Klienten zuschreibt (b-OBS A 1, 1097-1106).
Die fachlichen Grundprinzipien sind auch bei Team B stark vom Rahmenkonzept „Opferperspektive“ bestimmt. Als zentrales Element wird auch hier die Aktivierung der Klienten im
Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe herausgestellt, was unter anderem durch aktivierende Aktionen, wie ein bereits zweimal durchgeführtes Jugendcamp erreicht werden soll. Durch derartige aktivierende Aktionen würden häufig Impulse freigesetzt, die zu einer Überwindung der
Opferrolle und zur Verarbeitung der erlittenen Tat beitrügen (b-OBS B 1, 845-852)
Der Vergleich ergibt eine deutliche Übereinstimmung der fachlichen Grundprinzipien, die aus
dem gemeinamen Rahmenkonzept „Opferperspektive“ abgeleitet werden.
5.1.5 Tätigkeitsfelder
Das wesentliche Tätigkeitsfeld bei Team A ist die Unterstützung von Opfern rechtsextremer
Gewalt durch Beratung und Begleitung (b-OBS A 1, 703-706). Der Zugang ist aufsuchend;
die Fälle werden meist über Kooperationspartner bekannt, seltener durch Recherche ermittelt
(b-OBS A 2, 868-873). Dabei wird ein weiter Gewaltbegriff zugrunde gelegt, der neben Körperverletzungen auch Diskriminierungen umfasst (b-OBS A 2, 898-910). Da aber die Diskriminierungen, sieht man einmal vom Nahumfeld des Teams ab, nach Darstellung der Mitarbeiter/innen in der Regel nicht bekannt werden, handelt es sich in der Regel um Körperverletzungsdelikte oder versuchte Körperverletzungsdelikte (b-OBS A 2, 912-916).
Neben dem Bereich der Beratung ist Team A zusätzlich in der Mobilisierung des Umfeldes
der Betroffenen tätig (b-OBS A 1, 1395-1485). Dabei werden größere Schwierigkeiten gesehen. Die Betroffenen wollten das nicht und es sei auch gar nicht wünschenswert, dass „mir
dann fremde Leute helfen die ganze Zeit“ (b-OBS A 1, 1477), da dadurch die Eigenständigkeit gefährdet sei. Es werden aber Möglichkeiten gesehen und auch angeboten, Betroffene in
bestehende Strukturen (zum Beispiel alternative Jugendzentren) zu integrieren, sofern sie das
wünschen (b-OBS A 1, 1459-1460).
Im Mittelpunkt von Mobilisierung steht eindeutig ein zweiter Aspekt, die auf Kommunen bezogenen Mobilisierungsmaßnahmen zur Veränderung des politischen Klimas im Rahmen
kommunaler Interventionen. Dazu wird Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt und Vernetzung
betrieben (b-OBS A 1, 703-746). Die Mobilisierungsmaßnahmen in Kommunen sind bei
Team A stark bewegungsförmig bzw. kampagnenmäßig orientiert. Eine wesentliche Zielsetzung ist der Aufbau einer „Gegenkultur“ (b-OBS A 1, 443), insbesondere durch Förderung
alternativer Jugendvereine (b-OBS A 1, 390-391), wobei im zurückliegenden Jahr ein neuer
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Impuls durch die Beteiligung an einem alternativen Jugendcamp gesetzt wurde (b-OBS A 1,
2058-2093). Die eigene Strategie vor Ort ist dabei gelegentlich konfrontativ, was in einem
Ort der Region zu einer Polarisierung zwischen den alternativen Jugendvereinen, der Netzwerkstelle und wohl auch Team A auf der einen und der kommunalen Öffentlichkeit, insbesondere dem Bürgermeister, auf der anderen Seite geführt hat (b-OBS A 1, 1453-1631).
Das dritte Tätigkeitsfeld Vernetzung bedeutet für Kleinteam A vor allem eine Bündnisbildung gegen den Rechtsextremismus im Rahmen einer Einbeziehung von Gleichgesinnten zur
gemeinsamen Strategiebildung (b-OBS A 1, 610-619). Team A stellt dafür Ressourcen zur
Verfügung, hält sich dann aber weitgehend aus dem laufenden Betrieb heraus. Engere Kooperationsbeziehungen über das CIVITAS-Programm hinaus (vor allem mit dem für die Region
zuständigen Mobilen Beratungsteam und den beiden in der Region angesiedelten Netzwerkstellen) gibt es nur mit einem Netzwerk links-alternativer Jugendvereine bzw. -gruppen im
Rahmen mindestens einmal monatlich stattfindender „Campagnen-Treffen“ (b-OBS A 1,
2095-2129).
An erster Stelle unter den Tätigkeitsfeldern steht auch bei Team B die Beratung und Begleitung von Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Auch in Team B wird dabei ein weiter Gewaltbegriff, der auch institutionelle Diskriminierungen einschließt, zugrundegelegt (bOBS B 1, 506-510). Ähnlich wie Team A erfährt auch Team B von den meisten Übergriffen
zumindest am Standort durch Kooperationspartner (b-OBS B 2, 451-452).
Eine wesentliche Rolle bei den Aktivitäten von Team B spielt nach eigenem Bekunden der
präventive Bereich im Sinne einer „Stärkung einer alternativen Lebenskultur“ vor Ort (bOBS B 2, 146). Eine Schlüsselaktion ist die jährliche Durchführung eines großen Jugendcamps, zu dem Personen eingeladen werden, die selbst von rechtsextremer Gewalt betroffen
waren bzw. die das Team über die Opferberatung kennengelernt hat. Im Jahre 2003 nahmen
an dem betreffenden Camp 350 Personen teil, wobei die Teilnehmer/innen in der Hauptsache
alternative, „nicht-rechte“ Jugendliche waren (b-OBS B 2, 171-180).
Von dem Camp und die dadurch bewirkte Vernetzung und den dabei stattgefundenen Informationsaustausch sollen aktivierende Impulse ausgehen, da diese nachhaltig dazu beitragen
könnten, die Opferrolle zu überwinden (b-OBS B 2, 221-228).
Ein zweite Großaktion des Teams ist eine ebenfalls jährlich durchgeführte „Heimtour“, bei
der alle Flüchtlingsheime der Region besucht und Informationsveranstaltungen durchgeführt
werden (b-OBS B 2, 370-390). Bei dieser Gelegenheit werden dem Team rechtsextreme Übergriffe bekannt, die vor Ort dann in Beratungen einmünden. Die beiden Großaktionen sind
Teil einer umfangreichen Netzwerkarbeit des Teams, mit deren Hilfe zum einen Informationen zu rechtsextremen Übergriffen gesammelt werden, zum anderen eine gemeinsame Bündnisarbeit „gegen Rechts“ durchgeführt werden soll (b-OBS B 2, 739-745).
Darüber hinaus betreibt das Team eine intensive Öffentlichkeitsarbeit (b-OBS B 2, 778-897).
Das Gesamtprojekt erstellt einen Pressespiegel, der allen Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt wird. Jedes Regionalbüro erstellt darüber hinaus für seine Region eine Chronik
rechtsextremer Übergriffe, die auf den Internetseiten des Gesamtprojekts veröffentlicht wird.
Außerdem wird fallbezogen und zu allgemeinen Themen (zum Beispiel zur Gutscheinregelung für Asylbewerber), die „eigentlich größtenteils“ einen Bezug zum Rahmenkonzept Op-
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ferperspektive hätten, informiert, wobei die als sachlich beschriebene Berichterstattung in der
Öffentlichkeit häufig als Provokation angesehen werde (b-OBS B 2, 863-879).
Zusätzlich hat Team B in den letzten beiden Jahren versucht, für das Thema Rechtsextremismus in lokalen Zusammenhängen zu sensibilisieren. Man ging davon aus, man könne über
die Thematisierung der Gewalttat „eine Empörung auslösen“ und dadurch „gesellschaftliche
Veränderungen bewirken“ (b OBS B, 1135-1140). Weiter war beabsichtigt, zivilgesellschaftliche Akteure dazu zu befähigen, „Partei für die Opfer zu ergreifen und letztendlich in ihrer
Region was zu verändern“ (b OBS B, 1142). Diese Bemühungen seien allerdings vor allem in
kleineren Städten auf wenig Gegenliebe gestoßen, hätten vielmehr eher Abwehr hervorgerufen (b-OBS B 2, 1169-1179).
Ein Vergleich der Tätigkeitsfelder zeigt, dass beide Teams sich im wesentlichen in identischen Arbeitsfeldern betätigen, diese aber zum Teil unterschiedlich gewichten. Team A stuft
stärker als Team B die direkte Beratung als seinen Schwerpunkt ein, sieht daneben auch Prävention und Vernetzung als weitere Aufgabenbereiche. Dagegen ist Team B stärker im präventiven Bereich tätig und führt in diesem Bereich jährlich zwei Großaktionen durch, von
denen aktivierende Impulse ausgehen sollen: das Jugendcamp und die „Heimtour“. Die Öffentlichkeitsarbeit von Team A ist stärker fallbezogen ausgerichtet, während Team B neben
der fallbezogenen Öffentlichkeitsarbeit auch öffentliche Diskurse mitgestalten will und dazu
eine ausgedehnte thematisch ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit betreibt.
5.1.6 Ergebnisse
Bei Team A werden Erfolge bzw. Misserfolge zunächst im Zusammenhang mit der Beratungstätigkeit verortet. Als konkreter Erfolg wird ein im Sinne der Betroffenen positiver
Ausgang eines Straf- bzw. eines Zivilprozesses herausgestellt. Umgekehrt wird eine Verfahrenseinstellung oder ein unbefriedigender Prozessverlauf als Misserfolg begriffen (b-OBS A
1, 2268-2286). Da die Tätigkeit vom Selbstanspruch auf eine Verringerung rechtsextremer
Gewalt zielt, werden auch „neue Angriffe“ als Misserfolge gewertet. Auf der anderen Seite
gilt als Erfolg, dass ein in der Region gelegenes, von einem rechtsextremen Jugendverein gegründetes Jugendhaus geschlossen wurde, was, wenn auch nur als „kleines Puzzlestück“, auf
die Aktivitäten der eigenen Opferberatungsstelle zurückgeführt wird. Insgesamt, so ein Mitarbeiter von Team A, seien Erfolge „viel aus der Arbeit zu ziehen, einfach auch mal Dankbarkeit annehmen, wenn die Leute einfach froh sind.“ (b-OBS A 1, 2310-2311)
Als ein zentrales Ergebnis der zweijährigen Projektarbeit wird von zwei Mitarbeiter/innen
von Team A konstatiert, dass eine Struktur etabliert worden sei, „die in der Lage ist, Betroffenen von rechter Gewalt Unterstützung anzubieten und sie auch real zu unterstützen mit allem, was das beinhaltet (b-OBS A 2, 2063-2065).
Außerdem sei es gelungen, das Thema gelegentlich in die lokalen Medien zu bringen und dadurch dafür zu sensibilisieren, dass es rechtsextreme Gewalt auch in der eigenen Heimatstadt
gebe:
„Nicht kontinuierlich, aber in der Regel fallbezogen. Also dass es Thema ist. Das heißt, dass
die Leute, die nicht unmittelbar damit befasst sind, trotzdem die Möglichkeit haben, wenn sie
Zeitung lesen oder Radio hören, mitzubekommen: ‚Ja, das ist nicht irgendetwas, was sich nur
Anfang der 90er oder nur in Rostock-Lichtenhagen abgespielt hat. Sondern rechte Gewalt gibt
es auch in meiner Heimatstadt’.“ (b-OBS A 2, 2063-2070)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
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Als wesentlicher Erfolg wird außerdem hervorgehoben, dass es gelungen sei, Einfluss auf die
Strafverfahren zu nehmen und im Ermittlungsverfahren (zum Beispiel bei der Anzeigenaufnahme) und im Strafprozess die Stellung der Opfer zu stärken:
„Dass das Gewicht der Betroffenen größer wird. Über die Vorbereitung der Prozesse gelingt
es einfach, dass die Aussagen besser werden vor Gericht, dass die Leute besser mit der Situation vor Gericht umgehen können. Also das, was ohnehin eigentlich passieren müsste, wo es
aber keine Institution oder nur zu wenige gibt, die diese Arbeit leisten. Die aus unserer Sicht
aber wichtig ist, damit der Strafprozess auch diese Wirkung hat. Also in Richtung Gerechtigkeit oder auch einen Ausgleich herbeizuführen. So dass es nicht nur um irgendwie eine Aburteilung geht, sondern dass die Leute auch wirklich ernst genommen werden. Da passiert zu
wenig und da wird vieles verrissen. Schon im Ermittlungsverfahren. Das hatte ich ja schon
angesprochen, was auf den Polizeirevieren so passiert bei der Anzeigenaufnahme. Aber das
sehe ich auf alle Fälle als Erfolg, dass das in den Fällen, wo wir dran waren in Prozessen, gelungen ist, da was beizutragen.“ (b-OBS A 2, 2090-2100)
Außerdem sei es zwar „nicht flächendeckend“, aber „teilweise“ gelungen, das Projekt bekannt zu machen und als Ansprechpartner für interessierte Zeitgenossen zu fungieren. Als
weiteres Ergebnis wird vom Kleinteam betont, dass es gelungen sei, „bestimmte Einzelpersonen zu sensibilisieren und zu aktivieren, am Thema dranzubleiben und in gewisser Weise
mitzuarbeiten.“ (b-OBS A 2, 2114-2116) Es sei allerdings nicht gelungen, „die Situation
grundlegend zu verändern in den zwei Jahren“, im Sinne des Fernziels, auf eine Gesellschaft
hinzuwirken, in der alle Menschen frei und gleichberechtigt leben können, und sich dadurch
als Projekt überflüssig zu machen. Dies sei aber auch realistisch nicht zu erwarten gewesen
(b-OBS A 2, 2116-2127). Außerdem sei es nicht gelungen, „flächendeckend im Beratungsgebiet tätig zu sein“ (b-OBS A 2, 2138-2139).
Als Ergebnisse ihrer Arbeit werden von den Mitarbeiter/innen von Team B kleinere gelungene Beratungs-, Begleitungs- und Unterstützungsprozesse hervorgehoben. Aus dem Kontaktnetzwerk, das auf dem Jugendcamp geknüpft worden sei, sei zum Beispiel eine Jugendgruppe
an Team B herangetreten, weil sie sich an ihrem Wohnort in der Debatte um ein neu einzurichtendes Flüchtlingsheim (als Folge des „Dschungelheimerlasses“, durch den die bisher abgelegenen Asylbewerberheime in Städte verlegt werden sollen, was dort eine Fülle von Widerstand und Ablehnung hervorgerufen hat) engagieren wollten. Team B habe die Jugendgruppe bei diesem Wunsch unterstützt und daraus sei eine eigene Aktion mit eigener Pressearbeit der Jugendgruppe entstanden:
„Die Gruppe, mit der wir gearbeitet haben, ist dann von sich aus auf uns zugekommen, weil
sie sich dort von einer sehr stark rassistischen Diskussion um ein einzurichtendes Flüchtlingsheim engagieren wollten und uns angefragt haben. Und bei sich dort vor Ort selber Veranstaltungen organisiert hat und Pressearbeit gemacht hat. Das wir von außen weiterhin begleitet
haben, aber wo sie letztendlich von sich aus aktiv geworden sind ohne dass wir das angeregt
hätten. Also, wir sind nicht hingegangen und haben gesagt, überlegt euch doch mal, wie ihr
euch dazu verhalten wollt, was euer Bürgermeister hier für Sprüche gemacht hat. Da hat der
im 92er Jargon von Wirtschaftsflüchtlingen und ähnlichem gesprochen. Eine Sache mit der
wir hier ganz stark konfrontiert sind, so ein rassistisch motivierter Bürgerprotest gegen
Flüchtlingsheime. In vielen Orten in ((Bundesland)) unter anderem auch dort in ((Stadtname)). Das finde ich schon einen ganz wichtigen Punkt, dass sie sich dann dort bei sich am
Gymnasium bemüht haben, Veranstaltungen zu organisieren, die wir mit ihnen zusammen inhaltlich ausgestaltet haben. Und dann dort auch eine lokale Pressearbeit gemacht haben und
einfach eine andere Sicht auf dieses Thema dort das erste Mal überhaupt in die Diskussion
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
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gebracht haben in der Stadt. Finde ich schon sehr erfolgreich. Das würde ich dann schon als
so einen Erfolg in so einem Beratungs-, Begleitungs-, Unterstützungsprozess ansehen.“ (bOBS B 1, 854-882)
Auch die „Heimtour“ und die durch sie bewirkten aktivierenden Effekte, indem die Veranstaltungen von den Insassen der Flüchtlingsheime organisiert wurden, wird von einer Mitarbeiterin von Team B als Erfolg hervorgehoben:
„Na, es ist ja schon einmal, wenn man sich das bei den Flüchtlingen anguckt, wenn wir letztes
Jahr, wenn wir 2001 angefangen haben, Ende des Jahres die Heimtour gemacht haben, war es
ja schon eine Selbstorganisation in dem Sinne, dass sie die Veranstaltungen vor Ort alle selber organisiert haben. Es war ja nicht so, dass wir ihnen gesagt haben, da ist der Raum, das
haben wir ja nicht gemacht, sondern das haben die Flüchtlinge alles selber gemacht. Sie haben die Aushänge gemacht, sie haben die Leute eingeladen. (...) Ja, es war eine Tour. Wir haben gesagt, wir machen so eine Tour und jedes Flüchtlingsheim, das möchte, dass wir vorbeikommen, sagt Bescheid und kümmert sich um Raum, dass die Leute da sind, macht die Aushänge und so was alles. Also, es war ja in dem Sinne schon eine Selbstorganisation, wenn man
das als Erfolg so sehen will.“ (b-OBS B 2, 700-709)
Über diese beiden Einzelbeispiele hinaus werden Erfolge darin gesehen, dass in Ansätzen eine Vernetzung von Selbsthilfeansätzen „tatsächlich gelungen“ sei. Es handele sich um „Ansätze, noch keine sehr arbeitsfähigen Strukturen“, wofür das Jugendcamp „ziemlich bezeichnend“ sei und deshalb unbedingt wiederholt werden sollte (b-OBS B 2, 1561-1566).
Erfolge werden auch darin gesehen, „in der Opferberatung im engeren Sinne praktische Hilfe
geleistet zu haben. Ist immer wieder ein Erfolg. Oder auch erfolgreiche Gerichtsprozesse, in
denen es dann mit Hilfe einer Nebenklage gelungen ist, tatsächlich die Hintergründe der Tat
zu benennen. Oder den Betroffenen einfach Genugtuung, dass die Täter dann eben eindeutig
als Rassisten benannt werden. Das sind ganz klar Erfolge.“ (b-OBS B 1, 1568-1570)
Misserfolge, die nach Darstellung eines Mitarbeiters „eigentlich vorprogrammiert“ waren,
werden daran festgemacht, dass eine „Situationsveränderung vor Ort“ nicht so leicht möglich
sei wie man ursprünglich angenommen hatte, man vielmehr oft „gegen eine Mauer der Ignoranz“ anrenne. Dagegen sei es gelungen, Einzelpersonen in kommunalen Zusammenhängen
zu unterstützen bzw. zu sensibilisieren:
„Und wir im Laufe der Zeit mitkriegen, dass wir einfach sehr oft gegen eine Mauer von Ignoranz anrennen. Das haben wir uns sicher leichter vorgestellt. Und da haben wir auch in unseren Auswertungen, was wir vor Ort bewirkt haben, müssen wir oft feststellen: wir haben für
einzelne Kreise was bewirkt, einzelne Leute unterstützt, einzelne Leute auch zum Denken angeregt oder möglicherweise unter Druck gesetzt und zum Nachdenken gezwungen. Aber in
breite gesellschaftliche Kreise hineinwirken ist doch wesentlich schwieriger als wir uns das
eigentlich vorgestellt haben ursprünglich. Das ist nun aus meiner jetzigen Analyse, würde ich
sagen, kein Misserfolg, sondern es ist logisch, das es so ist. Aber wenn wir gucken, wier wir
an die Arbeit herangegangen sind, mit was für Vorstellungen über Erfolge, Ergebnisse, dann
könnte man schon sagen, das ist ein Misserfolg.“ (b-OBS B 1, 1542-1551)
Misserfolge werden in ähnlicher Weise von einem anderen Mitglied des Kleinteams darin gesehen, dass es nur selten gelungen sei, das Problem rechtsextreme Gewalt in kommunalen
Zusammenhängen so zu thematisieren, dass es anerkannt und damit verantwortungsbewusst
umgegangen werde:
„Und das würde ich auch noch gerne mit aufgreifen, das ist nämlich dass, was ich vorhin
noch sagen wollte, dass ich irgendwie an meine politische Tätigkeit die ich unter anderem
auch im ((Opferberatungsstelle)) ausübe, mit so einer Illusion daran gegangen bin, irgendwie
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
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den Menschen zu verändern. Also, den Menschen auch irgendwie durch die Gewalttat, dass
der sich empört über diese Gewalttat, dass er darüber auch mitkriegt was für Prozesse überhaupt ablaufen in seinem sozialen Umfeld, in seiner Kommune, in seiner Stadt und darüber
irgendwie eine Erkenntnis und eben eine Selbstreflexion anzuregen. Eigene Rassismen eben
auch irgendwie bei sich zu entdecken, solche Geschichten. (...) Und das ist halt irgendwie eine
Seltenheit aus der Erfahrung unserer Arbeit, dass wir als Opferberater meinetwegen in diese
Situation kommen wie auch immer, vorhin war es Schule, es kann die Kommune sein oder ein
Sportclub, dass wir in so eine Situation reinkommen und dort anerkannt wird, dass dieses
Problem da ist und dass dann irgendwie verantwortungsbewusst mit diesem Problem umgegangen wird.“ (b-OBS B 2, 1206-1220)
Ein Grundproblem scheint dabei zu sein, dass die Mitarbeiter/innen von Team B ihre Arbeit
als „politische Tätigkeit“ auffassen und die Absicht hatten, „den Menschen zu verändern“.
Derart unrealistische Großzielsetzungen können nur zu einem Misserfolg der Projektarbeit
führen.
Ein Vergleich der Ergebnisse zeigt, dass beide Projekte Erfolge wie auch Misserfolge vor allem im Bereich von Einzelfällen, also bei einzelnen gelungenen oder mißlungenen Beratungs- bzw. Begleitungsprozessen oder bei einzelnen Vernetzungszusammenhängen bzw. Öffentlichkeitsaktionen verorten. Dagegen ist es beiden Teams nach eigenem Bekunden nicht
gelungen, durchgreifende Veränderungen des politischen Klimas im Sinne einer Anerkennung des Themas Rechtsextremismus bzw. rechtsextreme Gewalt zu erreichen.
5.1.7 Zusammenfassender Vergleich der beiden Kleinteams
Die Beschreibung der beiden Kleinteams zeigt, dass es sich bei den untersuchten Teams um
zwei relativ ähnliche Varianten des Rahmenkonzepts „Opferperspektive“ handelt. Die Auffassung des Auftrags und der Zielsetzungen sind weitgehend identisch. Auch die fachlichen
Grundprinzipien (Parteilichkeit, Hilfe zur Selbsthilfe und Aktivierung) decken sich. Diese
weitgehende Übereinstimmung der Aufträge und Zielsetzungen, der fachlichen Grundprinzipien und der Arbeitsfelder lässt sich mit dem Einfluß des Ausgangsmodells „Opferperspektive Brandenburg“ erklären, das bei beiden Projektkonzepten ‚Pate gestanden’ hat.
Deutliche Unterschiede zeigen sich bei der Zielgruppenerreichung. Team A konzentriert sich
sehr stark auf die Zielgruppe, der auch das Mitarbeiterteam von Herkunft und Habitus her angehört: „alternative“, „nicht-rechte“ Jugendliche. Team B hat dagegen einen breiteren Zugang zu den potentiellen Zielgruppen gefunden und insbesondere auch gute Kontakte zu
Flüchtlingen und Migranten aufgebaut.
Unterschiede in den Arbeitsfeldern liegen zum einen darin, dass Team A stärker als Team B
die direkte Beratung als seinen Schwerpunkt einstuft, daneben auch Prävention und Vernetzung als Aufgabenbereiche sieht. Dagegen ist Team B stärker als Team A im präventiven Bereich tätig und führt in diesem Bereich jährlich zwei Großaktionen durch, von denen aktivierende Impulse ausgehen sollen: das Jugendcamp und die „Heimtour“. Die Öffentlichkeitsarbeit von Team A ist stärker fallbezogen ausgerichtet, während Team B neben der fallbezogenen Öffentlichkeitsarbeit auch öffentliche Diskurse mitgestalten will und dazu eine ausgedehnte thematisch ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit betreibt.
Beide Teams sind im Rahmen von kommunalen Interventionen engagiert, um die dortige lokale Situation im Sinne der Betroffenen zu beeinflussen. Diese lokalen Engagements sind
zum Teil ohne greifbares Ergebnis steckengeblieben bzw. haben zu einer Polarisierung ge-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
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führt (wie bei Team A) oder sind zum Teil im Sinne einer Veränderung des lokalen Klimas
wirkungslos verpufft (wie bei Team B).
Die von den Kleinteams konstatierten Ergebnisse ihrer Arbeit beziehen sich auf Erfolge im
Kleinen, also bei der Beratung und Begleitung der Betroffenen und bei einzelnen Beratungsprozessen im Bereich der Umfeldarbeit. Außerdem ist es beiden Projekten ihrer Einschätzung
nach gelungen, einzelne Netzwerke von Betroffenengruppen zu bilden und einzelne Selbstorganisationen zu stärken, allerdings überwiegend im Jugendbereich. Beide Teams konstatieren, dass es ihnen in der kurzen Zeit von zwei Jahren nicht möglich gewesen sei, das gesellschaftliche Klima in ihren Tätigkeitsregionen im Sinne einer Anerkennung des Problems
Rechtsextremismus und einem Nachlassen entsprechender Übergriffe zu verändern. Bei
Team B hat in diesem Zusammenhang eine Diskussion über den von ihm verfolgten Ansatz
kommunaler Interventionen bzw. die damit verbundenen politischen Implikationen eingesetzt, die noch nicht abgeschlossen ist.
5.2 Die Untersuchung der beiden Kleinteams aus der Außenperspektive
In einem zweiten Schritt wurde die Außenwahrnehmung der beiden Kleinteams durch Befragungen von Kooperationspartnern, zum Teil solchen mit Expertenwissen, untersucht. Dabei
standen folgende Themen im Vordergrund:
•
Beurteilung des Bedarfs für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und
Gewalttaten;
•
Beurteilung des Bekanntheitsgrades;
•
Tätigkeitsfelder/Zielgruppen/Beurteilung des Angebots;
•
Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit;
•
Beurteilung des Beratungsansatzes;
•
Beurteilung der Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen;
•
Ergebnisse/Veränderungen/Resonanz/Reaktionen;
•
Weitere Anregungen an die Projektarbeit.
5.2.1 Beurteilung des Bedarfs für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten
Der Bedarf für eine derartige Beratungsstelle wurde von den meisten Kooperationspartnern
bzw. Experten von Team A bestätigt. Ihre Existenz ist aus dem Blickwinkel eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung „sehr notwendig“, zumal es im Bereich der hauptamtlichen Tätigkeit mit oder für Flüchtlinge bzw. Migranten am Standort des Teams ansonsten
kaum entsprechende Beratungsstellen bzw. vergleichbare Einrichtungen gebe (c-OBS A,
Koop 1).
Vor allem eine Entlastungsfunktion sieht die befragte Vertreterin einer anderen örtlichen Opferberatungsstelle in der Arbeit von Team A. Besonders in ihren ersten Tätigkeitsjahren 1999
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
242
und 2000, als es Team A noch nicht gab, sei sie von Klienten „überrollt“ worden (c-OBS A,
Koop 6). Der Bedarf für die Tätigkeit und die Notwendigkeit des Projektes ist auch aus Sicht
eines Vertreters einer weiteren Opferberatungseinrichtung gegeben, vor allem wegen der
Größe der Region und der Entwicklung des grenznahen Raumes in Vorbereitung der EUOsterweiterung (c-OBS A, Koop 10).
Auch der Vertreter eines landesweit tätigen Netzwerkes hält den Bedarf für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt für gegeben, da er nicht wisse, auf wen er bei Übergriffen verweisen solle (c-OBS A, Koop 5).
Bedarf gibt es auch aus Sicht des befragten Polizeivertreters „eindeutig“, auch wenn die
rechtsextreme Gewalt zur Zeit stagniere bzw. leicht rückläufig sei und die entsprechenden
Delikte insgesamt nicht mehr so schwer und nicht mehr so häufig aufträten (c-OBS A, Koop
9).
Nach Feststellung eines Experten aus dem Bereich der örtlichen Justizbehörden, der für die
Gewaltdelikte im Bereich der rechtsextremen Straftaten zuständig ist, hat sich die Zahl der
Strafverfahren wegen rechtsextremer Gewalttaten in den letzten Jahren drastisch reduziert.3
Dies wird vor allem als Ergebnis der hohen Aufklärungsquote, der schnellen Aburteilung und
der hohen Strafen in Verbindung mit Schadenersatzauflagen gesehen, wodurch eine abschreckende Wirkung erzielt worden sei. Diese Entwicklung sei jedoch kein Argument gegen die
Arbeit von Team A, das seine Arbeit fortsetzen sollte, da man nicht wissen könne, wie die
Entwicklung weitergehe, und weil viele Straftaten gerade im Jugendbereich nach wie vor
nicht bekannt bzw. angezeigt würden. In der Stimulierung der Anzeigebereitschaft liegt für
den juristischen Experten eine wichtige Funktion von Team A (c-OBS A, Koop 8).
Auch die befragten Kooperationspartner und Experten von Team B bejahten weitgehend den
Bedarf für die Tätigkeit des Teams am Standort und in der Region: „Ja auf alle Fälle. Also in
((Stadtname)) selber sowieso und in ((Stadtname)) Umgebung, glaube ich, noch mehr. Denn
((Opferberatungsstelle)) macht ja auch Arbeit über die reine Betreuung hinaus, also Weiterbildung und sowas, also, ich glaube, es ist schon total wichtig, also Weiterbildung, Artikel
schreiben.“ (c-OBS B, Koop 4, 134-136) Dies sei auch deshalb so, weil es am Standort ansonsten kaum kompetente Ansprechpartner für das Thema gebe, wie ein Kooperationspartner
aus dem Bereich der Migrantenarbeit bemerkte (c-OBS B, Koop 5, 408-416). Auch ein Experte aus der Landespolitik unterstreicht nachdrücklich den Bedarf für die Tätigkeit der Opferberatungsstelle: „Ich glaube das gibt es in jeder Region. Ich würde schon sagen, dass das
ein absolut vernachlässigtes Problem im Rahmen der gesamten Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus ist. Normalerweise gibt es ja diese Täterfixierung. Insofern halte ich das
schon für einen richtigen Fortschritt, dass es so etwas gibt.“ (c-OBS B, Koop 7, 36-39)
Nach Wahrnehmung eines weiteren Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung ist der
Bedarf im Rahmen der Beratungsarbeit im engeren Sinne nicht gegeben, da die Zahl der Op-
3
Die Anzahl der Beschuldigten rechtsextremer Gewalttaten im Landgerichtsbezirk von Team A betrug
im Jahr 1998 18 Personen, 1999 11 Personen, 2000 zwei Personen, 2001 neun Personen, 2002 und
2003 null Personen. Die Anzahl der Verfahren betrug 1998 fünf, 1999 sechs, 2000 eins, 2001 sechs
Verfahren; in den Jahren 2002 und 2003 wurden keine Verfahren durchgeführt. (Briefliche Mitteilung
des Leitenden Oberstaatsanwalts des entsprechenden Landgerichtsbezirks an den Verfasser, 1.10.2003)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
243
fer im „klassischen Sinne“ gering sei. Wichtig sei allerdings, dass der Tätigkeitsbereich von
Team B nicht nur die Beratung von Opfern im engeren Sinn umfasse, sondern das Team in
starkem Maße präventive, bewusstseinsbildende Arbeit leiste. In dieser Gesamtfassung mache das Tätigkeitsfeld „sehr wohl Sinn“ und sei auch eine „sinnvolle Ergänzung“ seiner eigenen Arbeit in der Stadtverwaltung:
„Also ich denke, wenn man es auf die klassische Form – da kommt ein Opfer und ich berate
dieses Opfer – wenn man es darauf reduzieren würde, glaube ich, ist so eine Beratungsstelle
nicht gerechtfertigt. Da die Zahl derer, die eben in diesem klassischen Sinne Opfer sind, die
Unterstützung brauchen, relativ gering ist. (...) Aber wenn man das erweitert in die präventive
Arbeit, dass eben dazu auch gehört Öffentlichkeitsinformation, Informationsveranstaltung, am
Bewusstsein der deutschen Mehrheitsbevölkerung zu arbeiten, dass eben eine humanitärere
Einstellung zu Flüchtlingen..., egal wie ich im einzelnen dazu stehe, aber dass ich eben Gewalt
im Umgang damit ausschließe. Wenn ich in die Schulen gehe und Projekte mache oder wenn
ich in Kooperation mit anderen Vereinen und Initiativen dort versuche, Öffentlichkeitsarbeit
zu machen. Oder wenn ich eben auch in Migrantenvereinen, wo Migranten selber organisiert
sind, berichte welche Möglichkeiten gibt es da, ermuntere, ermutige, auch bei einer in Anführungsstrichen kleinen Geschichte zu sagen, ich lasse mir das so nicht gefallen. Vom Opfer von
Gewalttaten eben auch, sagen auch Leute, wenn ihr nicht Gewalt erlebt habt, aber Beschimpfung, Diskriminierung oder so was, kommt ruhig auch und wir können das besprechen. Wenn
man es in diese Richtung erweitert, dann macht es sehr wohl Sinn und dann ist es auch eine
sinnvolle Ergänzung mit meiner Arbeit hier.“ (c-OBS B, Koop 1, 71-93)
Ein Experte aus der Landespolitik, zudem ein ausgewiesener Kenner der rechtsextremen Szene hält den Bedarf im Bundesland von Team B für rückläufig, da es eher einen „Rückgang
von Gewalttaten gibt, jedenfalls was die politisch organisierten Kreise angeht, wie Kameradschaften und Parteigliederungen“, verbunden mit einem Strategiewechsel in der rechtsextremen Szene. Er verweist aber auf das fortbestehende Gewaltpotential, das aber gegenüber dem
Anfang der neunziger Jahre abgenommen habe und auch weiter abnehme. Trotzdem stellt er
ein Fortbestehen der Opferberatungseinrichtung von Team B nicht in Frage:
„Also, da sehe ich eher einen rückgehenden Bedarf, nur das Problem ist ja, dass solche Einrichtungen, wenn man sie sich denn leisten will, ja so etwas wie eine Vorhaltefunktion oder
Fixkostenproblematik haben, so dass man ja nicht analog zum Rückgang solcher Vorfälle diese Einrichtungen reduzieren kann. Also, insofern ist der Bedarf wahrscheinlich eher rückläufig in den letzten Jahren, aber ob das zu einem Zurückgehen der Gelder, die man in dem Bereich verausgaben will, führen kann, das würde ich mal bezweifeln.“ (c-OBS B, Koop 7, 7782)
5.2.2 Beurteilung des Bekanntheitsgrades
Der Bekanntheitsgrad von Team A wird unterschiedlich beurteilt, wobei deutlich wird, dass er
im ganzen offenbar „noch zu gering“ (c-OBS A, Koop 10) ist, wie ein Kooperationspartner
aus der Beratungsarbeit resümiert. Es mangelt dem Projekt offenbar noch an einer wirklichen
Breitenwahrnehmung, die über die Kreise der eigenen Kooperationsnetzwerke hinausreicht.
Ein weiterer Kooperationspartner führt aus, der Bekanntheitsgrad sei „mittelmässig“, nicht
alle würden das Projekt kennen, die es kennen sollten. Dies sei aber kein Kriterium gegen
Team A, denn das habe auch mit „politischer Ablehnung“ in der Region zu tun (c-OBS A,
Koop 1). Dagegen geht ein weiterer Kooperationspartner davon aus, Team A sei „sehr bekannt bei Leuten, die in diesen Zusammenhängen arbeiten“ (c-OBS A, Koop 4). Zum Teil
besteht ein relativ geringer Bekanntheitsgrad auch bei potentiellen Zielgruppen. Jugendliche,
die in einer 30 Kilometer vom Standort von Team A entfernten Kleinstadt lebten und Opfer
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
244
eines Anschlags geworden waren, wussten nach Darstellung eines Kooperationspartners
nichts von der Existenz von Team A und mussten von diesem erst darauf aufmerksam gemacht werden (c-OBS A, Koop 4).
Ein Kooperationspartner aus dem Bereich der Beratungsarbeit äußert die Wahrnehmung, dass
„die Arbeit gar nicht so furchtbar nach außen dringt“, das sei aber bei Opferarbeit häufig so.
Team A habe etwa einmal im Jahr „einen ganz großen Artikel“ in der Zeitung gehabt (im
letzten Jahr zum Beispiel über die Situation in den Dörfern), den er „sehr gut“ fand und er
wisse auch, dass der von allen Sozialarbeitern in der Gegend „beachtet und gelesen wurde“.
Ansonsten werde Team A in der nicht-linken Szene „nicht so großartig wahrgenommen“ (cOBS A, Koop 6). Der Experte von der lokalen Polizeibehörde schätzt den Bekanntheitsgrad
von Team A in der „linken Szene“ als gut ein, in der „rechten“ sei er das ebenfalls. Ein höherer Bekanntheitsgrad könne seiner Meinung nach „nicht schaden“ (c-OBS A, Koop 9).
Die Bekanntheit von Team A in der breiteren Öffentlichkeit wird vom Vertreter eines landesweit tätigen Netzwerkes als eher gering eingeschätzt, was auf ein Desinteresse am Thema
Rechtsextremismus und die Schwierigkeit, Presseveröffentlichungen zu lancieren, zurückgeführt wird:
„Ich denke so bekannt ist es nicht, weil auch in der Bevölkerung das keine große Rolle spielt.
Das Thema ist nicht so das allerwichtigste für viele. Öffentlichkeitsarbeit wird ziemlich viel
gemacht, ((Opferberatungsstelle))-Infostände findet man bei ganz vielen Veranstaltungen und
auch die Informationsmaterialien sind flächenmäßig breit gestreut.“ (c-OBS A, Koop 4)
Die Bekanntheit von Team B wird je nach Bezugsgruppe unterschiedlich eingeschätzt. Bei
Betroffenen bzw. potentiell Betroffenen sei sie in jedem Fall „da“ (c-OBS B, Koop 4, 92). In
Fachkreisen, die zu den Themen von Team B arbeiten (Ausländerbeirat, Migrantenvereine,
Initiativen, RAA) und in der Jugendszene sei Team B bekannt und geschätzt (c-OBS B, Koop
4, 285-294) bzw. „eine feste Größe und ein wichtiger Begriff“ (c-OBS B, Koop 1, 172-173)
und inzwischen „Fachansprechpartner für dieses Thema“ an seinem Standort (c-OBS B,
Koop 1, 177). Die Bekanntheit von Team B in der allgemeinen Öffentlichkeit wird dagegen
als eher gering eingeschätzt, „weil die Präsenz in den Medien ist nun nicht so, dass jemand,
der es nur über die Medien wahrnimmt, das in einer solchen Weise erfährt, dass sich das im
Kopf fest setzt, ohne dass ich mich für dieses Thema interessiere (c-OBS B, Koop 1, 177187). Dies wird auch von einem Experten aus der Landespolitik bestätigt, der darin ein strukturelles Problem von entsprechenden Initiativen sieht, auf die die breitere Öffentlichkeit lediglich dann aufmerksam werde, „wenn irgendwas brennt“ (c-OBS B, Koop 7, 410-411).
In räumlicher Hinsicht wird die Bekanntheit von Team B am eigenen städtischen Standort
von einem Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich als „garantiert sehr gut“ angesehen, was auch darauf zurückzuführen sei, dass das Büro günstig in einem Viertel liege, „wo
viele Initiativen sind“. Im ländlichen Bereich sei die Bekanntheit dagegen „relativ gering,
was einfach damit zu tun hat, dass die Medien, die wir nutzen können, relativ wenig Tagespresse und solche Sachen sind, weil die sich relativ wenig für uns interessieren.“ (c-OBS B,
Koop 3, 273-275)
Ein anderer Kooperationspartner macht auf den Netzwerk-Charakter des Opferberatungsprojekts, dem Team B zugeordnet ist, aufmerksam, der dazu beitrage, dass das Projekt ein verlässlicher Partner sei. Das Projekt tue sehr viel für seine Bekanntheit, der Aufbau eines ge-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
245
wissen Bekanntheitsgrades sei aber nicht zuletzt „eine Frage der Zeit und der Beharrlichkeit“
in Verbindung mit einer kontinuierlichen Förderung (c-OBS B, Koop 5, 480-487). Ein weiterer Kooperationspartner betont, Bekanntheit sei „ein langsamerer Prozeß. Man kann nicht einen Verein gründen und innerhalb von zwei Jahren überall bekannt sein.“ (c-OBS B, Koop 8,
152-153)
5.2.3 Tätigkeitsfelder/Zielgruppen/Beurteilung des Angebots
Was den Tätigkeitsbereich von Team A angeht, fällt bei Kooperationspartnern zunächst die
Beratungsarbeit auf. Ein Kooperationspartner aus der Beratungslandschaft hat dabei den Eindruck, es kümmere sich um Opfer „aus linken Clubs“, die bei Festen überfallen werden, darüber hinaus lediglich in Einzelfällen um „Ausländer“ (c-OBS A, Koop 6). Diese Gewichtung
sei auch begründbar, denn die Opfer rechtextremer Gewalt in der Region seien vorwiegend
junge (nicht-rechte) Menschen in den Dörfern der Umgebung, bei denen es einen Unterschied
zu anderen Opfergruppen gebe: Die Täter wohnten im Nahumfeld der Opfer (ähnlich wie bei
häuslicher Gewalt), würden „ständig überfallen, verfolgt und bedroht“, zum Teil gebe es auch
eine Ausweitung auf Familienangehörige (c-OBS A, Koop 6).
Aus Polizeisicht wird das Aufgabenfeld von Team A für „sehr wichtig“ gehalten, besonders
notwendig sei eine Ermunterung zur Anzeigeerstattung, denn gerade aus Kreisen „alternativer
Jugendlicher“ kämen keine Anzeigen, außerdem seien vorbeugende Maßnahmen
(Workshops, Vorträge) vonnöten (c-OBS A, Koop 9). In ähnlicher Weise betont der Experte
aus dem örtlichen Justizwesen die wichtige Funktion von Team A als „Gegengewicht im
Strafverfahren“ (b OBS 5, Koop 8). Gerade nach der Tat seien viele Opfer ratlos und überfordert und bedürften der moralischen Unterstützung bei der Bewältigung der Tatfolgen und
der juristischen Aufarbeitung der Tat. Wichtig sei vor allem die Unterstützung und Begleitung bei der Anzeigeerstattung (insbesondere Betroffene aus der alternativen Jugendszene
wollten mit der Polizei häufig nichts zu tun haben und erstatteten deswegen keine Anzeige)
und vor Gericht als Beistand der betroffenen Personen (c OBS A, Koop 8).
Ein Vertreter eines mit Team A kooperierenden landesweiten Netzwerkes beurteilt dessen
Angebot als „sehr positiv“. Für Jugendliche im ländlichen Raum seien die Beratungsstellen
allerdings schwierig zu erreichen, was aber durch die „sehr professionell und sehr hilfreich“
gestaltete Web-Site kompensiert werde, „weil dort viel geschrieben ist, wie man sich im konkreten Fall verhalten kann und warum es zum Beispiel notwendig ist, jeden Übergriff anzuzeigen und dann da auch ganz unproblematisch Kontakt hergestellt werden kann“ (c-OBS A,
Koop 4).
Neben der Beratungsarbeit kümmert sich Team A auch um die Unterstützung des Umfeldes
der Opfer und leistet Lobbyarbeit für die Betroffenen im kommunalen Raum, unter anderem
durch Öffentlichkeitsarbeit. Team A sei allerdings überwiegend an einschlägigen Stellen des
Jugendbereichs bekannt, dagegen weniger im Bereich der Opferarbeit mit Flüchtlingen engagiert, wie ein Kooperationspartner aus dem Beratungsbereich hervorhebt. Er habe Team A
einmal in eine benachbarte Stadt „gelockt“, weil er dort zusammen mit der
Ausländerbeauftragten einen Integrationsrat gegründet habe, der sich für die Flüchtlinge
einsetze und Team A dazugeholt, als man dort ein Asylbewerberheim besucht habe. Da seien
sie „nur einmal“ mitgekommen, „ich hatte ihnen vorgeschlagen, dass sie die beiden anderen
Heime mit besuchen kommen und das haben sie dann nicht gemacht, weil sie dann doch
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
246
chen kommen und das haben sie dann nicht gemacht, weil sie dann doch meinten, das wäre
ihnen zu viel“ (c-OBS A, Koop 6).
Auch ein anderer Kooperationspartner vermisst eine vertiefte Beschäftigung von Team A mit
dem Flüchtlingsbereich, von daher decke das Angebot der Opferberatungsstelle „nicht ganz“
den Bedarf ab. Er vermisst zum Beispiel Aktivitäten, „um auf die Heimsituation aufmerksam
zu machen, auf die Isolierung aufmerksam zu machen, warum passieren denn so viele Übergriffe, viele Menschen sind isoliert, auch in ((Stadtname)), ((Stadtname)) ist das praktische
Beispiel wo ich gesagt habe, ihr als ((Opferberatungsstelle)) ich verstehe euer Projekt so,
stärker mit dem Ausländerbeauftragten, dem Herrn ((Name)), des Landkreises ((Name)) zu
gucken, wie kann man Begegnung schaffen, wie sind die Bedürfnisse der Asylbewerber, die
auch gut Deutsch sprechen, junge Männer aus verschiedenen afrikanischen Ländern mit den
dortigen Jugendclubs“ (c-OBS A, Koop 5), denn dadurch könne die Gefahr von Übergriffen
verringert werden, je mehr die afrikanischen Flüchtlinge andere Jugendliche kennten, desto
wohler könnten diese sich fühlen und desto geringer werde die Gefahr eines rechtsextremen
Übergriffs sein. Parallel dazu sollten andere Tätigkeitsfelder, zum Beispiel die Recherchearbeiten, seiner Meinung nach verringert werden :
„Hier vermisse ich ein Stück weit genau diese Ausrichtung zu sagen: ‚Kommt doch ein Stückweit weg von dieser Antifarecherche..., obwohl ich davon natürlich stark partizipiere und profitiere, und guckt so ein bisschen hin in diesen gesamten Flüchtlingspolitik- und Flüchtlingsbereich (...) hier wünsche ich mir andere Prozesse. Und ich denke, wir haben ((Opferberatungsstelle)) mit einer Finanzierungsstruktur über CIVITAS, warum guckt da ((Opferberatungsstelle)) nicht hin?“ (c-OBS A, Koop 5)
Der befragte Kooperationspartner wünscht sich daher im Zuge eventueller Stellenneubesetzungen eine andere Ausrichtung von Team A im Hinblick auf das Flüchtlingsthema (c-OBS
A, Koop 5).
Von dem Tätigkeitsbereich von Team B fällt einem Rechtsextremismus-Experten aus der
Landespolitik zunächst „eine mehr oder weniger umfangreiche Recherchearbeit im Bereich
rechtsextremistischer Vorkommnisse, aber auch Strukturen“ (c-OBS B, Koop 7, 161-162) ins
Auge. Der Experte kritisiert auf der einen Seite das Ausmaß dieser Recherchen („Das hat ja
dann teilweise Inspektor Gadget oder Scotland Yard Charakter.“ c-OBS B, Koop 7, 162-163),
bei denen es keine „reine Orientierung auf Opfer“ gebe, sondern ganz dezidiert regional
rechtsextremistische Strukturen beobachtet würden und versucht werde, sie in eine Lageanalyse mit einzubinden, hält sie aber, legt man den Gesamtansatz von Team B zugrunde, auch
für „nicht falsch“, wenn auch offenbar für etwas überdehnt:
„Und wenn ich in einer Stadt X ein Opfer beraten will und ich weiß nicht wie da die Szene vor
Ort funktioniert und ob die Person X noch mal ein paar auf die Schnauze kriegt, das sind ja
schon wichtige Informationen. Ich weiß nun nicht, ob die ganzen Recherchearbeiten immer
auch unmittelbar im Zusammenhang mit der Opferberatung stehen. Oder ob das nicht auch
kriminalistisches Interesse bei einigen ist.“ (c-OBS B, Koop 7, 174-178)
Ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung am Standort von Team B mit Nahblick
stellt aus den Tätigkeitsfeldern des Teams eher die „direkte Beratung“, also „die direkte und
unmittelbare Unterstützung von Leuten, die Opfer von Gewalt geworden sind“ heraus, wobei
die Beratungen über Entschädigung, die Vermittlung von Rechtsanwälten und die Begleitung
zu Ämtern besonders hervorgehoben werden (c-OBS B, Koop 1, 98-103). Neben dem Tätigkeitsbereich der direkten Beratung und Begleitung wird von dem betreffenden Kooperations-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
247
partner auch der Bereich der sensibilisierenden und präventiv ausgerichteten Tätigkeit von
Team B wahrgenommen:
„Dann nehme ich sehr wohl wahr, dass bestimmte Informationsveranstaltungen stattgefunden
haben, sowohl wo eingeladen worden ist zu kommen als auch Kontakte zu Schulen, wo dann
Projektarbeit in Schulen stattgefunden hat. Auch eine gewisse Öffentlichkeitsarbeit über die
Medien, wobei ich mitunter da auch nicht alles so ganz glücklich fand.“ (c-OBS B, Koop 1,
98-107) (vgl. Kap. 5.2.4)
Ein Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich betont die „Unersetzbarkeit“ des Opferberatungsprojekts von Team B, vor allem in Hinblick auf die Vermittlung von Informationen
und als Ansprechpartner in konkreten Opfersituationen:
„Also diese grundsätzlichen Dinge von denen wir profitieren, also was vor allem Informationsvermittlung angeht etc., das wäre für uns im gewissen Sinne überlebensnotwendig, die weiterhin von ((Opferberatungsstelle)) zur Verfügung gestellt zu bekommen. Ansonsten ist es für
uns sehr wichtig einen Ansprechpartner zu haben, wenn es um konkrete Opfersituationen geht.
Also da sind sie für uns unersetzlich. Und im Großen und Ganzen würde ich auch sagen, dass
die Arbeit vor Ort in Beratungssituationen auch hervorragend funktioniert.“ (c-OBS B, Koop
3, 491-497)
Ein Schwerpunkt von Team B ist (im Gegensatz zu Team A) die Unterstützung von betroffenen Flüchtlingen bzw. Menschen aus Migrantenfamilien, der in den Interviews etwas stärker
beleuchtet wurde als die Arbeit mit der Zielgruppe der jugendlichen Opfer, da zwei der befragten Kooperationspartner/innen von Team B in der Migrantenarbeit tätig sind. Über einen
dieser Kooperationspartner wurde Team B auch der schwierige Zugang zu Migrantenfamilien
eröffnet. Es sei nämlich auch bei längerem Vorkontakt schwierig, deren Vertrauen zu gewinnen, damit „die Familien wirklich darüber reden, wenn ihnen etwas zugestossen ist. (...) Und
wir haben einfach Familien gehabt, die erst nach längerer Zeit wirklich gesagt haben, was
vorgefallen ist. Also erstens gibt es ein Level von Ertragen und von Leid, der einfach ganz
anders ist als das, was wir kennen. Wo sie einfach sagen: ‚Ja mein Gott. Ich komme aus einem Bürgerkriegsland. Wenn ich einmal eine gehauen bekomme oder geschlagen werde, das
nehme ich hin, vielleicht war es das einzige Mal.’ und ‘Ich sage nichts darüber.’“ (c-OBS B,
Koop 5, 271-278)
Team B habe aber mit Unterstützung der betreffenden Kooperationseinrichtung diesen Zugang zu Migrantenfamilien geschafft (c-OBS B, Koop 5, 160-168). Die entsprechende Kooperationseinrichtung fühlt sich dadurch deutlich entlastet, da für die komplizierte, belastende
und zeitintensive Begleitung beispielsweise von Anzeigenaufnahmen bisher keine personellen Ressourcen und für Rechtsfragen auch keine Fachkompetenz zur Verfügung gestanden
hätten. Dies habe sich jetzt durch die Tätigkeit von Team B geändert, das diese Aufgabe übernommen hat:
„Also vom Prinzip her brauchten wir einen vertrauensvollen Partner, wo wir auch der Meinung sind, er ist vertrauensvoll aus der Sicht unserer Immigranten, der von dem Moment an,
wo wir die Kenntnis haben, dass etwas vorgefallen ist, wir guten Gewissens die Leute übergeben können, nachdem wir sie natürlich vorbereitet haben. Und das ist auch passiert.“ (c-OBS
B, Koop 5, 203-210)
Von der betreffenden Kooperationseinrichtung wird der Zugang zu Team B dadurch gefördert, dass auf die Arbeit des Teams im Rahmen von Veranstaltungen oder durch persönliche
Ansprache hingewiesen und vor allem auch auf die Anonymität und Diskretion der Beratung
aufmerksam gemacht wird (c-OBS B, Koop 5, 313-318). Im Ergebnis sei es Team B gelun-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
248
gen, das Vertrauen der Klienten zu gewinnen. Es gehe dem Team „im Gegensatz zu anderen
sogenannten Partnern (...) um das Wohl des Klienten und die Weiterentwicklung des Themas“. Imagegesichtspunkte spielten dagegen keine Rolle (c-OBS B, Koop 5, 931-938). Team
B habe eine Sensibilität für seine Klienten aufgebaut, „die sehr angenehm ist, die für die
Migranten sehr wichtig ist“ (c-OBS A, Koop 5, 832-833). Als überaus positiv wird auch der
gleichberechtigte Umgang zwischen den Mitarbeiter/innen von Team B und seinen Klienten
aus der Personengruppe der Asylbewerber bzw. Migranten bewertet und der damit verbundene gute Kontakt zu den Migrantenorganisationen in der Stadt hervorgehoben:
„Aber ((Opferberatungsstelle)) tut sich schon in dem Punkt hervor, dass sie nicht nur über ihr
Klientel reden, sondern mit ihrem Klientel arbeiten. (...) Es ist einfach so, es ist schon eine
gleichberechtigte Zusammenarbeit, die man einfach spürt. Und in anderen Projekten ist es
teilweise so, dass dann die Hauptamtlichen, zumeist deutschen Hauptamtlichen, die großen
Gönner sind, die Hilfsangebote an die kleinen Migranten unterbreiten. Und bei ((Opferberatungsstelle)) ist es schon so, dass eindeutig dabei hervorkommt, dass Migranten gleichberechtigt sind, dass sie gleichberechtigt behandelt werden, und nicht jetzt als, in dem Sinne nur in
Anführungsstrichen, das Klientel oder der Hilfesuchende. Also sie haben auch, unseres Wissens nach, einen sehr guten Kontakt zu den Migrantenvertretungen in ((Stadtname)). Und das
ist ganz, ganz wichtig. Weil das ist in ((Stadtname)) nicht überall üblich. Sondern eher die Variante, wir holen uns mal einen Migranten (zum) zur Schau stellen und eine Runde Trommeln
und dann sind wir alle ganz interkulturell.“ (c-OBS B, Koop 5, 551-553, 570-581)
5.2.4 Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit
Die meisten Kooperationspartner/innen von Team A betonen die Notwendigkeit von Öffentlichkeitsarbeit, „damit die Leute wissen, dass es so was gibt und dass man sich dorthin wenden kann“ (c-OBS A, Koop 4). Für einen ortsansässigen Mitarbeiter eines Beratungsnetzwerkes ist sie bei Team A „bisher noch zu schwach entwickelt“ (c-OBS A, Koop 10). Dabei ist
jedoch auch immer das Problem des Zugangs zu den entsprechenden Medien in Rechnung zu
stellen. Was Medien betrifft, so ein mit Team A kooperierender Mitarbeiter eines landesweit
tätigen Netzwerkes, sei man immer auf den guten Willen der Zeitungen bzw. Sender angewiesen, „das kann schon schwierig sein, aber ab und zu gibt es auch Pressemitteilungen, die
von ((Opferberatungsstelle)) kommen“ (c-OBS A, Koop 4). Seiner Meinung nach wird durch
Team A „ziemlich viel“ Öffentlichkeitsarbeit gemacht, Infostände des Opferberatungsprojekts finde man „bei ganz vielen Veranstaltungen“ und auch die Informationsmaterialien seien „flächenmäßig breit gestreut“ (c-OBS A, Koop 4).
Nach Darstellung eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung werden von Team A
im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit unterschiedliche Zugangswege beschritten: Zum einen
gebe es eine kontinuierliche Berichterstattung über die eigene Arbeit, mit dem Versuch, einen
Zugang für Berichte zu finden. Dies betreffe sowohl Aktivitäten in der Verwaltung (Vorträge
in bestimmten Ausschüssen und Gremien, die sich dafür anbieten), in der Öffentlichkeit (zum
Beispiel einer Informationsveranstaltung in der Stadthalle mit sehr guter Resonanz) und Versuche, Informationen zu verbreiten und politische Diskussionen mit zu gestalten (zum Beispiel bei Runden Tischen: „da sind sie präsent, da lassen sie sich auch nicht die Butter vom
Brot nehmen und versuchen, Positionen festzuklopfen“). Kennzeichnend für diese Informationsvermittlung sei „eine eindeutige, exakte Schilderung von den Dingen und das ist ja auch
das Entscheidende“ (c-OBS A, Koop 1).
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
249
Im Hinblick auf das Vorgehen bei der Öffentlichkeitsarbeit gab bzw. gibt es mit einem
Kooperationspartner durchaus „kontroverse Positionen“: Zum Beispiel sei die Definition der
Begriffe Faschismus oder Rechtsradikalismus „nicht falsch, aber ungeeignet, wenn ich davon
ausgehe, dass ich eh erst mal eine ablehnende Haltung mir gegenüber sehe, dann muss ich
moderater einsteigen und nicht Leute einfach zuknallen mit dem Schärfsten“ (c-OBS A,
Koop 1). Derselbe Kooperationspartner hat bei gemeinsam vorbereiteten Unterrichtsmaterialien in den von Team A verfassten Texten zu den Themen rechte Gewalt/Vorurteile, eine
„einseitige Wertigkeit“ festgestellt; Öffentlichkeitsarbeit müsse aber in ihren Augen „so wertfrei wie nur möglich sein und am Ende muss der Andere sich sein Urteil bilden können“, daran müsse noch gearbeitet werden. (c-OBS A, Koop 1).
Team B betreibt erstens regelmäßig eine fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit, zweitens erfolgt
eine öffentliche Beschäftigung mit Themen, welche die Lebensumstände der Hauptzielgruppen betreffen. Vor allem eine Mitwirkung an der Bleiberechtskampagne und die Beteiligung
an der Aufklärung über den sog. „Dschungelheimerlaß“, durch den die bisher abgelegenen
Asylbewerberheime in Städte verlegt werden sollen, was dort eine Fülle von Widerstand und
Ablehnung hervorgerufen hat, sind Team B wichtig (c-OBS B, Koop 4, 180-195). Weitere
Hauptthemen sind nach Wahrnehmung eines Kooperationspartners aus dem CIVITASBereich „aktuelle Gewalt in all ihrer Spielweite, sei es rassistisch motiviert oder sei es Jugendgewalt, also wirklich die aktuellen Fälle, ist der eine große Bereich. Und das andere
könnte man umreißen: eine Problematisierung des Phänomens Alltagsfaschismus“ (c-OBS B,
Koop 3, 304-307).
Von den meisten Kooperationspartner/innen wird die Öffentlichkeitsarbeit von Team B positiv bewertet. Ein Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich sieht in Team B ein „permanentes erinnerndes Gewissen, das gegen so eine Tendenz arbeitet, Sachen nur noch auf
Seite zehn in ganz kleinen Sachen in der Zeitung zu zeigen oder zu verschweigen oder sonst
irgendwas“ (c-OBS B, Koop 3, 317-319). Nach Auffassung eines Kooperationspartners aus
der Migrantenarbeit ist Team B „so eine Art unabhängiges Sprachrohr“, durch das in einer
Stadt, in der die Kommunalpolitik ansonsten vorwiegend auf Imageerhalt und Symbolpolitik
ausgerichtet sei, bestimmte Themen nicht nur aufgegriffen, sondern den von rechtsextremer
Gewalt Betroffenen durch Aufrufe, Spendenaktionen etc. auch tatkräftige Hilfe geleistet werde:
„Sie haben auch zu einer Spendenaktion aufgerufen als es den Anschlag, den erneuten Anschlag, auf das ((Name))-Haus gab. Ich weiss gar nicht - letztes Jahr im Sommer? Und da war
es so, da gab es zwei Geschichten. Da gab es die eine Geschichte, dass natürlich Kommunalpolitiker gegangen sind und ihr Gesicht dort gezeigt haben und gesagt haben: ‚Wir finden das
alles ganz schlimm.’, und ((Opferberatungsstelle)) hat einfach gleich eine Aktion gestartet und
hat einen Spendenaufruf in der Öffentlichkeit gemacht, um den Opfern sozusagen... - das war
ein Asia Shop der, glaube ich, irgendwie ausgebrannt war. (...) Und dann noch irgendwas und
haben das einerseits natürlich konkret umgesetzt, indem sie die Bevölkerung aufgerufen haben, und andererseits gleich Informationen damit verkauft in der Öffentlichkeit. Und das ist
ganz, ganz wichtig. Das ist sonst was, was nicht unbedingt in ((Stadtname)) passiert. Sonst hat
das eher so nur Image-Charakter. (...) Es gibt die Kommunalpolitiker, die können hervorragend ((Stadtname)) zehn Jahre danach für sich vermarkten. Weil ja jetzt alles super schön ist
und wir ja jetzt die Olympiabewerbung haben und wir haben ja überhaupt keine Probleme.
Dass Leute angegriffen, bespuckt, beschmissen und zusammengeschlagen werden, na ja, mein
Gott. Und das ist wirklich schwierig, da mit der Wahrheit in die Öffentlichkeit zu kommen und
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
250
da ist die ((Opferberatungsstelle)) natürlich so eine Art unabhängiges Sprachrohr, muss man
einfach so sagen.“ (c-OBS B, Koop 5, 634-654, 686-692)
Ein weiterer Kooperationspartner aus dem Bereich Migrantenarbeit bezeichnet die Öffentlichkeitsarbeit von Team B in ähnlicher Weise als wichtig und unverzichtbar, weil dadurch
Vorfälle bzw. Themen in die Öffentlichkeit gebracht würden, die ansonsten wahrscheinlich
nie bekannt geworden wären, wie zum Beispiel eine unterlassene Hilfeleistung eines Busfahrers gegenüber Jugendlichen, die von Rechtsextremen zusammengeschlagen worden waren
und den Busfahrer vergeblich um Hilfe gebeten hatten:
„Wenn ich zum Beispiel sehe, dass, ich habe ja jetzt wirklich nur mit Migranten und Migrantinnen zu tun, also, als das passiert ist mit dem Jungen, der in der Nähe von einer Bushaltestelle, also neben der Bushaltestelle zusammengeschlagen wurde vor kurzem und dass das öffentlich gemacht wurde von ((Opferberatungsstelle)) und dass erst dann der Stein ins Rollen
gekommen ist, das finde ich schon total wichtig, das ist absolut wichtig. (...) Ich bin mir sicher,
sowas würde nie öffentlich gemacht werden, das würde auch nie bekannt werden.“ (c-OBS B,
Koop 4, 137-141)
Das Vorgehen der Opferberatungsstelle in diesem Fall wird allerdings von einem anderen
Kooperationspartner aus dem Bereich der Stadtverwaltung kritisch gesehen. Die Opferberatungsstelle sei in diesem Fall zu schnell in die Öffentlichkeit vorgeprescht und habe Beschwerdemöglichkeiten in Form von internen Gesprächen nicht genutzt. Der Kooperationspartner mahnt daher für die Zukunft ein sensibleres Vorgehen an, weil sonst mit Pauschalvorwürfen leicht Institutionen bzw. Personen vor den Kopf gestoßen werden könnten, die im
Prinzip Verbündete sein könnten:
„Auch eine gewisse Öffentlichkeitsarbeit über die Medien, wobei ich mitunter da auch nicht
alles so ganz glücklich fand. (...) Ich will es mal an einem Beispiel machen und denke es zeigt
aber auch so ein Stück die Position, die diese jungen Leute überhaupt haben. Es gab eine Geschichte mit den ((Stadtname)) Verkehrsbetrieben hier, kennen Sie ja? Und da war dann sehr
schnell der Vorwurf, (...) dass Leute, die Opfer von rechtsextremer Gewalt geworden sind,
dort nicht unterstützt worden sind und dass es dort eben auch eine Haltung von, also ein Defizit in der Haltung in diesem Unternehmen gegen Rechtsextremismus geben würde. (...) Und
dort einfach nicht erst einmal das Gespräch zu suchen und zu sagen ich kläre mal, wie es gewesen ist und in die Presse hinaus zu plautzen, das sind Leute, die Extremismus, Rechtsextremismus tolerieren, das halte ich dann doch schon für etwas schwierig, weil es nimmt eigentlich auch die Möglichkeit zu agieren, was zu beeinflussen, was zu verändern, wenn ich sage
Du bist einer, der Rechtsextremismus unterstützt, dann machen die ja auch erst einmal zu.
Und da denke ich wäre es einfach angebracht etwas sensibler zu verfahren, auch Partner zu
gewinnen, Leute nicht vor den Kopf zu stoßen, die eigentlich Verbündete sein könnten.“ (cOBS B, Koop 1,106-141)
5.2.5 Beurteilung des Beratungsansatzes
Der Beratungsansatz von Team A und seine zentralen Prinzipien (aufsuchendes Vorgehen,
niedrigschwellige Ansprache und Parteilichkeit für die Opfer) wird, soweit er den Kooperationspartnern bekannt ist, überwiegend als „sinnvoll“ herausgestellt. Ein aufsuchender Ansatz
sei notwendig, so ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung, „weil die Leute nicht von
alleine kommen“, außerdem sei der Ansatz von Team A „ein sozialer Ansatz“, der die Voreingenommenheit gegenüber dem Betroffenen („da hat’s dich ja wieder mal erwischt“) durch
Zuhören und Zuwendung aufbrechen wolle (c-OBS A, Koop 1).
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
251
Ein Kooperationspartner aus der Beratungsarbeit konstatiert, Spezialisierungen in der Beratungsarbeit, wie sie Team A verkörpere, seien auch „immer sehr wichtig“, weil das schon eine „besondere Situation“ sei. Relativ wenige Jugendliche kämen in ihre Beratungseinrichtung, da Jugendliche sich von sich aus „gar nicht so gerne Hilfe holen“. Dadurch dass Team
A im Rahmen einer niedrigschwelligen Ansprache auf die Leute zugehe, hätten sie Kontakte
hergestellt und wenn dann „was ist“, kenne man sich schon, das sei für die Arbeit ihrer Beratungseinrichtung „vollkommen undenkbar“, das würde er dann auch „für ganz sinnvoll halten“ (c-OBS A, Koop 6).
Ein Kooperationspartner aus der Beratungsarbeit findet es „wichtig, politische Arbeit zu machen“ und unterstützt damit den Arbeitsansatz von Team A. Auf der anderen Seite wird aber
darin auch „eine ganz große Gefahr“ gesehen, denn der Wunsch, die Fälle bekannt zu machen, könne zu einer Bloßstellung des Opfers führen, es müsse aber der „Schutz des Opfers“
über alle anderen Belange gestellt werden. Er empfiehlt daher eine Trennung von Opferarbeit
und politischer Arbeit. Es wäre in seinen Augen sinnvoll, wenn Opferarbeit von den Beratern
durchgeführt und der Vorstand des Vereins die politische Arbeit machen würde (dies werde
so auch in feministischen Kreisen praktiziert), zum Teil würden Opfer bereits in die Öffentlichkeit gedrängt, weniger aus politischen Gründen, sondern „um die Einrichtung bekannt zu
machen“. Dies machten die Mitarbeiter/innen von Team A allerdings nicht (c-OBS A, Koop
6).
Der auf die Opferperspektive zentrierte Ansatz des Teams verbindet sich nach Wahrnehmung
eines Kooperationspartners aus der Beratungsarbeit bei den Mitarbeiter/innen von Team A
offenbar mit einer erheblichen Distanz zu den Verwaltungsbehörden, die für die Arbeit mit
Migranten zuständig sind, also vor allem mit der Ausländerbehörde. Diese Haltung wird von
dem betreffenden Kooperationspartner aus der örtlichen Beratungslandschaft kritisiert. Gerade wenn man etwas für Asylbewerber und Flüchtlinge erreichen wolle, gerade auch in unklaren Situationen, in denen die Behörden Handlungsspielräume hätten, müsse man mit diesen
Behörden verhandeln können und mitunter auch einmal „rumschleimen“, um die Ziele zum
Wohle der Klienten zu erreichen:
„Weil ich der Meinung bin, wenn ich mit Asylbewerbern arbeite, dann muss ich auch mit diesen Behörden zusammenarbeiten, ob mir das passt oder nicht und da haben sie heftig protestiert und in der Diskussion habe ich dann gesagt, wenn ihr aber jetzt speziell einen Ausländer
hättet, der nur noch eine Duldung hat, wo ihr jetzt erreichen wollt, dass der hier noch eine
Therapie bekommt, wie wolltet ihr wohl ohne mit der Ausländerbehörde zusammenzuarbeiten
den Fall lösen... Da haben wir Differenzen. Da ist dann wieder das Problem, wenn ich politische Arbeit und Opferarbeit mache, dass sich das dann einfach ein bisschen in die Quere
kommen kann... Wenn ich aus politischen Gründen denke, mit bestimmten Leuten kann ich
schwer oder nicht zusammenarbeiten, ist das aus meiner Sicht problematisch, weil, wenn ich
für ein Opfer oder mit einem Opfer arbeite, kann ich mir nicht leisten zu sagen, ich kann mit
dieser oder jener Behörde nicht zusammenarbeiten, ich muss es tun und ich muss es vielleicht
auch anders tun als ich es vielleicht von meiner Art zu tun oder von meiner Art zu denken tun
müsste, ich muss manchmal Kompromisse eingehen, ich muss manchmal rumschleimen, um
gewisse Sachen zu erreichen, das ist aber so und das muß ich tun, wenn ich, ja, das muß ich
manchmal tun... Ich muss versuchen, mit allen zusammenzuarbeiten, ich kann zumindest nicht
generell ablehnen, mit Leuten zusammenzuarbeiten, ob ich damit rumschleime, gut, das ist eine andere Sache. Wenn die rechtliche Lage so dünn ist, dass ich auf ein gewisses Wohlwollen
angewiesen bin und es nicht auf einen Machtkampf ankommen lassen kann, kann ich nur abwägen, würde ich immer und generell versuchen im Sinne des Opfers zu arbeiten.“ (c-OBS A,
Koop 6)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
252
Auch bei Team B wurde der Beratungsansatz, der den gleichen Grundprinzipien folgt wie bei
Team A, von den Kooperationspartner/innen und Experten, die sich dazu äußern wollten bzw.
konnten, als sinnvoll und nützlich eingeschätzt. Die Hinwendung zu den Opfern im Rahmen
des Rahmenkonzepts „Opferperspektive“ und der Einsatz für ihre Interessen wird von einem
Kooperationspartner von Team B lobend hervorgehoben:
„Ja, total, also absolut, das ist ja auch immer so ein Schlagwort bei all den Opfervereinen, die
das Opfer in den Mittelpunkt rücken, ja. Aber ich glaube, das ist total wichtig. Ich erinnere
mich nur an den einen Jugendlichen, der hier zusammengeschlagen wurde, der Afrikaner, der
saß vor mir mit Tränen in den Augen, der hat hier geweint. Ja, und wenn ich mich dann die
ganze Zeit nur mit dem Täter beschäftige und sage, ja wir gucken mal, was die Polizei für ihn
gemacht hat und so, und überhaupt niemals darauf gucke und überlege, was ist eigentlich mit
dir, geht es dir gut, kannst du da wieder hingehen, also danach. Nach diesem Angriff ist ja
((Opferberatungsstelle)) zum Beispiel auch dort hingegangen, also es ist in einer Disco passiert ist, und hat mit den Leuten geredet, was da eigentlich passiert und da wurde eben gesagt,
das kann natürlich so nicht weitergehen. Da wurde dann zum Beispiel nach der Disco auch
gesagt, nein Afrikaner dürfen hier nicht mehr rein. Und Ergebnis war natürlich, nachdem
((Opferberatungsstelle)) da war, dass die Afrikaner wieder rein durften.“ (c-OBS B, Koop 4,
407-418)
Gerade in einem Flächenland wird mobile Beratung von zwei der befragten Kooperationspartner und Experten für „äußerst sinnvoll“ bzw. „sehr wichtig“ gehalten, da Menschen mit
„Handikaps“ nicht in der Lage seien, die Großstädte, beispielsweise zu Beratungen, aufzusuchen (c-OBS B, Koop 3, 404-410)
Außerdem kompensiere der aufsuchende Ansatz ein Stück weit die noch geringe Bekanntheit
der Opferberatungsarbeit von Team B auf dem platten Land: „Also, sozusagen diese Geschichte, dass die rausgehen in die Fläche und die Leute selber aufsuchen, das finde ich eine
sehr vernünftige Angelegenheit.“ (c-OBS B, Koop 7, 456-464)
Auch die Orientierung an einer Parteilichkeit für die Opfer wird von einem Kooperationspartner als sinnvoll hervorgehoben: „Meiner Ansicht nach macht das in dem Feld absolut
Sinn, zumindest dieser Bereich der Parteilichkeit, der ist überlebensnotwendig für das Projekt. (...) Parteilichkeit ganz einfach deswegen, um Ängste ein bisschen abfedern zu können.“
(c-OBS B, Koop 3, 404-410)
Nach dem Bericht eines Kooperationspartners aus der Migrantenarbeit wird die Arbeit von
den Klienten, die sie an Team B vermittelt hatte, geschätzt. Es sei ihm von den beratenen Personen rückvermittelt worden, dass sie das Vertrauen der Klienten gewonnen hätten:
„Das ist ja wichtig, um sich aufzumachen und überhaupt davon zu erzählen. Und dass dann
konkrete Hilfe, also Anträge beim Generalbundesanwalt und so was gut und ordentlich über
die Bühne gegangen ist, und auch in dem Fall der Vietnamesen, wo ((Opferberatungsstelle))
sich bemüht hatte, dass die in die Nebenklage gehen, habe ich dann einen Rücklauf von den
Vietnamesen gehabt: Klar die haben uns gefragt und sie haben uns auch ein bisschen nahe gelegt zu sagen, macht doch diese Nebenklage. Aber sie haben uns nicht irgendwie bedrängt. Es
war atmosphärisch und für die Leute oK. So dass ich das, was ich wahr genommen habe von
Beratungsansatz, dass ich das begrüße und das unterstützen kann, was da gelaufen ist. Weil
sonst hätte ich ja auch nicht mehr das Vertrauen zu sagen, Leute geht da hin, wenn ihr dort
Unterstützung braucht.“ (c-OBS B, Koop 1, 225-236)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
253
5.2.6 Beurteilung der Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen
Die Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen von Team A wird von seinen Kooperationspartner/innen als gut bis sehr gut eingeschätzt, soweit dazu Aussagen gemacht wurden. Ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung führt aus, die Fachlichkeit sei „so wie erwartet“.
Das Team verfüge über „hohes Engagement“, die Mitarbeiter/innen sind „sehr mutig“ bei ihrer Arbeit, versuchten „Dinge ganz klar zu benennen, obwohl sie wissen, ich stehe jetzt in so
einem Kreis und sie werden alle sagen, das hat wieder mal nicht stattgefunden, lassen sich
also nicht beirren und ich denke, sie arbeiten auch sehr genau“ (c-OBS A, Koop 1).
Auch ein Kooperationspartner aus einer örtlichen Beratungseinrichtung äußert sich anerkennend über die Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen von Team A: „Die sind alle (...) Sozialpädagogen und ich habe das Gefühl, dass die sehr wohl und sehr gut mit Menschen umgehen können und auch mit Opfern umgehen können.“ (c-OBS A, Koop 6) Zusätzlich betont sie, dass
die Mitarbeiter/innen „sehr kooperativ“ (c-OBS A, Koop 6) seien.
Für den befragten Vertreter eines mit Team A kooperierenden landesweiten Netzwerkes ist
die Fachkompetenz des Teams als „sehr hoch einzuschätzen“, die Mitarbeiter/innen verfügten
über eine sehr gute Kenntnis der rechten Strukturen und auch über „soziale Kompetenz in
dem Sinne, dass die Leute mit Leib und Seele dabei sind, das nicht nur als Job begreifen,
sondern als innerstes Anliegen sehen“ (c-OBS A, Koop 4).
Auch die Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen von Team B wird von den befragten Kooperationspartnern, die in regelmäßigem Kontakt mit den Mitarbeiter/innen von Team B stehen, als
gut bis sehr gut eingeschätzt:
„Sehr schön. Sehr professionell. Die Fachlichkeit (...) Das sind alles Sozialpädagogen zum
Teil, die auch schon häufig lange mit solchen Themen beschäftigt sind. Die auch in Asylbewerberheimen gearbeitet haben (...), also ich denke, die ist eigentlich sehr hoch. (...) Also für
die Akzeptanz. Ich war vor zwei Wochen bei denen und da ist eben auch Betrieb, da kommen
auch Leute rein und informieren sich.“ (c-OBS B, Koop 8, 284-295)
In der Opferberatung, so die Einschätzung eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung, seien die Leute „fit“ und es werde „eine solide Beratung“ gemacht. Für Spezifika im
Ausländer- und Asylrecht gebe es eine Unterstützung durch den Ausländerbeauftragten und
eine Weitervermittlung an Rechtsanwälte, „also von daher ist das auch abgesichert, dass dann
auch Fachlichkeit beim Klienten ankommt“ (c-OBS B, Koop 1, 240-245).
Ein Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich findet die „außerordentliche Fachkompetenz“ von Team B „beeindruckend“ und greift bei einer ganzen Reihe von Themen, in denen er sich „nicht so firm“ fühlt, gern auf dieses Wissen zurück. Besonders hervorgehoben
wird der „Riesenbereich Migration, Jugendrecht etc., wo ich wirklich beeindruckt bin, was
die da an Wissen haben“ (c-OBS B, Koop 3, 380-381).
„Und in den Fällen, wo wir zusammen gearbeitet haben, wie gesagt mit diesen Einschränkungen, was ich vorhin gesagt habe, dass es manchmal vom Auftreten her mir als Einzelperson
nicht immer besonders dienlich erschien, wird das in den Gesprächen meistens ziemlich deutlich, diese Fachkompetenz. Und dadurch entsteht auch durchaus ein verbindendes Element,
also auch zum Gegenüber, was vielleicht erst mal ein bisschen kritisch ist. Ich habe den Eindruck, die sind schon immer sehr beeindruckt von den Damen und Herren von ((Opferberatungsstelle)). Also im positiven Sinne was Wissen angeht.“ (c-OBS B, Koop 3, 382-388)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
254
Der Kooperationspartner räumt allerdings ein, dass „das Auftreten“ von Team B dem Anliegen zunächst nicht dienlich war (vgl. auch c-OBS B, Koop 3, 134-180). Damit meint der Kooperationspartner ein bei Team B zum Teil situationsbedingt gegenüber kommunalen Akteuren stark wertendes bzw. provokatives Vorgehen. Das eigene Projekt habe sich hingegen dazu entschlossen, Wertungen eher zu vermeiden:
„Also dass erst in äußerster Not, also bei klaren faschistischen Äußerungen oder so was, von
uns in Erst- oder Zweitgesprächen bereits eine wertende Reaktion kommt. Weil es hat sich gezeigt, man kann die Bevölkerung nicht austauschen, also das hilft nicht.“ (c-OBS B, Koop 3,
164-167)
In Team B habe „jeder so seine Stärken“, einige seien auf sozialpädagogischem Gebiet kompetenter, andere im politischen Bereich, es seien beide Geschlechter vertreten und darüber
hinaus erfolge noch zusätzlich eine Unterstützung durch ehrenamtliche Mitarbeiter/innen und
dadurch werde „so ein Team rund“, wie ein Kooperationspartner aus der Migrantenarbeit
feststellt (c-OBS B, Koop 4, 434-441).
Wichtig sei auch die permanente Kompetenzerweiterung bei Team B im Rahmen von Fortbildungen, wodurch sich das Team positiv von anderen Projekten im Bereich der Arbeit mit
Migranten abhebe:
„Sie saugen alles auf, was es zu dem Thema gibt, sie sind immer offen für neue Informationen
und neues Wissen und müssen sehr viel Weiterbildung machen. Es gibt genug Leute in solchen
Projekten oder Bereichen, sage ich mal, die es nicht für nötig halten, dass sie so etwas benötigen und da ist es bei ((Opferberatungsstelle)) ganz anders. Also, wir haben eher den Eindruck, dass sie da jede Gelegenheit wahrnehmen und das ist schon ganz ganz wichtig.“ (cOBS B, Koop 5, 736, 745-760)
Einen etwas anderen Eindruck hatte der befragte Rechtsextremismus-Experte und Landespolitiker von der Fachlichkeit des Opferberatungsprojekts, dem Team B zugeordnet ist. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass dieser Eindruck auf der Grundlage einer einmaligen Begegnung mit Mitarbeiter/innen des Opferberatungsprojekts von Team B gewonnen wurde. In
dem betreffenden Gespräch ging es darum, ob das Opferberatungsprojekt von Team B im
Rahmen einer Kofinanzierung vom betreffenden Bundesland mitgefördert werden könnte.
Das Gespräch fand zusammen mit dem MBT statt. Der Experte wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Bundesland eine Verwaltungsreform vorbereite und schlug deshalb
eine konzeptionelle Abstimmung zwischen MBT und dem Opferberatungsprojekt von Team
B vor, um Doppelarbeit zu vermeiden. Dabei fiel ihm auf, dass das Opferberatungsprojekt
dabei größere Hemmungen hatte, „die kochen da eher in ihrem Brei. MBT ist da glaube ich
etwas offener.“ (c-OBS B, Koop 7, 236)
Außerdem verwies er auf die seiner Meinung nach zu geringen Fallzahlen des Opferberatungsprojekts von Team B und regte eine Ausweitung des Tätigkeitsbereichs in Richtung Integration von Asylbewerbern und Vorbereitung der EU-Osterweiterung an. Ergebnis war,
dass sich das Opferberatungsprojekt von Team B im Gegensatz zum MBT nicht mehr bei ihm
gemeldet hat. Daher könne er nicht erkennen, „dass da ein nachhaltiges Bemühen bestanden
hat, wirklich das Land in eine Förderung zu integrieren“ (c-OBS B, Koop 7, 289-290). Er erklärt sich dies mit einer stärkeren Ingroup-Orientierung und/oder einer grundsätzlichen
Staatsskepsis oder damit, dass sein Vorschlag einer thematischen Erweiterung eine Provokation gewesen sei, und hat daher auch Zweifel an der Fachlichkeit des Projekts:
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
255
„Ja, gut, das ist jetzt wirklich schwer einzuschätzen und eine ein bisschen gewagte Hypothese.
Aber ich interpretiere das jetzt einfach mal so, dass als der Vorschlag von mir kam, stimmt
euch doch beide ab, welche Bereiche im Hinblick auf die osteuropäische Erweiterung eigentlich in dem Rahmen machen könnte, und erweitert ein bisschen euer Geschäftsfeld, damit man
auch eine richtige Auslastung hat, dauerhaft, selbst dann, wenn wir beispielsweise bei null
Vorkommnissen sind im Bereich rechtsextremer Gewalt. Und dann, wenn daraufhin nichts
passiert, nie wieder Kontakt aufgenommen wird, dann gibt es für mich zwei Möglichkeiten der
Interpretation, entweder da gibt es eine grundsätzliche, also so eine Ingroup-Orientierung und
eine Art grundsätzlicher Staatsskepsis, weiß ich nicht. Also, man möchte mit staatlichen Stellen nicht zusammenarbeiten. Das ist Möglichkeit Nummer eins. Und Möglichkeit Nummer
zwei, man empfindet den Vorschlag als eine Provokation. Oder kann sich mit dem nicht anfreunden. Ich weiß gar nicht, was man sonst für Schlussfolgerungen daraus ziehen will.“ (cOBS B, Koop 7, 367-379)
Die unterschiedlichen Beurteilungen von Team B durch die Kooperationspartner vor Ort und
durch den Landespolitiker beruhen vor allem auf ihren unterschiedlichen Perspektiven und
Interessen. Während die Kooperationspartner am Standort von Team B die Arbeit des Teams
intensiv kennen und davon vielfach profitieren, sieht der Landespolitiker im Rahmen eines
Kurzzeitkontakts eher divergierende Interessen, die ihn bei der Verwirklichung seiner politischen Vorstellungen behindern. Die unterschiedlichen Beurteilungen müssen daher keine
Widersprüche sein, sondern erklären sich aus dem jeweiligen Interesse und der unterschiedlichen Nähe der jeweiligen Beobachter zu Team B.
5.2.7 Beurteilung der Ergebnisse
Als wesentliche Ergebnisse der Arbeit von Team A wird durch einen Kooperationspartner aus
der Stadtverwaltung hervorgehoben, dass Betroffene rechter Gewalt jetzt einen „Anlaufpunkt“ hätten, „wo sie echte Hilfe bekommen und wo sie weitervermittelt werden können,
wo man sich für sie engagiert“(c-OBS A, Koop 1). Außerdem gebe es jetzt für Interessierte
durch die Chronik und den E-Mail-Verteiler die Möglichkeit des Zugangs zu Informationen
über rechtsextreme Vorfälle, was er für „ganz entscheidend“ hält, da dadurch eine empfindliche Informationslücke geschlossen worden sei. Ein weiterer Kooperationspartner geht davon
aus, dass Team A „gute Opferarbeit“ gemacht habe, „das denke ich auch aus den Gesprächen
heraus“. Politische Effekte könnten dagegen nicht beurteilt werden (c-OBS A, Koop 6). Hervorgehoben werden durch einen Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung außerdem Erfolge von Team A im Bereich der Vernetzung. Durch öffentliche oder Gremiendiskussionen
seien weitere Partner gewonnen worden, die sagten, „wir wollen das mal artikulieren und wir
wollen etwas präventiv dagegen tun.“ Auch mit den Polizeibehörden sei es Team A gelungen, „eine gute Zusammenarbeit herzustellen, die ist vielleicht besser, das behaupte ich jetzt
ohne es zu wissen, als zum Beispiel mit der Verwaltung“ (c-OBS A, Koop 1).
Als wichtiges Ergebnis wird von einem Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung die
Kleinarbeit des Teams mit Behörden, die bewusstseinsbildenden Gespräche, die Diskussionen mit Polizeidienststellen und Verwaltungsbehörden hervorgehoben. Davon könne nach
ihrer Einschätzung eine Langzeitwirkung im Sinne einer Änderung individueller Verhaltensdispositionen in den betreffenden Einrichtungen ausgehen:
„Und eigentlich auch ganz wichtig: diese Kleinarbeit mit den Behörden, jede Diskussion mit
einer Polizei- oder einer Verwaltungsbehörde oder anderen Behörden, die ((Opferberatungsstelle)) führt, da gibt es manchmal kein Ergebnis, dennoch hat es ein Ergebnis, nämlich ein
Langzeitergebnis, das hat auch was mit Umdenken zu tun und das ist so wahnsinnig notwen-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
256
dig. Das ist ein ganz wichtiger Baustein, wenn es den nicht mehr gibt, dass Menschen Leute
aufsuchen, sie konfrontieren mit den Themen und sie auch dazu zwingen, ihrer Verantwortung
gerecht zu werden, dann denke ich, wäre das oft ein Schaden.“ (c-OBS A, Koop 1)
Dies alles sei erreicht worden trotz der verhaltenen und „doppelbödigen“ Reaktionen auf die
Tätigkeit von Team A im Bereich der Stadtverwaltung, die darin lägen, dass man zwar offiziell bzw. nach außen hin dem Anliegen von Team A zustimme, inoffiziell aber die Unterstützung verweigere, weil man Angst habe, dass die Stadt einen Imageschaden erleide:
„Offiziell wird man auf gar keinen Fall sagen, dass das schlecht ist oder wir das nicht brauchen, das steht einem auch nicht gut zu Gesicht, inoffiziell denke ich auch, dass man sagt, ja
gut, das gibt es halt auch, aber eigentlich haben wir keine Probleme und das macht es ja auch
so schwer, weil das sagt ihnen niemand ins Gesicht, man sagt, das war aber jetzt ein wichtiger
Vortrag... da haben sie uns ja aufmerksam gemacht auf das und das und das. (...) Man misst
solcher Arbeit nicht die erforderliche Bedeutung zu, weil das hieße, man müsste bekennen,
dass wir ein Problem haben und wer bekennt schon gern, dass er ein Problem hat. Und das ist
eigentlich so der Punkt, man ist offen dafür, man ist interessiert, ((Opferberatungsstelle))
konnte sich vorstellen, ((Opferberatungsstelle)) hat über die Arbeit geredet, das wurde auch
noch außen für positiv bewertet und wichtig, nur hilft das ((Opferberatungsstelle)) nicht viel
weiter, denn man braucht immer Leute, mit denen man zusammenarbeiten kann und an der
Strecke wird es dann langsam dünn. (...) Ich denke schon, dass das eine Imagefrage ist, dass
man Angst hat, dass solche Dinge hochgekocht werden und wie steht dann die Stadt da.“ (cOBS A, Koop 1)
Die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung sei insgesamt von diesem Imageproblem belastet und deshalb könne es „gar nicht anders“ sein, dass Team A auf dem Verwaltungsterrain
Akzeptanzprobleme habe, wie ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung einschätzt:
„Ich denke, es kann gar nicht anders sein, so wie es ist, diese Arbeit, die sie bisher gemacht
haben, wo sie angefangen haben unter den Voraussetzungen und der Zusammensetzung in
dieser Stadt ((Name)), das kann gar nicht anders sein. (...) Akzeptanz setzt auch einen bestimmten Sachverstand voraus, ich kann ja nur etwas akzeptieren, was ich auch verstehe und
manche verstehen hier einiges nicht! Das wird dann so eingeschoben in Schubladen, ach das
sind die, die da immer aufpassen wegen der rechten Gewalt, da kommt man ja ganz schnell
als Beratungsstelle in so eine Schublade: ,Ach die schon wieder, die wollen schon wieder was
von mir’. Da denke ich doch: ,Wird ja wieder ein Problem kommen, wer weiß, was die wieder
ausgegraben haben’. Es fehlt oft an der Bereitschaft, wirklich eine sachliche Diskussion zu
führen im Sinne Aller und ich denke, dazu ist ((Opferberatungsstelle)) bereit, aber ob sie immer auf solche Partner treffen und diese Akzeptanz dann haben bei dem Partner, das kann
man so nicht beantworten, im Jugendhilfeausschuss, damals als sie sich vorgestellt hatten,
hatten sie diese Akzeptanz.“ (c-OBS A, Koop 1)
Als ausgesprochen nachteilig bewertet der betreffende Kooperationspartner, wenn das Opferberatungsprojekt von Team A seine Arbeit aus Mangel an Förderung einstellen müsste.
„Das kann ich Ihnen sagen, dann weiß ich nicht, wo ich solche Leute hinschicke. So einfach
ist das. Dann bleiben die bei mir hängen und ich werde wieder versuchen, irgendwas mir aus
den Händen zu krampfen und es wird irgendwann nicht mehr leistbar sein. Weil bestimmte
Sachen, sage ich mal, da geht es dann um anwaltliche Vertretung und und und, was an so einem Fall dran hängt. Ich bin kein Sozialarbeiter, ich habe eigentlich Konzepte zu machen und
auch in meiner Einzelfallberatung sehe ich, das muss ich irgendwo nach Hause drücken, den
Teil der Arbeit, weil er nicht mehr zu bewältigen ist und von daher ist dann einfach an dieser
Stelle Punkt aus, Schluss und Informationen kriege ich dann wie viele andere nicht mehr, was
passiert denn wirklich, was ist da passiert, was war da los, was war denn das ganze Jahr, was
war im Vorjahr, lasst mich noch mal schauen, schickt es mir mal rüber. Das alles ist dann
nicht mehr da.“ (c-OBS A, Koop 1)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
257
Im Kreis der Migranten erfährt die Arbeit von Team B nach Darstellung eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung „ein sehr positives Echo“ (c-OBS B, Koop 1, 309). Die Unterstützungsfunktion wird gerne angenommen, zum Beispiel wenn eine Begleitung zu einem
angstbesetzten Termin, etwa einer polizeilichen Vernehmung erfolgt: „Die fanden das angenehm und gut und es hat sie gefreut, dass da jemand mit war und dass der Bescheid wusste
und so. Ja, also so ist das schon.“ (c-OBS B, Koop 4, 60-67)
In Verwaltungen (Ausländerbehörde, Sozialamt) sei „eher ein Stück Zurückhaltung in der
Zusammenarbeit“ (c-OBS B, Koop 1, 329-330) zu beobachten. Durch die selbstdefinierte
Rolle als „permanentes erinnerndes Gewissen“ bzw. als „Mahner“ sei Team B „lästig, weil es
ist natürlich auch sehr lästig, wenn da permanent einer keine Ruhe gibt, wo ich eigentlich
Ruhe haben will als Verantwortlicher“ (c-OBS B, Koop 3, 323-325). Auf der anderen Seite
habe Team B „dadurch innerhalb einer bestimmten Projektelandschaft durchaus einen sehr
positiven, guten Ruf als kontinuierliche Arbeiter. Also das machen die ganz stark auch über
die Pressespiegel, auf den, glaube ich, viele Projekte zurückgreifen“ (c-OBS B, Koop 3, 304327).
Erfolge von Team B werden zum einen in der kontinuierlichen Betreuung der Opfer gesehen
(c-OBS B, Koop 4, 515-516). Zum anderen wurde durch Team B zum zweiten Mal ein großes Vernetzungstreffen von „nicht-rechten“ Jugendlichen organisiert, die zum Teil Betroffene
von rechtsextremen Gewalttaten gewesen waren. An diesem Camp hätten 350 Jugendliche
teilgenommen, auch diese Aktivität wird als Erfolg herausgestellt (c-OBS B, Koop 4, 515524). Dadurch hätten sich mittelfristig neue Vernetzungen in der „nicht-rechten“ Szene und
damit eine Stärkung der Gegenkultur und eine Anregung von Eigenaktivität und Engagement
herausgebildet. Als erfolgreiches Teilergebnis dieses Vernetzungsprozesses wird eine gelungene Einzelaktion einer lokalen Jugendgruppe gesehen, in deren Rahmen die Jugendlichen
selbständig Pressearbeit zum Thema Lebenssituation von Asylsuchenden gemacht hätten:
„Ja wenn zum Beispiel diese Jugendlichen, die wirklich Jugendliche sind, die wir in diesem
Ort da besucht haben, zwei Presseartikel oder Pressemitteilungen in die örtliche oder in die
regionale Presse bekommen, und (...) dann sehe ich das schon als absoluten Erfolg. Die
schreiben da eine Pressemitteilung zu dem Thema Lichtenhagen, Pogrome in Lichtenhagen,
oder zum Thema Lebenssituation von Asylsuchenden und das ist dann auch in der Presse drin.
Das ist für mich - und das wird dann auch noch gedruckt, muss man noch dazu sagen - das ist
für mich ein Erfolg. Und das lesen dann eben alle ((Ortsname)) und ich weiss nicht, also wenn
vorher Personen schwankend waren, dann wird wenigstens jetzt gesagt: ‚Na ja, na ja gut. Das
sind wirklich welche.’ Also Menschen, die sich vorher allein gelassen fühlten mit ihrer Meinung, haben jetzt endlich gemerkt: ,Da sind vielleicht doch noch welche.’ Ich finde es schon
wichtig, dass das passiert ist. Dass wir dort waren, miteinander geredet haben, die Jugendlichen eine Pressemitteilung geschrieben haben und die dann auch noch in der Presse war.“ (cOBS B, Koop 4, 247-249, 258-267)
Weniger erfolgreich war dagegen in den Augen eines Kooperationspartners eine Rundreise
durch die Asylbewerberheime im Einzugsgebiet von Team B, da es dadurch nicht gelungen
sei, die Asylbewerber zu einem politischen Engagement über bestimmte Einzelaktionen hinaus anzuregen:
„Aber ich finde es schade, dass nicht daraus etwas Wirksames und Wirkungsvolles entstanden
ist, und dass die Flüchtlinge immer nur Einzelaktionen starten und nicht wirklich aktiv werden, politisch aktiv für ihre Belange. Also eine Einzelaktion hat für mich nichts mit Politik zu
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
258
tun, sondern, langfristig politisch zu arbeiten, das hätte ich mir gewünscht, aber das ist irgendwie nicht so passiert.“ (c-OBS B, Koop 4, 563-567)
Nach Einschätzung eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung ist das Opferberatungsprojekt von Team B als Spezialist für die Beratung von Opfern rechtsextremer Strafund Gewalttaten im städtischen Netzwerk von Beratungsstellen und Initiativen „angekommen“:
„A: Bei ((Opferberatungsstelle)) schon, weil diesen speziellen Part Opferberatungen, den gab
es in dieser Weise sonst nicht. (...) Und insofern ist Opferberatung von ((Opferberatungsstelle)) für mich eine Geschichte, die genau in dieses Netz rein passt, als Spezialisten für dieses
Thema. (...) Vielleicht ist das sogar ganz gut in einer Stadt zu sagen, was ist angekommen in
diesem Netzwerk und was ist nicht angekommen.
I: Also ((Opferberatungsstelle)) ist im Netzwerk angekommen...]
A: Mit dieser Spezifik Opferberatung ja. Sicherlich könnte man, wenn da eine weitere Arbeit
möglich ist, noch mal ein Stück mehr präzisieren und noch mehr abstimmen, in Richtung Öffentlichkeitsarbeit, in Richtung Arbeit in Schulen, weil es da ja über Xenos gefördert, auch in
dieser Stadt, weitere Projekte gibt. (...) Aber sicherlich könnte man das auch intensiver machen, wenn die Arbeit auch noch ein bisschen weiter ginge. Aber das eher so als positiven Aspekt. Während das Mobile Beratungsteam, also zumindest was ich dazu sagen kann in diesem
Netzwerk, hier in dieser Stadt nicht angekommen ist. “ (c-OBS B, Koop 4, 364-371, 393-405)
Angesichts des lokalen Bedarfs für die Tätigkeit von Team B und der vorhandenen Nachfrage
nach den Dienstleistungen der Opferberatungsstelle erscheint mehreren Kooperationspartnern
die Möglichkeit einer Beendigung des Projekts nach Auslaufen der Bundesförderung als „ein
Skandal“, wie ein Mitarbeiter einer mit Team B kooperierenden Migranteneinrichtung formuliert. Die Entwicklungen am Standort von Team B seien durch städtische Sparmaßnahmen in
der Jugendhilfe und bei Projekten zum Thema Demokratieentwicklung „eher katastrophal“,
um so wichtiger seien „genau solche Einrichtungen“ wie das Opferberatungsprojekt von
Team B (c-OBS B, Koop 5, 428-433):
„Daran zu denken ist nicht wirklich gut. Das bedeutet natürlich zwei wichtige Dinge. Also
erstens in Bezug auf die Migranten. Weil dann denke ich mir, dass wir wieder alte Verhältnisse erreichen, dass die Leute am besten gar nichts sagen, einen Kompetenten für die Hilfe gibt
es nicht. Wir können es nicht leisten. Wir würden es natürlich wieder im beschränkten Umfang
tun, aber es ist ja absolut nicht vergleichbar. Und das andere Ding ist, dass gerade Multiplikatoren in der Jugendarbeit, Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, seien es Lehrer, Schule-, Sozialarbeiter usw., denen fehlt ein kompetenter Partner zu diesem Thema und wir haben
großartig keine anderen. Also, da fällt mir nichts ein, der so unkompliziert arbeitet. Also, für
((Ortsname)) wäre es ein Skandal, das finde ich wirklich. Und gerade jetzt in der Situation,
wo viele Projekte wegbrechen. Wir haben die Situation, dass Jugendclubs geschlossen werden, viele Schulen geschlossen werden, viele Projekte jetzt schon weggebrochen sind innerhalb kürzester Zeit, ohne die Möglichkeit zu haben Alternativen zu schaffen oder alternative
Finanzierungen zu besorgen, so dass wir jetzt absolut eine sehr, sehr schlimme Situation haben. Und was das jetzt, der Wegbruch von vielen Jugendhilfeangeboten für die Demokratieentwicklung bei Jugendlichen bedeutet, also darüber brauchen wir nicht großartig reden. Also
gerade in unseren Neubaugebieten.“ (c-OBS B, Koop 5, 882-898)
Bundesgeförderte Projekte wie die Opferberatungsstelle von Team B seien auch deshalb
wichtig, weil derartige Projekte auf Landes- und kommunaler Ebene nicht gefördert werden
könnten; insbesondere die Notwendigkeit einer Kofinanzierung aus kommunalen Mitteln sei
ein „Genickbrecher“:
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
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„Also, es würde eine ähnliche Arbeit in ((Stadtname)) sonst nie finanziert werden, auf Landesebene keine Chance, auf kommunaler Ebene keine Chance, absolut nicht. Und schon gar
nicht in ((Bundesland)), da sind die Kassen noch leerer und der Wille ist einfach von ganz
kurzer Dauer, das ist einfach ganz wichtig. Also, wir haben ja auch schon mal so einige CIVITAS-Förderungen bekommen und diese Tendenz zum Beispiel, dass es kommunale Anteile geben soll, ist ein Genickbrecher, nichts anderes.“ (c-OBS B, Koop 5, 808-815)
Nach Einschätzung eines Kooperationspartners aus dem CIVITAS-Bereich würde ein Auslaufen der durch das CIVITAS-Programm geförderten Projekte in ihrem Bundesland „dramatische“ Folgen haben, denn dieses Bundesland leide jetzt schon unter einer absoluten Unterversorgung im Hinblick auf Einrichtungen zur Demokratieförderung und zur Opferberatung:
„Wir haben es in ((Bundesland)) mit einer absoluten Unterversorgung zu tun. Ich habe vorhin
nur über ((Projektname)) mal ganz kurz gesagt, was unsere Arbeitsbereiche sind, das ist rein
räumlich, zeitlich, kapazitätstechnisch überhaupt nicht machbar. Und ich bin mir sicher, das
wird ((Opferberatungsstelle)) auch nicht anders gehen. Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass ein
Projekt wie ((Opferberatungsstelle)) wegbricht, es ist ohnehin schon eine Katastrophe und
dann wird es noch mehr eine Katastrophe, man könnte zynisch sagen, ist auch schon egal. Es
wäre äußerster Zynismus. Dann kann man ((Opferberatungsstelle)) und ((Projektname)) auch
wieder streichen, weil sowieso schon desolat... Es wäre eine Katastrophe. Weil das ist jetzt
endlich mal eine Struktur, die in den letzten zwei, drei Jahren aufgebaut worden ist, die wirklich eine flächendeckende Wirksamkeit hat und die auch bei allen Knirschereien, die es vielleicht manchmal gibt und auch geben muss, sich wirklich so gut verzahnt hat, dass da wirklich
eine flächendeckende Präsenz, Angebotsdichte da ist. Wir sind alle völlig überlastet und es
reicht hinten und vorne nicht und alleine in dem Bereich, wo wir tätig sind, muss man sicherlich die doppelte und dreifache Personenzahl einsetzen, aber... Wir könnten über andere Projekte reden, wo ich sagen würde, da wäre es viel sinnvoller die einzustampfen oder... also es
wird unheimlich viel Mist gefördert, mal unter uns. Und die Projekte, die nun wirklich einigermaßen Sinn machen, weil sie auch landesweit eine Struktur haben, da die Axt anzulegen,
das wäre echt eine Katastrophe.“ (c-OBS B, Koop 3, 514-531)
Ein Ende der Arbeit von Team B sei, so ein weiterer Kooperationspartner aus der Migrantenarbeit, „wirklich zum Schaden der Betroffenen“ und der potentiell Betroffenen. Seiner Einschätzung nach würde dadurch die Gleichgültigkeit in der Bevölkerung den Randgruppen gegenüber noch größer werden. „Und ich glaube, dass dieses negative Verhalten gegenüber diesen Randgruppen sich auch weiter ausbreiten würde.“ (c-OBS B, Koop 4, 705-707)
Insgesamt zeigen die Einschätzungen der Kooperationspartner/innen, dass beide Projekte in
ihren jeweiligen Standortregionen trotz schwieriger Rahmenbedingungen wahrnehmbare Ergebnisse in den Bereichen Beratung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit erzielt haben. Die
punktuelle Kritik an den Projekten stellt nicht das vorzeigbare Gesamtergebnis in Frage,
weswegen ein Auslaufen der Projekte als ausgesprochen nachteilig empfunden werden würde.
5.2.8 Weitere Anregungen zur Projektarbeit
Die Anregungen zur Arbeit von Team A sind breit gestreut. Einer seiner Kooperationspartner
aus der Beratungsarbeit wünscht sich eine größere Präsenz des Teams in der Öffentlichkeit;
es sei allerdings schwer in die Medien etwas vernünftiges hineinzubringen (c-OBS A, Koop
2).
Aus Sicht eines örtlichen Polizeivertreters wäre eine Auffrischung der Erstkontakte „nicht
verkehrt“, außerdem wird ein intensiverer Informationsaustausch zum Problemkreis Freizeit-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
260
gestaltung von Kindern und Jugendlichen und damit zusammenhängendem Delinquenzverhalten angeregt, das Thema sei im Präventionsrat gut aufgehoben, dort könnte ein entsprechender Austausch stattfinden (c-OBS A, Koop 9). Ein ähnliches Anliegen hat der Vertreter
der örtlichen Niederlassung einer landesweit tätigen Opferberatungseinrichtung. Dringend
notwendig ist für ihn die „Verbesserung der präventiven Arbeit des Projekts“ und die „Koordinierung der auf diesem Gebiet noch vorhandenen Initiativen und Einrichtungen“ (c-OBS A,
Koop 10), zum Beispiel durch verstärkte Mitarbeit im städtischen Präventionsrat.
Ein Kooperationspartner aus dem Bereich eines landesweit tätigen Netzwerks betont als
Wunsch, es sei „sehr notwendig“, dass das Opferberatungsprojekt von Team A nicht nur bestehen bleibe, sondern noch weiter ausgebaut werden könne:
„Eigentlich wär es notwendig, noch mehr in die Breite zu gehen, gerade in den problematischen Regionen noch Anlaufpunkte zu schaffen, die dann nicht nur als Ansprechpartner für
Betroffene agieren, sondern auch in dem Umfeld das Bewusstsein entwickeln bei den Menschen, dass ist ganz notwendig ist, was zu tun, das würde ich mir wünschen und ich hoffe
auch, dass das Geld dafür gegeben wird, denn ehrenamtlich geht es halt nicht, denn ehrenamtlich ist man sehr eingeschränkt in seinem Wirken. Auch die gleiche Überzeugung haben, dass nach CIVITAS und nach den anderen Programmen es weiterhin Mittel geben wird
für solche Sachen. Ansonsten wäre es sehr schwierig... und ich würde mir wünschen, dass sich
auch Kommunen und Landkreise beteiligen an der Finanzierung, denn es ist eigentlich das
Problem vor Ort und die Unterstützung von außen ist zwar wichtig, aber trotzdem muß auch
ein Problembewusstsein vor Ort erzeugt werden.“ (c-OBS A, Koop 4)
Weitere Anregungen zur Projektarbeit von Team B beziehen sich einerseits auf die Absicht,
die Umfeldarbeit zu verstärken: „Also, was ich mir natürlich noch öfter mal wünschen würde,
dass es noch mehr Weiterbildung nach außen hin gibt, also noch mehr Aufklärungsarbeit gemacht wird, noch mehr potentielle Betroffene aufgesucht werden, dass sich noch mehr mit
Flüchtlingen zum Beispiel beschäftigt wird. Also das würde ich mir schon wünschen.“ (cOBS B, Koop 4, 736-740)
Ein Experte aus der Landespolitik regt an, das Opferberatungsprojekt von Team B solle in
Zukunft mehr Offenheit zeigen („nicht nur in der eigenen Suppe kochen“) und hofft, „dass es
mehr auf staatliche Institutionen zugeht und sich eingliedert auch am besten in eine Gesamtkonzeption. Also, es ist ja wenigen damit geholfen, dass da jeder nur sein eigenes Ding
macht.“ (c-OBS B, Koop 7, 577-579)
Ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung wünscht sich für die Zukunft etwas mehr
Realismus von Team B bei der Beurteilung der Asylpolitik. Team B würde manchmal „in der
Vehemenz und der Globalität ihrer Forderungen Dinge ansprechen und Dinge verlangen, die
sicherlich kritikwürdig sind, wo manchmal die Ebene verwechselt wird“, wobei mitunter „ein
bisschen vorschnell und forsch agiert“ werde (c-OBS B, Koop 1, 257-263). Kommunale Behörden wie Ausländerbehörde oder Sozialamt könnten zum Beispiel bundesrechtliche Regelungen nicht beeinflussen. Da sei es etwas verfehlt, wenn Team B in einer Pressemitteilung
die Abschaffung der Gutscheinregelung für Asylbewerber als „kleinen Schritt“ bezeichne und
dann sofort eine Liste mit Maximalforderungen anschließe. Für das Bundesland sei die Abschaffung der Gutscheinregelung ein großer Fortschritt, dem allerdings noch viele weitere
Fortschritte folgen müssten, um die Lebenssituation von Asylbewerbern zu verbessern. Der
betreffende Kooperationspartner regt insgesamt für Team B ein stärker kleinschrittiges Vorgehen bei der Beteiligung an der Debatte über die Asylpolitik an:
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
261
„Also, dass da manchmal vielleicht ein bisschen vorschnell und forsch agiert wird und ich
denke, in der Stadt passiert, gerade was den Asylbereich angeht, eine ganze Menge. Und wir
haben eine größere Zahl von Flüchtlingen, die noch im Verfahren sind, die in Wohnungen untergebracht sind, obwohl das Bundesgesetz Gemeinschaftsunterkünfte eigentlich vorschreibt
und das andere nur als Ausnahme genehmigt. Oder von dieser Stadt ist vehement ausgegangen, dass diese Gutscheinregelung jetzt abgeschafft ist und dass im Bundesland mit Bargeld
bezahlt wird, also da haben gerade die kommunalen Ausländerbeauftragten sehr intensiv mit
dem Innenministerium gearbeitet. Und dann lese ich eine Presseerklärung von ((Opferberatungsstelle)), wo drin steht als kleinen Schritt begrüßen wir durchaus, dass es jetzt Bargeld
gibt, aber... und dann kommt eben die Liste der Forderungen, die ich nachvollziehen kann,
aber wo ich sage, kleiner Schritt, liebe Leute, versucht es einfach mal in die Realität einzuordnen und in der Realität ist es in dieser Bundesrepublik Deutschland einfach eine doch
schon sehr hervorhebenswerte Sache, wenn es gelungen ist, dass ein Bundesland eine Bargeldregelung einführt. Also dort einfach die Gewichte und ein Stück realitätsnäher... (...) Nach
dem Schritt müssen andere Schritte kommen, aber zu sagen, dass ist nur Pille Palle und eigentlich gar nicht wirklich was besseres und jetzt müssen wir irgendwie dafür sorgen, dass
Asylbewerber sich so bewegen können wie Leute, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis
haben und das ist einfach irrig, das ist irrig und das entspricht eben auch nicht der Konstellation.“ (c-OBS B, Koop 1, 253-285)
Trotz dieser Differenzen in politischen Fragen betont der Kooperationspartner, dass im Vordergrund der Arbeit von Team B die Opferberatung stehe und sich das politische Engagement
von Team B auf die Verbesserung der Situation der Opfer beziehe und von daher ein integrierter Bestandteil der Opferarbeit sei:
„Aber ich bitte das auch zu trennen. Das eine ist die politische Haltung der Leute und das andere ist die konkrete Arbeit, die sie als Opferberatung machen und so lange nicht dieses andere die Überhand gewinnt und mit dem Geld von CIVITAS politische Botschaften verkündet
werden und nicht mehr Opferberatung stattfindet, solange das nicht der Fall ist – und das ist
nicht der Fall bei ((Opferberatungsstelle)) – dann ist das jetzt keine Kritik an dieser Geschichte.“ (c-OBS B, Koop 1, 298-303)
In ähnlicher Weise wünscht sich auch ein Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich
von Team B mehr „Fähigkeit zum Vertrauen“ und eine verstärkte Wahrnehmung, dass die
Gegebenheiten nur schrittweise veränderbar seien. Die „Salami-Taktik“ sei die einzig sinnvolle Strategie, die kleine Erfolge (aber immerhin Erfolge) bei der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse verspreche, weshalb er sich von Team B „ein bisschen mehr Belastbarkeit“ (offenbar im Sinne von mehr Geduld, auch mehr Zufriedenheit mit kleinen Erfolgen) wünsche:
„Mit der einen Einschränkung, dass ich sagen würde, was ich mir von ((Opferberatungsstelle)) wünschen würde, wäre ein wenig mehr Fähigkeit zu Vertrauen oder ein wenig mehr... wie
gesagt mich hat mal sehr beeindruckt ein Kollege aus dem MBT hat mal irgendwann gesagt,
wir können die Bevölkerung nicht austauschen. Und das muss, glaube ich, immer mitgedacht
werden. Also, dass eine Bereitschaft da ist, sich mit den Gegebenheiten auch auf eine Art und
Weise auseinander zu setzen, dass man diese Gegebenheiten wirklich schrittweise verändern
kann. Es ist immer ein bisschen die Frage der Strategie sozusagen der Veränderung der Gesellschaft. Und meiner Überzeugung nach werden wir alle die Revolution nicht erleben, so
dass man die Salami-Taktik zwar ausgesprochen leicht abwerten kann, aber dass sie meiner
Ansicht nach die einzige ist, die auch nur kleine Erfolge versprechen kann und das würde ich
mir von ((Opferberatungsstelle)) als Gesamtprojekt wünschen, dass da ein bisschen mehr Belastbarkeit da wäre.“ (c-OBS B, Koop 3, 491-508)
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
262
5.3 Zusammenfassende Beurteilung der Tätigkeit der beiden
Kleinteams
Der Bedarf für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt wird von allen Befragten als gegeben eingeschätzt. Zwar machen einige Experten deutlich, dass die rechtsextremen
Gewalttaten und die damit verbundenen Strafverfahren im Vergleich mit den Spitzenwerten
in den frühen 90er Jahren zurückgegangen seien und in den beiden untersuchten Regionen
weiter zurückgingen bzw. stagnierten, dies wird aber mit Recht nicht als Argument gegen die
Tätigkeit der beiden Opferberatungsstellen angeführt. Denn der Tätigkeitsbereich der beiden
Opferberatungsstellen umfasst auch Vorfälle, die von den Betroffenen nicht angezeigt werden
(obwohl das in aller Regel in den Beratungen nahegelegt wird) und die unterhalb der strafrechtlichen Grenzen liegen, wie zum Beispiel Diskriminierungen. Außerdem umfasst ihr Tätigkeitsbereich neben der Direktberatung weitere Aufgabenfelder, die aus der Beratungsarbeit
im engeren Sinne hervorgehen, aber mit dem Blick auf die „Fallzahlen“ nicht einzufangen
sind, wie Begleitungen, Umfeldarbeit, Präventionsveranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und
lokale Interventionen. Der Tätigkeitsbereich ist also im Vergleich zu normalen Beratungsstellen deutlich umfangreicher und zeitintensiver. Von daher ist eine Vergleichbarkeit mit
normalen Beratungsstellen mit „Komm-Struktur“, wie sie beispielsweise für die „Opferhilfe“
typisch ist, und deren „Fallzahlen“ nur bedingt gegeben. Der Bedarf für die beiden
Beratungsstellen im Sinne des erweiterten Tätigkeitsfeldes ist daher als gegeben anzusehen.
Die Beurteilung des Bekanntheitsgrades lässt erkennen, dass beide Opferberatungsstellen in
ihren Eigenmilieus und Standorten hinreichend bekannt sind, es aber deutliche Defizite gibt,
wenn der Blick in sozialer und räumlicher Sicht darüber hinaus geht. Bei der noch geringen
Bekanntheit in der breiten Öffentlichkeit und auf dem Land handelt es sich aber sicher auch
um Strukturprobleme der entsprechenden Projekte bzw. Initiativen. Dennoch ist zu fragen, ob
hier nicht weitere Anstrengungen erforderlich sind, um den Bekanntheitsgrad weiter zu erhöhen und zu verbessern, gerade auch in zentralen Institutionen der Gesellschaft und auf Landesebene. Die Opferberatungsstellen sollten sich durch ihr Engagement für die Opfer nicht
davon abhalten lassen, den Weg in die „Mitte der Gesellschaft“ zu gehen und ein Beziehungsnetz aufzubauen, das über ihre Kooperationspartner im engeren Sinne hinausgeht.
Die Tätigkeitsfelder bzw. Zielgruppen und die Beurteilung des Angebots zeigen die gleichen
Trends, die bereits aus der Innenperspektive erkennbar waren. Insgesamt wird das Angebot
von den befragten Kooperationspartnern mit kleineren Abstrichen als nützlich und sinnvoll
eingestuft. Auffallend ist der deutliche Unterschied in der Erreichung der Zielgruppen. Während Team A weitgehend nur im Jugendbereich aktiv ist und zur Gruppe der Flüchtlinge keinen Zugang gefunden hat, ist Team B dieser Zugang gelungen. Wichtig ist aber hier die Unterstützung der beiden kooperierenden Migranteneinrichtungen gewesen, die Team B quasi in
die Migrantenarbeit eingeführt haben. Hier spielt der Hintergrund einer Großstadt mit einem
Minimum an entsprechenden (zum Teil vorbildlichen) Einrichtungen sicherlich eine Rolle.
Diese Unterstützungsstruktur fehlte bei Team A, so dass hier ein Zugang aus eigener Kraft
nicht gelang bzw. offenbar nie wirklich konsequent versucht wurde. Dennoch bleibt der
Wunsch eines Kooperationspartners, Team A solle sich verstärkt den Flüchtlingen zuwenden
und dafür andere Tätigkeitsbereiche (zum Beispiel Recherche) zurückfahren, nachvollziehbar, denn die Flüchtlinge sind in Heimen ansprechbar und könnten wie bei Team B in einer
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
263
regelmäßigen Heimtour aufgesucht werden. Da der Jugendbereich, in dem sich Team A aufgrund eigener Bindungen intensiv bewegt hat, mittlerweile von den Netzwerken her als konsolidiert gelten kann, ist zu fragen, ob sich Team A jetzt nicht verstärkt den Zugang zur Zielgruppe der Flüchtlinge bzw. Migranten suchen und dafür andere Tätigkeitsbereiche (zum
Beispiel Recherchen) zurückstellen sollte. Dies trifft sich mit dem Votum eines Experten zu
Team B, der ausufernde Recherchearbeiten des Teams konstatiert und hinterfragt. In der Tat
ist zu fragen, ob der Tätigkeitsbereich Recherche, auch angesichts der Tatsache, dass mittlerweile bei beiden Teams die meisten Kontakte zu Klienten über Kooperationspartner vermittelt werden, nicht stärker zurückgefahren werden sollte.
Die Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit lässt erkennen, dass beide Teams sich intensiv um
eine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit bemüht haben, dabei aber immer wieder an die
Grenzen stoßen, die ihnen durch die mangelnde Resonanz ihrer Anliegen in der Presselandschaft gesetzt werden. Die wichtige Funktion der von beiden Teams erstellten Chroniken
wird von den Kooperationspartnern immer wieder hervorgehoben. Beide Teams betreiben
darüber hinaus eine intensive Öffentlichkeitsarbeit durch Vorstellung des Projektanliegens im
öffentlichen Raum, zum Beispiel durch Vorträge in Gremien oder Informationsveranstaltungen in Schulen. Während Team A Öffentlichkeitsarbeit stärker fallbezogen betreibt, greift
Team B darüber hinaus mit eher thematisch orientierten Beiträgen in aktuelle Debatten über
die Asylpolitik oder über Gewaltphänomene ein. Der Mut und die Einsatzbereitschaft, mit der
sich beide Teams immer wieder öffentlich für die Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten und ihre Situation einsetzen, wird von einigen Kooperationspartnern lobend hervorgehoben. Diese Öffentlichkeitsarbeit wird wiederholt als „unverzichtbar“ eingestuft, weil
dadurch auf Ereignisse aufmerksam gemacht werde, die ansonsten nie an die Öffentlichkeit
gelangen würden. Allerdings wird vereinzelt auch Kritik laut, die sich bei Team A auf „einseitige Wertungen“, bei Team B auf die Strategien des Vorgehens in einem konkreten Fall
mit erheblicher Öffentlichkeitswirksamkeit bezieht. Diese Kritik der Kooperationspartner ist
ernst zu nehmen, spiegelt sie doch die Sicht wohlwollender Vertreter/innen von Stadtverwaltungen wider, zu denen zum Teil noch ein eher distanziertes Verhältnis seitens der Opferberatungen besteht, das verbesserungswürdig erscheint. Besonders bei dem kritisierten Vorgehen
von Team B ist zu fragen, ob hier nicht durch ein stärker abgestuftes Vorgehen und die Nutzung der Gesprächsebene im Rahmen „kleiner Dienstwege“ auch der gleiche Effekt erzielt
und die Brüskierung der betreffenden Einrichtung hätte vermieden werden können. Derartige
Vorgehensweisen sind in anderen durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsprojekten, zum Teil nach Erfahrungen mit heftigen Gegenreaktionen, mittlerweile üblich.
Die Äußerungen der Kooperationspartner und Experten zur Beurteilung des Beratungsansatzes bestätigen für beide Teams eindeutig den Sinn eines derartigen Ansatzes unter Berücksichtigung der für beide Teams bestehenden Umstände. Aufsuchender Ansatz, niedrigschwelliges Vorgehen und Parteilichkeit werden für Zielgruppen, die als Folge der erlittenen Gewalt
nicht von alleine Beratungen aufsuchen, für sinnvoll gehalten, auch von dem Kooperationspartner aus dem Beratungsbereich, der eher im Rahmen einer „Komm-Struktur“ arbeitet. Betont wird von demselben Kooperationspartner auch der Sinn der „politischen Arbeit“ für die
Opfer, wie ihn Team A vertritt. Hier sei allerdings eine Trennung zwischen Beratungsarbeit
durch die Berater/innen und politischer Arbeit (zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit) durch den
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
264
Vorstand bzw. die Geschäftsführung der betreffenden Einrichtung empfehlenswert, damit es
aus politischen Gründen nicht zur Instrumentalisierung von Betroffenen kommen könne. Für
Team A kritisiert ein Kooperationspartner die Distanz des Teams zu Behörden, etwa der Ausländerbehörde, die für das Team offensichtlich aus der bedingungslosen Hinwendung zu den
Betroffenen abgeleitet wird. Wer für die Betroffenen etwas erreichen wolle, so der Kooperationspartner, müsse auch mit den betreffenden Behörden, die über ihr Schicksal entscheiden,
zusammenarbeiten können. Diese Feststellung kann man nur nachdrücklich unterstreichen;
im Hinblick auf die Bereitschaft, mit ungeliebten Behörden sachorientiert zusammenzuarbeiten, hat nicht nur Team A, sondern haben viele von CIVITAS geförderten Opferberatungsstellen wohl noch Nachholbedarf.
Die Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen beider Teams wird von den Kooperationspartner/innen als gut bis sehr gut eingeschätzt: Die Mitglieder von Team A verfügten dadurch
über die grundständige Fachkompetenz, dass alle Mitglieder Sozialpädagog/innen seien, sie
könnten „gut mit Menschen umgehen“, seien außerdem „sozial kompetent“ und „sehr kooperativ“, machten eine gute Beratungsarbeit und verfügten darüber hinaus über „sehr gute
Kenntnisse“ rechtsextremer Strukturen. Auch Team B wird als „sehr professionell“ charakterisiert, wobei die Stärke des Teams unter anderem durch seine Zusammensetzung aus Personen mit unterschiedlichen Schwerpunktkompetenzen zustande komme. Es werde eine „solide
Beratung“ gemacht, außerdem wird das Fachwissen der Teammitglieder im Hinblick auf
rechtsextreme Strukturen und ihre intensive Bereitschaft zur Fortbildung hervorgehoben. Ein
Kooperationspartner schränkt allerdings ein, das „Auftreten“ von Mitgliedern von Team B
habe in Beratungsprozessen auch nachteilige Wirkungen gehabt. Ein Experte aus der Landespolitik, der Team B bei einem einmaligen Kontakt wahrgenommen hat, bei dem es um eine
Kofinanzierung aus Landesmitteln ging, schätzt die Fachlichkeit des Teams im Vergleich
zum MBT, das ebenfalls an der Besprechung teilnahm, kritisch ein. Team B habe seine Anregungen auf Erweiterungen seiner Tätigkeitsfelder in Richtung Flüchtlingsberatung nicht
aufgegriffen und keine Konzepte zur Zusammenarbeit mit dem MBT geliefert. Der Experte
vermisst offenbar bei Team B eine gewisse Flexibilität, die es in die Lage versetzen würde,
das eigene Konzept auch an Anforderungen der Landespolitik zu orientieren und dadurch unter veränderten Rahmenbedingungen sachgerecht fortzuentwickeln.
Die Äußerungen zu den den Teams zugeschriebenen Ergebnissen zeigen einen Mikrokosmos
der CIVITAS-Opferberatungen. Erfolge werden bei beiden Teams in der kontinuierlichen
Betreuung der Opfer gesehen, für die eine Anlaufstelle geschaffen wurde, die zuvor an beiden
Standorten fehlte. Hervorgehoben wird außerdem die wichtige Informationsfunktion der Projekte und ihre unverwechselbare Öffentlichkeitsarbeit. An beiden Standorten haben sich die
Teams in die bestehende Beratungs- und Initiativenlandschaft gut integriert, so dass ihre Tätigkeit in der Fachszene als Bereicherung und Entlastung, nicht als Konkurrenz gedeutet
wird. Beide Teams haben an ihren Standorten mit nach wie vor schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen, da Teile der Stadtverwaltungen und der Kommunalpolitik ihre Tätigkeit
potentiell als Bedrohung der städtischen Images ansehen, wobei dies, wie am Beispiel von
Team A deutlich wird, nicht offen geäußert wird. Pessimistisch wird daher auch die Möglichkeit der Übernahme der Opferberatungsprojekte durch das Land bzw. die Kommune
eingeschätzt. Besonders am Standort von Team B werden derzeit die Mittel für den Jugendund Initiativenbereich radikal zusammengestrichen, wobei der Migrantenbereich „keine
Lobby“ habe und deshalb besonders stark betroffen sei. An beiden Standorten wird vor
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
265
habe und deshalb besonders stark betroffen sei. An beiden Standorten wird vor diesem Hintergrund ein Auslaufen der Projekte nach Ende der Bundesförderung als „Schaden“ für die
betroffenen Klienten und als „Katastrophe“ für die ohnehin schon ausgedünnte Beratungsund Initiativenlandschaft begriffen, zumal das Opferberatungsprojekt von Team B wichtige,
landesweit spürbare Netzwerkarbeit übernehme und das betreffende Bundesland im Hinblick
auf Projekte, die das Thema Rechtsextremismus aufgriffen, ohnehin „absolut unterversorgt“
sei.
Weitere Anregungen für die Projektarbeit durch die Kooperationspartner und Experten beziehen sich bei Team A auf eine ganze Reihe von Tätigkeitsbereichen, die bereits ausgeübt
werden, aber noch intensiviert werden sollten. Zu nennen wären hier eine größere Präsenz in
der Öffentlichkeit, ein verstärktes Engagement für die Zielgruppe der Flüchtlinge und eine
intensivere Arbeit im präventiven Bereich. Dabei wird auch eine Zusammenarbeit und zum
Teil sogar eine Koordination entsprechender Initiativen im städtischen Präventionsrat, der
sich zur Zeit in einem Neuaufbau befindet, angeregt. Wichtig sei auch eine Verbreiterung und
Vertiefung der Tätigkeit gerade im ländlichen Bereich.
Bei Team B weisen die Wünsche der Kooperationspartner neben einer Verstärkung der Umfeldarbeit vor allem auf eine veränderte Grundhaltung hin. Team B solle „mehr Offenheit“
zeigen, stärker auf staatliche Institutionen zugehen, bei der Öffentlichkeitsarbeit etwas mehr
Sensibilität zeigen und stärker realisieren, dass die Gegebenheiten, die zum Ausbruch rechtsextremer Gewalt führen, nur schrittweise veränderbar seien. Die einzig erfolgsprechende
Strategie, die kleine Erfolge erwarten lasse, sei die „Salami-Taktik“, weswegen sich ein Kooperationspartner „ein bisschen mehr Belastbarkeit“ (offenbar im Sinne von mehr Geduld,
auch mehr Zufriedenheit mit kleinen Erfolgen) von Team B wünscht.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
6 Zusammenfassende Bewertung
Opferberatungsstellen
266
der
CIVITAS-
Rahmenbedingungen: Wahrnehmung des Themas Rechtsextremismus in der Landesund Kommunalpolitik
Die politischen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Opferberatungsstellen auf kommunaler Ebene sind weiterhin schwierig. In ländlichen Gebieten bzw. Kleinstädten wird das
Problem Rechtsextremismus weiterhin nicht selten geleugnet bzw. verdrängt, zum Beispiel
weil ein Imageschaden befürchtet wird. Zudem fehlt es auf dem Land und in den Kleinstädten
oftmals an zivilgesellschaftlichen Initiativen, auf die sich die Arbeit der Opferberatungsstellen stützen könnte. Unter diesen Bedingungen muss der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen gerade in ländlichen Regionen vielfach erst geleistet werden, der eigentlich eine Voraussetzung für die Arbeit der Opferberatungsstellen wäre. Dies leisten zu wollen, würde allerdings eine Überforderung für die Tätigkeit der Opferberatungsstellen bedeuten.
Rahmenbedingungen: Kommunale Regelstrukturen
Die CIVITAS-Opferberatungsstellen treffen vor allem in ländlichen Regionen auf schwach
ausgebaute Regelstrukturen in den Bereichen Jugendhilfe, Flüchtlingsarbeit etc., die zusätzlich zur Zeit noch weiter reduziert werden (zum Beispiel Schließung von Jugendclubs). In
dieses bestehende kommunale Netzwerk von Beratungsstellen, Einrichtungen und Initiativen
haben sich die CIVITAS-Opferberatungsstellen in den im Rahmen des Kleinteamvergleichsnäher untersuchten Städten - soweit bekannt – nach Wahrnehmung von Kooperationspartner/innen sinnvoll integriert.
Rahmenbedingungen: CIVITAS-Programm
Die Bundesförderung im Rahmen des CIVITAS-Programms hat die flächendeckende Einrichtung von Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten erst möglich
gemacht. Förderlich war die Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen für Personalstellen und die Sachmittelausstattung, die einen aufsuchenden Ansatz weitgehend erst ermöglicht
hat (zum Beispiel durch die Dienstwagen). Als nachteilig und zum Teil als behindernd für die
Projektarbeit wurden von Mitarbeiter/innen einiger Projekte im laufenden Jahr das als aufwändiger angesehene Beantragungsverfahren, die als schärfer empfundenen BATÜberprüfungen und die neuen Richtlinien für die Öffentlichkeitsarbeit im CIVITASProgramm eingestuft. Die Notwendigkeit, eine Kofinanzierung für die Projekte in Höhe von
20% der Bundesfördersumme einzuwerben, hat nach Darstellung der Mitarbeiter/innen viele
Projekte in große Schwierigkeiten gebracht. Nicht gering waren auch die Motivationsprobleme in der Mitarbeiterschaft angesichts der ungewissen Zukunftsperspektive, zum Teil war
dies auch mit ein Grund für die Kündigung bewährter Mitarbeiter/innen. Sinnvoll erscheint
vor diesem Hintergrund die kontinuierliche Absicherung der Projektarbeit durch einen mehrjährigen Projektzyklus (wie er zum Beispiel im Xenos-Programm besteht). Im Rahmen von
derartigen festen Finanzierungszusagen wäre auch die Jährlichkeit des Bundeshaushalts kein
Problem für die Planungssicherheit der Projekte.
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
267
Tätigkeitsbereich: Rahmenkonzept
Die lange Zeit fehlende Spezialunterstützung von Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten wurde durch das CIVITAS-Programm erstmals flächendeckend ermöglicht. Das
Rahmenkonzept der CIVITAS-Opferberatungsstellen und der damit verbundene Perspektivenwechsel zu einer „Opferperspektive“ ist ein innovativer Ansatz, der sich in der Praxis bewährt hat. Sinnvoll erscheint auch eine Weiterführung der Kombination von individueller
Unterstützung und Umfeldarbeit zur Förderung der gesellschaftlichen Integration der betroffenen Personen(gruppen), da in dieser Hinsicht in den neuen Bundesländern weiterhin gravierende Defizite bestehen. Empfohlen wird allerdings eine Überprüfung des Ansatzes dahingehend, ob er von seinen Zielsetzungen auf Projektebene her nicht überdimensioniert ist, also
zu viel will. Es stellt sich dabei die Frage, ob der mit dem Konzept verbundene Anspruch auf
Veränderung des politischen Klimas im kommunalen Raum nicht eine Überdehnung des
Konzepts bedeutet. Durch die Erhebungen ist erwiesen, dass der Ansatz gerade im Hinblick
auf das Leitziel der Veränderung des politischen Klimas vor Ort oftmals eine Überforderung
der Mitarbeiter/innen (zeitlich, personell und von den Ergebniserwartungen her) nach sich
zieht. Zudem liegt dabei eine Überschneidung mit dem Arbeitsfeld der Mobilen Beratungsteams vor.
Tätigkeitsbereich: Zielgruppen
Als Hauptzielgruppen haben sich Asylbewerber/Flüchtlinge und „nicht-rechte“ Jugendliche
etabliert, während Angehörige anderer ethnischer, kultureller oder sozialer Minderheiten
kaum erreicht werden. Es erscheint gerade im Rahmen eines aufsuchenden Ansatzes sinnvoll,
verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um Personengruppen zu erreichen, die auch Opfer
von rechtsextremen Übergriffen sind, wie zum Beispiel Obdachlose oder Homosexuelle. In
der Zielgruppe der Asylbewerber ist bei einigen Projekten eine Ausweitung des Tätigkeitsbereichs in Richtung allgemeine Flüchtlingsberatung (zum Beispiel zu den Themen Aufenthaltsstatus oder Familienzusammenführung) zu beobachten. Damit reagieren die betreffenden
Opferberatungsprojekte auf eine entsprechende Nachfrage oder ersetzen fehlende Beratungsangebote. Dabei handelt es sich um eine im Einzelfall, zum Beispiel bei fehlenden Beratungsstrukturen, sinnvolle Ausweitung, die aber über den eigentlichen Auftrag der Opferberatungsstellen hinausgeht. Negativ erfolgt im Bereich der Zielgruppen generell eine Abgrenzung gegenüber „Aussteigern“ aus der rechtsextremen Szene, die nicht beraten werden. Dabei stellt
sich die Frage, wie dies mit der grundsätzlichen Orientierung des Programms auf Demokratieförderung und Menschenrechte vereinbar ist und ob nicht vielmehr alle Opfer rechtsextremer Gewalt als Zielgruppe der Beratungen angesehen werden sollten.
Tätigkeitsbereich: Auftrag
Neben dem Hauptauftrag der Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt durch Beratung und Begleitung werden von den Mitarbeiterinnen weitere, jeweils konzeptgestützte Teilaufträge benannt. Diese bewegen sich in der Regel im Bereich der Umfeldaktivierung für die
Betroffenen zur Verbesserung ihrer Situation bzw. zur Förderung ihrer gesellschaftlichen Integration und der dazu erforderlichen Voraussetzungen (v.a. Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung) und beziehen auch Präventions- und Interventionsmaßnahmen auf kommunaler Ebene mit ein. Zum Teil wird der Präventions- und Interventionsauftrag allerdings derart weit
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
268
gefasst, dass daraus ein allgemein-politischer Auftrag wird, wenn zum Beispiel Einwirkungen
auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen in Richtung auf ein Klima, in dem sich alle Menschen frei und ohne Angst bewegen können, als Auftrag einer Opferberatungsstelle definiert
wird. Bezogen auf diesen letzteren Auftrag ist zu fragen, ob hier nicht eine Überdehnung des
jeweiligen Konzepts vorliegt und ob dieses Ziel im Rahmen von Projektarbeit überhaupt realisierbar ist.
Tätigkeitsbereich: Zielsetzungen
Eine Operationalisierung der Leitziele auf Projektebene ist bisher unterblieben, erscheint aber
dringend erforderlich. Eine Folge davon ist, dass die Projekte vielfach mit Großbegriffen
(„Zivilgesellschaft“, „Rassismus“) operieren, deren Bedeutungsgehalte weder in der Wissenschaft noch in der Öffentlichkeit eindeutig geklärt sind. Eine Operationalisierung dieser
Großkategorien könnte dazu beitragen den Ansatz zu präzisieren, also nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen schärfer zu fassen und praktikable Vorgehensweisen zu etablieren. Die Operationalisierung der Leitziele in Mittler- und Handlungsziele könnte helfen,
die konkrete Arbeit im Alltag handhabbarer zu machen, ein kleinschrittigeres Vorgehen einzuüben und damit selbst produzierte Überforderungen zu vermeiden.
Tätigkeitsbereich: Ansatz/Zugangswege
Für die spezifischen Zielgruppen sind die zentralen Prinzipien des Ansatzes (aufsuchendes
Vorgehen, niedrigschwellige Ansprache, Parteilichkeit, Ressourcenorientierung und „Hilfe
zur Selbsthilfe“) sinnvoll und notwendig, da anders diese Personengruppen auf Grund ihrer
oftmals ‚defizitären’ Lebensverhältnisse nicht zu erreichen sind. Die Zugangswege über Recherche oder die Vermittlung durch Kooperationspartner bergen allerdings die Gefahr der sozialen Konstruktion von Opfern und ihrer Instrumentalisierung für eigene politische Zwecke.
Zentral erscheint hier als Gegengewicht der Grundsatz, die Anliegen des Opfers in den Mittelpunkt zu stellen und diesen den unbedingten Vorrang einzuräumen. Diese Gefahren wurden aber im Rahmen einer Fortbildung reflektiert und können durch die eindeutige Orientierung am Grundsatz der Selbstbestimmung der Klienten balanciert werden.
Tätigkeitsbereich: Gewaltbegriff/Interventionsanlässe
Der Gewaltbegriff und die damit verbundenen Interventionsanlässe sind bei den meisten Projekten weit ausgedehnt und umfassen physische, psychische (zum Beispiel Beleidigungen)
und strukturelle Gewaltformen (zum Beispiel institutionelle Diskriminierungen). Rechtsextreme bzw. rassistische Hintergründe werden regelmäßig überprüft, wobei allerdings die Berater/innen einen weiten Definitionsspielraum haben. Dadurch wächst die Gefahr der sozialen
Konstruktion von Opfern bzw. Interventionsanlässen. Daher wird empfohlen, den Gewaltbegriff und die Interventionsanlässe zu diskutieren und eventuell schärfer zu fassen bzw. einzugrenzen.
Tätigkeitsbereich: Unterstützung von Individuen durch Beratung und Begleitung
In diesem Tätigkeitsbereich hat sich, unterstützt durch die Vorerfahrungen der „Opferperspektive Brandenburg“ und die gemeinsamen Fortbildungen, ein klar strukturierter und aufeinander abgestimmtes Set von Teiltätigkeiten herausgebildet, das weitgehend alle von CI-
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
269
VITAS geförderten Opferberatungsstellen anbieten. Die Beratungen enthalten einerseits Informationsanteile zu den relevanten Themen (Anzeigeerstattung bzw. Verfolgung der Straftat, Ablauf des Gerichtsverfahrens, Entschädigungsmöglichkeiten, Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit) und psycho-soziale Anteile, welche die Persönlichkeit der betroffenen Person
stabilisieren und ihre Eigenpotentiale stärken sollen. Neben den Beratungen ist die Begleitung der Betroffenen bei der Bewältigung der Tat und ihrer Folgen ein weiteres wesentliches
Tätigkeitsfeld. Opferberatungsstellen wollen die Betroffenen dazu in die Lage versetzen, die
notwendigen Behördengänge und den erforderlichen Schriftwechsel so weit wie möglich
selbst durchzuführen, unterstützen sie dabei und übernehmen selbst nach Absprache auch
Teilaufgaben in diesem Bereich. Sie begleiten den Prozeß der Anzeigeerstattung, sind auf
Wunsch bei Zeugenaussagen anwesend und stehen während der Gerichtsverfahren (Strafund Zivilprozeß) als Begleitung bzw. zur Beobachtung zur Verfügung.
Diese Teiltätigkeiten gehen über die üblichen Angebote vergleichbarer Beratungseinrichtungen weit hinaus und sind als überaus nützlich anzusehen. In diesem Tätigkeitsfeld liegen vielfach auch die eigentlichen Erfolgserlebnisse der Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen.
Tätigkeitsbereich: Unterstützung kollektiver Akteure bzw. Prozesse zur Förderung der
gesellschaftlichen Integration der Betroffenen(gruppen)
In diesem Tätigkeitsbereich liegen trotz aller Anstrengungen der jeweiligen Mitarbeiter/innen
die größten Schwierigkeiten für die Tätigkeit der Opferberatungsstellen. Sie sind zum Teil
Folgen einer nach wie vor spürbaren Ablehnung gegenüber dem Thema Rechtsextremismus
und der Wahrnehmung von entsprechend motivierten Straf- und Gewalttaten, zum Teil auch
Resultat fehlender zivilgesellschaftlicher Strukturen, auf die sich die Opferberatungsstellen
stützen könnten, zum Teil sicher auch Ergebnis eines mitunter stark konfrontativ bzw. provokativ orientierten Vorgehens. Die Versuche einer Mobilisierung von Unterstützung für die
Opfer finden oftmals keine Resonanz, weil es an entsprechenden Ansprechpartnern in den
jeweiligen Kommunen mangelt. Die auf Sensibilisierung abzielende Öffentlichkeitsarbeit
wird immer noch zu wenig wahrgenommen bzw. von den Medien aufgegriffen und erreicht
daher selten einen breiten Teilnehmerkreis. Die Ergebnisse der kommunalen Interventionen
werden von den Mitarbeiter/innen zum Teil pessimistisch beurteilt, weil greifbare Ergebnisse
bzw. Veränderungen ausbleiben. Im Bereich der kommunalen Interventionen erscheint das
Vorgehen vielfach noch zu unsystematisch, gerade auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit
mit den MBTs. Auch ist zu fragen, ob derartige kommunale Interventionen nicht eine Überdehnung des Konzepts „Opferperspektive“ darstellen.
Tätigkeitsbereich: Interaktionen im Rahmen des CIVITAS-Programms
Die Interaktionen zwischen den „Säulen“ des CIVITAS-Programms (Mobile Beratungsteams, Opferberatungsstellen, Netzwerkstellen) im Sinne des gemeinsamen Auftrags der Demokratieförderung und des Zurückdrängens von Rechtsextremismus sind in vielen Regionen
angelaufen, die Zusammenarbeit könnte allerdings zum Teil noch intensiviert und verbessert
werden: Die entsprechenden Rollen sind nicht immer geklärt bzw. abgestimmt, das jeweilige
Vorgehen wird zum Teil als kontraproduktiv empfunden, zum Teil gibt es Berichte über
Konkurrenzsituationen etc. Notwendig erscheint vor allem ein Orientierungsrahmen für ein
CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen
270
stärker abgestimmtes Vorgehen zwischen Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen im kommunalen Raum.
Tätigkeitsbereich: Ergebnisse
Nach einer zweieinvierteljährigen Tätigkeit können Erfolge nur im kleinen Ausmaß und im
Hinblick auf bestimmte einzelne Interventionsobjekte erwartet werden. Diese sind zum Teil
nach Einschätzung der Mitarbeiter/innen auch eingetreten, zum Beispiel durch von Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen initiierte Gründungen von Selbsthilfeorganisationen bzw.
-vereinen, durch die Schließung eines rechtsextrem unterwanderten Jugendhauses oder die
Schließung bzw. Verlagerung von Asylbewerberheimen, Prozesse, an denen natürlich neben
den zuständigen Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen viele weitere Akteure beteiligt
waren, so dass der ‚Eigenanteil’ zumeist nicht beziffert werden kann.
Verstetigung
Eine Wirksamkeit der Tätigkeit der Opferberatungsstellen nach einer zweijährigen Laufzeit
im Sinne einer Veränderung des kommunalen Klimas oder anderer Leitziele ist realistisch
nicht zu erwarten. Notwendig ist daher die Verstetigung der bisherigen Projektarbeit im Bereich der Opferberatung. Es wäre ein immenser Fehler, den erreichten Stand der Projektarbeit
durch die Unterbrechung der Kontinuität zu gefährden. Eine Unterbrechung der Kontinuität
würde die durch die Fortbildungen erzeugten spezifischen Qualifikationen, das entstandene
Erfahrungswissen und den erreichten Bekanntheitsgrad von Träger und Mitarbeiter/innen
entwerten. Auch weil Opferarbeit eine intensive Beziehungsarbeit voraussetzt und sich Beratungsprozesse oftmals über Jahre erstrecken, ist die Wahrung der personellen und institutionellen Kontinuität in diesem Arbeitsfeld besonders notwendig.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
271
IV C Netzwerkstellen (von Kerstin Palloks)
1
Gegenstand der Untersuchung................................................................................... 274
1.1
Ausgangspunkt der Untersuchung ........................................................................ 274
1.2
Aufbau der Untersuchung und Fragestellungen.................................................... 275
1.3
Datengrundlage und methodisches Vorgehen....................................................... 276
1.4 Die vom CIVITAS-Programm geförderten NWS (Beschreibung des
Untersuchungsgegenstandes) ................................................................................... 277
2
Zur Implementation des neuen Förderschwerpunktes NWS - Begründung,
Strategien und Konsequenzen............................................................................................ 279
2.1
Begründungszusammenhang und vorgesehene Funktionen der NWS.................. 280
2.2
Kommunikation des Bedarfes ............................................................................... 282
2.3
Lokalisierung in den bestehenden Förderstrukturen ............................................. 283
2.4
Antragstellung und Bewilligung ........................................................................... 284
2.4.1
Kriterien der Trägerauswahl.......................................................................... 284
2.4.2
Regionale Streuung ....................................................................................... 284
2.4.3
Zeitrahmen der Antragsstellung ................................................................... 285
2.4.4
Einbezug interner und externer Akteure ....................................................... 285
2.5
Programmbegleitende Maßnahmen....................................................................... 286
2.5.1
Zur lokalen Verankerung .............................................................................. 286
2.5.2
Zur finanziellen Ausstattung ......................................................................... 287
2.5.3
Zur Koordination der NWS und der Vernetzung der Strukturprojekte ......... 288
2.5.4
Zur Vermittlung des Modellauftrags............................................................. 289
2.6
Trägerinterne Bedingungen................................................................................... 290
2.6.1
Trägerlandschaft............................................................................................ 290
2.6.2
Mitarbeiter/innen........................................................................................... 290
2.6.3
Ressourcen der Träger und Nutzung dieser durch die NWS......................... 291
2.7
Konsequenzen der Implementationsstrategie........................................................ 292
2.7.1
Ausgangsbedingungen der Projekte – Typologisierung der NWS................ 292
2.7.2
Konzeptsicherheit.......................................................................................... 296
2.7.3
Lokale Strukturen – Determinanten für Interaktionen in den Sozialräumen. 299
2.7.3.1
Fehlende Ansatzpunkte für Vernetzungsarbeit ......................................... 299
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
2.8
3
Bestehende Strukturen – etablierte Netzwerke in den Sozialräumen........ 300
2.7.3.3
Sozialräumliche Interaktionen................................................................... 302
Fazit....................................................................................................................... 304
Strukturelle Defizite in den Sozialräumen ............................................................ 308
3.1.1
Verlust von Kooperationspartnern ................................................................ 309
3.1.2
Finanzielle Situation in Kommunen.............................................................. 309
3.1.3
Themenpriorität............................................................................................. 310
3.2
Programmbegleitende Rahmenbedingungen......................................................... 311
3.2.1
Administration/Verwaltung........................................................................... 311
3.2.2
Planungshorizont........................................................................................... 313
3.3
5
2.7.3.2
Rahmenbedingungen der Projektarbeit.................................................................... 308
3.1
4
Zusammenfassung der Rahmenbedingungen........................................................ 314
Zum Konzept der Netzwerkstellen auf theoretischer Grundlage........................... 316
4.1
Die CIVITAS-Netzwerkstellen im Vergleich zu anderen Netzwerkprojekten ..... 317
4.2
Zum theoretischen Ansatz der CIVITAS-NWS.................................................... 320
4.3
Idealtypischer Netzwerkansatz der CIVITAS-NWS............................................. 323
4.4
Fazit....................................................................................................................... 324
Zu den Tätigkeitsbereichen der NWS auf empirischer Grundlage........................ 326
5.1
Intendierte Arbeitsbereiche der NWS ................................................................... 327
5.1.1
Tätigkeitsbereich „Sensibilisieren“ ............................................................... 327
5.1.2
Tätigkeitsbereiche „Mobilisieren/Aktivieren“ .............................................. 328
5.1.3
Tätigkeitsbereich „Befähigen“ ...................................................................... 328
5.1.4
Tätigkeitsbereich „Vernetzung/Strukturverbesserung“................................. 329
5.2
Beschreibung und Einschätzung der Projektumsetzung ....................................... 331
5.2.1
6
272
Typ I: Neubau von Netzwerken/Suche nach Funktionsbereichen ................ 332
5.2.1.1
Fehlende Vernetzungsansätze ................................................................... 332
5.2.1.2
Konkurrierende Netzwerkstrukturen......................................................... 339
5.2.2
Typ II: Aufbau/Ausbau von (Fach)Netzwerken............................................ 347
5.2.3
Typ III: Weiterführung/Qualifizierung von Initiativ-Netzwerken ............... 358
5.2.4
Typ IV: Koordination/Weiterentwicklung von kommunalen Netzwerken ... 374
Vergleich zweier NWS unter Einbezug externer Akteure...................................... 385
6.1
Beschreibung der NWS in A-Stadt und B-Stadt ................................................... 386
6.2
Vergleich aus der Sicht der NWS-Mitarbeiter/innen ............................................ 388
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
6.2.1
Ansatz und Zielstellung................................................................................. 388
6.2.2
Vorgehensweisen (Vernetzung, Unterstützung, Strategien) ......................... 391
6.2.3
Wahrnehmung der NWS/des Trägers............................................................ 395
6.2.4
Selbstverständnis und (fachliche) Prinzipien ................................................ 396
6.2.5
Lokale Situation ............................................................................................ 397
6.3
Vergleich der NWS aus Sicht der externen Akteure ............................................. 399
6.3.1
NWS B aus der Perspektive externer Akteure .............................................. 401
6.3.1.1
Ansatz und Zielstellung............................................................................. 401
6.3.1.2
Wahrnehmung der Vorgehensweisen (Rolle, Methoden, Mittel) ............. 403
6.3.1.3
Wahrnehmung der Fachlichkeit - Arbeitsorganisation.............................. 407
6.3.1.4
Lokale Bedingungen ................................................................................. 408
6.3.1.5
Erfolge/Misserfolge................................................................................... 409
6.3.2
NWS A aus der Perspektive externer Akteure .............................................. 411
6.3.2.1
Wahrnehmung von Ansatz und Zielstellung ............................................. 411
6.3.2.2
Wahrnehmung der Vorgehensweisen (Rolle, Methoden, eingesetzte Mittel).
................................................................................................................... 412
6.3.2.3
Wahrnehmung der Fachlichkeit ................................................................ 417
6.3.2.4
Lokale Bedingungen ................................................................................. 419
6.3.2.5
Erfolge/Misserfolge................................................................................... 420
6.3.3
7
273
Zusammenfassung des Fallvergleichs und Fazit ........................................... 422
Resümierende Schlussbetrachtung zur Evaluation der CIVITAS-NWS............... 426
7.1
Abschließende Einschätzung des Interventionsansatzes „Netzwerkstelle“........... 427
7.2 Interne Faktoren der Projektumsetzung im Abgleich mit dem idealtypischen
Netzwerkansatz – Qualitätskriterien für die Arbeit der CIVITAS-NWS................. 431
7.3
Externe Bedingungen für Aufbau und Bestand verlässlicher Netzwerke ............. 436
7.4
Fazit....................................................................................................................... 438
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
274
1 Gegenstand der Untersuchung
1.1 Ausgangspunkt der Untersuchung
Seit 2002 werden im Programmbereich „Stärkung und Entwicklung zivilgesellschaftlicher
demokratischer Strukturen im Gemeinwesen“ Netzwerkstellen in Form eingerichteter Personalstellen gefördert. Die Aufgabe der Projekte liegt in der Vernetzung zivilgesellschaftlichen
Engagements im Gemeinwesen. Die Netzwerkstellen wurden eingerichtet, um nachhaltige
Kooperationsbeziehungen zwischen verschiedenen Akteuren im lokalen Kontext zu generieren und auszubauen. Durch die Erarbeitung gemeinsamer Ziele und Vorgehensweisen im
Engagement gegen rechtsextreme Erscheinungen soll eine „örtliche Verantwortungsgemeinschaft“ (Leitlinie CIVITAS 2002: 9) in Gestalt verlässlicher Austauschbeziehungen zwischen
den unterschiedlichen kommunalen Akteuren implementiert und gepflegt werden. Dabei ist
der unterstützende Einbezug der in den Regionen agierenden Mobilen Beratungsteams sowie
der Opferberatungen angedacht.
Die Netzwerkstellen wurden nachträglich in das Förderspektrum des CIVITAS-Programms
eingebracht. Die erste wissenschaftliche Begleitung des Teams um Frau Prof. Rommelspacher endete im Dezember 2001, so dass im Gegensatz zu den Mobilen Beratungsteams und
den Opferberatungsstellen für die Netzwerkstellen noch keine Evaluation der Implementation
dieses Förderschwerpunktes erfolgte.
Die von CIVITAS geförderten 25 Netzwerkprojekte nehmen innerhalb des Gesamtprogramms – und damit auch in der Evaluation – eine gesonderte Stellung ein. Diese ergibt sich
zum einen aus deren Anlage als „strukturverbessernder“ Projekttypus neben den Opferberatungsstellen und den Mobilen Beratungsteams, als auch aus dem spezifischen Entstehungszusammenhang dieses Förderschwerpunktes. Die Netzwerkstellen wurden im Jahr 2002 – also
erst im zweiten Förderjahr - in die Leitlinien des Programms aufgenommen, so dass die eigentliche Laufzeit der Projekte, mit Blick auf die für andere Projekttypen vorgesehene Modellphase nicht drei Jahre, sondern weniger als zwei Jahre beträgt. Dieser „Nachtrag“ scheint
nicht nur hinsichtlich der daraus resultierenden verschiedenen Bedingungen für die in diesem
Bereich geförderten Projekte relevant, sondern in erster Linie für die Möglichkeit, Aussagen
über die Entwicklungsdynamik, Lernprozesse sowie Kommunikationswege und Ergebnissicherung innerhalb eines Bundes-Modellprogramms zu treffen. Die Anlage der Evaluation
erfolgte demnach in einer Form, die durch die Analyse des Entstehungszusammenhanges der
NWS sowie den Nachvollzug der Auswahlkriterien der Projekte Aussagen über eben diese
Prozesse erwartbar machten. Aus dem späteren Beginn der Projektförderung ergibt sich demnach die Besonderheit für das Konzept der Evaluation der NWS: im Gegensatz zu den OBS
und den Mobilen Beratungsteams konnte die wissenschaftliche Begleitung der Netzwerkstellen, zwar immer noch mit Verspätung, aber dennoch frühzeitig ansetzen und somit die für die
Einschätzung der Projektumsetzung wichtige Implementationsphase dokumentieren. Im Folgenden werden der Aufbau der Untersuchung, die Fragestellungen sowie das methodische
Vorgehen der Evaluation der Netzwerkstellen vorgestellt.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
275
1.2 Aufbau der Untersuchung und Fragestellungen
Die Evaluation der Netzwerkstellen gliedert sich in fünf analytisch-deskriptive Blöcke, die
inhaltlich aufeinander aufbauen:
Zur Implementation der Netzwerkstellen: hier wird gefragt, unter welchen Bedingungen die
Einrichtung des neuen Förderschwerpunktes NWS erfolgte und welche Auswirkungen die
verschiedenen Strategien der Implementation insbesondere für die Aufbauphase der NWS
hatten. Ziel ist die Dokumentation des Bedingungsrahmens, der den NWS in der Startphase
zur Umsetzung ihrer Tätigkeit zur Verfügung stand. Es erfolgt eine Typologisierung der geförderten NWS anhand derer in den folgenden Untersuchungsschritten die Tätigkeiten bzw.
die Umsetzungspraxen und Entwicklungspotenziale beschrieben werden.
Der zweite analytisch-deskriptive Teil der Evaluation beschreibt die weiteren allgemeinen
Rahmenbedingungen der Projektarbeit und deren Auswirkungen auf die Umsetzung der Projektaufträge. Vor dem Hintergrund der regionalen, sozialräumlichen sowie der programmbegleitenden Bedingungen sollen Faktoren herausgefiltert werden, die – unabhängig von Projektansätzen und Arbeitsschwerpunkten - die Tätigkeit der NWS im allgemeinen beeinflussen.
Im Anschluss daran erfolgt eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept – also
dem theoretischen Potenzial – von Netzwerkprojekten im Rahmen eines Programms für die
Förderung von Demokratie und Toleranz. Schwerpunkt der Auseinandersetzungen bildet die
Frage, welcher besondere (innovative) Ansatz den durch CIVITAS geförderten NWS im
Unterschied zu anderen Netzwerkprojekten hinsichtlich des Auftrags, der zur Verfügung
stehenden Ressourcen und den sozialräumlichen Voraussetzungen der Netzwerkarbeit eigen
ist.
Im vierten und fünften Teil der Evaluation werden die Tätigkeiten der NWS auf empirischer
Grundlage thematisiert. Ziel ist die Darstellung der Arbeitsschwerpunkte verschiedener NWS
und die unterschiedliche Umsetzung dieser. Das Anliegen der Untersuchung ist demnach,
durch die Beschreibung verschiedener Methoden, Ansätze und Vorgehensweisen unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation und Umsetzung des Modellauftrages durch die Anwendung der vier Schlüsselkategorien zu beschreiben und hinsichtlich der in der theoretischen Reflexion erarbeiteten idealtypischen Umsetzung einzuschätzen. Die Beschreibung und
Analyse erfolgt für die im Kapitel 2 erarbeiteten vier Typen von NWS; eine abschließende
Einschätzung der Umsetzung und des Entwicklungspotenzials erfolgt ebenfalls anhand der
Typologie.
Als Spezifikation der in diesem Abschnitt der Evaluation erarbeiteten Thesen über gelungene
Ansätze und Bedingungen der Vernetzungsarbeit wird im fünften Teil der Evaluation ein
Vergleich zweier Netzwerkstellen unter Einbezug der Sicht externer Akteure erfolgen. Die
intensive Fallbeschreibung des gewählten Ansatzes, der Vorgehensweisen und fachlichen
Prinzipien jeder NWS erfolgt auf der Grundlage der (mehrfach) durchgeführten Befragung
der Mitarbeiter/innen dieser NWS sowie durch den Einbezug von Interviews mit Akteuren
aus den Sozialräumen, auf die sich die jeweilige Netzwerkarbeit bezieht. Dieser Kontextbezug ermöglicht eine erste Einschätzung der Resonanz über die Umsetzung des jeweiligen
Netzwerkprojektes aus der Perspektive von Kooperationspartnern und relevanten lokalen
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
276
Akteuren. Ziel dieser intensiven Fallbetrachtungen ist das Destillieren von günstigen und
weniger günstigen Faktoren der Projektumsetzung vor dem Hintergrund einer spezifischen
lokalen Situation.
Abschließend erfolgt eine resümierende Schlussbetrachtung, in der die in den einzelnen Teilevaluationen erarbeiteten Thesen/Ergebnisse noch einmal stichpunktartig zusammengetragen
werden. Es erfolgt die Darstellung allgemeiner Erfolgsindikatoren für die Umsetzungspraxis
der Netzwerkstellen sowie eine abschließende Einschätzung des Projektansatzes „NWS“ im
CIVITAS-Programm.
1.3 Datengrundlage und methodisches Vorgehen
Da die Evaluation verschiedene Stränge verfolgt (theoretisch-konzeptionell, empirisch programmnah, empirisch projektnah) kamen auch unterschiedliche (qualitative und quantitative)
Erhebungsinstrumente zum Einsatz. Größtes Gewicht wurde dabei jedoch auf den Einsatz
qualitativer Interviews, orientiert an der Methode der problemzentrierten Interviews (vgl.
Witzel 2000) gelegt, die in der Mehrzahl der Anwendungen face to face mit den Befragten
(meist vor Ort) geführt wurden. Der Vorteil dieser Erhebungstechnik besteht in der einerseits
an einer Rahmenproblemstellung orientierten Strukturierung der Interviews durch einen Gesprächsleitfaden bei andererseits gewahrter Offenheit gegenüber den Relevanzsetzungen der
Befragten durch die ermöglichten Narrationen. Das problemzentrierte Interview orientiert
sich an drei Grundpositionen, die es für diesen Untersuchungsrahmen besonders geeignet
erscheinen lassen: Problemzentrierung (Ausrichtung an gesellschaftlich relevanten Fragestellungen durch am Problem orientierten Fragen bzw. Nachfragen), Gegenstandsorientierung
(Flexibilität gegenüber unterschiedlichen Anforderungen des Untersuchungsgegenstandes)
und Prozessorientierung (Sensibilität gegenüber den Befragten) (vgl. Witzel 2000: 2-3).
In den Interviews mit den Projektmitarbeiter/innen (Dauer: zwischen eineinhalb und vier
Stunden inklusive Vor- und Nachgespräch) wurde - neben der Erfassung der Arbeitsschwerpunkte der Netzwerkstelle - besonderes Gewicht auf die Dokumentation des „Vorlaufes“ der
Projekte, der Projektmitarbeiter/innen bzw. der Trägerarbeit gelegt, um damit das an den
jeweiligen Entstehungszusammenhang gekoppelte Entwicklungsniveau begründend beschreiben zu können. Methoden der Vernetzung, Netzwerk-Beschreibungen (Zielgruppen und
Maßnahmen), Reaktionen der Zielgruppen, Verstetigungsperspektiven und Einflussgrößen
(Rahmenbedingungen) der Vernetzungstätigkeiten wurden ebenfalls durch die Interviews
erfasst. Der Leitfaden wurde im Verlauf der Erhebung (ca. sechs Monate) immer wieder
leicht modifiziert und an sich neu ergebende Forschungsfragen bzw. die „ProgrammDynamik“ angepasst wobei aber Grundansatz und Hauptfragestellungen nicht verändert wurden.
Die Auswertung dieser Interviews erfolgte anhand von – für das jeweilige Untersuchungsinteresse erstellten – Kategoriensystemen. Bei der Aufbereitung der Daten wurden der jeweili-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
277
gen Kategorie entsprechende Textsegmente der verschiedenen Interviewprotokolle zugeordnet und für die vergleichende Analyse aufbereitet.1
Für die fünf Untersuchungsteile der Evaluation wurden übergreifend folgende Verfahren
angewandt bzw. Erhebungsinstrumente und Probanden einbezogen2:
•
Dokumente (Sach- und Jahresberichte der NWS, Leitlinien CIVITAS, Leitlinien anderer Programme, Evaluationsberichte, Presseartikel, sonstige Dokumente)
•
Interviews mit Programmentscheidenden und –umsetzenden (11)
•
Selbstauskünfte der Mitarbeiter/innen der NWS (28 problemzentrierte Erst- bzw.
Folgeinterviews sowie protokollierte Gespräche, Teilnahme an und Dokumentation
von einzelnen „Bündnistreffen“ von Netzwerkstellen, (einleitender) Fragebogen an
die Projektmitarbeiter/innen der NWS, 1 Interview mit einer entimon-Netzwerkstelle
•
Selbstauskünfte der Mitarbeiter/innen anderer CIVITAS-Projekte (8 Telefoninterviews mit Mitarbeiter/innen der Mobilen Beratungsteams)
•
Trägerbefragung (standardisierte Fragebögen an die Träger der NWS)
•
Kontextbefragung: 12 (je 6) Interviews mit Kooperationspartnern/ externen Akteuren
der beiden verglichenen NWS
1.4 Die vom CIVITAS-Programm geförderten NWS (Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes)
Ausgehend vom Stand Oktober 2002, wurden von CIVITAS insgesamt 26 Projekte gefördert,
die unter dem Schwerpunkt „Vernetzung zivilgesellschaftlichen Engagements“ (NWS) laufen. Davon waren 25 mit Personalstellen ausgestattet, eine NWS nur mit Sachmitteln (diese
NWS wird in 2003 nicht mehr gefördert).
Die Förderung erfolgt im Rahmen einer Personalstelle, das bedeutet, beim größten Teil der
NWS (19) arbeitet eine Person in der NWS. 5 NWS sind geteilte Stellen, mit unterschiedlicher Stundenaufteilung zwischen den beiden Mitarbeiter/innen.
Die regionale Verteilung der Netzwerkstellen auf die Bundesländer erfolgte – bis auf Brandenburg, wo nur eine Netzwerkstelle in Potsdam eingerichtet wurde – mit vergleichbarer
Zahl je Bundesland:
In Sachsen, Sachsen Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern werden je 5 Netzwerkstellen
gefördert, in Thüringen 4 (3) sowie in Berlin(Ost) 6. In Berlin wurde in jeden der östlichen
Großbezirke ein Netzwerkprojekt angesiedelt, das in bestimmten Stadtgebieten innerhalb
dieser arbeitet (Mitte, Prenzlauer Berg/Pankow/Weißensee, Lichtenberg-Hohenschönhausen,
Friedrichshain (Nord), Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick).
1
Eine ausführliche Beschreibung der angewandten Auswertungsverfahren erfolgt in Kapitel II des
Gesamtberichts.
2
Für jeden der fünf Evaluationsteile erfolgt zu Beginn der Darstellungen eine genauere Beschreibung
von Untersuchungsgegenstand, Forschungsfrage und Datengrundlage.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
278
Die NWS verteilen sich wie folgt auf die Bundesländer:
•
Berlin: 6 (verschiedene städtische Gebiete)
•
Mecklenburg-Vorpommern: 5 (Schwerin, Greifswald, Wismar, Anklam, Bad Sülze)
•
Brandenburg 1 (Sitz in Potsdam, Aktionsgebiet Landkreis)
•
Sachsen Anhalt 5 (Magdeburg, Dessau, Quedlinburg, Sangerhausen, Hettstädt)
•
Sachsen 5 (Aue, Großenhain, Großhennersdorf, Döbeln, Niesky)
•
Thüringen 3 (4) (Jena, Weimar, Sondershausen, Waltershausen (seit 2003 nicht mehr
tätig).
In den Flächenländern erfolgte die Aufteilung der Netzwerkstellen in unterschiedlichen regionalen Gewichtungen, durch die Verteilung auf kleinere Kommunen und auf zwei bis drei
größere Städte. Ausnahme bildet dabei das Bundesland Sachsen, in dem alle fünf Netzwerkstellen Städten/Gemeinden bis ca. 20 000 Einwohnern angesiedelt sind und die in eher großflächigen/ländlichen Regionen tätig sind:
•
6 NWS in der Hauptstadt
•
4 NWS in Großstädten/Landeshauptstädten ab 100 000 EW
•
4 NWS in Städten zw. 50 und 100 000 EW
•
4 NWS in Städten über 20 000 EW (Regionalzentren, Kreisstädte, regionale Verwaltungszentren, inklusive Kulturszene und entsprechend ausgebauter Infrastruktur)
•
8 NWS in Kleinstädten bzw. Gemeinden unter 20 000 EW– davon 2 in Gemeinden
unter 3000 EW.
Die Aktionsradien (also Zuständigkeitsbereiche) der NWS sind nicht eindeutig definiert und
reichen (nach Aussage der NWS) von einem Kiez (Teil eines Stadtbezirks) über eine ganze
Stadt, eine Stadt mit angrenzendem Landkreis und bis zu drei Landkreisen.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
279
2 Zur Implementation des neuen Förderschwerpunktes
NWS - Begründung, Strategien und Konsequenzen
Gegenstand der Untersuchung
Für diesen Teil der Projektevaluation soll ein besonderes Element in die Untersuchung einbezogen werden. Die Implementation der Netzwerkstellen ist in verschiedener Hinsicht für die
vorliegende Analyse von Belang. Über die Beschreibung der Einrichtung eines nachträglich
einbezogenen Schwerpunktes in das Programm können nicht nur Kommunikationswege innerhalb des Programms nachvollzogen werden und damit Aussagen über die Lernfähigkeit
von Programmen, sondern es können insbesondere auch die programmatischen Bedingungen
dokumentiert werden, durch die die Projektumsetzung wesentlich determiniert wird.
Fragestellung
Zu den relevanten Fragestellungen gehören neben dem Begründungszusammenhang für die
Erweiterung des Programms um einen neuen Förderschwerpunkt die Beschreibung der vermittelten Rahmenziele und -aufgaben, der Nachvollzug der Prämissen der Trägerauswahl
bzw. der Entscheidung über die regionale Verteilung im Zusammenhang mit der Antragslage,
der Prozess der Antragstellung und der Einbezug interner und externer Akteure bei der Planung und Einrichtung der NWS. Darauf aufbauend sind insbesondere die Konsequenzen der
Implementationsstrategie für die Projektarbeit der NWS als Fragestellung relevant.
Datengrundlage
Die Quellen für die Beschreibung der Implementationsphase sind zunächst Interviews mit
den Programmverantwortlichen und Mitarbeiter/innen der umsetzenden Stiftungen (11 Interviews) sowie mit den Projektkoordinator/innen. Weiterhin wurde die von der Servicestelle
angelegte und gepflegte Projektdatenbank hinzugezogen, um die Antragslage im Bereich der
Vernetzungsprojekte nachzuvollziehen. Die Mobilen Beratungsteams wurden durch telefonische Interviews zur Einrichtung der Netzwerkstellen und zu den Arbeitsbezügen zwischen
beiden Projektgruppen befragt (insgesamt wurden 8 Interviews mit den MBTs in den jeweiligen Bundesländern zu diesen Fragestellungen geführt). Schließlich bilden die Interviews der
Projektmitarbeiter/innen der NWS (insgesamt 28)3, bei bestimmten Fragen auch der MBTs
und OBS, die wesentliche Quelle im Bereich der Aussagen über den Entwicklungsstand der
Projekte zu Förderungsbeginn und die Konsequenzen der vorangegangenen Implementation
als Rahmung der zu evaluierenden Projektarbeit. Als Hintergrundfolie wurden bei einigen
Fragestellungen die standardisierten Befragungsinstrumente (Fragebogen der Mitarbeiter/innen der NWS im Herbst 2002, Trägerbefragung im Frühjahr 2003) hinzugezogen.
3
Mit einigen Mitarbeiter/innen der Netzwerkstellen wurden Folgeinterviews u.a. im Rahmen der vergleichenden Fallbeschreibung geführt, daher die höhere Zahl der Interviews im Verhältnis zur Zahl der
geförderten NWS.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
280
2.1 Begründungszusammenhang und vorgesehene Funktionen
der NWS
Für die Untersuchung wurden die verschiedenen oben genannten Quellen zur Klärung der
Frage hinzugezogen, welches Defizit im Bereich der Strukturqualität in ostdeutschen Kommunen diagnostiziert wurde, das zur Modifikation des Programms führte. Weiterhin stellt
sich darauf aufbauend die Frage, wie dieses Defizit – von wem und auf welchen Wegen –
kommuniziert wurde: Diese Frage scheint insbesondere interessant, um Aussagen über die
Lernfähigkeit bzw. die Flexibilität großer Programme zu beantworten.
Die erste Frage lässt sich durch Einbezug der verschiedenen Quellen (Leitlinien, Programmentscheidende und –umsetzende) auf allgemeinem Niveau folgendermaßen beantworten:
Netzwerkstellen sollen nach Aussagen der Befragten auf der Programmebene (Programmentscheidende und –umsetzende) generell auf einen Bedarf reagieren, der aus der Vereinzelung
von engagierten Akteuren im lokalen Kontext und der damit verbundenen Zersplitterung von
Kräften, Know-how und Potenzialen zur Bekämpfung rechtsextremer Erscheinungen resultiert. Die Bündelung von Aktivitäten, gegenseitige Kenntnis der Ressourcen aller relevanten
Akteure und insbesondere die Gewährleistung konsequenter, verbindlich angelegter Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren sowie die gleichzeitige Befähigung zum eigenständigen Handeln soll durch entsprechend erwartete Synergieeffekte langfristig zu einer veränderten Qualität der „Gegenkultur“ in lokal begrenzten Kontexten führen.
Durch die Förderung einer entsprechenden Personalstelle soll hier – als ein konzeptioneller
Unterschied zu den Mobilen Beratungsteams – eine dauerhaft in einem überschaubaren Sozialraum angesiedelte Instanz in den oben beschriebenen Bereichen wirken.
Die sich aus dieser allgemeinen Definition ergebenden konkreten Aufgaben und insbesondere
das Vorgehen in der praktischen Umsetzung ebenso wie die anzusprechenden Zielgruppen
werden von den Programmverantwortlichen und –umsetzenden der Stiftungen4 recht unterschiedlich beschrieben. Die Aufgabenbereiche der Netzwerkstellen und damit die Erwartungen an deren „Erfolg“ unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Ebenen des Programms, hier zwischen den Programmentscheidenden, den Umsetzenden in der Servicestelle
und den Koordinator/innen. An die unterschiedlichen Aufgabenverständnisse sind zwangsläufig auch verschiedene Vorstellungen von der Rolle des Projektes verbunden, bzw. der
Vorgehensweise der Mitarbeiter/innen im Sozialraum, wie in den folgenden Aussagen von
Beteiligten unterschiedlicher Ebenen des Programms dokumentiert.
So wird von der Entscheidungsebene folgender Aufgabenbereich beschrieben:
„Etwas ketzerisch gesagt ist das eine Idee, die man im Grunde eigentlich aufgegriffen hat und
jetzt mal noch auf diese Ebene der Arbeit von antirassistischen oder ja zivilgesellschaftlichen
Initiativen zu adaptieren, allerdings mit etwas anderen Zielstellungen hinsichtlich der nicht
der Belehrung, wie kriegt man denn nun oder wie bewegt man sich nun in der bundesdeutschen Gesellschaft, sondern hier mit dem konkreten Ziel Vorhandenes zu bündeln, zusammenzubringen und ein Stück weit zu koordinieren und ihnen auch zu helfen.“ (a1-1; 164-169)
4
Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes wurde das CIVITAS-Programm noch von zwei Stiftungen
umgesetzt, deren Mitarbeiter/innen ebenfalls in die Befragung einbezogen wurden.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
281
Durch einen mit der Programmumsetzung tätigen Mitarbeiter wird ein sehr viel breiteres
Spektrum an Aufgaben und damit auch an entsprechenden Zielgruppen definiert, die durch
die Netzwerkstellen anzusprechen sind. Die Ausrichtung der Netzwerkstellen auf die Bereiche von Politik und Verwaltung über die Zielgruppe von antirassistischen Initiativen hinaus
setzt entsprechend andere (kommunikative) Kompetenzen bei den Mitarbeiter/innen der
NWS voraus. Weiterhin ist die Funktion der „Vermittlung“ zwischen der Initiativenlandschaft und kommunalen Entscheidungsträgern vom Ansatz her von einer reinen Vernetzungsfunktion gleichartiger Projekte und Initiativen deutlich zu unterscheiden.
„(...) dass diese Netzwerkstellen eben auch eine Vernetzungsfunktion haben, die zu großen
Teilen ja so was beinhaltet, wie Runde Tische zu initiieren und ganz viele verschiedene Leute
des Gemeinwesens an diese Runden Tische zu holen. Und denen Möglichkeiten aufzuzeigen,
wie man gemeinsam gegen rechte Strukturen agieren kann. Das sind ja Leute wie Lehrer,
Schuldirektoren, Jugendsozialarbeiter oder Polizisten und Gemeinderäte und so was. (...)
Sondern die sollen alle in diesen Prozess integrieren. Und (...) von daher ist die Aufgabe
schon sehr präzise. Sie sollen versuchen, alle Bereiche der Gesellschaft und das wären dann
eben Schule und antirassistische Initiativen, die es schon gibt, aber auch die Polizei, auch
wenn es vielleicht ein schwieriges Verhältnis zur Polizei gibt. (...) Und die sollen natürlich
versuchen, die Gemeindevertreter ganz doll einzubinden.“ (a4, 275-285)
Von anderen Mitarbeiter/innen derselben Ebene (Programmumsetzung) werden dagegen eher
niedrigschwelligere Aufträge formuliert, die sich auch auf ein bestimmtes Arbeitsmodell
zwischen den anderen Projektgruppen von CIVITAS beziehen:
„Die Netzwerkstelle soll sich um die Initiativen insofern kümmern, dass sie sagt: ‚Du, hier
gibt es auch noch eine andere Initiative drei Kilometer weit weg, die machen das selbe wie
Du’, oder zu sagen, die haben ja von uns zum Beispiel nur Personalkosten und einen ganz geringen Anteil Sachkosten bekommen, die haben keine Projektmittel bekommen. Die sollen vor
Ort Projekte initiieren und zwar mit anderen zusammen. Die sollen sagen, wir wollen einen
weiß nicht was machen, und dann können die das separat bei uns beantragen. Also wir haben
die ja nicht mit einem Etat ausgestattet, sondern die sollen aussuchen.“ (a2-1, 988-994)
Die verschiedenen Ansätze sind im Sinne der allgemein formulierten Leitlinien im Bereich
der Aufgaben der NWS angesiedelt, beschreiben jedoch jeder für sich einen eigenen, in sich
schlüssigen Arbeitsauftrag, der sich von den anderen abgrenzt. Es lassen sich mindestens
zwei Kernbereiche benennen, die sicherlich jeweils unterschiedliche Kompetenzen und Konzepte bei den Projektmitarbeiter/innen voraussetzen:
a) Klassische „Bündnisarbeit“ als Fortsetzung der Arbeit Mobiler Beratungsteams explizit auf
dem Niveau des Einbezugs verschiedenster gesellschaftlicher Bereiche von Initiativen, über
Verwaltung, Kirche bis zur Politik und der damit verbundene Auftrag, eine „lokale Verantwortungsgemeinschaft“ zu etablieren, setzt zunächst ein hochprofessionelles Vorgehen der
Mitarbeiter/innen und eine damit verbundene „gleiche Augenhöhe“ zu den entsprechenden
Funktionsträgern voraus, um die nach unterschiedlichen Mechanismen funktionierenden und
zum Teil divergierenden Interessenlagen vermittelnd einbinden zu können.
b) Der Auftrag, eine Lobbyfunktion z.B. für antirassistische Arbeit einzunehmen (Projektideen, Aktionen planen und organisieren) und dieses Konzept gemeinsam mit den entsprechenden Initiativen umzusetzen, erfordert neben den entsprechenden technischen Kompetenzen vor allem Kenntnisse der programmatischen Rahmenziele, favorisierter pädagogischer
Konzepte der Programme, sowie – nicht zuletzt – ein Konzept, das durch die Umsetzung von
Projekten ein langfristig angelehntes Programm beinhaltet, dessen Ebenen sich sinnhaft auf-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
282
einander beziehen (Gestaltungskompetenz). Dies wiederum erfordert Wissen über die Problembelastung der Kommune, nicht nur im Bereich rechtsextremer Phänomene, sondern auch
über den Zustand der politischen Kultur sowie eine Vorstellung darüber, welche Strategien,
Maßnahmen, Projekte geeignet sind, auf die entsprechenden Phänomene zu reagieren und
nachhaltige Effekte zu produzieren.
In den Bereich der Lobbyfunktion eingelagert lässt sich noch der Aufgabenbereich der Netzwerkstellen als „kleine Servicestellen“ vor Ort abgrenzen, um parallel arbeitende Initiativen
zu bündeln und die finanzielle und inhaltliche Kontinuität von Projektarbeit in den Kommunen langfristig zu sichern. Hier steht in erster Linie ein klarer Dienstleistungsauftrag im Vordergrund, bei dem Unterstützungsleistungen für Träger angeboten werden, die sich in (möglichst vielfacher) Antragsstellung niederschlägt.
Im Rahmen einer NWS-Klausurtagung im Frühjahr 2003, also ein Jahr nach Förderbeginn
sowie während der Begutachtung der Anträge für 2003 wurden durch die Antragsberatung
die Aufgaben der Netzwerkstellen konzeptionell nachträglich geschärft bzw. die konkreten
Erwartungen von Seiten des Programms präzisiert. Unter anderem wurden die Aufträge des
Einbezugs kommunaler Verantwortungsträger und lokaler Eliten in den Vernetzungsprozess,
der Aufbau eines kommunalen Interventionskonzepts mit aufeinander abgestimmten intergenerativen Lern- und Bildungsprozessen und die lokale Unterstützung von potentiellen Antragstellern vor Ort für die Arbeit der NWS hervorgehoben. Dies lässt darauf schließen, dass
für die NWS nicht nur antirassistische Initiativen als Zielgruppen der Vernetzung als relevant
angesehen werden, sondern weiterführend auch der Einbezug von Politik und Verwaltung,
was einen markanten konzeptionellen Unterschied bedeutet.
Die Verschiedenheit der Aufträge, auch die Frage, welches „Modell“ bei der Einrichtung der
NWS Pate gestanden hat, ebenso wie die Vermittlung dieser Aufträge an die Projekte durch
die verschiedenen Ebenen von Leitlinien, Programmverantwortlichen, Antragsberatung, Projektbegleitung und Koordination hat - in unterschiedlichem Ausmaß - insbesondere in den
Anfängen der Projekttätigkeiten – Auswirkungen auf die Projektumsetzung (vgl. Kapitel 2.7).
Damit ist die Übermittlung dieser als Orientierungsrahmen zu sehenden Aufgaben auch für
den Auftrag der Evaluation relevant, Aussagen zum erfolgreichen „Durchlauf“ der Modellphase zu treffen, da Verständnis und Erwartungen über die zu leistenden Aufgaben im Rahmen des CIVITAS-Programms bei den NWS sehr unterschiedlich sind.
2.2 Kommunikation des Bedarfes
Die Wege der Netzwerkstellen ins Programm lassen sich auf der Grundlage des vorliegenden
Datenmaterials nicht eindeutig rekonstruieren. Anzunehmen ist, dass auf der Programmebene
ein Defizit in der strukturellen Zusammensetzung der Förderschwerpunkte erkannt wurde, auf
das mit der Ausweitung der Leitlinien auf einen weiteren Förderschwerpunkt reagiert wurde.
Die Aussagen über das Zustandekommen des Schwerpunktes bzw. die Kommunikation dieses strukturellen Defizits sind heterogen, jedoch jede für sich plausibel. So wird die Ausarbeitung des Konzeptes als Ergebnis von Rückmeldungen aus der Projektebene (z.B. von MBTs),
als theoretische Weiterentwicklung der Förderbereiche durch einzelne Personen sowie als
Ergebnis der wissenschaftlichen Begleitung oder als eine Reaktion auf die Antragslage be-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
283
schrieben. Letzteres bezieht sich auf Aussagen über den Eingang einer größeren Anzahl von
Projektanträgen, deren Konzeption einen solchen Vernetzungsanspruch vorsah, bzw. die
Notwendigkeit einer Personalstelle für bestimmte lokale Koordinierungsleistungen vorsah,
die in der bisherigen Programmstruktur nicht gefördert wurde.
Weitere Aussagen beschreiben die Einrichtung der NWS als ein Ergebnis verschiedener
Feedback-Prozesse insbesondere der regionalen Fachkonferenzen und der eingegangenen
Sachberichte. Vorstellbar ist eine Kombination aus den beschriebenen Quellen bzw. Wegen.
Es lässt sich auf Grundlage der Interviewauswertung mit den Programmbeteiligten sowie mit
den Mobilen Beratungsteams nicht konsequent rekonstruieren, auf welcher Grundlage bzw.
auf welchem Weg die Netzwerkstellen in das Programm integriert wurden, da nach unserem
Kenntnisstand eine entsprechende Dokumentation über diesen Prozess nicht vorliegt. Um
wichtige programminterne Prozesse, die Aussagen über Kommunikationswege und Rückschlüsse z.B. über systematische Feed-Back-Schleifen zwischen den verschiedenen Ebenen
des Programms ermöglichen, aufzufangen und für zukünftige Lern- und darauf folgende
(Um-)Steuerungsprozesse zugänglich zu machen, wäre eine konsequente Dokumentation der
in der Projektarbeit bzw. der Programmplanung anfallenden Erfahrungen und den daraus
resultierenden Schlussfolgerungen hilfreich.
2.3 Lokalisierung in den bestehenden Förderstrukturen
Insbesondere in den Aussagen, die die Einrichtung der Netzwerkstellen als den Prozess einer
theoretischen Weiterentwicklung des Programms dokumentieren wurde die Idee beschrieben,
Vernetzungsstellen als Versuch einer regionalisierenden „Zwischenebene“ unterhalb von
OBS und MBTs und oberhalb der Kleinprojekte zu etablieren, die einen ausgesprochen lokalen Bezug hat. Nach Aussagen der MBTs wurden diese jedoch nicht in die Konzeptionierung
des neuen Schwerpunktes einbezogen, obgleich ein angedachter Arbeitsbezug insbesondere
zwischen MBTs und NWS schon durch den vergleichbaren Interventionsansatz besteht.
Der Arbeitsbezug zwischen den Projektgruppen der verschiedenen Förderschwerpunkte des
CIVITAS-Programms wird in den Leitlinien des Programms nicht weiter präzisiert. In den
Überlegungen von Mitarbeiter/innen der Programmumsetzung und der Programmentscheidungsebene lassen sich diesbezüglich unterschiedliche Modelle der Kooperation von MBTs
und NWS rekonstruieren:
„Diese Netzwerkstellen wurden eingerichtet als Schwerpunkt, weil wir festgestellt haben, diese (mobilen) Beratungsteams sind zwar sehr gut, aber vor Ort sind die ja nicht immer da, und
sie haben mehr eine Feuerlöschfunktion. Sie gehen in die Kommunen, geben Tipps und sind
vielleicht durchaus noch drei- viermal danach da, aber dann sind sie irgendwann wieder raus
aus dem Prozess.“ (a2-2, 1087-1092)
In diesem Funktionsaspekt der Weiterführung von begonnenen Tätigkeiten der MBTs durch
die NWS in direktem Bezug auf die Tätigkeit der Mobilen Beratung wird ein Unterschied zu
den Auffassungen der Programm-Entscheidungsebene deutlich, wo eine klar von der Tätigkeit der MBTs zu trennende Aufgabe im Bereich von Unterstützungs- und Servicefunktionen
beschrieben wird:
„Für Mich war der Urgedanke der Netzwerkstellen nicht, eine Ergänzung zu den mobilen Beratungsteams zu machen, sondern vielmehr für den Programmpunkt 3, für die zivilgesell-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
284
schaftlichen Initiativen eine Art Servicestelle einzurichten, die inhaltlich, aber auch auf der
technischen Ebene kleinere Initiativen unterstützt. Zum Beispiel haben wir solche Sachen,
dass kleinere, ehrenamtliche Initiativen große Schwierigkeiten mit Antragstellung oder Zugängen zu Geldern, zu Personen, zu Akteuren haben, die einfach Unterstützung brauchen.“
(a1-3, 586-595)
2.4 Antragstellung und Bewilligung
Für die Analyse der mit der Antragstellung und Trägerauswahl verbundenen Aktivitäten
wurden neben der allgemeinen Antragslage auch die Prämissen der Trägerauswahl bei den
Programmverantwortlichen und –umsetzenden erhoben. Weiterhin sind deren Überlegungen
zur regionalen Verteilung der NWS und den sozialräumlichen Bedingungen einbezogen worden. Für die konzeptionelle Planung der antragstellenden Träger der NWS ist der Zeitraum
zwischen Information über die Möglichkeiten der Antragstellung und Abgabefristen relevant,
über den die Projekt-Interviews Auskunft geben.
2.4.1 Kriterien der Trägerauswahl
Bei der Einrichtung des neuen Programmschwerpunktes sollte nach Aussagen der Programmbeteiligten auf verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit der Trägerauswahl geachtet werden:
•
Es sollte regionaler Proporz/nach Bevölkerungszahl (je Bundesland ca. fünf NWS
geplant; in Berlin für jeden Großbezirk) gewährleistet sein.
•
Eine Förderung sollte nur in Gebieten erfolgen, wo bereits entsprechende Strukturen
(Projekte, Träger, Initiativen) vorhanden sind, die vernetzt bzw. betreut werden können („keine weißen Flecken“).
•
Die Träger sollten größer und in der Kommune bekannt sein.
•
Die Träger sollten allgemein anerkannt sein, keiner bestimmten „Richtung“ angehören (für alle Kooperationspartner/innen akzeptabel).
•
Die Träger sollten bereits über ein entsprechendes Netzwerk verfügen, das dann um
die entsprechenden Bereiche des „Gemeinwesens“ bereichert werden sollte.
•
Die Träger sollten entsprechende fachliche Kompetenzen mitbringen, um die NWS
zu unterstützen.
•
Das Konzept der Träger sollte lokal begrenzt sein und im weiteren Sinne „leitlinientreu“ (generationsübergreifend, gemeinwesenintegrierend, partizipativ).
2.4.2 Regionale Streuung
Die regionale Verteilung der NWS war zwar grundsätzlich mit einer Ausstattung von ca. fünf
Projekten pro Bundesland geplant, dies ließ sich in der Förderpraxis jedoch nicht überall umsetzen. Ein Grund dafür wurde in der schlechten Antragslage gesehen (insgesamt nur 47 Anträge, davon 14 aus Berlin, nur vier aus Brandenburg). Infolgedessen verlief die Antragsstellung in unterschiedlicher Weise operativ; in einigen Gebieten/Regionen wurden kommunale
Institutionen, wie z.B. bezirkliche Jugendämter mit der gezielten Ansprache von Trägern
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
285
beauftragt, in anderen Fällen Beiratsmitglieder, die als Expert/innen für ein Bundesland auf
entsprechende Träger zugingen, in anderen Fällen erfolgte die auf ein Bundesland bezogene
Koordinierung bzw. Ansprache/Information von potentiellen Projektträgern durch einen länderweit tätigen anderen Träger.
Die in den Prämissen der Träger- und Regionenauswahl definierten Kriterien konnten nicht in
allen Fällen eingehalten werden, möglicherweise auch, da wie beschrieben, der Kernbezug
der Netzwerkarbeit nicht eindeutig definiert war. So wurden bspw. verschiedentlich Projekte
in Regionen gefördert, in denen bislang kaum entsprechende Initiativen, Projekte bzw. „sensibilisierte Akteure“ etc. vorhanden waren, an die die NWS anknüpfen könnten (vgl. Kapitel
2.7).
Weiterhin wurden einige Projekte in Regionen angesiedelt, wo bereits entsprechende Netzwerkstrukturen auch zu den entsprechenden Themen (zum Teil bei anderen Trägern oder in
Form von Bündnissen gegen Rechtsextremismus) angesiedelt waren, was insbesondere die
Startphase der dort tätigen NWS verkomplizierte (vgl. Kapitel 2.7).
2.4.3 Zeitrahmen der Antragsstellung
Grundsätzlich wurde aus Sicht einiger Projektmitarbeiter/innen, die bereits in die Phase der
Antragstellung einbezogen waren, ein sehr kurzer Zeitraum zwischen der Ansprache bzw.
Information über die Möglichkeiten der Antragstellung und der Eingangsfrist angemerkt, der
sich mitunter in der fehlenden Zeit für das konzeptionelle Ausarbeiten des Antrages niederschlug.
„Die Knackpunkte an der Konzeption waren, dass sie in zwei Tagen fertig sein musste. Ich bin
damals in (...) gefahren, und wir haben zu dritt an der Konzeption gearbeitet über Telefon,
und wir haben versucht, eine Situationsbeschreibung von (...) abzuliefern und die passenden
Schritte dazu, wie man die Situation verändern kann. Das war unsere Konzeption für den Antrag. Das war absolut mit der heißen Nadel gestrickt. Wir haben vorher weder was von Abgabefristen noch sonstwas gewusst, sondern das war ein Gespräch mit ((Name Beraterin)), ‚Ja,
könnt Ihr machen, Ihr müsst eben nur in drei Tagen fertig sein’.“ (b-NWS 5, 158-167)
„Ich weiß nur, dass es sehr schlecht gelaufen ist, weil der Vorlauf betrug drei Tage, also von
der Information bis zur Einreichung des Konzepts. Da müsste man jetzt noch mal die Beteiligten fragen, also es wurde mir nur gesagt. Das heißt im Prinzip nur große Träger, die die Kapazitäten hatten, konnten so ein Konzept einreichen. Das klang nicht so, als wenn das besonders gut gelaufen wäre. Also die Fristen waren einfach erheblich zu kurz.“ (b-NWS 9, 91-97)
Die zu kurz bemessene Zeit zwischen Information über die Option der Antragstellung und der
Abgabefristen scheint gerade in Bezug auf die Möglichkeit, entsprechend fachlich reflektierte
und auf die lokale Bedarfslage zugeschnittene Projektkonzeptionen auszuarbeiten, bedenklich. Die befragten Projektmitarbeiter/innen, die in den Prozess der Antragstellung involviert
waren, hätten einen längeren Zeitraum für entsprechende Planungen, Recherchen und Konzeptionsarbeiten begrüßt.
2.4.4 Einbezug interner und externer Akteure
Ein systematischer Einbezug der MBTs und OBS in die Auswahl der Träger erfolgte nicht in
Form von beratender Einflussnahme in der Auswahl der Regionen (anhand deren genauerer
Kenntnis der spezifischen lokalen Situation und der Trägerlandschaft vor Ort) sondern über
Voten, die sich die antragstellenden Träger der NWS bei den regionalen Teams der MBTs
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
286
ausstellen lassen konnten. Diese Praxis war für die beteiligten MBTs/OBSSs nicht unproblematisch, da diese in eine ungünstige „Macht“-Position gebracht wurden, die – im Falle eines
negativen Votums - Störungen in der Zusammenarbeit verursachen konnte, wie im Beispiel
ein Mitarbeiter der Programmumsetzungsebene beschreibt:
„Es hat dann zwischendurch Dinge gegeben wie dass von den Antragstellern Letters of Intent
gefordert wurden, also dass die MBTs etwas ausstellen sollen für die Antragsteller für Netzwerkstellen. Das war diffus, weil nicht klar geregelt, und auch die MBTs wussten überhaupt
nicht, wie sie damit umgehen sollen, weil das natürlich auch äußerst negative Effekte haben
kann, wenn man so praktisch der Verteiler von Absichtserklärungen ist.“ (a4-3, 604-610)
Eine Kenntnisgabe der Planung des neuen Förderschwerpunktes an die MBTs erfolgte nicht
im Vorfeld der neuen Leitlinien, da die Befürchtung bestand, die NWS könnten als Konkurrenzstruktur zur eigenen Projektarbeit der MBTs verstanden werden.
Die im Herbst 2002 geführten Interviews mit den MBTs bestätigen zum Teil die (anfänglichen) Konkurrenzbefürchtungen, die durch die Unklarheit der Aufgaben der neuen NWS und
insbesondere durch die daraus resultierende Frage der Abgrenzung zum Arbeitskonzept der
MBTs zu erklären ist. Generell wurde jedoch nach den ersten sechs Monaten grundsätzlich
die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit solcher lokal arbeitenden Stellen in Ergänzung zur
Arbeit der MBTs bei der Befragung erhoben. Durch die schnelle Trägerauswahl und die damit verbundene regionale Streuung ergeben sich aus Sicht der befragten Mitarbeiter/innen der
Mobilen Beratungsteams jedoch verschiedene ungünstige Ausgangskonstellationen, die sich
in Umsetzungsproblemen zu Beginn der Netzwerkstellenarbeit bemerkbar machten und sich
in einigen Bereichen zu strukturellen Dauerproblemen verdichten (vgl. Kapitel 2.7.3).
„Dass es zumindest teilweise sich auch noch mal angepasst hat, soweit ich weiß zum Beispiel
mit dem Thema Netzwerkstellen, wurde GANZ lange gesagt, es muss in jedem Land fünf Netzwerkstellen geben. Es wurde aber gar nicht geguckt, gibt es da eigentlich die Bedürfnisse, gibt
es da die entsprechenden Trägerstrukturen, und so weiter (...)“ (a4, 1063-1067)
Dazu Mitarbeiter/innen eines MBTs:
„Ein bisschen ambivalent ist das mit den Netzwerkstellen, das muss man wirklich sagen. Es
ist so eine Geschichte, die von oben auf uns herunterfiel, wie die Jungfrau zum Kind....“ (...).
„Es hieß ja vor zwei Jahren, vor eineinhalb Jahren, ‚jetzt wird es Netzwerkstellen geben, und
beantragt mal’.“ (...)
„Zum einen war das schon schwierig, 30 km auseinanderliegend zwei Stellen aufzubauen, wo
man sich fragt, was soll das? Es gibt Landkreise oder Gegenden in ((Bundesland)), da ist überhaupt keine. Das ganze mittlere ((Bundesland)) hat keine Netzwerkstelle bekommen, der
ganze südliche ((Bundesland)) Teil keine einzige.“ (b MBT-4, 145-147; 154-158)
2.5 Programmbegleitende Maßnahmen
2.5.1 Zur lokalen Verankerung
Die Förderung der Netzwerkstellen wurde und wird an bestimmte Voraussetzungen gekoppelt durch die ermöglicht werden sollte, dass Träger befördert werden, die zum einen gut in
der Kommune etabliert sind und zum anderen über Ansätze bzw. Ressourcen verfügen, die
auch für potentielle Kooperationspartner/innen relevant sein könnten. Um dies zu gewährleisten wurde die Förderung nicht nur an befürwortende Stellungnahmen unterschiedlicher loka-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
287
ler Institutionen gekoppelt, sondern auch an Erklärungen zur Kooperationsbereitschaft verschiedenster Akteure wie Initiativen, Vereine, kommunale Verwaltungen etc.. Die Kooperationserklärungen haben in der praktischen Umsetzung verschiedene Ausprägung von Verbindlichkeit. Während es in einigen Fällen gelingt, eine Kooperation auf diese erste Bereitschaftserklärung aufzubauen bzw. auf einem verbindlichen Niveau zu etablieren, scheint es in
anderen Fällen bei Absichtserklärungen zu bleiben. Dies hängt zum Teil von der „Ernsthaftigkeit“ des Interesses der jeweilig ausstellenden Person ab, ebenso wie von der Intensität der
Bemühungen der Projektmitarbeiter/innen. In jedem Fall ist die Verbindlichkeit aber abhängig von der (gerade bei Neueinsteigern nur schwer zu prognostizierenden) praktischen Relevanz der angefragten Kooperationspartner/innen für die Arbeitspraxis der NWS und umgekehrt. Verallgemeinernd kann festgestellt werden, dass sich diese schriftlich fixierten Erklärungen zumindest als erste Anknüpfungspunkte beim „Klinkenputzen“ in der Anfangsphase
der Netzwerkarbeit bewährt haben.
2.5.2 Zur finanziellen Ausstattung
Die NWS wurden weiterhin mit einem (maximalen) Sachmitteletat von 15 000 Euro ausgestattet, der intendiert nicht als Budget für eigene Projekte vergeben wird. Im Herbst 2002 wurde den NWS die Möglichkeit eingeräumt, im Wert von bis zu 10 000 Euro pro NWS, Medien
(in erster Linie Bücher/Arbeitsmaterialien) zu erwerben, die für die Arbeit der NWS zu verwenden waren. Diese Mittel wurden von den NWS in unterschiedlichem Umfang in Anspruch genommen; auch die Verwendung der Medien in der Projektumsetzung war recht
unterschiedlich. Am häufigsten fanden die Materialien Verwendung in Form des Aufbaus
einer Mediathek in den Räumlichkeiten der NWS oder in Form der Bestellung von Klassensätzen, um damit attraktive Angebote für Schulen zu machen und auf diesem Wege den Zugang zu diesen zu erleichtern. Grundsätzlich wurden diese zusätzlichen Mittel als für die
Projektumsetzung sehr nützlich charakterisiert.
„Haben die Auswahl an Büchern in die Schulen gegeben, die auch Klassensätze ausgesucht
haben. Wo wir noch am Überlegen sind, ob man die Mediathek teilt: ein Teil bei uns und ein
Teil in einer Schule, oder ob man alles bei uns macht. Was uns wiederum lieber wäre, weil
dann der Kontakt zu den Schulen gehalten wird. Weil die Schulen dann kommen zu uns, um
sich das anzugucken und die Klassensätze auszuleihen. Es soll die Möglichkeit bestehen, dort
gleich in die Bücher reinzugucken, sich was rauszuarbeiten. Mal in Videos reinzugucken für
irgendwelche Vorträge und das natürlich auch kostenlos auszuleihen. Also es soll nichts kosten. (...) Eigentlich nicht. Also ich denke mal doch, dass es schon so ziemlich mit die beste Idee
war. Weil Bücher sind doch eine gute Sache. Kosten einen Haufen Geld und so was fehlt eigentlich zumindest was so politische Sachen sind an Büchern. Also dass man da mal sich was
holen kann. Weil in den normalen Bibliotheken fehlen halt viele Sachen. Wir haben ganz viele
Biographien bestellt, Wörterbücher. Was man in normalen Bibliotheken nicht hat. Da hat man
ja eigentlich auch bloß die Grundwörterbücher in den normalen Bibliotheken. Und wir haben
halt ein bisschen mehr bestellt. Alles, was wir gefunden haben.“ (b-NWS 21, 437-446; 452461)
Gleichzeitig wurde die Mittelbindung ohne vorangegangene Bedarfserhebung bei den NWS
zum Teil kritisiert, da in einigen Bereichen andere Bedarfe angemeldet wurden, die durch die
eingeschränkten Möglichkeiten nicht gedeckt werden konnten:
„...also mit dem Geld, das ist toll, dass wir das gekriegt haben, es war ein Stückchen, aufgrund dessen, dass ja keine technischen Geräte angeschafft werden durften, ein klein bisschen
am Bedarf vorbei, weil für bestimmte Moderationssachen, und wenn es ein Overhead-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
288
Projektor ist, dann sag ich, ich hab nun noch den Wahnsinnsvorteil, dass unser Verein so was
hat, aber das haben ja nicht alle. Da gibt es wahnsinnige Unterschiede in der Ausstattung.
Die Einen haben die tollsten Digitalkameras, und die Nächsten sind froh, dass sie sich einen
Computer kaufen konnten. Gut, dafür kann ja keiner was, und diese Vielseitigkeit ist ja auch
okay. Das war ein klein bisschen am Bedarf vorbei. Deswegen ist auch ein ganzer Teil der
Gelder zurückgegangen oder gar nicht in Anspruch genommen worden. Und auch zu versuchen, das zu vereinfachen, indem man einfach sagt, man macht eine Antragstellung für das
Bundesland war auch ein bisschen schwierig. Vielleicht war es für die Servicestelle leichter,
das kann ich mir aber kaum vorstellen, obwohl – na ja, doch. Aber es war natürlich schon
schwierig, da immer zu gucken, welche Bücher braucht ihr, und immer hin und her.“ (b-NWS
20, 1492-1512)
Die technische Abwicklung (über jeweils eine koordinierende NWS für ein Bundesland)
wurde als sehr zeitaufwendig und zum Teil kompliziert charakterisiert. Mit den zusätzlichen
Sachmitteln wurde kein konkreter Verwendungszweck von den Mittelgebern an die NWS
weitergeleitet.
„Also es gab da ein paar andere Schwierigkeiten, weil dann etliche Buchlisten kursierten, und
das waren Buchlisten, die waren so dick, mit Tausenden von Artikeln drin, und es waren unterschiedliche, und jetzt sitzt man da als kleiner Netzwerker in ((Ort NWS)) oder irgendwo,
und hat drei solche Listen. Welche nimmst du, oder nimmst du eine? Und dann fängst du an,
da drin anzukreuzen. Bei mir kommen fünf verschiedene Listen an, jeder hat anders angekreuzt. Das ist echt hammerhart, weil das sind ja ganz schöne Summen, die dahinter gestanden haben, und dass das dann irgendwie auch wirklich funktioniert. Wir haben da auch Bücher dabei, die waren noch nicht erschienen, Bücher, die sind vergriffen, und Bücher, die eigentlich kostenlos zu haben sind.“ (b-NWS 24, 1426-1439)
Mit der Bereitstellung von weiteren Sachmitteln wurden von einigen NWS auch Konflikte
angesprochen, die als generelle Problematik bei der Förderung von Bundes-Programmen in
strukturschwachen Regionen erkannt werden kann. Angesprochen wird hier die Wahrnehmung einer offensichtlich gut ausgestatteten Projektlandschaft bei gleichzeitigen drastischen
Kürzungen der Jugendarbeit in den Kommunen. Diesem Phänomen wird von anderen Akteuren, mitunter auch von Mitarbeiter/innen der eigenen Träger, zum Teil mit Unverständnis
begegnet:
„Ich finde es ein bisschen schade und auch ziemlich problematisch, dass für bestimmte Sachen jetzt - sagen wir mal - das Geld sehr begrenzt ist, und dass diese 10 000,- Euro, die wir
ausgeben mussten für Bücher noch. Also das fand ich schon ein bisschen daneben. Weil ich
wirklich, wenn ich das anderen Leuten erzählt habe, die wirklich in Jugendprojekten arbeiten
und eigentlich um jeden Löffel, den die sich da anschaffen müssen, kämpfen. Und hier werden
plötzlich jeder Netzwerkstelle 10 000,- Euro musst du innerhalb von zwei Monaten ausgeben
für Bücher!“ (b NWS–8, 1485-1494)
Der Frage der Auswirkungen der Schwäche kommunaler Strukturen, insbesondere im Bereich der Jugendarbeit auf die Arbeit der Strukturprojekte wird an anderer Stelle dieses Berichts genauer nachgegangen (vgl. Kapitel 3).
2.5.3 Zur Koordination der NWS und der Vernetzung der Strukturprojekte
Seit Beginn der Förderung werden die NWS von einer Mitarbeiterin der AG-Netzwerke koordiniert. In diesem Zusammenhang erfolgt die zentrale Vermittlung von Informationen in
Form eines regelmäßig erscheinenden Newsletters, den die Projekte auch wechselseitig als
Forum nutzen können. Ebenfalls von dieser Stelle koordiniert werden begleitende Fortbil-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
289
dungsveranstaltungen, deren Themen und Inhalte an eine entsprechende kontinuierliche Bedarfserfassung bei den Projekten gekoppelt ist. Ein für alle „passendes“ Fortbildungskonzept
scheint dabei schwer zu entwerfen zu sein, da die (formalen) Qualifikationen, Vorerfahrungen, speziellen Kenntnissen der Projektmitarbeiter/innen und vor allem die vor Ort zu bearbeitenden Aufgaben und Problemkonstellationen sich zum Teil erheblich unterscheiden. Die
Fortbildungen werden von den Projektmitarbeiter/innen gut angenommen, wenngleich insbesondere im ersten halben Jahr das Bedürfnis nach (fachlichem) Austausch zwischen den Projekten sehr hoch war, für den in den geplanten Fortbildungen nur bedingt Raum blieb.
Als ersten Anreiz zur Vernetzung der NWS sowie der Strukturprojekte untereinander wurde
durch die Servicestelle ein Treffen der OBS/MBTs und der neuen Netzwerkstellen in jedem
Bundesland durchgeführt. Die Arbeitsbeziehungen zwischen den Netzwerkstellen und den
beiden anderen Strukturprojekten sind aber – nach ersten Erhebungen dazu - ausschließlich
von den Strukturprojekten selbstorganisiert und von sehr unterschiedlicher Dichte und Qualität (vgl. Kap. 2.7).
2.5.4 Zur Vermittlung des Modellauftrags
Die NWS sind im Rahmen des CIVITAS-Programms als „Modell-Projekte“ gefördert; den
Mitarbeiter/innen wurde jedoch zu Beginn der Förderung nicht schlüssig vermittelt, welche
Konsequenzen dieser Status, außer der (vorzeitigen) Übernahme in die Kofinanzierung, für
die Projektumsetzung hat.
„Wir hatten im vergangenen Jahr schon mal eine Weiterbildung, mehrere Netzwerkstellen in
((Ort)), und da wurde das von allen angesprochen, dass keiner die Erwartungshaltung für das
Modellprojekt überhaupt kannte, dass jeder eigentlich so arbeitet, wie er es für richtig hält,
und ich denke, jetzt ist doch so ein Stück weit ein Rahmen geschaffen.“
I: „Was bedeutet das eigentlich für Sie, ‚Modellprojekt’? Oder hatte das eine Bedeutung, dieser Terminus ‚Modellprojekt’“?
NWS: „Nein, eigentlich nicht.“
I: „Und gab es da mal eine Information, was das sein soll?“
NWS: „Nein. Es wurde uns nur immer in diesem Zusammenhang gesagt, dass die Finanzierung einen degressiven Verlauf nimmt, das war alles.“ (b-NWS 23, 504-520)
Die methodischen Ansprüche gerade hinsichtlich des Berichtswesens sind den
Projektmitarbeiter/innen nicht immer klar. So werden bspw. in den Projektberichten, die an
das Programm zurücklaufen, in erster Linie konkrete Handlungen dokumentiert, weniger aber
Erfahrungen, die die – auch und gerade bei misslingenden Aktionen, Maßnahmen, Ansätzen
– in Modellprojekten anfallenden Lernprozesse auffangen und in Erkenntnisse über Ursachen
von Erfolg und Scheitern transformierbar machen könnten:
„Ich kann mich nicht daran (an eine Information) erinnern. Das hat dann wieder mit meinen
Vorerfahrungen zu tun. Wir wissen natürlich, wenn es ein Modellprojekt ist, muss man dokumentieren, man muss nachweisen, was man tut, wie das funktioniert, man muss sich der Begleitforschung stellen. Es ist klar, dass man viel stärker in der Öffentlichkeit steht oder auch
Jahre später noch nachvollziehen muss, was hier gemacht worden ist und wie das Ganze funktioniert hat. Deswegen versuche ich, möglichst viel zu dokumentieren oder auch aufzuschreiben, mit wem ich geredet habe. Nicht unbedingt die Inhalte, aber wenigstens, dass ich am Ende des Jahres noch weiß, mit welchen Leuten ich Kontakte hatte oder wer hier Anfragen gestellt hat. Deswegen schreiben wir einen Jahresbericht, aber ich würde sagen, das ist eher un-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
290
sere Initiative. Das wurde hier forciert durch diese zahllosen Verlängerungsanträge, weil man
da sowieso das Material sammeln muss, aber das war nicht die Absicht dieser Anträge. Das
ist dann herausgekommen, weil ich inzwischen, wenn ich mit Leuten kooperiere, gleich sage,
sie sollen mir ein Blatt Papier schreiben, wo drauf steht, was wir für die gemacht haben und
ob es ihnen gefallen hat oder nicht, damit wir das nachweisen können. Das weiß ich aber von
der Arbeit, die ich vorher gemacht habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemand gesagt hätte, ‚Ihr müsst unbedingt dokumentieren’, sondern wir hatten Fortbildungen zu dem
Thema, aber da ging es ja darum, wie man dokumentiert und nicht was und warum. Man muss
ja wissen, welchen Schriftverkehr man aufhebt oder was man überhaupt irgendwie an Erfahrungen und Daten aufnimmt“. (b-NWS 9, 584-613)
Ebenso ist den Projekten unklar, welche Kriterien für einen „erfolgreichen“ Durchlauf der
Modellphase gelten. Dies erscheint nicht nur in Bezug auf die entsprechende Projektpraxis,
sondern insbesondere auch hinsichtlich des Evaluationsauftrags als problematisch.
2.6 Trägerinterne Bedingungen
2.6.1 Trägerlandschaft
Die Projektlandschaft kennzeichnet eine recht unterschiedliche Trägerstruktur; das Spektrum
umfasst große Wohlfahrtsverbände, kirchliche Träger, etablierte freie Träger sowie kleine,
relativ junge Träger, in denen die Mitarbeiter/innen der NWS zum Teil einzige hauptamtlich
Angestellte sind (7 von 17 Trägern der NWS geben in der Trägerbefragung an, dass der Anteil der CIVITAS-Finanzierung am Gesamtbudget des Trägers mehr als 60% ausmacht).
Damit verbunden ist auch das Aktionsfeld der Träger, das von kiezbezogener Stadtteilarbeit
bis zu landesweitem Aktionsradius reicht. Offensichtlichste Gemeinsamkeit zwischen den
unterschiedlichen Trägern dürfte das Tätigkeitsfeld „Jugendarbeit“ darstellen, das in den Fragebögen 18 von 22 Träger als Schwerpunktbereich bezeichneten. Thematische Schwerpunktgebiete liegen nach Auskunft der Träger in den Bereichen (politische) Bildungsarbeit
(13 von 23) und antirassistische Arbeit (11 von 23).
Generell sind die Ausgangsbedingungen, welche die Mitarbeiter/innen bei der Umsetzung
ihrer Arbeit allein durch den jeweiligen Träger vorfanden, als höchst unterschiedlich zu beschreiben (vgl. Kapitel III 2).
2.6.2 Mitarbeiter/innen
Die Auszählungen des ersten, im Herbst 2002 verschickten Fragebogens an die Projektmitarbeiter/innen (Rücklauf 16 von 26), ergab bereits in dieser kleinen Gruppe ein sehr breites
Spektrum an Altersgruppen, Qualifikationsstufen und Dauer der lokalen Anbindung. Allein
das Altersspektrum (zwischen 25 und über 50 Jahren) der Mitarbeiter/innen und daran geknüpft der Erfahrungshintergrund ist sehr breit gefächert.
Gleiches gilt für den Qualifikationshintergrund der Mitarbeiter/innen; in den Fragebögen sind
Fachhochschulabschluss und Beraufsausbildung fast gleichrangig genannt, Abitur bzw. einfacher Schulabschluss mit je einer Nennung. Dieses sagt zunächst wenig aus, da es keinen
ausgesprochenen „Fachabschluss Vernetzung“ gibt. Als These kann hier formuliert werden,
dass biographische/persönliche Hintergründe, Kenntnisse der Region, persönliche Kontakte/Arbeitsbeziehungen sowie entsprechende Unterstützung durch den Träger in Kombination
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
291
als mindestens ebenso relevant für die zu leistenden Aufgaben angesehen wurden wie formale Abschlüsse. Dies verdeutlichen auch die in der Befragung der Träger erhobenen Angaben,
in denen je 11 von 23 Befragten berufliche Erfahrungen im Arbeitsfeld bzw. formale Bildungsabschlüsse (12 von 23) nicht als relevantes Einstellungskriterium bezeichnen. Regionale/lokale Ortskenntnisse sowie ehrenamtliche Erfahrungen im Arbeitsfeld (13 und 16 Nennungen von je 23 Befragten) scheinen als Einstellungskriterium von größerer Bedeutung zu
sein.
In den meisten Fällen liegen Vorkenntnisse in den Bereichen politische Arbeit, Jugendarbeit
und Projektmanagement vor; der Bereich der Vorkenntnisse „Netzwerkarbeit“ ist dagegen
erwartungsgemäß eher unterrepräsentiert. Insbesondere bei Mitarbeiter/innen mit einer Berufsausbildung als höchstem Schulabschluss liegen in der Regel Zusatzqualifikationen vor.
Die in den Interviews erfragten Hintergründe der jeweiligen Personen weisen dementsprechend ein weites Spektrum der berufsbiographischen und vor allem ehrenamtlichen Vortätigkeit auf. So sind sowohl das Selbstverständnis als auch die Möglichkeiten, schnelle „Erfolge“
vorzuweisen, bei Mitarbeiter/innen, die bereits lange Zeit im Themenfeld tätig sind (vor allem durch die Vorkenntnisse und vorhandenen Kontakte) von denjenigen der „Neueinsteiger“
zu unterscheiden.
Es bleibt zu fragen, inwieweit die durch das Programm finanzierten Fortbildungen bzw.
Strukturen des (fachlichen) Austauschs geeignet sind, die erheblichen Unterschiede in den
Vorkenntnissen und Erfahrungen der Mitarbeiter/innen in den relevanten Arbeitsbereichen
aufzufangen bzw. durch weitere gezielte Qualifizierung zu kompensieren.
Auch die Anbindung der jeweiligen Person, also Projektmitarbeiter/in an den Träger ist verschieden; während einige Mitarbeiter/innen bereits im Vorfeld der CIVITAS-Förderung beim
Träger angestellt bzw. ehrenamtlich tätig waren, oft in den Prozess der Antragsstellung und
in konzeptionelle Diskussionen involviert waren und bereits über entsprechende Kontakte
verfügten, kamen andere Mitarbeiter/innen zum Stellenantritt neu zum Träger, mitunter auch
als Ortsfremde neu in die Region.
2.6.3 Ressourcen der Träger und Nutzung dieser durch die NWS
Dieser Zusammenhang erscheint insbesondere bei der Evaluation der Arbeit der NWS von
Belang, da die Arbeitsbelastung durch die Komplexität der anfallenden inhaltlichen wie administrativen Aufgaben im Rahmen von nur einer Personalstelle zu bewältigen ist. Hier wird
ersichtlich, dass einige Mitarbeiter/innen stark eingebunden sind in verwaltungstechnische
Abläufe, die vom Träger nicht kompensiert werden (können). So gibt ein Drittel der befragten
Träger (vgl. Kap. III 1) an, der/dem Projektmitarbeiter/in keine Unterstützung bei den Antrags- und Berichtsformalitäten bzw. bei den Verwendungsnachweisen geben zu können.
Auch hier sind die Bedingungen für die verschiedenen Projekte höchst unterschiedlich; gerade Mitarbeiter/innen, die durch den Träger von sonstigen Verwaltungs- und Buchhaltungsaufgaben entlastet werden, haben im Rahmen der Ein-Personen-Stelle sehr viel mehr Kapazitäten für inhaltliches Arbeiten, das im umgekehrten Fall zumindest in bestimmten Phasen
erheblich eingeschränkt ist, da die NWS nicht wie z.B. die meisten MBT/OBS über eine entsprechende Teamstruktur mit integrierter Leitungsebene verfügen.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
292
2.7 Konsequenzen der Implementationsstrategie
2.7.1 Ausgangsbedingungen der Projekte – Typologisierung der NWS
In der Auswertung der Interviews mit den Mitarbeiter/innen der NWS hat sich gezeigt, dass
die Heterogenität der Ansätze innerhalb des Förderschwerpunktes erheblich ist. Die Kombination aus den spezifischen Konstellationen/Strukturen vor Ort und den beschriebenen Einflussgrößen von Mitarbeiterqualifikation bzw. –einbindung, der Trägerressourcen sowie der
„Vorgeschichte“ des Projektes bildet die analytische Grundlage für die Erstellung einer Projekttypologie, die das „Entwicklungsniveau“ des jeweiligen Projektes zum Zeitpunkt des
Förderungsbeginns aufzeigen soll.
Durch die Typologie kann zum einen die „Reduktion von Komplexität“ (vgl. Kelle/Kluge
1999) zur tieferen Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes erreicht werden, zum anderen aber auch ein Verstehen der so unterschiedlichen Erfahrungsdokumentationen in den
ersten Erhebungen mit den Projektmitarbeiter/innen. Aufgrund der unterschiedlichen Vorbedingungen gibt es beispielsweise drastische Unterschiede in der konzeptionellen Konsistenz
bzw. im „Selbstverständnis“ der NWS und der damit verbundenen Gewissheit der Projektmitarbeiter/innen über die Funktion ihres Projektes. Weiterhin sind an die jeweiligen Entwicklungsstufen in der Evaluation und von Seiten des Programms auch unterschiedliche Erfolgserwartungen zu stellen, da die Möglichkeiten der Projekte entsprechend variieren. Die
hier beschriebenen Typen bestehen so nicht für sich in der beschriebenen Reinstform, sondern sind durch die Steigerung von einzelnen Merkmalsausprägungen künstlich definiert. Die
Fälle (NWS) werden tendenziell nach der jeweiligen Konstellation der vier Merkmalsausprägungen, d.h. bestehendes Trägernetzwerk, personelle Vorkenntnisse/-erfahrungen, Projektgeschichte und sozialräumliche (Vor-)Bedingungen oder nach dem besonderen Gewicht von
mindestens zwei für den jeweiligen Typus besonders relevanten Merkmalen zugeordnet
(Vorgeschichte des Projektes/Trägers oder sozialräumliche Bedingungen). Um eine durchgängig konsequente Zuordnung der Projekte gewährleisten zu können, wäre die Einbeziehung
von sieben bis acht Typen bzw. von Untergruppen unter Hinzuziehung weiterer Unterscheidungskategorien notwendig gewesen, auf die jedoch aufgrund der geringen Fallzahl und zugunsten einer besseren Darstellbarkeit verzichtet wurde.
Die Auswertung der Interviews mit den Mitarbeiter/innen der NWS erfolgten für den jeweiligen Typus gesondert. Die Besonderheiten eines jeden Typs, in Bezug auf die konkrete Umsetzungspraxis werden in den Kapiteln 5 und 6 genauer vorgestellt. Die vier Typen von NWS
lassen sich wie folgt beschreiben:
Typ I: Neubau von Netzwerken/Suche nach Funktionsbereichen
Dieser Typus beschreibt eine Ausgangsbedingung von Projekten, die sich verkürzt als „Neustart“ charakterisieren lässt. Zunächst verfügen diese NWS meist nicht über eine entsprechende Projektgeschichte; es existiert also zunächst kein thematischer und/oder struktureller
Vorlauf und dementsprechend auch zu Förderbeginn kein projektives Selbstverständnis. Die
Träger dieser Projekte verfügen zwar über (arbeitsbezogene) Kooperationsbeziehungen, sind
aber in keinen engen Kooperationsverbund integriert, der im Rahmen der entsprechenden
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
293
Arbeitsschwerpunkte bzw. Themen erste „logische“ Anknüpfungspunkte für Netzwerkarbeit
bietet. Die mit der Umsetzung der NWS betrauten Personen sind zum Teil neu beim Träger
angestellt, in einigen Fällen vorher dort beschäftigt gewesen; die (fachliche) Unterstützung ist
durch den weniger ausgebauten thematischen Bezug eher gering. Besonders ins Gewicht fällt
bei diesem Typus das Merkmal der sozialräumlichen Vorbedingungen: diese NWS finden bei
Förderungsbeginn meist zwei Extreme vor: es existieren wenig oder gar keine Strukturen
(Initiativen, Projekte, engagierte Akteure) an die bei der Netzwerkarbeit angeknüpft werden
kann, oder aber es bestehen bereits entsprechende Formationen, z.B. in Gestalt von Bündnissen, anderen Netzwerkprojekten, zu denen jedoch von Seiten der geförderten NWS zu Beginn
kein „natürlicher Bezug“ bestand.
In Kombination dieser Merkmale ist dieser Typus hinsichtlich entsprechender Erfolgserwartungen gerade mit Blick auf die zur Umsetzung der Projektziele vorhandene Zeit gesondert zu
betrachten. Diesem Typus wurden neun von 25 Projekten zugeordnet.5 Zwei dieser Projekte
verfügen zwar im weiteren Sinne über eine „Initiativen-Geschichte“, in einem Fall nur personell, im zweiten trägerspezifisch, wurden jedoch aufgrund der besonderen lokalen Konstellation diesem Typus zugeordnet.
Beispiele für Typ I:
„Das kommt auf die Unterstützung, die sie von ihrem Träger erfahren, an. Also sie haben sicherlich einen anderen Blick auf die ((Region)) als Leute, die schon lange im ((Gebiet)) arbeiten. Also das ist wahrscheinlich ein Vorteil. Wenn sie allerdings nicht die Unterstützung von
ihrem Träger haben, der ihnen halt gewisse Informationen geben muss, von dem was läuft,
dann sind sie aufgeschmissen. Aber wenn sie Informationen bekommen, wenn der Träger
schon Kooperationspartner hat, mit denen sie arbeiten können – das ist zum Beispiel in ((Ort))
so – also, wo halt die Kontakte zumindest ((andere NWS)) ist ein größerer Träger als wir, die
haben selbst ziemlich viele Projekte und Einrichtungen, zu denen schon mal Kontakt da ist,
dann kann man damit arbeiten.“ (b-NWS 10, 1203-1223)
„Die ((eigene Konzeption)) hatte ich ja nicht gleich. Ich hab mir die auch erst nach dreieinhalb Monaten zusammengestellt. Ich habe schon geguckt, was geht. Weil es ist ja, wenn wir
ehrlich sind, eine sehr abstrakte Umschreibung, vor allem auch in dem CIVITAS-Leitfaden,
was Netzwerkarbeit zu leisten hat. Und das, was in dieser Kurzkonzeption jetzt steht, ist auch
eine Mischung aus dem, was ich hier als Bedarf rausgehört oder gesehen hab, was ich von
dem gehört und gesehen hab, was andere Netzwerkstellen machen, die es auch schon seit letztem Jahr machen, und wo ich das Gefühl hatte, dass ich das auch leisten kann. Das ist ja auch
ein Aspekt.“ (b-NWS 11, 528-549)
Typ II: Aufbau/Ausbau von (Fach)Netzwerken
Projekte dieses Typs verfügen personell und trägerspezifisch nicht über eine Projektgeschichte im Themenfeld Rechtsextremismus bzw. „Förderung der Zivilgesellschaft“, jedoch von
Trägerseite und mitunter auch im Bereich der Mitarbeiter/innen über einen gut ausgebauten
Stamm intensiver Kooperationsbeziehungen in der Regel im Bereich Jugend- bzw. Bildungsarbeit. Es existiert also ein mehr oder weniger verbindlicher Stamm von Kontaktpersonen
und -institutionen, oft auch schon gemeinsame Arbeitsbeziehungen mit verschiedenen Ko-
5
In die Untersuchung einbezogen wurden ab 2003 nur noch 25 NWS, da eine NWS in diesem Jahr
nicht mehr weitergeführt wurde.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
294
operationspartnern – entweder über den Träger, oder über die Person (oder beides). Das
Netzwerk muss aber hinsichtlich der Thematik neu konstituiert - also thematisch aufgebaut
und ausgebaut werden. Die sozialräumlichen Bedingungen sind für diesen Projekttypus zunächst weniger relevant, da durch die reichhaltige bereits funktionierende Netzwerkstruktur
des Trägers und/oder der Personen eine Art „Autonomie“ gegenüber sonstigen lokalen Konstellationen besteht, also zunächst im Rahmen dieser Grundkonstellation entsprechende Konzeptionen erarbeitet und zum Teil auch umgesetzt werden können. Diesem Typus wurden
fünf Projekte zugeordnet.
Beispiel für Typ II:
„Die ((Träger)) haben sehr viel auch Anti-Gewalt-Trainings gemacht, also mit vorbestraften
Jugendlichen und Jugendgerichtshilfe. Das hat ja meistens auch was mit (...) zu tun. Und da
gab es eben oder gibt’s sehr viele Erfahrungen in dem Bereich. Also auch hier in dem Haus,
in dem wir jetzt sitzen, die Kollegen machen auch solche Seminare. Und es gibt natürlich auch
Jugendliche, die auf Grund rechter Straftaten verurteilt worden sind. Also da gibt es Konzepte
und Erfahrungen und der Träger hat - ich glaube - zur Zeit 80 Mitarbeiter, also ganz unterschiedlich von Familienhelfern bis Jugendclubs, also das ist sehr breit gemischt (...).
Aber auf jeden Fall ist der Träger eben hier vor Ort. Das war auch sehr hilfreich, dieser Club,
der hier ist, also ((Name des Clubs)) der kennt eben natürlich sehr viele freie Träger, das
heißt, die sind dann auch gleich in diese Netzwerkbildung mit einbezogen worden. Es gibt (...)
Kooperationspartner und die meisten eben hier aus der Nachbarschaft. Und das hat eben was
damit zu tun, dass der Träger natürlich oder die Personen, die hier arbeiten, dass die langjährige Kontakte haben.“ (b-NWS 9, 34-50; 65-72)
Typ III: Qualifizierung / Weiterführung von Initiativ-Netzwerken
In diesen Bereich fallen Projekte, deren Träger und/oder Mitarbeiter/innen bereits über eine
zum Teil langjährige Geschichte im Sozialraum z.B. als Initiative für Toleranz - gegen
Rechtsextremismus verfügen und somit ein fachliches wie konzeptionelles Selbstverständnis
in die Netzwerkarbeit einbringen, da in der Regel sowohl die umsetzende Person als auch der
Träger sowie weitere Trägermitarbeiter/innen bereits über entsprechende Kontakte, langjährige Kooperationen sowie thematische Bezüge meist aus der „Basisarbeit“ verfügen, an die mit
der Netzwerkstelle angeknüpft werden kann. Hier sind sowohl das Netzwerk als auch das
Thema bereits vor der Förderung durch CIVITAS beisammen; konzeptionell ist bei diesen
Projekten dementsprechend der Ausbau zum weiteren Einbezug initiativen-ferner Akteursgruppen und Institutionen sowie fachliche Spezialisierungen vorgesehen. In den Bereich Qualifizierung von Initiativen/Weiterführung von Netzwerken fallen sieben NWS.
Beispiele für Typ III:
„Da hab ich das das erste Mal erfahren, und da haben wir uns natürlich gedacht, das war ein
Traum, das war unvorstellbar für uns, das war eine Wunschvorstellung, dass wir eine Stelle
hätten mit einem Büro oder so was, als Anlaufpunkt, wo jemand den ganzen Bürokladderadatsch macht, und die anderen inhaltlich arbeiten können. Aber das hat niemand so richtig
ernst genommen. Und dann kam es auf einmal Knall auf Fall, also von einem Tag auf den anderen. Das war letztes Jahr, Ende Januar oder Februar sogar glaub ich schon, da musste für
Ende Februar schon der Antrag da sein.“ (b-NWS 10, 66-74)
„Nein, ich hab einmal über die Elternarbeit schon Kontakte zu den Kreisverantwortlichen,
zum Jugendamt gehabt. Die Landrätin hatten wir auch schon immer bei uns im Boot. Die hat
immer Schirmherrschaft für unsere Veranstaltungen gehabt. Wir haben ja auch vorher schon
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
295
Weiterbildungsveranstaltungen gemacht, Ausstellungen gemacht. Von daher waren schon sehr
viele Kontakte da. Das war auch die Geschichte, die wir als Kritik hatten, du stellst jemanden
ein von (...) setzt den irgendwohin, und der weiß überhaupt nicht, was los ist. Da hatten wir
schon gute Voraussetzungen durch die dreijährige Vorarbeit. Wir haben in jede Partei Kontakte rein, und das macht es viel einfacher. Du weißt, wo du mit welchem Problem hinmusst
und musst nicht erst lange gucken, wie komme ich da ran, wie verkaufe ich dem das. Sondern
ich kann ganz konkret sagen, du, ich hab das Problem (...).“ (b-NWS 5, 467-482)
Typ IV: Koordination/Weiterentwicklung von kommunalen Netzwerken
Der Typus Koordination/Umsetzung beschreibt Projekte, die entweder bereits bestehende,
große und etablierte Bündnisse gegen Rechtsextremismus bzw. für Demokratie/Toleranz
(z.B. Stadt-Netzwerke) organisieren, koordinieren - also diese funktionsfähigen, etablierten
und akzeptierten Netzwerke umsetzen oder aber direkt auf diese bezogen arbeiten. Hier liegt
– im Vergleich zu den in Typ III geförderten Projekten – nicht nur eine lose und oft auf persönlichen Beziehungen basierende Kooperationsbeziehungen, sondern eine auf regelmäßigen
Treffen und kontinuierliches Wirken von Arbeitsgruppen fußende Netzwerkstruktur vor.
Das konzeptionelle Selbstverständnis dieser Projekte ergibt sich in erster Linie aus den lokal
gewachsenen Strukturen (wenn die Mitarbeiter/innen der NWS selbst bereits längerfristig im
bzw. für das Bündnis tätig waren), aus den vorhandenen Kooperationsbeziehungen, hier der
Erwartungshaltung der Teilnehmer und Bündnispartner und vor allem aus den anfallenden
Koordinierungs- und Umsetzungsaufgaben des „Netzwerkes“. Diesem Typus wurden vier
Projekte zugeordnet.
„Also, die Idee ist aus dem bestehenden Bündnis gegen Rechts entstanden. Auch bei uns hat
sich im Jahr 2000 ein Bündnis gegen Rechts gegründet, um Projekte zu initiieren, die mittelund langfristig rechtsextremistischen Tendenzen entgegenwirken. Das war ein ehrenamtlich
arbeitendes Bündnis, allerdings auch mit einem ganzen Teil Vertretern von Kirche, von Polizei, von der Kommune, der stellvertretende Landrat hat dieses Bündnis mit initiiert, Vertreter
von Vereinen und Verbänden. Aus diesem Bündnis heraus sind verschiedene Projekte entstanden, es ist zwar so, dass das dann Freie Träger der Jugendhilfe durchgeführt haben, aber die
Ideen sind in dem Bündnis entwickelt worden, in zwei Workshops.“ (...)
„Das ist auch das, was ich am Anfang immer zu den Mitarbeitern von (...) gesagt hab, ich
stelle es mir wahnsinnig schwer vor, wie soll ich es vorsichtig sagen, das ist ein Stückchen
weit sowieso eine Schwierigkeit des ganzen CIVITAS-Programms im Hinblick auf diese großen Projekte, es ist alles so mit Hoffnung auf Wunderheilung von oben aufgesetzt. Wo ich
auch gesagt hab, wo ich meinen Vorteil darin sehe, dass ich in diese Sache, die Entwicklung
und die Entstehung des Bündnisses doch von Anfang an mit eingebunden war, und dadurch
natürlich einen Vorteil habe, zum einen, dass ich auf Dinge, die es gibt, zurückgreifen kann,
Dinge, in die ich selber eingebunden war, die ich mit durchgeführt habe, und dass das natürlich ein Wahnsinnsvorlauf ist. Ich hab sicherlich bei weitem noch nicht mal annähernd dieses
Konzept so befolgt, wie man es will, weil da verschiedene Sachen, Zeitfaktoren, rein fließen.
Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich mir das alles hätte erarbeiten müssen, was für Strukturen gibt es überhaupt, wer macht hier was im Kreis. Und ich wäre nie darauf gekommen, den
stellvertretenden Landrat anzusprechen, dass der sich da engagieren würde. Das sind einfach
Vorteile, die auf jeden Fall da sind.“ (b-NWS 20, 13-25; 1202-1224)
Obgleich auch innerhalb der Typen die Unterschiede in Bezug auf andere Einflussgrößen
zum Teil noch groß sind (insbesondere beim Typus „Neubau“) wurde auf eine weitere Ausdifferenzierung aufgrund der verhältnismäßig kleinen Fallzahl verzichtet. Es lassen sich in
drei von sechs Bundesländern Ähnlichkeiten in den geförderten Typen erkennen, in zwei
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
296
Bundesländern wurde generell „typenübergreifend“ gefördert (in Brandenburg gibt es nur ein
Projekt). Eine ähnliche Trägerlandschaft ist jeweils innerhalb der Typen II und III zu finden.
2.7.2 Konzeptsicherheit
In den im Herbst 2002 an die Netzwerkstellen ausgegebenen Fragebögen sowie in den darauf
folgenden Interviews mit den Mitarbeiter/innen wurden bei einem Teil der Projekte erhebliche Unsicherheiten über den allgemeinen Auftrag der NWS im Rahmen des CIVITASProgramms und die sich daraus abzuleitenden Aufgaben in der konkreten Arbeitspraxis deutlich.
Die Leitlinien des Programms werden dabei oft als Bezugspunkt benannt, der durch die große
Offenheit eine generell positiv zu bewertendende große Gestaltungschance bietet. Insbesondere aber für Projekte, die dem Typus I („Neubau“) zuzuordnen sind, hat gerade diese Unklarheit über Auftrag, Möglichkeiten und auch Grenzen der Tätigkeit eine über die in der
Anfangszeit auftretendende „Orientierungsphase“ hinausgehende konzeptionelle Schwäche
und entsprechende Konsequenzen bei der Projektumsetzung zur Folge.
„Ich habe auch nie herausgefunden, was CIVITAS sich vorstellen würde. Was ich am Anfang
sehr schwierig gefunden habe. Also, weil ich irgendwie nicht so ganz wusste, was ich jetzt da
eigentlich (...) wie ich jetzt mit dieser Situation umgehen soll. Und, ja, und habe halt dann irgendwann beschlossen, mich interessiert das so nicht. Ich versuche, so meinen Weg irgendwie
da zu finden. Und mich auch auf - also, meinen Weg auch insofern zu finden, dass ich mich
eben schon auf die Arbeit auch meines Trägers stütze und dieses ((Projekt des Trägers NWS))
sozusagen als Sprungbrett benutze für die Netzwerkarbeit.“ (b-NWS 3, 61-71)
„Es gab keine Orientierung. Die einzige, die man sich nehmen konnte, war das aus den Leitlinien, aus dem Programm, was da stand. Und die sind natürlich sehr allgemein gefasst, so dass
man auch nicht konkret jetzt sagen konnte: ‚Okay, ich arbeite jetzt diese Schritte ab.’ Und ich
komme dann auf ein Netzwerk. Nein, es gab keine Vorgaben. Das hat es auch ein bisschen
schwierig gemacht. Das heißt am Anfang war zwar auch das Gefühl: ‚Okay, ich kann jetzt
hier gucken, was kann ich machen?’ ‚Was liegt mir?’ Das ist ja auch manchmal ein Vorteil,
wenn man von seiner Person ausgehen kann und sagen kann: ‚Ich bringe mich in die Arbeit
mit meinem Engagement ein.’ Weil dann setze ich das auch anders um. Dann ist es mein Kind.
Aber es war dann auch ein Nachteil, oder erweist sich jetzt im nachhinein als Nachteil. Weil
jetzt Fragen gestellt werden, man wird angeguckt: „Warum machst Du das nicht? Und das
muss aber mehr in die Richtung gehen!“ Und in dem eigenen Weg, den man sich gesucht hat,
enden, münden jetzt so viele Wege von anderen, dass es schwierig ist, den eigenen beizubehalten und darauf zurückzukommen.“ (b-NWS 13, 69-86)
Im zweiten Beispiel wird ein Problem angesprochen, das aus der unklaren Erwartungshaltung
und des generell „offen“ gehaltenen Modellauftrags auf der einen Seite und der Begrenzung
der Interpretationsfreiheit (z.B. bei der Beratung der Neuanträge 2003) durch die Servicestelle auf der anderen Seite resultiert. Für einige (wenige) Projekte bedeutete diese „Nachjustierung“ ein konzeptionelles Umsteuern nach einem Jahr.
Als ein Problem stellt sich weiterhin das „Herunterbrechen“ der in den Leitlinien und auch
den Projektkonzeptionen beschriebenen „Großbegriffe“ dar, um durch eine Operationalisierung dieser zu konkreten und aufeinander abgestimmten Handlungsschritten in der alltäglichen Arbeit zu gelangen.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
297
“Ja, also ich habe schon eine gute Konzeptvorlage bekommen vom ((Name Träger NWS)). Die
haben sich da schon gute Gedanken gemacht. Das war so für den Einstieg ganz gut. Das
Problem war dann, das für mich konkret zu kriegen. Was das bedeutet: Stärkung demokratischer Strukturen, was ist das eigentlich? Also wie soll das gehen? Und so. Ja, und dann muss
man ja irgendwie mal konkret werden, so.“ (b-NWS 1, 248-254)
Die Unsicherheit bezüglich des konkreten Arbeitsauftrages setzt sich in einigen Fällen in der
Ansprache der Zielgruppen bzw. dem „Verkauf“ des Projektes und der entsprechenden Inhalte und Angebote fort. Die Schwierigkeit, die konkrete Funktion des eigenen Projektes zu
erklären, kann infolgedessen insbesondere potentiellen Kooperationspartnern gegenüber den
Zugang erheblich verkomplizieren.
„Und dann irgendwie gucken mit Kontakten. Dann ist das ja eine schwierige Angelegenheit:
Ich muss mich ja präsentieren, wenn ich zu jemanden hinkomme und sage: ‚Ja, ich soll hier
Netzwerkarbeit machen.’ Oder: ‚Ich mache das hier.’ Ja, wer bin ich und was mache ich nun
konkret? Und wie stelle ich das den Leuten dar, mit denen ich jetzt… also die da irgendwo mit
einbezogen werden sollen.“(b-NWS 1, 266-271)
Das Problem der Selbstdarstellung bzw. der Vermittlung der Funktion der NWS und damit
des im Interventionsansatzes enthaltenen Angebotes an potentielle Kooperationspartner/innen
der NWS wird auch von Mitarbeiter/innen der Mobilen Beratungsteams angesprochen:
„Bei der Opferberatung ist es ziemlich klar. Bei uns ist es inzwischen auch ziemlich klar.
Problematisch ist immer, die Netzwerkstellen zu erklären. Damit haben die auch selber
Schwierigkeiten, das sagen die auch selber. Sich selber ein Image aufzubauen, wofür sind wir
eigentlich nützlich. Und das auch klar nach außen zu transportieren.“ (b-MBT 4, 250-253)
Tendenzielle konzeptionelle Unsicherheiten sind zwar in der Gruppe der „Neubauer“ häufiger vertreten als in den anderen Typen, werden aber beispielsweise auch von Projektmitarbeiter/innen benannt, deren Projekt bereits über eine entsprechende Vorgeschichte z.B. als lokale
oder regionale Initiative verfügt. In diesen Fällen beschränkt sich die Unsicherheit jedoch auf
einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum, da die Möglichkeit besteht, sich auf die eigene (ehrenamtliche) Vorarbeit zu stützen bzw. diese mit den neuen Möglichkeiten zu „qualifizieren“,
also auf einem deutlich verbesserten Niveau zu arbeiten.
„Also weil genau diese Unsicherheit da war. Ich hab da heute grade noch mal der (...) drüber
geschrieben, dass wir da auch nicht gut genug gebrieft waren. Da hab ich mir erst mal gedacht, was ist denn eine Netzwerkstelle? Ich hab mir das so graphisch vorgestellt, da soll sich
was bündeln. Wer soll sich dort bündeln? Sollen das jetzt die Netzwerkstellen sein, die sich
dort bündeln, also die sich untereinander kurzschließen? Soll das ein Netzwerk über die gesamten Ostländer sein? Muss ich jetzt jeden Netzwerker in ((Ort andere NWS)) kennen, oder
sollte ich lieber meinen Nachbarn oder den Bürgermeister vom Nachbardorf kennen? Jetzt
hab ich mir aber so was aufgebaut im Kopf, dass das eigentlich alles ist. Also in ((Ort andere
NWS)), den muss ich nicht unbedingt kennen, aber nicht ohne Grund sind ja diese Problemschwerpunkte auch ausgebildet worden, also dass es dort eine Vernetzung in den bestehenden
Strukturen gibt. Und das hab ich dann auch erst mal so angenommen, ich habe erst mal dann
geguckt, das war auch die Herangehensweise, bevor wir bei CIVITAS waren. Da bin ich ja eigentlich nur zurückgekommen, weil wir das eigentlich gemacht haben, wir haben das gemacht, was eigentlich gedacht war (...).“ (b-NWS 24, 844-866)
„Das hatte ich ja vorhin auch schon gesagt, die Qualität ist auch gestiegen, weil es quasi
auch so war, dass wir halt für Netzwerkarbeit nicht die Ressourcen hatten, zu mindestens
nicht um das qualitativ und kontinuierlich durchzuführen. Also es gab bei uns im Umfeld immer eins, zwei Leute die haben das für wichtig erachtet. Die haben sich auch auf diesen ganzen Treffen rumgetrieben, sage ich jetzt mal ein bisschen leger. Und aber es war halt immer
nur punktuelles Arbeiten möglich, weil man natürlich eigene Projekte hatte. Wie gesagt, das
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
298
waren 90 % ehrenamtlich, da sind irgendwann Grenzen gesetzt. Man hat ja auch noch ein
Studium oder dergleichen. Und ich möchte schon sagen, dass mit der Netzwerkstelle man kann
einfach zielgerichteter und genauer arbeiten.“ (b-NWS 16, 241-253)
Generell spielten bei der Übermittlung der Aufgaben bzw. bei der Ausarbeitung von sozialräumlichen Arbeitsbezügen die Mobilen Beratungsteams in vielen Fällen eine große Rolle.
Diese haben in einigen Fällen eine Aufgabenklärung für den Tätigkeitsbereich der NWS allgemein und in Bezug auf die eigene Tätigkeit der Mobilen Beratung vorgenommen:
„Ja, also zu Beginn war es ganz wichtig, wie ich das vorhin schon erwähnt hatte, für die Antragstellung, und so weiter, die haben ja dann schon, ich glaube, ein dreiviertel Jahr gearbeitet in diesem CIVITAS-Projekt, oder ein halbes Jahr, ist auch egal. Wir wussten ja erst mal
überhaupt nicht, was auf uns zukommt so. Wir hatten unsere Vorstellungen, aber Sie wissen ja
selber, es kam aus der Service-Stelle nicht so wahnsinnig viel, welche Erwartungen man an
die Netzwerkstellen hat. Und da war eben die Zusammenarbeit mit dem MBT erst mal schon
sehr wichtig.“ (b-NWS 23, 413-421)
Die Offenheit der Leitlinien wird von einigen Projektmitarbeiter/innen, von „Neubauern“ und
anderen, dagegen durchaus auch positiv gesehen als Chance, vor Ort mit eigenen Strategien
und Ideen relativ frei ein Projekt gestalten zu können im Bewusstsein, dass das Ausnutzen
dieser Chancen sehr stark von den eigenen Kompetenzen und einem entsprechenden Selbstbewusstsein abhängen.
„Also was ich verinnerlicht habe, ist, dass ich größtmögliche Freiheiten habe, die Netzwerkstelle zu definieren. Oder anders gesagt, ich empfinde das so, dass ich meine Tätigkeit ganz
stark selbst beeinflussen kann. Egal auch, was mein Vorgänger für Schwerpunkte gefahren
hat. Als ich der Meinung war, in dem einen oder anderem Bereich halte ich das für nicht so
sinnvoll, weil mir fällt etwas anderes stark auf, aber das war eine ganz individuelle Sichtweise, habe ich gemerkt, dass mir das CIVITAS-Programm da durchaus die Möglichkeit und
Freiheit lässt, dies auch zu tun.“ (b-NWS 12, 468-476)
E: „Ich wusste eigentlich schon durch den Antrag oder die Leitlinien, was nun eigentlich gewollt ist und was nicht.“
I: „Und das war konkret genug?“
E: „Für mich eigentlich schon. Die Arbeit ist ( ...) Die Leitlinien sagen ja aus, was mehr oder
weniger sein soll, gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und das ist
eigentlich genug Information, für mich jedenfalls. Ich mein ich kann jetzt nicht über Kultur im
Netzwerk reden. Das ist eigentlich klar irgendwie.“ (b-NWS 17, 979-988)
Erwartungsgemäß ist die Konzeptsicherheit in Bezug auf die mittel- bis langfristigen Ziele
der Netzwerkstellen-Tätigkeit und vor allem in Bezug auf konkrete Arbeitsaufgaben bei den
Netzwerkstellen des Typus „Koordination/Umsetzung“ am stärksten ausgeprägt. Hier ergeben sich die Aufgaben aus den sehr spezifischen Anforderungen bzw. aus der Erwartungshaltung der bereits längere Zeit mit dem arbeitenden Netzwerk verbundenen Akteure, bzw. mitunter aus festgeschriebenen Zielen der Bündnisse.
„Ich habe keine Ahnung, was der ((Vorgänger)) als seine Hauptaufgaben irgendwie beschrieben hat. Also ich will Ihnen mal folgendes sagen: Ich habe diesen Antrag und die – was weiß
ich, wie Sie sagen – die konzeptionelle Ausrichtung dieser Stelle habe ich nicht gelesen. Für
mich liegt auf der Hand, was zu tun ist.“ (...)
„Das wird – ich weiß nicht so genau, ob das wirklich den Inhalt einer Netzwerkstelle, ob das
da reinpasst, aber es ist definitiv das, was von mir erwartet wird. Und ich denke, das ist fast
wichtiger, als das, was man sich vorher vorgenommen hat. Also in erster Linie die Erwartungen. Und wenn ich die erfülle, dann kann ich Engagement in der Bürgerschaft irgendwie un-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
299
terstützen. Und das ist, glaube ich, der Sinn der Sache. Also es wird schon richtig sein, es so
zu machen.“ (b-NWS 19, 19-24; 281-288)
2.7.3 Lokale Strukturen – Determinanten für Interaktionen in den
Sozialräumen
2.7.3.1
Fehlende Ansatzpunkte für Vernetzungsarbeit
Die Aufgaben der NWS sind laut Leitlinie und den Beschreibungen der Programmentscheidenden und -umsetzenden im Verständnis der drei „Schlüsselkategorien“ in erster Linie in
den zwei Bereichen „Vernetzung“ und „Befähigung“ angesiedelt. Dieses setzt voraus, dass
NWS dort implementiert werden, wo bereits Strukturen bestehen, d.h. wo in der Kommune
neben den entsprechenden Diskursen auch bereits verschiedene Akteure tätig sind, die zum
Thema arbeiten und deren Aktivitäten, Erfahrungen, Ressourcen zusammengebracht werden
können. In der Praxis ist dies für einige der geförderten NWS nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße gegeben. Diese sehen sich teilweise in der Situation, quasi über einen aufsuchenden Ansatz überhaupt erst Problembewusstsein zu generieren, zu sensibilisieren bzw. Erstberatungen für Kommunen, Institutionen und Einzelpersonen ähnlich der Aufgaben der Mobilen Beratungsteams durchzuführen, also erst die Vorraussetzungen für vernetzte lokale Interventionen zu schaffen, mitunter ohne in die fachlichen Arbeitskreise der MBTs eingebunden
zu sein.
Unklare Aufgabenbereiche bzw. Unklarheiten über die Erwartungshaltung an den Erfolg des
Projektes betreffen ca. fünf Projekte, in erster Linie aus Typ I, da gerade hier die besondere
Herausforderung darin besteht, neue Strukturen zu etablieren.
„Also die Leitlinien, die Aufgabenspezifizierung, die sind natürlich sehr interpretationsfähig.
Ich denke das haben Leitlinien so an sich. Also es ist natürlich klar, dass man dies nicht irgendwie zu schneiden kann, das ist ganz klar. Aber ich denke sie haben ein paar Stärken und
ein paar Schwächen. Nur einerseits wurde ja quasi gesagt und im Fall von ((NWS)) dies auch
so umgesetzt, auch im Fall von ((andere NWS)) wurde das umgesetzt, dass gesagt wurde die
Netzwerkstellen machen eigentlich nur da Sinn, wo es eigentlich schon ein bisschen ein paar
Strukturen gibt. Wo man dann quasi punktgenau, zielorientiert und professionell quasi am, an
der Festigung eines schon bestehenden Netzwerkes arbeiten. Ja, das halte ich erst mal für so
einen Ausgangspunkt nicht verkehrt. Nun gibt es aber so ein paar Netzwerkstellen für die das
eben nicht zutrifft. Das würde ich auch nicht für absolut falsch finden. Ich sag mal bisschen
lapidar, wenn es da einen Verrückten gibt, er denkt er könnte das machen, ja, dann wäre das
okay, aber es ist dann wirklich halt die Frage, der Aufgabenspezifizierung und vor allen Dingen der Anspruchserwartungen einerseits von demjenigen Träger oder Menschen der dieses
Netzwerk- diese Netzwerkstelle konkret besetzt und andererseits ja sage ich mal auch von den
Bundesprogrammen und letztlich vom Ministerium. Und da sehe ich schon so irgendwo ein
gewisses Problemfeld, weil es natürlich die Befürchtung gibt, das habe ich heute auf der Tagung auch gehört, gemerkt, und in wieweit man dann die einzelnen Netzwerkstellen hinsichtlich von Effektivität, Arbeitschwerpunkte und dergleichen vergleichen kann. Und da bin ich
eben der Meinung, dass das fast unmöglich ist, weil die Ausgangspositionen wirklich so verdammt unterschiedlich sind. Und was in ((Ort andere NWS)) normal ist, ist woanders schon
ein ganzes Weltwunder und umgekehrt vielleicht. Und das ist sicherlich so ein Problem, wo
ich auch denke, wo einige Menschen, die die Netzwerkstellen konkret umsetzen, da wie soll ich
sagen, Orientierungsprobleme haben.“ (b-NWS 16, 708-743)
Hier wird auf verschiedene Faktoren verwiesen, gerade die Vorbedingungen, also die Initiativenlandschaft, das politische Klima, die zum Themenfeld geleistete Vorarbeit in der Region
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
300
werden als relevant erachtet für den Erfolg bzw. die generellen Möglichkeiten einer NWS.
Da diese Bedingungen eben nicht überall gegeben sind, wird neben den allgemeinen Unsicherheiten in der täglichen Projektpraxis, die Schwierigkeit der generellen Vergleichbarkeit
der NWS und damit verbunden der Vergleich von Erfolgen der Vernetzungsarbeit angesprochen und problematisiert.
„Mit ((anderer NWS)) haben wir einige Gemeinsamkeiten, da sind eher Gemeinsamkeiten,
weil die auch viel Bildungsarbeit machen im historisch-politischen Bereich. Der Unterschied
ist sicher, dass der Träger in dem ((Region)) viel verankerter ist, dass die Strukturen viel besser sind, es gibt sehr viel mehr Vereine und Initiativen, die zu dem Thema arbeiten, es gibt ein
viel positiveres Umfeld. Das ist wahrscheinlich ein großer Unterschied. Während man hier
mit dem Thema nicht gerade Mehrheiten hinter sich hat, sondern eher gegen Widerstände
kämpfen muss. Deswegen sind die Ausgangsbedingungen auch anders. Ich kann ((eigene
NWS-andere NWS)) vergleichen.(...) Die Sozialstruktur ist ja ähnlich, ((eigene NWS)) und
((andere NWS)) kann man schon gut vergleichen. Beide haben das Problem, dass die Infrastruktur soziokulturell dünn gesät ist, und der Kollege ((Person andere NWS)) hat dann noch
das Problem, dass es kaum Gruppen gibt, die schon vorher zu dem Thema gearbeitet haben.
Es gibt überhaupt keine Infrastruktur, auf die man zurückgreifen kann. Wir haben den Vorteil,
dass wir vorher politische Bildungsarbeit gemacht haben, und dass wir das auch konkret hier
einsetzen können. Wir können es überregionalen Trägern vermitteln, weil wir die kennen und
mit denen schon kooperiert haben. Deswegen haben wir da kürzere Wege. Das liegt an unseren Vorkenntnissen, da hatten wir einfach Glück. Das hat er einfach nicht, da fehlt eben der
Hintergrund. Ich glaube, es ist für ((andere NWS)) sehr viel schwieriger, an die Träger ranzukommen und die Kontakte zu bekommen.“ (b-NWS 9, 218-250)
2.7.3.2
Bestehende Strukturen – etablierte Netzwerke in den Sozialräumen
Ein anderes strukturelles Phänomen betrifft (ca. vier) NWS, die in Gebieten arbeiten, in denen bereits eine Vielzahl von Initiativen tätig sind, bis hin zu anderen Netzwerken/Bündnissen oder Trägern/Akteuren, die eine ähnliche Funktion in der Kommune bzw. in
der Region ausüben. In einigen Fällen hat diese Konstellation zumindest zu Beginn der Projektlaufzeit aufgrund des fehlenden bzw. unklaren Bezugs eines neuen Projektansatzes Irritationen, Konkurrenzbefürchtungen bis hin zu Ablehnung bei den jeweiligen Akteuren ausgelöst. Mitarbeiter eines MBTs beschreiben eine solche ungünstige Konstellation im folgenden
Zitat. Hier wurde bspw. eine NWS in einer Region gefördert, in der bereits ein anderer Träger
eine vergleichbare Aufgabe seit längerer Zeit wahrnimmt:
E: „Es hat ja auch Unmut erregt, dass es eine Netzwerkstelle gibt. Hier gab es vorher einen
Verein für ((Name)), der hat hier auch Netzwerkarbeit gemacht, ist aber nicht bei der Auswahl
berücksichtigt worden. “ (...) „Ja, ein Landesnetzwerk zu bauen, so wie (...) in (...) und mit denen zusammen.“ (...)
„Die sind völlig ausgebremst worden. Ich weiß nicht, ob die das nicht erfahren haben, dass
es diese Stellen gibt, es ist da jedenfalls keine Kommunikation gelaufen, und dann war der
((Name Träger)) einfach schneller. Seitdem gibt es den Verein auch nicht mehr in der Form,
das waren alles SAM-Stellen, die sind alle ausgelaufen. Für die, die da gearbeitet haben, wäre
das natürlich eine Chance gewesen, das weiterzumachen.“ (b MBT-4, 191-204)
Die Mitarbeiter/innen der NWS sind in solchen Fällen in der Situation, zunächst ihre Position gegenüber bestehenden Strukturen klären zu müssen, sich zu den bestehenden Strukturen
zu verhalten, Zuständigkeiten zu eruieren und zu entscheiden, wie und ob überhaupt neue
Strukturen aufgebaut werden können bzw. sollten.
„Also der Präventionsbeauftragte war sehr, also der war sehr positiv, stand er dem gegenüber. Was ein bisschen am Anfang irgendwie, fand ich es nicht so einfach, als Netzwerkstelle
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
301
jetzt, das war natürlich nicht als Privatperson, in der ((Name Bündnis)), die sich ja im Rathaus regelmäßig trifft. Weil da dann doch die Befürchtung etwas da war, zum Beispiel vom
((Bündnis)) dass man sich an die Spitze von irgend etwas setzen wollte und irgendwie dominant sein wollte usw. Das war - wir hatten dann - also das war so, dass da schon ein bisschen
auch so geguckt wurde: „Na, wer ist das?“ Und der ((Träger)), was machen die da und was
soll das Ganze.“ (b-NWS 4, 389-398)
Im Bereich des Typs 1, der Netzwerk-Neubau-Projekte, kommt in solchen Konstellationen
zunächst noch eine Phase der sozialräumlichen Analyse hinzu. Da die Projektmitarbeiter/innen oft nicht über entsprechende Kenntnisse der bestehenden Initiativenlandschaft verfügen, muss erst umfänglich recherchiert werden, welche Akteure eigentlich im Umfeld der
NWS tätig sind und wie die Kooperationsbeziehungen zwischen diesen beschaffen sind, um
die Einrichtung von Doppelstrukturen zu vermeiden.
„So schätze ich das ein, weil es hier, wie ich herausgefunden hab, immerhin drei funktionierende Netzwerke gibt, die alle themenbezogen, sprich, Demokratiestärkung, zivilgesellschaftliches Engagement stärken, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus bestehen (...). Drei Stück.“ (...)
„Die Reaktionen waren nicht so, dass ich sagen würde, sie wären abweisend. Man könnte ja
denken, dass es dann dazu kommen könnte, dass man sich auf einmal in einer Konkurrenzsituation wieder findet. Da waren sie eigentlich alle drei bisher, also so richtig vorgestellt hab ich
mich ja bei dem einen Netzwerk noch nicht, aber bisher waren alle eher offen, bisschen verwundert, und was ich natürlich hatte, war immer dieses Label „aha, da ist mal wieder eine Initiative von außen, da kommt mal wieder was von außen rein“. Das hab ich öfter unterschwellig rausgehört. Wo es kritischere Nachfragen gab, das war bei diesem Bündnis ((Name)), die auch sehr aktiv sind und alle aus diesem Bereich der Jugendsozial-, Jugendkulturarbeit kommen. Da bin ich teilweise richtig gelöchert worden, was denn eigentlich so meine
Aufgabenstellung ist, und mit welchem Ziel, und wieso denn CIVITAS so eine Stelle hier in
((Region)) noch mal fördert, wo es doch eigentlich hier schon bestehende Netzwerke gibt, und
wäre diese Stelle nicht sogar bei uns, in unserem Bündnis viel besser angebracht, weil sie haben ja auch eine Koordinatorin, die sich als Bindeglied, als Netzwerker innerhalb dieses
Netzwerkes so ein bisschen herauskristallisiert hat.“ (b-NWS 11, 46-52; 141-161)
Weiterhin kommt – nicht nur in dieser Konstellation - ein bereits weiter oben angesprochenes
Phänomen erschwerend hinzu, das gerade in der Startphase der NWS von einigen Projekten
als problematisch gekennzeichnet wurde. Die Einrichtung einer neuen Personalstelle auch mit
der entsprechenden finanziellen Ausstattung durch Bundesmittel führt in Zeiten knapper Kassen und Einsparungen in den Kommunen mitunter zu Irritationen und erschwert vor allem in
ohnehin schwierigen Konstellationen die Netzwerkarbeit. Gerade dann ist eine Transparenz
in den Förderentscheidungen für die lokalen Arbeitsbedingungen von entscheidender Bedeutung, um für die Arbeit vor Ort bestmögliche Bedingungen zu schaffen, gerade weil ein sozialräumlicher Ansatz verfolgt wird.
„Und das war schon der erste Ärger, der mir entgegenschlug, als ich die besucht habe, die
den Zuschlag nicht bekommen haben. Das war unter anderem der ((Name))Verein. (...) Und
dann kam ich eben dahin, und das war dann eine sehr unerfreuliche Begegnung. Da gibt es
überhaupt keine Zusammenarbeit oder Kooperation.“ (...)
„Ja gut, ich kann das nur von dem, was ich mitkriege eben sehen, und da ist es oft personenabhängig und hat aber auch manchmal was mit Strukturen zu tun oder mit der Art und Weise,
wie so ein Projekt gestartet worden ist. Also hier war es auf jeden Fall diese drei Tage Antragsfrist hat mich schon Monate gekostet, dann bei bestimmten Leuten, dass die mir überhaupt zugehört haben, weil die so sauer waren, zum Beispiel. Man muss solche Sachen transparent machen (…).“ (b-NWS 9, 140-146; 1406-1413)
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
302
Die Erfolgsaussichten für die Arbeit von Projekten in Regionen mit bestehenden Netzwerken
wird von anderen NWS dementsprechend verhalten eingeschätzt, da der Umgang mit den
Reaktionen der lokalen Akteure sowie die Suche nach einer „Nische“ für die eigene Projektkonzeption als sehr mühsam charakterisiert wird:
„Also ich denke, es gibt halt viel zu viel weiße Flecken zu dem Thema auf der Landkarte, als
dass man noch jemand - wie hier in ((Region)), da ist es hanebüchen, dass hier eine Netzwerkstelle herkommt. Gerade mit der Geschichte ((Bündnis)), die ja das alles aufgebaut haben.
War gestern bei unserem Workshop auch, dass die sich zurecht vollkommen verarscht vorkommen, dass da eine Institution mit CIVITAS kommt und einer Stadt wie (...), die ja funktionierende Strukturen hat, jemanden hinsetzt. Also ich möchte nicht in ((andere NWS)) Haut stecken. Der beißt sich zwar tapfer durch, aber (...).“ (b-NWS 1; 1207-1218)
2.7.3.3
Sozialräumliche Interaktionen
An dieser Stelle sollen schließlich Auswirkungen der Strategien der Implementation beschrieben werden, die sich auf die Interaktionen zwischen den drei Strukturprojektgruppen
MBT, OBS und NWS als intendiert aufeinander bezogene Interventionsansätze beziehen.
Insbesondere die Frage nach den Arbeitszusammenhängen zwischen den drei Strukturprojekten in einer Region bzw. zwischen NWS in angrenzenden Regionen ist dabei von Interesse.
Die oben bereits beschriebenen Erst-Treffen zwischen den drei Strukturprojektgruppen MBT,
OBS und NWS wurden als erster Kontakt durch die Programmumsetzenden zentral organisiert und für jedes Bundesland vor Ort nach der Förderentscheidung und der Einstellung der
Mitarbeiter/innen der NWS durchgeführt. Diese Maßnahme wird von den NWS als guter
Ansatz zur regionalen Vernetzung der drei Gruppen gewertet, scheint jedoch nicht die Folgen
der unsystematischen Kommunikation über die Einrichtung der neuen Netzwerkstellen im
Vorfeld der Entscheidungen zu kompensieren bzw. ersetzt nicht die begleitende Anregung
der Ausarbeitung eines lokalen Arbeitsbezuges zwischen MBT, OBS und NWS bereits in der
Implementationsphase der neuen NWS.
„Nachdem ich mehr oder weniger den ((MBT))-Leuten am Anfang mal erklärt hab, was eigentlich unsere Aufgabe ist oder worin ich sie sehe, war dann auch ein bisschen Verständnis
da. Am Anfang gab es ein großes Unverständnis bei (Mitarbeiter/innen MBT) darüber, was
jetzt lokale Netzwerkstellen sollen. Nach dem Motto, das machen wir doch, und warum (...).“
(b-NWS 20, 869-876)
Die lokalen Arbeitsbezüge zwischen den verschiedenen Projektgruppen gestalten sich sehr
unterschiedlich und sind in ihrer Heterogenität u.a. auch auf die beschriebene Implementationsstrategie rückführbar. Der wenig definierte Aufgabenbereich der Netzwerkstellen insbesondere in Bezug auf den Wirkungsbereich der Mobilen Beratungsteams, aber auch der Opferberatung sowie eine sehr schnelle und oft nicht mit den vor Ort tätigen Akteuren diskutierte Trägerauswahl können dafür als ursächlich erkannt werden. Die Rolle des jeweiligen
Strukturprojektes scheint dabei nicht immer klar und führt im konkreten Fall zu Irritationen
bei den Zielgruppen in der Kommune, wie im Folgenden durch den Mitarbeiter eines MBTs
beschrieben:
„Es ruft teilweise Unklarheit hervor. Was wir in (...) gemerkt haben, wo dann wieder Anfragen an uns kamen: ‚Sie waren doch immer vorher hier bei uns vor Ort, Sie haben mit uns gesprochen’, und in ((Region)) haben wir das z.B. aufgesplittet, dass die Netzwerkstelle die Moderation und Koordination von diesem Runden Tisch dort übernimmt und ((OBS)) auch dabei
ist, aber wo es dann wieder Rückfragen gibt, ‚Sie waren da, und was soll denn das jetzt?’ Es
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
303
ruft schon Unklarheiten hervor, in welche Richtung geht es mit dem Projekt eigentlich, wer
hat es denn in der Hand und fühlt sich letztendlich verantwortlich dafür.“ (...)
„Und das ist eben das Ärgerliche an diesem, ich denke, das ist auch ein Webfehler von CIVITAS, dass mit uns oder den Akteuren hier vor Ort keine oder kaum Rücksprache gehalten
worden ist, ‚haltet ihr das für sinnvoll, nach ((Ort)) oder nach ((Ort)) eine Netzwerkstelle zu
setzen.’ Es gibt keine Kommunikation deswegen. Wir haben ja am Anfang unserer Tätigkeit
viel Antragsberatung gemacht für CIVITAS-Projekte, es ist nie etwas von Berlin gekommen.
Wir haben Voten geschrieben, wir haben die Leute beraten. Und dann sind auf einmal Projekte gefördert worden, wo wir uns gefragt haben, haben kein Votum für geschrieben, halten wir
auch für schwachsinnig zum Teil. (b MBT-4, 120-127; 207-215)
Auch der in einigen Bereichen begonnene, aber nicht konsequent vollzogene Einbezug entsprechender lokaler Akteure und der in den Regionen tätigen OBS und MBTs in die Ausarbeitung einer für den jeweiligen Sozialraum passenden Projektkonzeption der NWS wird als
Ursache für unklare Aufgabendefinitionen und Arbeitsteilung erkannt. Dies kann gerade für
einen solchen langfristig angelegten und auf das Gemeinwesen ausgerichteten Interventionsansatz wie den einer NWS problematisch sein.
Eine Basis für die Zusammenarbeit zwischen den Strukturprojektgruppen scheint daher nicht
konsequent gegeben zu sein. So existiert kein einheitliches abstraktes oder faktisches Modell
wechselseitiger Arbeitsbezüge. Kooperation ist vielmehr abhängig von bestimmten Faktoren,
wie der inhaltlichen Ausrichtung einer Netzwerkstelle, also deren Arbeitsschwerpunkten,
persönlicher Nähe oder dem „Profil“ eines Trägers, wie der Mitarbeiter einer Opferberatung
beschreibt:
„Mir scheint allerdings, dass da viel weniger als bei den MBTs und noch viel weniger als bei
der Opferberatung, also von den drei Säulen scheint mir doch die Opferberatung so der griffigste Bereich zu sein, also mit den klar beschriebenstem Aufgabengebiet. Das scheint mir bei
den Netzwerkstellen am wenigsten gegeben zu sein. Und dadurch dass es dann auch noch,
hier in ((Bundesland)) ist es zumindest so, in den andern Bundesländern glaube auch, dass alle Netzwerkstellen bei unterschiedlichen Trägern sind. Also, es so eine landesweite Struktur
der Netzwerkstellen nicht gibt. (...) Soweit ich das mitkriege, gibt es auch zwischen den einzelnen Netzwerkstellen nicht so einen intensiven Austausch wie bei uns selbstverständlich oder
auch bei den MBTs untereinander. So dass es doch sehr stark an dem Profil der einzelnen
Träger liegt, wie diese einzelnen Netzwerkstellen arbeiten. Wenn ich z.B. die Arbeitsweise der
Netzwerkstelle ((Region)) mit dem bisschen was ich über die Arbeitsweise der Netzwerkstelle
((Region)) vergleiche, haben sie außer dem Namen wenig Gemeinsamkeiten. Das ist natürlich
schon schwierig, so eine einheitliche Linie gegenüber Netzwerkstellen zu definieren wie es z.B.
MBTs gegenüber möglich ist. Weil es viel zu unterschiedlich ist, was die da eigentlich tun und
auch als was die ihre Aufgabe verstehen.“ (b-OBS 9, 1272-1287)
Die Interaktionen zwischen den Netzwerkstellen finden in verschiedenen Modellen statt; es
existieren länderweite, geregelte und häufig aktivierte Kontakte mit allen vorhandenen Stellen in zwei Bundesländern. In den anderen Bundesländern haben sich eher „Achsen“ zwischen einzelnen Netzwerkstellen herausgebildet, die entweder regionale Bezüge haben, oder
aber bestimmte inhaltliche Parallelen aufweisen, die eine Basis der Zusammenarbeit darstellen. Diese „sporadische“ Kooperations-Struktur wird auf die beschriebene Unterschiedlichkeit der geförderten Projekte zurückgeführt und die damit verbundenen unklaren Bezüge.
„Nein, überhaupt nicht. Es gab im Juni oder Juli das erste Netzwerktreffen. Da hab ich festgestellt, dass die Vorstellungen von Netzwerkarbeit so unterschiedlich sind, unterschiedlicher
kann es gar nicht sein. Da war für mich ziemlich schnell klar, das Problem, was ja die MBTs
auch haben, dass sie sich hauptsächlich intern miteinander beschäftigen, dass ich das über-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
304
haupt nicht will, das hab ich auch gleich beim ersten Treffen gesagt, die Nabelschau brauch
ich nicht. Hat sich jetzt allerdings etwas geändert, weil ich zu ein paar Leuten einen persönlichen Draht entwickelt habe und sehe, dass ich in einer gewissen Form eine Auseinandersetzung auch unterstützen kann.“ (b-NWS 5, 184-196)
In anderen Fällen haben sich spezifisch regionale Arbeitszusammenhänge innerhalb der
Gruppe der Netzwerkstellen sowie zwischen diesen und den MBTs und OBS entwickelt,
deren sinnhafte Bezüge durch eine (regionale) Instanz von Beginn an durch konsequenten
gegenseitigen Einbezug der vor Ort tätigen Projektmitarbeiter/innen intendiert als regionaler
Handlungszusammenhang fokussiert wurde. Eine systematische Analyse von lokalen, regionalen und überregionalen Arbeitsbeziehungen zwischen den Projektgruppen wird im Rahmen
der folgenden Kommunalstudien erfolgen.
2.8 Fazit
Die „konzeptionelle Komposition“ (vgl. Scrivens 1967) eines neuen Förderschwerpunktes im
Rahmen eines großen Programms, insbesondere wenn dieser nachträglich in ein bestehendes
System von Förderschwerpunkten implementiert wird, erstreckt sich über mehrere Phasen der
Bedarfsermittlung, Aufgabenformulierung, Definition der Zielgruppen (Träger), Übermittlung von Informationen, bis hin zu den endgültigen Förderentscheiden sowie darüber hinaus
der Planung und Umsetzung von programmbegleitenden Maßnahmen und der Anpassung an
die bestehenden Strukturen.
Im Nachvollzug dieser Komposition wurde ersichtlich, dass bei der Implementation der NWS
verschiedentlich Strategien eingesetzt wurden, deren Konsequenzen für die Ausgangsbedingungen der umzusetzenden Arbeit der NWS nicht förderlich sind.
Dokumentation von Entwicklungsprozessen des Programms
Generell ist es als eine Leistung des Programms anzusehen, während der Förderlaufzeit Modifikationen in der Programmstruktur vorzunehmen, durch die auf die Kommunikation eines
Defizits in der bestehenden Förderstruktur reagiert wird. Auch wenn die Wege, auf denen der
entsprechende Bedarf auf die Gestaltungsebene des Programms transportiert wurde, nicht
konsequent nachgezeichnet werden können, ist davon auszugehen, dass es sich um Reaktionen auf Erfahrungen handelt, die z.B. in den Umsetzungspraxen der vor Ort tätigen Projekte
angefallen sind und die die Planung und Umsetzung einer entsprechenden Erweiterung des
Programms zur Folge hatten. Bedauerlich erscheint, dass gerade die frühzeitigen Überlegungen in Bezug auf die Veränderung der Förderstruktur nicht im Austausch mit den bereits
längere Zeit tätigen Projektmitarbeiter/innen der MBTs und OBS erfolgte. Auf diese Weise
hätten entsprechende Konkurrenzbefürchtungen vermieden bzw. Anregungen bezüglich der
Arbeitszusammenhänge zwischen den Strukturprojekten als theoretisches Modell, sowie als
spezifischen Arbeitsbezug in der jeweiligen Region aufgenommen werden können.
Implementationsstrategie – Entwicklung von Modellen
Die Umformulierung bzw. Ergänzung der Leitlinien, die gleichzeitig Richtlinie für Antragstellende und Handlungsorientierung für die umsetzenden Projektmitarbeiter/innen darstellt,
kann aus zwei Gründen als schwieriger Prozess beschrieben werden; zum einen, da zunächst
– wie bereits erwähnt – für die CIVITAS-Netzwerkstellen kein aus der Praxis resultierender
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
305
allgemeiner Rahmen existiert, das Konzept also eine rein theoretische Modellvorstellung
umreißt. Zum anderen, da die Formulierung der Leitlinien auf einem sehr allgemeinen Niveau erfolgte, um die für die Entwicklung von Modellprojekten notwendige konzeptionelle
Offenheit zu wahren sowie um eine Anwendbarkeit der Leitlinien auf verschiedenste Sozialräume zu ermöglichen.
Diese Offenheit wurde im Bereich der NWS in mindestens drei Richtungen angelegt: a) in
den konkreten Arbeitsaufträgen, b) in den sozialräumlichen Strukturen, also den lokalen
Rahmenbedingungen, in den Regionen, in die die NWS implementiert wurden und c) in der
Auswahl der Trägerart, den damit verbundenen Ressourcen für die NWS und der Autonomie
der Träger bei der Auswahl der Mitarbeiter/innen.
Für das Auffangen von Erfahrungslernen bzw. das Erkennen von gelungenen „Modellen“ auf
der einen Seite und entsprechenden begünstigenden oder hemmenden strukturellen Bedingungen dieser Modelle andererseits scheint es günstiger zu sein, die Offenheit in bestimmten
Bereichen zu begrenzen. Ein allgemein gehaltener konzeptioneller Rahmen kann in sehr
ähnlichen, im Vorfeld gut definierten und dokumentierten Sozialräumen verschiedene Modelle/Strategien erzeugen, deren „Erfolge“ dann beschrieben und verglichen werden können.
Eine andere Möglichkeit bestünde in der Formulierung einer stringenten Aufgabenbeschreibung mit klaren Aufträgen bzw. Zielvorgaben und entsprechender Operationalisierung dieser,
die dann als konkreter Interventionsansatz in unterschiedlichen Sozialräumen oder durch
verschiedene Trägerarten quasi „getestet“ werden kann.
Die Strategie, in mehrerlei Richtung große Offenheit zu lassen, birgt dagegen zum einen die
Gefahr der „Überkomplexität“, da in der Diffusität der unterschiedlichen Bedingungen/Rahmungen wirklich übertragbare Projekt-Konzepte bzw. determinierende Einflussgrößen nur schwer destilliert und verallgemeinert werden können. Andererseits besteht die Gefahr, durch die in vielen Fällen erst zu leistende Operationalisierung der allgemeinen Leitziele
und deren Anpassung an die jeweils spezifische lokale Situation durch die einzelnen Mitarbeiter/innen, überbordende Erwartungen an diese zu richten bzw. eine starke Ausrichtung der
Projektaktivitäten an den jeweiligen Vorlieben/Stärken/Möglichkeiten der Einzelpersonen zu
provozieren, was eine Verallgemeinerung bzw. Vergleichbarkeit der Arbeitsergebnisse der
NWS erschwert.
Vermittlung von Arbeitsaufträgen
Die Vermittlung von Aufgaben, insbesondere aber von Zuständigkeitsbereichen und Zielgruppen der Vernetzungsarbeit erfolgte nicht in einer Form, die für die Projektmitarbeiter/innen eine adäquate Handlungsorientierung bzw. deutliche Erwartungshaltung bereitstellte. Offenbar waren auch die in den Anträgen der NWS formulierten Ziele und Aufgaben in
vielen Fällen so allgemein gehalten bzw. auch unrealistisch, dass eine Übertragbarkeit in die
Handlungspraxis durch die Mitarbeiter/innen mitunter nicht oder erst nach längerer Zeit geleistet werden konnte. Die dadurch hervorgerufenen Irritationen über die zu leistenden Aufgaben und die „Inhalte“ der Vernetzung bei vielen Mitarbeiter/innen spiegeln sich mitunter
auch in der Unsicherheit verschiedener anderer Akteure (MBT, OBS, Externe) über die Funktion dieses Interventionsansatzes und seine „Zugriffsmöglichkeiten“ wider.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
306
Richtlinien für Modellprojekte
Es bietet sich in diesem Zusammenhang generell an, den Status der „Modellprojekte“ für die
vor Ort Beteiligten inhaltlich zu untermauern und transparent zu machen, so dass auf Projektebene die entsprechende Erwartungshaltung bewusst ist und Praktiken zur Sicherung der
Erfahrungen, nicht nur der Erfolge sondern auch des Scheiterns und der Gründe dafür in der
entsprechenden Ausführlichkeit angewendet werden. Die gelungenen programmbegleitenden
Maßnahmen z.B. in Form der flexiblen Fortbildungsreihe sowie des begonnenen organisierten und gut angenommenen Erfahrungsaustauschs zwischen den Netzwerkstellen bieten dafür
geeignete Bedingungen und Möglichkeiten.
Vorgehen bei der Auswahl der Regionen und der Träger
Für den Prozess der lokalen Implementation der Projekte scheint eine Strategie, wie die in
den Zitationen dokumentierten Fällen in Ansätzen verfolgte, generell günstig zu sein. Die
direkte Ansprache von Trägern oder aber der Einbezug Dritter, wie z.B. örtlichen Verwaltungen/Institutionen/Träger/Projekte über befürwortende Stellungnahmen erhöht die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz der Projekte in den Kommunen und bietet gleichzeitig Anknüpfungspunkte für die Vernetzungsarbeit.
Diese Strategie hätte jedoch konsequenter (und systematischer) erfolgen können, als im vorliegenden Fall geschehen.
Den selbst formulierten Prämissen der Förderung von Trägern und insbesondere von Regionen mit entsprechenden Voraussetzungen konnte in verschiedenen Fällen in den Förderentscheiden nicht entsprochen werden.
Die Auswahl der Träger sollte für Netzwerkprojekte mit ausgesprochenen Gemeinwesenbezug und Mittlerposition zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen von ehrenamtlichen und professionellen Akteuren bis zu Politik und Verwaltung stärker unter Einbezug
dieser verschiedenen Akteure erfolgen. Dieses Vorgehen würde durch einen zu leistenden
(Minimal)Konsens über Funktion, Inhalt und Zielgruppen der Netzwerkarbeit günstigere
Bedingungen für das Gelingen der Projektumsetzung schaffen und einen sinnhaften Bezug zu
den lokalen Verhältnissen herstellen. Damit wäre auch der Einbezug dieser Akteure in die
Ausarbeitung von für einen Sozialraum geeigneten Konzeptionen der NWS in Auseinandersetzung mit den situativen Besonderheiten und Akteurskonstellationen vor Ort verbunden.
Dieses operative Vorgehen sollte nicht nur den antragstellenden Trägern überlassen werden,
sondern von Seiten der Programmumsetzenden stärker vor Ort forciert werden.
Ausarbeitung von Arbeitsbezügen zwischen den Strukturprojekten
Da die drei Strukturprojektgruppen in einem bestimmten Sinnzusammenhang entworfen
wurden, kann davon ausgegangen werden, dass auch der regionale Projektzusammenhang ein
über das Einzelprojekt hinausgehendes Modell von verzahnten Interventionsansätzen darstellt, das in andere Zusammenhänge übertragbar ist. Darum wäre es sinnvoll gewesen, in
diesen Prozess vor allem auch die bereits vor Ort tätigen, ebenfalls langfristig angelegten
MBTs und OBS frühzeitig, also bereits in die Planungsphase des neuen Projekttyps einzubeziehen, für die im Zusammenhang mit den Netzwerkstellen ein (zunächst theoretisches) Modell der gegenseitigen Arbeitsbezüge in den Leitlinien vorgesehen ist. Eine solche Vorge-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
307
hensweise sollte hilfreich sein, wenn es darum geht, die einzelnen Interventionsansätze und
Arbeitsaufträge zu vermitteln und sich über die Ausarbeitung von regional/bzw. lokal spezifischen Arbeitszusammenhängen zu verständigen.
Zeit für die Antragsausarbeitung
Die eben beschriebene Strategie setzt mindestens voraus, dass genügend Zeit zwischen der
Information der Fördermöglichkeit und den Fristen der Antragsstellung für die beteiligten
Akteure zur Verfügung steht, um die entsprechenden Prozesse in Gang zu setzen und gehaltvolle, anwendbare Konzeptionen zu erarbeiten. Die in vielen Fällen zur Verfügung stehende
Zeit von nur wenigen Tagen zwischen der Information der Fördermöglichkeit und der Frist
für die Abgabe scheint für solche qualitativ hochwertigen, auf den lokalen Bedarf zugeschnittenen Anträge zu gering bemessen zu sein.
Transparenz der Förderentscheidungen
Um Konkurrenzen und Barrieren zwischen potentiellen Kooperationspartnern der NWS von
vornherein zu verhindern und optimale Ausgangsbedingungen für Projektarbeit zu schaffen,
ist neben dieser Strategie auf größtmögliche Transparenz in den Förderentscheidungen zu
achten. Dieser Aspekt kann insbesondere für die Netzwerkstellen als bedeutsam erachtet
werden, da diese als langfristig angelegte Struktur explizit in einem begrenzten lokalen Wirkungsbereich agieren sollen und die Konstellationen vor Ort entsprechend günstig gewählt
werden sollten.
Die durch die Förderpraxis entstandenen vier „Projekttypen“ sind in Bezug auf die Erfolgserwartungen und insbesondere in Anbetracht des Endes der (ohnehin um ein Jahr verkürzten)
Modellphase und die damit verbundenen unterschiedlichen Ko-Finanzierungschancen entsprechend gesondert zu betrachten.
Im folgenden werden im Anschluss an die durch die Implementation geschaffenen Faktoren
der Umsetzung, weitere allgemeine Rahmenbedingungen der Projektarbeit beschrieben, die in
unterschiedlicher Weise Auswirkung auf die zu leistenden Aufgaben haben.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
308
3 Rahmenbedingungen der Projektarbeit
Untersuchungsgegenstand
Gegenstand der Untersuchung sind diejenigen allgemeinen Einflussgrößen, die die Arbeit der
NWS in unterschiedlicher Weise begleitend beeinflussen. Hier geht es in erster Linie um
Bedingungen, die Auswirkungen auf Arbeitsweisen und -erfolge der NWS haben und die
damit für die Einschätzung der Projektarbeit relevant sind.
Fragestellung
Gefragt nach den Faktoren, die die Arbeit der NWS beeinflussen, wurden durch die Interviewten Projektmitarbeiter/innen Angaben zu unterschiedlichen Einflussfaktoren gemacht,
die sich in den Bereichen: strukturelle Defizite in den Sozialräumen und programmbegleitende Bedingungen der Arbeit bewegen. Diese beiden Bereiche sollen im Folgenden kurz umrissen werden.
Datengrundlage
Die Aussagen der interviewten Projektmitarbeiter/innen sowie (einzelner) externer Akteure
wurden in die Untersuchung einbezogen. Als für die Darstellung relevant erachtet wurden
diejenigen Themen, die von einer größeren Anzahl der Befragten benannt wurden, die sich
also als wichtige Einflussgrößen „durchziehen“.
3.1 Strukturelle Defizite in den Sozialräumen
Eine ausführliche Schilderung der Situation in den neuen Bundesländern erfolgt im Evaluationsbericht des Förderschwerpunktes der Mobilen Beratung. Die dort aufgezeigten Defizite
betreffen die Arbeit der NWS in ähnlicher Weise wie die der MBTs und sollen hier nicht
mehr ausführlicher thematisiert werden. Ebenso sollen die Bedingungen in den Kommunen
hinsichtlich des Vorhandenseins bzw. des Fehlens von Vernetzungsansätzen und lokalen
Diskursen an dieser Stelle nicht noch einmal genannt werden, da deren Auswirkungen auf die
Arbeit der NWS bereits in den vorangegangenen Kapiteln hinreichend ausgeführt wurden.
Gleiches gilt für die positiven Ressourcen und flankierenden Maßnahmen, die durch das CIVITAS-Programm zur Verfügung stehen und die im Kapitel „zur Implementation“ bereits
ausführlicher beschrieben wurden.
In den Interviews der Mitarbeiter/innen der NWS wurden über die genannten Einflussgrößen
hinaus verschiedene Faktoren benannt, die sich in drei Bereiche bündeln lassen:
•
Verlust/Wechsel von Kooperationspartnern,
•
finanzielle Situation in Kommunen
•
Themenpriorität.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
309
3.1.1 Verlust von Kooperationspartnern
Für NWS, die als wesentlichen Arbeitsauftrag die Gewährleistung von verbindlichen Kooperationsbeziehungen zu leisten haben, ist das „Wegbrechen“ von Kooperationspartnern bei
Trägern, aber auch z.B. in Verwaltungen durch die hohe Fluktuation der Personen ein großes
Problem. In den vorangegangenen Darstellungen und im „idealtypischen“ Vernetzungsansatz
(vgl. Kapitel 2) wurde mehrfach auf die Bedeutsamkeit der persönlichen Kontakte gerade für
die inhaltliche Arbeit zu den Themen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit bzw. Demokratieentwicklung hingewiesen. Der häufige Wechsel von Ansprechpartnern durch die Besetzung von für diese Arbeit wichtigen Positionen mit wechselnden ABM/SAM-Kräften, aber
auch durch die generelle Abwanderung von Personal aus den neuen Bundesländern, erschwert die Vernetzungsarbeit nicht unwesentlich.
„Das war ein Literaturprojekt was wir an Schulen durchgeführt haben. Das ist erstens an finanziellen Mitteln gescheitert und an der personellen Umsetzung. Weil bei uns in der Zeit
dann diverse Leute weg gebrochen wegen Arbeitsplatz, die dann in Westen gehen mussten zum
Arbeiten. Die waren ehrenamtlich da. Und Nachwuchs ist echt rar hier. Also wir sind im Moment drei Leute die den Verein betreiben. Die Netzwerkstelle und die Projekte und das ist
schon ganz schön heftig. Das war eigentlich der Hauptgrund. Also, personeller Mangel ist
immer. Wir müssen unsere Leute ranholen wie wir sie brauchen von außerhalb. Wir selber
können da nicht viel machen. Ich bin immer auf irgendwelche Referenten angewiesen und Unterstützung von andern Vereinen.“ (b-NWS 25, 274-282)
Die Ansatzpunkte der Vernetzung müssen – da sie in der Regel auf Freiwilligkeit und Interesse der Akteure beruhen und nicht institutionalisiert sind – immer wieder erneuert werden.
Unter solchen Umständen stellt sich die Frage der Verstetigung eines Netzwerkes im Grunde
kaum.
„Es gibt ein paar Punkte, die Schwierigkeiten darstellen, die sich auch ein bisschen zuspitzen.
Einmal sind das Initiativpartner, die es nicht mehr gibt, wo es Personenwechsel gibt oder wo
ganze Stellen wegbrechen, oder wo etwas aufgebaut ist, wo eine Beziehung da ist, und wo eine
Regelmäßigkeit da war, dass man sich getroffen hat, dass man Dinge vorbereitet und abgesprochen hat, dass man den Überblick über eine Region behalten hat. Das finde ich ein bisschen problematisch.“ (b- NWS 24, 385-391)
Durch die Freiwilligkeit der Kooperation zu diesen Themen und die nicht per se vorauszusetzende Zuständigkeit gebunden an die (Berufs-)Position der Akteure lässt sich nicht einmal
garantieren, dass nach einem solchen Wechsel die neuen Stelleninhaber bzw. Verantwortlichen als Kooperationspartner überhaupt zur Verfügung stehen. Damit droht nicht nur ein
Verlust von personengebundenem Know-how, sondern in erster Linie auch der häufige Verlust der entsprechenden Institution als Partner.
3.1.2 Finanzielle Situation in Kommunen
An diesen Befund schließt sich ein weiterer an, der die finanzielle Lage der Kommunen betrifft, die sich – in der Wahrnehmung der Mitarbeiter/innen - insbesondere in den Kürzungen
der Regelarbeit mit Jugendlichen niederschlägt (z.B. Schließung von Jugendeinrichtungen,
Mittelkürzungen, Stellenabbau). Da sich ein deutlicher Schwerpunkt gerade der präventiven
Arbeit der NWS auf die vorhandenen Strukturen der Jugendarbeit ausrichtet, sind die Folgen
für diese auch zu spüren:
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
310
„Und die bräuchten auch eigentlich etwas Anderes. Also das finde ich sehr problematisch. Also, ja, die Clubs werden entweder ganz geschlossen oder es werden ihnen die Mitarbeiter entzogen. Die Mitarbeiter, die in den Jugendclubs arbeiten, die arbeiten auf ABM und SAM und
rotieren irgendwie im Halbjahres- oder Jahresrhythmus. Damit kann man keine Jugendarbeit
machen! Damit kann man keine Perspektiven aufbauen.“ (b-NWS 3,315-326)
Unter solchen Bedingungen Netzwerke zu etablieren, in denen eine Stärkung von Akteuren
(z.B. durch Angebote der politischen Bildung mit Multiplikatoren) eine wichtige Tätigkeit ist,
scheint für die Umsetzenden nur schwer möglich, da die Kontinuität und damit die Voraussetzung für Nachhaltigkeit in den lokalen Strukturen oft gar nicht in der nötigen Form vorhanden ist.
Mitunter reagieren die NWS auf die wahrgenommenen Defizite und nehmen diese als konkrete Bedarfe auf, die bearbeitet werden müssen. Ein solches „Auffangen“ von Kooperationspartnern in der Jugendarbeit kann als sehr sinnvoll und angemessen eingeschätzt werden,
auch wenn sich damit nicht immer ein dezidierter thematischer Bezug zu den Themen des
CIVITAS-Programms verbinden lässt:
„Und ich versuche – sofern ich das kann - die Regelarbeit in irgendeiner Weise zu unterstützen. Ja klar, hier ist ein Jugendclub und wenn der Pech hat, ist das Personal nicht mehr da.
Damit werden alle Netzwerkstellen zu kämpfen haben, weil das ist nicht nachvollziehbar. Aber
das ist leider in allen Bereichen gleich. Also die Sonderprogramme gibt es eben nun mal. Die
muss man irgendwie beantragen und die Stellen schaffen oder man lässt es bleiben und die
Regelförderung wird eingestellt oder wird immer geringer. Deswegen, wenn diese Stelle hier
bestehen soll, muss sie auf jeden Fall Fundraising machen. Also das ist das Interesse natürlich der anderen Vereine. Also dass man Projekte hier hin holt, so dass sie ihre Strukturen irgendwie auffangen können.“ (b-NWS 9a, 581-590)
3.1.3 Themenpriorität
Mit den beschriebenen lokalen Rahmenbedingungen verbunden ist ein Faktor, der sich – gerade in den Regionen, in denen verschiedene Problemlagen (Arbeitslosigkeit, Abwanderung
etc.) kumulieren – ebenfalls erschwerend auf die Vernetzungsarbeit auswirkt. Insbesondere
das „Mobilisieren“ von Engagement für Demokratie und Toleranz konkurriert in solchen
Regionen mit Themen, denen von den meisten Akteuren Priorität in der Bearbeitung eingeräumt wird.
„(...) aber auch ganz stark natürlich auf Probleme, die dieses Land hat, außerhalb dieser
Frage. Also was auch Ursachen sind für Rechtsextremismus, Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Abwanderung, Auswanderung. Gerade ((Region)) ist ein Flächenlandkreis, wo die
Leute auswandern. Und das sind ja Probleme, die speziell die Träger hier eben viel mehr interessieren.“ (b-NWS 2, 106-113)
Ein externer Akteur (Mitarbeiter eines Vereins, der zur Thematik arbeitet) schildert dieses mit
der Depression einhergehende Problem der fehlenden Bereitschaft bzw. motivationaler Kapazitäten, sich mit entsprechenden Themen auseinander zu setzen. Die Frage ist, ob und wie es
gelingen kann, das zu bearbeitende Phänomen rechtsextremer Erscheinungen unter diesen
Umständen z.B. in die Bearbeitung der ohnehin anstehenden Strukturdefizite einzubauen.
„Im Moment gibt es nur ein Problembewusstsein für Arbeitslosigkeit. Und es gibt die Tendenz
sozusagen monokausal alle gesellschaftlichen Probleme aus der Arbeitslosigkeit zu erklären.
Also eine gängige Argumentation ist, wenn die Jugendlichen Arbeit hätten, dann würden sie
auch nicht so einen Unsinn machen. Der Zentralfokus liegt also auf der Arbeitslosigkeit. Das
ist auch verständlich bei der Arbeitslosenquote. Es gibt eine Sensibilisierung für das Thema
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
311
Rechtsextremismus, aber nicht im Sinne einer politisch – ideologischen Auseinandersetzung
mit dem Thema, sondern im Sinne einer Auseinandersetzung mit der Phänomenologie des
Themas. Das heißt und bedeutet eben auch dann, dass eine öffentliche Auseinandersetzung mit
dem Thema nicht kontinuierlich geleistet wird, weil die motivationale Lage sich damit auseinander zu setzen, ereignisgebunden ist. Das heißt also, wenn es mal wieder ein rechtes Konzert
etc. gab oder wenn Ausländer verprügelt worden sind, gibt es eine ereignisbezogene Auseinandersetzung mit dem Thema. Und das hat auch damit was zu tun, dass es sozusagen ein
„Luxus“ ist, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, wenn gleichzeitig die Situation ist, dass
Jugendeinrichtungen gestrichen werden, dass die Infrastruktur immer schwächer wird, das
wir auch in dieser Region darüber nachdenken müssen, wie denn qualifizierbare Jugendarbeit
stattfindet, wenn ein Grossteil der Jugendarbeit nicht mal mehr über ABM finanziert werden
kann, weil das ja wegbricht. Das sind die eigentlichen Themen die dahinter stehen. Und da ist
sozusagen die Motivation, wir müssen uns mit Rechtsextremismus beschäftigen, nicht gerade
hoch.“ (c-ext-Exp, 109-125)
3.2 Programmbegleitende Rahmenbedingungen
Auf die von Projektmitarbeiter/innen als sehr positiv herausgestellten Rahmenbedingungen
des Programms, wie die Einrichtung der Koordinationsstelle, die Fortbildungsmöglichkeit
und die Sachmittelausstattung wurde bereits im vorangegangenen Kapitel eingegangen.
Hinsichtlich der programmbegleitenden Rahmenbedingungen, die die Projektarbeit erschweren, sind in den Interviews zwei Kernbereiche aufgefallen, die für die Umsetzung der Projektarbeit von Belang sind:
•
Administration/ Verwaltung
•
Förderzeiträume.
Beide Faktoren beeinflussen die Projektarbeit in mehrfacher Hinsicht und sollen darum im
Folgenden kurz beschrieben werden.
3.2.1 Administration/Verwaltung
Die Verwaltungsaufgaben wie Antragsstellung, Abrechnung, Dokumentation, die im Rahmen
der Projektdurchführung geleistet werden müssen, werden von den Befragten als normaler,
begleitender Aufwand verstanden. Während der Laufzeit der NWS, insbesondere aber im
Jahr 2003 werden die Veränderungen im Abrechnungswesen, das veränderte Antragsverfahren und die mehrfach zu stellenden Anträge als ein Verwaltungsaufwand beschrieben, der im
Rahmen der Ein-Personen-Stelle kaum noch bewältigt werden konnte. NWS verfügen nicht –
wie z.B. einige MBTs/OBS über Teamstrukturen, die (z.B. durch die Leitung oder eine Verwaltungskraft) die Mitarbeiter/innen entlasten. Weiterhin kann nicht jede NWS auf Strukturen beim Träger zurückgreifen, die solche Aufgaben übernehmen können. Für die NWS in
dieser Konstellation und in den entsprechenden Zeiträumen bedeutet der sehr hohe Verwaltungsaufwand eine Sperrung von inhaltlichen Kapazitäten in hohem Ausmaß.
Die Kommentare zum Antragswesen bzw. zum Verwaltungsaufwand betreffen nicht nur die
eigene Arbeitskapazität, sondern insbesondere auch das Werben für Neuanträge in den Regionen von kleineren Initiativen:
„Besser gesagt, es war so, wir haben November, Dezember einen Antrag für das gesamte Jahr
gestellt, dann Ende Dezember noch mal für die drei Monate extra, und dann kam plötzlich die
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
312
Nachricht, es gibt hier ein neues Antragsformular, das muss noch überarbeitet werden, das
hat sich Ewigkeiten hingezogen, und dann kam plötzlich dieses Teil, das war halt sehr ausführlich. Es ist auf jeden Fall ein Antrag, wo es sehr schwierig ist, gerade für Initiativen, die
ein kleines Projekt machen wollen, sich da durchzuarbeiten, ich denke, das schreckt sehr viele
ab. Ich hab das nun einmal gemacht, ich wäre gern bereit, für Antragsberatung in der Richtung, für sehr grobe Antragsberatung, aber dann in jeden Verein zu rennen und den zu ermutigen, einen CIVITAS-Antrag zu stellen, das wäre auf jeden Fall zu viel.“ (b-NWS 22, 604622)
Die Motivation, einen Antrag bei CIVITAS zu stellen, wird als sinkend beschrieben, da der
mit dem Antrag verbundene Aufwand potentielle Antragsteller, und gerade auch kleinere
Initiativen, Jugendgruppen und Träger abschreckt. Dies kann auch durch die Unterstützungsfunktion der NWS nicht ohne weiteres kompensiert werden:
„Und zum anderen sind die halt erschlagen von der Antragstellung. Also das ist das andere,
wo man einfach nicht loslassen kann. Dann würden sie sagen: ‚Nein, wir machen es nicht.’
(...) Also zum Beispiel, wenn zwei Sachen, einmal das ((Maßnahme politische Bildung)) und
dann wollen wir so ein ((Training)) machen bei Jugendlichen. Und da habe ich halt nur angestoßen, weil jemand auf mich zu kam und auch Jugendliche selbst, also mit der Clique und so.
Ja und die trauen sich alle nicht, um sich zu wehren. Und noch ein anderer Fall war, von einem Träger, wo eben rechte Horden durch den Wald zogen. Und die hatten da ihr Pfadfindercamp und waren da völlig überfordert und auch mit den Kids, die Betreuer und auch die Jugendlichen damit umzugehen. Und da haben wir gesagt: ‚Okay, lasst uns doch so ein Bewusstseinstraining machen.’ Und da habe ich auch einen Träger gefunden, der auch wiederum mit seinen Leuten Bedarf hat, der das machen will. Und dann saß ich mit der da und habe
denen den Antrag erklärt, da sagt die: ’Das ist jetzt nicht Dein Ernst. Wie soll ich denn das
hier…?’ Ich sage: ‚Pass auf, da mache ich Dir schon ein Angebot, dass ich das hier mit ausfülle und dass wir jetzt mal am Computer das Teil durchgehen inhaltlich und was wir wissen,
schon reinklimpern.’ Ich sage: ‚Das müsstest Du eigentlich alles selber machen.’ Und da sagt
die: ‚Nee. Würde ich nicht machen. Dann würde es nicht stattfinden.’ Und ähnlich wird das in
einem andren Fall jetzt sein. Da ist das auch ((Verein)), Antiaggressionstraining. Die muss
man schon begleiten. Sonst machen die das nicht. Weil der Aufwand zu hoch ist.“ (b-NWS 13,
543-546; 546-573)
Ein Befragter regt zu diesem Punkt eine Trennung der Antragsverfahren zwischen mehrjährig
geförderten Projekten, wie den OBS, MBTs und NWS an, und Projekten mit kurzer Laufzeit
und geringem Volumen. Dadurch wäre es möglich, auch kurzfristig Projekte zu beantragen,
auf spontane Bedarfe und Ereignisse zu reagieren und so eine wichtige, niedrigschwellige
Unterstützungsfunktion des CIVITAS-Programms neben den auf Verstetigung angelegten
Projekten zu gewährleisten:
„Zum einen, ich mache das selber, diese ganzen Folgeanträge, finde es gut, dass sie den Antrag überarbeitet haben, weil ich denke, dass der Erstantrag einfach zu kompakt war, was ich
allerdings schon beim ersten Antrag und auch jetzt wieder sagen muss, ich hätte es für besser
gehalten, es zu trennen, für solche Langzeitprojekte einen Extraantrag zu machen gegenüber
Kurzzeitprojekten. Wenn ich mal sage, ich mache ein kleines Projekt oder eine Projektfahrt,
dass es dafür einen Antrag gibt, und dass man aber auf Langzeit, wie die Netzwerkstellen, die
Beratungsteams und so was, dass man da einen gesonderten Antrag macht. Dass es dafür einfach einen spezifischen Antrag gibt mit Dingen, die nur für Netzwerkstellen relevant sind. So
hab ich es empfunden, sowohl bei dem ersten, als auch bei dem zweiten.“ (b-NWS 20, 13861400)
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
313
3.2.2 Planungshorizont
In den Bereich der Rahmung des Programms fallen auch die Bedingungen, die sich aus der
Abhängigkeit des Programms und der Förderpraxis von der Verabschiedung des Bundeshaushaltes ergeben.
Als problematisch gerade auch hinsichtlich der geforderten Nachhaltigkeit bzw. Kontinuität
der Netzwerke wird von vielen Projekten der unklare Planungshorizont der Projektmitarbeiter/innen der NWS beschrieben. Die Situation im Frühsommer 2003 - nur für einen Zeitraum
von drei Monaten erfolgte eine Bewilligung der NWS; weiterhin musste ein Antrag für das
Restjahr gestellt werden – bedeutete für die NWS neben dem erwähnten Verwaltungsaufwand eine erhebliche Unsicherheit in Bezug auf die Weiterführung der begonnenen/initiierten
Projekte und auch der eigenen NWS. Von den Projektmitarbeiter/innen wird betont, dass
seriöse Planung von Maßnahmen, Projekten der NWS etc. immer nur so weit gehen kann,
wie die eigene Existenz überschaubar ist.
„Ich konnte dies Jahr noch gar nichts machen, weil ich noch gar kein Geld hab. Ich hab erst
seit 14 Tagen mein Lohn gekriegt endlich vom letzten halben Jahr. Ich hab ein halbes Jahr
bald ohne Geld gearbeitet. Na, ja ich hab jetzt drei Monate Vorschuss vom Verein gekriegt.
Die haben sie so lange Zeit gelassen mit den Anträgen, wie gesagt, ein elendes Hin und Her.
Dann war der Haushalt so spät verabschiedet. Ich habe Januar, Februar, März vom Verein
noch Vorschuss gekriegt und dann hab ich gewartet. Und Projektgelder kriegen wir jetzt
wahrscheinlich erst Anfang August. Projektmäßig hab ich im Moment eh nichts am laufen,
weil ich kein Geld hab. Wir haben Rechnungen auf momentan hier. Wo Projekte gelaufen
sind, die schon geplant waren, aber eben das Geld nicht da war. Die ich erst mal teilweise
privat vorfinanziert hab. (...)
Weil eben auch diverse Dinger rausgefallen sind, weil wir kein Geld hatten, die wir absagen
mussten. Zb. das Ding der (...) musst ich jetzt absagen, weil ich keine Zusage für sein Honorar
machen konnte. Den hatte wir eigentlich für den Oktober nach ((Stadt)) auch eine feste Zusage vom Management. Dann habe ich aber keine Zusage von CIVITAS gekriegt wegen Projektgeldern und da habe ich die absagen müssen. Weil die Verträge unterschrieben werden müssen zum bestimmten Datum.“ (b-NWS 25, 359-371)
Damit zusammen hing insbesondere die Tatsache, dass die Mitarbeiter/innen für den Zeitraum, in dem keine Mittel zugewiesen wurden, temporär entlassen werden mussten.
„Ja, das war halt das Schlechte, was ich schon angesprochen hab, wo halt wahrscheinlich
auch einige Vereine sehr zu knausern hatten, unser auch, dass uns seitens der Service-Stelle
gesagt wurde, dass spätestens Ende April das Geld da ist, dass bis spätestens Ende März der
Haushalt beschlossen ist, und dass dann die Bearbeitungszeit noch maximal einen Monat
geht. Und das war halt nicht der Fall, wir haben hier im Prinzip ein ganzes Vierteljahr ohne
einen Cent auskommen müssen.
Für die Netzwerkstelle haben wir gar nichts weiter ausgeben können. Der Verein hat erst mal
Schulden gemacht, bei der Krankenkasse, beim Finanzamt, die ganzen Stellen, alles, was mit
Lohn zusammenhängt, also mit der Personalstelle. Ansonsten konnte halt die ganze Zeit nichts
gekauft werden, was wir an Arbeitsmaterial gebraucht hätten. Und ich persönlich hatte drei
Monate kein Gehalt, ich habe meinen persönlichen Dispo-Kredit voll ausschöpfen müssen und
mir noch persönlich Geld organisieren müssen.“ (b-NWS 22, 629-650)
Die Auswirkungen dieser Latenzphase nicht nur auf die angeschobenen Prozesse vor Ort,
sondern auf die Motivation und Planungsmöglichkeiten der Mitarbeiter/innen der NWS werden als sehr bedrückend wahrgenommen. Eine gesicherte Perspektive über den Zeitraum von
mindestens drei Jahren wurde als Ausgangserwartung bei Stellenantritt von den meisten Mit-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
314
arbeiter/innen vorausgesetzt und auch als notwendig für die Erarbeitung von auf Verstetigung angelegten Netzwerken eingeschätzt.
„Ich hab die in Anspruch genommen letztes Jahr. Dieses Jahr eben noch nicht, weil ich echt
nicht eingesehen hab, dass ich ohne Bezahlung irgendwohin fahren soll. Ich war ja auch arbeitslos gemeldet zwischendurch trotz diesen Zuwendungsbescheiden. Weil es echt nicht mehr
ging. Und wenn das jetzt wieder los geht im September nach den Ferien bin ich auf jeden Fall
wieder dabei.“ (b-NWS 25, 508-511)
„Wenn wir uns darüber einig sind, dass das Entscheidende ist, also das ist unsere Aufgabe,
das sollen wir machen oder da sollen wir zumindest etwas anstoßen oder sollen wir Rücklauf
geben, Feedback usw. Aber können wir das tun? Erstens, wenn wir alleine sind, zweitens,
wenn wir unter permanenten materiellen Druck stehen und zum Teil auch existenziellen
Druck. Für uns heißt es: Überleben wir dieses Jahr oder überleben wir es nicht.“ (b-NWS 19,
975-983)
„Nur halt eine zeitliche Dimension, die halt einfach mehr ermöglicht. Also wenn ich am 1.5.,
wenn ich anfange weiß, dass ich bis Ende 2003 sicher finanziert bin, habe ich anderthalb Jahre, ein bisschen länger sogar, in denen ich halt was aufbauen. Wenn ich aber weiß, es geht bis
Ende des Jahres, O.K., dann geht es wahrscheinlich weiter oder vielleicht nicht, dann geht es
bis 31.3. weiter und dann geht es vielleicht weiter. Das ist immer so eine Sache, um eine Kontinuität zu sichern.“ (b-NWS 10, 827-832)
Neben der Unzufriedenheit mit den verwaltungstechnischen Abläufen dürfte die erwerbsbiographische Unsicherheit der Stellen der Hauptgrund für die erheblichen Fluktuationen bei den
Mitarbeiter/innen der NWS darstellen. Bei den 25 NWS, die mit Personalmitteln ausgestattet
sind, wurden seit Beginn der Förderung (2002) insgesamt 9 Stellenaufgaben, davon allein 3
in einem NWS-Projekt, dokumentiert. Die Bereitschaft, unter solchen unsicheren Arbeitsbedingungen z.B. ein anderes Stellenangebot anzunehmen, dürfte entsprechend hoch sein. Auf
die Bedeutung personeller Kontinuität aufgrund der Relevanz persönlicher Beziehungen, der
Schaffung von Vertrauen und der Signalisierung von Verlässlichkeit gerade in Regionen, die
selbst stark von Abwanderung betroffen sind, wurde in den vorangegangenen Kapiteln mehrfach hingewiesen. Im folgenden Zitat wird dieses „Kontinuitätsgebot“ bei Netzwerkarbeit
von einem Projektmitarbeiter sowie die Konsequenzen seiner Missachtung noch einmal veranschaulicht.
„Von eins bis zehn, wenn zehn das Wichtigste ist, zehn. Der personelle Wechsel, der in anderen Netzwerkstellen passiert, ist eine Katastrophe, da bin ich mir ganz sicher, weil wir untereinander schon Probleme haben, die Personen haben überhaupt keine Zeit, sich einzuarbeiten. Und hier wäre das eine Katastrophe, weil die Leute einfach nicht ständig mit anderen
Leuten reden möchten, und die Einarbeitungszeit, wenn man nicht aus dem ((Region)) kommt,
ziemlich lang ist. (...) Aber eine komplette Neubesetzung würde auch bei denjenigen, mit denen wir kooperieren, auf absolutes Unverständnis stoßen. Es gibt sowieso schon so viele
Wechsel hier, wenn man dann ständig mit neuen Ansprechpartnern zu tun hat, ist das nicht
gut.“ (b-NWS 9F1, 162-173)
3.3 Zusammenfassung der Rahmenbedingungen
Aufgrund der ungünstigen allgemeinen Finanzlage in den Kommunen haben die NWS in
einem der Haupteinsatzgebiete, bei Trägern der Jugendarbeit, das Problem, auf Defizite in
den Regelstrukturen (Schließung von Jugendeinrichtungen, SAM/ABM etc.) reagieren bzw.
diese ein Stück weit kompensieren zu müssen.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
315
Wo von den lokalen Akteuren die Bearbeitung anderer Problemlagen (z.B. die hohe Arbeitslosigkeit) als drängender eingeschätzt wird, werden Themen wie Demokratieentwicklung und
Arbeit gegen Rechtsextremismus keine Priorität eingeräumt. Sie werden mitunter als „luxuriös“ bezeichnet und daher randständig behandelt.
Daran schließt sich das Problem der Fluktuation bei den Kooperationspartner/innen der NWS
aufgrund der Abwanderung bzw. der Stellenkürzung an, welches die Vernetzungsarbeit empfindlich erschwert. Dieses „Wegbrechen“ von Partner/innen in den Kommunen korreliert in
einigen Fällen mit der ebenfalls sehr hohen Fluktuation bei den Mitarbeiter/innen der NWS
(neun Stellenaufgaben).
Unsichere Planungshorizonte der Mitarbeiter/innen der NWS, teilweise Unterbrechungen der
Arbeitszyklen und ein Verwaltungsaufwand, der in intensiven Zeiten (Neuanträge, Abrechnung, Kofinanzierung) einen hohen Zeitanteil einnimmt, stellen keine günstigen Bedingungen dar, unter denen tragfähige, verbindliche Netzwerke etabliert werden können.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
316
4 Zum Konzept der Netzwerkstellen auf theoretischer
Grundlage
Untersuchungsgegenstand
Wie bereits beschrieben, steht die Evaluation der Netzwerkstellen vor dem Problem, kein
ausformuliertes „Modell“ als Basis eines Ziel-Umsetzungsabgleiches heranziehen zu können.
Im Wesentlichen bleibt unklar, an welchem Konzept, konkreten Zielgruppen und Arbeitsaufträgen sich dieser Projekttypus orientiert. Die Operationalisierung von Zielen und die Herausarbeitung eines idealtypischen Netzwerkansatzes kann daher zunächst nur theoretisch
anhand bereits existierender, ähnlicher Projekte und deren Anlage erfolgen. Dies erscheint
sinnvoll, da die Aussagekraft der Gesamt-Evaluation der Netzwerkstellen über die beschriebenen fünf Untersuchungsphasen ohne das Anlegen eines „Maßstabes“ letztendlich nicht
über eine Beschreibung entstandener Einzel-Konzepte hinausgelangen könnte. Der „Abgleich“ zwischen dem hergeleiteten idealtypischen Ansatz und der Projektpraxis fließt begleitend in die Beschreibung und Einschätzung der Umsetzungspraxis ein.
Fragestellung
Im Vergleich mit den von CIVITAS geförderten Mobilen Beratungsteams und insbesondere
den Opferberatungen kann bei den Netzwerkstellen nicht auf Rahmen-Konzepte zurückgegriffen werden, die bei den beiden anderen Strukturprojektgruppen auch durch eine längerfristige diskursive Erarbeitung von Qualitätsstandards, durch Fachtagungen und Veröffentlichungen zum jeweiligen Schwerpunkt in ausführlicherer Form Anhaltspunkte zur Entwicklung der Modellphase liefern.
Als Hauptfragestellung interessiert in diesem Teil der Evaluation demnach die Besonderheit
des Ansatzes der CIVITAS-Netzwerkstellen im Vergleich zu anderen Netzwerkprojekten/ansätzen gemessen an den zur Verfügung stehenden Ressourcen, den sozialräumlichen
Vorraussetzungen und dem thematischen Anspruch des CIVITAS-Programms.
Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, einen direkten Vergleich der Potenziale von Netzwerken unterschiedlicher Programme darzustellen, sondern vielmehr die Ausrichtung und die
programmatischen Vorgaben, d.h. die Zielbestimmungen und Voraussetzungen der Vernetzungsarbeit kenntlich zu machen.
Gefragt wird nach:
•
(Vor-)Bedingungen des zu schaffenden Netzwerkes,
•
Funktion und programmatischer Rahmung des Netzwerkes (Aufgaben, Zielgruppen
etc.)
•
Funktion der Person im Netzwerk
•
Sozialräumlichen Bedingungen.
Ziel ist die Erarbeitung der besonderen Potenziale der CIVITAS-Netzwerkstellen durch Einbezug der zur Verfügung gestellten Ressourcen und die Interpretation des in den Leitlinien
angerissenen und den Interviews mit Programmentscheidenden und – umsetzenden konkreti-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
317
sierten Auftrages. In Form der Ausarbeitung eines idealtypischen Netzwerkansatzes wurde
versucht, Anlage, Potenzial und Ausrichtung der CIVITAS-Netzwerkstellen als ein zur Einschätzung der praktischen Umsetzung der NWS-Tätigkeiten taugliches Referenzsystem zur
Verfügung zu stellen.
Datengrundlage
Ausgangspunkt der (kurzgefassten) Konzept-Betrachtung auf der Basis der Leitlinien sollen
demnach zunächst vergleichbare Projekte anderer Programme sein, die bei ähnlichen, wenn
auch nicht identischen, inhaltlichen Schwerpunksetzungen den zentralen Focus auf Vernetzungsprozesse – also die Verdichtung von Strukturen und das Herausarbeiten und Qualifizieren von Kooperationsbeziehungen und deren Bedingungen legen. Über diese eher „technischen/mechanischen“ Aspekte hinaus, soll anhand von weiteren Vergleichen der Schwerpunkt auf das Grundverständnis der Genese von lokalen, weitgehend selbstbestimmten Netzwerken, hier insbesondere des „bürgerschaftlichen Engagements“ gelegt werden, da gerade
dieses Verständnis dem von CIVITAS favorisierten „zivilgesellschaftlichen“ Anspruch am
ehesten entspricht.
4.1 Die CIVITAS-Netzwerkstellen im Vergleich zu anderen
Netzwerkprojekten
Zunächst sei bei der Betrachtung auf einen Netzwerk-Ansatz verwiesen, der sowohl die Akteure und die Art der Kooperationen, als auch deren Inhalte in stärkerem Maße programmatisch vorstrukturiert, als das beim CIVITAS-Programm erfolgt (erfolgen kann). Im Rahmen
des CIVITAS-Programms für die neuen Länder, kann nur wenig konkret definiert werden,
auf welche konkrete lokale Situation sowie auf welchen Aktionsradius sich das implizierte
Defizit an Kooperationsbeziehungen bezieht.
Der Entwicklung von Netzwerken sozialer Kooperation wird im Rahmen des BundesModellprogrammes „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“
(E&C), das sich auf das Partnerprogramm „Soziale Stadt“ bezieht und deren Entwicklung
durch das DJI München wissenschaftlich begleitet wird, besonderes Gewicht beigemessen.
Obgleich der Bereich der zu vernetzenden Institutionen weit gefasst ist, neben Ämtern, formalisierten Einrichtungen sozialer Dienstleistungen und öffentlichen und freien Trägern der
Jugendhilfe werden auch „wenig bis gar nicht formalisierte soziale Gebilde“ (DJI 2002: 13)
wie Runde Tische oder Bürgerinitiativen einbezogen, ist die Kernstruktur des Netzwerkes6
stark professionsbezogen orientiert. Die Bewerbung von „Gebieten“ und die Anbindung bzw.
regionale Steuerung der jeweiligen Programme an und durch etablierte Stellen stellt – ebenso
wie der einer Problemdefinition für das Gebiet vorausgehende Konsens über die Notwendig-
6
Netzwerke werden von den Autor/innen nach Kodorff (u.a. 1998) verstanden als „durch Kooperationen von professionellen oder politischen Akteuren geschaffene Strukturen“ (vgl. DJI 2002: 14). Diese
Definition soll im Folgenden auch für den vorliegenden Bericht gebraucht werden, da hier zunächst
sowohl die Zielgruppen der Vernetzung als auch die Qualität der Bindungen begrifflich offen gehalten
wird.
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
318
keit von Interventionen - einen Kernbereich von institutionsgebundenen Kooperationsbezügen voran, die durch geschaffene „zuständige“ Strukturen (z.B. Stadtteil-Management) ergänzt werden können. Bürgerengagement bzw. bestehende Bürger-Netze können darüber
hinaus als wesentlicher Teil der Interventionsstrategie in die bestehenden Netzwerkstrukturen
einbezogen werden. Sowohl die langfristigen Ziele der Kooperationen (Leistungsbereiche)
und deren Übersetzung in Maßnahmen als auch fixe „Knotenpunkte“ (beteiligte Akteure) im
Sozialraum erscheinen stark definiert und ermöglichen so (theoretisch) auch einen stringenten
Programmablauf. Entsprechende Vorgaben für die Qualifizierung und den Nachvollzug der
jeweiligen Konzepte (Evaluation, Dokumentation, fachlicher Austausch) sind vorgesehen
(vgl. als Beispiel „Netzwerkbildung im Quartier“ Dokumentation der Konferenz der Quartiersmanager/innen SPI 2002).
Ähnlich wie bei den E&C-Netzwerken sind auch die vom BMBF geförderten „Lernenden
Regionen – Förderung von Netzwerken“7 zum Lebenslangen Lernen von der Aufwendigkeit
der Anlage nicht mit den von CIVITAS geförderten Netzwerkstellen vergleichbar; interessant
sind jedoch die von diesem Programm vorgegeben „Mindestregelungen“ der Kooperationen.
Die Kooperationsvereinbarungen werden bei Antragsstellung so eingefordert, dass durch eine
genaue Aufschlüsselung der Aufgaben des Netzwerkes, der Rechte und Pflichten jedes Mitgliedes bis hin zur Regelung des Zugangs neuer Mitglieder bzw. der Beendigung der Mitgliedschaft die jeweiligen Aufgaben, rechtlichen Pflichten und Anteile aller Kooperationspartner/innen an der Arbeitsteilung verbindlich geregelt sind. Neben der stärkeren inhaltlichen Fokussierung auf den Bildungsbereich, unterscheidet sich dieser Ansatz insbesondere in
einem Bereich grundsätzlich von den CIVITAS geförderten Netzwerkstellen: die Netzwerke
sind auf der Grundlage professions- und institutionengebundener Ressourcen der jeweiligen
Einrichtung konstruiert und durch die beschriebenen Kooperationsregelungen weniger offen,
also in den Zugängen „exklusiver“.
Thematisch und auch strukturell ähnlich sind die von dem Aktionsprogramm entimon geförderten Netzwerkprojekte und die – seit 2002 ebenfalls über dieses Programm weitergeförderten - „Lokalen Aktionspläne für Toleranz und Demokratie“. Entimon fördert im Rahmen der
vorgesehenen Projekttypen ebenfalls die Einrichtung von Netzwerken, die auf lokaler Ebene
Kooperationsbeziehungen bzw. Partnerschaften verschiedener Akteure koordinieren sollen.
Die beiden Hauptzielgruppen der Netzwerk-Projekte sollen junge Menschen (Schüler/innen
gerade auch von Haupt- und Berufsschulen) sowie Multiplikator/innen sein. Weiterhin werden Erziehungsberechtigte, Migrant/innen sowie – in wenigen Fällen – auch rechtsextreme
Jugendliche als Zielgruppen benannt. Im Bericht der wissenschaftlichen Begleitung von entimon wird die zunehmende Vernetzung von kleineren Initiativen gerade mit regionalen und
überregionalen Jugendhilfestrukturen als zu begrüßende Entwicklung dokumentiert.
Wie konzeptionell vorgesehen arbeiten die Netzwerkprojekte überwiegend klientenzentriert,
d.h. sie bieten schnelle, unbürokratische Informationen in Form von Beratungen in den Institutionen vor Ort an (vgl. DJI 2001). Bei ähnlicher inhaltlicher Offenheit der Vernetzungskonzepte sind die von entimon geförderten Netzwerk-Projekte stärker auf Zielgruppen eingegrenzt und beziehen sich damit auch institutionell auf spezifischer zu benennende Akteure als
7
Vgl. http://www.dlr.de/PT/LernendeRegionen/regionen.htm
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
319
die CIVITAS-Netzwerkstellen. Thematisch und zielgruppespezifisch sind die von CIVITAS
geförderten NWS sehr nahe an den von entimon weitergeführten „Lokalen Aktionsplänen“,
deren Aufgabe in der Initiierung von Netzwerken und Kooperationsstrategien gegen Rechtsextremismus besteht. Diese beziehen sich im Unterschied zu CIVITAS-Projekten auf E&CGebiete und sind daher wohl eher in der Lage, auf die vorausgegangenen lokalen Diskurse
sowie an entsprechende Strukturen, Ansprechpartner und vor allem auch methodisches
Know-how zurückzugreifen (z.B. Zukunftswerkstätten mit lokalen Akteuren zur regionalen
Problem- und Bedarfsanalyse). Einen wichtigen konzeptionellen Unterschied zu den von
verschiedenen Trägern umgesetzten Lokalen Aktionsplänen macht bei den CIVITASNetzwerkstellen sicherlich die Förderung von Personalstellen, also das Freimachen von personellen Kapazitäten im Unterschied zur Vergabe von reinen Sachmitteln.
Der in den Leitlinien CIVITAS beschriebene Passus der Schaffung einer „lokalen Verantwortungsgemeinschaft“ rückt den Aufgabenbereich bzw. die Funktion der Netzwerkstellen in
konzeptionelle Nähe zum Ansatz des bürgerschaftlichen Engagements in „bürgerorientierten
Kommunen“ (vgl. Pröhl, Sinning, Nährlich 2002). In diesem Ansatz haben bürgerschaftliche
Zusammenschlüsse die Aufgabe, relativ unabhängig von staatlichem Handeln gesellschaftliche Funktionen zu übernehmen. Sie sind zu verstehen als politische Akteure, die „(...) zum
einen zwischen Lebenswelt und Gemeinwesen vermitteln, und zum anderen im Vergleich zu
Parteien vielfältigere Formen und Möglichkeiten bereithalten, sich behutsam und mit geringem Formalisierungsgrad dem politischen Engagement zu nähern.“ (Pröhl, Sinning und
Nährlich 2002: 30).
Solchen (ehrenamtlichen) Netzwerken wird eine Korrektivfunktion zwischen den nach verschiedenen Mechanismen funktionierenden gesellschaftlichen Bereichen zugeschrieben (vgl.
ebenda: 30). Der Aufbau einer „lokalen Verantwortungsgemeinschaft“ im Sinne eines Empfindens für Zuständigkeiten für die Lösung gesellschaftlicher Probleme ist bei den CIVITASNetzwerkstellen zwar zum Teil auf Institutionen (Kirche, Schule – siehe Leitlinie 2002) bezogen, richtet sich in diesem Verständnis aber, neben (Bürger-)Initiativen, eher an die dort
tätigen Einzel-Akteure und deren Bereitschaft, die institutionellen Ressourcen einem gemeinsamen Engagement zur Verfügung zu stellen. Im Sinne des „ermöglichenden Staates“ kann
eine Rolle der durch Bundesmittel geförderten Stellen das Bereitstellen der entsprechenden
Bedingungen für gesellschaftliches Engagement sein: „Der ermöglichende Staat“ sollte dabei
nicht nur darauf abzielen, Bürgerinnen und Bürger sowie gesellschaftliche Organisationen
von staatlicher Gängelung und bürokratischer Überregulierung zu befreien; er sollte auch die
Rahmenbedingungen für eine eigenverantwortliche Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben
verbessern.“ (Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ 2002:
18) Für die Netzwerkstellen ist in der Evaluation nach entsprechend bereitgestellten Potenzialen (z.B. Infrastruktur, Mittel, Arbeitskraft etc.) zu fragen.
Wenn der Ansatz „bürgerschaftliches Engagement“ sich auf die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung einerseits und selbstorganisiertem Bürgerengagement
andererseits bezieht, setzt insbesondere die zugeschriebene Vermittlungsfunktion eine gegenseitige Akzeptanz bzw. einen allgemeinen Konsens über die zu leistenden Aufgaben bzw. die
dazu angewandten Methoden voraus. Dies scheint auch im Konzept der Netzwerkstellen eine
Rolle zu spielen, die ja gerade unterschiedlichste gesellschaftliche Ebenen und Funktionsbereiche einbeziehen sollen. Hinsichtlich der bekannten sozialpolitischen Kontexte vor allem in
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
320
vielen ländlichen Regionen in den neuen Bundesländern kann ein solcher Konsens nicht per
se vorausgesetzt werden. Daraus ließe sich eine mögliche Aufgabe der Netzwerkstellen ableiten, Konsensbildung diplomatisch zu moderieren, aufrechtzuerhalten und ein handlungsfähiges interventionsfähiges Netzwerk zu bilden. Diese Funktion und das damit verbundene
Selbstverständnis der Projekte stellen einen deutlichen konzeptionellen Unterschied beispielsweise zu den Opferberatungsstellen dar, die konsequent die Perspektive bestimmter
Personengruppen einzunehmen haben. Die Frage, wie die Netzwerkstellen in welchen Konstellationen und Anbindungen eine solche anspruchsvolle Vermittlungsrolle einnehmen (können), soll eine zu klärende Frage bei der Evaluation darstellen (vgl. Kap. 6). Von Belang sollten diesbezüglich vor allem die persönlichen Kompetenzen der Mitarbeiter/innen sowie deren
Möglichkeiten und Bereitschaft sein, sich diplomatisch offen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu bewegen. Weiterhin existieren Indikatoren zur Beurteilung der Qualität von auf
bürgerschaftliche Beteiligung ausgerichteten Netzwerken, wie hier am Beispiel des von der
Bertelsmann als Wettbewerb ausgelobten „CIVITAS – Netzwerk bürgerorientierter Kommunen in Deutschland“ und der damit verbundenen Förderung von lokaler Anerkennungs- und
Beteiligungskultur dokumentiert wird:
Anerkennung:
•
„Marktplatz“ (Austausch von Erfahrungen, Projekten, Ergebnissen)
•
Lokale Analyse – Konfliktvermittlung
•
Grundsatzfragen thematisieren
•
Methoden erproben
•
Produkte erarbeiten
Ermöglichung:
•
Wertschätzung
•
Würdigung
•
Weiterbildung
Systemfaktoren:
•
Räume und Infrastruktur, Budget
•
Begleitung
•
Selbstorganisation
•
Wertschätzung durch Medien
•
Teilhabe an Dialogkultur
•
Lokale Bonussysteme schaffen
•
Weiterbildung durch Zertifizierung (vgl. Langfeld/Wezel/ Wolf 2002)
4.2 Zum theoretischen Ansatz der CIVITAS-NWS
Der CIVITAS-Ansatz für Netzwerke geht, in der Formulierung der Leitlinien, von zwei angenommenen Defiziten aus: ein Defizit im Kenntnisstand/in der Qualifikation von Akteuren
was die Thematik, die Ausprägung und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, Frem-
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
321
denfeindlichkeit und Antisemitismus betrifft, sowie von einem Defizit an (lokal gesteuerter)
Kooperation hinsichtlich der Planung und Begleitung von Interventionen zur Bearbeitung
dieser Themen.
Der CIVITAS-Ansatz legt dabei – im Vergleich z.B. mit E&C-Netzwerken - stärkere Gewichtung auf einen sehr offenen, wenig vordeterminierten und damit grundsätzlich niedrigschwelligen Zugang für verschiedenste potentielle Kooperationspartner/innen.8 Dem entspricht der starke Gemeinwesenbezug der Netzwerkstellen, deren Zielgruppen in allen Ebenen eines Sozialraumes agieren und die somit keinem bestimmten gesellschaftlichen Funktionsbereich explizit zugeordnet werden können9.
Das Prinzip der „Freiwilligkeit“ und Offenheit, auch bei den Lernenden Regionen in den
Leitlinien beschrieben, scheint bei CIVITAS in der Anlage konsequenter, obgleich die Zielstellung der Verbindlichkeit der Kooperationsbeziehungen ausdrücklich benannt wird. Auch
die Funktion des Netzwerkes, seine „Leistung“ - auch als Output zu beschreiben - ist bei CIVITAS, bis auf die Fortbildungs-, Informations- und allgemeine Unterstützungsfunktion von
örtlichen Initiativen/Akteuren weitgehend offen gehalten. Da die Netzwerkstellen nicht generell – wie die Netzwerkakteure des E&C Programms, oder wie bei den über entimon geförderten „Lokalen Aktionsplänen für Toleranz und Demokratie“ zu vermuten, auf die oben
beschriebenen „Strukturknoten“ zugreifen können, und auch der Konsens über die Notwendigkeit von Interventionen eines problemfokussiert-definierten Sozialraumes bei relevanten
Akteuren nicht in diesem Maß vorausgesetzt werden kann, ist der implizit vermittelte Auftrag
der Netzwerkstellen zunächst weniger „produktorientiert“. Er müsste beispielsweise – je nach
lokaler Situation – zunächst auch in der Lokalisierung von bereits aktiven sowie von relevanten Akteuren mit „Potenzial“ und der Mobilisierung dieser Akteure für Engagement innerhalb
der Thematik, als Ausgangsbasis für dann zu organisierende Interventionsstrategien bestehen.
Das Programm reagiert damit wohlmöglich auf ein generelles Problem bei der Bearbeitung
von Erscheinungsformen des Rechtsextremismus allgemein und beim zivilgesellschaftlichen
Ansatz im Besonderen: Abgesehen von staatlichen Exekutivorganen (Polizei), deren Handeln
auf den Bereich der rechtsextremen Straftaten ausgerichtet ist, ist es kaum möglich zu benennen, welche Akteure/Institutionen welche Ressourcen und Potenziale für die zur Auseinandersetzung mit rechtsextremer (Jugend)Kultur als notwendig erachtete Stärkung demokratischer Gegenkräfte besitzen.10 Diese Potenziale scheinen in diesem Verständnis nicht per se an
8
Auch die Netzwerkstellen haben den Anträgen Kooperationsvereinbarungen potent. Kooperationspartner beizulegen, diese beziehen sich oft auf die Erklärung der Kooperationsbereitschaft, weniger auf
arbeitsteilige Funktionsbeschreibungen.
9
Die Zielgruppen der Netzwerkstellen werden in der Leitlinie 2002 beispielhaft umrissen: Schulen,
Jugendhilfe, Kirche sowie das Gemeinwesen.
10
Vgl. CIVITAS Regionalkonferenz Sachsen-Anhalt in Wittenberg, Herbst 2002: In einem Workshop
wurde sich mit der Frage auseinander gesetzt: „Wer besetzt den sozialen Raum?“. Anwesende Wissenschaftler, Politiker und Praktiker versuchten abstrakt Akteure/Institutionen zu benennen, die in allen
Sozialräumen generell als „zuständig“ für eine Aktivierung von Gegenkultur zu definieren sind. Dieser
Versuch misslang; Ergebnis war die Einsicht, dass zwar bestimmte Institutionen bzw. gesellschaftliche
Funktionsbereiche generell entsprechende Potenziale besitzen (z.B. Verwaltungen, Vereine, Gewerbeverbände, Jugendeinrichtungen...) die Einflussmöglichkeiten dieser jedoch im jeweiligen Kontext sehr
CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen
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institutionali
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