Universität Bielefeld Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung Heinz Lynen von Berg Kerstin Palloks Johannes Vossen Bericht der wissenschaftlichen Begleitforschung über die Modellphase der Strukturprojekte des Programms „CIVITAS – initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern“ Gesamtverantwortung: Prof. Wilhelm Heitmeyer Berlin, November 2003 CIVITAS: Inhaltsverzeichnis I Inhaltsverzeichnis I Einleitung...................................................................................................................1 II Zum methodischen Vorgehen.................................................................................7 1 Gegenstand der Untersuchung ............................................................................................. 8 2 Untersuchungsaufbau und Datengrundlage ......................................................................... 9 3 Evaluation als System von Beschreibung und Beurteilung ............................................... 11 4 Begriffs- und Zeichenerklärung ......................................................................................... 21 III Statistisch-deskriptiver Überblick über die CIVITAS-Projekte .....................23 1 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den im Jahre 2002 geförderten Projekten ............... 24 2 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den Strukturprojekten und ihren Trägern ............... 40 IV A Mobile Beratung (von Heinz Lynen von Berg) 1 Gegenstand der Untersuchung ........................................................................................... 68 2 Regionale und lokale Rahmenbedingungen Mobiler Beratung ......................................... 75 3 Ansätze und Tätigkeiten Mobiler Beratungsteams ............................................................ 87 4 Vergleichende Fallbeschreibung zweier Beratungsprozesse ........................................... 137 5 Zusammenfassung und Resümee der Evaluierung der Mobilen Beratung ...................... 164 IV B Opferberatungsstellen (von Johannes Vossen) 1 Idealtypische Beschreibung der Opferberatungsstellen ................................................... 173 2 Methodisches Vorgehen................................................................................................... 178 3 Externe und interne Rahmenbedingungen ....................................................................... 182 4 Tätigkeitsfelder der Opferberatungsstellen ...................................................................... 190 5 Vergleich von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte ......................... 231 6 Zusammenfassende Bewertung der Opferberatungsstellen ............................................. 266 CIVITAS: Inhaltsverzeichnis II IV C Netzwerkstellen (von Kerstin Palloks) 1 Gegenstand der Untersuchung ......................................................................................... 274 2 Zur Implementation des neuen Förderschwerpunktes Netzwerkstellen ......................... 279 3 Rahmenbedingungen der Projektarbeit ............................................................................ 308 4 Zum Konzept der Netzwerkstellen auf theoretischer Grundlage ..................................... 316 5 Zu den Tätigkeitsbereichen der Netzwerkstellen ............................................................. 326 6 Vergleich zweier Netzwerkstellen unter Einbezug externer Akteure .............................. 385 7 Resümierende Schlussbetrachtung zur Evaluation der Netzwerkstellen ......................... 426 V Zusammenfassung und Resümee 1 Das Potenzial des CIVITAS-Programms......................................................................... 442 2 Rahmenbedingungen........................................................................................................ 443 3 Befunde aus den quantitativen Untersuchungen (Projektdatenbank, Trägerbefragung).. 446 4 Befunde aus der qualitativen Untersuchung der Strukturprojekte ................................... 447 5 Überblick über das Gesamtergebnis ................................................................................ 454 Literaturverzeichnis............................................................................................................... 459 CIVITAS: Einleitung 1 I. Einleitung Seit 2001 wird durch die Bundesregierung nach entsprechenden Beschlüssen des Deutschen Bundestages das Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ durchgeführt. Das Aktionsprogramm besteht aus den drei Teilprogrammen CIVITAS, entimon und Xenos, die im Zusammenwirken ihrer Interventionsansätze und pädagogischen Maßnahmen auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit und rechtsextremen Erscheinungen sowie auf eine nachhaltige Stärkung demokratischer Konfliktlösungskompetenzen und gesellschaftlichen Engagements zielen. Das CIVITAS-Programm hat in diesem Gesamtrahmen die Aufgabe, Maßnahmen zur Förderung von Zivilgesellschaft und Demokratie sowie zur Verbesserung der politischen Kultur in den neuen Bundesländern zu unterstützen. Zentrale Förderprinzipien sind dabei die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen im Gemeinwesen, die menschenrechtliche Grundorientierung, die Partizipation der Zielgruppen sowie die Nachhaltigkeit der Maßnahmen. Damit will das Programm insbesondere zur Eindämmung von Rechtsextremismus1, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus beitragen. Die wissenschaftliche Begleitung des CIVITAS-Programms wird seit August 2002 von einem Forschungsteam des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld durchgeführt. Bisher wurde dazu ein erster Zwischenbericht vorgelegt, der sich mit dem Problemhintergrund, dem Konzept und dem zivilgesellschaftlichen Ansatz des CIVITAS-Programms befasste (vgl. Vossen/Lynen von Berg/Palloks 2002). In ihm wurden sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Ausmaß rechtsextremer Orientierungen und Aktivitäten in den neuen Bundesländern zusammengefasst. Außerdem enthält der Bericht eine vergleichende Programmbeschreibung der drei Teilprogramme CIVITAS, entimon und Xenos und einen Überblick über den zivilgesellschaftlichen Ansatz als konzeptioneller Bezug in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Der vorliegende zweite Bericht schließt daran an und enthält die Beschreibung und Einschätzung der Projektarbeit innerhalb der drei Strukturprojektgruppen Mobile Beratungsteams (im folgenden abgekürzt „MBTs“), Opferberatungsstellen (im folgenden abgekürzt „OBS“) und Netzwerkstellen (im folgenden abgekürzt „NWS“) sowie die Zusammenführung der zentralen Ergebnisse der empirischen Erhebungen der Forschungsgruppe zur Modellphase des CIVITAS-Programms. Zum Aufbau des vorliegenden Berichts Dieser Bericht enthält die Ergebnisse der im Laufe des Jahres 2003 durchgeführten quantitativen und der qualitativen Erhebungen des Forschungsteams zur wissenschaftlichen Beglei1 „Rechtsextremismus“ ist ein problematischer „Sammelbegriff“, der verschiedene Ebenen (individuelle und gesellschaftliche) und Dimensionen umfasst, die nach Stöss von Einstellungen zu einzelnen Kategorien wie Anomie, Autoritarismus, Nationalismus, Ethnozentrismus (Rassismus, Wohlstandschauvinismus), Antisemitismus, NS-Sympathien über Verhalten (Wahlverhalten, Mitgliedschaft in Organisationen, Gewalttätigkeit, Protestverhalten) bis hin zu Institutionen (Parteien, Jugendorganisationen, Verbände, Medien/Verlage) und Bewegungen/Subkulturen sowie gesellschaftsgestaltenden Konzeptionen (Ideologien) reichen (vgl. Stöss 1994, 27). Auf diese Differenzierungen wird im Bericht verzichtet, da hier die Begriffsverwendungen der befragten Akteure wiedergegeben werden. CIVITAS: Einleitung 2 tung des CIVITAS-Programms. Der Hauptauftrag an das Forschungsteam bezog sich darauf, die Tätigkeiten und Vorgehensweisen der Strukturprojekte zu evaluieren, eine Evaluierung der das Programm umsetzenden Servicestelle war von Auftraggeberseite nicht vorgesehen. Ein einleitendes Methodenkapitel (Kap. II) informiert zunächst über den Gegenstand der Untersuchung, den Untersuchungsaufbau, die Datengrundlage und das diesem Bericht zugrundeliegende Verständnis von Evaluation als System der Beschreibung und Beurteilung. Dabei werden die für die Analyse der Strukturprojekte als ,roter Faden’ entwickelten Schlüsselkategorien „Sensibilisieren“, „Befähigen“, „Mobilisieren/Aktivieren“ und „Vernetzen“ eingeführt und erläutert. Dem schließt sich als erster empirischer Teil ein statistisch-deskriptiver Überblick über die im Rahmen des CIVITAS-Programms geförderten Träger der Strukturprojekte (MBT, OBS, NWS) an (Kap. III). Dieses Kapitel besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil informiert über die durch das CIVITAS-Programm im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte. Grundlage dieses Überblicks ist eine Sekundäranalyse von Daten der von der Servicestelle geführten Projektdatenbank, die rückwirkend für das Jahr 2002 erstattet wird und in die 394 Projekte eingingen. Die Ergebnisse beziehen sich auf die Trägerstruktur, die regionale Verteilung, Laufzeiten und Zielgruppen der Projekte sowie auf die geförderten Projekttypen bzw. -formate und Methodenansätze, wobei jeweils ein Vergleich zur Förderpraxis des entimonProgramms durchgeführt wurde. Der zweite Teil des statistisch-deskriptiven Überblicks zur Projektlandschaft bezieht sich auf die Strukturprojekte und fasst die Ergebnisse einer standardisierten Befragung der Träger dieser Strukturprojekte zusammen, die vom April bis Juni 2003 durchgeführt wurde und den damaligen Stand wiedergibt. Aus der Fülle der Ergebnisse werden zunächst ausgewählte Befunde zu den Trägern der Strukturprojekte vorgestellt, wobei ihre regionale Verteilung, ihre Mitarbeiterstruktur, ihr Budget sowie die Organisationsform und die inhaltliche Ausrichtung der Träger besondere Beachtung finden. Weitere Ergebnisse beziehen sich auf die Ressourcen, die von den Trägern den Strukturprojekten als Serviceleistungen zur Verfügung gestellt werden. Deren Untersuchung dient weiterhin als zusätzliche Informationsgrundlage und damit der Rahmung der im folgenden vorgestellten qualitativen Analysen. Im Mittelpunkt des vorliegenden Berichts stehen drei umfangreiche qualitative Einzeluntersuchungen zu den Strukturprojekten des CIVITAS-Programms: den Mobilen Beratungsteams, den Opferberatungsstellen und den Netzwerkstellen (Kap. IV, A-C). Als Verfasser/innen zeichnen Heinz Lynen von Berg für die Mobilen Beratungsteams, Johannes Vossen für die Opferberatungsstellen und Kerstin Palloks für die Netzwerkstellen verantwortlich. Der nicht unerhebliche Umfang dieser Einzeluntersuchungen erklärt sich aus der Tatsache, dass umfangreiches Interviewmaterial zur Verfügung stand und verarbeitet werden konnte. Die drei Einzelberichte wurden bewusst mit Interviewmaterial angereichert, auch um den Leser/innen2 die Projektpraxis plastisch vor Augen zu führen. Diese Einzeluntersuchungen werten die Ergebnisse der Modellphase dieser Strukturprojekte aus, die mit Ablauf des Jahres 2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und zur zusätzlichen Anonymisierung der Zitate wird in den Texten im Singular nur die maskuline Form verwendet, im Plural wird hingegen die feminine Schreibweise berücksichtigt. CIVITAS: Einleitung 3 2003 endet. Ziel der Untersuchung ist es, die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder, Ansätze, Methoden und Vorgehensweisen der drei Strukturprojekttypen zu beschreiben und dahingehend zu untersuchen, inwiefern diese zur Umsetzung der jeweiligen Aufträge geeignet sind. In den einzelnen Teiluntersuchungen wird zu Beginn die jeweilige Strukturprojektgruppe beschrieben und das methodische Vorgehen der Teiluntersuchung vorgestellt. Dem schließt sich bei Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen eine Beschreibung der Rahmenbedingungen für die Projekttätigkeit an. Im Mittelpunkt der Teiluntersuchungen steht eine ausführliche Beschreibung der Tätigkeiten von Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen. Diese wird durch einen Einzelfallvergleich vertieft, der bei den Mobilen Beratungsteams als Vergleich von zwei Beratungsfällen und bei den Opferberatungsstellen als Vergleich von zwei Kleinteams akzentuiert ist. Die Einzeluntersuchung zu den Mobilen Beratungsteams enthält zusätzlich ein Kapitel über die Ergebnisse der Projektarbeit in der Selbsteinschätzung der Mitarbeiter/innen. Abschließende Zusammenfassungen werten die Ergebnisse der Untersuchungen für die Modellphase aus und geben Anregungen zur Verbesserung der Projektarbeit. Eine besondere Stellung unter den Teiluntersuchungen nimmt die Evaluation der Netzwerkstellen ein (Kap IV C). Da die Netzwerkstellen zur Jahresmitte 2002 eingerichtet wurden, konnte auch deren Implementation untersucht werden. Außerdem wurde durch den Vergleich mit den Vernetzungskonzepten anderer Förderprogramme ein theoretisches Konzept für die Netzwerkstellen erarbeitet. Im Mittelpunkt auch dieser Teiluntersuchung steht nach einer Beschreibung der Rahmenbedingungen eine Untersuchung der Tätigkeiten dieser Strukturprojekte. Dabei mussten wegen der Heterogenität des Untersuchungsfeldes vier Untertypen von Netzwerkstellen gebildet werden, für die Tätigkeiten und methodisches Vorgehen jeweils getrennt beschrieben werden. Die Beschreibung und Analyse des Tätigkeitsbereichs wird durch eine vergleichende Untersuchung von zwei Netzwerkstellen desselben Typs abgerundet. Auch diese Teiluntersuchung wird durch ein Fazit abgeschlossen, in dem unter anderem die Ergebnisse der qualitativen Erhebungen zu Qualitätskriterien für die Tätigkeit von Netzwerkstellen verdichtet werden. Ein zusammenfassendes Schlusskapitel, das die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Untersuchungen auf Projektebene für das Gesamtprogramm auswertet, schließt den Bericht ab (Kap. V). An dieser Stelle werden die zentralen Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen zusammengeführt und zu einer abschließenden Einschätzung der Modellphase verdichtet. Angesichts des Umfangs des Berichts von über 450 Seiten sei auf die Teile hingewiesen, die einen schnellen Überblick über seine zentralen Ergebnisse ermöglichen. Es handelt sich zum einen um den statistisch-deskriptiven Überblick zu den Struktur- und Kleinprojekten, der die Ergebnisse der quantitativen Erhebungen bzw. Analysen enthält (Kap. III). Die Ergebnisse der qualitativen Untersuchungen zu den drei Strukturprojekttypen finden sich in den Zusammenfassungen zu den jeweiligen Teiluntersuchungen (Kap. IV A 5; IV B 6; IV C 7). In der abschließenden Gesamtzusammenfassung werden die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Erhebungen zusammengeführt und in ihrem Stellenwert für das Gesamtprogramm bewertet (Kap. V). CIVITAS: Einleitung 4 Tabelle 1: Zentrale Kapitel des vorliegenden Berichts Zivilgesellschaftliche III: Statistisch-deskriptiver Über- 1.8: Zusammenfassende Bewertung blick zu den Struktur- und zivil2.7: Strukturprojekte: Fazit gesellschaftlichen Projekten und ihren Trägern IV A: Mobile Beratungsteams IV B: Opferberatungsstellen IV C: Netzwerkstellen V: Zusammenfassung und Resümee Projekte: S. 35-39 2.7: Fazit zu den regionalen und lokalen Rahmenbedingungen Mobiler Beratung 3.1.4: Fazit zu den Ansätzen und Tätigkeiten Mobiler Beratungsteams 3.2.5: Fazit zu den Zielgruppen Mobiler Beratung 3.3.5: Fazit zum Rollen- und Selbstverständnis der MBTs 3.4.7: Fazit zu Vorgehen und Methoden Mobiler Beratung 3.5.7: Fazit zu Ergebnissen und Erfolgen Mobiler Beratung 4.4: Kontrastiver Fallvergleich und Fazit 5: Zusammenfassung und Resümee der Evaluierung der Mobilen Beratung 5.1.7: Zusammenfassender Vergleich der beiden Kleinteams 5.3: Zusammenfassende Beurteilung der Tätigkeit der beiden Kleinteams 6: Zusammenfassende Bewertung der CIVITAS-Opferberatungsstellen 2.8: Fazit zur Implementation der Netzwerkstellen 3.3: Zusammenfassung der Rahmenbedingungen 4.4: Fazit zum Konzept der Netzwerkstellen auf theoretischer Grundlage Typ I Neubau von Netzwerken Typ II Aufbau von Netzwerken Typ III Initiativ-Netzwerken Typ IV kommunale Netzwerke 6.3.3: Zusammenfassung und Fazit zur vergleichenden Beschreibung zweier Netzwerkstellen 7: Resümierende Schlussbetrachtung zur Evaluation der CIVITAS-Netzwerkstellen Zusammenfassung des Gesamtberichts S. 62-63 S. 86 S. 92-93 S. 97-98 S. 106 S. 122-123 S. 136 S. 160-163 S. 164-170 S. 240-241 S. 262-265 S. 266-270 S. 304-307 S. 314-315 S. 324-325 S. 345 S. 356 S. 372 S. 382 S. 422-425 S. 426-439 S. 441-457 Zum zivilgesellschaftlichen Rahmen des CIVITAS-Programms Zivilgesellschaft ist der Leitbegriff des CIVITAS-Programms. Doch wie oft bei derartigen Großbegriffen ist der Bedeutungsgehalt dieses Terminus’ vieldeutig. Fassen die einen den Ort CIVITAS: Einleitung 5 der Zivilgesellschaft als Raum des Bürgerengagements jenseits von Staat und Markt, wollen andere auch staatliche Institutionen als Bestandteil der Zivilgesellschaft anerkannt wissen. Wegen der Vieldeutigkeit des Begriffs sind zumindest drei Differenzierungen vorzunehmen. Zivilgesellschaft braucht stützende Strukturen, ist auf eine spezifische politische Kultur angewiesen und benötigt bestimmte Wertorientierungen zu ihrem Gelingen. Das CIVITAS-Programm möchte dazu beitragen, „zivilgesellschaftliche Strukturen im Gemeinwesen in den neuen Bundesländern aufzubauen, zu stärken, zu vernetzen und modellhaft weiter zu entwickeln“ (CIVITAS-Leitlinien 2003: 2). Dies ist um so wichtiger, weil von stützenden Strukturen für eine Zivilgesellschaft in den neuen Bundesländern noch nicht flächendeckend ausgegangen werden kann. Zum Beispiel fehlen weiterhin bestimmte staatliche Regelstrukturen (etwa ein flächendeckendes Netz von Ausländerbeauftragten) bzw. werden zur Zeit wieder reduziert (z.B. im Bereich der Jugendarbeit). Zivilgesellschaft benötigt aber nicht nur stützende Strukturen jenseits von Markt und Staat. Wesentlich ist, ob es gelingt, zentrale Postulate einer politischen Kultur gesellschaftlich zu verankern. So ist fraglich, ob die Marktmechanismen einer rabiaten Konkurrenz und ihre Auswirkung auf die sozialen Lebensumstände noch hinreichend Anerkennungspotentiale bereithalten, damit Menschen nicht andere abwerten, gewissermaßen Fremdenfeindlichkeit ein Mittel zur Selbstaufwertung wird. Es ist auch offen, ob staatliche Institutionen hinreichend in der Lage sind, die Opfer solcher Attitüden oder Verhaltensweisen gewissermaßen im gesellschaftlichen Alltag „vor Ort“ zu schützen und Hilfen zur Integration bereitzustellen. Es geht um nicht weniger als die Schaffung einer „demokratischen Atmosphäre“, also einer „politischen Kultur“, in der Selbstverständlichkeiten und Normalitätsstandards vorherrschen, die wenigstens zwei Kernelemente unserer Verfassung sichern: die Gleichwertigkeit von Menschen und ihre physische und psychische Unversehrtheit. Es wäre verkürzend, wenn ein „zivilgesellschaftliches“ Programm nur gegen die Gleichwertigkeit und Unversehrtheit verletzende oder gar zerstörende Fremdenfeindlichkeit und entsprechende Varianten von Rechtsextremismus ausgerichtet wäre; es muss sich zugleich für den Aufbau von Normalitätsstandards zivilen Zusammenlebens in einer „demokratischen Atmosphäre“ einsetzen. Nicht nur stützende Strukturen und eine demokratische politische Kultur sind Voraussetzungen für eine funktionierende Zivilgesellschaft. Mindestens ebenso wichtig sind grundlegende Wertorientierungen zur Regulierung von (gesellschaftlichen) Konflikten und Angelegenheiten, die unverzichtbare Vorbedingungen für die Verankerung einer Zivilgesellschaft darstellen. Konflikte sollten sowohl in größeren Kollektiven als auch zwischen Personen gewaltfrei ausgetragen werden. Verhandlungsprozesse und deliberative Formen der Behandlung von Themen und Interessen mit dem Ziel vernünftiger und sachorientierter Lösungen wären dabei ein anzustrebender Idealzustand. Dieser setzt einerseits ein hohes Maß an Selbstreflexivität und gegenseitigem Respekt voraus und gründet sich andererseits auf Lernprozesse, die solche Orientierungen freisetzen bzw. notwendig machen. Des weiteren sind hohe kommunikative Kompetenzen bzw. deren Entwicklung konstitutiv für zivilgesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Die Akzeptanz und Förderung von unterschiedlichen Meinungen sowie die Pluralität von Lebensstilen sind dabei grundlegend. Das heißt, Toleranz, die Akzeptanz und der (welt-)offene Umgang mit Differenzen jeder Art, Ambiguitätstoleranz und die Fähigkeit mit Ambivalenzen und Widersprüchen selbstreflexiv umzugehen, sind Eigenschaften und Ziele CIVITAS: Einleitung 6 einer Zivilgesellschaft, die sich auf universellen und uneingeschränkten Menschenrechten gründet. Das Konzept der Zivilgesellschaft richtet sich an breite Funktions- und Akteursgruppen mit gesellschaftlicher Deutungsmacht. Eine Begrenzung des konzeptionellen Rahmens beispielsweise auf Jugendförderung allein könnte die Breite des zivilgesellschaftlichen Ansatzes nicht hinreichend zur Geltung bringen. Jugendliche befinden sich in einer Übergangsphase, die gekennzeichnet ist von vielfältigen Statusunsicherheiten, geringem gesellschaftlichem Einfluss und niedriger Deutungsmacht. Allein schon deshalb ist eine breite Ansprache von stärker deutungsmächtigen Funktions- und Akteursgruppen bzw. Institutionen, wie Kirchen, Verbänden, Vereinigungen, kulturellen Einrichtungen, Bildungsträgern sowie Vereinen und selbstorganisierten Zusammenschlüssen und Interessengruppen notwendig, durch deren Aktivierung bürgerschaftliches Engagement auf eine breitere Grundlage gestellt werden könnte. Die Interventionspraxis gegen fremdenfeindliche Mentalitäten und rechtsextreme Aktivitäten ist immer im Kontext zweier Entwicklungslinien zu betrachten. Diese Interventionspraxis wird umso schwieriger, je komplexer und widersprüchlicher die rechtsextremen Entwicklungen einerseits und die gesellschaftlichen Reaktionen andererseits ausfallen. Es sind nicht nur die manifesten rechtsextremen Aktivitäten, die fremdenfeindlichen Attitüden und demokratiefeindlichen Haltungen, sondern auch das Problem eines sich abschirmenden „Normalitätspanzers“ zu beachten. Damit ist das Selbstbild einer „gesunden Normalität“ gemeint, die sich gegen alles Andersartige oder Fremde abschirmen will. Ein derartiger „Normalitätspanzer“ kann auch dazu führen, dass fremdenfeindliche Attitüden und rechtsextreme Gewalt sich um so eher ausbreiten können, je unspektakulärer dies geschieht, zumal wenn dies von der Öffentlichkeit weitgehend lakonisch ignoriert wird. Insofern muss von einer beunruhigenden Normalität gesprochen werden, die den Hintergrund der Interventionspraxis der CIVITASProjekte bildet. Aus diesen Rahmenbedingungen und Vorgaben erklärt sich der stark qualitative Zugriff der vorliegenden Untersuchung und ihre Konzentration auf die Mikroebene der Projekttätigkeit. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen demnach Projektgruppen und konkrete Einzelprojekte und ihre Mitarbeiter/innen und die Frage, wie sie unter den jeweiligen regional und lokal spezifischen Rahmenbedingungen die Vorgaben des CIVITAS-Programms interpretieren und umsetzen. Die Entstehung einer Zivilgesellschaft kann nicht erzwungen werden, auch ist realistisch nicht zu erwarten, dass ein derartiges Programm im Laufe weniger Jahre strukturelle Defizite beheben oder politische Einstellungen flächendeckend verändern kann. Das Problem wird sich auch nicht von selbst erledigen, sondern bedarf einer kontinuierlichen Aufmerksamkeit und Bearbeitung. Ralf Dahrendorf hat mit Blick auf die Transformation der realsozialistischen Gesellschaften Osteuropas in Demokratien festgestellt, der Aufbau einer Zivilgesellschaft dauere 60 Jahre. Von daher ist vor zu hohen Erwartungen und einer Überforderung, im übrigen auch einer Selbstüberforderung der Projekte zu warnen. Das CIVITAS-Programm ist das zur Zeit wohl ambitionierteste Großexperiment zur Förderung der Zivilgesellschaft. Daher lohnt ein Blick auf das Erreichte, und der vorliegende Bericht gibt einen empirisch gesättigten, detaillierten Einblick in die Projektpraxis sowie die Chancen und Risiken dieses Vorhabens. CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 7 II. Zum methodischen Vorgehen 1 Gegenstand der Untersuchung....................................................................................... 8 2 Untersuchungsaufbau und Datengrundlage................................................................. 9 3 Evaluation als System von Beschreibung und Beurteilung ....................................... 11 4 3.1 Methodisches Vorgehen.......................................................................................... 11 3.2 Schlüsselkategorien – das System der Beschreibung.............................................. 12 3.3 Evaluationskriterien - das System der Beurteilung ................................................. 15 Begriffs- und Zeichenerklärung................................................................................... 21 CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 8 1 Gegenstand der Untersuchung Gegenstand des vorliegenden Berichts ist der erste Teil der Evaluation im Rahmen des CIVITAS-Programms. Im Vordergrund der Analysen steht die Untersuchung der drei „Strukturprojektgruppen“ (Mobile Beratung, Opferberatung und Netzwerkstellen), deren Modellphase im Dezember des Jahres 2003 endet.1 Zum Abschluss dieser Modellphase sollen Aussagen über die Eignung der drei Interventionsansätze in Bezug auf den Auftrag des CIVITASProgramms sowie die (angenommenen) lokalen Bedarfslagen getroffen werden. Ziel der Untersuchung ist weiterhin, die unterschiedlichen Ansätze, Methoden und Vorgehensweisen der Projekte zu beschreiben und dahingehend zu untersuchen, inwiefern diese zur Umsetzung der Aufträge geeignet sind. Bei der Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen Interventionsansatzes wird weiterhin nach den externen Bedingungen gefragt, die die Arbeit der Projekte beeinflussen. Teil des Berichts ist weiterhin die Analyse der CIVITAS-Projektdatenbank. Diese Untersuchung ist nicht Teil der Aussagen zum Ende Modellphase der Strukturprojekte. Sie dient vielmehr der Beschreibung und tendenziellen Einschätzung der allgemeinen Förderpraxis in den anderen Förderschwerpunkten (2.3.1 Austausch und Vermittlung von Erfahrungen, 2.3.2 Stärkung einer demokratischen, gemeinwesenorientierten Gesamtkultur und 2.4 überregionale Modellprojekte) und soll Auskunft geben über die Gewichtung unterschiedlicher Projektansätze sowie über die Ziel- und Altersgruppen, die durch das CIVITAS-Programm 2002 erreicht wurden. 1 Die Modellphase der Projekte ist unterschiedlich lang; während diese für die meisten MBTs und OBTs zum Zeitpunkt des Berichts etwa 2 ¼ Jahre dauerte, war sie für die NWS verkürzt. Die NWS begannen ihre Arbeit in der Zeit zwischen Frühjahr und Herbst 2002, so dass die Modellphase nur 1 bis 1 ½ Jahre betrug. CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 9 2 Untersuchungsaufbau und Datengrundlage Die vorliegende Analyse gliedert sich in mehrere Elemente, deren Kernfragen, methodischer Ansatz und Datengrundlage in den im Bericht ausgewiesenen Kapiteln jeweils genauer beschrieben werden. Als Überblick sollen die einzelnen Untersuchungselemente im folgenden kurz vorgestellt werden. Der Untersuchungsaufbau lässt sich anhand der methodischen Zugriffsebenen beschreiben: Quantitative Erhebungsinstrumente und Auswertungsverfahren wurden bei der Analyse der Projektdatenbank und bei der Befragung der Träger der Strukturprojekte angewandt. Mit Hilfe von Sekundäranalysen der CIVITAS-Projektdatenbank wurden die Förderentscheidungen bzw. Projektbewilligungen des Förderjahres 2002 (auf der Basis eines an entimon angelehnten Kriterienrasters) daraufhin untersucht, welche Projekttypen und Methodenansätze unter den Projekten vertreten waren und welche Alters- und Zielgruppen angesprochen wurden. Die Befragung der Träger der 40 Strukturprojekte (Mobile Beratung, Opferberatung und Netzwerkstellen) erfolgte anhand eines teilstandardisierten Erhebungsinstrumentes, das sowohl über geschlossene als auch offene Antwortmöglichkeiten verfügt. Über die Befragung der Träger wurden u.a. objektive Daten zu den Trägern der Strukturprojekte und zur Anbindung an das CIVITAS-Programm, sowie Einschätzungen zur Projektumsetzung und zu den Einflussfaktoren dieser erhoben. Dieser Teil der Erhebung diente in erster Linie der Beschreibung der geförderten Trägerlandschaft und der zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie der Sammlung quantifizierbarer Informationen, die dann für die Beschreibung und Auswertung der Projektumsetzung als weitere Datengrundlage zur Verfügung standen. Qualitative Verfahren sind bei der Evaluation der drei Strukturprojektgruppen (Mobile Beratung, Opferberatung und Netzwerkstellen), zum Einsatz gekommen. Alle drei Untersuchungen sind, bezüglich der Forschungsfragen, der Untersuchungsansätze, der angewandten Methoden und des Samples in vergleichbarer Weise angelegt.2 Zentrales Element der drei Analysen bilden die Befragungen der Projektmitarbeiter/innen durch problemzentrierte Leitfadeninterviews, die im Grundbestand zentrale Forschungsfragen zu Zielstellungen und Zielgruppen, zu Art und Weise der Projektumsetzung sowie zu Rahmenbedingungen der Arbeit beinhalteten. Darüber hinaus wurden die Interviews so angelegt, dass gemäß des qualitativen Paradigmas genügend „Offenheit“ für die Relevanzsysteme der Befragten möglich war, um auch nicht vorab planbare Einflussgrößen der Projektpraxis erfassen zu können. Diese Interviews wurden entweder vor Ort, im Rahmen von Projektbesuchen oder durch telefonische Befragungen durchgeführt. „Externität“ als perspektivischer Wechsel in der Beschreibung und Einschätzung der Projektumsetzung wurde durch die Befragung externer Akteure bei der vergleichenden Analyse zweier Projekte bzw. Fallverläufe des jeweiligen Förderschwerpunktes als erste Resonanzerhebung einbezogen. Besuche der Projekte vor Ort sowie (teilweise) die Teilnahme/Begleitung 2 Bei der Evaluation der NWS wurden darüber hinaus weitere Methoden bzw. Zugriffsebenen einbezogen, da hier durch den späteren Eintritt dieses Förderschwerpunkts die Frage der Implementation als relevantes Forschungsfrage berücksichtigt werden konnte. CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 10 von Arbeitseinsätzen sowie die Durchführung von Folgeinterviews mit den zur vergleichenden Analyse ausgewählten Projekten ermöglichte einen tiefergehenden Einblick in Ansätze, Vorgehensweisen und lokale Rahmenbedingungen. Da bei jedem der drei Förderschwerpunkte spezifische Besonderheiten in der Komposition, den Teamstrukturen, der Ausarbeitung und den Arbeitsaufträgen zu beachten waren, wurden über diese vergleichbaren Verfahrensweisen hinaus jeweils weitere Erhebungsmethoden, wie z.B. Gruppendiskussionen oder Beobachtungen, angewandt. Für die resümierende Einschätzung zum Ende der Modellphase wurden schließlich die in den Einzelanalysen angefallenen „Schnittmengen“ der Ergebnisse destilliert und zusammengetragen. Ziel dieses Vorgehens war, eine über die einzelnen Förderschwerpunkte hinausweisende Abstrahierung der Ergebnisse zu ermöglichen und damit zu verallgemeinerbaren Aussagen zu gelangen. CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 11 3 Evaluation als System von Beschreibung und Beurteilung 3.1 Methodisches Vorgehen Das methodische Vorgehen im Feld, genauere Informationen zu den angewandten Erhebungsinstrumenten, Verfahrensweisen und zur Untersuchungsgruppe werden in den methodischen Kapiteln der Evaluationen der drei Strukturprojektgruppen für die jeweiligen Untersuchungsschritte weiter ausgeführt. Im Folgenden soll das allgemeine Vorgehen bei der Analyse der erhobenen Daten beschrieben werden sowie eine Einführung in das angewandte System der Beurteilung erfolgen. Die mit den Projektmitarbeiter/innen geführten problemzentrierten Interviews (vgl. Witzel 2000) wurden bereits im Forschungsprozess transkribiert und zur Analyse aufbereitet. Auf diese Weise war es möglich, das bestehende Fragegerüst um weitere Themen anzureichern, die in den ersten Interviews als für die Umsetzung relevante Faktoren von den Befragten selbst angesprochen wurden. Die Interviews wurden anhand von dazu erarbeiteten thematisch geordneten Kategoriensystemen kodiert und die Rohdaten der verschiedenen Interviews damit entsprechend systematisiert. Ebenso wie die Interviewleitfäden, bestanden auch die Auswertungskategorien aus einem Grundgerüst an thematischen Schwerpunkten, die sich aus den zentralen Forschungsfragen bzw. aus dem Evaluationsauftrag ergaben sowie aus Kategorien, die sich in der Rezeption der Interview- und Gesprächsprotokolle, also aus der Empirie ableiten ließen. Bei der theoretischen Kodierung des Materials wurde also eine Kombination aus subsumptiver und abduktiver (Kelle/Kluge 1999: 58) Kategorienbildung verfolgt. Es wurden also zunächst Kategorien auf der Grundlage von theoretischen Vorannahmen (Alltagskonzepten und abstrakten – also empirisch nicht gehaltvolle Theorien) gebildet, die dann bei analytischer Relevanz, die die Materialsichtung ergab, um weitere empirisch gehaltvolle ergänzt wurden. Aufgrund der begrenzten zeitlichen Ressourcen mussten die Kategoriensysteme überschaubar, die konkreten Verfahrensweisen der Auswertung effizient gehalten werden, damit das umfangreiche Datenmaterial in der zur Verfügung stehenden Zeit zu bewältigen war. Insgesamt wurde sich bei den Auswertungstechniken an dem von Becker/Geer (in Kelle/Kluge 1999) beschriebenen Vorgehen orientiert, die ein theoretisches Kodieren und eine anschließende synoptische Verknüpfung der einzelnen Rohdatenpassagen vorschlagen, die dann einer interpretativ vergleichenden Analyse zugeführt werden. Auf diese Weise ließen sich fallübergreifend zu den relevanten Bereichen die verschiedenen fallspezifischen Aussagen verknüpfen und zu einer allgemeinen Aussage verdichten. Weiterhin erfolgte zudem bei der Analyse der Interviews gleichzeitig ein permanenter Rückbezug auf die untersuchten Einzelfälle, so dass die spezifische Komposition z.B. eines einzelnen Projektansatzes ebenfalls nachvollzogen werden konnte. Die Auswertung verfolgte also (komprimiert) die Schritte: Systematisierung (und z.T. Selektierung) des Datenmaterials anhand relevanter Kategorien und Interpretation der Textstellen sowohl kontrastierend (Vergleich derselben Kategorien bei allen Interviews) als auch einzel- CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 12 fallbezogen. Um zu einer „Aussagequalität“ zu gelangen, die auch für die Rezipienten nachvollziehbar ist, wurden drei Möglichkeiten der Darstellung dieser Aussagen in den Untersuchungen in Anspruch genommen: Es wurde versucht, bei allen Aussagen zunächst das ganze Spektrum von unterschiedlichen Ausprägungen darzustellen, weiterhin wurde nach „gemeinsamen Schnittmengen“ gesucht, um zu verallgemeinerbaren Aussagen zu gelangen. Schließlich erfolgte eine Darstellung von „Ausreißern“, bzw. besonderen Ausprägungen eines Ansatzes oder einer Handlung die nur in (wenigen) Einzelfällen auftraten, und nicht verallgemeinert werden konnten. 3.2 Schlüsselkategorien – das System der Beschreibung Auch wenn auf eine genaue Darstellung der angewandten Kategoriensysteme verzichtet wird, sollen die für die Beschreibung und Einschätzung der Projektpraxis relevanten vier Hauptkategorien (im Folgenden „Schlüsselkategorien“) benannt und deren Herleitung und Nutzen kurz beschrieben werden. Bei der Genese der „Schlüsselkategorien“ wurde – wie bereits angedeutet – kein rein empirisch oder rein theoretischer Zugang gewählt, sondern vielmehr eine Mischform, die sich aus konzeptionellen Überlegungen über den Anspruch des CIVITAS-Programms im allgemeinen und den Rahmenauftrag der Strukturprojekte im Besonderen ergibt, sowie aus den ersten empirischen Ergebnissen, die sich aus der Projektpraxis ableiten ließen. Die so erhaltenen Schlüsselkategorien stellten demnach ein vorläufiges, da jederzeit modifizierbares, analytisches Gerüst dar, das eine Grundorientierung bei der Auswertung der Daten vorgab. Die Schlüsselkategorien stellen weiterhin eine (vorsichtige) Interpretation bzw. allgemeine, also nicht auf einen Förderschwerpunkt allein zutreffende, Operationalisierung der expliziten und impliziten Leitziele des CIVITAS-Programms und davon ableitbarer „Funktionsbereiche“ dar. Ergebnis war ein „Viersprung“, durch den eine erste (Vor)Strukturierung, also Systematisierung des Materials erreicht werden sollte, und der gleichzeitig als Beschreibungsmodell der Projekttätigkeiten geeignet war. Die Schlüsselkategorien „Sensibilisieren“, „Befähigen“, „Aktivieren/Mobilisieren“ und „Vernetzen/Interaktion“ beschreiben in ihrer Allgemeinheit sowie in ihrem inhaltlichen Zusammenhang den Rahmenauftrag, der durch das Programm beansprucht und für die Projektarbeit vorgesehen ist und gleichzeitig den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ bei der zu beschreibenden hauptsächlichen Tätigkeitsbereiche der Projekte. Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse auf der Analyseebene sicherzustellen, wurden die Schlüsselkategorien und die Wertedimensionen zunächst definiert, also inhaltlich unterfüttert. Eine trennscharfe Definition erschien hierbei allerdings nicht immer möglich, da sich die in den Kategorien dimensionierten Intentionen und Tätigkeiten gegenseitig bedingen, bzw. ineinander verschachtelt sind. An dieser Stelle soll die Beschreibung der „Alltagskonzepte“ bzw. der abstrakten Konzepte erfolgen, die der Systematisierung des Datenmaterials zugrunde lagen. Den Tätigkeiten vorgelagert wird zunächst eine wichtige Analysekategorie, die zur Einschätzung der Handlungspraxis der Strukturprojekte relevant ist: CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 13 Allgemeine Rahmenbedingungen Darunter sind diejenigen Bedingungen bzw. auch das Zusammenspiel der Bedingungen zu fassen, die Einfluss auf die Konzeption und Umsetzung der Projektpraxis haben. Zunächst spielen Rahmenbedingungen eine Rolle, durch die Handeln der Projekte und der lokalen Akteure dauerhaft beeinflusst bzw. beeinträchtigt werden. Hier sind vor allem Rahmenbedingungen der Regionen, also strukturelle Potentiale und Defizite im lokalen Kontext gemeint (z.B. hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung). Weiterhin sind insbesondere auch sogenannte „Gelegenheitsstrukturen“ (z.B. zufällige Ereignisse, Konstellationen, sekundäre Interessen etc.) zu fassen, durch die Handeln möglich oder beeinträchtig wird. Einen weiteren Bereich bilden programmbegleitende Determinanten, die als „flankierende Maßnahmen“ bzw. als administrativer Rahmen die Projektumsetzung determiniert. Generell ist bei den Rahmenbedingungen nicht nur nach den Einflussgrößen überhaupt zu fragen, sondern immer auch nach deren Folgen für die Projektarbeit. Im Folgenden werden die herausgearbeiteten Schlüsselkategorien beschrieben: Sensibilisierung Der Tätigkeitsbereich „Sensibilisierung“ fasst zunächst sehr allgemein die Schaffung von Aufmerksamkeit für einen Problemzusammenhang. Es geht also um eine Veränderung von Wahrnehmung bei unterschiedlichen Akteuren. Diese „Sensibilität“ soll dabei nicht nur in Bezug auf das Vorhandensein offensichtlicher rechtsextremer bzw. fremdenfeindlicher Phänomene erfolgen, sondern auch in Bezug auf die Notwendigkeit von Interventionen. Eine solche Wahrnehmungsänderung, als Prozess des Schaffens von Problembewusstsein, also Sensibilisierung bezüglich eines tatsächlichen Handlungsbedarfs, wird quasi als Voraussetzung für alle weiteren Interventionen eingeschätzt. Hierunter sind z.B. gezielte Kontaktaufnahmen und angeregte Diskurse zu fassen, aufsuchende Beratungsgespräche oder auch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen. Befähigung Diese wird ganz allgemein verstanden als Hilfe zur Selbsthilfe; es liegt also keine passive Konsumentenorientierung zugrunde, sondern der aktive Prozess einer dauerhaften Zustandsänderung. Die verschiedenen Akteure/Adressaten sollen in die Lage versetzt werden, ihre Interessen wahrzunehmen und Demokratie als eine Lebensform und Regelung von Konflikten und Interessen kennen und erfahren zu lernen, die auch ein „Mehr“ an Lebensqualität darstellt. Die Kategorie lässt sich in mindestens drei Bereiche aufsplitten: • Wissen • Kognitiver Kompetenzerwerb • Konkrete Techniken „Wissen“ bezeichnet dabei sowohl die Ebene der theoretischen Kenntnisse (zweckungebunden), als auch solche Kenntnisse, die quasi eine Vorstufe des Kompetenzerwerbs darstellen. CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 14 In den Bereich „Wissen“ fallen alle Ansätze/Maßnahmen, durch die bei einer Zielgruppe (politische Akteure, Jugendliche, Multiplikatoren etc.) eine Veränderung des Kenntnisstandes zu einem bestimmten Thema erfolgen soll. Es geht also im weitesten Sinne darum, Horizonte zu erweitern als Grundlage einer zu stärkenden Handlungskompetenz. In diesen Bereich fällt aber auch das Vermitteln von Informationen z.B. über Aktivitäten anderer Initiativen in der Kommune, andere Projekte, die zum Thema arbeiten etc. Kompetenzerwerb im Rahmen des CIVITAS-Programms bezeichnet zum einen den kognitiven, also intrapersonalen Prozess, bei dem unterschiedliche Zielgruppen in die Lage versetzt werden, selbst aktiv zu werden – also entweder bestimmte in der Praxis auftretende konkrete Probleme zu lösen, oder aber die Wahrnehmung/Reflexion (z.B. für mangelnde demokratische Aushandlungsformen) zu schärfen, also die eigene allgemeine Handlungsfähigkeit zu stärken. Dazu gehört als Voraussetzung für alle weiteren Prozesse insbesondere das Erkennen und nutzbar machen der eigenen Lösungskompetenzen. Dieses Aufdecken von Potenzialen bezieht sich insbesondere auf die Übertragung von bereits in anderen Alltagsbereichen angewandten Erfahrungs- und Handlungskompetenzen auf den Umgang mit spezifischen Problemlagen in der Thematik Rechtsextremismus. Weiterhin gehören in diesen Bereich aber auch (neben Ansätzen der Beratung und politischer Bildung) Kompetenzerwerb im Sinne des Erlernens konkreter Techniken (Ausbildungsaspekt), wie zum Beispiel Projektmanagement, Befähigung zur Öffentlichkeitsarbeit, Antragsstellung etc.. Ein „Sonderfall“ ist die Tätigkeit der Hilfe/Unterstützung zum Zweck der Aufrechterhaltung/Verbesserung der allgemeinen Lebensfähigkeit bzw. Lebensqualität bestimmter Personen und Gruppen. Auch wenn das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ nicht zugrunde liegt, erfolgt die Befähigung dieser Akteure im Hinblick auf die Schaffung der Grundlage zur Selbsthilfefähigkeit. Aktivierung/Mobilisierung CIVITAS setzt sich zum Ziel, möglichst viele Personen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten und Milieus, aus verschiedensten Berufssparten und Altersgruppen für eine Stärkung der Zivilgesellschaft, für demokratische Formen der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus anzusprechen. Aktivierung erfolgt in Hinblick auf demokratischen Konfliktlösung, zur Verantwortungsübernahme und Beteiligung. Hier geht es demnach im Gegensatz zur „Befähigung“ eher darum, Anreize für Engagement zu schaffen. Aktivierung kann auch bereits heißen, sich nicht durch rechtsextreme Erscheinungen, autoritäre Konfliktlösungsmuster die Lebensqualität „verderben“ zu lassen. Aktivierung heißt, sich einmischen, sich artikulieren, sich aktiv auseinandersetzen und dies mit möglichst vielen anderen Personen und Einrichtungen. Unter Mobilisierung sind Prozesse zu fassen, die zum einen Impulse in Richtung Teilnahme an Engagement bei einzelnen Akteuren, Institutionen oder Akteursgruppen bezeichnen, also quasi alle Formen des Anschubs und der Motivation von Akteuren, sich mit bestimmten Themen auseinander zu setzen, selbst aktiv zu werden etc.. CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 15 Einen weiteren Aspekt im Bereich „Mobilisierung“ macht die Ausweitung und die Stabilisierung der lokal initiierten Aktivitäten aus, also nachhaltige Mobilisierung bedeutet in diesem Sinne die Sicherung von inhaltlicher und struktureller Kontinuität z.B. von Projektarbeit, von Diskursen, von Beteiligung. Hierunter ist demnach auch die Sicherung finanzieller Kontinuität zu fassen. Vernetzung Das Herstellen von Kontakten, das Aufzeigen gegenseitiger Interessen und Handlungsressourcen sowie das Katalysieren von Kooperationen gehört zu diesem Tätigkeitsbereich. Die Vernetzung zielt dabei darauf, dass es nicht bei einmaligen und punktuellen Formen der Auseinandersetzung bleibt und jeder isoliert vorgeht. Es geht um eine auf Dauer gestellte (institutionalisierte) oder informelle Form des Informationsaustausches, der Zusammenführung und Bündelung von Wissen, Handlungskompetenzen und Ressourcen. Bei dem Aspekt der Vernetzung geht es also idealerweise um die Einrichtung von dauerhaften Strukturen. Diese sind vorerst nicht per se im Grade der Verbindlichkeit zu definieren (Institutionalisierungsprinzip), es geht hier vielmehr um das Ausschöpfen der Potentiale verschiedenster Akteure und Institutionen und in diesem Zusammenhang um Synergien, die z.B. durch Kooperationen entstehen. Diese Interaktionen können sich auch (sehr oberflächlich) im Bereich Informations- und Erfahrungsaustausch bewegen, es geht also zunächst um gegenseitige Bekanntheit, bzw. um die Bekanntheit der Ressourcen, Angebote, Möglichkeiten der jeweiligen Institutionen und Akteure. 3.3 Evaluationskriterien – das System der Beurteilung Nachdem nun das Vorgehen der Auswertung sowie das System der Beschreibung der qualitativen Daten umrissen wurde, soll nun – ebenfalls überblicksartig – das System der Beurteilung skizziert werden, das bei der vorliegenden Evaluation angewandt wurde. Wie bei der Erstellung von Erhebungs- und Auswertungsinstrumenten wurde auch bei der Festlegung von Beurteilungskriterien darauf geachtet, verschiedene Ebenen in diesen Prozess einzubeziehen. So ist das angewandte System der Beurteilung aus drei „Richtungen“ entstanden. a) Bei der präadaptiven Vorgehensweise (vgl. Grohmann 1997: 202) werden vor der Erhebung bereits bestimmte Urteils-Kriterien festgelegt, die sich auch im Design der Erhebungsinstrumente wiederfinden. Diese Urteilskriterien ergeben sich in der vorliegenden Untersuchung in erster Linie aus den expliziten und impliziten Programmzielen und derjenigen der einzelnen Förderschwerpunkte, zu denen Aussagen erarbeitet werden sollten. Die Schwierigkeit dabei ist – nicht nur bei der Evaluation dieses Programms – die wenig konkrete Ausformulierung der „weichen“ Ziele des Programms und auch der einzelnen Förderschwerpunkte (vgl. Kap. IV B 5.1.3, IV C 7.). „Die Begleitforschung hat sich in der Praxis jedoch nicht nur damit auseinander zu setzen, dass die Ziele eines Modellprojektes selten klar und eindeutig formuliert sind, und dass entsprechend keineswegs immer gewährleistet ist, dass nicht einzelne Teilziele in Widerspruch CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 16 zueinander geraten. Hinzu kommt, dass die explizit formulierten Ziele selten die einzigen sind, die im Rahmen eines Modellprojektes verfolgt werden: Sie werden oftmals ergänzt und überlagert durch verdeckte Ziele, d.h. durch solche Ziele, die zwar faktisch verfolgt, aber nirgends als solche deklariert werden.“ (Häußler u.a. in: Dietzel/Troschke 1988: 49) Diesen Weg allein zu wählen wäre also nicht unproblematisch gewesen, da zunächst entsprechende Interpretationsleistungen dieser „weichen“ Programmziele vollbracht werden müssen, die mitunter von der eigentlichen Projektpraxis und den dort zu leistenden Aufgaben/Anforderungen weit entfernt sind. Diese „Messlatte“ allein wäre demnach zu hoch und zu unspezifisch gewesen. So wurden Beurteilungskriterien aus dem Rahmenauftrag des Programms und aus der Projektpraxis zunächst auf der Grundlage der beschriebenen Schlüsselkategorien sowie aus zentralen, explizit formulierten Begriffen (Partizipation, Gemeinwesenorientierung/Intergenerativität und Nachhaltigkeit) operationalisiert. Da sich weiterhin konkrete „Erfolgsindikatoren“ aus Sicht der Projekte kaum ableiten ließen, bzw. diese den eigentlichen Arbeitsaufgaben, den lokalen Bedarfen etc. nicht automatisch gerecht werden, wurde zusätzlich ein weiterer Weg der Bildung von Urteilskriterien gewählt: b) Bei der interpretativen Vorgehensweise (Grohmann 1997: 202) werden die Kriterien quasi aus dem empirischen Material hergeleitet. Diese werden aus den Schnittmengen der Aussagen der Befragten sowie aus dem eigentlichen Prozess der Beurteilung selbst „evoziert“. Auf diese Weise können bspw. Definitionen von gelungener Projektumsetzung der Projektmitarbeiter/innen selbst oder aber Schilderungen über konkrete Einsatzverläufe dazu herangezogen werden, Strategien oder Ansätze nachzuvollziehen, die eine geglückte Umsetzung und eine mögliche Weiterführung des Einsatzes nahe legen. Als Schlüsselprinzip dieser Verfahrensweise kann – auch wenn es zunächst trivial klingt – das Plausibilitätsprinzip benannt werden. Auf diese Weise können extrinsische3, also (z.B. in der Perspektive externer Akteure) wahrnehmbare Dimensionen wie auch intrinsische Dimensionen, also der logischen Konsistenz von Projektansätzen, Methoden, Ansprachestrategien etc. auf ihre Stimmigkeit hin hinterfragt und aus dieser heraus Beurteilungskriterien gewonnen werden. c) Zusätzlich zu diesen beiden Verfahren der Herleitung werden als dritte Säule der Beurteilung Maßstäbe angelegt, die auf allgemein anerkannten bzw. in entsprechenden Fachkreisen entwickelten Standards beruhen. So wurden z.B. die Standards für Maßnahmen der politischen Bildung, der Netzwerkarbeit und der Beratungsarbeit insbesondere an das Rollenverständnis der Mitarbeiter/innen sowie an methodische Vorgehensweisen und die allgemeine „Fachlichkeit“ der Projekte angelegt. Es geht in diesem Beurteilungssystem also darum, die Qualität der Arbeit, auch unabhängig von definierbaren Erfolgen oder Misserfolgen zu beurteilen. Allein durch den Einbezug dieses Referenzsystems kann eine Einschätzung erfolgen, die über den unmittelbaren Projektauftrag hinaus ethische bzw. normative Dimensionen in die Evaluation einfließen lässt. 3 Die Termini „extrinsisch“ und „intrinsisch“ in Bezug auf eine methodische Vorgehensweise geht auf eine Unterscheidung von Evaluationsverfahren zurück, die von Scrivens (1967) zur Beurteilung von Curricular getroffen wurde. CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 17 „Der Erfolg und der Wert sozialpädagogischer Prozesse ist nicht ausschließlich an deren Resultaten erweisbar, sondern die Beschaffenheit und die Güte, also die Qualität des gesamten ‚Herstellungsprozesses’ muss in dem Prozess eine Rolle spielen: Die Handlungs- und Interaktionsformen, durch die Wirkungen erzielt werden sollen und tatsächlich hergestellt werden, sind erstens aus normativ-ethischen, zweitens aus empirischen und drittens aus organisatorischen Gründen für die Evaluation pädagogischen Handelns von Bedeutung.“ (Grohmann, 1997: 232) Insbesondere der von Grohmann unterschiedenen normativen Qualität der Handlungen und Prozesse sowie der Qualität der Verfahren wird bei der Beurteilung in dieser Evaluation entsprechendes Gewicht zugewiesen. Das Ziel der Evaluation in diesem Abschnitt besteht – wie der Weg zur Gewinnung der Aussagen – demnach nicht unbedingt darin, allgemeine Erfolge eines Förderschwerpunktes über deren „Effekte“ oder Wirkungen zu benennen. Vielmehr geht es darum, die Stimmigkeit der Konstruktion der von CIVITAS geförderten Strukturprojektgruppen in verschiedenen Konstellationen von lokalen Rahmenbedingungen, allgemeinen Aufträgen, Projektansätzen, angewandten Methoden, Rollenverständnissen zu beschreiben und abschließend zu beurteilen. Nicht die Ergebnisqualität ist in diesem Teil der Evaluation demnach von besonderem Interesse, sondern die Prozessqualität der Projektarbeit und deren Rahmung. Die Schlüsselkategorien „Sensibilisieren“, „Befähigen“, „Aktivieren/Mobilisieren“ und „Vernetzen“ – wie oben dargestellt - beziehen sich demnach nicht nur auf die vier Tätigkeiten als solche, in der sich die Projektarbeit abbildet. Es sind ihnen darüber hinaus Kriterien inhärent, die die Art und Weise der Umsetzung dieser Tätigkeiten in den Mittelpunkt der Analyse rücken. Ausgehend von den Zielstellungen des CIVITAS-Programms also den Inhalten der Arbeit und deren Operationalisierung durch die Projekte, sind vor allem die Mittel von Interesse, die zur Erreichung dieser Ziele von den Projekten gewählt und eingesetzt werden. In der Analyse geht es demnach vor allem um die Darstellung und Bewertung des Verhältnisses bzw. die interne Konsistenz von Inhalten und Formen. Setzt man den Anspruch der Entwicklung und Stärkung demokratischer (Aus-)Handlungsformen und -kompetenzen, also die „Demokratisierung“ im weitesten Sinne als allgemeinste Zielstellung des Programms fest, können dieser bestimmte Kriterien in Bezug auf die Inhalte, die Formen (der Vermittlung von Inhalten und Einbindung von Zielgruppen) sowie der „Expressivität“, also der gewählten Ausdrucks- und Umgangsformen zugewiesen werden, anhand derer sich die Umsetzung der Projektarbeit einschätzen lässt: Operationalisierte Ziele und Inhalte der Interventionen: • Selbstbestimmung und Emanzipation stärken • politische Mündigkeit/Demokratiefähigkeit stärken • Eigenkompetenzen stärken • Schutz von Bürgerrechten gewährleisten • Pluralität von Meinungen fördern CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen • 18 Toleranz fördern – Unterschiedlichkeit aushalten und anerkennen (Frustrationstoleranz und Ambiguitätstoleranz ausbauen) Für die gestellten Ziele sind – ausgehend von den expliziten Ansprüchen des CIVITASProgramms - bei der Umsetzung durch die Projekte insbesondere drei Begriffe zentral, die als Wertedimensionen in die Beurteilungskriterien eingeflossen sind: Partizipation (Beteiligungsorientierung) der Akteure sollte in allen Prozessen gewährleistet sein. Partizipation zeigt sich in der konsequenten Beteiligung von allen Beteiligten an Planung, Durchführung und Nachbereitung von Maßnahmen. Darüber hinaus umschreibt der Begriff vor allem die Gleichberechtigung aller Akteure in sämtlichen Prozessen. Schließlich kann Partizipation auch als Methode verstanden werden, bei der gleichberechtigter Einbezug nicht nur der Personen, sondern auch deren Relevanzsysteme, Problemdefinitionen und Lösungsansätze zuungunsten einer Überbetonung externer Fremdbestimmung gewährleistet bleibt. Die zweite zentrale Dimension bezeichnet die Gemeinwesenorientierung. Methoden und Ansätze werden so gewählt, dass die Zugänge für unterschiedlichste Akteursgruppen gewahrt bleiben bzw. ermöglicht werden. Eben dieses Prinzip wird angewandt auf ein definiertes soziales Gefüge: Idealerweise werden Interventionen a) grundsätzlich unter Beteiligung verschiedenerer gesellschaftlicher Gruppen geplant und durchgeführt, sie sollten demnach b) nicht exklusiv, sondern offen und flach hierarchisiert angelegt sein. „Denn ‚zivile Assoziationen’ haben immer auch eine mehr oder minder ausgeprägte Exklusivität und kennen mehr oder weniger sichtbare soziale Schließungsmechanismen, so dass die denkbare Vertrauensbildung innerhalb einer Assoziation außerhalb derselben zu Misstrauen führen kann.“ (Braun 2003: 16). Schließlich ist Nachhaltigkeit ebenfalls eine Kategorie der Prozessqualität, die bereits in der Anlage von Auseinandersetzungsprozessen und Maßnahmen berücksichtigt sein sollte. D.h. Interventionen sind in dem Fall als „gelungen“ zu bewerten, wenn sie intendiert auf Zeiträume über die aktuelle Situation hinaus wirken, bzw. Elemente beinhalten, die auf ein gemeinsam definiertes Ziel bzw. Zustand hinwirken, der dann wiederum durch ebenfalls vorgesehenen Elemente dieser Maßnahme dauerhaft erhalten werden müsste. Zu nennen wäre hier sicherlich noch der Multiplikationsaspekt als ein mögliches Nachhaltigkeits-Prinzip; also Interventionen, die sich nicht ausschließlich an Konsumenten richten, sondern diese so einbeziehen, dass sie den angestoßenen Prozess weitertragen können. Schließlich ist perspektivisch die Verselbständigung von Strukturen und Prozessen (Kooperationen, Interaktionszusammenhänge etc.) ebenso in der Anlage der Interventionen zu berücksichtigen. Um die in diesen drei Dimensionen einliegenden Ansprüche adäquat umsetzen zu können, bedarf es bestimmter Formen der Einbindung und Vermittlung: „Die Unterrichtsinhalte und die Unterrichtsformen der politischen Bildung sollten mit den Intentionen und Qualifikationszielen des so definierten Demokratie-Lernens konform gehen.“ (Himmelmann 2001: 16) CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 19 Organisationsprinzipien: • Freiwilligkeit der Akteure beachten • Zweckorientierung (Utilitarismus-Prinzip) beachten • Selbstorganisation befördern • Engagement ermöglichen, nicht erzwingen • Offenheit gegenüber allen Interessierten bzw. Zielgruppen Beratungsprinzipien und Formen der Vermittlung: • „Hilfe zur Selbsthilfe“ als methodisches Prinzip verkörpern • Vorhandene Potentiale sichtbar und nutzbar machen (Ressourcenorientierung) • „Überrumpelungsverbot“ und Kontroversitätsgebot beachten, Analyse- und Engagementfähigkeit stärken (zum Beutelsbacher Konsens vgl. Schiele/Schneider 1977) • auf die Selbstbestimmung und Persönlichkeitsrechte aller Akteure achten Die Projektmitarbeiter/innen haben im Rahmen ihrer Aufträge eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Die Wahl der Ausdrucks- und Umgangsformen sind dabei entscheidend für die Authentizität der Inhalte und die Akzeptanz der Formen. „Lernen durch ‚normativen Appell’ oder durch Lektüre theoretischer Texte kann Lernen durch ‚praktische Erfahrung’, Lernen in ‚konkreter Situation’ und Lernen am ‚Modell’ nicht ersetzen.“ (Himmelmann 2001:8) Die „Expressivitätskriterien“ werden in allen direkten oder indirekten Interaktionen der Projekte bzw. der Projektmitarbeiter/innen relevant, sind diese nicht adäquat zu den artikulierten Zielen bzw. angebotenen Werthaltungen, ist auch die Glaubwürdigkeit dieser Ansätze und damit deren Authentizität in Frage zu stellen. Rollenverständnis/“Haltungsprinzipien“ • Klientenorientierung konsequent wahren • Gleiche Distanz zu allen Akteuren wahren, Empathiefähigkeit • Zivile Formen der Austragung von Konflikten wählen • Selbstreflexivität und Bewusstsein über die eigene Vorbildfunktion • Flexibilität und auf den Einzelfall angemessene Reaktionsweisen Diskurs-/Interaktionsprinzipien: • Achtung der Meinungspluralität, gegenseitiger Respekt und Wertschätzung von Engagement • Vertrauensschutz gegenüber allen Akteuren • offener Umgang mit Differenzen jeder Art • Eine angemessene Gesprächskultur wahren, die Integration vielfältiger Werthaltungen ermöglicht und Ausgrenzung vermeidet CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 20 Im Folgenden werden die verwendeten Begriffe zur Beschreibung und Differenzierung der verschiedenen Projektarten und Programmebenen genannt und zugleich die für die Anonymisierung verwandten Codes vorgestellt. CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 21 4 Begriffs- und Zeichenerklärung Gruppe Bezeichnung Anonymisierung Ministerium, Leitung der beteiligten Stiftungen und Mitglieder des Programm-Beirates Programmentscheidende Ministerium/Stiftungen: a1 Beirat: a3 Programmumsetzende Servicestelle Koordinator/innen: Mitarbeiterinnen der Servicestelle und Koordinator/innen Projekte und deren Mitarbeiter/innen der Förderschwerpunkte: 2.1 (Mobile Beratungsteams), 2.2 (Beratung von Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten), 2.3.3 (Vernetzung des zivilgesellschaftlichen Engagements im Gemeinwesen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus) Projekte und deren Mitarbeiter/innen der Förderschwerpunkte: 2.3.1 (Austausch und Vermittlung von Erfahrungen), 2.3.2 (Stärkung einer demokratischen, gemeinwesenorientierten Gesamtkultur) und 2.4 (überregionale Modellprojekte) Personen, die in den Sozialräumen agieren, auf die sich die Arbeit der CIVITAS-Projekte bezieht (unter diese Bezeichnung fallen allgemein professionelle Mitarbeiter/innen z.B. von Jugendeinrichtungen, Verwaltungen, Schulen und ehrenamtliche Akteure, z.B. engagierte Privatpersonen oder engagierte Jugendliche) Personen, die über Fachwissen bezogen auf eine Strukturprojekt-Gruppe und/oder auf einen bestimmten Sozialraum/Region und/oder auf (sozialpädagogische) Interventionsansätze verfügen a2 a4 b-MBT Strukturprojekte b-OBS b-NWS Kleinprojekte Externe Akteure und Kooperationspartner z.B.: c-OBS 5 Koop 4 Externe Experten c-ext. Experten Leitung Fallvergleich/ Kleinteamvergleich Folgeinterview Gruppendiskussion z.B.: b-MBT IV L z.B.: b-NWS A oder b-OBS B z.B.: b-NWS 24 F 1 z.B.: b-MBT II L, GD 1 Weitere Codes: Teamstrukturen der Projekte Mitarbeiter/innen der Strukturprojekte bei den Fallvergleichen Mehrere Interviewzeitpunkte mit einem Projekt Verwandte Methode CIVITAS: Zum methodischen Vorgehen 22 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte III Statistisch-deskriptiver Überblick über Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 1 23 die Statistisch-deskriptiver Überblick zu den im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekten .................................................................................................... 24 1.1 Einleitung ................................................................................................................... 24 1.2 Die Träger der Projekte .............................................................................................. 25 1.3 Die regionale Verteilung der Projekte........................................................................ 25 1.4 Die Laufzeiten der Projekte........................................................................................ 30 1.5 Zielgruppen der Projekte............................................................................................ 31 1.5.1 Altersstruktur der Projektteilnehmer/innen ................................................................ 31 1.5.2 Besondere Zielgruppen .............................................................................................. 31 1.5.3 Zuordnung nach Schultypen....................................................................................... 32 1 1.6 Geförderte Projektformate und Projekttypen ............................................................. 33 1.7 Geförderte Methodenansätze...................................................................................... 34 1.8 Zusammenfassende Bewertung der Förderpraxis im Bereich der zivilgesellschaftlichen Projekte ........................................................................................................... 36 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den Strukturprojekten und ihren Trägern (von Helmut Tausendteufel) ........................................................................................... 40 2.1 Einleitung ................................................................................................................... 40 2.2 Die Träger der Strukturprojekte ................................................................................. 41 2.3 Ressourcen, die durch den Träger zur Verfügung gestellt werden ............................ 46 2.4 Zielgruppen und Methoden der Projekte.................................................................... 49 2.5 Lokale Rahmenbedingungen...................................................................................... 54 2.6 Tätigkeitsbereiche und damit verbundene Vorstellungen von Erfolg und Erfolgskriterien ...................................................................................................................... 58 2.7 Fazit............................................................................................................................ 62 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 24 1 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekten1 1.1 Einleitung Neben den Strukturprojekten Mobile Beratungsteams, Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen wurden im Jahre 2002 durch das CIVITAS-Programm 394 kleinere Projekte gefördert. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des CIVITAS-Programms war es daher notwendig, neben einer Beschreibung und Analyse der Arbeitsweise der Strukturprojekte einen Überblick über die Projektlandschaft des CIVITAS-Programms außerhalb der großen Förderschwerpunkte zu erhalten. Erkenntnisleitendes Interesse bei der Auswertung war die Frage, wie die in den Leitlinien für das Jahr 2002 festgelegten Grundsätze des CIVITAS-Programms sich in der Förderpraxis der Projekte mit den Schwerpunkten 1.2.3.1 „Austausch und Vermittlung von Erfahrungen“ (194 geförderte Projekte), 1.2.3.2 „Stärkung einer demokratischen, gemeinwesenorientierten Gesamtkultur“ (162 geförderte Projekte) und 1.2.4 „Förderung überregionaler Modellprojekte“ (38 geförderte Projekte) auswirkten. Untersucht wurden neben der Trägerstruktur die Projektlaufzeiten und die Zielgruppenstruktur der geförderten Projekte. Außerdem wird ein Überblick über die quantitative Verteilung von Projektformaten, Projekttypen und den methodischen Ansätzen, nach denen die geförderten Projekte angelegt sind, gegeben. Abschließend erfolgt auf dieser Basis eine Einschätzung der Förderpraxis des CIVITAS-Programms für das Jahr 2002 im Bereich der zivilgesellschaftlichen Projekte. Um die Förderpraxis im Rahmen des CIVITAS-Programms angemessen einschätzen zu können, liegt es nahe, die durch CIVITAS geförderte Projektlandschaft nicht isoliert zu betrachten. Daher wurde, wo dies sinnvoll war, eine Annäherung an die von der wissenschaftlichen Begleitung des entimon-Programms verwendeten Kategoriebildungen angestrebt, um einen Vergleich zur Förderpraxis bei entimon zu ermöglichen. Der folgende Überblick basiert auf einer Sekundäranalyse der von der Servicestelle des CIVITAS-Programms angelegten und zur Verfügung gestellten Projekt-Datenbank. Da ein Vergleich mit entimon beabsichtigt war und die vorliegende CIVITAS-Projektdatenbank zum Teil bei einer ganzen Reihe von Kategorien (beispielsweise bei den Altersgruppendefinitionen sowie der Einteilung in unterschiedliche Projekttypen und Projektansätze) von der im Rahmen der Auswertung des entimon-Programms erstellten Datenbank erheblich abwich, war eine Umorganisation des Datenbestands der CIVITAS-Projektdatenbank nötig. In diese wurden diejenigen Datensätze einbezogen, die Informationen zu den im Jahr 2002 im Rahmen des CIVITAS-Programms geförderten Projekten der Schwerpunkte „Austausch und Vermittlung von Erfahrungen“ (1.2.3.1), „Stärkung einer demokratischen, gemeinwesensorientierten Gesamtkultur“ (1.2.3.2) und „Förderung überregionaler Modellprojekte“ (1.2.4) enthalten. 1 Für den statistisch-deskriptiven Überblick diente eine Datenbankauswertung von Dennis Riffel als Grundlage. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 25 Nach eingehender Durchsicht des vorhandenen Datenbestands wurde für einige Teilbereiche der Datenbank ein neues Kategorienraster festgelegt. Wo dies möglich und sinnvoll war, geschah dies in Anlehnung an die Kategorien bei entimon. Besonders hilfreich waren dabei die von der Servicestelle angelegten Memofelder „Zielgruppen“ „Projektbeschreibung“ und „Ablehnungsgrund“, da diese Felder längere Projekt- und Zielgruppenbeschreibungen aus den Anträgen sowie eine Gesamteinschätzung des zu beurteilenden Projekts enthalten. Aufgrund dieser Memos war es möglich, neue Felder anzulegen und abzufragen. Die neuen Felder wurden mit Hilfe des Beschreibungsmoduls von Microsoft Access ausführlich dokumentiert. Durch die Auswertung der modifizierten CIVITAS-Projektdatenbank kann zwar die Förderpraxis im Rahmen des CIVITAS-Programms beschrieben werden, zur praktischen Arbeit auf der Projektebene sind jedoch keine Aussagen möglich, da die Informationen in der Datenbank lediglich auf den Absichtserklärungen der Antragstellenden beruhen und vor Projektbeginn eingereicht wurden. Ob die Maßnahme tatsächlich so stattfand, z. B. ob die vom Antragsteller anvisierte Zielgruppe überhaupt erreicht wurde, ließe sich methodisch nicht mit einer Datenbankanalyse, sondern zum Beispiel mit Interviews vor Ort klären. 1.2 Die Träger der Projekte Von den insgesamt 369 freien Trägern, die im Jahr 2002 Projekte im Rahmen von CIVITAS durchführten, waren 75% Vereine, Initiativen oder Arbeitskreise, 7% regionale oder überregionale Verbände, außerdem zu geringeren Teilen Kirchengemeinden und jüdische Gemeinden, Stiftungen und andere freie Träger. Bei entimon lag dagegen der Anteil von Vereinen und Initiativen nur bei 56%, während der Anteil von regionalen und überregionalen Verbänden mit 20% deutlich höher war als beim CIVITAS-Programm. Während im Falle der im Rahmen von entimon geförderten Projekte im Jahr 2002 14% von öffentlichen Institutionen wie zum Beispiel Jugendämtern, Stadtverwaltungen oder Schulen getragen wurden, waren bei CIVITAS nur 6% der Projektveranstalter öffentliche Träger. 1.3 Die regionale Verteilung der Projekte Auf der Basis der Angaben der Datenbank wurde eine Kartierung der Projektlandschaft nach Förderschwerpunkten und Fördersummen durchgeführt (vgl. Karten 1-5). Dabei wurden nur die fünf Flächenländer berücksichtigt, da wegen der Vielzahl der in Berlin geförderten Projekte eine Kartierung nicht möglich war. Es muß darauf hingewiesen werden, dass die in der Kartierung enthaltene regionale Verteilung auf der Basis der in der Projektdatenbank enthaltenen Angaben zu den Trägerstandorten bzw. den Orten der Antragstellung erstellt wurde und nicht die Projektorte wiedergibt, die aus der Datenbank nicht erhoben werden konnten. Die Karten zeigen daher kein realistisches Abbild der Projektlandschaft. Trotzdem werden zumindest Trends sichtbar. Die Auswertung ergibt eine deutliche Konzentration der geförderten Projekte auf die Städte, insbesondere auf die Großstädte bzw. Metropolen. Es sieht so aus, als sei in bestimmten städtisch verdichteten Regionen (Berlin, Großraum Dresden, Großraum Leipzig) die Förderung besonders dicht gewesen. Soweit aus der begrenzten Datenlage ersichtlich, waren in den Städten in der Regel auch die Projekte mit hohen Fördersummen konzentriert. In ländlichen Gebieten scheinen dagegen meist nur wenige Projekte angesiedelt gewesen zu sein. In bestimmten ländlich strukturierten Regionen (zum Beispiel südliches CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 26 Mecklenburg-Vorpommern und nördliches Sachsen-Anhalt) war eine nennenswerte Projektförderung anscheinend weitgehend nicht vorhanden. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 27 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 28 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 29 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 30 1.4 Die Laufzeiten der Projekte Betrachtet man die Laufzeiten der 394 im Jahr 2002 geförderten Projekte aus den Programmschwerpunkten 1.2.3.1, 1.2.3.2 und 1.2.4 , so bietet sich folgendes Bild: Tabelle 1: Die Laufzeiten der im Jahr 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte Laufzeiten Anzahl der Projekte bis zu 14 Tagen 31 (8%) von 2 Wochen bis zu 2 Monaten 85 (22%) von 2 bis 4 Monaten 103 (26%) von 4 bis 6 Monaten 47 (12%) von 6 bis 8 Monaten 43 (11%) von 8 bis 12 Monaten 38 (10%) 1 bis 2 Jahre 28 (7%) über 2 Jahre 19 (5%) Auffällig ist die hohe Anzahl kurzzeitiger Projekte. 8% der Projekte hatten eine Laufzeit von maximal 14 Tagen. Der überwiegende Teil dieser kurzfristigen Maßnahmen waren Aktionstage und interkulturelle Feste, die häufig nur ein Wochenende lang stattfanden. Sehr groß war auch die Anzahl der Projekte mit einer Laufzeit zwischen zwei Wochen und vier Monaten. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Laufzeiten der im Jahr 2002 geförderten CIVITAS-Projekte mit denen des Programms entimon vergleicht. Während die im Rahmen des entimon-Programms geförderten Projekte mit einer Laufzeit von bis zu zwei Monaten nur 9% der insgesamt von entimon geförderten Projekte ausmachen (vgl. Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 21), sind es bei den CIVITAS-Projekten 30%. Betrachtet man die Zahl der geförderten Projekte mit einer Laufzeit von unter einem halben Jahr bei beiden Programmen, so ergibt sich für das Programm entimon ein Anteil von 52%, während beim Programm CIVITAS 68% der geförderten Projekte nach einem halben Jahr endeten. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 31 1.5 Zielgruppen der Projekte 1.5.1 Altersstruktur der Projektteilnehmer/innen2 Betrachtet man zunächst die Projekte, die sich ausschließlich an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene richteten, so erhält man folgende Zahlen: Tabelle 2: Die Altersgruppenverteilung der im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte Altersgruppen Anzahl Kinder bis 12 Jahre 4 Jugendliche bis 18 Jahre 80 Junge Erwachsene ab 18 bis 27 1 Kinder und Jugendliche 23 Jugendliche und junge Erwachsene 75 Demnach richteten sich die Hälfte der auswertbaren Projekte nur an Personen unter 27 Jahren. Ausschließlich an die Zielgruppe der Erwachsenen richteten sich nur 8% der Projekte, zumeist Lehrer- und Multiplikatorenfortbildungen. 31% der Projekte richteten sich an mehrere Altersgruppen, das heißt, nicht nur Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene, sondern auch Erwachsene sollten an diesen Projekten beteiligt sein. 11% der Projekte wollten explizit alle Altersgruppen ansprechen, sozusagen Projekte für die ganze Familie einschließlich der Generation der über 60-Jährigen. Ein Großteil dieser Projekte waren Stadtteil- und Begegnungsfeste, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie den generationenübergreifenden Anspruch auch tatsächlich erfüllten. 1.5.2 Besondere Zielgruppen Neben den bereits genannten Gruppen werden im Bestand der CIVITAS-Datenbank noch weitere Gruppen genannt, die es zu erwähnen gilt. Sowohl das Programm entimon als auch das CIVITAS-Programm heben in den Leitlinien die Bedeutung von Multiplikator/innen als Zielgruppe der zu fördernden Projekte hervor (vgl. Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 7; CIVITAS-Leitlinien 2002: 7). Daher erschien es notwendig, auch diese Zielgruppe zahlenmäßig zu erfassen. Dies ist nicht unproblematisch, da in den Textfeldern vermutlich häufig der Begriff „Multiplikator/innen“ nicht fällt, obwohl die zu beschreibende Maßnahme unter anderem auch für diese Zielgruppe interessant wäre. Dies ist beispielsweise mit einiger Sicherheit bei vielen Veranstaltungen im Bereich der politischen Bildung der Fall, aber auch kultur- oder 2 Zum Zweck der besseren Vergleichbarkeit wurde für die Auswertung der CIVITASProjektdatenbank die Altersgruppeneinteilung übernommen, die auch bei der statistischen Auswertung des Programms entimon verwendet wurde. Da das Memofeld „Zielgruppe“ in 26 Fällen nicht ausgefüllt war, konnte nur für 368 von 394 Projekten zur Alters- und Zielgruppenstruktur eine Aussage gemacht werden. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 32 medienpädagogische Projekte können Multiplikator/innen ansprechen. Die ermittelte Zahl von zehn Peerleadern (die wissenschaftliche Begleitung des entimon-Programms nennt sie jugendliche Multiplikator/innen) erscheint deutlich zu niedrig, selbst dann, wenn man die ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen, die in 22 Fällen als Zielgruppe erwähnt werden, komplett zu Peerleadern stempeln würde. Weitaus besser sieht es im Bereich der erwachsenen Multiplikator/innen aus, die von immerhin 17% der auswertbaren Projekte als Zielgruppe erwähnt wurden. Zu erwähnen ist außerdem noch die 52mal (von 14% der auswertbaren Projekte) genannte Gruppe der Lehrer/innen, die als eine Untergruppe der Multiplikator/innen gelten kann, jedoch aufgrund der bei den Zielgruppen möglichen Mehrfachnennungen nicht einfach zu den „Multiplikator/innen“ addiert werden kann. Dagegen wurden Eltern als Zielgruppe deutlich seltener in den Anträgen berücksichtigt. Nur 22 Antragsteller/innen (6%), deren Projekte bewilligt wurden, gaben Eltern als Zielgruppe an. Eine weitere wichtige Zielgruppe für ein Programm, das den Aufbau demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen fördern will, sind lokale Verantwortungsträger, zum Beispiel Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, Justizvollzugsbeamte und Polizisten. Die von CIVITAS geförderten Projekte, die sich an diese Gruppe richteten (7%), waren zumeist spezielle Fortbildungsveranstaltungen und Gesprächsrunden im Rahmen von lokalen Aktionsplänen und Strukturverbesserungsmaßnahmen. Eine Gruppe, die noch in den 1990er Jahre im Mittelpunkt der Aktivitäten gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit stand, waren rechtsextreme und gewaltbereite Jugendliche selbst. Im Programm CIVITAS waren die als „rechtsextrem gefährdet“ bezeichneten Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Jahre 2002 mit einem Anteil von 4% unter den Zielgruppen vertreten. Jugendliche Arbeitslose sollten in drei Projekten angesprochen werden. 1.5.3 Zuordnung nach Schultypen Da ein großer Teil der untersuchten Projekte auf Jugendliche und junge Erwachsene ausgerichtet war, liegt eine Einteilung nach Schultypen nahe. In diesem Fall waren Mehrfachnennungen möglich. Häufig wurde im Memofeld „Zielgruppe“ jedoch lediglich die Bezeichnung „Schüler“ verwendet, ohne näher auf einen Schultyp einzugehen. Dennoch sind einige Schlussfolgerungen möglich. 43 Projekte richteten sich hauptsächlich an Schüler/innen aus Realschulen und Gymnasien, während zwei Projekte ausschließlich für Schüler/innen der gymnasialen Oberstufe gedacht waren. Es bleibt zu vermuten, dass der Anteil von Schüler/innen weiterführender Schulen, die an CIVITAS-Projekten teilnahmen, noch sehr viel höher liegen dürfte. Immerhin zogen insgesamt 15 Projekte ausdrücklich auch Hauptschüler/innen als Zielgruppe in Betracht, wobei sich allerdings kein Projekt nur mit dieser Zielgruppe beschäftigte. An sechs Gesamtschulen sollen im Jahr 2002 schulnahe Projekte im Rahmen des CIVITAS-Programm stattgefunden haben, an fünf weiteren Projekten waren Schüler/innen von Gesamtschulen mitbeteiligt. Vier Antragsteller/innen gaben an, Förderschüler/innen ausdrücklich an ihren Projekten teilhaben zu lassen, ein schulnahes Projekt findet an einer Förderschule statt. Lediglich 11 Projekte widmeten sich laut Datenbank spezifisch Auszubildenden und Berufsschülern, 25 Projekte nannten neben Schüler/innen anderer Schultypen auch Auszubildende und Berufsschüler/innen. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 33 1.6 Geförderte Projektformate und Projekttypen In den Leitlinien des CIVITAS-Programms für das Jahr 2002 werden sechs Förderbereiche genannt, von denen drei Förderbereiche 1.2.3.1 „Austausch und Vermittlung von Erfahrungen“, 1.2.3.2 „Stärkung einer demokratischen gemeinwesenorientierten Gesamtkultur“ und 1.2.4 „Förderung überregionaler Modellprojekte“ hier näher untersucht werden. Die Einteilung in diese drei Förderbereiche musste im Rahmen der wissenschaftlichen Analyse der Projektlandschaft weiter verfeinert werden.3 Aus der Analyse ergibt sich folgende Verteilung der Formate: Tabelle 3: Projektformate der im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte Projektformat Kreativprojekte (kultur- und medienpädagogische Projekte, in denen es um die Vermittlung von Fertigkeiten und um Erfahrungslernen geht) Anzahl 107 (28%) Begegnung (voneinander lernen, Erfahrungslernen) 95 (25%) Unterrichtung (Wissensvermittlung kognitiv verarbeitbarer Informationen, direkte Instruktion) 65 (17%) Strukturverbesserung (Optimierung von Rahmenbedingungen lebensweltlicher Erfahrung) 36 (9%) Training (Simulation realen Alltagsgeschehens, laborähnlich, Teilnehmer als Handelnde) 30 (8%) Recherche (Sachverhalte durch eigene Forschung in Erfahrung bringen) 31 (8%) Einzelansprache (Rezeption von Angeboten, die der Einzelne individuell ohne Gruppenkontext nutzen kann) 11 (3%) Produktion von Arbeitshilfen (Herstellung zum Beispiel von pädagogischen Leitfäden und Handbüchern) 8 (2%) Aufsuchende Arbeit (Arbeit mit rechtsextrem gefährdeten Jugendlichen als eigene Gruppe, Begegnungen zwischen rechtsextrem gefährdeten Jugendlichen und beispielsweise jugendlichen Migrant/innen werden unter dem Format Begegnung erfasst) 4 (1%) Es fällt sofort der große Anteil von interkulturellen Begegnungsprojekten und Kreativprojekten auf. Unter den Kreativprojekten gab es sehr viele theaterpädagogische Maßnahmen, 3 Die wissenschaftliche Begleitung des entimon-Programms sieht hierfür eine Einteilung in Projekttypen vor und versteht darunter die „äußere Struktur und Form eines Projekts“ (Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 22). Diese Typenbildung wird für die Auswertung der CIVITASProjektdatenbank mit einigen sinnvollen Änderungen übernommen. Dabei tritt jedoch das Problem auf, dass die Projekttypen, die im Rahmen der Auswertung des entimon-Programms Anwendung gefunden haben, bereits sehr speziell sind. Dadurch ist es nicht möglich, die Projekte eindeutig einem Projekttyp zuzuordnen. Mehrfachnennungen aber erschweren statistische Aussagen grundsätzlich. Deshalb führt die wissenschaftliche Begleitforschung zur Analyse der CIVITAS-Projektdatenbank die Einteilung in Formate ein, die von Möller entwickelt wurde (Möller 2002: 54-57). Die Kategorie Formate lässt sich als Oberbegriff zu den Projekttypen verstehen und bietet dadurch die Möglichkeit, Projekte eindeutig zuzuordnen und somit Mehrfachnennungen zu vermeiden. In sieben der 394 Fälle war keine Aussage zum Projektformat möglich, da die Beschreibungsfelder unvollständig oder gar nicht ausgefüllt waren. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 34 außerdem Film-, Video-, Internetworkshops, Lesewettbewerbe, selbstorganisierte Kunstausstellungen zum Thema Rechtsextremismus und einen hohen Anteil an Grafittiprojekten. Das Format interkulturelle Begegnung wird in beiden Programmleitlinien erwähnt. In den Leitlinien des entimon-Programms werden Migrant/innen als Zielgruppe genannt, die CIVITAS-Leitlinien geben „Begegnungen bzw. Partnerschaften mit Asylbewerbern und Migrantengruppen“ als Beispiele für den Förderschwerpunkt „Austausch und Vermittlung von Erfahrungen“ (1.2.3.1) an (Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 7; CIVITAS-Leitlinien 2002: 8). Für das CIVITAS-Programm ist zu sagen, dass etwas weniger als ein Drittel der Begegnungsprojekte Festivals und Aktionstage waren. In anderen Fällen fanden internationale oder binationale Studienfahrten oder Camps statt. Insgesamt etwa ein Drittel aller Projekte (n=126), und zwar die Formate Training, Unterrichtung und Recherche (Geschichtswerkstätten und historische Studien), sind dem Oberbegriff der politischen Bildung im weitesten Sinne zuzurechnen. Zwar ist der Anteil der entimon-Projekte, in denen politische Bildung vermittelt wird, vermutlich noch höher als bei CIVITAS (genaue Aussagen sind hier aufgrund der Mehrfachnennungen bei entimon nicht möglich), jedoch darf auch nicht übersehen werden, dass politische Bildung in den Leitlinien 2002 von entimon als einer von drei zentralen Förderschwerpunkten genannt wird, während der Begriff der politischen Bildung explizit in den Leitlinien des CIVITAS-Programms nicht vorkommt. In Anbetracht der Zielstellung bei einem Programm, dass in erster Linie zivilgesellschaftliche Strukturen in den neuen Bundesländern stärken will, scheint das Format Strukturverbesserung, dem sich nur 9% aller Projekte mit Priorität widmeten, im CIVITAS-Programm unterrepräsentiert. 1.7 Geförderte Methodenansätze Um zu zeigen, welche unterschiedlichen sozialpädagogischen Methoden und Konzepte in den Projekten Anwendung fanden, ist eine Einteilung nach methodischen Ansätzen, wie sie Möller vorschlägt (Möller 2002: 70-173) und wie sie auch in der Auswertung des entimon-Programms Anwendung gefunden hat, sinnvoll. Da die meisten Projekte nicht streng nach einer einzigen Methode vorgingen, sondern versuchten, die Teilnehmer/innen auf mehreren Ebenen anzusprechen und miteinzubeziehen, sind hier Mehrfachnennungen unvermeidlich. Die quantitative Verteilung der Ansätze sieht wie folgt aus: Tabelle 4: Methodenansätze der im Jahre 2002 geförderten zivilgesellschaftlichen Projekte Ansatz/Methode Beschreibung/Definition Anzahl Kulturpädagogischer Ansatz Erfahrungslernen durch die Anwendung kulturpädagogischer Konzepte (Theater, Musik, Kunst etc.) 109 (28%) Interkulturelle Kompetenz Vermittlung von Kompetenz im Umgang mit kulturellen Unterschieden und Minderheiten durch Begegnungs- und Erfahrungslernen 104 (27%) Medienpädagogischer Ansatz Erfahrungslernen durch die Anwendung medienpädagogischer Konzepte, besonders Internet, Video, Zeitungsgestaltung 98 (25%) Bildungsorientierter Ansatz Informations- und diskussionsorientierte An- 93 (24%) CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 35 sätze Geschichtsorientierter Ansatz inhaltsbezogener Lerngegenstand: Geschichte 67 (17%) Partizipationsförderung Zwei Bereiche: Lebensweltpartizipation: Regelung der für die Teilnehmer/innen relevanten lebensweltlichen Verhältnisse. Systempartizipation: Beteiligung an politischen Strukturen über lebensweltliche Verhältnisse hinaus 47 (12%) Friedens-, Demokratie- und Menschenrechtserziehung Umsetzung friedenspädagogischer Bildungskonzepte. Wissensvermittlung und Diskussion in Bezug auf soziale und politische Menschenrechte 39 (10%) Stärkung und Vernetzung Vernetzung und Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen 35 (9%) Sport- und Erlebnispädagogischer Ansatz Sport- und Erlebnispädagogik, die unmittelbare, ganzheitliche und überschaubare Lernsituationen anbietet 29 (8%) Antirassistischer Ansatz Umsetzung von Konzepten zur Thematisierung von Rassismen 27 (7%) Gemeinwesenorientierter Ansatz Stadtteilbezogen, generationsübergreifend Erstrebte Wirkung: integrations-, solidaritätsund identifikationsfördernd 25 (6%) Gewaltfreie Konfliktlösung Deeskalation/Mediation, Ansatz, der sowohl konfliktverhindernd bzw. -vorbeugend als auch konfliktlösend wirken will. 16 (4%) Geschlechtsspezifischer Ansatz geschlechtsreflektierend 3 (0,8%) Bei einem Vergleich mit den Ergebnissen der entimon-Auswertung fallen sechs größere Unterschiede in der Verteilung der methodischen Ansätze auf. Auffallend ist der Unterschied im Fall des geschichtsorientierten Ansatzes, der in 17% der von CIVITAS geförderten Projekte zum Einsatz kommt, während er bei den entimon-Projekten mit nur 4% kaum eine Rolle spielt. Die besondere Häufigkeit von historisch orientierten Projekten lässt sich leicht erklären, da als Beispiele für Projekte des Förderschwerpunktes „Austausch und Vermittlung von Erfahrungen“ (1.2.3.1) ausdrücklich „lokalhistorische Studien“ und „Geschichtswerkstätten“ genannt wurden, während diese in den entimon-Leitlinien nicht erwähnt wurden (CIVITASLeitlinien 2002: 9). Ein deutlicher Unterschied ist auch bei der Verwendung des geschlechtsspezifischen Ansatzes in beiden Programmen festzustellen. Während 10% der durch entimon geförderten Projekte geschlechtsspezifische Problemstellungen zumindest mitreflektierten (vgl. Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 31), gibt es im CIVITAS-Programm nur 3 Projekte (0,8%), die geschlechtsreflektierend arbeiten. Außerdem fällt die geringe Repräsentanz der Ansätze Partizipationsförderung (12%), und Gemeinwesenorientierung (6%) im Rahmen des CIVITAS-Programms auf. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 36 1.8 Zusammenfassende Bewertung der Förderpraxis im Bereich der zivilgesellschaftlichen Projekte Ein Blick auf die Trägerlandschaft der Kleinprojekte zeigt im Vergleich mit der entimonAuswertung deutlich, dass im Rahmen des CIVITAS-Programms in positiv zu würdigender Weise besonders kleine, lokale Initiativen, Ortsvereine und Arbeitskreise gefördert wurden. In dieser Hinsicht hat die Förderpraxis des CIVITAS-Programms im Jahre 2002 einen zentralen Auftrag des Programms erfüllt. Die regionale Verteilung der Projekte zeigt eine starke Konzentration der geförderten Projekte auf Städte bzw. städtisch verdichtete Regionen. Dies ist vor allem durch die in diesen Bereichen stärker vorhandene Trägerlandschaft zu erklären, die entsprechend häufiger CIVITAS-Projekte beantragt. In ländlichen Gebieten gibt es diese Trägerlandschaft nicht in diesem Umfang, weswegen auch die Zahl der dort geförderten Projekte geringer ist. Der Überblick über die Laufzeiten der Projekte hat einen relativ großen Anteil an kurzfristigen Projekten, zum Teil mit Eventcharakter, im CIVITAS-Programm ergeben. Die Frage nach dem ‚Wert’ dieser Events ist differenziert zu sehen. Die Dauer der Maßnahme hängt vom konzeptionellen Rahmen, von den zu erreichenden Zielen und Zielgruppen und den lokalen wie infrastrukturellen Rahmenbedingungen ab. Kurzzeitige Projekte, wie zum Beispiel einwöchige Anti-Aggressionstrainings oder zweitägige multikulturelle Stadtteilfeste können im Einzelfall als Ergänzung oder als Anstoß für längerfristige Maßnahmen durchaus sinnvoll sein. Voraussetzung ist allerdings eine entsprechende Vor- und Nachbereitung und die Partizipation der Zielgruppen an diesen Maßnahmen. Bei den Zielgruppen der Projektförderung durch das CIVITAS-Programm lag im Jahre 2002 ein deutlicher Schwerpunkt der Projektarbeit auf der jungen Generation, besonders auf den 12-18jährigen. Dies lässt sich schlüssig mit der hohen Anfälligkeit gerade der jungen Generation für rechtsextreme Gewalttaten begründen. Gerade in den neuen Bundesländern hat sich eine rechtsextreme Jugendkultur herausgebildet, die durch aggressive Musik und expressive Gewaltformen hervorsticht und gerade bei männlichen Jugendlichen eine hohe Attraktivität genießt (vgl. Kohlstruck 2002 a). Das CIVITAS-Programm hat allerdings seinen Bezugspunkt im schwierigen Begriff der Zivilgesellschaft und richtet sich damit an alle in einem Gemeinwesen lebenden Menschen. Dementsprechend wird die „wertevermittelnde, intergenerative Arbeit“ (CIVITAS-Leitlinien 2002: 8) zum Anspruch erhoben, der offensichtlich von der überwiegenden Zahl der Projekte zumindest von der Anlage her nicht eingelöst werden kann. Auffallend ist vielmehr der starke Jugendbezug der durch das CIVITAS-Programm geförderten Maßnahmen. Dabei werden aber oftmals nur bestimmte Jugendliche gefördert, die in der Regel bereits eine Distanz zum Rechtsextremismus aufweisen. Wie eine Analyse der besonderen Zielgruppen zeigt, sind rechtsextrem orientierte Jugendliche im CIVITAS-Programm dagegen nur schwach vertreten. Dies ist nicht verwunderlich, da der Fokus des CIVITAS-Programms ja gerade auf diejenigen Initiativen abzielt, die sich für ein demokratisches Miteinander und damit gegen Rechtsextremismus einsetzen. Dennoch ist zu fragen, ob nicht versucht werden sollte, die Zielgruppe derjenigen, die Gefahr laufen, sich rechtsextremen Gruppierungen anzuschließen, mit hochqualifizierten Maßnahmen und gut ausgebildeten Fachkräften zu erreichen. Die Voraussetzungen dafür sind vom Programm- CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 37 rahmen geschaffen worden, denn seit 2003 gehören „rechtextremistisch gefährdete Jugendliche“ (CIVITAS-Leitlinien 2003: 2) zu den Zielgruppen des CIVITAS-Programms. Unter den besonderen Zielgruppen sind weiterhin die erwachsenen Multiplikator/innen hervorzuheben, also vor allem Lehrer/innen. Erwachsene Multiplikator/innen wurden in 17% der auswertbaren Projekte als Zielgruppe erwähnt (davon 14% Lehrer/innen). Angesichts des zivilgesellschaftlichen Anspruchs des CIVITAS-Programms und seinem faktischen Jugendbezug ist zu fragen, ob diese Zielgruppe nicht verstärkt angesprochen werden sollte, um die Reichweite des Programms bis in die „Mitte der Gesellschaft“ zu verlängern. Als weitere wichtige Zielgruppe sind die Eltern hervorzuheben, die bisher in lediglich 6% der Projekte angesprochen werden sollten. Auf diese Gruppe wurde schon im Zwischenbericht hingewiesen und eine spezielle Familienarbeit als sinnvoll herausgestellt, da fremdenfeindliche Einstellungen nicht nur in den Peergroups, sondern gerade auch in Familien tradiert werden (Vossen/Lynen von Berg/Palloks 2002: 62). Zu überlegen ist, ob eine verstärkte Einbeziehung von Eltern in die Maßnahmen nicht sinnvoll wäre, besonders auch im Hinblick auf den generationsübergreifenden Anspruch, den das CIVITAS-Programm vertritt. Eine enorm wichtige Zielgruppe für ein Programm, das den Aufbau demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen im Gemeinwesen fördern will, sind lokale Verantwortungsträger, zum Beispiel Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, Justizvollzugsbeamte und Polizisten. Maßnahmen für diese Zielgruppe sollten zukünftig in verstärktem Maß gefördert werden, denn zivilgesellschaftliche Orientierungen sollten vor den zentralen gesellschaftlichen Institutionen nicht halt machen. Außerdem ist es wichtig, möglichst viele dieser Personen für die Ideen des Programms zu gewinnen, denn ihr Aktionsfeld sind die lokalen Gemeinwesen, in denen das CIVITAS-Programm zivilgesellschaftliche Orientierungen erklärtermaßen fördern will. Differenziert man die Zielgruppen nach Schultypen, so wird deutlich, dass die Zielgruppe der Haupt- und Berufsschüler/innen von einem geringeren Prozentsatz der durch das CIVITASProgramm geförderten Projekte anvisiert wurde, als dies bei entimon der Fall ist, das auch speziell Haupt- und Berufsschüler/innen als Zielgruppe in den Leitlinien nennt (Brüggemann/Klingelhöfer 2002: 7). Gerade weil unter den Jugendlichen an Haupt-, Förder-, Gesamt- und Berufsschulen der Anteil an Jugendlichen mit rechtsextremen Einstellungen deutlich höher ist als an weiterführenden Schulen, ist zu fragen, ob nicht eine noch stärkere Einbeziehung dieser Schülergruppen durch schulnahe Projekte im Rahmen des CIVITAS-Programms wünschenswert wäre (Vossen/Lynen von Berg/Palloks 2002: 60). Bei den geförderten Projektformaten bzw. -typen fällt zunächst das Übergewicht von Maßnahmen der politischen Bildung im weitesten Sinne auf. Dies ist mit der Verankerung bestimmter historischer Angebote (zum Beispiel Geschichtswerkstätten) in den Leitlinien begründbar. Bei den historisch ausgerichteten Projekten ist allerdings zu fragen, ob sie eine Beziehung zum heutigen Rechtsextremismus, insbesondere der stark auf Musik und expressive Gewalttaten ausgerichteten rechtsextremen Jugendkultur haben bzw. ob diese Maßnahmen nicht eher an dieser Gruppe vorbeigehen. Wenn Rechtsextremismus ein Phänomen ist, das aus der subjektiven Verarbeitung lebensgeschichtlicher Desintegrationserfahrungen hervorgeht, helfen dagegen historische, in der Vergangenheit wurzelnde Angebote nur begrenzt. Gerade bei den oft stark kognitiv orientierten Projekten aus dem Bereich der politischen Bil- CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 38 dung ist darüber hinaus immer wieder zu fragen, ob sie neben der Vermittlung von Informationen auch die für das CIVITAS-Programm zentralen Grundprinzipien von Aktivierung, Partizipation und Gemeinwesenbezug berücksichtigen. Eine zweite auffallende Entwicklung ist die starke Repräsentanz von interkulturellen Begegnungsprojekten im Jahre 2002. Ein Drittel dieser Projekte wurde nicht unter Einbeziehung der lokalen Migrantenbevölkerung geplant, sondern die an den interkulturellen Begegnungen beteiligten Migranten wurden von außen in die jeweilige Kommune hineingeholt. Darauf sollte in Zukunft bei der Projektvergabe besonders geachtet werden, denn diese „Importe“ von Migranten widersprechen dem Grundsatz der Partizipation und bergen die Gefahr der Reproduktion von Stereotypen in sich, die durch interkulturelle Begegnungen gerade verringert werden sollen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass seit dem Jahr 2003 interkulturelle Projekte, mit Ausnahme solcher im schulnahen Bereich, nicht mehr im Rahmen des CIVITAS-Programms gefördert werden. Deutlich unterrepräsentiert bei einem Programm, dass in erster Linie zivilgesellschaftliche Strukturen in den neuen Bundesländern etablieren will, ist dagegen das Format Strukturverbesserung, dem sich nur 9% aller Projekte mit Priorität widmen. Zu fragen ist, ob dieses Format zukünftig nicht in sehr viel stärkerem Maße gefördert werden sollte, da es dabei im Kern bei der Ausgestaltung des zivilgesellschaftlichen Anspruchs um die Verbesserung der Rahmenbedingungen im Gemeinwesen geht. Bei den im Jahre 2002 geförderten Projektansätzen fällt die außerordentlich geringe Repräsentanz von Projekten auf, die mit einem geschlechtsreflektierenden Ansatz arbeiten. Die Wichtigkeit von Maßnahmen, die sich an den unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen beider Geschlechter orientieren, ist bereits im Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung des CIVITAS-Programms betont worden (vgl. Vossen/Lynen von Berg/Palloks: 61). Gerade weil man von einer besonderen Attraktivität einer männlich dominierten, auf aggressive Musikangebote und expressive Gewaltformen ausgerichteten rechtsextremen Subkultur für junge Menschen ausgehen muss, sind geschlechtsreflektierende Ansätze vor allem in der Jungenarbeit besonders wichtig. Außerdem sind sport- und musikpädagogische Ansätze wichtig und können als Alternativangebote zur rechtsextremen Szene als wichtig gefördert werden, denn sie bieten für Jugendliche die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse kontrolliert auszuleben. Auch die geringe Repräsentanz der Ansätze Partizipationsförderung (12%), und Gemeinwesenorientierung im Sinne einer stadtteilbezogenen, generationsübergreifenden Arbeit mit integrations-, solidaritäts- und identifikationsfördernder Wirkung (6%) im Rahmen der Projektförderung durch das CIVITAS-Programm im Jahre 2002 ist auffallend. Zwar sind beide Ansätze auch bei den von entimon geförderten Projekten prozentual nur geringfügig häufiger vertreten, jedoch muss mitbedacht werden, dass dem CIVITAS-Programm das Konzept der Zivilgesellschaft zu Grunde liegt, dessen maßgeblicher Bestandteil die Durchdringung und Veränderung des Gemeinwesens durch aktive Beteiligung aller darin lebenden Individuen ist. Gemessen an diesem Anspruch muss zumindest die Frage gestellt werden, ob es nicht noch mehr Projekte mit starkem Gemeinwesenbezug und einem speziell system- und lebensweltlichen Partizipationsansatz geben sollte. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 39 Insgesamt lässt sich resümieren, dass es keine Patentrezepte für die richtige Förderstrategie gibt. Pauschalurteile vereinfachen oftmals stark und lassen den jeweiligen individuellen Rahmen des Einzelfalls unberücksichtigt. Jedes Projekt ist in seinem lokalen und institutionellen Rahmen zu sehen. Von daher können auch kurzzeitige Event-Projekte oder interkulturelle Veranstaltungen unter bestimmten Umständen sinnvoll oder notwendig sein. Allerdings lassen sich auch einige allgemeine Aussagen zu einer verbesserten Förderstrategie machen. Bei den Zielgruppen erscheint eine verstärkte Einbeziehung von Erwachsenen (Multiplikator/innen, Lehrer/innen, Eltern) sinnvoll, um den generationsübergreifenden und gemeinwesenorientierten Ansatz des CIVITAS-Programms stärker zu unterstützen und die „Mitte der Gesellschaft“ zu erreichen. Mit Hilfe einer verstärkten Einbindung dieser Zielgruppen könnte eine Ergänzung der starken Jugendzentrierung des CIVITAS-Programms gelingen. Bei den Projekttypen und Methodenansätzen wäre eine verstärkte Förderung geschlechtsreflektierender, sport- und erlebnispädagogischer Angebote ein wichtiges Element, um Jugendlichen Anstöße und Alternativen zu bieten, damit sie nicht den einfachen Antworten einer rechtsextrem orientierten Jugendkultur auf den Leim gehen. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 40 2 Statistisch-deskriptiver Überblick zu den Strukturprojekten und ihren Trägern (von Helmut Tausendteufel) 2.1 Einleitung Im Folgenden werden diejenigen Fragen aus dem Erhebungsbogen zu den Strukturprojekten dargestellt, die es erlauben einen ersten Überblick über die Arbeitsbedingungen und die Arbeit der Projekte zu geben. Hierzu gehören eine Skizze der Trägerorganisationen und der Ressourcen, die sie zur Verfügung stellen, die Darstellung der Zielgruppen und Methoden der Projekte, die lokalen Rahmenbedingungen, im engeren Sinne die vorfindbaren rechtsextremen Erscheinungen und die tatsächlichen Kooperationsbeziehungen, sowie die Definitionen von Erfolg. Andere relevante Teile des Fragebogens werden im Kontext der Auswertung der qualitativen Interviews dargestellt. Die schriftliche Befragung wurde in der Zeit von April bis Juni 2003 durchgeführt. Es wurden die 40 Träger der Strukturprojekte angeschrieben. Der umfangreiche Fragebogen beanspruchte etwa eine Stunde zur Bearbeitung. Trotz des Zeitaufwands war die Rücklaufquote sehr hoch. Lediglich von einem Träger bzw. dem verantwortlichen Mitarbeiter wurde das Ausfüllen verweigert. Die Begründung war Arbeitsüberlastung. Ein weiteres Projekt war in der Zwischenzeit eingestellt worden. Ein drittes Projekt antwortete nicht, ohne Gründe dafür anzugeben. Bei allen drei Projekten handelt es sich um Netzwerkstellen. Einige Angaben zur Trägerstruktur können trotzdem gemacht werden. Sie werden im Kontext der jeweiligen Themenkomplexe in die Darstellung einbezogen. Die Erhebung hat einerseits den Nachteil, dass mit sehr geringen Fallzahlen gearbeitet wird, andererseits wird dies weitgehend dadurch aufgehoben, dass es sich um eine Totalerhebung handelt (vgl. Tabelle 5) und aus diesem Grund nicht von einer Stichprobe auf eine Gesamtheit geschlossen werden muss. Ingesamt wird man sagen können, dass die Befragung den Zweck einer explorativen, allgemeine Strukturen aufdeckenden und die darin vorkommenden Größenverhältnisse beziffernden Erhebung erfüllt. Tabelle 5: Strukturprojekte Anzahl % MBT 6 16 NWS 23 62 OBS 8 22 Gesamt 37 100 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 41 In der folgenden quantitativen Darstellung der Ergebnisse des Fragebogens wird an einigen Stellen die Auswertung der offenen Fragen nach Erfolg und Erfolgskriterien4 einbezogen. Zu diesen Fragen äußerte sich die große Mehrzahl der Befragten (n=35) überwiegend umfassend. Die Fragen bereiteten bei der Auswertung zwar einerseits Schwierigkeiten, weil die Befragten nicht klar zwischen Erfolg, Erfolgskriterien, Arbeitsaufträgen, Methoden usw. unterschieden, es ließen sich aber andererseits die Grundzüge in den Vorstellungen zu diesen Themen herausarbeiten. Im Kontext der quantitativen Darstellung der Ergebnisse bieten sie eine sinnvolle Ergänzung. Die Antworten wurden in Sinneinheiten zerlegt und in ein Datenbanksystem übertragen. So entstanden 223 kürzere Texte. Diesen wurde im ersten Arbeitsschritt paraphrasierende Codes zugeordnet. Aus den Codes wiederum wurden schließlich die im Folgenden genutzten Kategorien entwickelt. Einer Textpassage konnten mehrere Kategorien zugeordnet werden. Tabelle 6: Offene Fragen 67 und 68 des Fragebogens (Erfolg und Erfolgskriterien) nach Projekttypen Anzahl der Befragten Anzahl der Befragten, die eine Antwort gaben Anzahl der Antworten (Sinneinheiten) MBT 6 6 45 NWS 23 22 123 OBS 8 7 55 Projekttyp 2.2 Die Träger der Strukturprojekte Die Trägerorganisationen stellen gewissermaßen das Rückgrat der Strukturprojekte dar. Durch die Erfahrungen und Ressourcen, die sie einbringen, und die daraus resultierenden Möglichkeiten und gegebenenfalls Restriktionen haben sie großen Einfluss auf das Gelingen der Projekte. Regionale Verteilung und Aufbau der Träger Für die 40 Strukturprojekte im Rahmen von CIVITAS sind 40 Träger zuständig. Sie verteilen sich folgendermaßen auf die einzelnen Bundesländer (vgl. Tabelle 7). 4 Frage 67: Bitte beschreiben Sie kurz, was Sie als Erfolg des CIVITAS-Projekts bewerten. und Frage 68: Nach welchen Kriterien messen Sie den Erfolg des CIVITAS-Projekts? (Nennen Sie maximal fünf Kriterien des Erfolgs.) CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 42 Tabelle 7: Träger nach Typ und Bundesland5 Bundesland BerBrandenlin burg Projekttyp MBT NWS OBS Gesamt Gesamt Mecklenburg/ Vorpommern Sachsen SachsenAnhalt Thüringen 2 0 2 1 0 1 6 33% 0% 33% 17% 0% 17% 100% 6 1 5 5 5 4 26 23% 4% 19% 19% 19% 15% 100% 1 1 1 2 2 1 8 13% 13% 13% 25% 25% 13% 100% 9 2 8 8 7 6 40 23% 5% 20% 20% 18% 15% 100% „Lebensdauer“6 Ein großer Teil der Träger (38%) existiert bereits seit über zehn Jahren. Immerhin 83% der Träger bestehen seit mindestens vier Jahren. Lediglich sieben (18%) arbeiten seit weniger als vier Jahren. Von diesen sind zwei für die Durchführung eines CIVITAS-Projektes gegründet worden.7 Mitarbeiterstruktur8 Auch hinsichtlich der Mitarbeiterzahl und -struktur variieren die Träger erheblich (vgl. Tabelle 8 und Tabelle 9). Zwei der Träger arbeiten ausschließlich mit ehrenamtlichen9 Mitarbeitern. Es handelt sich um sehr kleine Träger, bei denen sich der Befragte als Angestellter des Strukturprojekts versteht, so dass der Träger keine hauptamtlichen Mitarbeiter/innen hat. Diesen sehr kleinen Trägern stehen acht große Organisationen mit mehr als 50 hauptamtlichen Mitarbeiter/innen gegenüber. 48% (n=16) sind mit einem bis zehn hauptamtlichen Mitarbeiter/innen als kleine Organisationen zu bezeichnen. Sieben Träger arbeiten ohne ehrenamtliche Mitarbeiter/innen. Dies entspricht immerhin einem Anteil von 21%. Bei 17 Trägern überwiegen die hauptamtlichen Mitarbeiter/innen gegenüber den ehrenamtlichen. Bei 16 Trägern ist es umgekehrt. 5 Die Angaben beziehen sich auf die erweiterte Population (n= 40). Frage 1: Seit wie vielen Jahren existiert Ihr Träger? Frage 2: Wurde Ihr Träger speziell für ein CIVITAS-Projekt gegründet? 7 Die Angaben beziehen sich auf die erweiterte Population (n= 40). 8 Frage 3: Wie viele haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter/innen beschäftigt Ihr Träger? 9 Da im Rahmen von CIVITAS die Förderung von ehrenamtlicher Arbeit ein wichtiges Ziel ist, wurde auch nach der Anzahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter des Trägers gefragt. Aus den Ergebnissen kann aber nicht abgeleitet werden, wie viele Ehrenamtliche tatsächlichen im Rahmen von CIVITAS tätig sind. Es handelt sich vielmehr um einen Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung ehrenamtlicher Arbeit für den Träger. 6 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 43 Tabelle 8: Träger – Anzahl hauptamtliche Mitarbeiter/innen Anzahl % 0 Mitarb. 2 6 1-5 Mitarb. 8 24 6-10 Mitarb. 8 24 11-20 Mitarb. 6 18 21-50 Mitarb. 1 3 Mehr als 50 Mitarb. 8 24 Gesamt 33 99 k.A. 4 37 Tabelle 9: Träger – Anzahl ehrenamtliche Mitarbeiter/innen Anzahl % 0 Mitarb. 7 21 1-5 Mitarb. 5 15 6-10 Mitarb. 3 9 11-20 Mitarb. 9 27 21-50 Mitarb. 5 15 Mehr als 50 Mitarb. 4 12 Gesamt 33 99 k.A. 4 37 Budget10 Ein weiteres wichtiges Merkmal zur Charakterisierung des Trägers ist sein Budget. Um dieses in das Verhältnis zu den Aufwendungen für CIVITAS zu setzen, wurde nach dem Anteil des CIVITAS-Programms am Gesamtbudget des Trägers gefragt (vgl. Tabelle 10). Es zeigt sich, dass auch hier die Variationsbreite recht groß ist. Bei 13 Trägern hat das CIVITASBudget einen Anteil von bis zu 25%. Dieser Gruppe steht eine gleich große mit einem Anteil zwischen 76 und 100% gegenüber. In fünf Fällen beträgt der Anteil der CIVITAS-Finanzierung 100 %. Dies zeigt recht deutlich, dass sich eine größere Anzahl der Projekte in unmittelbarer finanzieller Abhängigkeit des Programms befinden. 10 Frage 34: Wie hoch ist der Anteil vom CIVITAS-Programm am Gesamtbudget Ihres Trägers? CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 44 Tabelle 10: Träger – Anteil der CIVITAS-Finanzierung am Gesamtbudget des Trägers Anzahl % 0 - 25 % 13 43 26 - 50 % 5 17 51 - 75 % 1 3 76 – 100% 11 37 Gesamt 30 100 k.A. 7 37 Organisationsform11 und inhaltliche Ausrichtung der Träger12 Bei den Trägern handelt es sich ganz überwiegend um solche aus der Jugendhilfe (n=22) (vgl. Tabelle 11). Dies ist bereits ein wichtiger Hinweis auf die inhaltliche Ausrichtung der Träger bzw. deren Projekte. Diejenigen, die Schwierigkeiten hatten, sich bei dieser Frage richtig zuzuordnen (Ausprägungen „ungültig“ oder „keine Angabe“) spezifizierten in der folgenden Frage ihre Institution als Verein (n=7). Tabelle 11: Träger – Organisationstyp1 11 Anzahl % Bildungs- und Fortbildungsträger 4 12 Freier Träger der Jugendhilfe 22 67 Öffentlicher Träger 2 6 Religionsgemeinschaft 2 6 Stiftung 1 3 Unternehmen 1 3 Wohlfahrtsverband 1 3 Gesamt 33 100 k.A. 5 Ungültig 2 Gesamt 40 Frage 5: Welchem der folgenden Typen würden Sie Ihren Träger zuordnen? Frage 5a: Ist Ihr Träger einer Initiative, einem Bündnis oder einem Verein zuzuordnen? Initiative, Bündnis/Runder Tisch, Verein, Sonstiges. 12 Frage 6: In welchen Tätigkeitsfeldern arbeitet Ihr Träger schwerpunktmäßig? Maximal vier Antworten. Mit Frage 6 sollten die vier wichtigsten Tätigkeitsfelder des Trägers erhoben werden. Für einige war dieser Rahmen offensichtlich zu eng gesteckt, d.h. die Interviewten konnten teilweise keine Eingrenzung auf die wichtigsten Tätigkeitsfelder vornehmen. Acht Befragte gaben für ihren Träger mehr als vier Tätigkeitsfelder an. Die Ergebnisse sind daher leicht verzerrt. Eine inhaltliche Spezialisierung kann für 12 Träger festgestellt werden. Sie blieben unter den vier möglichen Antworten. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 45 Die Tätigkeitsfelder liegen überwiegend bei der Arbeit mit Jugendlichen (61% der Fälle), der Bildungsarbeit (56% der Fälle) und der antirassistischen Arbeit (56% der Fälle) (vgl. Tabelle 12). Tabelle 12: Träger – Tätigkeitsfelder (Maximal vier Antworten) Anzahl der Antworten Anteil an allen Antworten (%) Anteil an allen Fällen (%) Bildungsarbeit: politisch 20 14 56 Bildungsarbeit: historisch 4 3 11 Bildungsarbeit: kulturell 10 7 28 Interkulturelle Arbeit 14 10 39 Antirassistische Arbeit 20 14 56 Antifaschistische Arbeit 9 6 25 Arbeit mit Migrant/innen 11 8 31 Flüchtlingsarbeit 6 4 17 Arbeit mit Jugendlichen 22 16 61 Medien / Medienpädagogik 8 6 22 Sozialarbeit 10 7 28 Andere 8 6 Gesamt 142 101 22 13 396 14 36 gültige Fälle, 1 fehlender Fall Der Bereich Sozialarbeit konnte weiter spezifiziert werden. Die genannten Zielgruppen streuten breit (Obdachlose, Suchtkranke, Familien usw.), ohne dass ein Schwerpunkt erkennbar wäre. Unter „Anderes“ wurden teilweise weitere, teilweise bereits genannte Tätigkeitsfelder angeführt: Religion, Katastrophenschutz, Arbeit mit Zeitzeugen und anderes mehr. Die inhaltliche Ausrichtung der Träger ist verknüpft mit ihrem organisatorischen Aufbau. So besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Anzahl der hauptamtlichen Mitarbeiter/innen und den Tätigkeitsfeldern „antirassistische“ und „antifaschistische Arbeit“: Je größer der Träger, desto unwahrscheinlicher ist es, dass diese Tätigkeitsfelder genannt werden.15 Ähnliche Zusammenhänge finden sich mehrfach: so wird beispielsweise Sozialarbeit überwiegend von Trägern mit vielen Hauptamtlichen angegeben16, während kulturelle Bildungsarbeit eher von kleinen Trägern gemacht wird17. 13 Durch Rundungen addieren sich die Prozentzahlen zu mehr als 100 %. Da mehrere Antworten auf die Frage gegeben werden konnten, addieren sich die Prozentangaben zu den Fällen zu mehr als 100 % auf. 15 „Antirassistische Arbeit“: Kendall's tau-b: -0,540 **; „antifaschistische Arbeit“: Kendall's tau-b: 0,492 ** 16 Kendall's tau-b: 0,423 ** 17 Kendall's tau-b: 0,339 * 14 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 46 Zwischenfazit Die Träger variieren erheblich nach organisatorischem Aufbau und inhaltlicher Ausrichtung. Dabei zeigt sich, dass beides miteinander verknüpft ist: Kleine Träger haben überwiegend eine andere inhaltliche Ausrichtung als große. Es lassen sich – basierend auch auf den Ergebnissen der qualitativen Interviews – grob drei Typen unterscheiden. Es gibt 1) Träger, die sehr viele Mitarbeiter/innen haben und schon lange existieren. Sie könnte man als ‚Großorganisationen’ bezeichnen. Entsprechend breit sind ihre Betätigungsfelder. Auf der nächsten Ebene gibt es 2) Träger mit deutlich geringerer Mitarbeiterzahl und zumeist auch noch nicht so langer Existenzdauer. Hier sind überwiegend Spezialisierungen auf allgemeine Jugendund Sozialarbeit anzutreffen. Die Mitarbeit im Rahmen des CIVITAS-Programms kann als eine spezifische Ausprägung dieser inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte betrachtet werden. 3) Auf der ‚untersten’ Ebene trifft man auf Initiativen, die mit wenig hauptamtlichen und meist mehr ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen thematisch auf politische Arbeit (gegen Rechtsextremismus) ausgerichtet sind. 2.3 Ressourcen, die durch den Träger zur Verfügung gestellt werden Allgemeine Serviceleistungen18 Die Träger unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des Aufbaus und der inhaltlichen Ausrichtung, sondern auch hinsichtlich der Serviceleistungen, die den Projekten zur Verfügung gestellt werden. Allein die verwaltungstechnische Abwicklung wird von fast allen Trägern (80%) übernommen (vgl. Tabelle 13). Tabelle 13: Träger – Serviceleistungen des Trägers (Mehrfachantworten) Anzahl der Antworten Anteil an allen Antworten Anteil an allen Fällen Antragstellung 20 16% 57% Erstellen von Verwendungsnachweisen 21 16% 60% Unterstützung beim Berichtswesen 16 13% 46% Materialbeschaffung 11 9% 31% Verwaltungstechnische Abwicklung 28 22% 80% Öffentlichkeitsarbeit 13 10% 37% Projektcoaching 15 12% 43% Andere 4 3% 11% Gesamt 128 101% 365% 2 fehlende, 35 gültige Fälle Es zeigt sich, dass auch die Serviceleistungen in Abhängigkeit vom Aufbau des Trägers erbracht werden. So lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der hauptamtlichen 18 Frage 58: Welche Serviceleistungen erbringt der Träger für das CIVITAS-Projekt? CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 47 Mitarbeiter/innen und der Serviceleistung „Erstellen von Verwendungsnachweisen“ nachweisen.19 Ein sehr deutlicher Zusammenhang besteht zudem zwischen der Anzahl der hauptamtlichen Mitarbeiter/innen und der Unterstützung bei der verwaltungstechnischen Abwicklung des Projekts20. Bei beiden Zusammenhängen ist es so, dass je höher die Anzahl der Mitarbeiter/innen ist, desto eher die Serviceleistung erbracht wird. Fortbildung21 Die Mehrheit der Träger (57%) bietet Fortbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter/innen der Projekte an (vgl. Tabelle 14). Zusammenhänge mit der Größe des Trägers oder seiner Existenzdauer sind nicht zu erkennen. Tabelle 14: Träger – Fortbildung Anzahl % Ja 21 57 Nein 16 43 Gesamt 37 100 Supervision22 In knapp der Hälfte der Projekte (47%) wird regelmäßig Supervision durchgeführt (vgl. Tabelle 15). Tendenziell kann gesagt werden: Je größer die Anzahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen des Trägers, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Supervision angeboten wird.23 Tabelle 15: Träger – Durchführung von regelmäßiger Supervision Anzahl % Ja 17 47 Nein 19 53 Gesamt 36 100 k.A. 1 37 Externe Beratungsangebote24 57% der Projekte/Träger (n=21) haben externe Beratungsangebote in Anspruch genommen (vgl. Tabelle 16). Auffallend ist die Verteilung hinsichtlich der Projekttypen: Während alle 19 Kendall's tau-b: 0,444 ** Kendall's tau-b: 0,378 ** 21 Frage 61: Bieten Sie als Träger Möglichkeiten zur Fortbildung? 22 Frage 64: Führt das CIVITAS-Projekt regelmäßig Supervisionen durch? 23 Kendall's tau-b: 0,506 ** 24 Frage 69 : Haben Sie externe Beratungsangebote für das CIVITAS-Projekt in Anspruch genommen? 20 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 48 MBTs extern beraten wurden, tat dies nur eine von acht OBS. Die NWS nehmen eine mittlere Stellung ein. Wenn sich Projekte beraten ließen, haben sie dies in der Mehrzahl (n= 14) drei Mal oder öfter getan. Tabelle 16: Träger – Inanspruchnahme externer Beratungsangebote Inanspruchnahme externer Beratungsangebote Projekttyp MBT NWS OBS Gesamt Gesamt Ja Nein 6 0 6 100% 0% 100% 14 8 22 64% 36% 100% 1 7 8 13% 88% 100% 21 15 36 58% 42% 100% In Bezug auf externe Beratung erweist sich die Existenzdauer als wichtige Einflussgröße: Tendenziell bieten eher ältere Träger externe Beratung an.25 Zwischenfazit Es zeigt sich, dass die Träger unterschiedliche Serviceleistungen zur Verfügung stellen. Es kann dabei nicht gesagt werden, inwieweit der Erfolg der einzelnen Strukturprojekte von der Unterstützung durch den jeweiligen Träger abhängt. Deutlich wird aber, dass das Verhältnis zwischen Träger und Projekt und damit die angebotene Unterstützung in Quantität und Qualität erheblich variiert. Es zeigen sich klare Zusammenhänge zwischen dem organisatorischen Aufbau, der inhaltlichen Ausrichtung und den angebotenen Serviceleistungen. Daraus lässt sich schließen, dass bei den Trägern grundsätzlich verschiedene ‚Typen’ vorhanden sind, deren inhaltliche Ausrichtung und materielle Ressourcen die Arbeit der Projekte beeinflussen. Die finanzielle Abhängigkeit einiger Träger von CIVITAS wirft im Hinblick auf die Unterstützung der Projekte durch ihre Träger die Frage auf, ob hier nicht weitergehende Förderung und Qualifizierung der Trägerkompetenz erforderlich ist, um die Unterstützungsbasis der Projekte zu verbreitern. Dies um so mehr, da sich zeigt, dass vor allem kleine Träger nicht immer in der Lage sind, die Projekte umfassend bei der technischen Abwicklung zu unterstützen. 25 Kendall's tau-b: 0,369 ** CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 49 2.4 Zielgruppen und Methoden der Projekte Zielgruppen26 Multiplikator/innen (Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen etc.) sind nach Angaben der interviewten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Strukturprojekte die Zielgruppe, für die sich fast alle Strukturprojekte zuständig fühlen. 29 Projekte (78%) geben sie als Zielgruppe an. Hinsichtlich Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit (26 Nennungen, 70%), Jugendlichen (25 Nennungen, 68%) und „engagierten Bürger/innen“ (21 Nennungen, 57%) gibt es ebenfalls breiten Konsens (vgl. Tabelle 17). Anhand der Zielgruppen lassen sich Arbeitsschwerpunkte der einzelnen Projekttypen genauer bestimmen. So sehen sich Opferberatungen für Opfer rechtsextremer Gewalt (100%), für Migranten (88%) und Minderheiten (75%) zuständig. Die wichtigsten Zielgruppen der NWS sind Multiplikator/innen (91%), Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit (78%) und engagierte Bürger/innen (74%). Bei den MBTs werden als Hauptzielgruppen Multiplikator/innen (100%), Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit (83%) und die Politik (83%) genannt. Es werden also einerseits Akzentsetzungen, andererseits aber auch Überschneidungen erkennbar: Multiplikator/innen sind beispielsweise für MBTs und NWS fast gleichermaßen wichtig. Ganz ähnlich verhält es sich bei den Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit. Insbesondere Jugendliche sind für alle Strukturprojekte eine etwa gleich wichtige Zielgruppe (MBT: 50%, NWS: 70%, OBS: 75%). Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass der größte Teil der Träger aus der Jugendhilfe kommt (vgl. Kap. 1.2, Abschnitt „Organisationsform und inhaltliche Ausrichtung der Träger“). Daneben gibt es eine Reihe von Zielgruppen, für die sich kein Projekttyp wirklich zuständig fühlt. Deutlich ist dies für die Gewerkschaften (keine Nennung), die Wirtschaft (eine Nennung), die Justiz (eine Nennung), aber auch für die Polizei (drei Nennungen) und rechtsextremistisch Gefährdete/Mitläufer (drei Nennungen) erkennbar. Dies muss zumindest für die beiden zuletzt genannten Zielgruppen überraschen. In der Zusammenschau aller Zielgruppen wird deutlich, dass es zwar Akzentsetzungen, aber keine klaren Zuständigkeiten zwischen den Projekten gibt. Es entsteht zudem das Bild, als würden die Strukturprojekte um einige Zielgruppen miteinander konkurrieren, während andere – durchaus relevante Gruppen – gemeinsam vernachlässigt werden. 26 Frage 36: Bitte benennen Sie im folgenden die wichtigsten Zielgruppen Ihres Projekts. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 50 Tabelle 17: Strukturprojekte – Zielgruppen (Maximal 5 Antworten) MBT NWS OBS Gesamt Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit 5 83% 18 78% 3 38% 26 70% Engagierte Bürger/innen 3 50% 17 74% 1 13% 21 57% Eltern und Erziehungsberechtigte 0 0% 4 17% 2 25% 6 16% Opfer rechtsextremer Gewalt 0 0% 2 9% 8 100% 10 27% 6 100% 21 91% 2 25% 29 78% Migrant/innen 0 0% 1 4% 7 88% 8 22% Jugendliche 3 50% 16 70% 6 75% 25 68% Rechtsextremistisch Gefährdete / Mitläufer 0 0% 3 13% 0 0% 3 8% Schüler/innen 0 0% 9 39% 0 0% 9 24% Minderheiten (ethnisch, kulturell, sozial) 2 33% 6 26% 6 75% 14 38% Justiz 0 0% 1 4% 0 0% 1 3% Polizei 1 17% 2 9% 0 0% 3 8% Wirtschaft 0 0% 1 4% 0 0% 1 3% Gewerkschaft 0 0% 0 0% 0 0% 0 0% Verwaltung 4 67% 9 39% 0 0% 13 35% Politik 5 83% 7 30% 1 13% 13 35% Medien 0 0% 5 22% 1 13% 6 16% Kirchen 1 17% 5 22% 0 0% 6 16% Andere 0 0% 1 4% 1 13% 2 5% Multiplikator/innen (Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen etc.) Kein fehlender Fall, 37 gültige Fälle CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 51 Durch die Fragen nach Erfolg und Erfolgskriterien27, die auch im Hinblick auf Zielgruppen ausgewertet wurden, lässt sich dieses Bild noch etwas präzisieren bzw. erweitern. a) Multiplikator/innen Multiplikator/innen wurden dort deutlich seltener genannt. Eine Erklärung könnte sein, dass Multiplikator/innen eher Mittel zum Zweck sind als eine tatsächliche Zielgruppe (MBT: 3, NWS: 3, OBS: 0)28. Anders verhält es sich bei der Zielgruppe Politik und Verwaltung. Während sie bei der geschlossenen Frage einen eher mittleren Rang einnehmen, werden sie im Zusammenhang mit Erfolg am häufigsten thematisiert (17 Nennungen durch 13 Befragte: NWS: 6, MBT: 4, OBS: 3). Dabei sind drei grundsätzliche Ziele festzustellen: 1) Sensibilisierung für rechtsextreme Problematik und Opferbelange (Lobbyarbeit) wurde achtmal angesprochen. Die Möglichkeit, sich auf politischer Ebene Gehör verschaffen zu können. (ID1, F67) 2) Fünfmal wurde ganz allgemein gelungene Kooperation in Zusammenhang mit Erfolg gebracht und 3) es wurde zweimal die Anerkennung durch Politik und Verwaltung als Erfolgskriterium genannt: Anerkennung der Notwendigkeit der Arbeit durch Politik und Verwaltung. (ID11, F68) Rechtsextreme und Opfer rechtsextremer Übergriffe wurden im Fragebogen nicht explizit angesprochen, aber im Zusammenhang mit Erfolg erwähnt (vgl. Abschnitt c). b) Opfer rechtsextremer Gewalt Opfer und Opferbelange wurden in zwei verschiedenen Kontexten thematisiert. Zum einen als unmittelbar Betroffene von Beratung: Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen werden qualifiziert beraten und unterstützt. (ID27, F68) Dies wurde insgesamt zwölfmal von sieben Befragten angesprochen (NWS: 1, OBS: 5, MBT: 1). Zum anderen ging es darum, die Belange von Opfern gegenüber anderen Akteuren oder in der Öffentlichkeit zu vertreten: Lobbyarbeit für Opfer: Durch das CIVITAS-Projekt stehen die Opfer und deren Bedürfnisse im Mittelpunkt. (ID34, F67) Dies wurde zehnmal von sechs Befragten genannt (NWS: 1, OBS: 5, MBT: 0). c) Rechtsextreme „Rechtsextreme“ werden von der überwiegenden Mehrheit der Projekte nicht als Zielgruppe betrachtet. Sie werden insgesamt sechsmal von fünf Befragten erwähnt (NWS: 4, MBT: 0, OBS: 1). In vier Äußerungen werden der Rückgang rechtsextremer Gewalt und rechtsextremer Gruppierungen als Erfolgskriterium genannt. In einem Fall wird Prävention als ein Tä- 27 28 Vgl. Abschnitte 2.1 und 2.6. Vgl. Abschnitt „Kooperationen“. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 52 tigkeitsbereich genannt und in einem weiteren Fall (NWS) werden Rechtsextreme als Gegenspieler und damit als unmittelbare Zielgruppe angesehen: Die Nazis nehmen uns als Gegenmacht wahr. (ID17, F67) d) Öffentlichkeit Öffentlichkeit und damit Öffentlichkeitsarbeit, die Wahrnehmung der eigenen Arbeit in der Öffentlichkeit und die Etablierung öffentlich geführter demokratischer Diskurse zum Thema Rechtsextremismus nehmen eine herausragende Stellung im Zusammenhang mit Erfolg ein: Medienpräsenz. (ID26, F68) Etablierung demokratischer Diskurse und öffentliche Präsenz von Engagement. (ID3, F68) Gute Wahrnehmung der Arbeit in der Öffentlichkeit. (ID11, F67) In insgesamt 41 Textpassagen wurde diese Thematik von 22 Befragten angesprochen (NWS: 11, MBT: 5, OBS: 6). Methoden und Arbeitsweisen Der folgende Überblick über die Methoden29 zeigt, dass die Strukturprojekte – ähnlich wie bei den Zielgruppen – zwar spezifische Profile haben, die Unterschiede aber nur graduell, das heißt die Übergänge fließend sind. So sehen sich die Netzwerkstellen zwar – fast – durchgängig für Netzwerkarbeit zuständig, aber auch die MBTs tun dies immerhin zu 80% (vgl. Tabelle 18). Beratungsangebote bzw. Diskussions- und Informationsveranstaltungen werden sowohl von den MBTs (100% bzw. 83%) als auch von den OBS (88% bzw. 100%) gemacht. Allein die MBTs haben im Hinblick auf die Methoden ein eigenständiges Profil entwickelt. Sie nutzen einige Methoden fast ausschließlich und besetzen damit wohl auch Zuständigkeiten: bei „lokalen Aktionsplänen“, „Qualifizierung und Weiterbildung“ sowie „politischer Erwachsenenbildung“. Fast alle Methoden werden mehrfach genannt. Allein „Forschung“ und die „Entwicklung von pädagogischen Materialien“ werden nicht bzw. nur einmal erwähnt. Es kann also gesagt werden, dass das durch die Antwortmöglichkeiten vorgegebene Methodenspektrum genutzt wird, auch wenn es zu ,Klumpungen’ bei einigen Methoden kommt. Es lässt sich aber auch die Frage stellen, ob darüber hinausgehende Spezifizierungen der Projekttypen und eine gleichmäßigere Nutzung der zur Verfügung stehenden Methoden nicht sinnvoll wäre. 29 Frage 37: Welchem der folgenden Projekttypen würden Sie Ihr Projekt schwerpunktmäßig zuordnen? CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 53 Tabelle 18: Strukturprojekte – Projekttypen/Methoden (Maximal 5 Antworten) MBT NWS OBS Gesamt Beratungsangebote 6 100% 10 46% 7 88% 23 64% Aufbau von Netzwerken 5 83% 20 91% 4 50% 29 81% Außerschulische Jugendbildung 1 17% 4 18% 2 25% 7 19% Politische Erwachsenenbildung 4 67% 3 14% 2 25% 9 25% Historische Bildung / Geschichtsprojekte zum Nationalsozialismus 0 0% 5 23% 0 0% 5 14% Diskussions- und Informationsveranstaltungen 5 83% 14 64% 8 100% 27 75% Fachtagungen und Kongresse 0 0% 3 14% 3 38% 6 17% Qualifizierung und Weiterbildung 5 83% 8 36% 3 38% 16 44% Forschungsprojekte 0 0% 0 0% 0 0% 0 0% Entwicklung von pädagogischen Materialien 0 0% 1 5% 0 0% 1 3% Schulprojekte 0 0% 7 32% 2 25% 9 25% Medienprojekte / Ausstellungen 0 0% 8 36% 0 0% 8 22% Kulturprojekte (Theater, Musicals, u.ä.) 0 0% 5 23% 0 0% 5 14% 6 100% 8 36% 3 38% 17 47% 0 0% 7 32% 1 13% 8 22% Lokale Aktionspläne / Interventionen Veranstaltung von Aktionstagen / Events 1 fehlender Fall, 36 gültige Fälle Im Zusammenhang mit den Methoden stellt sich die Frage nach den Arbeitsweisen bzw. -stilen insgesamt. Dies wurde im Kontext von Erfolg häufiger von den befragten Projektmitarbeitern angesprochen. Dabei kristallisierten sich drei Konzepte als besonders wichtig heraus. Die Arbeit der Projekte sollte nachhaltig sein: Eine Verstetigung der Arbeit durch bessere Integration im regionalen und lokalen Umfeld wäre ein Erfolg. (ID21, F68) Die gelungene Institutionalisierung von Kooperationen, die Etablierung dauerhafter Diskurse zum Thema und eine beständige Bekanntheit der Projekte wurden 19mal von 13 Befragten im Zusammenhang mit dem Erfolg der eigenen Arbeit genannt (NWS: 7, OBS: 5, MBT: 1). CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 54 Die eigene Arbeit sollte zudem innovativ sein: Sinnvolle Erweiterung/Ergänzung bereits bestehender Beratungsangebote. (ID33, F67) Die Entwicklung neuer Angebote und Handlungsstrategien wurde fünfmal genannt (NWS: 2, OBS: 2, MBT: 1). Als erfolgversprechende Art und Weise des eigenen Vorgehens wurden darüber hinaus „anerkennend“ und „wertschätzend“ genannt: Etablierung von professionellen Beratungen und Begleitungen, in denen die Akteure sich ernst genommen fühlen und in ihrem Engagement anerkannt sehen, die zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Akteure beitragen und die Perspektive von Minderheiten einbeziehen. (ID2, F67) Die Wertschätzung soll nach Meinung der sechs Befragten (sieben Nennungen) vor allem bereits bestehenden Initiativen entgegengebracht werden – auch dann, wenn sie vielleicht geringe lokale Akzeptanz genießen (NWS: 1, OBS: 2, MBT: 3). Offen bleibt, ob alle Formen gesellschaftlichen Engagements gleichermaßen anerkannt werden sollen oder ob es hier Differenzierungen gibt. 2.5 Lokale Rahmenbedingungen Neben den ‚inneren’ Bedingungen, also denjenigen, die von den Trägern bzw. den Projekten selbst zu verantworten sind, sind auch ‚äußere’ Bedingungen, also solche, die im Umfeld der Projekte vorgefunden werden, für erfolgreiche Arbeit maßgebend. Die wenigen Indikatoren, die hierzu abgefragt wurden, können selbstverständlich kein vollständiges Bild, aber zumindest einige Hinweise liefern. Rechtsextreme Erscheinungen30 Dass Rechtsextremismus von „Profis“ in größerem Umfang wahrgenommen wird, dürfte nicht überraschen (vgl. Abbildung 1). Die vorgegebenen Erscheinungsformen von Rechtsextremismus werden in etwa in gleicher Intensität von drei Viertel der Interviewten wahrgenommen: Rechtsextreme Organisationen/Kameradschaften: 68%, Dominanz rechtsextrem orientierter Jugendgruppen: 70%, Angstzonen für bestimmte Bevölkerungsgruppen: 76%, Rechtsextreme Straftaten: 73%. Allein die Konflikte zwischen ‚rechten’ und ‚linken’ Gruppen werden etwas seltener wahrgenommen (49%). Neben den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten31 wird vor allem der Auftritt rechtsextremer Organisationen in der Öffentlichkeit in Form von Demonstrationen oder Kundgebungen genannt. Daneben werden die Präsenz von „szenetypischen“ Läden und anderen Treffpunkten in der Öffentlichkeit festgestellt. 30 Frage 40: Welche öffentlich sichtbaren Erscheinungen im Bereich des Rechtsextremismus gibt es hauptsächlich in Ihrem Aktionsgebiet? 31 Antwortmöglichkeit Sonstiges (offen) wurde insgesamt elfmal genutzt. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 55 1,2 1 0,8 Berlin 0,6 Brbg 0,4 Meckl/Vorp 0,2 Sachsen Öffentlicher REX: Konflikte zwischen rechten und linken Gruppen Öffentlicher REX: Rechtsextreme Straftaten Öffentlicher REX: Angstzonen für bestimmte Bevölkerungsgruppen Öffentlicher REX: Dominanz rechter Jugendgruppen 0 Öffentlicher REX: Rechtsextreme Organisationen/Kamer adschaften (Anteil in Prozent, 1= 100%) Abbildung 1: Wahrnehmung rechtsextremer Erscheinungen nach Bundesländern (Mehrfachantworten: ohne Antwortbeschränkung) SnAnh Thü Im Vergleich der Bundesländer zeigen sich einige deutliche Unterschiede, bei denen allerdings sehr geringe Fallzahlen zu berücksichtigen sind. So wird die Wahrnehmung rechtsextremer Erscheinungen in Brandenburg durch zwei Interviewpersonen repräsentiert. Gravierend ist die unterschiedliche Einschätzung des Auftritts rechtsextremer Organisationen/Kameradschaften in der Öffentlichkeit zwischen Berlin und Thüringen.32 Kooperationen33 Es ist anzunehmen, dass sich die Kooperationsbeziehungen der Strukturprojekte in den verschiedenen Regionen mehr oder weniger deutlich unterscheiden, da die lokalen Kooperationsstrukturen selbst unterschiedlich sind und die Arbeitsbündnisse in Abhängigkeit der vorgefundenen Gegebenheiten und den daraus resultierenden Aufgaben geschlossen werden. Der folgende Überblick ebnet diese Unterschiede entsprechend etwas ein. Die Zusammenarbeit der Strukturprojekte untereinander gestaltet sich tendenziell uneinheitlich (vgl. Tabelle 19). So geben drei der MBTs an, sie hätten keine Kooperation mit anderen MBTs, eines hingegen schätzt die Zusammenarbeit als „sehr stark“ ein; dies aber offensichtlich mit einem MBT, das die Frage nicht beantwortet hat. Auch die Zusammenarbeit unter den OBS ist uneinheitlich: zwei OBS geben an, sie kooperierten „gar nicht“ untereinander, drei OBS taten dies „eher stark“ bzw. „sehr stark“. NWS kooperieren in der überwiegenden Zahl: 13 der 15 NWS (87%) taxierten ihre Beziehung als „eher stark“ bzw. als „sehr stark“. Das Bild bleibt auch uneinheitlich, wenn man die Kooperationen zwischen den verschiedenen Strukturprojekten betrachtet. Dies gilt in besonderer Weise für die Zusammenarbeit zwischen OBS und NWS. In der Perspektive der NWS findet fast die Hälfte (47%), dass es keine oder nur eine „eher schwache“ Zusammenarbeit gibt. Die Zusammenarbeit mit den MBTs findet in 32 Dieser Zusammenhang wird auch statistisch signifikant: T-Test 0,004 (zweiseitig und angenommene Gleichverteilung) 33 Frage 41: Wie arbeitet das Projekt mit den folgenden Akteuren in dem jeweiligen Aktionsgebiet zusammen? Frage 42: Wie arbeitet das Projekt mit den folgenden Institutionen in dem jeweiligen Aktionsgebiet zusammen? CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 56 der Sicht der OBS zu einem größeren Teil (63%, n=5) „eher stark“ oder „stark“ statt. Hier zeigen sich allerdings Disparitäten, denn die MBTs stufen die Kooperationen mit den OBS deutlich besser ein. Dies mag ein Hinweis darauf sein, dass in die Beurteilung der Kooperationsbeziehungen eventuell auch der Bedarf an Zusammenarbeit eingeflossen ist und dieser Bedarf aus den jeweiligen Blickwinkeln als unterschiedlich hoch bewertet wurde. Tabelle 19: Projekte – Kooperation untereinander MBT NWS OBS gar nicht / eher schwach eher stark / sehr stark gar nicht / eher schwach eher stark / sehr stark gar nicht / eher schwach eher stark / sehr stark MBT 3 75% 1 25% 1 17% 5 83% 1 17% 5 83% NWS 5 26% 14 74% 2 13% 13 87% 9 47% 10 53% OBS 3 38% 5 63% 4 57% 3 43% 2 40% 3 60% Betrachtet man die Mittelwerte (vgl. Abbildung 2), zeigt sich, dass die Kooperationen unter den Strukturprojekten im Vergleich mit denen zu den lokalen Akteuren tendenziell eine mittlere bis wichtige Stellung einnehmen. Allerdings gibt es auch hier, je nach Projekttyp, deutlich unterschiedliche Akzentsetzungen. Örtliche Bündnisse/Initiativen sind als lokale Akteure die wichtigsten Kooperationspartner für alle Strukturprojekte (arith. Mittel für MBT: 3,3; NWS: 3,6; OBS: 3,134, vgl. Abbildung 2) Unterschiede zeigen sich bei den weiteren Kooperationen: Für MBTs spielen Sozialarbeiter/innen ebenfalls eine gleichrangige Rolle (arith. Mittel: 3,3). Für OBS haben Kooperationen mit anderen Beratungsstellen zentrale Bedeutung (arith. Mittel: 3,1), für NWS sind dies Jugendgruppen und Jugendliche (arith. Mittel: 3,2). Eher unwichtige Kooperationsbeziehungen sind für die MBTs andere Beratungsstellen (arith. Mittel: 1,8), für die OBS Bürgermeister und Kommunalpolitiker (arith. Mittel: jeweils 1,9) und für die NWS die örtliche Antifa (arith. Mittel: 2,0). Sucht man nach Differenzen zwischen den Strukturprojekten in der Art der Kooperation mit Hilfe statistischer Verfahren35, erweisen sich fünf der 11 Kooperationen mit regionalen Akteuren signifikant unterschiedlich. Insbesondere bei der Zusammenarbeit mit Sozialarbeiter/innen zeichnet sich ein klares Profil der Strukturprojekte ab, das sich auch inhaltlich gut interpretieren lässt. Während MBTs Sozialarbeiter/innen als wichtige Zielgruppe sehen (Multiplikator/innen), sehen sich OBS tendenziell in einem Konkurrenzverhältnis dazu. Für NWS haben sie mittlere Bedeutung. 34 Die vorgegebenen Ausprägungen waren: 1= gar nicht, 2 = eher schwach, 3 = eher stark, 4 = sehr stark. 35 Es wurde eine einfaktorielle Varianzanalyse (One-Way ANOVA) verwendet. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 57 4 3,5 3 2 1,5 /in ne er ic h e la r be hr Le zi a So Ki rc hl s n ite M r/ i ita n ne St rb ad n ei te tra r/i t/K nn om en m un al Po ra lit ts ik m er itg /P lie ar de te r im itg lie de r 1 ile M ob MBT NWS OBS 2,5 Be ra O tu pf ng er st be ea ra m tu ng s s N te et lle zw er ks te An lle de re Be ra tu ng Ju ge ss te nd lle gr up pe n/ Ju ge nd lic he Mittelwerte: 1 = gar nicht, 4 = sehr stark Abbildung 2: Projekte – Kooperation mit Akteuren Durch die Antworten auf die Frage nach der Intensität der Kooperation mit verschiedenen Institutionen wird die Bedeutung der örtlichen Bündnisse und Initiativen bestätigt: Vereine haben für alle Strukturprojekte eine herausgehobene Bedeutung bei der Zusammenarbeit (arith. Mittel: MBT: 3,2; NWS: 3,4; OBS: 3,4, vgl. Abbildung 3). Spezialisierungen zeichnen sich auf den darauf folgenden Rängen ab: MBTs kooperieren stark mit der „Politik“ (arith. Mittel: 3,2), NWS sehen sich auch hier vor allem für Jugendliche zuständig und messen deshalb der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt besonderen Wert bei (arith. Mittel: 3,1) und OBS kooperieren – als Beratungsinstitution unter anderem. für Opfer von Straftaten nahe liegend - intensiv mit der Polizei (arith. Mittel: 2,9). Eine deutlich nachrangige Bedeutung hat für alle Strukturprojekte die Zusammenarbeit mit Unternehmen (arith. Mittel: MBT: 1,5; NWS: 1,6; OBS: 1,3). Auch hier wurde mit Hilfe eines statistischen Verfahrens nach signifikanten Unterschieden zwischen den Strukturprojekten gesucht36: Von den abgefragten zehn Kooperationsbeziehungen trifft dies auf vier zu. Vor allem in der Zusammenarbeit mit der Justiz zeigen sich recht deutliche Unterschiede. Während NWS überwiegend nicht mit der Justiz kooperieren (58%), tun dies drei Viertel der OBS „eher stark“. MBTs zeigen hier ein uneinheitliches Bild. 36 Vgl. Fußnote 35 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 58 4 3,5 3 MBT NWS 2,5 OBS 2 1,5 Ve re in e k Ve rw al tu ng Po lit i tiz Ju s Po liz ei Sc hu le n 1 Ju ge nd Ki am rc he t ng em ei nd G e ew er ks ch af U t nt er ne hm en Mittelwerte: 1 = gar nicht, 4 = sehr stark Abbildung 3: Projekte – Kooperation mit Institutionen Zwischenfazit Ähnlich wie bei den Zielgruppen und Methoden lassen sich auch bei den Kooperationsbeziehungen Ansätze von Profilen der Strukturprojekte im Sinne von Zuständigkeiten erkennen. Diese Profile können inhaltlich aber nur teilweise begründet werden. Es ist zu vermuten, dass lokale Besonderheiten, zufällige Konstellationen, persönliche Sympathien, differierende Konzepte etc. beim Zustandekommen eine Rolle spielen. Obwohl eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten wohl eher nicht wünschenswert ist, da sich die Kooperationen ja auch auf unterschiedliche Aspekte der Arbeit beziehen, ist zu überlegen, ob eine stärkere Differenzierung der Zuständigkeiten für den Aufbau gleichmäßigerer Kooperationsstrukturen nicht förderlich wäre; zumal einige Akteure und Institutionen, vor allem Unternehmen, nicht wirklich in die Arbeit von CIVITAS einbezogen werden. 2.6 Tätigkeitsbereiche und damit verbundene Vorstellungen von Erfolg und Erfolgskriterien37 In der offen erhobenen Frage38 nach dem Erfolg des Projekts und den Erfolgskriterien kristallisieren sich vier Tätigkeitsbereiche heraus, mit denen Erfolg unmittelbar verknüpft ist: Sensibilisierung, Aktivierung (Mobilisierung), Befähigen (Beraten, Unterstützen) und Vernetzen (vgl. Tabelle 20). 37 Frage 67: Bitte beschreiben Sie kurz, was Sie als Erfolg des CIVITAS-Projekts bewerten. Keine Antwortvorgabe. Frage 68: Nach welchen Kriterien messen Sie den Erfolg des CIVITAS-Projekts. (Nennen Sie maximal fünf Kriterien des Erfolgs.) Keine Antwortvorgabe. 38 Vgl. 2.1 Einleitung CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 59 Tabelle 20: Projekte – Basistätigkeiten und Erfolg Kategorie Projekttyp MBT NWS OBS Gesamt Gesamt Sensibilisierung Aktivierung Befähigen / Unterstützen Vernetzen 9 1 11 6 27 33% 4% 41% 22% 100% 8 5 12 39 64 13% 8% 19% 61% 100% 4 2 5 3 14 29% 14% 36% 21% 100% 21 8 28 48 105 20% 8% 27% 46% 100% Die Ziele, die mit diesen Tätigkeiten verbunden sind, sind gewissermaßen bereits in den Begriffen enthalten. Einen Erfolg erzielt man dann, wenn die Tätigkeit im erwünschten Sinn wirkt. Sensibilisierung Mit Sensibilisierung ist die Sensibilisierung der Wahrnehmung der Bevölkerung und der Akteure für rechtsextreme Aktivitäten und die Problematik insgesamt gemeint: Weitere Sensibilisierung in der Region für rechtsextreme Tendenzen. (ID: 25, F67) Sensibilisierungsbedarf wird bei sehr unterschiedlichen Institutionen und Bevölkerungsgruppen gesehen: Sensibilisierung von Institutionen, Unternehmen, Stadtverwaltung und Polizei für die Thematik. (ID: 29, F67) Anzahl der Projekte zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, die Vereine, Verbände und Einrichtungen durchführen u. damit Kinder, Jugendl. und Eltern für diese Thematik sensibilisieren. (ID: 32, F68) Die Methoden wurden in der Regel nicht weiter spezifiziert. Erkennbar war aber, dass insbesondere Öffentlichkeitsarbeit zum Erreichen dieses Ziels geeignet erscheint. Insgesamt ist diese Tätigkeit auf eine Veränderung des politischen Klimas gerichtet. Als Erfolg gilt, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Rechtsextremismus geschärft wurde. Von 14 Befragten (38%) wurde dieser Tätigkeitsbereich 21mal im Zusammenhang mit Erfolgsbestimmungen genannt. MBTs und NWS nannten diesen Tätigkeitsbereich ungefähr gleich häufig (neunmal und achtmal). Von OBS wurde er lediglich viermal genannt. Aktivieren Mit Aktivierung sind Tätigkeitsbereiche gemeint, die Bürger und zivilgesellschaftliche Akteure zum unmittelbaren Handeln motivieren sollen: Mobilisierung v. bisher untätigen Akteuren f. Demokratie versus Rex, Rassismus, Antisemitismus – bzw. eindeutigere Positionierungen. (ID3, F68) CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 60 Animation eines größeren bzw. bisher weniger aktiven Personenkreises auf zivilgesellschaftlicher Ebene. (ID26, F68) An Zielgruppen wurden auch hier verschiedene Personenkreise (Schüler, Bürger) und Institutionen (Vereine, Verbände) genannt. Auf welche Weise aktiviert werden soll, blieb unerwähnt. Als Erfolg wurde – recht unspezifisch – die Zunahme von politischem Engagement und politisch Engagierter genannt. Insgesamt wurde dieser Tätigkeitsbereich achtmal von sieben Befragten erwähnt. Am häufigsten verbanden Mitarbeiter von Netzwerkstellen diesen Tätigkeitsbereich mit Erfolg (n=5). Bei den OBS taten dies nur zwei und bei den MBTs nur einer. Befähigen/Unterstützen Befähigung (in Sinne von Beratung) zielt auf die Stärkung von Handlungskompetenzen: Handlungsfähigkeit der Akteure gegenüber rechtsextremen Erscheinungen im Sinne einer menschenrechtsorientierten Kultur [stärken]. ( ID2, F68) Im Zusammenhang mit Opferberatung spielte auch der Aspekt der Unterstützung eine gewisse Rolle: Asylbewerber erfahren notwendige Unterstützung bei elementaren Problemen. (ID40, F67) Mehrfach (n=4) wurde die Professionalisierung der Beratungstätigkeit (zum Beispiel Einführung eines Dokumentationswesens, strukturiertes nachvollziehbares Arbeiten) als wichtiges Ziel genannt. Ansonsten blieben die Methoden unspezifiziert. Was Erfolg ausmacht, wurde nicht genauer definiert. Der Tätigkeitsbereich „Befähigen/Unterstützen“ wurde von 18 Befragten 28mal angesprochen. Alle sechs MBTs nahmen hierzu Stellung. Neun der 23 Netzwerkstellen taten dies ebenfalls. Auffallend ist, dass nur drei der befragten Mitarbeiter der OBS den Tätigkeitsbereich „Befähigen/Unterstützen“ unmittelbar mit Erfolg verknüpften. Vernetzen Unter dem Begriff „Vernetzen“ wurden alle Tätigkeiten zusammengefasst, die auf eine Verbesserung von Kooperation und Kommunikation zielen: Verbesserung der Kommunikation und Kooperation (systematischer Erfahrungsaustausch) zw. Akteuren. (ID2, F67) Verbesserung der Kommunikation unter den Initiativen. Vermehrte Kontakte zwischen lokalen Institutionen und den Kooperationspartnern der AG-Netzwerke. (ID17, F67) Als Kooperationspartner wurden meist allgemein „Initiativen“ und „Akteure“ genannt. Darüber hinaus wurde insbesondere Wert auf Kooperation mit Verwaltung und Politik gelegt: Kooperationsstrukturen zur lokalen und regionalen Verwaltungsebene. (ID38, F68) Partnerschaften mit Politik und Verwaltung. (ID35, F67) Auch hier wurden die Methoden zum Erreichen der Ziele nicht weiter spezifiziert. Als Erfolgskriterien wurde fast ausschließlich die Zunahme von Kooperation und Kommunikation genannt. Dieser Tätigkeitsbereich wurde von 25 Befragten 48mal genannt und nimmt damit eine herausragende Stellung ein. In erster Linie selbstverständlich für die Netzwerkstellen (18 von 23 CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 61 Fällen). Aber auch für die MBTs (vier Fälle) und die OBS (drei Fälle) stellt Netzwerkarbeit einen wichtigen Tätigkeitsbereich dar. Erfolgskriterien Erfolg wurde in 61 Antworten von 23 Befragten ausschließlich im Sinne eines allgemeinen positiven Feedbacks oder eines solchen der Zielgruppen konkretisiert (NWS: 14, MBT: 4, OBS: 5): Positives Feedback auf die Arbeit. (ID30, F67) Bitten um Unterstützung. (ID4, F68) Anfragen nach Zusammenarbeit. (ID13, F68) In acht Antworten wurde Erfolg an der Anzahl der Klienten gemessen: Zahlreiche Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen konnten unterstützt werden. (ID27, F67) Die Zufriedenheit von Klienten wurde in 4 Antworten angesprochen. Beide Aspekte wurden überwiegend von Opferberatungsstellen angeführt. Als Anzahl der Anfragen nach Unterstützung oder Beratung wurde Erfolg in 12 Antworten von 12 Befragten operationalisiert. Als Anfrager wurden Journalisten, Experten, Institutionen u.a. genannt. Dieses Kriterium streute über alle Projekttypen. Als ein weiteres Kriterium wurde die quantitative Zunahme zivilgesellschaftlicher Akteure 5mal von 5 Befragten angeführt. Zwischenfazit Die Auswertung der Fragen nach dem Erfolg von CIVITAS-Projekten und deren Operationalisierung als Erfolgskriterien zeigt sehr deutlich, dass der überwiegende Teil der Projekte Erfolg nur auf einer sehr allgemeinen Ebene definieren kann und nicht in der Lage ist, klare Erfolgskriterien festzulegen. Dies gilt für alle Projekttypen gleichermaßen. Die Gründe hierfür können in einer diffusen Auftragslage, ungenügend differenzierten Konzepten und Problemen bei deren Umsetzung liegen. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass im Rahmen einer schriftlichen Befragung tendenziell globale Ziele und Erfolgskriterien genannt werden. Große Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Basistätigkeiten und den damit verbundenen Zielen: Sensibilisieren, Aktivieren, Befähigen und Vernetzen. Fast alle Äußerungen lassen sich auf einen dieser Tätigkeitsbereiche beziehen. Aber auch hier zeigt sich eine gewisse Diffusion hinsichtlich der gesteckten Ziele. Alle Projekttypen sehen sich mehr oder weniger für alle Aufgaben zuständig. Eine halbwegs eindeutige Schwerpunktsetzung gibt es lediglich bei den Netzwerkstellen, während MBTs und OBS über die angeführten Tätigkeitsbereiche und damit auch über die mit ihnen verknüpften Ziele stärker variieren. Das Tätigkeitsfeld „Vernetzen“ erweist sich insgesamt als von herausragender Bedeutung. Das Bild rundet sich ab, wenn man diesen Tätigkeitsbereich in Zusammenhang mit Öffentlichkeitsarbeit betrachtet. Es entsteht eine Art Zwiebelmodell, dessen Kern von engen Kooperationsbeziehungen zwischen den Projekten und Initiativen gebildet wird. Es schließen sich Bekanntheit und Kooperationen im breiteren lokalen Umfeld mit zivilgesellschaftlichen Ak- CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 62 teuren und schließlich die Bekanntheit in der medialen Öffentlichkeit an. Auf diese Weise soll eine „Gegenmacht zu Rechts“ erzeugt werden, die in der Lage ist „demokratische Diskurse“ zu etablieren. Die Art und Weise, in der diese Gegenmacht aufgebaut werden soll, zielt vor allem auf Nachhaltigkeit (vgl. Tabelle 21). Die Projekte sollen auf Dauer in die „Projektlandschaft“ integriert und von den Kooperationspartnern akzeptiert sein. Der Weg dorthin wird erreicht, wenn man Initiativen und Akteuren wertschätzend gegenübertritt. Auch dann, wenn es sich um – wie es in eine Aussage heißt - „Nestbeschmutzer“ handelt, also Initiativen und Vereine mit geringer Akzeptanz. Tabelle 21: Projekte – Arbeitsstile und Erfolg Kategorie Innovativ Projekttyp MBT NWS OBS Gesamt Gesamt Nachhaltig Anerkennend/ Wertschätzend 1 2 4 7 14% 29% 57% 100% 2 11 1 14 14% 79% 7% 100% 2 6 2 10 20% 60% 20% 100% 5 19 7 31 16% 61% 23% 100% 2.7 Fazit Als Resümee der Auswertung der standardisierten Befragung lassen sich folgende Ergebnisse festhalten. Die Träger der Strukturprojekte haben bedeutenden Einfluss auf die Arbeit der Projekte. Dies gilt sowohl für deren inhaltliche Ausrichtung als auch für die Serviceleistungen, die der Träger für sie erbringt. So zeigte sich, dass vor allem Projekte kleinerer Träger ihre Arbeit als „antirassistische“ bzw. „antifaschistisch“ bezeichnen und mit entsprechender inhaltlicher und methodischer Ausrichtung in ihrem Umfeld agieren. Es ist darüber hinaus anzunehmen, dass die Bedeutung, die die Zielgruppe „Jugendliche“ hat, zum Teil daher rührt, dass der größte Teil der Träger aus der Jugendhilfe kommt. Auf der Ebene der Serviceleistungen, die die Träger für die Projekte erbringen, erweisen sich insbesondere die großen Träger den kleinen überlegen. Große Träger sind eher in der Lage, die Projekte durch die Übernahme verwaltungstechnischer Aufgaben zu entlasten. Die Ergebnisse der Befragung geben allerdings keinen Aufschluss darüber, ob die engere personelle Verflechtung der Projekte mit ihren Trägern, die es bei kleinen Trägern gibt, positive Effekte hat, die die geringere Unterstützung bei den Serviceleistungen wett machen. Es stellt sich die Frage, ob kleinere Träger bei diesen allgemeinen Aufgaben durch CIVITAS unterstützt werden sollten. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 63 Die einzelnen Typen der Strukturprojekte zeigen hinsichtlich ihrer Aufgaben, Methoden, Kooperationsbeziehungen und Zielgruppen zwar Ansätze von Profilen im Sinne von Zuständigkeiten, diese könnten aber noch klarer herausgearbeitet werden. So wäre beispielsweise zu verhindern, dass zwar alle Projekttypen Jugendliche, aber nicht oder nur in sehr geringem Umfang Polizei, Justiz und Unternehmen als wichtige Zielgruppe betrachten. Dabei ist aber auch zu beachten, dass die allgemeinen Aufgaben und Vorgehensweisen den lokalen Bedingungen und Problemstellungen jeweils neu anzupassen sind. CIVITAS: Statistisch-deskriptiver Überblick über die Struktur- und zivilgesellschaftlichen Projekte 64 CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 65 IV A Mobile Beratung (von Heinz Lynen von Berg) 1 2 3 Gegenstand der Untersuchung..................................................................................... 68 1.1 Ausgangspunkt der Untersuchung .......................................................................... 68 1.2 Fragestellung und Materialbasis der Untersuchung ................................................ 68 1.3 Vorgehen und Methoden......................................................................................... 69 1.4 Idealtypische Beschreibung des Ansatzes Mobile Beratung................................... 70 1.5 Schlüsselkategorien................................................................................................. 71 1.6 Die Mobilen Beratungsteams des CIVITAS-Programms ....................................... 72 Regionale und lokale Rahmenbedingungen Mobiler Beratung ................................ 75 2.1 Sozial-ökonomische Rahmenbedingungen ............................................................. 75 2.2 Defizite in der Jugendarbeit .................................................................................... 77 2.3 Mangelndes Problembewusstsein ........................................................................... 79 2.4 Fremdenfeindliche und antidemokratische Grundhaltungen................................... 80 2.5 Grundvoraussetzungen für Mobile Beratung .......................................................... 81 2.6 Positive Entwicklungen........................................................................................... 85 2.7 Fazit......................................................................................................................... 86 Ansätze und Tätigkeiten Mobiler Beratungsteams.................................................... 87 3.1 Ansätze und Ziele Mobiler Beratung ...................................................................... 87 3.1.1 Der offene moderierende Ansatz..................................................................... 87 3.1.2 Der Ansatz der Gegnerschaft zum Rechtsextremismus .................................. 90 3.1.3 Ziele Mobiler Beratung ................................................................................... 91 3.1.4 Fazit................................................................................................................. 92 3.2 Zielgruppen Mobiler Beratung................................................................................ 94 3.2.1 Allgemeine Bestimmung der Zielgruppen ...................................................... 94 3.2.2 Hauptzielgruppen ............................................................................................ 94 3.2.3 Ausweitung der Zielgruppen ........................................................................... 95 3.2.4 Offenheit der Zielgruppen............................................................................... 96 3.2.5 Fazit................................................................................................................. 97 3.3 Rollen- und Selbstverständnis der Mobilen Beratungsteams.................................. 98 3.3.1 Grundzüge und Ambivalenzen des Rollenverständnisses............................... 98 CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 3.3.2 Berater oder Akteur....................................................................................... 100 3.3.3 Bewegungs- und politischer Akteur .............................................................. 101 3.3.4 Mobile Beratung als Moderation................................................................... 103 3.3.5 Fazit............................................................................................................... 106 3.4 Vorgehen und Methoden der Mobilen Beratungsteams........................................ 106 3.4.1 Erst- und Kontaktgespräche .......................................................................... 109 3.4.2 Analyse und Recherchetätigkeiten ................................................................ 111 3.4.3 Entwicklung von (lokalen) Handlungsstrategien .......................................... 115 3.4.4 Vorgehen bei der Beratung von Jugendeinrichtungen – ein Fallbeispiel...... 116 3.4.5 Ein weiterer Tätigkeitsbereich: Fortbildung.................................................. 119 3.4.6 Reflexion der Arbeit...................................................................................... 121 3.4.7 Fazit............................................................................................................... 122 3.5 4 66 Ergebnisse und Erfolge der Mobilen Beratungsteams .......................................... 123 3.5.1 Kann man den Erfolg Mobiler Beratung messen? ........................................ 124 3.5.2 Sensibilisierung durch Mobile Beratung....................................................... 127 3.5.3 Aktivierung durch Mobile Beratung ............................................................. 128 3.5.4 Netzwerkbildung und Bündnisse .................................................................. 129 3.5.4.1 Zusammenarbeit der MBTs mit OBS und NWS....................................... 129 3.5.4.2 Zusammenarbeit der MBTs untereinander................................................ 131 3.5.5 Nachhaltigkeit und „manifeste“ Ergebnisse.................................................. 132 3.5.6 Misserfolge.................................................................................................... 135 3.5.7 Fazit............................................................................................................... 136 Vergleichende Fallbeschreibung zweier Beratungsprozesse ................................... 137 4.1 Auswahl der beiden Mobilen Beratungsteams...................................................... 137 4.2 Beschreibung Fall A.............................................................................................. 138 4.2.1 Lokale Rahmenbedingungen und Anlass der Mobilen Beratung.................. 138 4.2.2 Tätigkeiten des MBT A................................................................................. 139 4.2.3 Auswertung Fall A ........................................................................................ 145 4.3 Beschreibung Fall B .............................................................................................. 150 4.3.1 Lokale Rahmenbedingungen und Anlass der Mobilen Beratung.................. 150 4.3.2 Tätigkeiten des MBT B ................................................................................. 153 4.3.3 Auswertung des Falls B................................................................................. 159 4.4 Kontrastiver Fallvergleich und Fazit..................................................................... 160 CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 5 67 Zusammenfassung und Resümee der Evaluierung der Mobilen Beratung ........... 164 5.1 Ergebnisse der Evaluierung der Mobilen Beratungsteams.................................... 164 5.2 Anregungen für die weitere Arbeit........................................................................ 169 CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 68 1 Gegenstand der Untersuchung 1.1 Ausgangspunkt der Untersuchung Die Implementation der Mobilen Beratungsteams (MBT) ist in dem Bericht der ersten wissenschaftlichen Begleitforschung des CIVITAS-Programms unter der Leitung von Rommelspacher von der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin untersucht worden. Von ihrem Team wurde das erste halbe Jahr der Aufbauarbeit der MTBs und ihrer Infrastrukturen beschrieben. Aufgrund eines Wechsels in der wissenschaftlichen Begleitforschung liegt zwischen dem Erhebungszeitraum (Juli bis Dezember 2001) des Forschungsteams um Rommelspacher und dem Erhebungszeitraum der neu eingesetzten wissenschaftlichen Begleitforschung von Februar bis Oktober 2003 eine Lücke von mehr als einem Jahr, in der die Entwicklung der MBTs nicht verfolgt werden konnte. Auch deshalb konzentriert sich die Untersuchung der MBTs nicht auf eine Entwicklungsgeschichte ihrer Arbeit, sondern versucht anhand von punktuellen „Tiefenbohrungen“ und an exemplarischen Tätigkeitsbereichen der MBTs die für diese Tätigkeiten relevanten Einflussfaktoren/Rahmenbedingungen zu analysieren. Es geht also darum, den Förderschwerpunkt „Mobile Beratungsteams“ anhand ausgewählter und in den Interviews thematisierter (Tätigkeits-)Bereiche zu untersuchen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Beratungsansätzen, Vorgehensweisen und Resultaten näher zu beleuchten sowie die aus der Sicht der Berater/innen genannten Kontextbedingungen darzustellen. Kurzum, es geht um die Rekonstruktion eines Arbeitsfeldes, die Interventionen der Berater/innen in diesem Arbeitsfeld und um deren mögliche Folgen. Abschließend sollen die Vorgehensweisen und deren zu interpretierende Folgen im Hinblick auf eine demokratische Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus bewertet werden. 1.2 Fragestellung und Materialbasis der Untersuchung Die Fragestellung richtet sich in der Hauptsache auf die Tätigkeitsbereiche und Vorgehensweisen der MBTs. Was also tun die MBTs und wie tun sie es? Die Grundfragestellung lässt sich nun sowohl in der Breite der Tätigkeiten der MBTs sowie in der Tiefe in Hinblick auf das Rollenverständnis der Berater/innen, die Zielsetzungen, das methodische Vorgehen und die Qualität ihrer Arbeit ausdifferenzieren. Die dazu im Evaluationskonzept entwickelte Spannbreite der Fragestellungen wird aus darstellungstechnischen Gründen jeweils bei der Behandlung der einzelnen Frage- und Untersuchungsbereiche entwickelt. Arbeitsfelder und Arbeitspraxis wurden durch eine qualitative Querschnittsbefragung erhoben, in der sowohl Projektleiter/innen bzw. Koordinator/innen1, einzelne Kleinteams als auch der Koordinator für den Förderschwerpunkt MBT befragt wurden. Dazu wurden zwei Gruppendiskussionen mit den Leiter/innen aller MBTs, fünf problemzentrierte Einzelinterviews 1 Die Projektleitungen der MBTs bezeichnen sich in der Regel als Koordinatorin bzw. Koordinator. Damit es zu keinen Verwechselungen mit den Koordinatoren der einzelnen Förderschwerpunkte auf der Programmebene kommt, sind mit den Projektleiter/innen hier die Koordinator/innen der MBTs gemeint. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 69 mit Leiter/innen der MBTs sowie sieben Interviews mit Kleinteams von jeweils mindestens zwei Mitarbeiter/innen durchgeführt. Bis auf ein Bundesland wurden aus allen Ländern jeweils zwei Kleinteams – wenn vorhanden auch verschiedener Träger – interviewt. In einem Bundesland, in dem nur ein Kleinteam befragt werden konnte, ist zudem ein ausführliches Interview mit dem Leiter bzw. Koordinator des MBTs durchgeführt worden. Des weiteren wurden zwei Kleinteams aus verschiedenen Bundesländern näher begleitet und anhand intensiver exemplarischer Falluntersuchungen analysiert, zu denen jeweils ein bzw. zwei weitere Folgeinterviews stattfanden. Zu den beiden intensiver untersuchten Kleinteams wurden zudem sechs bzw. sieben externe Einschätzungen zu der Arbeit der MBTs von Kooperationspartnern bzw. wichtigen Akteuren/Experten aus den Kommunen eingeholt. Um auch einen an der Beratungspraxis orientierten weiteren Bewertungsmaßstab zu haben, fand zudem ein Interview mit dem Leiter des MBT Brandenburg statt, das nicht vom CIVITAS-Programm gefördert wird. Da dieses MBT von der Programmebene als eine Art Modell und Bezug für die Leitlinien des Förderschwerpunkts „Mobile Beratungsteams“ definiert wurde, sollte durch diese externe Expertenbefragung des Leiters des MBT Brandenburg die Basis für eine weitere Spiegelung der von der wissenschaftlichen Begleitforschung vorgenommenen Bewertung der Ansätze und Vorgehensweisen der durch das CIVITAS-Programm geförderten Mobilen Beratungsteams geschaffen werden.2 Berücksichtigung fanden zudem weitere externe Einschätzungen zum Programm und der Arbeit der MBTs von Trägern und von Experten in den Regionen, in denen die MBTs tätig sind. 1.3 Vorgehen und Methoden Bei den Gruppendiskussionen mit den Leiter/innen bzw. Koordinator/innen der MBTs handelte es sich um halb offene, problemzentrierte Interviews (vgl. Witzel 2000), die mit konträren Impulsthesen zu Ansätzen und Vorgehensweisen Mobiler Beratung seitens der wissenschaftlichen Begleitforschung eingeleitet wurden. Sie hatten zum Ziel, die Konzeptionen, Vorgehensweisen, Ziele und die für die Arbeit wichtigen Rahmenbedingungen in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten zu erheben. Die Gruppendiskussionen hatten den großen Vorteil, dass sich die jeweiligen Leiter/innen auf fokussierte Themen bezogen und in einer Interaktionsdynamik die verschiedenen Aspekte Mobiler Beratung diskutiert wurden. Dadurch gelang ein konstruktiver Austausch. Die themenzentrierten Interviews mit den Kleinteams wurden ebenfalls mit den gleichen Impulsen eröffnet, um mögliche Unterschiede zwischen der Leitungs- und Mitarbeiterebene festzustellen. Dies – um es vorwegzunehmen – war aber in prägnanter Weise in der Regel nicht der Fall. Aus allen Interviews wurden die von den Interviewten vorgenommenen Thematisierungen einerseits in Hinblick auf die von den Interviewten zugeschriebene Relevanz und andererseits im Bezug auf die Wichtigkeit für die Fragestellungen codiert und ausgewertet (vgl. Kap. II). Aus der Fülle des Interviewmaterials wurden dann die zu den jeweiligen Thematisierungen sowohl die in ihrer Grundaussage übereinstimmenden als auch differenten Textbelege zu einer verallgemeinerungsfähigen Aussage verdichtet. Als Belegstellen wurden diejenigen Textstellen ausgewählt, die in ihrer Aussage 2 Der Leiter des MBT Brandenburg, Wolfram Hülsemann, nahm zudem an der zweiten Gruppendiskussion mit den Leiter/innen der vom CIVITAS-Programm geförderten MBTs teil (vgl. GD 2). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 70 typisch für eine Thematisierung sind oder bezeichnende Differenzierungen oder Abweichungen markieren. So ist es gelungen, sowohl die für den Mobilen Beratungsansatz charakteristischen Gemeinsamkeiten als auch bezeichnende Unterschiede zu markieren. Es konnte auch gewährleistet werden, dass man aus der Fülle des Materials die Arbeitspraxis in ihrer Breite berücksichtigen und dennoch auf die wesentlichen Punkte begrenzen konnte. Wichtig ist noch die Feststellung, dass neben der von der wissenschaftlichen Begleitforschung vorgegebenen Problemfokussierung von den Befragten die ihnen wichtigen Themen in den Interviews artikuliert wurden. 1.4 Idealtypische Beschreibung des Ansatzes Mobile Beratung Die Mobile Beratung ist konzeptionell ein innovativer Ansatz zur Beförderung von Lernprozessen und Partizipation in der Kommune oder einem anderen Gemeinwesen. Diesen Ansatz gibt es in dieser ausgeprägten Form insbesondere in den neuen Bundesländern, weil hier im Gegensatz zu den alten Bundesländern neben einer weitverbreiteten Distanz zu den Institutionen des politischen Systems die zivilgesellschaftlichen Strukturen nicht so ausgeprägt und gefestigt sind (vgl. Stöss 2000; Lynen von Berg u.a. 2002: 313ff.). Die mit der kommunalen Beratung anvisierten „Großziele“ – wie die Entwicklung eines demokratischen und weltoffenen Klimas in den Kommunen und Gemeinwesen – sind auf langfristige Veränderungsprozesse hin angelegt und haben in der Regel eine präventive Ausrichtung. Da sich persönliche Einstellungen und Mentalitäten, politische Kulturen im Allgemeinen nur langsam ändern, kann nicht von schnellen und sichtbaren Erfolgen ausgegangen werden (vgl. z.B. Kocka 2003). Mobile Beratung geht als niedrigschwelliger Ansatz auf die Klienten und die vor Ort anzutreffenden Problemlagen ein und sucht in der Regel die zu Beratenden auf. Eine Beratung erfolgt auf Anforderung durch eine Institution oder auf Wunsch von Bürger/innen und Initiativen. Es kann aber auch vorkommen, dass die MBTs von sich aus auf öffentlich wahrnehmbare rechtsextreme Erscheinungen reagieren. Zentrale Beratungsgrundlage sind die Wünsche und Problemlagen sowie die Ressourcen der Klienten bzw. der Bürger/innen und Institutionen vor Ort. Die Bürger/innen und institutionellen Akteure sollen durch Beratung und Begleitung eines Prozesses in ihren Kompetenzen darin gestärkt werden, demokratie- und fremdenfeindliche Erscheinungen zu bearbeiten bzw. dazu befähigt werden, die sie in ihrem Gemeinwesen betreffenden Probleme und Anliegen selbst in die Hand zu nehmen und gestaltend auf das Gemeinwesen einzuwirken. Die Mobile Beratung soll so zum Aufbau und zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen animieren und hat die Aufgabe, dazu beizutragen, dass Bedingungen für gelingende Lern- und Partizipationsprozesse in Richtung auf ein besseres demokratisches Klima möglich werden. Die Mobile Beratung geht dabei von dem Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ aus. Die Beratung läuft darauf hinaus, dass sich die Berater/innen mehr und mehr „überflüssig machen“ und die Bürger/innen und institutionellen Akteure selbst zu den Akteuren des Erfolgs werden. Die Akteure vor Ort gelten dabei als die „eigentlichen“ Experten für die Lösung „ihrer“ Probleme. Diese an der Beratungspraxis der MBTs und den Leitlinien entwickelten Zielsetzungen und Aufgaben verdichten sich in den im Folgenden eingeführten Schlüsselkategorien, die die CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 71 vielseitigen Tätigkeiten der MBTs systematisieren und auf verallgemeinerbare und theoretisch abgeleitete Grundtätigkeiten zurückführen. Durch diese theoriegeleitete Systematisierung und Verdichtung wird eine idealtypische Tätigkeitsbeschreibung und Zielsetzung der Mobilen Beratung formuliert, anhand derer sich die Bewertung der praktischen Arbeit der MBTs orientieren kann. 1.5 Schlüsselkategorien Befähigen Die primäre Aufgabe Mobiler Beratung besteht darin, Akteure vor Ort dazu zu befähigen, mit Problemen im Kontext von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus eigeninitiativ unter optimaler Nutzung vorhandener materieller und personaler Ressourcen und in Anwendung demokratischer Auseinandersetzungsformen umzugehen und dabei möglichst viele Mitglieder des Gemeinwesens anzusprechen und aktiv zu beteiligen. Ziel dieses zum Self-Empowerment befähigenden Ansatzes ist es, die Handlungsressourcen im Gemeinwesen „freizulegen“ und individuelle und kollektive Handlungskompetenzen zu entwickeln und zu der Vitalisierung einer partizipativen Demokratie beizutragen. Dies kann durch Methoden der Beratung und Begleitung, Coaching und Projektentwicklung sowie der politischen Bildung und Informationsvermittlung geschehen. Sensibilisieren Voraussetzung für diesen Befähigungsprozess ist, dass eine Sensibilität für das Thema Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und der Notwendigkeit zu Interventionen besteht. Diese Sensibilisierung für das Thema muss über einen kleinen Kreis von bereits Sensibilisierten und Engagierten hinaus gehen, wenn Mobile Beratung als eine gemeinwesenorientierte Befähigungsstrategie wirken soll. Dabei kommt es insbesondere auch darauf an, diejenigen in den Kommunen zu erreichen, die als Verantwortungsträger Entscheidungsbefugnis und/oder als lokale Eliten einen Vorbildcharakter haben oder über Einfluss verfügen. Sensibilisierung hat zum Ziel, bei möglichst vielen Akteuren und Verantwortungsträgern eine Handlungsmotivation zu erzeugen. Sie ist Voraussetzung und gleichzeitig Anstoß zum Handeln. Eine auf effektive Ausnutzung der Ressourcen und Anwendung der vorhandenen Kompetenzen orientierte Beratung, mit dem Ziel, die zu Beratenden in ihrer Eigenaktivität und Problemlösungskompetenz zu stärken, setzt ein gewisses Maß an Sensibilität oder auch Leidensdruck voraus, an dem Beratung erst ansetzen kann. Aktivieren/Mobilisieren Rechtsextremismus hat sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Dimension. Gegenstand von Interventionsstrategien ist die gesellschaftlich-kollektive Ebene, die Rechtsextremismus als ein öffentliches Phänomen betrachtet, dem auch öffentlich und mit demokratischen Mitteln begegnet werden soll. Dazu ist es wichtig, dass möglichst viele Bürger/innen und Institutionen aus den unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen aktiviert werden. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 72 Vernetzen Die MBTs haben die Aufgabe, möglichst viele Akteure anzusprechen und zwischen verschiedenen Personengruppen, deren Kommunikation oftmals blockiert ist, zu vermitteln, Transparenz über den Beratungs- und Interventionsprozess herzustellen, Informationen zu vermitteln und eine sich selbst tragende Vernetzung anzustoßen und bis zu einem bestimmten Grade zu begleiten. Diese Bündelung von Ressourcen und Informationen befördert ein effektives Vorgehen und kann auch als Informationsgrundlage für andere Interventionsprozesse genutzt werden. Neben einer in der Breite wirkenden Kooperation kann auch eine in die Tiefe gehende qualitative Vernetzung im Verlaufe des Beratungsprozesses durch die MBTs angestoßen und durch Qualifizierung und Informationsvermittlung sowie Projektberatung erreicht werden. Im optimalen Fall können dadurch verzahnte, systematisch auf einander bezogene und aufbauende Interventionsstrategien entwickelt werden, die in einem lokalen Handlungskonzept integriert sind und von möglichst vielen Akteuren und Institutionen getragen und umgesetzt werden. Erst diese auf Dauer zu stellenden und in den kommunalen Institutionen verankerten und mit zivilgesellschaftlichen Initiativen verzahnten Interventionsstrategien versprechen eine nachhaltige Stabilisierung einer bürgerschaftlich-demokratischen Kultur und die damit erhoffte Zurückdrängung des Rechtsextremismus. 1.6 Die Mobilen Beratungsteams des CIVITAS-Programms Von CIVITAS werden sechs Mobile Beratungsteams in den drei ostdeutschen Flächenländern Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern sowie in Berlin gefördert. In Brandenburg existiert bereits seit 1998 ein unter der Leitung von Wolfram Hülsemann im Rahmen des Landesprogramms „Tolerantes Brandenburg“ gefördertes Mobiles Beratungsteam. Dieses MBT diente implizit als Modell für die von CIVITAS geförderten MBTs.3 In Sachsen-Anhalt wurde ebenfalls kein Mobiles Beratungsteam implementiert, da hier der Verein „Miteinander e.V.“ mit seinen regionalen Niederlassungen bis Ende 2002 ähnliche Aufgaben erfüllte. Die MBTs werden in Form einer Fehlbedarfsfinanzierung in den ersten beiden Förderjahren voll vom CIVITAS-Programm gefördert. Ab 2004 müssen die Träger der MBTs Kofinanzierungsmittel in Höhe von 20% der Gesamtfördersumme akquirieren und ab 2005 in Höhe von 50%. Aufgrund der Vielfältigkeit der Aufgaben, den Problembelastungen in den neuen Bundesländern mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, den wenig entwickelten zivilgesellschaftlichen Strukturen und den weiten Entfernungen in den Flächenländern mit einem noch schlecht ausgebauten Infrastrukturnetz sind die einzelnen Beratungsteams mit einem relativ hohen Personalanteil ausgestattet. Um eine gewisse Erreichbarkeit und regionale Präsenz zu gewährleisten, haben alle MBTs in den Flächenländern regionale Niederlassungen, die mit Kleinteams von zwei oder drei Bera- 3 Der Leiter des MBT Brandenburg war allerdings bei der Konzeptionalisierung der Leitlinien des Förderschwerpunkts „Mobile Beratungsteams“ nicht beteiligt. Das MBT Brandenburg diente als eine Art empirisches Beispiel für Mobile Beratung bei der Formulierung der Leitlinien des CIVITAS-Programms, die für den Förderschwerpunkt „Mobile Beratungsteams“ maßgeblich von Bernd Wagner und Lorenz Korgel vom Zentrum Demokratische Kultur der RAA Neue Bundesländer entworfen wurden (vgl. Interview a 4). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 73 ter/innen besetzt sind. Um die Mobilität zu gewährleisten, verfügen die einzelnen Kleinteams jeweils über ein geleastes Dienstauto. Die verschiedenen Teams haben dabei unterschiedliche interne Aufteilungen und Organisationsformen entwickelt. • Das „Mobile Beratungsteam Sachsen – Demokratische Aktivität gegen rechtsextreme Gewalt“ in Trägerschaft des Kulturbüros Sachsen e.V. hat drei regionale Niederlassungen (für den Regierungsbezirk Chemnitz in Neunkirchen, für den Regierungsbezirk Dresden in Pirna und für den Regierungsbezirk Leipzig in Wurzen) mit Kleinteams von jeweils zwei Mitarbeiter/innen. Die Projektkoordination teilen sich eine Mitarbeiterin zu 75% und ein Mitarbeiter zu 25% und ist in der Geschäftsstelle des Kulturbüros in Dresden angesiedelt. • Das „Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Thüringen e.V.“ (MOBIT), ein eigens für die Antragstellung beim CIVITAS-Programm gegründeter Verein, hat zwei Niederlassungen: eine in Gotha und eine in Saalfeld. Dort arbeiten jeweils zwei Berater/innen in einer Vollzeitstelle und jeweils ein/e Mitarbeiter/in einer 20 Stunden-Stelle. Die Projektkoordinatorin mit einer halben Stelle pendelt zwischen den beiden regionalen Niederlassungen hin und her und ist zudem mit einer halben Stelle in der Beratung tätig. Zudem hat MOBIT eine Verwaltungskraft mit 30 Stunden. • In Mecklenburg-Vorpommern gibt es zwei Träger mit Mobilen Beratungsteams, die eine territoriale Aufteilung ihrer Arbeitsgebiete vorgenommen und eine enge Kooperation entwickelt haben. Die „Evangelische Akademie“ in Rostock ist Träger des dortigen „Mobilen Beratungsteams für Demokratieentwicklung“, das von zwei Berater/innen mit jeweils einer 90% Stelle und einer Koordinatorin mit einer Halbtagsstelle gebildet wird. • Das „Mobile Beratungsteam für Demokratische Kultur“ der „RAA MecklenburgVorpommern e.V.“ hat drei regionale Niederlassungen (in Schwerin, Waren und Greifswald) mit jeweils zwei bzw. in einem Team drei Mitarbeiter/innen. Die zwei Koordinatoren mit jeweils einer Halbtagsstelle (mit Sitz in Waren) haben eine inhaltliche Aufteilung der Arbeitsgebiete vorgenommen: konzeptionelle, inhaltliche Arbeit und Antragsabwicklung auf der einen und verwaltungstechnische Abwicklung und Abrechnung auf der anderen Seite. Ein Koordinator ist zudem mit einer halben Stelle in der Beratung tätig. • Für die Ostberliner Bezirke werden zwei Mobile Beratungsteams gefördert. Das MBT „Ostkreuz – Netzwerke gegen Rechts!“ in Trägerschaft „Stiftung sozialpädagogisches Institut“ (SPI) ist für die Großbezirke Pankow und Marzahn-Hellersdorf zuständig. Das Team mit fünf Berater/innen, wovon zwei jeweils eine halbe Stelle haben, und der Koordinator (Ganztagsstelle) haben ein Büro in dem ehemaligen Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg. • Die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ des „Zentrums Demokratische Kultur“ in Trägerschaft der „RAA Neue Bundesländer“ arbeitet überwiegend in den Bezirken Treptow-Köpenick und Lichtenberg-Hohenschönhausen. Dieses Mobile Beratungsteam hat insgesamt vier Mitarbeiter/innen, davon eine Koordinatorin, die gleichzeitig für ein vom Berliner Senat finanziertes assoziiertes MBT zuständig ist. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 74 Die zu Beginn der Projektphase anvisierte Aufteilung der territorialen Zuständigkeiten zwischen den beiden Berliner Teams wird mittlerweile nicht mehr eindeutig eingehalten, so dass beide Teams jeweils bei Anfragen von Akteuren auch in den anderen Bezirken tätig werden. Die einzelnen regionalen Kleinteams der landesweit oder in mehreren Bezirken Berlins tätigen Mobilen Beratungsteams sind überwiegend geschlechtlich gemischt besetzt, in einigen Kleinteams sind jedoch nur Frauen tätig. Die Beraterstellen sind in der Mehrzahl mit BAT IVb-O und die Koordinatorenstellen in der Regel nach BAT III-O bzw. die zwei Stellen in Berlin nach BAT IVa-O eingruppiert. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 75 2 Regionale und lokale Rahmenbedingungen Mobiler Beratung Auf der regionalen und lokalen Ebene finden die MBTs jenseits der unterschiedlichen Problembelastung von Rechtsextremismus und Gewalt gegen Minderheiten4 eine strukturelle Problemlage vor, die die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Beratungsarbeit maßgeblich prägen. Im Folgenden soll diese Hintergrundsfolie anhand von Schilderungen der Interviewten beleuchtet und mit einigen demographischen Daten untersetzt werden. Bei dieser exemplarischen Darstellung von Rahmenbedingungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese in der dargestellten Form für alle Bundesländer gleich sind. So gibt es beispielsweise schon erhebliche Differenzen zwischen der ökonomischen und sozialen Situation in der Grenzregion Mecklenburg-Vorpommerns zu den alten Bundesländern und der Grenzregion zu Polen. Solche erheblichen Unterschiede lassen sich auch für andere Regionen der Flächenländer feststellen. Generell ist davon auszugehen, dass jeder (kommunale) Beratungsfall seine je spezifischen lokalen und sozialen Rahmenbedingungen hat, die ein auf diesen Fall zugeschnittenes Vorgehen erfordern. Dennoch wurde in den Interviews deutlich, dass es trotz diverser Unterschiede ein Bündel an Problemlagen gibt, mit denen sich insbesondere die MBTs in den drei Flächenländern neben der konkreten Problembearbeitung des Themas Rechtsextremismus auch oder sogar primär auseinandersetzen müssen. Um nun die Möglichkeiten und Grenzen der Mobilen Beratung angemessen beurteilen zu können, ist es notwendig, die wichtigsten Kontextbedingungen Mobiler Beratung zu skizzieren. Was sind also die zentralen Problemlagen und Gegebenheiten, mit denen die MBTs in ihrer Arbeit vor Ort konfrontiert sind? Welche auch makrostrukturellen Faktoren prägen die Beratungstätigkeit? 2.1 Sozial-ökonomische Rahmenbedingungen Auch dreizehn Jahre nach der Vereinigung befinden sich die neuen Bundesländer noch in einem gesellschaftlichen Transformationsprozess, der von vielfältigen Veränderungen und sozialen Verwerfungen gekennzeichnet ist. So werden die hohe Arbeitslosigkeit, die sozialen Verwerfungen in Folge der gesellschaftlichen und staatlichen Umstrukturierungen nach der Vereinigung, eine sich ausbreitende Perspektivlosigkeit gerade bei Jugendlichen und eine weitverbreitete resignative bis depressive Stimmung vielerorts von den MBTs als prägnante Hintergrundfolie ihrer Arbeit beschrieben. „Ich erlebe hier eine weitverbreitete Apathie oder Resignation und Frustration über sowohl persönliche als auch gesellschaftliche Zustände.“ (b-MBT 4, 1559-1560) 4 Die besondere Ausprägung und das Gefahrenpotenzial des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern sind ausführlich im ersten Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung dargestellt worden (vgl. Vossen/Lynen von Berg/Palloks 2002). Auch die Evaluierung von Rommelspacher zeigt eine spezifische Problemlage des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern auf, mit dem die Projekte des CIVITAS-Programms konfrontiert sind (vgl. Rommelspacher u.a. 2002, 2003; siehe auch Roth 2003). Zur aktuellen fachwissenschaftlichen Diskussion vgl. Decker u.a. 2003; Heitmeyer 2002, 2003; Stöss 2000). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 76 Von den Berater/innen wird herausgestellt, dass diese makroökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen sich in konkreten Desintegrationserscheinungen auf der Alltagsebene niederschlagen, die sich neben Apathie beispielsweise auch in einer hohen Gewaltbereitschaft im Umgang miteinander oder im Alkoholismus zeigen können. „Alkohol spielt eine ganz große Rolle, nebenbei gesagt. Alkohol und akzeptierte Gewalt in der Familie und im Umgang miteinander.“ (b-MBT 4, 1674-1675) Diese von den Interviewten geschilderten (Alltags-)Erfahrungen von Desintegrationserscheinungen werden auch durch Studien und die aktuelle Berichterstattung in der Tagespresse, wie im folgenden Beispiel für Mecklenburg-Vorpommern, bestätigt. „Sozialarbeiter und Gemeindehelfer in Mecklenburg-Vorpommern sind besorgt. Gewalt herrsche in immer mehr Familien; vor allem in ländlichen Gegenden gebe es Verwahrlosung und viel versteckte Armut, sagt ein Referatsleiter für Kinder- und Jugendhilfe im Diakonischen Werk MecklenburgVorpommern. (...) Das Maß an Desintegration steige. ‚Die soziale Verfassung der Gesellschaft hier befindet sich im freien Fall.’“ (Wenz 2003) Die Flächenländer sind – in einem zwar unterschiedlichem Ausmaß – mit einer starken Abwanderung konfrontiert, die sich von Region zu Region unterschiedlich deutlich bemerkbar macht. Neben gravierenden Rückgängen bei Steuereinnahmen und der Kaufkraft sowie der Nachfrage nach Dienstleistungen und kulturellen Gütern führt dies zu einer Verknappung des Angebots gerade qualifizierter Arbeitskräfte und einer tendenziellen Unterauslastung infrastruktureller Einrichtungen (vgl. Jurczek 2003). Vor dem Hintergrund, dass die mobilen und qualifizierten Jugendlichen als erste abwandern, baut sich hier ein Problemfeld auf, mit dem die MBTs in ihrer konkreten Arbeit konfrontiert sind. In einem Interview wird explizit daraufhingewiesen, dass gerade junge, qualifizierte Frauen abwandern5, womit sich nicht nur im Hinblick auf die Jugendarbeit eine problematische Gemengelage abzeichnet. Dies könnte einerseits zu der Stabilisierung eines Milieus des dominanten maskulinen Handlungstyps mit sexistischem Verhaltenskodex über das Jugendalter hinaus führen und andererseits die demographische Entwicklung gravierend prägen. So bestätigt das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner die Schilderungen der Mitarbeiter/innen der MBTs und kommt in einer Studie zu Brandenburg zu dem Ergebnis, dass eine Überlagerung von negativen Entwicklungen in ,Sterbenden Städten´ Brandenburgs zu verzeichnen sei:6 5 Dieser Befund wird auch von Studien zur Abwanderung belegt. So hat das Statistische Bundesamt für den Zeitraum von 1991 bis 2001 eine wesentlich höhere Abwanderung von Frauen als von Männer von den neuen in die alten Bundesländer festgestellt. Von den 620 000 Abgewanderten waren 409 000 Frauen und nur 211 000 Männer (vgl. Tkalec 2003); für Thüringen vgl. dazu u.a. Kühn (2001: 1 u. 1012); für Mecklenburg-Vorpommern vgl. Statistisches Landesamt Mecklenburg-Vorpommern (2002: 255). 6 Zur Abwanderung und Bevölkerungsentwicklung in den anderen neuen Bundesländern siehe für Sachsen-Anhalt und allgemein für die neuen Bundesländer z.B. Sahner (2002: 14ff.); für Mecklenburg-Vorpommern vgl. z.B. den Monatsbericht 10/2003 des Statistischen Landesamtes MecklenburgVorpommern (2002: 249ff.); für Thüringen vgl. z.B. Kühn (2001); für Sachsen vgl. z.B. Jurczek (2003). Zur Bevölkerungsentwicklung und Wanderungsverluste der neuen Bundesländer für den Zeitraum 1990-1999 vgl. Statistisches Landesamt Mecklenburg-Vorpommern (2002: 252 insb. Tabelle 1). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 1. wachsende Arbeitslosigkeit 2. („brain drain“) also Abfluss von Kompetenzen 3. Männerüberschuss (vgl. Matthiesen 2003: 2). 77 Für Matthiesen verdichtet sich diese Entwicklung zu einer Art „sozialer Abwärtsspirale“. „Fügen wir diese drei Prozesse (wachsende Arbeitslosigkeit, brain drain, Männerüberschuss) zusammen, sehen wir in der Überlagerung dieser Tendenzen das Schreckbild ,Sterbende Stadt´ heraufziehen. Um es ganz krass auszudrücken – die Gefahr ist groß, dass sich in der Abwanderung folgendes Bild verdichtet: Die Städte würden überdurchschnittlich bevölkert von arbeitslosen Männern mit niedrigem I.Q., ohne Chance auf Arbeit, aber auch ohne Chance auf gelingende Familien- oder Paarbeziehungen! Damit verringert sich drastisch die Chance auf eine kräftig nachwachsende nächste Generation. Womit die Schrumpfungsspirale in diesen Städten in eine nächste, noch härtere Phase schliddert.“ (Matthiesen 2003: 2; vgl. auch Mara 2003) Diese Entwicklungstendenzen dürften sich in strukturschwachen ländlichen Regionen noch deutlicher abzeichnen. 2.2 Defizite in der Jugendarbeit Die MBTs stoßen so bei einem für ihre Arbeit wichtigen Bereich wie der Jugendarbeit auf gravierende strukturelle Defizite. Die Kommunen und Kreise haben nicht genügend Mittel zur Verfügung, um über ihre Pflichtaufgaben hinaus weitere Angebote in der Jugendarbeit zu machen. In einem Teil der Landkreise, in denen die MBTs tätig sind, ist es den zuständigen Behörden der Jugendhilfeplanung nicht gelungen, ein attraktives Grundangebot für Jugendliche zu machen. Erst recht werden den Jugendlichen kaum Möglichkeiten gegeben, Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv gestalterisch einzubringen. Auch Träger der Jugendarbeit und zuständige Mitarbeiter der Jugendverwaltungen beklagen das fehlende Interesse für die nachwachsende Generation und den Mangel an Eigeninitiative der Kommunen (vgl. Fallvergleich in Kap. 4). So sind Jugendeinrichtungen häufig mit befristeten und nicht für diesen Bereich qualifizierten SAM- und ABM-Kräften besetzt. Die langfristige Finanzierung von Einrichtungen und Stellen ist vielerorts nicht gesichert und gutes Personal ist für die schlecht eingruppierten und gute Qualifikationen erfordernden Stellen gerade auf dem Land kaum zu bekommen. „Wir haben aber in vielen Bereichen momentan das Problem, dass eben viele Jugendclubmitarbeiter über SAM beziehungsweise ABM gefördert sind, eigentlich ist das mehr SAM momentan, und dass die, ja, ganz viele Clubs von Schließungen bedroht sind. Und ich hatte also letztens ein Beratungsgespräch, wo (...) ein Träger dabei war, wo Jugendclubmitarbeiter dabei waren, wo auch vom Amt Leute dabei waren. Und wo sich also relativ schnell herausstellte, dass das Mobile Beratungsteam in der momentanen Situation überhaupt keine weitere Beratung machen kann, weil klar ist, dass innerhalb des nächsten Monats eben die Stellen wegfallen. Beziehungsweise dass die Finanzierung der Stellen nicht gesichert ist, was dazu führt, dass die Mitarbeiter dann natürlich auch nicht offen sind für Weiterqualifizierungsmaßnahmen oder für Konzepte jetzt zur Änderung der Clubarbeit.“ (b-MBT III L, 80-89) Dieses geringe und zum Teil unattraktive Angebot in der Jugendarbeit hängt auch damit zusammen, dass es relativ wenige Träger gibt, die auf Jugendarbeit spezialisiert sind und nach CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 78 Auskunft einiger MBTs eine qualitativ gute Jugendarbeit machen (vgl. z.B. b-MBT 1; bMBT III L; Fallvergleich Kap. 4). Auch gibt es im ländlichen und kleinstädtischen Raum kaum Jugendorganisationen der demokratischen Parteien, in denen engagierte Jugendliche eine Betätigung finden könnten. Diese Jugendorganisationen könnten wiederum ein Ansprechpartner für die MBTs sein und sich als Akteure in einem kommunalen Netzwerk z.B. für Demokratieentwicklung und Weltoffenheit engagieren. „In ((Ort)) haben es beispielsweise die Parteien nicht geschafft, Jugendorganisationen aufzubauen. Also wie ((Name der Jugendorganisation einer Partei)) oder so, das gibt es eben nicht. Und ich denke, das ist ein weites Problem. Also da ist sicherlich im Angebot: Freiwillige Feuerwehr, Schützenverein oder sonst was. Das ist sozusagen mehr in diesem bürgerlichen, aber unpolitischen Milieu, dass es da schon Strukturen gibt, aber dass das doch sehr begrenzt ist. Und das hängt sicherlich auch mit der schwachen Trägerlandschaft zusammen und eben auch mit dem Problem der Massenabwanderung.“ (b-MBT III L, 185-191) Andere Beratungsteams berichten, dass in den Kommunen die bestehende Jugendarbeit zum Teil vernachlässigt wird. So kommt es nicht selten vor, dass gerade die Jugendeinrichtungen und Träger alleine gelassen werden, die mit Problemgruppen und rechtsextrem-orientierten Jugendlichen arbeiten bzw. zwangsläufig „umgehen“ müssen. Im folgenden Zitat werden nicht nur die verschiedenen Facetten der Problemlagen angesprochen, sondern auch die Ausweichstrategien sichtbar, mit denen kommunale Verantwortungsträger und Teile der Bevölkerung rechtsextreme Erscheinungen und deren Ursachen „bewältigen“. „Das hatten aber auch in den Gesprächen die Stadträte und zumindest auch der Bürgermeister selbst erkannt, dass sie sich in der Vergangenheit einfach zu wenig um die Jugendarbeit im Ort gekümmert haben. Sie haben lediglich festgestellt, dass Jugendliche abwandern, und dass sie ein Problem haben, dass vor allem eben eher sozial benachteiligte Jugendliche, die weniger flexibel sind, die auch diese Begleitung bezüglich anderer Lebenskonzepte aus dem Elternhaus nicht kriegen, dass die dableiben, dass es natürlich da auch Probleme gibt und dass einfach in dem Ort auch ein Stück soziale Infrastruktur wieder geschaffen werden muss. Und sie nicht so in ihrer Rückwärtsgewandtheit verharren, ‚zu DDR-Zeiten war alles besser’, solche Sprüche kamen da schon, weil sie einfach eine sehr, sehr hohe Arbeitslosigkeit haben, ein Viertel der Leute sind dort ohne Arbeit.“ (b-MBT 1, 171-180) Neben den sehr problematischen Entwicklungen in der Jugendarbeit und Jugendhilfeplanung kommen aufgrund der demographischen Entwicklung im Schulbereich Schließungen und Verlagerung von Schulen hinzu. Die damit zusammenhängenden Veränderungen und ungewissen Zukunftsperspektiven haben auch zur Folge, dass gerade die von Schließungen bedrohten Schulen mit sich selbst und ihrer Zukunft beschäftigt sind und trotz bestehender Probleme – beispielsweise mit rechtsextremen Provokationen – für eine Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus nur bedingt offen sind (vgl. Fallvergleich Kap. 4). Hinzu kommen in manchen Bundesländern grundsätzliche Änderungen im Schulsystem wie beispielsweise die Verkürzung der Schuldauer bis zum Abitur. „Im Bereich der Schule auch eine ziemlich konfuse Schulpolitik. Angefangen bei mal 13. mal 12. Schuljahr, das ist jetzt schon der dritte Wechsel innerhalb von 10 Jahren, dann massive Zusammenlegungen von Schulen, Stellenkürzungen bei Lehrern, Stundenreduzierungen mas- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 79 siv, damit verbunden auch hohe Frustration. Im Jugendbereich genau dasselbe.“ (b-MBT 4, 1691-1695)7 Diese als defizitär zu bezeichnenden Strukturen in der Jugendarbeit, insbesondere die geringe Planungssicherheit aufgrund ungewisser Finanzierungen und das für eine qualitative Jugendarbeit nicht ausgebildete Personal sowie das geringe und wenig attraktive Jugendfreizeitangebot bilden für die MBTs eine schwierige Ausgangslage. In vielen Regionen fehlen schlicht wichtige Kooperationspartner und Anlaufstellen, an denen ihr Beratungsangebot ansetzen kann. 2.3 Mangelndes Problembewusstsein Ein anderer Aspekt für die Beratungsarbeit, der nach wie vor wichtig ist, ist das vielerorts geringe Interesse an einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus. Schon in der Evaluierung der MBTs von Rommelspacher wird festgestellt, „wie wenig der Rechtsextremismus selbst bei Vertretern kommunaler oder staatlicher Organe als Problem wahrgenommen wird“ (Rommelspacher u.a. 2002: 45). Dieser Befund hat – neben auch positiven Beispielen einer offenen Auseinandersetzung mit dem Thema – nach wie vor Bestand.8 „Das Problem hat der Bürgermeister auch lange so beschrieben, der hat ja nicht gesagt, wir haben rechte Orientierung oder rechtsextreme Jugendliche, sondern der hat gesagt, wir haben viele ‚fehlerzogene’ und ‚fehlgeleitete’ Jungs, die aus schwierigen Elternhäusern kommen, also eher dieser Defizit-Ansatz.“ (b-MBT 1, 181-184) Ein anscheinend nicht unerheblicher Teil (kommunaler) Verantwortungsträger möchte nach Schilderungen der MBTs aus Angst vor einem Imageverlust ihrer Kommune/Einrichtung das Thema Rechtsextremismus nicht öffentlich aufgreifen. Dabei bestehen vor allem gegenüber den Medien Befürchtungen, dass mit einer einseitigen Skandalisierung negativer rechtsextremer Erscheinungen nicht nur ein Imageverlust einhergehe, sondern die vielen Gegenaktivitäten nicht in angemessener Weise wahrgenommen werden. „Weil in dem Moment, wo sich jemand bekennt und sagt: ‚Jawohl, wir haben das Problem’, stürzen sich die Medien dermaßen unqualifiziert Schlagzeilenmäßig auf Städte, und ich könnte das ja von ((Ort)) über zehn Jahre nachvollziehen, nach den ausländerfeindlichen Übergriffen die hier waren, dass alles das, was dagegen gemacht wird, nichts gilt. Dass die Medien immer nur danach suchen, wo wieder mal irgendeine Sache auftaucht. Und damit sind natürlich Bürger, sind Vereine sehr sensibel, die sich dann jahrelang bemühen, ob in präventiven oder auch in unmittelbaren Arbeitsbereichen (...).“ (c-MBT 1 Koop 4, 69-77) 7 Hinzu kommen in manchen Bundesländern Umstrukturierungen in den Verwaltungen. „Im Moment auch starke Umstrukturierungsprozesse, was Verwaltung betrifft aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten, was auch Frustrationen erzeugt bei den Leuten, die auch Verantwortung tragen. Im Schulbereich ist das ganz massiv, aber auch im Verwaltungsbereich, wo immer weiter Stellen reduziert werden und Aufgaben zurückgefahren werden.“ ( b-MBT 4, 1686-1690) 8 Vgl. hierzu auch die beiden jüngst erschienenen Zeitungsartikel: Honnigfort, Bernhard (2003): „Bloß keinen Aufstand! Totschweigen lautet vielerorts die Devise, wenn es um Rechtsextremismus geht.“ Frankfurter Rundschau, 08.10.2003: 27; sowie: Seils, Christoph (2003): „’Schnappt euch die Blonden’. In Potsdam häufen sich Meldungen über rechtsextreme Gewalt, aber die Polizei sieht nur normale Schlägereien.“ Frankfurter Rundschau, 18.08.2003: 27. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 80 Trotz auch zu verzeichnender Bemühungen sich mit dem Thema Rechtsextremismus intensiv zu beschäftigen, wird von den MBTs nach wie vor berichtet, dass in einem Teil der Beratungsfälle diejenigen als Nestbeschmutzer bezeichnet und ausgegrenzt werden, die in Kommunen oder Einrichtungen wie Schulen und Verwaltungen das Thema Rechtsextremismus offen ansprechen und eine Auseinandersetzung einfordern. „Man muss einfach sehen, dass in den Gemeinden selbst ein wahnsinniger Druck da ist, und dass Leute eben dann selbst schnell als Nestbeschmutzer auch geoutet werden. Sich selbst auch so verstehen. Und dass einfach sehr viel Angst davor ist, sozusagen in einer Kommune zu wirken.“ (b-MBT III L, 487-493) Diese Angst in den Kommunen wird von einem Teil der MBTs als lähmend oder gar blockierend für eine offene Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus empfunden. „Manchmal weiß ich nicht, inwieweit das vorgeschoben ist, in einigen Kommunen ist die Angst einfach sehr stark, da bin ich immer noch hin- und hergerissen, ob es mehr ein Alibi ist, nichts zu tun, oder ob es wirkliche Angst ist. (...) Die muss auf jeden Fall überwunden werden, wenn wir uns dem Thema stellen und irgendwo in einer Kommune auch etwas bewegen wollen. Und da ist die Angst eher lähmend, in den Städten, wo wir es erlebt haben, ist es echt lähmend, immer wieder damit konfrontiert zu sein, dass da eine große Angst ist.“ (b-MBT 1, 1888-1896)9 Dieser „Mangel an Problembewusstsein im Sinne eines strategischen oder auch tatsächlichen Verleugnens des Problems“ (Rommelspacher u.a. 2002: 29) bildet je nach Fall im unterschiedlichen Ausmaß eine wesentliche Hintergrundfolie der Arbeit der MBTs.10 2.4 Fremdenfeindliche und antidemokratische Grundhaltungen Neben dem Mangel an Problembewusstsein sehen sich alle MBTs mit einer in weiten Teilen der Bevölkerung verbreiteten aber auch bei kommunalen Verwaltungsträgern vorfindbaren Fremdenfeindlichkeit konfrontiert, die durch wissenschaftliche Studien belegt wird (vgl. u.a. Heitmeyer 2002, 2003). Ein Großteil der Berater/innen stellt zudem eine grundsätzliche Distanz zum demokratischen System und demokratischen Beteiligungsformen fest (vgl. Stöss 2000). Dies gehe auch mit einer Apathie einher, die sich nicht nur auf politische Themen, sondern auf die kommunalen öffentlichen Bereiche insgesamt beziehe. „Es sind natürlich alle noch sozusagen aus der DDR-Tradition gegen Rechts, aber was Ausländerfeindlichkeit anbetrifft ist das wirklich enorm, insbesondere auch an der ganzen ‚Ostflanke’ sozusagen, alles was zur polnischen Grenze ist, dass man da erst mal die Partner fin- 9 Eine Mischung aus Hilflosigkeit, Angst und Lähmung treffen die MBTs auch in Schulen an (vgl. Fallvergleich in Kap. 4.3). „Also, das war häufiger so, dass eine Situation da war, dass das ganze Kollegium in so einer Lähmung drin war, im Sinne von ‚Ich wage es nicht, das als erstes anzusprechen, dass ich ein Problem habe, weil, das könnte als persönliches Versagen ausgelegt werden.“ (bMBT 5, 166-176) 10 Die Deutung von Rommelspacher wird auch überwiegend in den Äußerungen der MBTs bestätigt. „Diese Beschwichtigungsstrategien der ‚Normalbevölkerung’ resultieren unter anderem aus dem Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung und der Ablehnung jedes extremen Agierens in irgendeiner Form. Es werden Normalisierungsstrategien entwickelt, um den Rechtsextremismus als normal zu vereinnahmen und damit das Problem zu leugnen.“ (Rommelspacher u.a. 2002: 29; vgl. auch Strobl u.a. 2003) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 81 den muss, die bereit sind, diese Themen aufzugreifen und dann breitenwirksam zu werden.“ (b-MBT III L, GD 1, 127-1349) Eines der MBTs stellt dabei noch explizit eine Gemengelage mit tradierten und in der DDR konservierten Mentalitäten heraus, die konkret für ein agrarisch strukturiertes Flächenland angeführt wurden. „Das ist eine Mentalität, die ist schon älter als die DDR, durch Gutsbesitz und ähnliches geprägt: ‚Fürst befiehl, wir folgen dir oder auch nicht’, oder ‚wir trinken lieber’.“ ( b-MBT 4, 1672-1673) Es kann hier nicht geklärt werden, inwieweit Fremdenfeindlichkeit und distanzierte Haltungen gegenüber demokratischen Institutionen und Verfahren auf autoritäre Sozialisationsmuster und Traditionen in der ehemaligen DDR zurückgehen oder hier darüber hinaus eine spezifisch gewachsene und konservierte fremdenfeindliche Vorurteilsstruktur zu verzeichnen ist oder aber der Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern primär Folge der Umbruchprozesse nach der Vereinigung und des schnellen sozialen und kulturellen Wandels im Rahmen von Modernisierungsprozessen ist. In den jeweiligen Beratungsprozessen kommen unterschiedliche Facetten an Problemlagen und deren Genese zum Vorschein, die eine komplexe Gemengelage widerspiegeln, auf die die MBTs differenziert und einfühlsam reagieren müssen. Dabei kann es sein, dass eine hohe „Sensibilität“ für das Thema auf Landesebene besteht,11 die mit Ignoranz und Desinteresse im kommunalen Nahbereich einhergehen kann. Und umgekehrt kann von dem Versuch, das Problem auf Landesebene durch eine Dethematisierung des Themas durch die totalitarismustheoretische Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus zu entschärfen,12 nicht auf den Umgang von bestimmten Einrichtungen und Akteuren mit dem Problem in kommunalen Kontexten geschlossen werden. 2.5 Grundvoraussetzungen für Mobile Beratung Der im Rahmen des CIVITAS-Programms geförderte Strukturschwerpunkt Mobile Beratung setzt bis zu einem gewissen Grad funktionierende staatliche Institutionen und ein gewisses Maß an sozialer Interaktion sowie die dazu notwendigen zivilgesellschaftlichen Strukturen voraus. Denn Beratung als Befähigung zur Eigenaktivität unter effektiver Nutzung von vorhandenen Ressourcen und deren Vernetzung braucht verlässliche Partner und auch kommunale Verantwortungsträger, die Kapazitäten und auch die Bereitschaft haben, sich mit dem Thema Rechtsextremismus längerfristig auseinanderzusetzen. Diese substantielle Beratungs- 11 „Man muss sagen, die Sensibilität für das Thema Gewalt und Rechtsextremismus, die ist relativ hoch in der Landesregierung. Über die Konzepte lässt sich streiten, über die Umsetzung. Was ich ein bisschen enttäuschend finde oder bemängele, ist wenig Vision, wenig praktikable Visionen, wenig Ideen. Man verwaltet die Mängel ganz unauffällig und wenig spektakulär und macht so seine Arbeit. Auch eine ziemlich verkrustete Verwaltung, habe ich den Eindruck. Ich habe das Gefühl, man sieht zwar die Probleme, die gerade auch mit der demographischen Entwicklung verbunden sind, aber diesen Ruck vermisse ich.“ (b-MBT 4, 1698-1707) 12 Zu dieser Dethematisierungsstrategie des Rechtsextremismus und zur totalitarismustheoretischen Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus im Konzept der streitbaren Demokratie vgl. u.a. Leggewie/Meier (1995); Lynen von Berg (1997, 2000). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 82 voraussetzung ist allerdings vielerorts nicht gegeben, so dass sich die MBTs zunächst Strukturen (mit-)aufbauen mussten, an denen Beratung ansetzen konnte und weiterhin kann. Dieser dem Beratungsprozess vorgelagerte und ihren Aufgabenbereich übergreifende Strukturaufbau mussten die MBTs in unterschiedlichem Ausmaß mitinitiieren und aktiv begleiten. Zwischen den einzelnen Bundesländern und im Verhältnis Stadt-Land gab und gibt es jedoch erhebliche Unterschiede.13 Mobile Beratung „setzt eigentlich verlässliche Strukturen voraus. Weil diese Strukturen nicht verlässlich sind, versuchen wir jetzt, mit Strukturen aufzubauen, beziehungsweise Leute zu unterstützen. Und sozusagen über den partizipativen Ansatz dann auch einen, denke ich, wichtigen Punkt des CIVITAS-Programms umzusetzen. Wenn man jetzt eben nicht nur diesen Rechtsextremismus als Aspekt sieht, sondern Demokratieentwicklung, dass das sicherlich ein ganz wichtiger Punkt ist, Schaffung überhaupt von zivilgesellschaftlichen Strukturen.“ (BMBT III L, 226-231) Ein Beispiel aus einem anderen Bundesland zeigt, dass das MBT seitens der Kommune aufgefordert wird, bei der Suche nach einem Trägerverbund für offene Jugendarbeit zu helfen, Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten und an der Konzeption mitzuarbeiten (vgl. Fallvergleich in Kap. 4). Von einem landesweit tätigen MBT wurde versucht, durch die Unterstützung von Initiativen bei der Antragstellung von Netzwerkstellen verlässliche Kooperationspartner durch eine CIVITAS-Förderung zu etablieren. Zwar konnte dies durch andere Förderentscheidungen nicht in dem gewünschte Maße erfolgen, dennoch konnte ein Teil der Initiativen zu verlässlichen Kooperationspartnern aufgebaut werden.14 Da in einem anderen Fall die offiziellen Vertretungsstrukturen in der Jugendarbeit nicht gegeben waren, hat ein MBT an der Wiedereinrichtung eines Kreisjugendrings mitgewirkt, um darüber sein Beratungsund Fortbildungsangebot an Institutionen, Mitarbeitern sowie Einrichtungen der Jugendarbeit vermitteln zu können. „Ist-Zustand ist, dass viele von denen nicht qualifiziert sind. Und deshalb haben wir also im Landkreis ((Name des Landkreises)) jetzt auch angefangen, zusammen mit einem Regionalzentrum, was auch vom ((Name der Förderinstitution)) gefördert ist, einen richtigen Strukturaufbau zu betreiben. Das heißt, wir haben also vor ein paar Wochen eine Fachtagung gemacht zum Thema Jugendarbeit im Landkreis. Und aus dieser Fachtagung sollen jetzt unterschiedliche Projekte entstehen. Ein Projekt wird sein, oder soll sein, dass sich so was wie ein ‚Runder Tisch Jugendarbeit’ gründet als eine Lobby für Jugendarbeit im Landkreis. Weil sich 13 Die folgenden Schilderungen der MBTs beziehen sich vor allem auf die Situation in den ländlichen Gebieten der Flächenländer, in denen dieser Strukturaufbau besonders notwendig war. So geht aus den Interviews hervor, dass in einem Bundesland die MBTs beider Träger gerade sehr stark beim Aufbau von Strukturen involviert waren und sich dies auf lange Sicht sehr positiv auf ihre Beratungsarbeit auswirkte. In anderen Flächenländern wird von regional unterschiedlichen Erfahrungen berichtet, so dass dort auch in Abhängigkeit von den jeweiligen lokalen Gegebenheiten, mehr oder weniger intensiv Tätigkeiten zum Strukturaufbau bzw. deren Revitalisierung notwendig waren. 14 „Wir können nicht mit unseren Mobilen Beraterinnen und Beratern ins weite Land fahren und niemanden treffen. Wir brauchen Strukturen vor Ort. Wir haben deswegen zum Beispiel auch Netzwerkstellen haben wollen. Wir haben deswegen verschiedene Initiativen beraten. Ob sie nun Netzwerkstelle sind oder nicht. Diese Strukturen gibt es.“ (b-MBT I L, GD 2, 87-879) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 83 im Landkreis rausgestellt hat, dass also nur sozusagen die Soll-Zahlen für Finanzierung erfüllt werden. Aber dass das wirklich nur das unterste Niveau ist.“ (b-MBT III L, 164-172)15 Dieser Strukturaufbau geht so weit, dass sich zwangsläufig die Tätigkeiten der MBTs mit den Aufgaben der von den Kommunen bzw. Kreisen zu verantwortenden „normalen“ Jugendarbeit überlappen. Ohne den fachlichen Input und das Engagement der MBTs würden aber oftmals die notwendigsten Angebote der „normalen“ Jugendarbeit nicht zustande kommen und ein Standbein für eine zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus im Jugendbereich wegbrechen bzw. nicht entstehen können.16 Ansatzpunkt und gleichzeitig hoher Bedarf besteht gerade in der Fortbildung und Qualifizierung der Mitarbeiter/innen in der Jugendarbeit. Dieser Qualifizierungsbedarf geht weit über die Behebung von Informationsdefiziten zu Jugendkulturen und rechtsextremen Erscheinungen hinaus und erstreckt sich auch auf die Vermittlung von Fachkenntnissen der Jugendarbeit bis hin zur Organisation des Austausches von Praxiserfahrungen. „Ein zweiter Aspekt ist, dass wir versuchen, die gesamten Jugendsozialarbeiter innerhalb eines Arbeitskreises zusammenzuführen. Also dass die in einem Arbeitskreis zusammenfinden, um da sich konkrete Überlegungen zu machen zu Qualifizierung von Jugendsozialarbeit und dass wir da natürlich dann auch versuchen werden, unsere Inhalte, nämlich Aufklärung über Rechtsextremismus dann sozusagen in diese Fortbildungen mit einzubinden. Es gibt auch andere, also in anderen MBTs ist es durchaus so, also jetzt auch in ((Name des Bundeslandes)), dass da eben schon vorhandene Strukturen da sind und dass da zum Beispiel regelmäßige Fortbildungen eben in Zusammenarbeit mit dem Kreisjugendring angeboten werden.“ (bMBT III L, 237-245) Vor dem Hintergrund, dass in der offiziellen Jugendarbeit auch keine Stetigkeit gewährleistet ist, Einrichtungen nicht wissen, wie sie weiterfinanziert werden und Stellen befristet sind, ist es nicht nur sehr schwierig, beständige Strukturen aufzubauen, sondern überhaupt Mitarbeiter/innen zu finden, die für ein Beratungsangebot offen sind. So sind ein Teil der Mitarbeiter/innen in prekären Arbeitsverhältnissen für einen notwendig längerfristigen Beratungsprozess kaum ansprechbar und auch nicht geeignet, weil sie möglicherweise in absehbarer Zeit gar nicht mehr in der Einrichtung arbeiten oder die Projekte auslaufen bzw. ganze Einrichtungen geschlossen werden. Selbst in den Großstädten der Flächenländer und Berlin kann trotz des Bedarfs an Beratung diese wegen unsicherer und wegbrechender Strukturen nicht immer abgerufen werden. „Das ist eine Erfahrung, die ich auch gemacht habe, man kommt zu Leuten, wo Interesse besteht, die wollen was machen, und wenn man dann bei jeder Überlegung, in welche Richtung 15 Diese Notwendigkeit, selbst Akteur zu sein, wird auch von einem Kleinteam aus dem gleichen Bundesland bestätigt. „Das Mobile Beratungsteam hat gar keine Chance, hier nicht Akteur zu sein, weil das Problem, das wir haben ist, dass wir ganz häufig in Beratungssituationen da sind, wo wir gar nicht auf andere Akteure zurückgreifen können, das heißt, wenn es darum geht, Fortbildungen zu machen oder Sensibilisierung zu leisten, müssen wir in die Rolle der Akteure oft rein. Also, wir bemühen uns nach Kräften, alles, was es gibt auch zu nutzen, also sei es hier ((Name Xenos-Projekt)). Also es gibt sehr gute Angebote, aber es ist einfach manchmal schlicht und ergreifend nicht möglich, andere heranzuziehen, das heißt wir müssen es selber leisten.“(b-MBT 5, 144-152) 16 Diese Unterstützungsleistung wird auch von kommunalen Verantwortungsträgern, der Verwaltung und freien Trägern der Jugendarbeit sowie zivilgesellschaftlich engagierten lokalen Eliten in positiver Weise bestätigt und als unverzichtbare Hilfestellung betont (vgl. u.a. c-MBT A Koop 1; c-MBT A Koop 2; c-MBT B Koop 1; c-MBT B Koop 5, siehe dazu insb. den Fallvergleich in Kap. 4). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 84 man was machen könnte, feststellt, dafür ist überhaupt kein Geld da, ist das natürlich ein Problem, und teilweise gibt es dann auch Leute, die sagen, ‚Mensch, ihr könnt euch hier ausdenken, was ihr wollt, wir haben einfach kein Geld, tschüss’.“ (b-MBT 6, 1558-1563) Zudem kann es vorkommen, dass den MBTs mit großer Skepsis oder auch Neid begegnet wird, weil für die vor Ort unter sehr schwierigen Arbeitsbedingungen tätigen Mitarbeiter/innen ein für ihre Verhältnisse gut ausgestattetes und vom Bund ins Leben gerufene Projekt, ihnen die zivilgesellschaftliche „Bekämpfung“ des Rechtsextremismus als dringlichstes Thema auf die Tagesordnung setzen will. Diese Skepsis und Ablehnung einerseits paart sich andererseits mit hohen Erwartungen, die sich nicht selten auch auf finanzielle Unterstützung fokussieren. „Wir können eigentlich keine Konzepte entwickeln mit den Jugendsozialarbeitern, weil klar ist, dass sie innerhalb des nächsten Monats alle gekündigt werden. Dass sozusagen die Finanzierung nicht steht. Und das heißt, es werden ganz vielfältige Erwartungen an uns rangetragen. Also sei es Sicherung von Finanzierung, was wir natürlich alles auch nicht leisten können.“ (b-MBT III L, 212-216) So kann es auch vorkommen, dass von solchen in prekären Arbeits- und Projektverhältnissen beschäftigten Mitarbeitern das Thema Rechtsextremismus und ein Beratungsangebot dazu als „Luxus“ empfunden wird. „Auf dieser unteren Ebene ist es für die Leute ganz schwer zu begreifen, was wir da eigentlich machen, bzw. zu abstrakt. ‚Beratung zu Rechtsextremismus’ das ist so ein bisschen wie ein Orchideenfach. (...) Und deshalb (...) versuchen wir, Projekte vor Ort zu machen.“ (b-MBT III L, 1567-1571) Die MBTs hatten und haben so nicht nur die Aufgabe, Zielgruppen für das Thema „Rechtsextremismus“ zu sensibilisieren, sondern mussten und müssen sich in solchen Kontexten zunächst Akzeptanz und Vertrauen durch aktive Beteiligung an Projektarbeit, Unterstützung von Trägern bei Förderanträgen oder durch ihre Fortbildungsangebote erarbeiten. „Aber ich denke erst über diese konkrete Arbeit kriegen wir eine Akzeptanz. Das ist mir noch einmal in einer Region aufgefallen, wo ich mit Kirchen-Jugendgruppen gearbeitet habe und wo ich auch zum Thema Gewalt gearbeitet habe, und ich denke das sind einfach Türöffner für uns.“ (b-MBT III L, 1571-1574) Der Großteil der befragten Verantwortungsträger aus Politik und Verwaltung sowie freie Träger und zivilgesellschaftliche Akteure bestätigen die oben dargestellten Befunde. Dabei wird häufig auch eine Mischung aus hoher Erwartung und Skepsis bis hin zu einer deutlichen Distanz gegenüber dem CIVITAS-Programm sichtbar. Neben der Hoffnung, dass möglichst viele Mittel auch für die eigene Jugend- und Projektarbeit fließen, wird vor allem kritisiert, dass das Programm ohne Einbeziehung der lokalen Akteure oder der zuständigen Gremien auf Landkreis- und Landesebene zentral von Berlin aus implementiert wurde, ohne auf die spezifischen Gegebenheiten vor Ort einzugehen bzw. diese angemessen zur Kenntnis zu nehmen. „Die Bedarfslage, was Rechtsextremismus betrifft, gerade bei uns im Landkreis, der gute Organisationsgrad, fehlendes Bürgerengagement manchmal, auch unter Erwachsenen, fremdenfeindliche Umgebung hier – immer schon gewesen – ist das Thema. Dass da ein Bundesprogramm aufgelegt worden ist, ist natürlich super, auch was die finanziellen Mittel anbetrifft. Wir sind hier in der höchsten Arbeitslosigkeit: ((Ort)) 33%. (...) Es ist an sich eine gute Sache, hat dann allerdings – da wird ((Name)) schon etwas gesagt haben – den Nachteil als Bundesprogramm: es wird zentral gesteuert, es wird zentral in Berlin CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 85 bewilligt und der Kontakt zu den einzelnen Kreisen kann eigentlich nicht so groß sein.“ (cextern Exp, hier Jugendverwaltung, 592-602) 2.6 Positive Entwicklungen Neben den skizzierten Problemlagen steht gleichzeitig die von MBTs gemachte Erfahrung, dass sie trotz einer verbreiteten Bagatellisierung des Phänomens Rechtsextremismus zunehmend auf Offenheit für ihr Beratungsangebot stoßen und kommunale Verantwortungsträger (wie lokale Politik, Polizei und vor allem auch Schulen) sich zunehmend einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus stellen. „Durchweg (...) ist eine große Offenheit da gewesen. Es gibt Einzelpersonen, wo es einzelne Gemeinden manchmal betrifft, das sind eher diese kleineren Nester, wo wir glatte Ablehnung hatten, wo das Thema überhaupt nur beim Nennen des Namens schon ‚tschüs’ gesagt wurde, ‚muss ich nichts zu sagen.’ Das haben wir auch. (...) Aber durchweg ist da schon eine Sensibilität da. Eigentlich wollen sie das Problem gerne loswerden, weil es auch einen ImageSchaden darstellt, die Herangehensweise ist etwas unterschiedlich.“ (b-MBT 4,970-984) Zu der Bereitschaft, sich in Schulen mit dem Thema auseinander zu setzen, gibt es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Einschätzungen. Aufgrund einer Sensibilisierung für dieses Thema und wohl auch aufgrund des Problemdrucks gibt es immer mehr Schulen oder einzelne Lehrer/innen, die bei den Mobilen Beratungsteams Fortbildungen und Kollegiumsberatungen anfordern. Der Zugang zu Schulen ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. So werden in einem Bundesland aufgrund eines Erlasses des für Schulen zuständigen Ministeriums die MBTs für Lehrfortbildungen im Themenkontext „Rechtsextremismus“ regelmäßig angefragt (b-MBT 5, 2671-2682).17 Mittlerweile sind auch verstärkt Anfragen von Verbänden wie der IHK und öffentlichen Einrichtungen nach Fortbildungen und Informationsveranstaltungen zu rechtsextremen Erscheinungen und dem Umgang damit zu verzeichnen (vgl. Kap.3.2.3; b-MBT 2, 874-878). Auch wird von einem Teil der Teams auf eine stärker zu verzeichnende Nachfrage bei Polizei und Verwaltung nach Informationsveranstaltungen sowie Formen der Kooperation verwiesen. Diese positiven Beispiele können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade in den problembelasteten Regionen die oben geschilderten Rahmenbedingungen zum Teil sehr schwierige Voraussetzungen für eine zur Eigenaktivität befähigende Beratung darstellen. Auch zeigen sich erst ein Teil der schwierigen Zugänge und Kontextbedingungen bei intensiverem Einstieg in kommunale Beratungsprozesse. So werden durchweg von allen Beratungsteams Kommunikationsblockaden und persönliche Animositäten sowie aus der Vergangenheit fortwirkende Konflikte zwischen lokalen Akteuren als ein sehr schwierig aufzulösendes Problem angesehen. Die gerade in kleinen Städten und Gemeinden vorfindbaren negativen Formen sozialer Kontrolle sowie die stark auf persönliche bzw. „Nachbarschaftsbeziehungen“ basierenden sozialen Interaktionen auch in den auf Funktionalität ausgerichteten Institutionen bilden für die MBTs ein oft kaum zu durchschauendes „Spinnennetz“. Hinzu kommen die aus dörflichen und kleinstädtischen Zusammenhängen bekannten Formen sozi- 17 Aus einem anderen Bundesland wird von einer guten Zusammenarbeit des MBTs mit einem Fortbildungsinstitut für Lehrerfortbildung berichtet (vgl. b-MBT II L, 1478-1480). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 86 aler Distanz gegenüber „Neuhinzugezogenen“. Dies betrifft in den neuen Bundesländern auch die Haltung gegenüber Bürger/innen aus den alten Bundesländern. „Und das ist ja sozusagen auch das Problem im ländlichen Raum, dass es sehr stark zu Polarisierungen kommt. Polarisierungen, die sehr oft über die Schiene laufen zwischen Alteingesessenen und Neuzugezogenen. Und dass es dann oft eben sehr schwer ist, wenn man, sage ich mal, mit marginalisierten Gruppen im ländlichen Raum arbeitet, dann noch irgendwo einen Fuß in die Tür reinzukriegen.“ (b-MBT III L, 1192-1195) Um dennoch einen Zugang zu den Kommunen zu finden, versuchen die MBTs mit zunehmendem Erfolg kommunal geschätzte und einflussreiche Persönlichkeiten anzusprechen. „Also ich denke, Bürgermeister spielen eine ganz große Rolle. Und natürlich, denke ich, einfach politisch aktive Leute, die vor Ort auch akzeptiert sind. Weil oft ist es ja so, dass wir von Leuten angesprochen werden, die selbst in einer völligen Minderheitenposition sind (...). Was oft sich als positiv gestaltet hat, ist die Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden. Also weil die Pfarrer ja oft ein sehr genaues Wissen auch über ihre, über die Region haben. Und einen sehr direkten Einstieg auch haben in die Problematik, dass man da also einen Türöffner findet.“ (b-MBT III L, 1189-1198) 2.7 Fazit Anhand der geschilderten Rahmenbedingungen wird sichtbar, dass die MBTs in der Regel auf eine sehr komplexe Problem- und Bedarfslage treffen. Gerade in den stark ländlich geprägten Regionen mit wenig ausgebildeten zivilgesellschaftlichen Strukturen und defizitären staatlichen Regelstrukturen z.B. in der Jugendarbeit fehlten und fehlen den MBTs wichtige Andockstellen, an denen ihre Beratungsarbeit ansetzen kann. So haben die MBTs in unterschiedlichem Ausmaß zunächst viel Zeit und Energie in den Aufbau von Kooperationsnetzwerken und die Unterstützung von Regelstrukturen insbesondere in der Jugendarbeit gesteckt. Dieser Strukturaufbau und dessen Stabilisierung ist ein kontinuierlicher Prozess, der Voraussetzung und gleichzeitig Resultat von Mobiler Beratung ist. So muss man im Folgenden auch immer die Rahmenbedingungen vor Augen haben, die die Möglichkeiten und Grenzen Mobiler Beratung maßgeblich prägen. Trotz dieser schwierigen Ausgangsbedingungen lassen sich jedoch – wie zu zeigen sein wird – unterschiedlich erfolgversprechende Umgangsweisen mit diesen Rahmenbedingungen feststellen. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 87 3 Ansätze und Tätigkeiten Mobiler Beratungsteams 3.1 Ansätze und Ziele Mobiler Beratung Ein wichtiges Beurteilungskriterium für den Förderschwerpunkt Mobile Beratung sind die Grundzüge des Ansatzes und seine unterschiedlichen Anwendungsweisen. Mit dem Grundverständnis sind auf das engste die Zielsetzungen Mobiler Beratung verbunden. Im folgenden Kapitel soll deshalb den Fragen nachgegangen werden: Was ist Mobile Beratung? Welche unterschiedlichen Ausrichtungen des Ansatzes lassen sich feststellen? Und welche Zielsetzungen verfolgen die MBTs mit diesem Ansatz? Mobile Beratung soll Akteure und Institutionen in einer Kommune dazu befähigen, mit Konflikten und Problemen im Kontext von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und undemokratischen Erscheinungen sowie Gewalt gegen Minderheiten unter möglichst optimaler Ausnutzung ihrer Ressourcen umzugehen. Alle untersuchten MBTs verfolgen in ihrem konzeptionellen Selbstverständnis einen Ansatz zum Self-Empowerment, der in der Regel mit „Hilfe zur Selbsthilfe“ umschrieben wird. Wie dieser in der Praxis Mobiler Beratung umgesetzt wird, wird von den MBTs in der Regel nur auf einer sehr allgemeinen Ebene formuliert und ist zudem auch sehr heterogen. Diese Unbestimmtheit der Zielsetzung ist nach Auskunft von Berater/innen auch darauf zurückzuführen, dass in den CIVITAS-Leitlinien, „die Aufgabe von Mobiler Beratung mehr oder weniger schwammig definiert“ sei (b-MBT 4, 1026f.). Trotz der oftmals vorzufindenden gleichen Begriffsverwendungen und konzeptionell ähnlich formulierten Ansätze in den Förderanträgen lassen sich in der Beschreibung der Beratungspraxis deutliche Unterschiede feststellen. Deshalb sollen im Folgenden in Ergänzung zu den – zum Teil bereits dargestellten – Grundzügen Mobiler Beratung zwei prägnante Ausrichtungen der Mobilen Beratung dargestellt werden. Dabei können diese Ausrichtungen oder Elemente davon bei den Beratungsansätzen der einzelnen MBTs nebeneinander bestehen und mit einander kombiniert werden. Dennoch lässt sich hier eine erste Typologisierung von zwei Ausrichtungen und deutlich unterscheidbaren Vorgehensweisen Mobiler Beratung vornehmen. Während sich der eine Ansatz eher auf ein – auch im einzelnen Beratungsfall – positiv ausformuliertes zivilgesellschaftliches Konzept beruft, sieht sich der andere in direkter Gegnerschaft zum Rechtsextremismus, woraus sich unterschiedliche Vorgehensweisen der jeweiligen MBTs ableiten lassen. Diese Typologisierung basiert auf der Verdichtung eines aus der Gesamtschau gewonnenen Ergebnisses, das im Verlauf der Untersuchung weiter ausdifferenziert und in seinen wichtigsten Facetten dargestellt wird. 3.1.1 Der offene moderierende Ansatz Von einem Teil der Teams wird die allgemeine Leitfigur „Hilfe zur Selbsthilfe“ als ressourcenorientierter Ansatz weiter konkretisiert. Mobiler Beratung geht es demnach darum, die bei einzelnen Personen oder Personengruppen sowie in Institutionen und im Gemeinwesen vorhandenen Ressourcen sichtbar zu machen und in einer optimalen Ausnutzung zur Lösung von Problemen zu bündeln. „Es ist nicht so dieser defizitär orientierte helfende Ansatz, sondern eher ein ressourcenorientierter Ansatz, was ist da, was schlummert da in diesen Menschen und wie kriegen wir das mit CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 88 ihnen zusammen, ohne sie zu überfordern, entwickelt. Danach arbeiten eigentlich alle Teams hier in ((Name Bundesland)), orientiert an der Lage vor Ort, an den Menschen vor Ort. Das haben wir auch oft erfahren, dass es andere Angebote gibt, die die Menschen dann völlig überfordern, die ihrer Situation überhaupt nicht gerecht werden.“ (b-MBT 4, 19061-1067) Die Mobile Beratung kann in diesem konzeptionell idealtypischen Sinne als eine „Hebammentechnik“ verstanden werden, mit der es gelingt, Akteure zur (Selbst-)Wahrnehmung sowohl von Problemen als auch von Kompetenzen zu befähigen und zur Eigenaktivität zu ermutigen. So sehen einige Berater/innen Mobile Beratung primär als eine Methode und Arbeitstechnik, als eine professionell eingesetzte moderierende Kommunikationsstrategie. Die Teams, die zu einer moderierenden Beraterrolle tendieren und sich nicht mit einer Konfliktpartei identifizieren, wollen auch nicht als „Heilsbringer“ auftreten. Sie versuchen die – auch bei den anderen MBTs konzeptionell – eingeforderte Klientenorientierung in ethischen Beratungsstandards, wie dem „Überwältigungsverbot“18 oder dem Vermeiden von moralischem und politischem Druck in der Beratungspraxis durchzuhalten. „Ich würde sagen, dass sich unsere Beratung (...), die ist ja erst mal aufsuchend, das ist schon wichtig, auch ziemlich niedrigschwellig, wir versuchen also sanft einzusteigen und nicht konfrontativ, wir sind schon sehr auf die Interessen und Bedürfnisse der Leute, die wir beraten, orientiert. Die bestimmen auch das Tempo, auch ein Stück weit die Richtung solch eines Prozesses, in die es gehen soll. Wir sind nicht die Heilsbringer, sondern wir sind (...), ich habe das mal so ausgedrückt: wir sind eine ,vermittelnde Struktur´. Das ist eigentlich auch der Grundsatz, nach dem alle Teams hier in ((Name Bundesland)) arbeiten.“ (b-MBT 4, 10151021) Für einen Befragten gehört deshalb zu professioneller Beratung, Respekt und Distanz gegenüber den Klienten, sowie eine gezielte „Dosierung“ an Beratung. „Von den Ressourcen der Menschen, mit denen man zu tun kriegt vor Ort, ausgehen. Für sie Respekt haben, finde ich professionell. Nicht tot beraten, nicht über sie herfallen. Sondern man muss gucken, um sie zu motivieren oder zu stärken.“ (b-MBT I L, GD 2, 935-937)19 18 Die im „Beutelsbacher Konsens“ aufgestellten Prinzipien politischer Bildung können auch in gewisser Weise auf den klientenorientierten Beratungsansatz der MBTs übertragen werden. Nicht nur das Prinzip des „Überwältigungsverbots“ sollte ein immer zu beachtender ethischer Standard Mobiler Beratung sein. Auch die beiden anderen Prinzipien (Kontroversitäts- und Engagementgebot) können in Abwandlung auf die Mobile Beratung übertragen werden: 1. Überwältigungsverbot: „Es ist nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‚Gewinnung eines selbständigen’ Urteils’ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.“ 2. Kontroversitätsgebot: „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen (...).“ 3. Analysefähigkeit und Engagementgebot: „Der Schüler muss in die Lage versetzt werden eine politische Situation und seine Interessenslage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen (...).“ (Wehling 1977: 179f.; vgl. auch Gagel/Menne 1988) 19 In ähnlicher Weise formuliert der Leiter des MBT Brandenburg die Prinzipien professioneller Beratung. „Ein Wissen um eine notwendige ständige politische Klärung der Sachverhalte. Und hinsichtlich der zu Beratenden, für uns sehr wichtig und ein Zeichen von Professionalität,(...) das Austarieren (...) von Nähe und Distanz zu den Menschen, die man berät. (...). Das sind so zwei Dinge auf der Bezie- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 89 So stellen einige Berater/innen heraus, dass es ihnen in erster Linie darum geht, ein Vertrauensverhältnis und eine positive Arbeitsperspektive zu den Beratenden aufzubauen. „Wir versuchen schon, den Leuten das positive Gefühl zu geben, es lohnt sich, mit uns zusammenzuarbeiten, sie profitieren davon, es geht wie gesagt nicht um Stigmatisierung, es geht nicht um Skandalisierung, sondern es geht darum, mit dem Skandal, der ja da ist, anders umzugehen.“ (b-MBT 4, 998-1001) Für ein anderes Team schließt die auf Vertrauen aufbauende Klientenorientierung eine „absolute“ Diskretion ein, auch dann, wenn die zu Beratenden Ansichten vertreten, die man eventuell außerhalb des Beratungszusammenhangs nicht tolerieren würde. „Ein Prinzip, was ich persönlich für mich oder für unser Team sehe, ist Diskretion und Verschwiegenheit, das ist zumindest eins unserer wichtigsten Arbeitsmittel, was bisher immer wieder gezeigt hat, dass das genau der Punkt ist, worauf die Leute auch bauen. Wo man dann von der Skandalierung von Zuständen in verschiedenen Orten absieht. Das muss man auch um der Leute willen, die dort leben, zum Teil wirklich in Kauf nehmen, auch wenn die Umstände schlimm sind.“ (b-MBT 2, 272-278) Dieses oben zitierte Kleinteam sieht in Mobiler Beratung vom Grundansatz her eine Form von Bildungsarbeit. Durch die Beratung sollen die Akteure in der Subjektwerdung und Urteilsbildung gestärkt sowie ihnen zur Eigenaktivierung nötiges Wissen vermittelt werden. A:20 „Ich finde, die Arbeit, die wir machen, ist im weitesten Sinne Bildungsarbeit. Wir versuchen, mit Leuten Wege zu erschließen, wie man mit Rechtsextremismus umgehen kann, was man dagegen tun kann, wenn die Leute merken, dass es für sie ein Problem ist. Das ist eigentlich eine Form von Bildung bzw. es geht zum Teil so weit, dass man mit Leuten Seminare macht usw. zu einem bestimmten Thema. Aber das ist nicht vordergründig, eine Seminartätigkeit zu machen. Aber den Weg, den man gemeinsam beschreitet und was man zusammen tut in der Kommune oder in einem Verein, worüber man da redet, das ist eigentlich eine Form von Bildung, so würde ich eher meine Arbeit beschreiben. Die kann unterschiedliche Form haben, die kann eine beratende Form haben, die kann eine moderierende Form haben usw. Wo ich eher sagen würde, das sind für mich Methoden, Beratung ist für mich eine Methode, wo wiederum bestimmte Dinge dazugehören, Werkzeuge, mit denen ich das machen kann. Moderieren genauso.“ B: „Das, was du mit dem Bildungsaspekt meinst, würde ich formulieren, dass wir versuchen, die Leute zu befähigen, damit umzugehen, insofern ist das in einem ganz weiten Sinne natürlich Bildung, das stimmt. Nicht klassische Bildung, aber das ist das, was man vielleicht auch als Nachhaltigkeit bezeichnen könnte.“ A: „Es ist eine unterschwellige Form von Bildung. Es ist die, die den Leuten angemessen ist, mit denen wir es zu tun haben.“ (b-MBT 2, 39-51) Zwar mag es zunächst befremden, Mobile Beratung als eine Form von (politischer) Bildung zu betrachten, da Beratung auf einen konkreten Problemfall reagiert und zugeschnitten ist, währenddessen Bildungsarbeit einen allgemeinen Anlass und Auftrag hat. In dem dargestell- hungsebene.“ (Hülsemann GD 2, 947-952) Eine Kollegin eines anderen Teams ergänzte dies um den Aspekt der ständigen Reflexion der eigenen Arbeit. „Ergänzend oder vielleicht betonend noch mal eine fachliche und auch politische Reflexion innerhalb des Teams und darüber hinaus. Also auch im Permanenten Austausch halt. Und den Eiertanz zwischen persönlichem Engagement und professioneller Distanz hinzukriegen.“ (b-MBT 7, GD 2,958-961). 20 Die Abkürzungen „A“ und „B“ in den Interviewzitaten bezeichnen den Dialog zwischen den interviewten Berater/innen. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 90 ten Ansatz werden aber in idealtypischer Weise dennoch die Schlüsseltätigkeiten benannt, die für Mobile Beratung charakteristisch sind. So werden hier zentrale Tätigkeiten der Beratungsarbeit in einem Zusammenhang gebracht, der von Sensibilisierung über Befähigung z.B. durch Wissen zur Aktivierung führen kann. Diese und die oben dargestellten Aspekte zeigen eine sehr reflektierte und sachlich „nüchterne“ Auffassung von Mobiler Beratung. Mobile Beratung wird als ein Ansatz, als eine Methode gesehen, die in Teilbereichen auch auf bekannten Standards der politischen Bildungsarbeit fußt (zur politischen Bildung vgl. z.B. Giesecke 2000; Kohls 1991).21 Diese bekannten Standards müssten dann mit den Basiskriterien von Beratungsarbeit zusammengeführt und dann auch in der Beratungspraxis angewendet werden. Für Mobile Beratung ist im Unterschied zur Bildungsarbeit wichtig, dass sie sich intensiv und langfristig auf Prozesse einlassen kann und sich dann wieder sukzessive herauszieht, wenn es ihr gelungen ist, ein gewisses Maß an Selbstorganisation mit aufzubauen. „Eigentlich verstehe ich Beratung als Begleitungsprozess, dass man Kommunikationsstrukturen aufbaut und ein Stück weit begleitet und dann rausgeht“. (b-MBT 2, 122-124) Dieser auf Langfristigkeit ausgerichtete und eine verlässliche Beziehung zwischen Berater/innen und zu Beratenden voraussetzende Ansatz benötigt seitens des Programms Planungssicherheit, Vertrauensschutz und ein hohes Maß an Gestaltungsspielraum, um auf die jeweiligen lokalen Gegebenheiten eingehen zu können. 3.1.2 Der Ansatz der Gegnerschaft zum Rechtsextremismus Im Unterschied zu den oben dargestellten Auffassungen von Mobiler Beratung sehen andere Teams das „Besondere“ des Ansatzes „Mobile Beratung“ in seiner explizit inhaltlichen Ausrichtung gegen Rechtsextremismus. Auch hier werden eine „Akteurszentrierung“ und „Ressourcenorientierung“ sowie eine „Nachfrageorientierung“ als Prinzipien Mobiler Beratung benannt (vgl. b-MBT V L, 164f.), aber ein zentraler Fokus liegt darauf, wogegen sich Mobile Beratung richtet. „Also wir richten uns ganz klar gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und sind da auch nicht besonders bereit, über andere Diskurse irgendwie in die Sachen einzusteigen. Also wir arbeiten jetzt nicht nur ausschließlich mit dem Begriff ,rechte Gewalt’ oder so was. Also das heißt, wir haben schon eine sehr eindeutige Festlegung auf dieses Gebiet und sind da auch sehr standfest, würde ich sagen. Also was die inhaltliche Arbeit angeht.“ (b-MBT V L, 167-171) In diesem Beispiel kommt neben der inhaltlichen Ausrichtung bzw. „Problemzentrierung“ (bMBT V GD 1, 102 u. 1247) auch eine Fixierung auf den zumeist „manifesten“ Rechtsextremismus zum Vorschein, wodurch ein Teil der MBTs mit dieser Ausrichtung häufig auch eine Haltung der (politischen) Gegnerschaft zum Rechtsextremismus einnehmen. Dieser dezidiert 21 Kohlstruck definiert zusammenfassend politische Bildung in Anlehnung an Claußen und von Hentig als einen „intransitiven Prozess“ (Bernhard Claußen), demnach ist politische Bildung wie Bildung überhaupt „der Vorgang des Sich-Bildens (Hartmut von Hentig), Bildung ist im emphatischen, neuhumanistischen Sinn dieses Konzepts nicht ein Formungsprozess, der von den Bildnern an den zu Bildenden vollzogen wird. Es ist ein Prozess der Persönlichkeitsentwicklung, in den Informationen und Erfahrungen, Zweifel und Fragen und individuelle biographische Perspektiven eingehen - ein Prozess, der letztlich in die Freiheit des sich bildendenden Subjekts gestellt ist und gestellt bleiben muss.“ (Kohlstruck 2002 b): 2) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 91 auf eine Gegenhaltung zum Rechtsextremismus ausgerichtete Ansatz, kann – wie im folgenden Zitat zu sehen ist – mit inhaltlichen Vorgaben einhergehen, die mit einer offenen Haltung gegenüber den zu beratenden Akteuren nicht im gleichen Maße gegeben ist, wie der oben dargestellte Beratungsansatz. Durch diese Ausrichtung können die MBTs von der Anlage her, nicht mit der – noch weiter unten ausführlich dargestellten – Offenheit gegenüber allen potenziellen Zielgruppen operieren und deren Anliegen „unvereingenommen“ aufgreifen. Es stellt sich zudem die Frage, inwieweit solche inhaltlichen Festlegungen für eine Beratungstätigkeit mit einem liberalen Verständnis von Demokratie und einer zivilgesellschaftlichen Werteorientierung, die auf der Mündigkeit der Bürger/innen fußt, vereinbar sind. Wir müssen uns „im Gegensatz zu anderen MBTs (...) nicht so bemühen (...), jetzt mit irgendwelchen Vorwandthemen in irgendwelche kommunalen Diskurse einzudringen. Sondern wir agieren wirklich nur dann, wenn eine Person eine bestimmte Wahrnehmung, eine Problemwahrnehmung, besitzt bezüglich Rechtsextremismus. Und da auch eine Lösung von uns erwartet. Und da begeben wir uns dann halt eben mit ihm in Diskussionsprozesse. Und da werden eigentlich die inhaltlichen Standards relativ schnell klar. Und werden dann halt auch diskutiert mit dem Akteur. Also der weiß, glaube ich, ziemlich schnell, worauf er sich mit diesem Team dann eben auch einlässt. So!“ (b-MBT V L, 176-183) Bei diesem inhaltsbezogenen Ansatz wird dann unter professioneller Beratung auch nur eine Beratung zu diesem Themenfokus verstanden. „Professionell ist glaube ich auch, sich auf das Thema Rechtsextremismus zu beschränken und nicht dem Akteur noch zu vermitteln, was man sonst noch glaubt, darüber hinaus. Sondern sich wirklich nur zu dem Thema äußern, was auch unser Fachgebiet und unser Auftrag ist.“ (b-MBT 6, 34-37) 3.1.3 Ziele Mobiler Beratung Vor dem Hintergrund der breit und offen angelegten Zielsetzung des CIVITAS-Programms formulieren auch die MBTs die Ziele Mobiler Beratung sehr allgemein und unspezifisch, auch wenn sie sich – wie in dem zuletzt dargestellten Fall – in einer zugespitzten Gegnerschaft zum Rechtsextremismus befinden. Dabei lassen sich bei einem breiten Spektrum der Formulierung der Hauptziele zwei grundlegende Ausrichtungen identifizieren, die bei den einzelnen MBTs auch neben einander stehen können. So stellen einige der interviewten Berater/innen eine Zielsetzung heraus, die sich von der fixierten Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus löst und eine umfassende Demokratieentwicklung in den Gemeinwesen anstrebt. „Wir sehen uns wirklich als ‚vermittelnde Struktur’ zwischen dem Oberauftrag, den wir vom Bund mitbekommen haben, demokratische Kultur zu entwickeln oder ein tolerantes gesellschaftliches Klima hier zu fördern (...).“ (b-MBT 4, 1021-1024). Die Befähigung zu demokratischen Auseinandersetzungsformen geht dabei weit über das Thema Rechtsextremismus hinaus. „Das Thema Rechtsextremismus (...), das ist zu eng, wie wollen wir miteinander umgehen, welche politische Kultur, welche menschliche Kultur wollen wir hier miteinander etablieren, das ist wieder ein Thema. Ich merke das auch gerade bei Kindern und Jugendlichen. Die haben schon wieder Vorstellungen, die haben Werte.“ (b-MBT 4, 1575-1579) Bei diesem Ansatz geht es „selbstverständlich“ auch um die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, diese ist aber dann eher der Ausgangspunkt und Aufhänger für eine viel weiter gefasste Zielsetzung. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 92 „Ein Ziel ist erst mal, sich überhaupt offen mit der Thematik vor Ort auseinanderzusetzen. (...) Da die Leute aufzuschließen und zu sagen, das ist ein Thema, das uns alle angeht, ist eigentlich auch ein Ziel der Beratung.“ (b-MBT 4, 1554-1557). Zielsetzung dieses Verständnisses von Beratung ist vielmehr, die Bürger dazu zu ermutigen, ihre eigenen Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. „Es geht um ihre Belange. Es geht darum: wie wollen sie miteinander leben?“ (b-MBT 4, 1177). Diese aktive Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit Problemen des Gemeinwesens zielen auf ein demokratisches Selbstverständnis, auf demokratische Gestaltungs- und Aushandlungsprozesse, die als eine positive Lebensqualität gesehen werden. So ist dann im weiteren ein konkretes Ziel, den Akteuren Räume und Möglichkeiten der Beteiligung zu eröffnen. Es geht primär darum, den Akteuren vor Ort – auch durch das „Vorleben“ eines demokratischen Verhaltens – Wege und Kompetenzen sichtbar zu machen, die ein Interesse und Engagement für öffentliche Angelegenheiten wecken können. Interessenartikulation und Selbstorganisierung der Bürger/innen sind dabei sowohl Ziel als auch Methode. Ob, zu welchen Inhalten und in welcher Form sich die Bürger/innen engagieren ist ihre Sache. Ein wichtiger Schritt ist es dabei, dass die Bürger/innen die Erfahrung machen können, dass es sich lohnt und Spaß macht, sich für öffentliche Angelegenheiten einzusetzen (vgl. auch b-MBT V L). „Ich finde auch diesen politischen Diskurs wichtig, aber auch erreicht zu haben, dass man – es wird immer gesagt, ‚es kommt alles aus der Gesellschaft, es ist ein gesellschaftliches Problem, ein Regierungsproblem’ – dass man erreichen kann, dass Leute merken, sie können auf ihrer Ebene etwas tun und kriegen das Gefühl dafür, auch angesprochen und miteinbezogen zu werden in solchen Prozessen. Ich merke, das ist bei vielen überhaupt nicht mehr da, ‚Gesellschaft und mein Privatleben, das läuft getrennt’. Da Formen zu entwickeln, die es in ganz unterschiedlichen Weisen möglich machen, Leute mit reinzunehmen.“ (b-MBT 4, 1580-1587) Bei dem Ansatz, der eher auf die inhaltliche Fokussierung des Themas und Gegnerschaft zum Rechtsextremismus ausgerichtet ist, werden hingegen Zielsetzungen genannt, die sich primär auf den Umgang oder die „Bekämpfung“ rechtsextremer Erscheinungsformen richten (vgl. insb. Kap. 3.4.4 u. 4.3; b-MBT 6, 990-994; b-MBT V L; b-MBT 3) 3.1.4 Fazit Der hier exemplarisch dargestellte offene moderierende Ansatz auf der einen und der inhaltlich auf das Thema Rechtsextremismus und seine Gegnerschaft fixierte Ansatz auf der anderen Seite mögen je nach Problem- und Bedarfslage ihre Berechtigung haben. So werden sie auch als verschiedene Ansatzpunkte und Zielsetzungen bei einem Teil der MBTs neben einander genannt. Dennoch stellt sich die Frage, ob die auf einen Gegner und ein Thema fixierte Bearbeitung nicht in einer unterkomplexen Dichotomie von „Guten“ auf der einen und „Bösen“ auf der anderen Seite verhaftet bleibt? Diese „Bekämpfungshaltung“, die sich durch eine politische und moralische Gegnerschaft definiert, ist nach der vorliegenden Beurteilung des Materials, mehr mit der Analyse22 und vor allem der direkten „Bekämpfung“ bzw. Ausgren- 22 So wird im folgenden Zitat sichtbar, wie die intensive Bemühung um die richtige Analyse mit einer großen Hilflosigkeit bezüglich Vorschlägen zur Verbesserung einer Situation korrespondieren kann. „(Ich würde) in der Auswertung noch mal Kriterien entwickeln. Wohin soll das Ganze gehen? Worüber reden wir hier eigentlich? Warum ist es so, dass es notwendig ist, das Problem beim Namen zu nennen und nicht über Gewalt zu reden, sondern über Rechtsextremismus, Rassismus. Und warum CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 93 zung des – zumeist manifest sichtbaren – Rechtsextremismus beschäftigt, als der offene und auf „neutrale“ Moderation ausgerichtete Ansatz. Beratungsansätze, die in einer positiven und offenen Ausrichtung auf alle zivilgesellschaftlichen Akteure und deren Anliegen zugehen, versuchen von der Anlage her, dies auch in den Methoden umzusetzen und verfolgen so einen partizipativen Beratungsansatz. So ist es ein Hauptziel dieses Beratungstyps, die positive Vision eines demokratischen Gemeinwesens mit den zu Beratenden zu entwickeln und die in der Praxis vorfindbaren gegenläufigen undemokratischen Tendenzen dabei zu integrieren bzw. zum Gegenstand der Bearbeitung zu machen. Beratungsansätze, die sich stark über eine inhaltliche Fixierung auf und in Absetzung vom Rechtsextremismus definieren, befürworten in der Tendenz die Exklusion des „Unerwünschten“. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass eine der Hauptproblemgruppen rechtsextrem-orientierte Jugendliche sind, und es stellt sich die Frage, ob diese Jugendlichen mit ihren subkulturell bedingten und sozialisationsspezifischen Verhaltensweisen überwiegend dem ideologisch gefestigten Rechtsextremismus oder gar Organisationen zuzurechnen sind.23 Durch diese „Bekämpfungshaltung“ und damit befürworteter repressiver Ausgrenzungsstrategien ist – im Freudschem Sinne – die Abspaltung des auch zur Zivilgesellschaft gehörenden „Negativen“ impliziert. Letztlich wird das, was als „Rechtsextremismus“ definiert wird, außerhalb eines sozialen Zusammenhangs angesiedelt. Diesen Ort „Nirgends“ gibt es nicht, und die Vorstellung, „den“ Rechtsextremismus „beseitigen“ zu können, verschließt sich der Möglichkeit, auf ihn und seine Entstehungsgründe pädagogisch oder mit anderen demokratischen Mitteln reagieren bzw. präventiv einwirken zu können. Deshalb wird im weiteren Verlauf der Untersuchung auch der Frage nachzugehen sein, welche Ansätze und Vorgehensweisen in Inhalt und Form selbst demokratische Methoden beinhalten und eine positiv formulierte Zielsetzung verfolgen. Es ist allerdings auch kein Zufall, dass die meisten MBTs sich in einer Gegnerschaft zum Rechtsextremismus auch namentlich positionieren. So ist zu fragen, ob nicht mit der Ausrichtung auf eine Gegnerschaft, mit dem „Bekämpfungsansatz des „Gegen“ ein Programm formuliert wird, das sich in der negativen Selbstdefinition selbst verengt und möglicherweise der Schwierigkeit aus dem Weg geht, positiv zu formulieren, was in der Grundzielsetzung Mobiler Beratung einerseits und im konkreten Beratungsfall andererseits eine zu befördernde zivilgesellschaftlich orientierte Auseinandersetzungsform ist. Was für ein positiv formulierter Zustand soll durch Mobile Beratung erreicht werden? Was heißt „Zivilgesellschaft“ im konkreten Beratungsfall und wie kann dieser „catch-all“ Begriff auch für die Akteure vor Ort in einer für sie handhabbaren bzw. lebbaren Form vermittelt werden? (…). Und dann zu überlegen: ,Wie können wir es schaffen?´ Wir haben darauf keine Antworten. Also dafür sind wir eigentlich auch noch in der Aufbauphase, in der Erprobungsphase, so würde ich sagen.“ (b-MBT 3, 342-347) 23 So wäre beispielweise in einem Fall genauerer zu prüfen, ob es sich bei den von einem Team angeführten fünfzehnjährigen Jugendlichen um rechtsextreme „Kader“ handelt (vgl. b-MBT 6, 504-506; siehe dazu ausführlich Kap. 3.4.5). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 94 3.2 Zielgruppen Mobiler Beratung 3.2.1 Allgemeine Bestimmung der Zielgruppen Ein wichtiges Beurteilungskriterium für eine Evaluierung der MBTs ist die Frage nach den Zielgruppen Mobiler Beratung. An wen richtet sich Mobile Beratung? Welche Zielgruppen werden primär erreicht und welche nicht? Die MBTs haben in ihren Konzepten einen breiten Adressatenkreis, den sie zu ihren Zielgruppen zählen. Zielgruppen sind „im Prinzip alle, die etwas unternehmen möchten“ (b-MBT V L, 649). Diese unspezifische Zielgruppenbestimmung wird von Teilen der MBTs als Ausdruck der Offenheit des Beratungskonzepts und als Anspruch dargestellt, möglichst viele Akteure zu erreichen. „Laut Konzept ist das ja wirklich von A bis Z, in dem Sinn. Also von Schule, Jugendinitiativen, Polizei, Justiz, Parteien, Sozialarbeit, öffentliche Verwaltung. Also laut Konzept sind das eigentlich alle, die irgendein Problem haben oder was sehen, was zum Thema Rechtsextremismus oder Rassismus sich als ein Problem darstellen könnte vor Ort. Und das ist schon ziemlich breit (…).“ (b-MBT II L, 1136-1140) Diese Breite der Zielgruppen wird in den seltensten Beratungsfällen angesprochen. So werden in Abhängigkeit von lokalen Gegebenheiten des jeweiligen Beratungsfalls, von den Zugangsmöglichkeiten zu den Kommunen bzw. bestimmten Institutionen und Akteursgruppen, sowie durch die in dem Selbstverständnis der Berater/innen zum Ausdruck gebrachten Haltungen und (politischen) Ausrichtungen bestimmte Zielgruppen eher und häufiger erreicht als andere. Diese Diskrepanz zwischen konzeptionellem Anspruch und Wirklichkeit ist den betreffenden MBTs auch bewusst, was sich allerdings – wie im folgenden Fall – nicht in einer Änderung der Zielsetzung niederschlägt. „Wir sprechen prinzipiell alle Menschen an, die Aktivitäten von Rechtsextremen wahrnehmen. Wir haben keine konkreten Zielgruppen. (...) Letztendlich ist es aber in der Realität so, dass die Hauptzielgruppe durchaus Jugendeinrichtungen darstellen, ich würde sagen: Jugendeinrichtungen, zivilgesellschaftliche Initiativen und Bündnisse.“ (b-MBT 6, 1061-1068) 3.2.2 Hauptzielgruppen Generell lässt sich anhand der Auskünfte der Berater/innen feststellen, dass vor allem in der Anfangszeit die MBTs zuerst und zumeist die bereits engagierten Initiativen und Akteure erreicht haben, da diese den größten Problemdruck hatten und für das Thema bereits sensibilisiert waren und sind. Neben diesen lokalen Initiativen und Bündnissen sind je nach MBT in unterschiedlichen Ausmaß andere Zielgruppen hinzugekommen. So werden von allen MBTs Multiplikatoren in der Jugend- und Bildungsarbeit als Kooperationspartner einerseits und auch als Zielgruppen von Fortbildungen andererseits gesucht und nach Auskunft der MBTs mit unterschiedlichem Erfolg erreicht. „Also in erster Linie Multiplikatoren. Das war auch der Bereich, wo wir viel uns vorgestellt haben. Also alle Pädagogen, Erzieher, Jugendclubleiter, Lehrer, Lehrerinnen (…). Also dieser ganze Bereich der Pädagogik.“ (b-MBT 3, 908-910) Dabei kann bei den MBTs in der Regel ein deutliches Übergewicht der Beratungstätigkeiten gerade in der Jugend(sozial)arbeit und den dafür zuständigen Institutionen gesehen werden. Bei den Akteuren dieser Zielgruppe besteht aufgrund der auch oben beschriebenen Problem- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 95 lagen ein großer Bedarf an Unterstützung sowohl im Umgang mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen als auch bei der Entwicklung attraktiver und demokratiefördernder Angebote für Jugendliche. Neben dem hohen Fortbildungsbedarf sind die Multiplikatoren und Verantwortungsträger dieses Feldes wichtige Türöffner, um im kommunalen Bereich Zugang zu finden. So verwundert es nicht, dass ein großer Teil der MBTs „in erster Linie mit Jugendeinrichtungen“ zusammenarbeiten (b-MBT 6, 1086-1087) und „Hauptzielgruppen (...), Multiplikatoren der Jugendarbeit im weitesten Sinne (...)“ sind (b-MBT 5, 2443-2444). Die starke Fixierung auf den Bereich Jugendarbeit wird aber von einem Teil der MBTs als sehr problematisch gesehen und eine Ausweitung des Tätigkeitsprofils gefordert. „Was sich verändern muss und was zum Beispiel jetzt über diese in alle Richtungen gehenden Ansätze hinausgeht und versucht wird ist, dass wir aus dieser Zielgruppe ‚Jugend’, die uns wichtig ist, mehr hinausmüssen, in andere Bereiche. Also, Zielgruppe, abgesehen vom einzelnen Sozialbereich, dass da ‚Jugend’ halt meistens hervorsticht. ‚Soziales’ auch bis hin zu ‚Wirtschaft’, für das gesamte Projekt wichtige Zielgruppen sind halt behördliche Strukturen. Und innerhalb des Teams gibt es mit unterschiedlicher Betonung auch ‚Polizei’.“ (b-MBT 7, 1610-1616) 3.2.3 Ausweitung der Zielgruppen Neben einem bereits sensibilisierten Personenkreis aus dem kirchlichen Umfeld sowie den Gewerkschaften und Initiativen ist es den MBTs mit unterschiedlichem Erfolg gelungenen, auch Vertreter der kommunalen Politik und Verwaltung, öffentliche Einrichtungen und Verbände sowie Mitarbeiter und Einrichtungen der Polizei und Justiz zu erreichen.24 „In letzter Zeit war es vor allen Dingen kommunaler Bereich. Politik und Verwaltung, auch Vereine. Pfarrer ist weder Politik noch Verwaltung, also Kirche.“ (b-MBT 2, 833-834) Der Zugang zu Schulen ist indes von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. So kann es sein, dass in einem Bundesland die MBTs sehr gut mit kommunalen Verantwortungsträgern und öffentlichen Einrichtungen und der Polizei zusammenarbeiten, Schulen – trotz positiver Tendenzen zu einer intensiveren Auseinandersetzung – nur begrenzt erreicht werden. „Von der Tendenz gestaltet sich Schule am schwierigsten, Sozialarbeiter eher leichter, weil sie das Problem mit Jugendlichen im Freizeitbereich öfter haben als Schule das wahrhaben will (...).“ (b-MBT 3, 854-856)25 24 Ein anderes Team stellt hingegen sehr bewusst die Orientierung auf Initiativen in den Vordergrund: „Deswegen sozusagen unsere Herangehensweise, auch glaube ich, im Unterschied zum anderen MBT hier in ((Name Ort)), nie die gewesen, dass wir uns am Anfang in den gesamten Verwaltungsstrukturen vorgestellt haben und erst mal so Türklinkenputzen gemacht haben. Sondern sozusagen gleich in Basisinitiativen auf die ersten Anfragen gestoßen sind, die wir bearbeitet haben.“ (b-MBT V L, 133-137) 25 Diese zurückhaltende Bereitschaft, sich an Schulen mit dem Thema zu beschäftigen, wird auch in anderen Bundesländern festgestellt, wobei von den meisten MBTs seit längerem eine positive Tendenz der Schulen zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema festgestellt wird „Es gibt grade im Bereich Schule, fällt mir da so ein, gibt es manchmal - wobei das sich auch verändert im positiven Sinne - gab es aber häufig auch so eine Haltung: ‚Wir haben keine Probleme und hier ist alles wunderbar’.“ (b-MBT 5, 166-168)) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 96 In einem anderen Bundesland hingegen werden aufgrund eines Erlasses des für Schulen zuständigen Ministeriums die MBTs für die Schulinterne Lehrfortbildung im Themenkontext Gewaltprävention regelmäßig angefragt. „Ich glaube, die armen Kolleginnen und Kollegen in ((Name eines anderen Bundeslandes)) haben da irgendwie andere Brötchen noch zu knabbern (...). Ich denke, dass so ein Erlass vom ((Name Ministerium)) zum Beispiel: Alle Schulen müssen flächendeckend ((Lehrerfortbildungen durchführen)), das hat uns geholfen, oder wir arbeiten ganz eng zusammen hier mit dem bildungspolitischen Sprecher der ((Name der Partei)) und werden vermutlich für alle Schulen im Land eine Ausstellung machen. Auf Anweisung der Landesregierung sind wir angewiesen worden, alle Schulräte des Landes zu schulen und zu beraten. Wir sind in diesen beiden großen Projekten „Demokratie leben und lernen“ der Bund-Länder-Kommission auf Einladung wiederum von sozusagen Landesstrukturen. Wir kriegen viele Türen geöffnet, nicht alle, aber viele, vor allem die, wo es nichts kostet. Das ist nützlich, das ist ganz klar nützlich. Ich denke, unter einer anderen landespolitischen Regentschaft könnte es sehr viel schwerer sein.“ (bMBT 5, 2671-2682; vgl. auch b-MBT II L 1160-1161) Auch gibt es mittlerweile Nachfragen von Verbänden wie der IHK und öffentlichen Einrichtungen nach Fortbildungen und Informationsveranstaltungen zu rechtsextremen Erscheinungen und dem Umgang damit. „Oder auch Wirtschaft, damit haben wir auch sehr stark zu tun, wir haben einen dicken Fisch an Land gezogen (...). ((Name des Betriebs)). (...) Die Wirtschaft ist gerade unser größter Posten im Augenblick.“ (b-MBT 2, 874-878) 3.2.4 Offenheit der Zielgruppen Auf die Frage, ob es bestimmte Zielgruppen und Personengruppen gäbe, die eher offen oder ablehnend auf Beratungsangebote reagieren würden, wurde durchweg von den Befragten geäußert, dass dazu keine generalisierbaren Aussagen möglich seien. Vielmehr hänge dies von der Offenheit und Persönlichkeit sowie der Professionalität der jeweiligen Person ab. „Also ich würde mich dagegen wehren, solche Akteursgruppen zu benennen. Also das hat mich noch mal unsere Beratungsarbeit im Strafvollzug gelehrt. Es gibt überall Leute, die ein hohes Maß an Engagement und Offenheit haben. Die ein großes Bedürfnis nach Veränderung haben. Und es gibt immer Leute, die bremsen. Das würde ich nicht an Berufsgruppen festmachen. Das ist sicherlich eine Frage (…). Was entscheidend sein kann, ist so etwas wie Professionalität. Dass Leute die Fähigkeit haben, ihre eigene Arbeit zu reflektieren.“ (b-MBT II L, 1317-1322) Generalisierbare Aussagen lassen sich auf kommunaler Ebene auch nicht für die parteipolitische Zugehörigkeit machen. „Aber vor Ort ist das nicht in erster Linie immer parteipolitisch einzuordnen. Also wenn in einem Ort ein großes Problem besteht mit einer rechtsextremen Jugendclique, die in einem Jugendclub die Fenster einschlägt, dann ist das erst mal nicht so wichtig, ob das ein ((Name der Partei))-Bürgermeister ist. Da gibt es nicht so große Unterschiede.“ (b-MBT 3, 961-963) Auch lassen sich keine verallgemeinerbaren Aussagen im Hinblick auf Offenheit oder Ablehnung von/für Beratungsangebote in Abhängigkeit von bestimmten institutionellen Funktionen oder Zuständigkeiten machen. „Das kann man pauschal nicht sagen. Es gibt offene Schulen, es gibt aber auch geschlossene Schulen. Es gibt offene Bürgermeister, es gibt offene und geschlossene Kirchen. Das ist ganz unterschiedlich. Es hängt viel von der Persönlichkeit ab und von der Lage vor Ort. (...) Mit dem einen Mitarbeiter im Jugendamt kann man, mit dem anderen kann man es vergessen.“ (bMBT 4, 1603-1606) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 97 Dies bedeutet für den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen, dass es neben den infrastrukturellen Rahmenbedingungen auch auf die Bereitschaft und Offenheit von den jeweiligen Akteuren vor Ort ankommt, sich für öffentliche Belange zu engagieren und sich einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu stellen. Dabei spielen persönliche Charaktereigenschaften und Haltungen anscheinend eine ebenso große Rolle wie (partei-)politische Zuordnungen. 3.2.5 Fazit Eine abschließende Festlegung, welche Zielgruppen in welcher Häufigkeit und in welchen Beratungszusammenhängen wirklich erreicht wurden und werden, lässt sich aufgrund der Materialbasis nicht feststellen. Die Erreichung der Zielgruppen ist neben den oben genannten Faktoren auch abhängig von der Entwicklungsphase des Teams und von der Art der Beratungsprozesse, die gerade stattfinden. So wurde beispielsweise in einem Bundesland von den MBTs versucht, sich über Fortbildungsveranstaltungen im Jugendbereich und an Schulen bekannt zu machen und dadurch eine Nachfrage anzustoßen. Dies hat sich als eine erfolgreiche Strategie bewährt, so dass die MBTs mittlerweile nachfrageorientiert arbeiten und von einem breiten Spektrum angefragt werden, das in einem Fall bis in den Wirtschafts- und Tourismusbereich hinein reicht (vgl. b-MBT 4; b-MBT II L). Bei einigen untersuchten MBTs richtet sich das Beratungsangebot neben der Jugendarbeit sehr stark an engagierte Initiativen. Wohingegen kommunale Verwaltungen und andere staatliche Institutionen sowie die lokalpolitischen Eliten und Polizei in Relation zu anderen MBTs scheinbar weniger erreichte Zielgruppen sind. Diese Fokussierung kann nach Einschätzung der vorliegenden Datenlage nicht allein auf die politischen Konstellationen auf Landes- oder Kommunalebene oder den örtlichen Gegebenheiten einzelner Beratungsprozesse zurückgeführt werden, da in verschiedenen Bundesländern unter – im großen Rahmen vergleichbaren Bedingungen – andere Zielgruppen wie beispielsweise Verantwortungsträger aus unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung und Politik neben den auch dort feststellbaren Schwerpunkten im Jugendbereich erreicht werden. Diese Verengung auf bestimmte Zielgruppen hängt auch mit den eigenen Schwerpunktsetzungen der jeweiligen MBTs und wahrscheinlich noch mehr mit dem im nächsten Kapitel (3.3) ausführlich behandelten Rollenverständnis der Berater/innen zusammen. Das oben dargestellte Selbstverständnis, das eine stark politisierte Positionierung in den Vordergrund stellt und sich primär den politisch engagierten Initiativen zuwendet, ist nicht im gleichen Maß für diejenigen offen, die dem engagierten Milieu und einer betont politischen bis zu konfrontativen Auseinandersetzung mit rechtsextremen Erscheinungsformen distanziert bzw. skeptisch gegenüberstehen. Jedenfalls scheint es einem Teil der MBTs besser zu gelingen, ein breiteres Spektrum an Zielgruppen und damit auch kommunale Verantwortungsträger und einflussreiche lokale Eliten zu erreichen als anderen. Dadurch verschieben sich auch die zentralen Tätigkeitsbereiche. So können bei einer breiten Nachfrage unterschiedlichster Zielgruppen die für die Beratungsarbeit wichtigen Schlüsseltätigkeiten wie „Befähigung“, „Aktivierung“ und „Vernetzung“ auf einem ungleich höheren Level ansetzen und eine größere Breitenwirkung entfalten, währenddessen sich bei den auf bestimmte Spektren orientierten MBTs eher die Frage nach einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit rechtsextremen Aktivitäten und Fremdenfeindlichkeit stellt. Damit bleiben sie häufig auf einen sehr kleinen Kreis von Zielgruppen begrenzt, der in der Regel diejenigen CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 98 umfasst, die bereits für das Thema Rechtsextremismus sensibilisiert sind und sich in einem (begrenzten) Gegenmilieu engagieren. 3.3 Rollen- und Selbstverständnis der Mobilen Beratungsteams Das Selbst- und Rollenverständnis bildet eine der zentralen Grundlagen für die Beratungstätigkeit. So sagt das jeweilige Rollenverständnis etwas darüber aus, mit welcher Haltung der Berater den zu Beratenden auf der einen und dem zu bearbeitenden Thema auf der anderen Seite gegenüber tritt. Deshalb wird im Folgenden der Frage nachgegangen, welche Rollenverständnisse haben die Berater/innen? Lassen sich verschiedene Selbstverständnisse der einzelnen MBTs feststellen? Worauf sind die unterschiedlichen Verständnisse zurückzuführen? Und wie wirken sich die Rollenverständnisse auf den Beratungsprozess aus? 3.3.1 Grundzüge und Ambivalenzen des Rollenverständnisses In dem Rollenverständnis, mit denen die Berater/innen den Zielgruppen gegenübertreten bzw. in die Beratungsprozesse hineingehen, lassen sich bezeichnende Unterschiede zwischen den einzelnen MBTs feststellen. Die Differenzen in den Rollenverständnissen hängen zum einen mit einem grundsätzlichen Verständnis der Arbeit der MBTs zusammen, das von einer Vielzahl von Elementen und Einflussfaktoren geprägt wird. Dies reicht von konzeptionellen und methodischen Überlegungen, spezifischen Qualifikationen und Arbeits- und Lebenserfahrungen bis hin zu politisch-ideologischen Begründungen und Haltungen.26 Dabei können sich konzeptionelle Überlegungen und politische Haltungen durchmischen, in dem Sinne, dass nicht immer eindeutig methodisches Vorgehen auf eine bestimmte Konzeption zurückzuführen ist und/oder die Beraterrolle von einer politischen oder moralischen Haltung geprägt wird. Um diese einzelnen Facetten und ihre Durchmischungen genau bestimmen zu können, wären allerdings längere und sehr intensive Begleitprozesse in Form von beispielsweise teilnehmender Beobachtungen bei Beratungs- und Moderationsprozessen notwendig gewesen. Bei einem Großteil der interviewten Kleinteams wird sichtbar, dass sie sich intensiv mit ihrem Rollenverständnis auseinandersetzen und sich um eine selbstreflexive und gezielte Rollenwahrnehmung bemühen. Hierbei zeigen sich entwicklungsfähige Ansätze zu einem reflektierten, in sich konsistenten und gefestigten Rollenverständnis, das sich über die auszuübende Funktion als Berater/in und die notwendige Distanzierungsfähigkeit gegenüber den Klienten sowie dem Beratungsgegenstand bewusst ist. In einem Fall wurde hingegen explizit darauf hingewiesen – was bei anderen MBTs wenn auch weniger prägnant ebenfalls zu beobachten ist –, dass die Frage nach der Rolle, nach dem Selbstverständnis noch im Fluss ist und im Team auch noch grundsätzlich diskutiert wird. Dies zeigt sich beispielweise daran, ob man sich selbst als Akteur versteht und wie weit diese Akteursrolle reicht. „Also auch das ist im Team ein großes Diskussionsfeld. Seitdem es ((Name des MBT)) gibt, natürlich. Inwieweit sind wir Akteure, wo liegen die Grenzen, aber auch die Grenzen des Zumutbaren, nicht Akteur zu sein. Also ich finde es so schwierig, das so klar zu beantworten, 26 Ein wichtiger Untersuchungsgegenstand wäre der Habitus, mit dem die Berater/innen im Beratungsprozess oder in der Öffentlichkeit auftreten bzw. wahrgenommen werden. Da sich die Untersuchung in erster Linie auf Interviewmaterial stützt, konnte dieser Aspekt nicht analysiert werden. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 99 weil es zumindest für uns in den Teams auch noch keine klaren Antworten gibt! Also es sind viele Dinge, die wir noch diskutieren.“ (b-MBT 3, 677-692) In Hinblick auf die in den Interviews thematisierte Frage, ob die Berater/innen in einer „neutralen“27 Haltung den zu Beratenden gegenübertreten oder „Position beziehen“ sollten, wird von den meisten Interviewten auf die Ambivalenz der Rolle hingewiesen und eine Mischform beschrieben. So wird einerseits geltend gemacht, dass man bei solch einem Thema nicht „neutral“ sein könne und man Position beziehen müsse. Andererseits wird herausgestellt, dass man schon durch das Aufgreifen des Themas und durch den Auftrag zivilgesellschaftliches Engagement anregen zu wollen, von den Akteuren vor Ort als Berater/in in einer bestimmten Position wahrgenommen werde bzw. einem eine politische Positionierung zugeschrieben werde. Von einem Teil der Interviewten wird dann auch zwischen Tätigkeiten getrennt, in denen eher eine „neutrale“ Rolle wie bei der Moderation von Bündnissen eingenommen werden könne oder wo eine Positionierung erforderlich ist, wie bei dem Aufgreifen und sogenanntem „Benennen“ eines Themas. Es scheint hierbei den Interviewten wichtig zu sein, dem Gegenüber zu vermitteln, dass sie selbst über eine „sichtbare“ politische Position verfügen, die sich als Gegnerschaft zu jeglichen Formen des Rechtsextremismus definiert und von ihnen auch nach außen wahrnehmbar vertreten wird. Das eigene Rollenverständnis wird dabei bis zu einem gewissen Grad – wie im folgenden Zitat zu sehen ist – an den (unterstellten) Erwartungen der zu Beratenden bzw. den engagierten Akteuren vor Ort abhängig gemacht. Wobei dieses von sich selbst eingeforderte „Position beziehen“ offenbar bis auf wenige Ausnahmen durchgängig praktiziert wird, so auch bei Fortbildungen. „Neutralität sehe ich nur wichtig zu wahren, was die Befindlichkeiten der Menschen untereinander betrifft, also wenn es Kommunikationsprobleme in einer Kommune gibt, dass wir uns da auf eine neutrale Position stellen und das, was die Leute aus ihrer Geschichte und aus ihrem gemeinsamen Leben haben, nicht in die Beratung mit reintragen. Aber was unseren Beratungsansatz betrifft, sehe ich durchaus keine Neutralität, das würde für mich nicht gehen, weil wir die Sachen in einer Region schon konkret benennen müssen. Das erwarten auch die Menschen von uns (...). Und das müssen wir auch machen, denke ich. Und dann gerade auch im Rahmen von Fortbildungen, die wir auch für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter oder, breiter angelegt, auch in Kommunen machen, ist es wichtig, dass wir Position beziehen. Ich glaube, wenn man diese Arbeit macht, solche rassistischen Vorurteile, muss man die auch benennen und dann muss man auch gucken, wo sie in der Gesellschaft oder direkt auch in der Kommune vorkommen. Die kommen eben nicht nur vor in irgendwelchen Extremen, rechts und links am Rand, sondern die kommen ganz normal vor, unter Stadträten oder auch bei der Polizei hatten wir das jetzt an einem Beispiel. Da ist das Benennen einfach wichtig, da geht Neutralität für mich nicht.“ (b-MBT 1, 18-35) Wenn von Berater/innen diese Positionierung deutlich gemacht worden ist, werden auch andere Aspekte thematisiert, die ein differenzierteres Rollenverständnis zum Vorschein bringen. So sehen einige Mobile Beratungsteams – wie auch die oben zitierte Beraterin – einen Teil ihrer Arbeit als eine Dienstleistung, die in Form von Weitergabe von Informationen, in dem Zusammenführen verschiedener Gesprächspartner, in der Herstellung von Transparenz des Beratungsprozesses besteht. 27 Die „Neutralität“ bezieht sich hier nur auf die Haltung und das Vorgehen als Berater/in. Davon ist die Frage nach einer „Neutralität“ im Hinblick auf eine Werteorientierung bei der Thematisierung eines Beratungsgegenstands zu unterscheiden. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 100 „Es ist dann auch eine Dienstleistung, (...) etwas zu leisten, und zwar einen Dienst zu leisten, Informationen zu sammeln und sie anderen wieder zur Verfügung zu stellen, oder eben auch konkret die anderen, die diese Informationen haben oder auch die Wahrnehmungen haben zum Thema Rechtsextremismus, an einen Tisch zu holen. Das beschreiben wir dann und machen das Angebot. (...) Und wir sind Dienstleister, aber eben nicht neutral in dem Sinne, sondern weil bei diesen Informationen die wir sammeln, das sind ja unterschiedlichste Quellen, (...) ich sage immer so ein bisschen: ein Puzzlebild von Zivilgesellschaft, von Entscheidungsträgern, von denen, die gefragt sind in der Auseinandersetzung. Da ergibt sich ja auch ein Bild. Und dieses zusammenzukriegen und auch entgegenzusetzen, ich denke das ist auch eine Aufgabe, das ist auch wieder eine Leistung, wie auch immer, da ist Analyseleistung dabei, da müssen wir uns auch zurücknehmen, Distanz ist gefragt ( ...).“ (b-MBT 1, 62-79) An diesen Äußerungen einer Beraterin zeigt sich auch das Hin- und Herchangieren zwischen der Rolle eines distanzierten Dienstleisters und der des sich positionierenden Beraters, der bei dem Thema „Rechtsextremismus“ nicht „neutral“ sein kann oder darf. Von einem anderen Befragten wird Mobile Beratung viel entschiedener und klarer als Dienstleistung betrachtet. Mobile Beratung ist ein professionelles Dienstleistungsangebot, das eine Vielzahl von Qualifikationen voraus setzt. „Ich denke, dass ein Eckpunkt ist, dass man sich als Dienstleister versteht. Dass man sich nicht als Akteur begreift, sondern als Dienstleister für Akteure. Ich denke, dass das ein Punkt für Mobile Beratung ist, damit sie funktioniert – Professionalität. Und das heißt, sich nicht nur im Gebiet Rechtsextremismus auszukennen. Das ist sicherlich eine Voraussetzung. Sondern außerdem in den Bereichen, wo es eine Rolle spielt; sich in Fortbildung auskennt, sich in Moderation, Mediation im Zweifel auskennt, dass man sich in Sozialpädagogik, bzw. Pädagogik auskennt. Und da das nicht einer alleine kann, müssen die Teams dafür sorgen in ihrer Gesamtbesetzung, dass das gewährleistet ist.“ (b-MBT VI L, 15-22) 3.3.2 Berater oder Akteur Ein wesentlicher Aspekt, der von den Interviewten in Bezug auf das Rollenverständnis thematisiert wurde, betrifft die Frage, ob sich die MBTs selbst als Akteure sehen bzw. in bestimmten Fällen eine Akteursrolle übernehmen oder ob die MBTs die Akteure vor Ort nur beraten und dabei für sich eine externe und im Rollenverständnis „neutrale“ Beraterrolle einnehmen. Hier lässt sich innerhalb des befragten Kreises der Berater/innen ein heterogenes Spektrum feststellen. Ein Großteil sieht sich in ihrem konzeptionellen Selbstverständnis und dem Anspruch nach in ihrer Praxis in der Rolle eines externen unabhängigen Beraters. Da die Bedingungen für eine an der Nachfrage orientierten und eine auf die beratende Hilfestellung begrenzte Beratungssituation vielerorts nicht gegeben sind, müssen die Berater/innen oftmals zumindest vorübergehend in eine Akteursrolle schlüpfen, um sich die entsprechenden Beratungssituationen erst zu schaffen. Dieser Wechsel in den Rollen wird von den Teams mit „erster“ und „zweiter“ Reihe umschrieben.28 28 „Na, erste Reihe heißt, also jetzt mal ganz platt formuliert, organisiere ich eine Demonstration in einer Kleinstadt von 7000 Leuten. Ich als ((Name des MBT)), oder ((Name des MBT)) macht das. Das wäre erste Reihe. Und zweite Reihe wäre, in dieser Kleinstadt moderiert ((Name des MBT)) den ‚Runden Tisch’ oder das Bündnis, und das Bündnis meldet die Demo an. Und organisiert die. Das ist zweite Reihe.“ (b-MBT II L, 234-238) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 101 „Ich denke, was wichtig ist, ist, dass es eben diese erste und die zweite Reihe gibt. Von unserem Konzept her in ((Name Bundesland)) würde ich denken, (...) dass wir wirklich im Hintergrund beratend tätig sind. Aber das geht einfach nicht, weil das Strukturen voraussetzt, die man beraten kann und die ein Problembewusstsein haben. Das ist, denke ich, das große Problem, vor dem wir uns befinden, dass es diese Strukturen nicht gibt. (...) Das heißt, das wir eigentlich unserem ureigensten MBT-Auftrag, Leute zu Rechtsextremismus zu beraten, insofern gar nicht gerecht werden können, weil wir erst mal Strukturen schaffen müssen, in denen wir dann zukünftig beraten können und wollen.“(b-MBT III L GR, 106-123; b-MBT 5, 143-152) Diese aufgrund von mangelnden Gelegenheiten und Strukturen für Beratung ausgeübte Akteursrolle wurde insbesondere von MBTs in den Flächenländern während der Aufbausphase eingenommen und wird heute noch im Rahmen von Fortbildungen sichtbar. So sehen sich einige MBTs explizit als Akteure, wenn sie von sich aus Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen anbieten. „Wo wir eher Aktionen machen, das ist auf der Landesebene. Dass wir da Sachen thematisieren, Fachtage oder solche Geschichten anbieten, aber das ist eine andere Geschichte. Ansonsten sehen wir uns eher als Dienstleister. Es hat einen Dienstleistungs-, Service-orientierten Charakter.“ (b-MBT 4, 1092-1096 ) 3.3.3 Bewegungs- und politischer Akteur Von dem oben dargestellten Akteursverständnis ist allerdings ein Rollenverständnis grundsätzlich zu unterscheiden, nach dem sich die Berater/innen bzw. die MBTs selbst als politische bzw. als Bewegungsakteure verstehen. Auch wenn dies nur bei wenigen Berater/innen explizit geäußert wird, schwingt doch bei einem nicht unwesentlichen Teil der Berater/innen die Auffassung mit, selbst aktiv zu werden oder von sich aus eine (gezielte) politische Einflussnahme auf einen Prozess und/oder die zu beratenden Akteure ausüben zu wollen bzw. dies als ihren Auftrag zu sehen. „Sondern das Konzept ermöglicht auch, wenn vor Ort keine Akteure vorhanden sind, selbst aktiv zu werden. Also diesen Konflikt, den man ja in der Beratung und gerade in dem Thema hat, mit erster oder zweiter Reihe sein zu dürfen, müssen oder zu können (…). Zum einen hat man das Konzept zwar festgeschrieben, aber schon noch Klauseln drin gelassen, dass man auch aktiv werden kann. Und zum anderen muss man sich aber auch vorstellen, im Team, dass die anderen, ehemals aus erster Reihe kommend, also immer aktiv in Projekten oder zu diesem Thema waren, sich plötzlich in der zweiten Reihe wiederfanden. Die (...) viele Erfahrungen, Kompetenzen mitgebracht haben, aber ja in erster Reihe anders gedacht haben, andere Strategien entwickelt haben, gab es da auch schon im Vorstand und im Team immer wieder Auseinandersetzungen und Diskussionen, Klausuren zu diesem Thema. Also wie man damit umgeht.“ (b-MBT II L, 223-229) An der Thematisierung dieses offenbar noch nicht geklärten Rollenverständnisses kommt eine grundlegende Erscheinung zum Vorschein, die auch bei anderen MBTs und von CIVITAS geförderten Projekten sichtbar wird. Dies hängt möglicherweise auch mit einer zu wenig klar definierten und operationalisierten Förderstrategie des CIVITAS-Programms zusammen. So wird in einem allgemeinen Bezug auf einen auch in der wissenschaftlichen Debatte umstrittenen und sehr weit definierten Begriff von „Zivilgesellschaft“ (vgl. Kocka 2003) nicht klar zwischen einer professionsbezogenen, fachspezifischen Bearbeitung des Themas Rechtsextremismus – zu der auch Mobile Beratung vom Ansatz her zuzurechnen ist – und einer an politischem Engagement und persönlicher Einmischung orientierten Herangehensweise unterschieden. In dem oben dargestellten Fall kommt dies auch dadurch zum Vorschein, dass zwischen einem vor und möglicherweise parallel zu der Förderung durch das CIVITAS- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 102 Programm praktizierten politischen Tätigkeit und einer Beratertätigkeit im Auftrag des CIVITAS-Programms keine klaren Rollentrennungen vorgenommen werden. Politisches bzw. persönliches Engagement und Beratertätigkeit überlagern und durchmischen sich und dies nicht nur punktuell (vgl. Fallvergleich in Kap. 4.2). Weiter wird an diesem Beispiel auch sichtbar, dass diese Mischung von persönlichem Engagement, biographischen Bezügen zu politischen Zusammenhängen und professioneller Arbeit im Rahmen einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Stelle als Berater aus dem Blickwinkel der zu beratenden Klienten nicht unproblematisch sein dürfte. Diese haben die berechtigte Erwartung, auf eine unvoreingenommene und offene Beratersituation zu treffen. Auch um das eigene Selbstverständnis zu klären und ein professionelles Beratungsangebot anbieten zu können, wären in solchen Fällen die Rollenverständnisse von den einzelnen Mitarbeiter/innen und Teams intern vor Beginn eines Arbeitsprozesses zu klären und transparent zu machen. Denn ein nicht eindeutig geklärtes Rollenverständnis führt zwangsläufig zu im Beratungsprozess mitlaufenden Ambivalenzen, die den Klienten nicht verborgen bleiben und Irritationen hervorrufen können. Ein Teil der Berater/innen sieht aber eine Notwendigkeit darin, in bestimmten Fällen aktiv werden zu müssen, wenn z.B. die Akteure vor Ort nicht auf rechtsextreme Aktivitäten reagieren. Hier wird eine große Spannbreite sichtbar, die von einem Eingreifen bei einer die menschliche Integrität bedrohenden Handlung bzw. verletzenden Äußerung bis hin zur Kritik an einem mangelnden Engagement der Akteure vor Ort reicht. So sehen einige Berater/innen auch ihre Aufgabe darin, selbst aktiv zu werden, wenn bei dem Auftreten rechtsextremer Erscheinungen – zumeist sind damit Aktivitäten des organisierten oder militanten Rechtsextremismus gemeint – vor Ort keiner aktiv ist oder das Thema nicht artikuliert wird. „Aber man muss natürlich auch der Tatsache ins Auge schauen, dass es in bestimmten Situationen, bestimmten Regionen keine Akteure gibt, die das machen würden. Das heißt, es geht jetzt nicht mal nur um eine Demonstration, sondern einfach auch um das Thema. Um es zu thematisieren. Und wenn es da niemanden gibt, dann muss es halt auch ((Name des MBTs)) machen. So, und das heißt dann halt, erste Reihe zu sein.“ (b-MBT II L, 245-249)29 An einer anderen Stelle wird deutlich, wie schwierig es für einem Teil der Berater/innen ist, sich auf eine rein beratende Funktion zurückzuziehen und damit aushalten zu müssen, dass die von ihnen beratenden Akteure nicht in dem gewünschten Sinne aktiv werden. „Na ja, es heißt dann, inwieweit, wenn ich in einer beratenden Funktion bin, von jemanden. Und bin dann aber in einer öffentlichen Veranstaltung oder in einer Diskussion, und inwieweit bringe ich genau die Themen ein, die hier brennen, formuliere die in dieser Kommune, oder setze ich darauf, dass ich sage: ‚Mein beratender Akteur, der Akteur, den ich berate, wird das vielleicht in einem halben Jahr formulieren.’“ (b-MBT II L, 254-258) An den beiden letzten Textstellen wird deutlich, dass solch ein Rollenverständnis je nach (Beratungs-)Situation auch mit einer konfrontativen oder gar polarisierenden Kommunikations- und Handlungsstrategie einhergehen kann. Es kann dabei nach dem jetzigen Stand der Evaluation nicht abschließend geklärt werden, ob solche Polarisierungen zu vermeiden sind 29 Dennoch wird auch bei diesem Team herausgestellt, dass die Beratungstätigkeit aus der zweiten Reihe im Vordergrund stehe. „Und natürlich ist das Konzept und die Idee, die zweite Reihe zu besetzen. Da zu unterstützen, was ja auch sozusagen dem Prinzip ‚Hilfe zur Selbsthilfe’ entspricht, was benötigt man, um aktiv zu werden, um sich Wissen anzueignen, um Wissen weiterzugeben, ist zweite Reihe. Und das ist das Konzept von ((Name des MBT)).“ (b-MBT II L, 242-245) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 103 oder ob sie sogar in Einzelfällen den Beratungsprozess positiv beeinflussen können. Fraglich ist jedoch, ob dadurch der Beratungsprozess für alle Interessierten und potenziell zu Aktivierenden offen gehalten werden kann oder ob nicht sogar Lagerbildungen wie im folgenden Beispiel im Kauf genommen werden. „Also, was wir manchmal machen müssen, ist sozusagen ‚die Instrumente zeigen’, so hat man das im Mittelalter mal genannt, es gab mal einen Fall, das war aber noch in ((ehemaliger Arbeitsort)), wo es eine große Nichtbereitschaft der Gemeinde gab, es aber einen großen Leidensdruck von vielen anderen in der Gemeinde gab, und um den Bürgermeister überhaupt dazu zu bringen, sich mit uns an einen Tisch zu setzen, da haben wir dann mal gesagt: Na ja, also es könnte ja auch eine Situation geben, dass man mal an die Presse geht und sagt: Es gibt hier ein Faschismusproblem. Also, nicht, dass wir gesagt haben, wenn Sie nicht mit uns reden, machen wir das, sondern wir haben gesagt: So kann es eskalieren, wenn das hier so weiter geht, und dann haben Sie ein wirkliches Problem, jetzt haben Sie noch Handlungsfähigkeit. – In so eine Richtung! Oder, wo sind wir sonst noch fürchterlich polarisierend unterwegs?“ (bMBT 5, 1313-1323) 3.3.4 Mobile Beratung als Moderation Es stellt sich hier die noch weiter unten ausführlich zu erörternde Frage, inwieweit die zentralen Schlüsseltätigkeiten wie „Befähigen“ und „Vernetzen“ mit einer eindeutig positionierten oder gar konfrontativen Herangehensweise zu vereinbaren sind? So wird jedenfalls solch eine polarisierende Haltung explizit auch von einem Teil der Berater/innen zurückgewiesen und durch eine moderierende und begleitende Rolle ersetzt, die sich auch keinem „Lager“ zuschlägt. A: „Wir versuchen schon, den Leuten das Problem plausibel zu machen, um sie dann zu gewinnen, etwas anderes zu tun. Auf Polarisierung haben wir es nie hinauslaufen lassen. Wir haben eigentlich versucht, Probleme und Potenziale aufzuzeigen auf beiden Seiten, das ist ja meistens so, dass es durchaus berechtigte Kritikpunkte gibt, wenn es da irgendwo eine Ini gibt, die mit der Stadtverwaltung meinethalben nicht klarkommt. Dass man sozusagen auch mal die andere Seite sieht. Und z.B. in ((Ort)) hat es funktioniert.“ Frage: „Eure Aufgabe wäre dann, (...)?“ B: „Eine Kommunikation herzustellen, eigentlich eine Moderation (…).“ A: „Ja. Nicht von vornherein auszuschließen, ‚die wollen sowieso nicht’ oder ‚mit denen brauche ich nicht zu reden’. Woher will ich das wissen. Eigentlich verstehe ich Beratung als Begleitungsprozess, dass man Kommunikationsstrukturen aufbaut und ein Stück weit begleitet und dann rausgeht. Es kann ja sein, dass das mit einer Polarisierung begonnen hat.“ (b-MBT 2, 111-125) Eine explizit moderierende und auf eine „neutrale“ Haltung begrenzte Beratungsrolle beschreiben die wenigsten MBTs. In einem der untersuchten Fälle korrespondierte ein dezidiertes Rollenverständnis als Moderator, als (neutraler) Vermittler mit einer vor dem CIVITAS-Projekt erfolgten Zusatzqualifizierung als Mediator. Diese Zusatzqualifikation zeigte sich beispielsweise in der gezielten Anwendung von für den Beratungsprozess wichtigen Kommunikationsstrategien. „Ich denke, wir beide sind durch die Mediation ein bisschen ‚geschädigt’, haben eine Gesprächstechnik entwickelt, die sehr aus dieser Mediationsecke kommt. Abholen bei den Positionen, dann langsam, immer wieder verständnisvolles Fragen was sind die Interessen, was sind die Bedürfnisse, was steht dahinter. (...) Ich muss sagen, das Instrumentarium bewährt sich da. Man hat diese Gesprächstechniken, aktives Zuhören, verschiedene Fragetechniken, CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 104 das hat man da einfach gut lernen können. Das hatte man vorher vielleicht intuitiv drauf, aber kann man jetzt professioneller umsetzen.“ (b-MBT 4, 1247-1267) „Es spielt auch dieses systemische Denken ein Stück mit rein, das System nicht außen vor zu lassen sondern zu gucken, was verbirgt sich denn wirklich dahinter, was spielt da mit rein.“ (b-MBT 4, 1275-1277) Dieses Team sieht in Mobiler Beratung vom Grundsatz her – wie auch einige andere MBTs – eine (Kommunikations-)Technik, als ein an den Bedarfslagen der Klienten orientiertes Kommunikationsangebot. Dieses Rollenverständnis als „Vermittler“ erfordert eine gleiche Distanz zu allen zu beratenden Akteuren und muss auf Polarisierungen und Konfrontationen verzichten. Die Berater/innen nehmen allerdings auch für sich in Anspruch, sich für Randgruppen einzusetzen „oder wirklich Position zu beziehen und das Thema offen zu machen“ (b-MBT 4, 1177). So kann in bestimmten Fällen, das Anliegen einer Minderheit in einer Kommune der Ausgangspunkt eines Beratungsprozesses sein, wobei dann Themen dieser Minderheit wie Rechtextremismus, Bedrohung durch fremdenfeindliche Gewalt etc. in einem größeren Kreis thematisiert werden sollen. In solchen Fällen kann das MBT eine Art anwaltlicher Funktion für den Transport von Themen und Anliegen übernehmen, die dann in einem größeren Kreis von möglichst vielen Akteuren auf gleicher Augenhöhe erörtert werden sollen. Das MBT versteht sich zwar dafür zuständig, dass das Thema aufgegriffen wird, nimmt aber – nach seiner Darstellung – in seiner Moderationsrolle die gleiche Distanz zu allen anderen Akteuren ein. „Wir haben nicht nur in ((Ort)), sondern auch als Gesamtteam, ziemlich klare Positionen zum Thema Rassismus, zum Thema Demokratie, zum Thema demokratische Entwicklung auch in ((Bundesland des MBT)), in der Alltagsarbeit sind wir aber schon bemüht, die erste These als Maxime unseres Handelns umzusetzen. Dass wir schon versuchen, eine Distanz zu wahren, nicht gleich mit unseren Positionen in die Beratung reingehen, sondern im Laufe von Gesprächen, von Beratungen, (…) diese Themen (...) angesagt sind, da mit einzubringen. Ich verstehe uns schon ein Stück weit als Anwälte oder Anwältinnen dieser Minderheiten oder der Opfer.“ (b-MBT 4, 62-71) Grundanliegen eines solchen Beratungsansatzes ist es, die zu Beratenden dazu in die Lage zu versetzen, das von ihnen angesprochene Problem unter Zuhilfenahme externer Beratung mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu lösen. In diesem Rollenverständnis versucht das MBT Möglichkeiten und Wege zur Eigeninitiative aufzuzeigen und andere dazu zu befähigen, ihre Interessen und Angelegenheiten unter Nutzung ihrer Ressourcen selbst in die Hand zu nehmen. Diese Beratungshaltung beschränkt sich idealtypisch darauf, „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu sein, ohne den oder die zu Beratenden zu etwas bewegen zu wollen, was diese nicht wollen. Diese Haltung der Berater/innen kann dennoch gleichzeitig damit einhergehen, den Akteuren vor Ort durch ihr Handeln und die Art und Weise der Thematisierung eines Themas eine Orientierung, ein Beispiel für eine demokratische und konstruktive Auseinandersetzung zu geben. An diese Beraterrolle sind vielfältige Anforderungen gestellt. So setzt sie voraus, dass Meinungen und Ansichten des zu Beratenden als gleichberechtigt anerkannt werden – vorausgesetzt, sie richten sich beispielsweise nicht gegen die Integrität von Personen oder rufen zur Verherrlichung des Nationalsozialismus oder zur Gewalt und anderen Straftaten auf. Dazu bedarf es eines hohen Maßes an Distanzierungsfähigkeit und an psychischer Belastbarkeit, da die zu beratende Person Sachen vertreten kann, die dem Berater als Person nicht passen oder zuwider sind, die er aber in seiner Rolle/Funktion als Berater vorübergehend integrieren CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 105 muss. Diese beschriebene Haltung kennzeichnet ein konzeptionell-methodisches Vorgehen, dass in den untersuchten MBTs in dieser stringenten Form nur bei einer kleinen Minderheit von Teams vorzufinden war. Allerdings kann dieses Rollenverständnis als ein wichtiger Orientierungspunkt bei einem Teil der Berater/innen festgestellt werden. Ob allerdings die von vielen Berater/innen behauptete Distanzierungsfähigkeit sowie das „Überwältigungsverbot“ in der Beratungspraxis immer eingehalten wird, müsste in einem längeren Begleitprozess der Beratungstätigkeiten untersucht werden. Eindrücke von Begleitprozessen und viele Aussagen in den Interviews belegen aber, dass es für einen Teil der Berater/innen sehr schwierig ist, bei diesem emotional und moralisch aufgeladenen Thema eine distanzierte Moderationsrolle einzunehmen und durchzuhalten. Einige Berater/innen sagen auch explizit, dass sie dies nicht wollen. „Ja, also auf jeden Fall ist das so, dass das Thema an sich Abwehrreaktionen hervorruft. Und wir verstehen uns nicht so, dass wir das moderieren und Konflikte versuchen zu reduzieren, sondern wir verstehen uns eher als die, die auch mit Abwehr sich konfrontativ auseinandersetzen. Also, wenn beispielsweise in einem Ort ein ‚Bündnis gegen Rechts’ entsteht, in dem aber in der Diskussion um die Namensgebung über Rechts- und Linksextremismus diskutiert wird, dann polarisieren wir in dem Sinne, dass wir darüber sprechen, was Rechtsextremismus ist und warum. Und was der Unterschied zwischen Rechts- und Linksextremismus ist. Und warum wir ein Team sind, was berät gegen Rechtsextremismus und nicht gegen Extremismus. Also in dem Sinne polarisieren wir dann.“ (b-MBT 3, 61-69) Rollenvielfalt und -flexibilität Aus den Interviews wurde insgesamt ersichtlich, dass für die praktische Beratungstätigkeit ein hohes Maß an Rollenflexibilität, gefestigter Persönlichkeit gefordert ist, sowie hohe Anforderungen an kommunikative und soziale Kompetenzen wie insbesondere die Fähigkeit zu Perspektivenwechsel und Einfühlungsvermögen gestellt werden, um den vielfältigen und auch den berechtigten Erwartungen im Beratungsprozess gerecht zu werden. „Es gibt schon Dinge, wo von uns eine Trauerposition auch gefordert wird, wo man merkt, dass man nicht mehr eine moderierende Rolle hat, oder eine unterhaltende, oder wie auch immer, eben mit jemand nur spricht, sondern dass die Leute auch ein Interesse haben zu erfahren, was wir über eine bestimmte Situation denken. Insofern nehmen wir eine Position ein, die allerdings eine ist, die nicht auf einer Absolutheit beharrt. Ich lasse mich auch gerne korrigieren, das ist so: wir haben ja im Prinzip nur eine subjektive Sichtweise mit einem bestimmten Wissen, mit einer bestimmten Erfahrung von einem Problem in dem Ort, und damit gehen wir dorthin, reden mit den Leuten, die Leute merken, die haben darüber nachgedacht, die denken dann ja auch selber darüber nach und entwickeln eine eigene Sichtweise.“(b-MBT 3, 439-448) Wichtig scheint dabei zu sein, dass die Berater/innen in der Lage sind, sich selbst zurückzunehmen und dadurch die Möglichkeit zu schaffen, dass die Akteure von ihren Bedarfslagen, Kenntnissen und Ressourcen ausgehend selbst handeln. Nur wenn ein behutsames Vorgehen verfolgt wird, scheinen Skepsis, Zurückhaltung und Selbstblockaden sich auflösen zu können. „Im Prinzip ist dann der Punkt gekommen, wo ich dann auch viel von den Leuten lerne, es ist ja nicht nur so, dass ich denen eine riesengroße Weisheit bringe, die wissen schon, was in ihrem Ort zum Teil abgeht. Die Frage ist nur: Können sie es kommunizieren? Wie vor allen Dingen, und das ist ja oftmals eine große Ratlosigkeit.“ (b-MBT 2, 448-452) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 106 3.3.5 Fazit Ob es den MBTs gelingt, die Akteure vor Ort zu einer Bearbeitung ihrer Probleme zu befähigen und den Anstoß zu einer vernetzten Aktivierung zu geben, hängt sehr stark von den örtlichen Konstellationen und Problemlagen ab. Dennoch dürften neben den Kenntnissen zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Rechtsextremismus in erster Linie hohe soziale Kompetenzen und ein abgeklärtes und selbstreflektiertes Rollenverständnis sowie dessen Niederschlag im Auftreten von großer Wichtigkeit sein, damit Beratungsprozesse erfolgreich sein können. So zeigte sich, dass ein bewusstes Rollenverständnis, nach dem die Berater/innen gleichermaßen zu allen Beteiligten offen sind und eine annähernd gleiche Distanz wahren, am ehesten in der Lage ist, ein möglichst breites Spektrum an Interessierten anzusprechen. Durch dieses Selbstverständnis als Moderator wird den Akteuren vor Ort Gestaltungsraum für ihre Eigenaktivierung überlassen. In bestimmten Phasen und Situationen scheint jedoch die Übernahme einer Akteursrolle unumgänglich, weil die Andockpunkte fehlen, an denen Mobile Beratung ansetzen kann. Die Rolle des politisch Agierenden bzw. des staatlich finanzierten Bewegungsakteurs ist allerdings problematisch und im Rahmen eines Programmauftrags, der sich potenziell an alle Mitglieder der Zivilgesellschaft richtet, zu hinterfragen. In der Beratungspraxis kann eine (politisch) positionierte Akteursrolle zu einer Interaktionsdynamik führen, bei der sich die Wahrnehmung einer Beraterrolle für die Akteure vor Ort mit der Wahrnehmung eigener politischer Interessen vermischt. Dadurch kann der Beratungsprozess nicht mehr für alle Interessierten gleichermaßen offen gehalten und die konzeptionell eingeforderte Klientenorientierung nicht durchgehalten werden. Eine derartige Konstellation sollte vermieden werden, da so das Gestaltungspotenzial des Beratungsansatzes und möglichst viele Ressourcen zu einer gemeinsamen Problemlösung nicht genutzt werden können. 3.4 Vorgehen und Methoden der Mobilen Beratungsteams Das Vorgehen und die angewendeten Kommunikationsstrategien können von Beratungsfall zu Beratungsfall, aber auch zwischen den Teams sehr unterschiedlich sein. Diese Unterschiede haben mehrere Gründe. Jeder einzelne Beratungsfall erfordert ein auf ihn zugeschnittenes Vorgehen, das sich an den lokalen Gegebenheiten, der Problem- und Bedarfslage sowie den Erwartungen und Ressourcen der zu beratenden Akteure vor Ort orientieren muss. Unterschiede im methodischen Vorgehen hängen aber zu einem nicht unwesentlichen Teil auch von dem eigenen Rollen- oder gar politischem Verständnis der Teams bzw. der Berater/innen ab. Weiterhin sind auf Seiten der Berater/innen die jeweiligen (zusätzlichen) Qualifikationen, Berufs- und Lebenserfahrung und subjektive Interessen von Bedeutung. Persönliche Ausstrahlung und Auftreten bei den unterschiedlichen Zielgruppen haben ebenso erheblichen Einfluss auf den Beratungsablauf, konnten aber anhand der Datenlage nicht näher untersucht werden. Das Vorgehen ist zudem von den Einschätzungen der Berater/innen über die zu erwartenden Reaktionen in der Kommune und den Interaktionsmustern innerhalb des Gemeinwesens abhängig. Diese Faktoren und deren Deutungen prägen im Wesentlichen die Rahmungen und sozialen Konstruktionen des jeweiligen Beratungsfalls bis in seine vielfältigsten Facetten hinein. Von den jeweils immer auch neu zu bestimmenden Konstellationen CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 107 des einzelnen Beratungsfalls hängt dann auch das jeweilige weitere Vorgehen ab. Aus diesem Grund lassen sich die Vorgehensweisen der Mobilen Beratung auch nicht in einer technokratischen Weise vereinheitlichen. Zwar gab es bei mehreren MBTs mehr oder weniger stark den Versuch, ein Beratungsraster zu entwickeln, nach dem Beratungsprozesse strukturiert werden sollten. Diese Tendenzen der Vereinheitlichung und Systematisierung sind aber letztlich auch aus den oben genannten Gründen nicht weiter verfolgt worden. Dennoch lassen sich einige Grundzüge der Mobilen Beratung in einem idealtypischen Ablauf darstellen. Diese Systematisierung hat ein MBT-Großteam anhand einer Graphik versucht, die eine Verallgemeinerung auch für andere MBTs beanspruchen kann (vgl. Kulturbüro Sachsen 2002). So finden sich die in der Graphik aufgeführten Tätigkeiten und Beratungsschritte in unterschiedlicher Bearbeitungsintensivität und unter Anwendung verschiedener Methoden auch bei anderen untersuchten MBTs wieder. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams Grafik: Ablauf tungsarbeit Mobiler Bera- 108 Problemanzeige Erstgespräch - Klärung des Beratungsauftrages Polizei/Staatsschutz Kommunalverwaltung Kommunalpolitik regionale Kontaktgespräche mit lokalen Akteuren Vereine Leitfadeninterview Kirchen zivilgesell. Initiativen lokale Sozialraumanalyse Auswertung der Interviews und Bewertung der Ergebnisse demokatisches Engagment lokaler Akteure Netzwerkbildung Problembeschreibung Beschreibung lokaler Akteure (Ressourcen und Probleme) Handlungskonzept Umsetzung der Ideen in der Region Engagierte Bürgerinnen und Bürger MBT - Arbeitsintensität Schule/Eltern CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 109 3.4.1 Erst- und Kontaktgespräche Diese Graphik kann als eine Abstraktion des methodischen Vorgehens bei einem zum Idealtypus konstruierten Beratungsfall verstanden werden, der in der von den Interviewten geschilderten Praxis so nicht vorfindbar ist. Die Schritte „Problemanzeige“ und „Erstgespräch“ zur „Klärung des Beratungsauftrags“, werden von den MBTs auch so benannt. Des weiteren betonen die MBTs bei Fragen zum Vorgehen, dass sie „im Team“ arbeiten und insbesondere die Erstgespräche – bis auf Ausnahmen – nur zu zweit durchführen. Dabei gibt es bei manchen Teams eine verabredete Rollenteilung. Zwar führen beide das Gespräch, aber einer schreibt Protokoll und nimmt möglichst viele Eindrücke auf und achtet auf den Subtext. Das Erstgespräch dient zunächst dazu, die Problemlage zu sondieren, sich anzuhören, warum das MBT kontaktiert wurde, welche Erwartungen bestehen, wie das Problemfeld und die Interventionsmöglichkeiten beschrieben sowie welche Akteure und Kooperationspartner genannt werden. Von einigen Teams wurde sehr deutlich herausgestellt, dass es ihnen zunächst darum gehe, Vertrauen zu schaffen, sich abzutasten und bestehende Vorbehalte abzubauen. „Es gibt so eine Aufwärmphase, man lernt sich kennen. Wir versuchen dann eher partnerschaftlich (...) die Leute zu Wort kommen zu lassen. In der Regel klappt das auch, dass die dann von selber anfangen, eine Lage von sich selber oder von der Situation vor Ort darzustellen. Dann kann man sich schon aus diesem Gespräch ein Bild machen. Dann versuchen wir, die Punkte herauszufiltern, wo wir denken, er hat Bedarf und wir sehen da auch Bedarf. Meistens deckt sich das auch.“ (b-MBT 4, 1184-1190) Auch die in der Graphik im zweiten Schritt durchzuführenden „Kontaktgespräche mit lokalen Akteuren“ werden von allen MBTs angeführt. Allerdings gibt es hier in der Art der Durchführung erhebliche Unterschiede. So werden die in der Graphik aufgeführten Leitfadeninterviews von nur wenigen Beratungsteams in dieser Form – wenn überhaupt regelmäßig – durchgeführt. Der Großteil der Berater/innen führt Gespräche, die mehr oder weniger ausführlich protokolliert werden. So werden die Leitfadeninterviews in der Regel als ein zu hoher Aufwand angesehen. Auch ist unwahrscheinlich, dass die Akteure vor Ort zu einem für sie teilweise heiklen Thema bei einem Interview bzw. einem vorstrukturierten und ständig protokollierten Gespräch so offen reden, wie in einer auf Vertrauen und Diskretion beruhenden Kommunikation. Wesentlich wichtiger scheinen aber Unterschiede in der Rolle zu sein, die die MBTs gegenüber den zu Beratenden einnehmen. Wie in jeder sozialen Begegnung hängt es sehr von dem ersten Aufeinandertreffen ab, ob sich daraus eine offene Interaktion entwickeln kann. „Ich würde versuchen, erst mal herauszubekommen, was die Leute wollen, z.B. in Bezug auf das Thema Rechtsextremismus. (...) Auch was sie darüber wissen oder nicht wissen und solche Dinge. Dass die Leute in die Lage versetzt werden abzuwägen, ob es Sinn macht, sich dieses Thema etwas näher anzugucken und sich dazu zu positionieren oder auch nicht.“ (b-MBT 2, 104-105). Hier ist von den MBTs Fingerspitzengefühl und Zurückhaltung gefordert. In der unten zitierten Interviewpasssage wird diesbezüglich ein Lernprozess von den Berater/innen eines Kleinteams beschrieben, der auch bei anderen MBTs in der ein oder anderen Form abgelaufen sein dürfte. Neben der Beziehungsarbeit ist von den Berater/innen gerade in der ersten Phase eine Rücknahme ihrer Person und ihrer Einschätzungen erforderlich, wenn sie eruieren CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 110 wollen, was ihre Klienten als Problem sehen und welche Ansätze zu deren Lösung sie bereits haben oder in ihren Situations- und Interventionsbeschreibungen angelegt sind. A.: „Aber wir sind inzwischen weniger offensiv geworden. Wir lassen kommen.“ B: „Wir lassen kommen und lieber in mehreren Schritten das zu machen, als zu versuchen, gleich in diesem Erstgespräch alles haben zu wollen. Mehr als Partner, wirklich so einen Beziehungsaufbau zu machen.“ A: „Das haben wir auch erst lernen müssen. Wir waren stark drauf, Informationen zu bekommen, Analyse, Analyse, aber das kommt von ganz alleine, haben wir festgestellt. Die Leute kommen doch relativ auf den Punkt und mögen es auch nicht, wenn man da rumeiert, sondern die haben auch ein Anliegen. Und über dieses Erstgespräch kriegt man entweder Signale, ,es ist gut, dass ihr da seid, wir brauchen hier Unterstützung´, dann kommt es manchmal drauf an, da guckt man mit demjenigen, mit dem man da spricht, ,was ist denn dein Interesse, hast du schon mal etwas unternommen oder was könnte man übernehmen, wen gibt es denn hier vor Ort, wer ist wichtig´." (b-MBT 4, 1191-1204) Von einigen Berater/innen wird deshalb betont, dass diese Kontaktgespräche hohe soziale und kommunikative Kompetenzen erfordern. Deshalb ist „Zuhören“ eine ganz wichtige Bedingung, damit die zu Beratenden in einer aktiven Rolle bleiben und nicht durch vorschnelle Einschätzungen und Ratschläge oder zu stark gelenkte Kommunikation „überfahren“ werden. Auch ist gerade in Beratungsprozessen, die tiefer in soziale Beziehungen hineinreichen, eine „neutrale“ Beraterrolle deshalb wichtig, weil aufgrund von Befindlichkeiten zwischen den Akteuren vor Ort sowie durch hohe Erwartungshaltungen, die teilweise bis in den persönlichen Bereich hineingehen (z.B. „Abladen“ von Sorgen und Problemen), die Gefahr besteht, dass die Berater/innen in eine Interaktionsdynamik bzw. in ein bestimmtes „Lager“ hineingezogen werden (vgl. Fallvergleich insb. Kap. 4.2). Ein davon deutlich zu unterscheidendes Verfahren geht von (impliziten) Voraussetzungen aus, indem z.B. eine gemeinsame Problemdefinition zwischen Berater/in und zu Beratenden eine mehr oder weniger anvisierte Voraussetzung für einen weiteren Beratungsprozess ist. Auch besteht bei einem Teil der Berater/innen der unbewusste/bewusste Wunsch oder die (implizite) Erwartung, dass die Akteure vor Ort oder die zu beratende Person das Thema „als solches benennen“ oder dass eine gemeinsame Problemdefinition erarbeitet werden muss, damit eine gemeinsame Handlungsgrundlage gegeben ist. „Ohne eine Problemwahrnehmung macht Beratung auch wenig Sinn. Man berät die Leute ja nicht in allen möglichen Fragen, sondern konkret dazu, wie sie Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auf eine sinnvolle Art und Weise begegnen können. (...) Mit dem größten Teil der Leute, mit denen wir zu tun haben, herrscht da Konsens. Natürlich, da, wo es dann auseinander geht, sind immer solche Sachen, wie sieht das Problem konkret aus, ist das jetzt schon Rechtsextremismus? Ist das ein Schwerpunktgebiet? Um solche Sachen gibt es natürlich Auseinandersetzungen, ich würde eher von Kontroversen sprechen als von Konflikten, weil es kann ja auch sehr sachliche und vernünftige Kontroversen geben, an deren Ende wieder ein Konsens steht. Es muss ja nicht immer zu verhärteten Fronten und Konflikten führen. Und dann gibt es wieder andere Punkte, zum Beispiel das Reizthema ist natürlich immer so etwas wie akzeptierende Sozialarbeit. Klar, wenn es darum geht, hat man auch immer irgendwie Konflikte, mit denen auf verschiedene Art und Weise umgegangen werden kann.“ „Wir gehen halt davon aus, dass ohne, dass man sich grundlegend darauf einigt, was liegt überhaupt für ein Problem vor, ist ein gemeinsames, koordiniertes Handeln schwierig.“ (bMBT 6, 308-327; 349-351) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 111 Diese Haltung in der Beratung kann dazu führen, dass die Berater/innen mit einer voreingenommenen Position wahrgenommen und möglicherweise dann als parteilicher Akteur in den Beratungsprozess involviert werden. Dieses kann auch bei einem Selbstverständnis der Fall sein, bei dem sich der Berater als „externer Experte“ versteht. Diese Rolle als „externer Experte“, die mit einer in ihrem Selbstverständnis auf „objektiven“ Daten basierenden Expertise oder Expertisenhaltung in den Beratungsprozess geht, kann für die Einnahme einer vermittelnden Moderationsrolle kontraproduktiv sein. Dies wird zum Teil auch – wie im folgenden Zitat – von einem interviewten Berater selbst so gesehen, was aber nicht wie in diesem Fall zu einer Änderung der methodischen Vorgehensweise führen muss. „Aber auch gerade bei so was kommt es darauf an, wann und wie die Mobile Beratung in so etwas involviert wurde. ((Name Kollegin)) hat es genau richtig gesagt, wenn man selbst schon so was gemacht hat wie einen Problemaufriss oder eine Problemdarstellung, eignet man sich nicht mehr so gut zum Moderator, weil man eben schon eine Position hat. (...) An Stellen, wo man selbst involviert ist, z.B. über eine Konzeption, die man erstellt, oder einen Problemaufriss, da ist es in der Moderation in der Regel schwierig.“ (b-MBT 6, 328-338) Es stellt sich hier bereits die weiter unten ausführlich zu erörternde Frage, ob und inwieweit ein MBT parteilich und positionell in einem Beratungsprozess als sozialer oder gar politischer Akteur involviert sein kann, ohne dass dadurch bereits Möglichkeiten der Beratung zur Befähigung von Eigenaktivität von einem möglichst breiten Akteursspektrum unter Wahrung ihrer Vorstellungen blockiert werden? Andere Teams betonen, dass auf jeden Fall diese Gefahr bestehe und nehmen deshalb gezielt eine „neutrale“ oder „vermittelnde“ Moderationsrolle ein, die es ihnen ermöglicht, den Beratungsprozess für alle an einem demokratischen Miteinander interessierten Akteure offen zu halten. „Aber Ziel ist schon, eine moderierende Rolle einzunehmen? Wir verstehen uns schon ein Stück weit als ,vermittelnde Instanz´.“ (b-MBT 4, 466-467) Ein Konsens zwischen den Akteuren steht bei dieser moderierenden Herangehensweise zumeist am Ende und nicht am Anfang der Beratung und ist Ergebnis eines konstruktiven Aushandlungsprozesses, der gleichzeitig ein zentraler Teil der demokratischen Auseinandersetzung – nicht nur – mit dem Thema Rechtsextremismus ist. Denn wenn die Lösung bei den Akteuren vor Ort liegt, müssen auch unter Hilfestellung externer Beratung die Lösungswege von den Akteuren selbst entwickelt und in einem Konsens ausgehandelt werden. In einem auf Self-Empowerment setzenden Ansatz werden die Akteure nur Lösungswege entwickeln, die auch für sie gangbar sind. Deshalb müssen nach diesem Beratungsansatz die Beratungsprozesse offen sein und sich auf lange Aushandlungs- und Konsensfindungsprozesse einstellen. „Es sind teilweise längerfristige Prozesse bis es dann wirklich, wenn es auch einen Runden Tisch gibt, aber eine gemeinsame inhaltliche Richtung gefunden wird. Es ist nicht ‚knall, jetzt machen wir etwas zusammen und jetzt gehen Aktionen los’. Das haben wir jetzt auch wieder gemerkt, wenn es zu schnell geht, dann bleiben Fragen offen, es sind durchaus längere Geschichten, bis man so einen Minimalkonsens hat oder eine inhaltliche Richtung hat.“ (b-MBT 4, 477-482) 3.4.2 Analyse und Recherchetätigkeiten Als eine zentrale Tätigkeit innerhalb jedes längerfristig angesetzten Beratungsprozesses wird von allen MBTs wie auch in der Graphik die Sozialraumanalyse oder Recherche genannt. Nach und neben den ersten Kontaktgesprächen geht es darum, sich ein Bild von der Prob- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 112 lemlage, den sozioökonomischen Rahmenbedingungen der Kommune, den sozialen und kulturellen Interaktionsformen, den Problembelastungen und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, der Situation der Jugendarbeit und des Vereinslebens sowie bereits vorhandener zivilgesellschaftlicher Aktivitäten und Ressourcen zu machen. „Dann geht meistens so ein Prozess los, dass wir dann diese Leute aufsuchen aber auch durch andere Recherchen gucken, wer ist denn auch noch wichtig, wen sollte man auf jeden Fall noch mal sprechen, wen sollte man mit ins Boot holen. Wir machen uns ein Bild. Das ist dann eher dieser Analyseschritt. Wir versuchen, uns ein objektiveres Bild von der Situation vor Ort zu machen unabhängig von dem Erstgespräch.“ (b-MBT 4, 1204-1209) Für diese Recherchetätigkeit werden je nach Beratungsfall und den Interessen bzw. Qualifikationen der Berater verschiedene Quellen herangezogen, um sich möglichst viele verschiedene Sichtweisen von relevanten Akteuren sowie vorhandene ,objektive´ Daten und Fakten zu vergegenwärtigen. A: „Zum einen versuchen wir, noch andere Quellen zu erschließen und uns aus verschiedenen Blickwinkeln von den Leuten vor Ort ein Bild auf die Situation oder auf das Gemeinwesen zu machen. Dann gucken wir einfach mal im Internet nach, was gibt es denn so, wie stellt die Stadt oder das Gemeinwesen sich z.B. selber dar.“ B: „Was gibt es an Vereinen?“ A: „Wie sieht die rechte Szene aus? Es geht ja doch meistens um Rechtsextremismus, wie stellt sich die Situation vor Ort dar, was gibt es in der Presse in letzter Zeit. Manchmal auch geschichtlich, das ist auch ganz spannend. Es gibt hier ein paar Orte, die haben eine sehr grauenhafte Vergangenheit, die bis heute durchschlägt. (...)“ B: „Was gibt es an reellen Zahlen, von Seiten der Polizei oder der ((Sondereinheit der Kriminalpolizei)), wie ist die Wahrnehmung bei den Leuten, auch wenn vielleicht zahlenmäßig nicht so viel aufläuft, aber wie wird das Bedrohungspotenzial wahrgenommen. Auch ein Stück Befindlichkeit der Leute vor Ort aber auch sachlich Zahlen und Fakten zusammenzukriegen.“ A: „Auch mit Jugendlichen.“ (b-MBT 4, 1215-1229)30 Im Anfangsstadium eines Beratungsprozesses nimmt diese Recherchetätigkeit viel Zeit in Anspruch. Ein Team schätzt 50% des Zeitbudgets für die Analysetätigkeit, die sich dann auf ca. 15% im Verlauf eines Beratungsprozesses einpendeln kann, also mehr und mehr abnimmt (vgl. b-MBT 4, 1231-1233). Von einem Teil der Teams werden diese Analysen – wie auch in der Graphik – als „Sozialraumanalysen“ bezeichnet, deren Methoden und Umfang aber sehr verschieden sind. Eine systematische Auswertung der in der Graphik erwähnten Leitfadeninterviews wird wohl in den seltesten Fällen vorgenommen. Es ist auch fraglich, ob solche Sozialraumanalysen für eine an praktischen Handlungsoptionen orientierte Beratung nicht eine methodische und zeitliche Überforderung darstellen und dies in dem manchmal behaupteten Stellenwert notwen- 30 Von einem anderen Team wird die Recherchetätigkeit und deren Gegenstand folgendermaßen beschrieben. „Die ist ja weitergehender, vielleicht etwas weniger vollmundig, aber selbstverständlich geht es sozusagen darum, den berühmten Ist-Zustand aus unserer Wahrnehmung, aus der Wahrnehmung der Akteure und möglichst auch aus der Wahrnehmung Dritter zu eruieren. In dem Zusammenhang gehört es auch immer dazu, zu fragen, und zwar permanent zu fragen, was denn eigentlich das Ziel der Fragestellung der Beratung ist.“(b-MBT 7, 1152-1157) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 113 dig ist.31 Deshalb betrachten viele MBTs diese Recherchen als auf ihre konkrete Arbeit bezogene Akteurs- und Interaktionsanalysen. „Der Ausgangspunkt von einer Beratung ist überhaupt erst mal, sich ein Bild von einer Situation zu machen. Zumindest ist das dann unsere Grundlage, erstmal Sozialraumanalyse oder wie auch immer. Sozialraumanalyse klingt immer so hochtrabend, aber überhaupt mal einen Überblick über einen Ort zu kriegen: Wer hat da was zu melden, wer hat welche Meinung usw. Und daraus dann, aus den unterschiedlichen Gesprächen, die wir mit den Leuten führen, so ein Bild zusammenzusetzen, das im Wesentlichen immer wieder die subjektiven Sichtweisen der Leute, die wir mitgekriegt haben, zueinander positioniert, und daraus ein Bild strickt, was z.B. zum Thema Rechtsextremismus im Ort los ist, wie sich die Jugendarbeit gestaltet oder wer mit wem vielleicht nicht kann.“ (b-MBT 2, 249-258) „Das ist im Prinzip ein Abfragen. Also, zumindest, wenn es um den Akteur geht. Rauszukriegen, wo er sich befindet in seinem Netzwerk. Was Sozialraumanalysen angeht, wo ((Name der Kollegin)) schon sagte, dass wir da nicht so vollmundig sind, das ist schon, dass wir, glaube ich, uns sehr gut in diesem ((Ort)), in dem wir agieren uns auskennen und viele, viele Leute kennen.“ (b-MBT 7, 1162-1166) Durch solch eine Situations- und Akteursbeschreibung werden dann auch Blockierungen zwischen einzelnen Akteuren sichtbar, was die Beratungsteams in einem gewissen Grad davor schützt, nicht in alle „Fettnäpfchen“ treten zu müssen. „Und dann geht es auch weniger um Raster, sondern um andere Sichtweisen oder Fragestellungen zuzulassen. Wenn ich beispielsweise von einem Nachbarschaftsraum rede, muss ich mir erst mal klarmachen, ob die mit Nachbarschaft das gleiche meinen, wie ich. (...) Ob es eklatante Unterschiede gibt, was noch als Nachbarschaft und was nicht wahrgenommen wird.“ (b-MBT 7, 1168-1172) Einen weiteren Unterschied zwischen den Vorgehensweisen zeichnet sich in dem Stellenwert und der Einbindung der sogenannten Sozialraumanalyse ab. 32 In der Regel nutzen die MBTs die Recherchen primär als eine Hintergrundfolie zur Reflexion und qualitativen Untersetzung 31 So machte eine Beraterin darauf aufmerksam, dass es zwar wünschenswert wäre, mehr Zeit für Analysetätigkeiten zu haben, diese aber in der Hierarchie der zu erledigenden Tätigkeiten nach hinten angestellt werden müssten, da es Wichtigeres zu tun gäbe. „Na, was wir vorhin diskutiert haben, diese rechtsextremistischen Strukturen auf einer sehr gefestigten Ebene: Das sich einmal genauer anzugucken, das wäre natürlich schon dienlich, das zu wissen, es ist aber nicht so, dass wir das so entbehren, dass wir sagen: Okay, das hat jetzt solch eine Priorität für uns, das müssen wir machen. Weil, wir sind ja die ganze Zeit in Mängelverwaltung unterwegs, es ist ja nie so, dass wir irgendwie auch nur eine Sekunde sagen können: Och, toll, heute haben wir mal einen ganz ruhigen Tag! Sondern es ist immer eine Prioritätenliste, wo ohnehin klar ist, dass die Hälfte 'runter fällt. Also, von den Sachen, die überhaupt schon mal auf diese Liste gekommen sind! Das heißt, es ist also immer so ein Hinterherhetzen hinter den aktuellen Bedürfnissen und da ist Sozialraumanalyse sozusagen ziemlich weit unten. Also, was über das hinaus geht, dass wir wirklich fallbezogen wissen müssen.“ (b-MBT 5, 1946-1956). 32 Über die Frage, wie eine Sozialraumanalyse in Stellenwert und Umfang beschaffen sein müsste, gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Manche Berater/innen würden gerne diesem Tätigkeitsbereich eine größere Bedeutung zuschreiben, wie dies im folgenden Zitat zu sehen ist. „Vielleicht ist es unser Job, eine gute Kommunalanalyse zu machen und all diese Dinge mal sozusagen nebeneinander zu schreiben ohne den Anspruch auf Vollständigkeit. Und zu sagen: Das ist die Problemlage dieses Ortes, jetzt lass uns mal gucken, wie wir jetzt einen kleinen Ausschnitt darauf verändern zu können.“ (b-MBT I L, GD 2, 725-728) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 114 ihrer Beratungsarbeit. In diesem Fall kommt den Recherchen in erster Linie eine Selbstvergewisserung ihrer Arbeit zu, wobei auch Ergebnisse in den Beratungsprozess je nach Bedarf und Situation sukzessiv einfließen können. Einige Berater/innen sehen sich aber eher als Experten für Rechtsextremismus und bringen ihre Rechercheergebnisse in Form von „Expertisen“ direkt in den Beratungsprozess mit ein. Dabei nehmen sie dann auch die Akteursrolle „externer Experten“ ein. Diese Rolle unterliegt der Gefahr, ein Gefälle zwischen Experten und zu Beratenden offensichtlich werden zu lassen. Die Beratungsrolle kann dann – wie im folgenden Zitat – zugunsten einer engagierten Akteursrolle verlassen werden. Denn auch der externe Experte ist ein Akteur mit einer spezifischen Sicht auf die Dinge. Und wenn er seine Sicht versucht durchzusetzen, kann er in eine Interaktionsdynamik verstrickt werden, wodurch er zumindestens situativ die Beraterrolle verlässt. „In einer Situation, wo wir zum Beispiel in einem Lehrerkollegium, in einem Kollegium einer Jugendeinrichtung einen Problemaufriss vom Sozialraum vorstellen, und ein Teil des Kollegiums der Meinung ist, dass wir übertreiben, können wir nicht mehr moderieren, weil wir ja selbst eine Position vorgetragen haben, und in der Situation dann auch selbst Konfliktpartei sind, als die wir uns dann auch empfinden. Wir vertreten dann auch die Position, die wir vorher dargestellt haben.“(b-MBT 6, 288-295) Bei dieser positionierten Herangehensweise, die nicht selten mit bestimmten Erwartungen zu einer gemeinsam geteilten Einschätzung von selbst in der Wissenschaft umstrittenen Phänomenen einherzugehen scheint, besteht die Gefahr, dass es schnell zu Polarisierungen und Konfrontationen kommt, ohne dass eine auf Eigeninitiative beruhende Aktivierung der zu beratenden Akteure überhaupt in Gang gekommen wäre. „Das ist immer eine Abwägungsfrage, wie viel Leute im Kollegium teilen diese Einschätzung, dass ein bisschen Rassismus unter Schüler/innen okay ist, und wie verhält sich das Lehrerkollegium zu diesem Kollegen. Ich würde nicht sagen, wenn ein Lehrer so eine Position vertritt, brechen wir den Beratungsprozess ab, das ist natürlich Quatsch. Aber auch das entscheiden wir von Fall zu Fall, wie viele im Kollegium stimmen unserer Definition von Rechtsextremismus und unserer Problemanalyse zu, und dann können wir mit denen auch in einen Prozess gehen.“ (b-MBT6, 418-425) Diese Ambivalenzen und Widersprüche zwischen Berater- und Akteursrolle werden zwar gesehen; sie bleiben aber nebeneinander bestehen. So kommt es, dass im Beratungsprozess zwischen Akteurs- und Moderationsrolle je nach Situation oder auch Eigeninteresse gewechselt und die methodische Konsistenz des eigenen Vorgehens nicht eingehalten werden kann. Dies steht aber dann mit den selbst formulierten eigenen Standards im Widerspruch, „nicht Akteur“ zu sein bzw. nur in der „zweiten Reihe“ zu operieren, wie es die Koordinatorin dieses oben angeführten MBTs formuliert. „Na ja, Standards sind vor allem eben die, dass wir selbst nicht Akteur sind. Also, wir sind halt wirklich in der zweiten Reihe. Was natürlich immer dann auch bei so Teilnahme in Bündnissen und so natürlich ein Problem darstellt. Also, sind wir dann halt schon wieder Akteur, oder? Also das ist halt ein Standard, dass wir im Prinzip nie in der ersten Reihe stehen, sondern in der zweiten. (...). Und sie ((die Akteure)) wissen halt eben, dass wir vor allem uns bemühen, bei ihren Anfragen auch konfliktmoderierend zu sein. Das heißt irgendwie, sie wissen auch, dadurch, dass wir halt eben in der zweiten Reihe stehen, dass wir sie in ihren Konflikten beraten und begleiten.“ (b-MBT V L, 205-213) Von dieser Herangehensweise unterscheidet sich ein Beratungsverständnis, dass durch eine begleitende Beratung Angebote macht und gleichzeitig die Akteure vor Ort als die Experten wahrnimmt und behandelt. So stellt auch der Leiter des MBT Brandenburg heraus, dass es CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 115 darauf ankommt, den Akteuren vor Ort mit einer Wertschätzung gegenüberzutreten und sie als die „eigentlichen“ Experten zu betrachten. „Und da muss man nicht sagen: ‚Wir möchten sie beraten!’ Sondern wir sind diejenigen – und das ist wohl so eine Art Schlüssel für unsere Arbeit, die auch von den MBTs anderer Bundesländer übernommen wurde-, die von vornherein sagen, die Experten vor Ort sind die Menschen vor Ort. Die müssen wir finden, ohne die erfahren wir nichts. Also, den Leuten mit Wertschätzung begegnen und den Leuten deutlich machen, wir brauchen sie. Und dann ergeben sich neue Beratungssituationen.“ (Hülsemann, 137-142) 3.4.3 Entwicklung von (lokalen) Handlungsstrategien Die MBTs entwickeln ausgehend von der Analyse der örtlichen Erscheinungen von Rechtsextremismus und den Gegenbewegungen mit ihren Ressourcen ihre Strategien. Diese sind je nach Beratungsfall sehr verschieden. Die vom Beratungsfall abhängige Spannbreite kann dabei von der Unterstützung und Beratung einer Einrichtung oder eines wichtigen Akteurs ausgehen und versuchen, in einer späteren Phase immer mehr Akteure einzubeziehen. In anderen Fällen wird gleich eine Doppelstrategie befürwortet und ausgehend vom ursprünglichen Ausgangspunkt der Beratung sollen möglichst schnell viele andere Akteure einbezogen werden. Oftmals wird von einem Fokus ausgehend ein Netz von Akteuren gesponnen und sich mehr und mehr in die Kommune vorgetastet. Es gibt aber auch Beratungsfälle, bei denen sich die Berater/innen aufgrund der Problemlage (z.B. „Unterwanderung“ oder Bedrohung einer Jugendeinrichtung durch rechtsextreme Jugendliche) und mangels anderer Ansprechpartner auf eine Einrichtung oder eine sehr begrenzte Akteursgruppe konzentrieren. Durch eine zu enge Begrenzung des Beratungsprozesses auf einen (isolierten) Akteurskreis oder eine Einrichtung wird es allerdings kaum möglich sein, eine Verankerung und Breitenwirkung im Gemeinwesen zu erlangen. So berichten einige MBTs, dass die Beratungsfälle, in denen sie sich zu sehr auf eine Einrichtung oder wenige Akteure konzentriert haben, schnell und unvermeidlich an strukturelle Grenzen stoßen (vgl. Fallvergleich insb. Kap. 4.2). Von den meisten Teams wird deshalb herausgestellt, dass es wichtig oder gar unabdingbar ist, kommunale Verantwortungsträger wie beispielsweise Bürgermeister oder wichtige Entscheidungsträger in der Verwaltung und angesehene, einflussreiche Persönlichkeiten, die eine Vorbildfunktion übernehmen können, mit ins Boot zu holen. In dieser Phase der Einbindung lokaler Verantwortungsträger und kultureller Eliten kommt es sehr auf die Integrationsfähigkeit und Offenheit des jeweiligen MBTs an. „Wenn es solche Gruppen gibt, die so polarisierend sind, das ist schwierig. Mir geht es schon darum, diese Leute wie Bürgermeister usw., solche kommunalen ,Würdenträger´, in einen Prozess mit einzubeziehen, so dass sie auch die Möglichkeit haben und kriegen bzw. vielleicht dadurch auch mal genötigt werden, über die Dinge, die in ihrem Ort abgehen, nachzudenken und vielleicht auch mal eine Position dazu zu finden, die vielleicht eine andere ist, als sie bisher hatten. Ansonsten hast du ja nie die Möglichkeit, das mal einer Form von Kritik zuzuführen. Und eine Konfrontation bringt da relativ nichts.“ (b-MBT 2, 171-178) Auch in einem anderen Fall, in dem das MBT von einer Schulsozialarbeiterin wegen rechtsextremer Erscheinungen an einer Schule gerufen wurde, versuchte das Team möglichst schnell viele kommunale Verantwortungsträger und lokale Akteure einzubinden (vgl. b-MBT 4, 514-522; insb. Fallvergleich Kap. 4.3) So ist es oft ein Ziel und ein Ergebnis der Beratungsarbeit, Formen und Orte der Auseinandersetzung zu schaffen, die längerfristig tragfähig sind. Dies können Foren und (Fach)- Ar- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 116 beitskreise, Runde Tische, sich regelmäßig treffende Bündnisse etc. sein. Viele Beratungsprozesse sind zur Zeit in einer Phase, in der es darauf ankommt, die angestoßenen Auseinandersetzungsprozesse sowohl zu vertiefen als auch einen breiteren Kreis von Akteuren aktiv einzubinden. In einem Zwischenfazit eines MBTs33 wird aus der kritischen Selbstreflexion heraus konstatiert, dass ein kommunales Handlungskonzept zu entwickeln sei, damit die durch den Beratungsprozess wieder eingerichtete und mit einer Fachkraft ausgestattete Jugendeinrichtung eine größere Verankerung in der Kommune bekäme. Im dem zuständigen Kleinteam war noch offen, wie weit das Beratungsteam für die Entwicklung eines verzahnenden lokalen Handlungskonzepts zuständig sei oder darauf gesetzt wird, dass durch die Eigenaktivität der Akteure vor Ort die Entwicklung eines lokalen Handlungskonzepts in Angriff genommen wird. 3.4.4 Vorgehen bei der Beratung von Jugendeinrichtungen – ein Fallbeispiel Im Folgenden soll exemplarisch eine Vorgehensweise behandelt werden, die einige Berater Jugendeinrichtungen vorschlagen, die von rechtsextrem-orientierten Jugendlichen (stark) frequentiert werden. Es soll dabei der Frage nachgegangen werden, ob das Vorgehen des MBTs sowohl die unmittelbaren, mittelbaren als auch die langfristigen Folgen des eigenen bzw. vorgeschlagenen Handelns mit einbezieht. Es ist weiter zu fragen, ob das MBT auch in schwierigen Situationen auf die Nachhaltigkeit der Interventionsstrategien achtet? Ein weiterer wichtiger Aspekt, der sich der Frage nach der Nachhaltigkeit anschließt, ist „demokratietheoretischer Natur“. Sind die hier vorgeschlagenen Mittel und Vorgehensweisen – also die Formen – mit den Wertorientierungen einer offenen, an Gleichheit und Freiheit ausgerichteten (Zivil-)Gesellschaft vereinbar? Sind also in den Methoden demokratische oder zivilgesellschaftliche Werteorientierungen und Handlungsweisen angelegt, auf die eine demokratische Zivilgesellschaft aufbauen kann?34 In einem Interview schilderten die Berater/innen dieses MBTs ihren Ansatz, den sie anwenden, wenn sie Jugendeinrichtungen beraten, die auch von ihnen besucht oder nach ihrer Auskunft von rechtsextremen Jugendlichen dominiert werden (könnten). Ihre Interventionsstrategie zielt nach ihrer Darstellung darauf ab, die rechtsextremen Jugendszenen zu spalten in rechtsextrem gefestigte Jugendliche bzw. „Kader“35 auf der einen Seite und das Umfeld von 33 Dieses MBT wurde intensiver begleitet und wird im Fallvergleich als Fall A bzw. MBT A detaillierter untersucht (vgl. Fallvergleich Kap. 4.2). 34 Um das Vorgehen des MBTs plastisch darzustellen werden zunächst längere Textauszüge dargestellt, die dann interpretiert werden. 35 Von dem Team wird berichtet, dass sie es mit 15jährigen Kadern zu tun hätten. „Aber auch das finden wir ja nicht mehr so klassisch, in mehreren Einrichtungen, in denen ich arbeite, haben wir es mit Kadern zu tun, die fünfzehn sind.“ (b-MBT 6, 504-506) Als Kader definieren die beiden Berater/innen: A: „Also, Kader würde ich sagen, sind Menschen, die entweder organisatorisch ein- oder angebunden sind, entweder an eine Kameradschaft, oder an die NPD, die an Schulungen teilgenommen haben und denen man das auch anmerkt ...“ B: „Die die rechtsextreme Ideologie schon mehr CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 117 „Mitläufern“ auf der anderen Seite und/oder aber auch ganze Cliquen rechtsextremer Jugendlicher aus den Einrichtungen zu verdrängen. Erst auf Nachfrage seitens der wissenschaftlichen Begleitforschung wurde die Vorgehensweise in Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit relativiert, da der Verdrängungsprozess nicht als hinreichendes Mittel gesehen werden kann. „Zurückdrängung des Rechtsextremismus. Da sehen wir auch immer wieder, dass es auch ganz gegenläufige Prozesse geben kann, dass zum Beispiel in dem Moment, wo man Rechtsextremismus zum Thema macht, es vielleicht sogar erst mal schlimmer wird, weil Rechtsextreme sich bedroht fühlen und Angst haben, dass ihnen das Feld genommen wird. Man kann jetzt nicht unbedingt immer sagen, da, wo Rechtsextremismus sofort zurückgeht, sind wir erfolgreich. Man könnte sagen, da, wo es irgendeine Reaktion gibt, sind wir erfolgreich, und wo es irgendeine Veränderung gibt. Das darf natürlich nicht darin enden.“ (b-MBT 6, 10101018) „Ja, es ist klar, man hat nur begrenzt Handhabe. Unser klassischer Zugang zu so etwas wäre, wenn jemand anders das als Problem begreift, dass da Jugendliche rekrutiert werden, und wenn das jetzt einfach auf der Straße in dunklen Ecken stattfindet, haben wir selbst gar keine Handhabe, dann kann man nur Leute, die vor Ort etwas dagegen machen möchten, befähigen, indem man ihnen Wissen, Strukturen, und so weiter, liefert, und ihnen dazu verhilft, im ((Verwaltungseinheit des Bundeslandes)) mit den richtigen Leuten in Kontakt zu kommen. Aber jetzt allgemein, dass Rechtsextreme irgendwie propagandistisch tätig werden, da können wir nichts machen.“ (b-MBT 6, 629-637) „Aber ich denke schon, dass es ein Vorteil ist, und dass es nicht das Gleiche ist, ob der Jugendliche auf der Straße oder in der Einrichtung rekrutiert. In der Einrichtung hat er einfach eine Infrastruktur, und ich denke, es ist schon sinnvoll, ihm die zu entziehen. Die Frage ist ja auch, wenn man den Kader rausschmeißt, geht sein Cliquenumfeld mit? Meistens geht es nicht mit. Und wenn man an dem Punkt erstmal die Spaltung geschafft hat, was ist dann auf der Straße sein Zielobjekt? Da muss er sich erstmal ein neues suchen.“ (b-MBT 6, 639-645) Bei diesem Vorgehen ist die Frage zu diskutieren, ob die hier angewendeten Mittel angemessen sind und welche demokratietheoretischen Implikationen mit ihnen einhergehen? Problematisch erscheint die Grundannahme der Berater, dass das Hervorrufen einer wie auch immer gearteten Reaktion als Erfolg zu bewerten ist. So wird auch von einem anderen Kollegen dieses im Zitat geschilderte Vorgehen skeptisch betrachtet und der Erfolg in Zweifel gezogen, da die rechtsextreme Clique bei einer anderen Einrichtung wieder auftauchen kann. „Denn was ist Erfolg? Wenn es uns gelingt, in einem Jugendclub den Nazikader herauszudrängen? Jugendlichen eine gute Jugendarbeit zu bieten? Dann kann das für diesen Club ein Supererfolg sein. Aber dann taucht der Nazikader im nächsten Club auf. Dann sagen die: ‚Na toll, euer Erfolg. Jetzt hängt er bei uns rum.’“ (a4, GD 2, 597-601) Weiter wird bei diesem und auch anderen Interviews der Eindruck vermittelt, als seien zur „Bekämpfung“ des Rechtsextremismus auch Mittel annehmbar, die mit rechtsstaatlichen Prinzipien und demokratischen Gleichheitsansprüchen nur schwer in Einklang zu bringen sind. Von dem befragten Team wurde auch vorgeschlagen, rechtsextrem-orientierte Jugendliche aus der Einrichtung zu verdrängen, indem ihnen gegenüber mit härteren (juristischen) Sanktionen begegnet werden soll als gemeinhin üblich, selbst wenn sich diese Jugendlichen nichts zu Schulden hätten kommen lassen. verinnerlicht haben.“ A: „Genau, die sie argumentieren können, die die rechtsextreme Ideologie argumentieren können. Und die darauf ausgerichtet sind in ihrem Handeln, diese an ihre Freunde und an die Leute, die sich auch in der Jugendeinrichtung aufhalten, weiterzuvermitteln.“ (b-MBT 6, 514524) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 118 „Ja, rechtlich kann man da nichts machen, deswegen müssten es ja auch gerade solche Sachen sein, wie sie ((Name der Kollegin)) beschrieben hat. Es gibt natürlich schon auch den Fall, dass zum Beispiel so ein rechtsextremer Kader sich vielleicht auch in einem Jugendzentrum Sachen zuschulden kommen lässt, die man vielleicht anderen Jugendlichen durchgehen lassen würde, die könnte man theoretisch zum Anlass nehmen, bei dieser Person besonders streng zu sein, um sie rauszubekommen ( ...).“ (b-MBT 6,, 530-537) „Weil die lassen sich ja oft nichts zu Schulden kommen. Da sage ich halt, man kann andere Vergehen zum Anlass nehmen, wenn sie sich politisch nichts zu Schulden kommen lassen, und ein Vorteil unserer Arbeit ist ja auch, dass wir es mit ganz verschiedenen Akteuren zu tun haben in einer Jugendeinrichtung, nicht nur mit dem Jugendclubleiter, der möglicherweise gar nicht mitbekommt, dass er einen Kader in seiner Einrichtung hat, weil er sich eben so geschickt verhält und auch noch so jung ist, und irgendwie auch immer ganz nett, sondern wir haben es z.B. auch mit der nichtrechten Jugendgruppe zu tun, die sich dort auch aufhält und eben diesen Repressalien ausgesetzt ist. Und ich denke, das ist der erste Weg, weil wir aufgrund unserer externen Funktion viel mehr wissen, weil wir mit viel mehr Leuten sprechen, dass wir das erstmal dem Jugendclubleiter mitteilen, also Informationen von Menschen zu anderen weitergeben, die sich sonst einfach nicht unterhalten, aus welchen Gründen auch immer, wir verstehen es auch manchmal nicht. Und wenn er es weiß, wie gesagt, dann kann man sich überlegen, wie man denjenigen aus der Einrichtung rausbekommt, und da ist eine Möglichkeit, andere Vergehen zum Anlass zu nehmen. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Zum Beispiel ist es gar kein Problem, wenn zum Beispiel Kader in der Schule oder in ihrer Freizeit außerhalb der Jugendeinrichtung andere Jugendliche bedrohen, das ist natürlich auch ein Grund, jemanden aus einer Jugendeinrichtung rauszuschmeißen, das Vergehen muss nicht in der Jugendeinrichtung stattfinden. Und auch das teilen wir natürlich dem Jugendclubleiter mit.“ (b-MBT 6, 558-581) „Wir hatten zum Beispiel einen konkreten Fall, von einem, ich möchte sagen, rechtsextremen Kader. Der hat in der Schule seinen Banknachbarn irgendwelche antisemitischen, rassistischen Schmierereien gemalt, und sie ihm gewidmet. Die haben wir in die Finger bekommen, und das war ein Grund, ihm Hausverbot auszusprechen, das hat dann sogar das Jugendamt für den Jugendclubleiter gemacht. Also das geht schon, das ist kein Problem.“ (b-MBT 6, 617623) Die (vorgeschlagenen) Sanktionen beziehen sich in den oben genannten Fällen nicht – wie im Rechtsstaat vorgesehen – auf das einzelne und juristisch nachzuweisende Delikt, sondern sie werden als Mittel eingesetzt, Jugendliche mit einer bestimmten politischen Einstellung auszugrenzen. Die Bestrafung des Delikts wird so zum Vorwand, um etwas anderes – nämlich politische Gesinnung oder nicht akzeptables Verhalten – zu „bekämpfen“. Diese Form von Intervention hat den Charakter einer Art Präventivstrafe. Rechtsstaatliche Bedenken gegenüber dieser Form von Intervention werden zugunsten einer als politisch und moralisch legitim erscheinenden „Ausgrenzungs- und Bekämpfungsstrategie“ ausgeblendet. Mit dem Mittel einer repressiv und rigide angewendeten Form sozialer Kontrolle sollen rechtsextrem-orientierte Szenen gespalten bzw. rechtsextreme Jugendliche ausgegrenzt werden. Das Mittel der Verdrängung oder andere repressive Interventionsformen mögen in bestimmten Konflikt- und Krisensituationen gerechtfertig sein, wenn z.B. eine Minderheit von rechtsextremen Jugendlichen eine Mehrheit terrorisiert und diese aus einer Jugendeinrichtung verdrängt. Welche Mittel für eine nachhaltige Bearbeitung solcher rechtsextremer Erscheinungen angemessen sind, ist jedoch immer im Einzelfall zu entscheiden. Für eine fachliche Beratung sind pauschale und nicht am Einzelfall orientierte Vorgehensweisen, die den Charakter und Anspruch von Patentrezepten haben, als nicht angemessen zu betrachten. Dies gilt ebenso für grundsätzliche Vorbehalte gegenüber bestimmten, zudem in der Fachdebatte aner CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 119 kannten, pädagogischen Ansätzen. So wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen eine soziale Arbeit mit den Jugendlichen, die hier ohne Unterscheidung alle gleichermaßen als „rechtsextrem“ definiert werden, abgelehnt bzw. kommt nicht mehr in Betracht. Dabei wird in Kauf genommen, dass auch „Mitläufer“ durch das Hinausdrängen aus Jugendeinrichtungen dem noch möglichen sozialarbeiterischen Zugriff entzogen werden. Zu bedenken ist dabei zum einem, dass es sich um Jugendliche handelt, die möglicherweise vorschnell als „rechtsextrem“ eingestuft bzw. etikettiert werden, ohne sie näher und länger zu kennen. Zum anderen müssen und sollen Sozialarbeiter per Auftrag auch mit als rechtsextrem geltenden Jugendlichen arbeiten. Wer – wenn nicht sie – hat sonst einen Zugang zu dieser problematischen Gruppe. Im dargestellten Beispiel bleibt allerdings offen, was mit den aus der Öffentlichkeit verdrängten Jugendlichen geschehen soll. Der zivilgesellschaftliche Ansatz scheint – wie das Beispiel zeigt – an gewisse Grenzen zu stoßen. Bildlich gesprochen, wird die Zivilgesellschaft die rechtsextrem eingestellten oder handelnden Personen nicht los; sie gehören ebenso – wenn auch auf der Schattenseite – zu modernen Gesellschaften, wie die positiv formulierten zivilgesellschaftlichen Werte. Eine unterkomplexe Dichotomisierung von den „Guten“ auf der einen und den „Bösen“ auf der anderen Seite hilft darüber auch nicht hinweg. Externalisieren lässt sich der Rechtsextremismus ebenso wenig wie „beseitigen“. Daher bleibt nur der Weg, sich mit dem Phänomen und seinen Ursachen auseinanderzusetzen und sich dabei in Form und Inhalt an demokratische Spielregeln zu halten. Dort, wo es möglich und erfolgversprechend ist, sollte versucht werden, mit pädagogischen oder Mitteln der politischen Bildung zu intervenieren. Für die ebenfalls notwendige repressive Bekämpfung sind bei Gesetzesverstößen – wie sonst auch – die Strafverfolgungsbehörden nach den geltenden rechtsstaatlichen Prinzipien zuständig. 3.4.5 Ein weiterer Tätigkeitsbereich: Fortbildung Fortbildungen und Informationsveranstaltungen bilden bei einzelnen MBTs einen weiteren Schwerpunkt, in dem die Kerntätigkeit „Sensibilisieren“ im Vordergrund steht. Die Fortbildungen richten sich in erster Linie an Multiplikatoren aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen. So konnte ein Teil der MBTs über Fortbildungen insbesondere im Jugendbereich aber auch bei Verwaltungen und Polizei sowie Verbänden und Initiativen einen Zugang zu Zielgruppen der Beratungsarbeit finden. Vor allem im Jugendbereich diente die Qualifizierung von Jugend- und Sozialarbeiter/innen, Mitarbeiter/innen in Verwaltungen sowie Vertreter/innen von Verbänden einem – oben bereits dargestellten – Strukturaufbau von Arbeits- und Kooperationsbeziehungen (vgl. Kap. 2). „Ja, und auch in Jugendclubs, wo es darum geht, Konzepte (...) noch mal zu beleuchten oder die Arbeit zu reflektieren. Wie bekomme ich auch andere Jugendliche, das heißt nicht rechtsorientierte oder nicht rechte Jugendliche in meinen Jugendclub? Welche Angebote müsste ich schaffen? Welche Unterstützung will ich innerhalb der Kommune auch erfahren? Weil oft ist es ja auch so, dass sich die Jugendsozialarbeiterin als die Feuerwehr im Ort sieht. Oder halt als die, die für alles zuständig ist oder immer schuld ist, wenn irgendwas passiert. Also wie kann man ihr mehr Akzeptanz in der Kommune oder mehr Unterstützung schaffen? So, das sind auch Themen, also Anfragen, die kommen, von Jugendsozialarbeit.“ (b-MBT II L, 12791286) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 120 „Fortbildung ist natürlich wichtig, wobei die in fünf Jahren nicht mehr aktuell ist. Aber auch da kann man ja den Leuten Sachen vermitteln, wo sie das Wissen herbekommen können, auch in Eigenregie. Dann sind Kontakte enorm wichtig, dass man die Leute tatsächlich vor Ort vernetzt, sofern das noch nicht der Fall ist.“ (b-MBT 6, 1035-1039) Nachdem sich die MBTs in der Region bekannt gemacht haben und einige sich als Experten für die Themen Rechtsextremismus, (Jugend-)Gewalt und rechtsextrem-orientierte Jugendkulturen profiliert haben, werden sie nun vermehrt zu Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen angefragt. Neben dem engeren Themenkreis zum Rechtsextremismus bieten einige MBTs auch Fortbildungen zur Projektarbeit und -management sowie zu Methoden der Jugend- und Sozialarbeit an, wenn dies als Teil einer Beratung notwendig erscheint. Einigen MBTs ist darüber gelungen, staatliche Einrichtungen und Institutionen, wie Jugendstrafanstalten, die Polizei und Verwaltungen anzusprechen. Weitere Adressaten von Fortbildungen und Informationsveranstaltungen sind Verbände wie Gewerkschaften und IHK sowie Vereine und Initiativen. Eine wichtige Zielgruppe von Fortbildungen und politischer Bildung sind zudem Schulen, z.B. in Form von schulinternen Lehrerfortbildungen oder Dienstberatungen. Die Fortbildungen haben in der Regel zum Ziel, die Wahrnehmung der Teilnehmer/innen zu Rechtsextremismus und seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu schärfen. Ein weiterer wichtiger Aspekt liegt in der Vermittlung von Handlungsstrategien zum Umgang mit rechtsextremen Provokationen und Symbolen. „Das Ziel der Fortbildung war zum einen (...) für uns, erstmal zu gucken, welche Sensibilität dem Thema gegenüber vorhanden ist von Seiten (...) der drei Sozialarbeiterinnen. (...). Dann natürlich (...) zu sensibilisieren und natürlich viel zu informieren. Das Erkennen und letzten Endes natürlich eben ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten zu besprechen und zu forcieren. Handlungskompetenz zu stärken, wohl wissend, dass das mit so einer zweistündigen oder zweieinhalbstündigen Fortbildung nicht ohne weiteres machbar ist, eine große, gute Handlungskompetenz zu haben.“ (b-MBT1 F 1, 15-21) Im Tätigkeitsbereich Fortbildungen haben sich zwei unterschiedliche Strategien herauskristallisiert. Ein Teil der MBTs macht Fortbildungen unabhängig von laufenden Beratungsprozessen, auch um Arbeitsweise und Angebote Mobiler Beratung bekannt zu machen. Sie werden dann im Bereich politische Bildung angefragt und bieten z.B. Seminare oder Workshops zu Themen wie Rechtsextremismus, Rassismus oder interkulturelle Pädagogik an.36 Gerade bei politischen Bildungsveranstaltungen mit ABM- und SAM-Kräften kann es sein, dass die Teilnehmer/innen nicht immer freiwillig zu den Veranstaltungen kommen. Mit diesen Angeboten der politischen Bildung nehmen die MBTs die Funktion einer Art „Handlungsreisendem“ in Sachen politische Bildung „gegen“ Rechtsextremismus und „für“ Demokratieentwicklung ein. Diese Aufgabe ergibt sich in manchen Regionen schon alleine daraus, dass es keine anderen Angebote politischer Bildung zu diesem Themenkomplex gibt. In einigen Fällen haben sich allerdings aus Fortbildungsveranstaltungen heraus – nach den Auskünften eines Koordinators und von Kleinteams – langfristige Beratungsprozesse entwickelt. 36 Über einzelne Formate kann nur in den beiden Falluntersuchungen exemplarisch etwas ausgesagt werden (vgl. Kap. 4). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 121 „Das ist ein Klassiker eigentlich auch, vom Einstieg her. Wir sind angefragt worden von der Schulsozialarbeiterin. Auf einer Fortbildung hatten wir die zum Thema Rechtsextremismus. Die sagte, sie beobachtet bei sich an der Schule schon seit längerer Zeit Jugendliche und Hakenkreuzschmierereien und Lehrer werden drangsaliert und andere Schüler werden terrorisiert. ‚Könnt ihr nicht mal kommen’.“ (b-MBT 4, 487-492) Hingegen bieten andere MBTs nur in Ausnahmefällen Fortbildungen außerhalb von Beratungsprozessen an. „Das machen wir auch, aber wir haben zumindest gesagt, für unser Team, auf politische Bildung in einem klassischen Sinne, dass man Seminare macht und immer wieder mit anderen Gruppen, vielleicht zu einem unterschiedlichen Thema, zu Symbolen usw., so was machen wir nicht schwerpunktmäßig. Das machen wir in Ausnahmefällen, wenn wirkliche ein extrem hoher Bedarf da ist, ansonsten verweisen wir auf Leute, die das leisten können.“ (B-MBT 2, 951956) Die in Beratungsprozesse eingebundenen Fortbildungen sind spezifisch auf die jeweilige Zielgruppe und deren Bedarf ausgerichtet. Deshalb sind die Formate und Inhalte auch sehr individuell. So gehen die im Kontext von Beratungsprozessen angebotenen Fortbildungen nach Kenntnis der Materiallage wesentlich differenzierter und zielgenauer auf den jeweiligen Bedarf vor Ort ein und gehen oft über den Themenkomplex Rechtsextremismus hinaus. 3.4.6 Reflexion der Arbeit Die Erfahrungen in den Beratungsprozessen, Einschätzungen zu bestimmten Akteuren, Überlegungen zum weiteren Vorgehen und Ergebnisse von Recherchen werden in der Regel zunächst im Kleinteam ausgetauscht und reflektiert. „Dann setzen wir uns hier hin, wir schreiben ja auch ziemlich umfangreiche Arbeitsberichte oder haben ein Raster, wo ja auch immer unsere Rolle reflektiert wird und wir gucken müssen, was haben wir denn jetzt wahrgenommen, was ist das Problem, wie ist unsere Rolle, wie kann unsere Rolle weiter sein, auch wo blockt das, wo stockt das, haben wir auch schon ein Stück weit so etwas wie einen Auftrag rausgehört, sind wir auch gewollt? Wir sprechen seit fast einer Stunde ja über einen einzigen Begleitungs- und Beratungsfall, der auch seit über einem Jahr anhält“ (b-MBT 1, 624-630) Umfang und Art der Reflexion der Arbeit sind sehr unterschiedlich. Nach den vorliegenden Interviews findet die intensivste Auseinandersetzung zumeist in den Kleinteams statt. Die Verschriftlichung und Dokumentation der einzelnen Beratungsfälle bis hin zu protokollierten Telefonnotizen wird auch sehr unterschiedlich gehandhabt und wird oft nicht praktiziert. Dies hängt sicherlich noch mit zu entwickelnden professionellen Formen der Arbeitsorganisation, aber auch mit dem zur Verfügung stehenden Zeitbudget aufgrund der unterschiedlichen Dichte an Nachfragen zusammen. Eine wichtige Form der Reflexion der Arbeit sehen viele in den kollegialen Beratungen im Großteam. Hier werden bei einigen Teams Sachstandsberichte bzw. sogenannte Baustellenund Lageberichte zu einzelnen Beratungsfällen in verschiedenen Zeitabständen und unterschiedlicher Intensität mit den Kollegen beraten. In manchen Teams findet dies zum Teil auch unter Einbeziehung einer externen Beratung, z.B. in Form von Supervision statt. „(...) es erfolgt in den Arbeits- und Dienstbesprechungen oder Praxisberatungen und Dienstbesprechungen, die haben wir einmal im Monat. (...) Im Großteam hat dann jedes Team die Möglichkeit, einen umfangreichen Fall zu schildern wo dann sich entsprechend Zeit genommen wird und die Kolleginnen und Kollegen sagen, wie sie CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 122 darüber denken, Nachfragen usw. Das ist eine Möglichkeit, die zweite Möglichkeit. Die dritte Möglichkeit ist dann eben auch die Fallsupervision. Wo wir sagen, jetzt holen wir mal einen Supervisor/Supervisorin und wir besprechen den Fall (...).“ (b-MBT 1, 634-643) Von einem Kleinteam innerhalb des oben angesprochenen Großteams, in dem die Projektleitung schon sehr viel Wert auf eine intensive Reflexion der Arbeit legt, wurde allerdings kritisch angemerkt, dass innerhalb des Teams Kritik eher ausgeblendet wird und es gerade an der Thematisierung von Schwachstellen, von Fehlentenwicklungen und Selbstkritik mangelt. „Aber wenn die Fragen in unserem Team kamen, zumindest von unserem Team der Bedarf nach Evaluation und Kritik dessen, was wir tun, ins Großteam kommuniziert wurde, wurde das eigentlich abgelehnt. (...) Aber es wurde nie als eine Form von Chance begriffen, dass man dadurch auch eine Entwicklung in Gang setzen kann, sich selber mit seiner Konzeption überprüfen kann und vielleicht die Konzeption so entwickeln kann, auf die Bedürfnisse zuschneiden kann, die eigentlich gebraucht werden. (...) Das Problem ist nur, dass das nicht interessiert. Alles das, was irgendwie mit Kritik zu tun hat, interessiert nicht. Es ist schon ein bisschen (...): wir sind schön lieb zueinander.“ (b-MBT 2, 771-792) 3.4.7 Fazit An den vielseitigen Aufgaben, die Mobile Beratung abdeckt, wird sichtbar, dass es sich der Anlage nach um einen komplexen Beratungsansatz handelt. Ausgangspunkt und Fokus sind die Gegebenheiten vor Ort. So müssen sich die MBTs auf die Akteure und ihre Schilderungen sowie deren Erwartungen einlassen, um einen Zugang zu dem jeweiligen Gemeinwesen zu bekommen. Gelingt es ihnen die „Klientenorientierung“ in einer für die zu Beratenden authentischen Weise umzusetzen, können sich langfristige Beratungsprozesse entwickeln. Dazu sind aber eine Vielzahl von Tätigkeiten notwendig. Neben den Gesprächen mit möglichst vielen und vor allem den einflussreichen Akteuren, kommen Recherche- und Analysetätigkeiten, sogenannte „Sozialraumanalysen“ hinzu. Die sich aus unterschiedlichen Quellen speisenden Einschätzungen und Erfahrungen werden bei größeren Beratungsprozessen von einem Teil der Teams in einer Art „Lagebilder“ bzw. „Expertise“ zusammengefasst. Bei den meisten Teams bilden die Analyseergebnisse eine Hintergrundfolie für ihre Arbeit, andere bringen diese als „Expertise“ in den Beratungsprozess ein. Eine wichtige Aufgabe besteht in der Entwicklung von Interventionsstrategien mit den Akteuren vor Ort. Dies setzt ein hohes Maß an Flexibilität, Toleranz und Geduld voraus. Idealtypisch lässt sich hier das Diktum Max Webers modifiziert anwenden: Mobile Beratung ist das Bohren dicker und manchmal wie Gummi nachgebender Bretter mit Leidenschaft, Augenmaß und Umsicht für die Belange der Bürger/innen vor Ort. Deshalb ist auch eine der wichtigsten Tätigkeiten die ständige Reflexion der Arbeit und insbesondere der eigenen Rolle und deren möglicher Wirkung in den kommunalen Beratungsprozessen. Regelmäßige Supervision in den Klein- und Großteams kann diesen notwendigen Reflexionsprozess professionalisieren. Wichtig erscheint es, sich für Reflexion und Konzeption der Arbeit Zeit zu nehmen und unbedachte Reaktionen bzw. Überreaktionen zu vermeiden, da ein oftmals fragiles Kommunikationsnetz zerstört werden könnte. Der bereits oben analysierte offene und moderierende Beratungsansatz bietet auf der Grundlage des Datenmaterials einen günstigen Ansatzpunkt, eine verlässliche Kommunikationsstruktur aufzubauen und die Akteure in die Entwicklung eines lokalen Handlungskonzepts einzubeziehen, bzw. diese zu den Gestaltern und Verantwortlichen ihrer eigenen Interessen CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 123 und Anliegen zu machen. Hier hat eine vermittelnde Rolle der MBTs die besten Chancen, zu einer Aktivierung und Verantwortungsübernahme der Akteure beizutragen. So gehören neben „face to face“-Beratung auch die Moderation von „Runden Tischen“ und Netzwerktreffen zu den Aufgaben der MBTs. Vernetzungsarbeit ist ein langwieriger Prozess, der nicht alleine an Netzwerktreffen festgemacht werden kann. Hier können sich neben manifesten Netzwerken auch Kommunikationsstrukturen entwickeln, die nicht institutionalisiert sind und dennoch einen demokratischen Auseinandersetzungsprozess und die Eigenbeteiligung fördern können. Damit solche Beratungsprozesse überhaupt entstehen können, müssen einerseits Strukturen gegeben sein, an denen Mobile Beratung ansetzen kann und andererseits muss eine Sensibilität bei den Akteuren vorliegen. Wo dies nicht vorhanden ist, versucht ein Teil der MBTs über Fortbildungen diese Grundlagen für die Beratungsarbeit zu legen. In den strukturschwachen Regionen hat sich dies als eine gute Basisarbeit erwiesen, um einen Zugang zu Multiplikatoren oder zu Kommunen zu bekommen. Andere Teams machen solche Fortbildungen nur noch innerhalb von langfristigen Beratungsprozessen, um dadurch die Akteure zu ihnen wichtigen Themen zu informieren und fortzubilden. Nicht nur in diesem Bereich zeigen sich Überschneidungen und Ähnlichkeiten der Mobilen Beratung zu Methoden und Inhalten politischer Bildungsarbeit. In dem oben behandelten Themenkomplex werden die Kerntätigkeiten und Formen Mobiler Beratung prägnant sichtbar. So dienen die Fortbildungen in erster Linie der „Sensibilisierung“ von Akteuren für das Thema Rechtsextremismus. In dem als moderierenden beschriebenen Beratungsansatz verdichten sich in positiver Weise die in den Schlüsselkategorien enthaltenen Kerntätigkeiten. Im Mittelpunkt steht die klientenorientierte „Befähigung“ der Akteure, ihre Problemlösungskompetenzen wahrzunehmen und mit anderen gemeinsam Handlungsstrategien zu entwickeln. Durch die Moderation der MBTs können die vorhandenen Ressourcen zusammengeführt und die Basis für ein vernetztes Vorgehen gelegt werden. Die vielfältigen Ansprüche an die Beraterrolle machen eine ausgiebige Reflexion der Arbeit der Berater/innen notwendig. Die Sensibilisierung der Berater/innen im Hinblick auf die Wahrnehmung der Anliegen der Akteure vor Ort einerseits und für die Wirkung ihrer Rolle und ihres Auftretens andererseits sollte deshalb verstärkt ausgebaut werden. 3.5 Ergebnisse und Erfolge der Mobilen Beratungsteams Um Ergebnisse oder gar Folgen der Mobilen Beratung über die Selbstdarstellung der Befragten hinaus beurteilen zu können, wäre es wichtig, die jeweiligen Ausgangsbedingungen der Teams sowie sämtliche Rahmenbedingungen und Kontexte der Beratungsprozesse zu kennen. Dies würde eine Erhebung zu Beginn des Beratungsprozesses und eine kontinuierliche Begleitung sowie eine Messung am Ende voraussetzen, was im Rahmen des Evaluationsauftrags nicht zu leisten war. Wie in Kapitel (3.1) gezeigt wurde, haben sich die MBTs zwar die allgemeine Zielstellung des CIVITAS-Programms zu eigen gemacht,37 jedoch nur in sehr 37 Ein Berater macht darauf aufmerksam, dass sie sich auch von den Überladungen des Programms erst befreien mussten, um auf die konkreten Gegebenheiten vor Ort eingehen zu können. „Das hat eine ganze Zeit gedauert, bis wir uns von diesem ganzen ideologischen Ballast, von dieser ganzen Antragslyrik befreit haben. Und versuchen, also sehr pragmatisch in den Regionen, auf die Bedürfnisse in der CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 124 begrenztem Rahmen eine Operationalisierung dieser allgemeinen Programmziele vorgenommen. Dieser markante Mangel an Operationalisierung, der aber auch bei vielen anderen Projekten mit solchen „weichen Zielsetzungen“ festgestellt werden kann (vgl. Benack u.a. 2003), liegt aber auch bis zu einem gewissen Grad in dem Beratungsansatz selbst begründet. Denn bei einem Ansatz, der dem Anspruch nach auf Partizipation der Bürger/innen ausgerichtet ist und sich damit an deren Anliegen und Kompetenzen orientiert, ist es aufgrund seiner Offenheit schwierig, vorab konkrete Zielsetzungen festzulegen. Da kein Abgleich zwischen festgelegten Zielen zu Beginn der Beratungsarbeit der MBTs mit den Resultaten ihrer Arbeit möglich ist, kann auch nicht beurteilt werden, ob die MBTs in der Umsetzung der Ziele erfolgreich waren. Deshalb kann nur anhand von Erfolgskriterien das beschrieben werden, was die MBTs als ihren Erfolg ansehen. Aus diesem Blickwinkel wird im Folgenden den Fragen nachgegangen: Was sehen die MBTs als Erfolg ihrer Beratungsarbeit an? Welche unterschiedlichen Formen und Gewichtungen lassen sich in der Darstellung von Erfolgen zeigen? Und welche „manifesten“ Ergebnisse lassen sich feststellen? 3.5.1 Kann man den Erfolg Mobiler Beratung messen? Wie sich bereits bei der Darstellung der anderen Untersuchungsbereiche abzeichnete, fallen auch die Darstellungen der Ergebnisse und Erfolge bei einem Großteil der Teams sehr allgemein und heterogen aus. Dabei ist zu beobachten, dass fast alle befragten MBTs Schwierigkeiten hatten, operationalisierbare Erfolgskriterien für ihre Arbeit zu benennen. Manchen Teams gelingt es allerdings besser als anderen, ihre Erfolge zu präsentieren.38 Bei einigen der befragten Berater/innen mag die Zurückhaltung, sich zu diesem Fragekomplex zu äußern, auch damit zusammenhängen, dass sie noch nicht so lange tätig waren und beispielsweise wegen häufiger Personalwechsel nur begrenzt aussagefähig zu den Erfolgskriterien und Erfolgen des jeweiligen MBTs sind. Von fast allen MBTs wird jedoch herausgestellt, dass es nur schwer möglich ist, für den Zeitraum von etwa zweieinviertel Jahren konkret messbare und auf ihre Beratungsarbeit ursächlich zurückgehende Erfolge zu benennen. „Was ist der Effekt, der jetzt von uns kommt? Und was ist sozusagen das Klima, was sich vielleicht gesamtgesellschaftlich geändert hat. Und man muss ja auch sehen, wir arbeiten jetzt ein, na ja knapp zwei Jahre in den Regionen. Das heißt, bestimmte Sachen nehmen wir ja auch Region einzugehen. Und das unterscheidet sich sehr stark. Ob das jetzt nun ((Ort)) ist, als, sage ich mal, der einzigen Großstadt, oder eben ganz ländlich dünn besiedelter Raum in ((Region des Bundeslandes)).“( b-MBT II L,GD 2, 98-102) 38 Die Auffassung und die seitens des Programms und der Öffentlichkeit erzeugte Erwartung, möglichst sichtbare Erfolge nachzuweisen, schlägt sich beispielsweise in negativer Weise auf das Berichtswesen und den Umgang damit nieder. „Und zum anderen natürlich auf Grund der Verkürzung dieser Modellphase der extreme Druck auf die Projekte, Erfolge vorweisen zu müssen. Aus einer ganz anderen Perspektive heraus, unsere Arbeit irgendwie zu bewerten. Und da sieht man ja auch eben, dass auch das Berichtswesen ein ganz anderes ist, als sozusagen eine tatsächliche Darstellung unserer Arbeit. Also da sind wir ja zum Teil auch genötigt, die Zahlen zu dokumentieren. Also wie viel Fortbildungen usw. usf. wurden gemacht? Das ist natürlich einfach etwas ganz anderes, als das, was wir als, ja, als Prozesse und als gute Prozesse unserer Arbeit definieren würden.“ (b-MBT V L, GD 2, 640647) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 125 erst mit der Zeit wahr. Also ich denke, gerade was die EU-Osterweiterung anbetrifft. Mit dieser Vehemenz, auch dieser Polenfeindlichkeit, auf die wir treffen innerhalb der Bevölkerung. Das hat schon zugenommen. Das kann sein, dass es reell zugenommen hat. Das kann aber auch sein, dass wir das nur sehr viel verschärfter wahrnehmen.“ (b-MBT II L, GD 2, 624-631) In diesem von vielen Einflussfaktoren geprägten Feld lassen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen dem Input einer Intervention und der von ihr herbeigeführten Wirkungen messen (vgl. auch Konzept der WB). Die von den MBTs angeführten und auch in der Wissenschaft so gesehenen kritischen Einwände machen deutlich, dass man Projekte politischer Bildung oder Beratungsansätze kaum nach monetarisierbaren Kosten-Nutzen-Kalkulationen bewerten kann (vgl. auch b-MBT GD 2).39 So wird es von allen MBTs auch abgelehnt, den Erfolg ihrer Arbeit an einem Rückgang rechtsextremer Straftaten oder der Abnahme der Anzahl von Kameradschaften oder der Mitgliederzahlen von rechtsextremen Organisationen festzumachen. Mancherorts können trotz der durch das CIVITAS-Programm bewirkten positiven Veränderungen gegensätzliche Entwicklungen wie die Steigerung rechtsextremer Straftaten eintreten. „Die Frage ist, auf welcher Ebene man das ((den Erfolg; der Autor)) beschreibt. Also man kann es für den Beratungsprozess im Konkreten einfacher beschreiben als für die gesellschaftliche Wirkung. (...) Also wir versuchen zumindest beispielhaft, Beratungsprozesse zu beschreiben, von denen wir glauben, sie hatten Erfolg. (...) Also, die Frage steht ja immer im Raum, gerade von Politik: Lässt es sich jetzt in Zahlen messen? Guck dir das mal an, beispielsweise in ((Bundesland)) ist die Zahl rechtsextremer Kameradschaften in den letzten Jahren stetig gestiegen. Mit oder ohne CIVITAS. Sie ist gestiegen im Vergleich zu Westdeutschland, wo sie gesunken ist. Oder die Zahl von Gewaltbereiten, wie auch immer sie gemessen wird. (...) Da muss man noch mal überlegen: Was sagen diese Zahlen aus? Wie werden sie gemessen? Wir reden nicht nur über straffällige Leute, sondern wir reden eben auch um ein weites Spektrum drum herum.“ (b-MBT I L, GD 2, 558-571) Bezeichnend ist, dass nur einige Befragte die Ergebnisse ihrer Arbeit explizit an der Diskrepanz zwischen dem Ausgangszustand ihrer Arbeit und nachweisbaren Entwicklungen in einzelnen Beratungsprozessen festmachen. A: „Ich finde es interessant, dass zumindest wir als Team das geschafft haben, die Kommunikation über fast zwei Jahre mit Leuten aufrechtzuerhalten, wo ich es mir vor dem Anfang, bevor ich angefangen habe, hier zu arbeiten, hätte vorstellen können. Das finde ich schon enorm. (...). B: Erfolg insofern, was wir vorhin mal hatten. Wir sind nie wirklich überall aufgelaufen, und es gibt eben Beratungsprozesse, wo man das Gefühl hat, man hat bei den Leuten vielleicht ein paar Gedanken angeregt. Die sind alle nicht abgeschlossen, die sind alle nicht in dem Topf, wo ich sage, OK, das kocht auf der richtigen Flamme, aber es ist auch nicht so, dass man sich nur die Zähne ausbeißt.“ (b-MBT 2, 1154-1162) 39 Vor einer zu hohen Erfolgserwartung und einer sehr unterkomplexen Wahrnehmung von Bildungsprozessen wird auch in einer der wenigen aktuellen Zeitungsartikel zum Thema Rechtsextremismus gewarnt. So sind nach von Bebenburg keine in Zahlen messbaren Erfolge zu erwarten. „Der Kampf gegen Rechtsradikalismus und Gewalt ist in dieser Hinsicht viel undankbarer. Er setzt in den Köpfen an, er muss die gesamten gesellschaftlichen Bedingungen ins Auge fassen, er baut nicht nur auf kurzfristige Repression, sondern vor allem auf Prävention. Die aber wird in Zeiträumen gemessen, die wesentlich länger sind als Legislaturperioden.“ (von Bebenburg 2003: 2) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 126 Von einem Team wird herausgestellt, dass man sich der Gefahr bewusst sein sollte, dass durch die hohen und hehren Zielsetzungen, wie „das politische Klima in der Kommune ändern“, die erreichten „kleinen“ Erfolge leider abgewertet werden. „Also die Ziele, die hehren Ziele sind ja nicht weg, wenn man gleichzeitig halt bestimmte Erfolge halt einigermaßen bescheiden definiert. Es ist ein Erfolg, wenn ein Projekt ein Prozess halt einigermaßen rund läuft, die Leute aufmachen. (...) Die kommen ja auch nicht nach drei Tagen Bekanntmachung und erzählen dir, was da wirklich los ist. Sondern das ist eine Geschichte, die sich erst mal entwickelt, wo du das Gefühl hast, da kannst du was bewirken, da erreichst du gerade was. Und da findet auch was statt, was sich vielleicht hoffentlich mal nachhaltiger verselbständigt. (...) Das hat natürlich nichts damit zu tun, oder muss nicht zwingend damit zu tun haben, dass man die hehren Ziele vielleicht nicht in dem Maße erreicht, wie sie dann statistisch messbar wären.“ (b-MBT VI L GD 2, 650-659)40 Von einigen MBTs wird indessen der Erfolg konkret auf ihr MBT bezogen. Das kann darin bestehen, dass sie sich durch die Nachfrage und Anerkennung in ihrer Arbeit bestätigt sehen. Erfolg ist „wenn positive Erfahrungen weitergegeben werden, zu sehen, was die Einrichtungen vor Ort machen, dass das ausstrahlt. B: Erfolg ist für mich auch, dass Leute jetzt von sich aus kommen. (...) gleich, (...) kommt aus ((Ort)) der Amtsjugendpfleger, den wir noch nie gesehen haben, wo sich herumgesprochen hat: ‚Da gibt es welche in ((Sitz des MBTs)), das lohnt sich vielleicht, mit denen zu sprechen’.“ (b-MBT 4, 1784-1787) Von dem Leiter des MBTs Brandenburg – wie auch von den vom CIVITAS-Programm geförderten MBTs – wird dann auch grundsätzlich die Frage nach dem Erfolg von Mobiler Beratung gestellt. „Aus grundsätzlichen Erwägungen bestreite ich die Sinnhaftigkeit dieser Frage nach dem Erfolg. Weil wir zunächst mal sagen, was vor Ort passiert, wenn ich Beraterin oder Berater bin, wenn sich da etwas zum Besseren bewegt, (...) muss das als Erfolg der Akteure vor Ort gewertet werden.“ (Hülsemann, GD 2, 574-578) Deshalb können nach Hülsemann nur Veränderungsprozesse beschrieben werden, an denen das MBT mitgewirkt hat. „Und dann kann ich sagen: Bei aller Unsicherheit, weil ich nicht nachweisen kann, (...) welchen Anteil wir an den jeweiligen Veränderungen haben, sagen wir, wir sind sozusagen im gesamtgesellschaftlichen Kontext mit wirksam gewesen. Aber ich bestreite (...) diese Gradlinigkeit zwischen dem Ziel, das wir zu beschreiben haben für unsere Auftraggeber und die so genannten Erfolge unserer Arbeit.“ (Hülsemann, GD 2, 488-594) Auch wird vor der Illusion gewarnt, es könnten schnelle Änderungen in den Einstellungen und Haltungen möglich sein, indem man „die Leute irgendwie umdreht und dann ändert sich alles“ (b-MBT II L, GD 2, 613-614). Diese Einschätzung deckt sich auch mit Befunden aus der Evaluationsforschung. 40 Die Relativität der Aussagekraft von messbaren Daten und deren subjektive bzw. vereinnahmende Interpretationsmöglichkeit zeigt folgende Äußerung eines Beraters: „Und umgekehrt kann man sich natürlich die eine oder andere Statistik zusammenlügen. Wir haben beispielsweise einen Bezirk, in dem rechtsextreme Straftaten halt und Täterdominanz zur Zeit halt drastisch zurückgegangen sind. Das hängt damit zusammen, dass die Kader gerade halt alle im Knast sitzen. Natürlich können wir das zusammenlügen halt als einen der großen Erfolge von CIVITAS. Das ist, das wäre, glaube ich, sehr banal.“ (b-MBT VI L GD 2, 659-664) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 127 „Einen ursächlichen Bezug zwischen Programm und Einstellung herzustellen, ist meines Erachtens – und da befinde ich mich in guter Gesellschaft – ein Trugschluss, erzählt den Leuten Geschichten, die nicht stimmen. Wir können Wirkungsorientierungen benennen, wir können Plausibilitäten benennen, wir können Effekte nachzeichnen, aber wir können letztendlich nicht von einem Programm ursächlich auf eine Wirkung, zum Beispiel ein Einstellungsverhalten schließen." (Brüggemann/Klingelhöfer 2003: 437-442) Eine andere Befragte stellte heraus, dass es ihr nach zwei Jahren nur möglich ist, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. „Also, ich möchte ungern hier die große Bilanz ziehen, weil wir vielleicht so eine winzig kleine Zwischenbilanz ziehen könnten. Und was man auch sicherlich, bestimmte Sachen, die man ändern müsste, wo man noch mal einen anderen Weg einschlagen könnte, wo man, was weiß ich, noch mal einen anderen Kooperationspartner vor Ort suchen müsste, so was.“ (b-MBT II L, 1798-1802) Auch wenn sich der Erfolg der MBTs schwierig messen lässt, so lassen sich die von den MBTs aufgestellten Erfolgskriterien und angestrebten bzw. realisierten Ergebnisse einer kritischen Bewertung unterziehen. Hierbei geht es nicht um Wirkungen, sondern um die Frage, ob die Erfolgskriterien und Zielsetzungen im Hinblick auf den Arbeitsauftrag und die Rahmenbedingungen angemessen und deren Begründungen nachvollziehbar sind. Eine Frage wird dabei sein, ob die in den Erfolgskriterien zum Ausdruck kommenden Zielsetzungen und Vorgehensweisen der MBTs mit einem offenen und auf Partizipation angelegten Demokratieverständnis und den normativen Prinzipien des Rechtsstaates einhergehen. 3.5.2 Sensibilisierung durch Mobile Beratung In der Regel wird von den Teams sehr allgemein berichtet, dass es ihnen in den intensiv begleiteten Beratungsprozessen gelungen ist, Anregungen zu geben und eine Sensibilisierung für das Thema Rechtsextremismus herbeizuführen und unterschiedliche Formen von Eigenaktivierung anzustoßen. So wird es als ein Erfolg der Arbeit gewertet, dass die Akteure vor Ort anfangen sich selbst Gedanken zum Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus und den Zustand der Kommune zu machen. Dabei geht es auch um die Formen des demokratischen Umgangs miteinander. „Wenn Leute anfangen, zu denken und Fragen zu stellen, finde ich das schon erfolgreich. Weil ich finde schon, dass es in vielen Orten einfach einen völligen Mangel an Auseinandersetzungsfähigkeit gibt, an Demokratieverständnis, also ,Basics´. Wer redet wann? Wer lässt wen ausreden?“ (b-MBT II L, GD 2, 1746-1749) Eine breitere Sensibilisierung für das Thema sehen die Mehrzahl der MBTs als ein zentrales Ergebnis ihrer Arbeit. Diese Einschätzung ist jedoch schwierig zu quantifizieren, denn sie kann nicht an einer Anzahl von Personen festgemacht werden, die nun rechtsextreme Erscheinungen eher wahrnehmen als zuvor. Ein sehr weicher und zum jetzigen Zeitpunkt nur auf den Einschätzungen der MBTs beruhender Indikator ist die Zunahme von Anfragen nach Beratungen. Es wird darauf verwiesen, dass von bestimmten Personengruppen, die zu Beginn des Projekts keine Anfragen gestellt haben, jetzt häufiger und auch mehrmals Anfragen gestellt werden (vgl. z.B. B-MBT GD 2; b-MBT 2; b-MBT 4; b-MBT 7). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 128 Als ein weiterer Erfolg werden die positiven Rückmeldungen zu den Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen verbucht. „Ein anderer Erfolg ist, dass Feedback in Fortbildungen oder internen Schulungen, wenn das positiv ist. Wenn da neue Fragen entstanden sind oder angeknüpft wird an die Arbeit von ((Name MBT)). Das ist ein Erfolg.“ (b-MBT II L, 1766-1768) 3.5.3 Aktivierung durch Mobile Beratung Die Frage, inwieweit durch die Beratung eine Befähigung zur Aktivierung erfolgt ist, lässt sich hier nur skizzieren. Einigen MBTs ist es nachweisbar gelungen, einen breiten Adressatenkreis anzusprechen, der von Initiativen über kommunale Bündnisse, Schulen bis hin zu Verantwortungsträgern in der Kommune, dem Landkreis oder sogar auf Landesebene reicht. „Das hehrste Ziel war es doch, demokratische Kultur zu stärken. Also müsste man sich mal fragen: Sind denn jetzt verschiedene Initiativen entstanden, die es vorher nicht gegeben hätte? Sind Menschen jetzt in der Lage, organisierter miteinander arbeiten zu können in verschiedenen Regionen, die es ohne CIVITAS und anderer Bundesprogramme nicht gegeben hätte? (...) Ich glaube ja. Wenn ich mir angucke, wie das Netzwerk ((Name des Netzwerkes)) sich entwickelt hat. Wer da am Anfang war, wie viele es heute sind. Was sich da an Spektrum erweitert hat, auch an Altersmischung, sehe ich da schon eine Entwicklung. Ob sich das jetzt sozusagen in Zahlen niederschlägt, ist die Kriminalitätsrate rechtsextremer Gewalt zurückgegangen oder so, das ist eine ganz andere Frage. Das lässt sich so kurzfristig, glaube ich, nicht messen.“ (bMBT I L, GD 2, 492-504) Hingegen sehen einige Befragte ihren Erfolg darin, dass ein bereits sensibilisiertes und engagiertes Spektrum gestärkt wurde. Dabei handelt es sich in diesen Fällen um die MBTs, die von den Zielgruppen und Zielsetzungen her stark auf den bereits engagierten Initiativbereich oder Jugendbereich ausgerichtet sind und die in der Regel auch den Ansatz einer „Gegnerschaft“ zum Rechtsextremismus verfolgen. „Ich glaube nicht, dass es, seitdem es uns gibt, unbedingt mehr Leute geworden sind, die sich zum Thema engagieren. Aber vielleicht sind ein paar mehr bestärkt worden, das zu tun. Und ein paar, die sich vielleicht, Gruppen oder Initiativen, Einzelpersonen auch, die sich vielleicht zurückgezogen hatten oder manche Situationen in ihrer, sei es Verwaltung oder Kommune, so nicht beschrieben hätten, es jetzt tun würden, vielleicht. Zum Thema halt. Das ist vielleicht so das kleine Etwas.“ (b-MBT II L, 1066-1071) 41 Die Aktivierung muss sich nicht als eine positiv formulierte Zielsetzung in Hinblick auf eine Stärkung und Ausweitung zivilgesellschaftlicher Werteorientierung definieren, sondern Aktivierung kann im Verständnis einiger MBTs auch als Mobilisierung gegen einen als Gegner bzw. „Feind“ verstandenen Rechtsextremismus erfolgen und Strategien der Exklusion nach sich ziehen. So lassen sich gerade bei den Beratungsansätzen, die beispielsweise eine direkte Verdrängung und Ausgrenzung von rechtsextremen Cliquen zum Ziel haben, Erfolgskriterien beobachten, bei denen die Folgen des eigenen Handelns nicht weit genug einbezogen sind. 41 Dennoch wird auch hier unter professioneller Beratung ein Ansatz verstanden, der sich aus einer Distanz heraus an unterschiedliche Zielgruppen wendet und sich nicht in den Befindlichkeiten der Politik und Akteure untereinander verfängt. „Professionell heißt für mich zum einen, verschiedene Zielgruppen beraten zu können. Nicht sozusagen den Befindlichkeiten ((Bundesland)) oder innerhalb einer Kommune, das muss jetzt gar nicht ((Name des Bundeslandes)), innerhalb einer Kommune, da so einwickeln zu lassen. Sondern den ‚Draufblick’ zu bewahren.“ (MBT II L, 1727-1730) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 129 Dies wurde bereits exemplarisch an der Beratung von Jugendeinrichtungen dargestellt, die von rechtsextremen Jugendlichen frequentiert werden (vgl. Kap. 3.4.5). 3.5.4 Netzwerkbildung und Bündnisse In vielen Fällen ist es nach Darstellung der MBTs gelungen, Netzwerke und Bündnisse anzustoßen bzw. zu reaktiveren und auszuweiten (vgl. b-MBT I L, GD 2, 492-504). Besonders im Bereich der Jugendarbeit sind viele Initiativen zu Vernetzungen zu verzeichnen, die von „Runden Tischen“ zur Jugendarbeit über „Arbeitgemeinschaften“ zum fachlichen Austausch von Sozialarbeiter/innen bis hin zu Arbeitskreisen verschiedener Akteure eines Gemeinwesens zu einer Jugendeinrichtung und Elterninitiativen reichen (vgl. insb. Kap. 4.3). So ist es nach Darstellung einiger MBTs gerade in intensiven kommunalen Beratungsprozessen gelungen, verschiedene Akteure miteinander in Verbindung zu bringen, die vorher nichts oder nur begrenzt miteinander zu tun hatten (vgl. Kap. 4.2). Trotz oft schwieriger lokaler und politischer Rahmenbedingungen konnten sich MBTs gemäß ihrer Darstellung als fachlich kompetente Ansprechpartner etablieren, ohne die bestimmte auch über das Thema Rechtsextremismus hinausgehende Initiativen nicht zustande gekommen wären. Die Kooperationsnetze können Bürgermeister, Verwaltungen und andere öffentliche Einrichtungen, Schulen und Jugendeinrichtungen, Kirchen, Verbände, Vereine sowie Initiativen und anerkannte engagierte Persönlichkeiten sowie Multiplikatoren aus den verschiedensten Bereichen (z.B. Bildung und Jugendarbeit) umfassen (vgl. Kap. 3.2 u. 4.3). Dieses in den einzelnen Beratungsprozessen unterschiedlich stark und intensiv ausgeprägte Netz ist Grundlage und zugleich Ziel von erfolgreichen Beratungsprozessen. Allerdings kann die nicht erfolgte Implementierung oder der Niedergang von Bündnissen und Netzwerken nicht als eindeutiger Indikator für eine erfolglose Arbeit betrachtet werden. So berichten einzelne MBTs, dass sich Netzwerke in ihren zuständigen Arbeitsgebieten aufgelöst hätten, ohne dass dies in einem Zusammenhang mit ihrer Beratungsarbeit stehe. Dies kann auch in den Regionen geschehen, in denen ein nachgewiesenermaßen sehr verlässlich und in seiner Arbeit geschätztes Team arbeitet (vgl. MBT 2, 1191-1194). 3.5.4.1 Zusammenarbeit der MBTs mit OBS und NWS Die Zusammenarbeit mit den anderen Strukturprojekten des CIVITAS-Programms wird durchweg als wichtig beschrieben, aber mit sehr unterschiedlichen Bewertungen versehen. Dabei kommt insbesondere der Zusammenarbeit mit den Opferberatungsstellen eine große Bedeutung zu, wobei es in konkreten Beratungsfällen nach Auskunft der MBTs auch zu Konflikten und für den kommunalen Beratungsprozess kontraproduktiven Entwicklungen gekommen ist. Dies wird einerseits auf die unterschiedliche Rollenauffassung – hier die auf Moderation- und Konsensfindung orientierten MBTs und dort die zum Teil polarisierend und konfrontativ auftretenden OBS – zurückgeführt. „Die Opferperspektive ist schon eine Grundlage, die immer wieder deutlich zu machen, ist sicherlich auch ein Anliegen. Aber im Gegensatz zu ((Name OBS)) ist nicht unsere Aufgabe, zu skandalisieren, Leute an den Pranger zu stellen, jedenfalls nicht zunächst erst mal so einen frontalen antirassistischen Ansatz da reinzubringen. Das ist auch immer ein Konfliktpotenzial in der Arbeit mit ((Name OBS)). (...) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 130 Uns wird von ((Name OBS)) immer so eine gewisse Staatsnähe unterstellt, wir würden zu wenig skandalisieren, wir würden (...) zu eng mit staatlichen Organen zusammenarbeiten, mit der ((Name der Sondereinheit der Kriminalpolizei)), (...) oder der Staatsschutz oder der Verfassungsschutz. Und wir würden, wenn wir z.B. ,Runde Tische´ initiieren, auch Beteiligte holen, wo ((Name OBS)) vielleicht sagen würde, das sind ja eigentlich rassistische Normalmenschen, oder solche Gruppen. Wo auch mal ein Spruch fällt, wo ein Bürgermeister vielleicht nicht ganz so politisch denkt, wie ((Name OBS)) denkt.“ (b-MBT 4, 71-76 u. 83-91) Andererseits oder gleichzeitig werden die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit auch auf persönliche Verhaltensweisen und zumeist damit zusammenhängender Positionierungen zurückgeführt. Das ist die Schwierigkeit. In diesen großen Runden (...), das muss man auch sagen, da sind so einige bei ((Name OBS)) – in der Rolle des Agent Provokateur, der darauf dringt, ,das sind doch alles Rassisten’, und ‚eigentlich kann man doch da gar nichts machen’. Es ist manchmal nicht ganz einfach.“ (b-MBT 4, 93-96) Die Zusammenarbeit mit den Netzwerkstellen ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Dies hängt auch mit den nicht klar definierten unterschiedlichen Aufgabenbereichen sowie der jeweiligen Schwerpunktsetzungen der Netzwerkstellen zusammen. Gelingt zwischen MBT und NWS eine Abgrenzung und verlässliche Absprache über die Zuständigkeiten, dann kann es auch zu einer konstruktiven Zusammenarbeit kommen. So werden beispielsweise in einem Fall die NWS gezielt in größere Beratungsprozesse einbezogen. Wenn dann der Beratungsprozess eine gewisse Stabilität hat, übergibt das MBTs – aufgrund ihrer Arbeitsüberlastung und anderer dringlicher Anfragen – die Moderation des von dem MBTs aufgebauten Netzwerkes an die NWS in der Region. „Wir sind mit den Netzwerkstellen so verblieben, wenn wir merken, der Prozess ist an einem gewissen Punkt, wo es vielleicht für uns nicht mehr unbedingt erforderlich ist, dass wir die Moderation oder die große Begleitung machen, das übergeben wir dann den Netzwerkstellen. Die Netzwerkstellen versuchen dann, die Akteure vor Ort zu bündeln und aus dem, was wir initiiert haben, etwas weiterzuentwickeln.“ (b-MBT 4, 241-246) Neben positiven Beispielen einer guten Zusammenarbeit wird aber auch davon berichtet, dass es mit manchen Netzwerkstellen keine Zusammenarbeit gibt. „Und der Netzwerker in ((Ort)) hat wirklich die Orientierung nur auf sein Gebiet, kooperiert natürlich in friedlicher und deutlicher Eintracht mit uns, wenn das angesagt ist, hat überhaupt nicht diesen Ansatz, den zum Beispiel ((Namen von Mitarbeitern anderer NWS)) haben, die ja ganz klar sagen: ‚Wir sind für eine bestimmte Region zuständig und gucken erst mal, wer sind da die ganzen Akteure, und arbeiten dann ganz eng mit dem MBT auch zusammen.’ Das ist bei uns und der Netzwerkstelle in ((Ort der NWS)) gar nicht so, also ((Name des Netzwerkers)) agiert da so ein bisschen autark vor sich hin, macht eine gute Arbeit, aber ist gar nicht so in der Fläche wirksam. Und wir haben auch wenig Berührungspunkte miteinander.“ (b-MBT 5, 503-511) Eine systematische und kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Kleinprojekten des CIVITAS-Programms oder gar mit Projekten des entimon- oder des Xenos-Programms kann anhand der Aussagen der MBTs nicht festgestellt werden. Die MBTs suchen in der Regel ihre Kooperationspartner danach aus, wer für sie in den jeweiligen Regionen für die Beratungsprozesse wichtig ist. Es kann anhand des Datenmaterials letztlich nicht geklärt werden, weshalb anscheinend ein Teil der Projekte nebeneinander her arbeitet. Ein wesentlicher Grund scheint aber zu sein, dass die Förderung nicht genug darauf ausgerichtet ist, in bestimmten CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 131 Kommunen oder Regionen einen aufeinander bezogenen und miteinander verzahnten Projektzusammenhang zu fördern. In solch einem kommunalen Interventionsnetzwerk könnten jeweils einzelne Projekte in Abstimmung mit anderen Projekten mit spezifischen Interventionsstrategien bestimmte Bedarfe abdecken und sich gegenseitig ergänzen. Dies würde eine sehr genaue Kenntnis der lokalen Gegebenheiten voraussetzen, damit eine darauf zugeschnittene Förderstrategie entwickelt werden kann. Dabei könnten die MBTs die Rolle der Experten für die lokale Bedarfslage übernehmen; seitens des Programms wäre aber ein operatives Vorgehen zur Identifizierung von sinnvollen Projekten notwendig. 3.5.4.2 Zusammenarbeit der MBTs untereinander Es hat sich eine unterschiedlich starke Zusammenarbeit zwischen einzelnen MBTs des CIVITAS-Programms und auch dem MBT Brandenburg herausgebildet. Diese Zusammenarbeit ist auf der Arbeitsebene nach Beurteilung der Materiallage als eine bilaterale und punktuelle Kooperation zu betrachten, die auf inhaltliche Übereinstimmungen und insbesondere auf gewachsene Kontakte sowie auf Sympathien zurückzuführen ist. Ein Team hat z.B. eine Hospitation beim MBT Brandenburg durchgeführt, woraus ein weiterer fachlicher Austausch hervorging. Andere Mitarbeiter/innen haben zuvor bei einem anderen MBT gearbeitet und haben so noch Kontakte zu früheren Mitarbeiter/innen. In den Bundesländern, in denen zwei MBTs unterschiedlicher Träger arbeiten, lassen sich sehr deutliche Differenzen in der Zusammenarbeit feststellen. In einem Fall ist es trotz zunächst schwieriger teaminterner Voraussetzungen gelungen, dass sich die beiden Teams als gemeinsam operierendes MBT verstehen und auch so organisiert sind. So gibt es eine funktionierende territoriale Aufteilung des jeweiligen Einsatzgebietes einerseits und der gemeinsam zu erfüllenden Aufgaben und Zuständigkeiten andererseits. Dies hat sich in positiver Weise in einer gemeinsamen Antragstellung für die Kofinanzierung beim Land niedergeschlagen, die auch zusammen durchgefochten wird. Ohne dies im Detail beurteilen zu können, konnte die „übliche“ Konkurrenzsituation zwischen zwei Trägern durch eine produktive Teamzusammenarbeit überwunden werden. So werden auch die Teamsitzungen gemeinsam durchgeführt und die Öffentlichkeitsarbeit in großen Teilen gemeinsam gestaltet. Sowohl die Koordinatoren als auch die Mitarbeiter/innen beider Teams sehen einen wesentlichen Grund für diesen Erfolg darin, dass sie nur eine flache Hierarchie haben und alle Mitarbeiter/innen durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung auch Funktionen (z.B. Gespräche mit Vertretern der Landespolitik) mit übernehmen, die bei hierarchisch aufgebauten Organisationen die Leitungsebene übernimmt. Wichtig zum Verständnis dieses Falls ist es aber zu wissen, dass bei einem anderen Team zuvor ein hierarchischer Führungsstil zu einer unproduktiven bis blockierenden Arbeitweise geführt hat. Diese konnte durch einen Personalwechsel behoben werden. In einem anderen Fall haben die beiden MBTs es nicht geschafft, ihre Arbeitsgebiete territorial oder nach eindeutigen Zuständigkeiten in produktiver Weise aufzuteilen. Ohne näher ins Detail zu gehen, wurden von beiden MBTs in den Interviews Schwierigkeiten in der Absprache der Zuständigkeiten der Teams genannt. Diese Konflikte führten auch zu Irritationen bei anderen CIVITAS-Projekten. Durch einen regelmäßigen Austausch auf der Geschäftsführerebene der beiden Träger unter Einbeziehung der Koordinatoren hat sich eine Verbesserung der Zusammenarbeit entwickelt. Allerdings konkurrieren beide MBTs bei der Akquirierung CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 132 der Kofinanzierungsmittel und treten so den Vertretern der Landespolitik und Landesverwaltung als zwei konkurrierende Bewerber desselben Bundesprogramms gegenüber. Überregional gibt es eine Vernetzung der CIVITAS geförderten MBTs unter Einschluss des MBT Brandenburg durch regelmäßige Treffen der Leiter/innen bzw. der Koordinatoren der MBTs. Des weiteren gibt es noch eine AG „Qualität“ und eine AG „Analyse“, in denen jeweils Mitarbeiter/innen der verschiedenen MBTs mitarbeiten. Inwieweit gerade die beiden letzten AGs für die konkrete Arbeitspraxis der Berater/innen eine Relevanz haben, ist schwierig zu beurteilen. In den Interviews werden sie nur selten als Bezug für die eigene Arbeit erwähnt. Öffentliche Resonanz auf Mobile Beratung Ein weiterer Erfolg wird darin gesehen, dass die MBTs Prozesse anstoßen, die in der Medienöffentlichkeit dann auch wahrgenommen werden. „Das ist ein Erfolg. Wenn in der Zeitung was zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus drinsteht, wenn wir wissen, wir haben das mit angestoßen, dass in der Kommune da was läuft. Wenn da was öffentlich gemacht wird. Wenn wie in ((Ort)) eine öffentliche Veranstaltung zu Rechtsextremismus im Rathaus stattfindet und verschiedenste Leute der Kommune, auch Entscheidungsträger, wie aber auch Nachbarn und das alles, auf dieser Veranstaltung sitzen, obwohl das Sonntag Nachmittag um drei ist! Das ist auch ein Erfolg. Wenn die Landesregierung in ((Bundesland)) ((Name MBT)) erwähnen muss in bestimmten Zusammenhängen. Dann ist das ein Erfolg!“ (b-MBT II L, 1768-1775) Insbesondere in der letzten Zeit haben einige MBTs durch eine gute Lobbyarbeit und ihrer anerkannten Arbeit bei Verantwortungsträgern aus Politik und Verwaltung auf Landesebene Zuspruch bekommen. Dies scheint sich im Einzelfall auch positiv auf eine mögliche Kofinanzierung durch das Land bzw. der nachdrücklichen Befürwortung der MBTs auszuwirken.42 3.5.5 Nachhaltigkeit und „manifeste“ Ergebnisse Auch zu den Einschätzungen, welche Interventionen eine nachhaltige Wirkung haben, gibt es eine Vielzahl von Aussagen, die in der Regel aber sehr allgemein bleiben. Konkretisierungen werden in Hinblick auf Folgen der Vernetzungsarbeit und Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen gemacht. Dabei wird – wie im folgendem Zitat – eine Rückkopplung zu dem Grundansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ hergestellt. Wenn diejenigen, die durch Beratung sensibilisiert und zur Eigenaktivität angeregt wurden, selbst ohne fremde Unterstützung weiterhin für das Thema sensibel sind und/oder sich weiterhin engagieren, dann kann von Nachhaltigkeit der Beratungsarbeit gesprochen werden. Es ist ja auch eine Annahme, dass nur das, was die Leute vor Ort, wenn sie dann dazu befähigt sind, selbst durchführen können, auch nachhaltig ist. Nur, wenn die selbst in der Lage sind, dauerhaft aktiv zu sein, kann man davon sprechen, dass da wirklich nachhaltig etwas ge- 42 Die öffentliche Resonanz auf CIVITAS-Projekte sowie die Interaktionen der CIVITAS-Projekte mit kommunalen Akteuren auf der einen und Projekten der Bundesprogramme CIVITAS, entimon und Xenos auf der anderen Seite sollen ab 2004 in den kommunalen Kontextanalysen näher untersucht werden. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 133 schehen ist, dass also die Zivilgesellschaft aktiv wird. Deswegen ist gerade dieser Fortbildungs-, Aufklärungs-, Aktivierungsaspekt wichtig.“ (b-MBT 6, 913-918) „Nachhaltigkeit hat auch was zu tun damit, alle in der Kommune wissen: ‚Wir haben hier ein Bündnis.’ Oftmals ist das ja überhaupt nicht bekannt. Warum haben wir ein Bündnis? Was ist die Geschichte dazu? Das ist langfristiges Arbeiten und da ist halt dieses ,Hilfe zur Selbsthilfe´, dass wir uns überflüssig machen. Dass Leute, das klingt völlig arrogant, selber denken können zu diesem Thema. Aber wenn man sich als Experte in diesem Bereich als Projekt sieht, dann finde ich, kann man das schon auch formulieren. Dass die Leute zu dem Thema selber denken sollten.“ ( b-MBT II L, 1789-1794) Es bleibt allerdings in den meisten Fällen völlig offen, wie es – mindestens konzeptionell und vom Vorgehen her – erreicht werden kann, dass die anvisierte Nachhaltigkeit auch erzielt wird. So wird unter nachhaltiger Beratung im folgenden Fall verstanden, „die Menschen vor Ort zu befähigen, effektiver gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Und das möglichst nachhaltig. Wenn ein Problem gelöst ist, und fünf Jahre später wieder eins kommt, sollen sie möglichst auch dann noch in der Lage sein, aufgrund ihrer Erfahrungen, ihres Wissens, ihrer Kontakte, sich weiterhin positionieren oder was unternehmen zu können.“ (b-MBT 6, 990-994) A: „Professionalisierung, das ist etwas ganz Wichtiges, was wir vergessen haben, Professionalisierung der Akteure. Das ist im weitesten Sinne das, was ((Name der Kolleg/in)) beschrieben hat, ,Hilfe zur Selbsthilfe´. Dass es möglich wird, sich aus Prozessen raus zu ziehen und sich ersetzbar zu machen.“ B: „Das gewährleistet unserer Meinung nach Nachhaltigkeit, weil wenn die Leute selbst fähig sind, aktiv zu werden, und an so einer Sache lernen, Leute kennen lernen und sich mit anderen vernetzen, können sie bei neuen Problemen, die in anderen Fällen entstehen, dass das nächste Mal selbst machen.“ (b-MBT 6, 920-931) Bei Nachfragen zu den Möglichkeiten der Verstetigung wird von einem Teil der Befragten die Professionalisierung und Vernetzung der Akteure vor Ort angeführt. Von den Befragten wird auf die Schwierigkeit hingewiesen, dafür belegbare Daten anzuführen. „Zum einen die Akteursebene, da hast du (der Kollege; der Autor) eben schon gesagt, Professionalisierung der Akteure, ,Hilfe zur Selbsthilfe´, Vernetzungsprozesse anregen, langfristige Vernetzung und sinnvolle Vernetzungsprozesse anzuregen, die den Akteuren auch helfen. Und dann gibt es natürlich die Fallebene, oder die Ebene ,Bekämpfung von Rechtsextremismus´. Und ich denke, dass diese Ebene sehr viel schwieriger zu untersuchen ist als die Akteursebene. Da kann man zählen, wie viele Akteure haben wir dazu gewonnen, und man kann schauen, wie viele Veranstaltungen haben die inzwischen ohne uns organisieren können, oder wie oft hat sich dieses Netzwerk in letzter Zeit getroffen. Und das ist auf der Ebene des Rechtsextremismus schwieriger.“ (b-MBT 6, 996-1006) Der im Zitat angesprochene Weg, die Zahl der hinzu kommenden Akteure und die Anzahl der Veranstaltungen zu zählen, ist mit Skepsis zu betrachten. So wird auch in einer Gruppendiskussion mit den MBT-Leiter/innen darauf hingewiesen, dass es oft keine Hinweise gibt, warum die Leute sich gerade jetzt engagieren. Dies muss keineswegs auf die Beratungsarbeit zurückgehen, sondern kann ganz andere Gründe haben, die auch nicht einen politischen Hintergrund haben müssen (vgl. b-MBT GD 2, 607ff.). Einigen MBTs ist es gelungen, kommunale Einrichtungen zu beraten und/oder mit ihnen Projekte durchzuführen. So konnte ein MBT in einer Großstadt eine Straßenbahn mit Informationen und Anregungen zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus gestalten. Aus der Zusammenarbeit mit den Verkehrsbetrieben ist dann eine Fortbildung der Fahrer zum Umgang mit rechtsextremen Provokationen entstanden. Die Nachhaltigkeit solcher Prozesse CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 134 lässt sich schwer bestimmen, aber das Zustandekommen von Entscheidungen und Veränderungen ist mit auf die Beratungsarbeit der MBTs zurückzuführen. „Es gibt Dinge, die bleiben, wo Leute mithilfe von unserer Beratung eine Entscheidung getroffen haben. Die einen Fakt geschaffen haben, z.B. den Jugendklub zuzumachen in ((Ort)), oder die Frage, wie z.B. in ((Ort)), dass sich eine Stadtverwaltung der Jugend nochmal in einer anderen Form nähern muss als wie sie es bisher getan haben, dass es auch Arbeit ist, sich mit den Menschen zu beschäftigen, die in dem Ort leben, und wenn sie halt jung sind. Das sind Dinge, die durchaus bleiben. Die Frage ist, inwieweit wir, in welcher Form wir da mit dran gewirkt haben, die Frage kann man nicht beantworten. Ich denke, es gab da Fünkchen, wo wir mitgeholfen haben.“ (b-MBT 0, 1197-1204) Auffallend ist bei den Interviews, dass die Teams, die – wie auch das oben erwähnte Team – mit einem Teil ihrer Beratungsprozesse einiges bewegt und erreicht haben, bei der Einschätzung der Nachhaltigkeit mit sich und den Möglichkeiten Mobiler Beratung sehr kritisch sind. Dennoch sehen auch sie, dass die von ihnen angelegten Prozesse bisher positive Entwicklungen nehmen. Wo sie letztlich hinführen, können sie nicht steuern. Dies liegt in der Hand der Akteure vor Ort. Hinter dieser Zurückhaltung verbirgt sich nicht selten eine sehr reflektierte Haltung, die – wie im folgenden Fall – auf die Eigenaktivität und Demokratisierungsfähigkeit der Akteure vor Ort vertraut. „Ich glaube schon, dass es eine gewisse Nachhaltigkeit hat, wenn Leute anfangen aufzustehen, sich zu bewegen, mal raus aus ihren vier Wänden, sich mit anderen zusammensetzen, was sie vorher vielleicht nie gemacht haben. Das haben wir jetzt in ((Ort)), dass Mütter anfangen, sich so für ihre Kinder zu engagieren, dass es für die Täter unangenehm wird. Dass das dann in die Kommune ausstrahlen wird, oder sich rumspricht in so einer Region, hier sind die Bürger wachsam, hier müssen wir uns (...). Das ist immer das Schwierige mit dieser Nachhaltigkeit, die Rechten suchen sich dann ein anderes Aktionsfeld.“ (b-MBT 4, 1798-1805) Trotz der Erfahrungen von Misserfolgen sehen die MBTs mit unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Regel ihre Arbeit als erfolgreich an. Durch intensive Beratungsprozesse sind nach ihren Erfahrungen in Regionen, wo sie tätig waren, positive – wenn auch oft nur kleine – Veränderungen zu verzeichnen. Insbesondere eine Sensibilisierung und eine deutlich gesteigerte Nachfrage lassen sich – nach Auskunft der MBTs – auch in Regionen mit schwierigen Rahmenbedingungen feststellen. „Eines der Ziele ist zum Beispiel auch, einen demokratischen Diskurs anzustoßen. Auch so eine Sensibilität für das Thema erstmal zu wecken in bestimmten Regionen. Also das ist ein Ziel, was ich auch nach wie vor sehe. Ganz klar neben dem auch Stärkung von zivilgesellschaftlichen Strukturen. Wo ich auch denke, zum Teil funktioniert das. Aber ganz kleine Schritte. Ich sage mal so, diese Sensibilität zum Thema, da habe ich auch das Gefühl, so nach und nach, auch durch die Präsenz von Mobilen Beratungsteams auch manchmal, ich sage mal, gegen den Widerstand von vielen, die sich dann doch nicht wirklich mit dem Thema auseinandersetzen müssen, gelingt es doch, das zu erreichen. Also so, dass dann doch irgendwie immer mehr Leute auch ankommen und fragen: ,Könnt ihr nicht mal irgendwie hier auch eine Fortbildung machen oder eine Beratung oder...´ Also verschiedenste Formen, sich mit dem Thema auseinander zusetzen. (...) Da bräuchte man so die vergleichende Analyse und Blick auf die letzten Jahre zum Teil. Aber ich glaube, dass es die zum Teil so nicht gegeben hat in bestimmten Regionen.“ ( b-MBT II L GD 2, 514-526) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 135 3.5.6 Misserfolge Von einem Teil der MBTs werden ebenfalls Misserfolge angeführt. Auch bei der Einstufung von Misserfolgen gibt es eine heterogene Spannbreite. So wird es mehrmals als ein Misserfolg angesehen, wenn aufgebaute Kommunikationsprozesse wieder zusammenbrechen. Dabei ist keineswegs immer auf das Vorgehen der MBTs zurückzuführen. So können zwischen den Akteuren vor Ort noch andere zum Teil nicht durchschaubare Konflikte (aus der Vergangenheit) schwelen, die in der Auseinandersetzung um das Thema Rechtsextremismus wieder hervortreten oder andere (persönliche) „Befindlichkeiten“ zwischen Akteuren auftreten, die die Kommunikation zwischen wichtigen Verantwortungsvertretern aus Politik und Verwaltung erschweren. „Ein gravierender Misserfolg ist, wenn ein Kommunikationsproblem nicht zu lösen ist. Also wenn es einfach dabei bleiben soll (...) Also, wo man sagen kann, das hat überhaupt nichts mit dem Team zu tun, sondern das hat eine Vorgeschichte überhaupt mit diesem Thema. Und was wir nie lösen werden! Also da sind einfach Befindlichkeiten da, und da könnte man noch so was machen, die werden sich nicht lösen. Und das finde ich dann schon einen Misserfolg.“ (bMBT II L, 1811-1816) In einem anderen Fall wurde der Beratungsprozess abgebrochen, weil die Kommunikation festgefahren war bzw. der Beratungsprozess nicht weiter kam. Die bewusste und artikulierte Beendigung der Beratung führte dann aber wieder zu einer Aufnahme der Kommunikation. Dieses Vorgehen kann – so auch Hülsemann – in manchen Fällen geradezu wieder eine Belebung der Auseinandersetzung fördern. „Nein, einen richtigen Misserfolg gibt es in dem Sinne nicht, weil die meisten Leute, mit denen wir bisher etwas gemacht haben, mit denen haben wir immer noch eine Kommunikation zu dem Thema. Es gab verschiedene Einzelschritte, wo wir sagen können, das ist abgeschlossen, bei dem Beispiel ((Ort)) kann man sagen, der Zwischenschritt, den haben wir selber abgebrochen, weil wir gefunden haben, dass es dort sinnlos ist, das ist vielleicht eine Form von Misserfolg, aber es gibt dann eine neue Form von Kommunikation. Die Leute haben uns offensichtlich nicht vergessen. Jetzt wollen sie wieder etwas. Es gibt da wieder einen Neuanfang.“ (b-MBT 2, 1177-1184) Ein Berater sieht einen Misserfolg darin, dass sich das MBT intensiv um eine politische Positionierung eines Bündnisses gegen eine rechtsextreme Demonstration bemüht hat; die Akteure vor Ort sich aber letztlich nicht mit den diskutierten Inhalten und Formen identifizieren wollten. „Wenn man zu einer Nazidemo, die groß angekündigt war und die auch gute Resonanz gefunden hat, also die gut besucht war, man lange Bündnisarbeit vorher unterstützt und begleitet hat, auch öffentliche Veranstaltungen dazu mitgemacht hat, also Wissensvermittlung, im Gremium, im städtischen Gremium dann dort diskutiert hat, inwieweit man denn sich politisch positionieren kann, darf und muss auch als Stadtverwaltung und so was. Und viele winzige Schritte gegangen ist, und es gab auch eine Zeitungsannonce mit dem Versuch einer Positionierung der Stadtverwaltung auf den Weg gebracht hat. Und dann aber das ,Bündnis gegen Rechts´, was es da schon viel länger gibt und was eigentlich auch so eine Dynamik eine andere hat, dann aber zu der großen Gegenveranstaltung soviel Zeit und Energie rein verwendet, ein Riesentransparent zu malen, wo drauf steht: ,Das ist keine politische Veranstaltung´. Da steht man schon mal immer da und denkt: ,Warum diese Zeit, Kraft da hinein, wenn Diskussionen gelaufen sind, die auch mitgekriegt haben, und die Stadtverwaltung, die versucht hat, das Thema Rechtsextremismus und Rassismus nicht Neutralität bedeutet, und warum muss man da dieses Riesentransparent malen?´ Aber man kann nicht hingehen und es abreißen.“ (b-MBT II L 1837-1850) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 136 Hier wird deutlich, dass die Bewertung als Misserfolg auch mit der Rollenauffassung und dem politischen Selbstverständnis sowie den damit verbundenen Erwartungen der Berater/innen zusammenhängen kann. Es ist im vorliegenden Fall nicht klar zu trennen: wo ist der Berater bzw. die Person „Berater“ in einem klientenorientierten Prozess und wo sieht die Person sich als Akteur und möchte ihre politische Auffassung durchgesetzt wissen. Letztere Position hat durchaus – in einem anderen Feld mit einem anderem Auftrag – in einer politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ihre Berechtigung. In einem auf die Ressourcen und Anliegen der Akteure zugeschnittenen klientenorientierten Beratungsansatz ist hingegen ein distanzierteres Vorgehen eher geeignet, dem partizipativen Anspruch Mobiler Beratung gerecht zu werden. 3.5.7 Fazit Auch wenn sich die Wirkungen der Beratungsarbeit nicht messen und konkret benennen lassen, kann doch festgehalten werden, dass, nach Beurteilung der MBTs durch Mobile Beratung, positive Prozesse in Gang gesetzt wurden. Neben dem in Kapitel (2.) behandelten Strukturaufbau, hat der Ansatz der Mobilen Beratung die Potenz, auch unter schwierigen Rahmenbedingungen über eine Sensibilisierung zu einer Befähigung von Eigenaktivität beizutragen. So lässt sich in den Augen der großen Mehrheit der Befragten eine Zunahme an Aktivierung auch bei den Personengruppen feststellen, die bis dahin eher nicht angesprochen werden konnten. Manchen MBTs ist es so in größeren kommunalen Beratungsprozessen gelungen, unterschiedliche Personenkreise und auch verschiedene Einrichtungen und Organisationen in einen durch sie vermittelten Kommunikationsprozess einzubeziehen. Diese positiven Ergebnisse konnten insbesondere bei den Beratungsansätzen festgestellt werden, die mit ihrem moderierenden Rollenverständnis43 die Klientenorientierung nach ihren Darstellungen auch in der Beratungspraxis konsequent durchhalten. Der auf die direkte Auseinandersetzung oder Zurückdrängung des Rechtsextremismus und in einer politischen Gegnerschaft orientierte Ansatz erreicht hingegen das Spektrum, was bereits sensibilisiert ist. Es kann dann zu einer intensiven Förderung und Stärkung dieses (Bewegungs-)Milieus kommen, wobei die Aussichten auf eine breite und viele verschiedene Akteursgruppen umfassende Bündnis- und Netzwerkbildung aber begrenzt sind. Insgesamt ist es nach der Darstellung der Befragten dem Ansatz Mobiler Beratung – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – gelungen, eine zivilgesellschaftlich orientierte Auseinandersetzung zu befördern. Dennoch sind gleichzeitig Vorgehensweisen zu verzeichnen, die sich in einer politischen Gegnerschaft zum Rechtsextremismus „verbeißen“ und dabei die Folgen ihres Handelns zu wenig abschätzen. 43 Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass bei ein und dem selben MBT sowohl der offene moderierende als auch der polarisierende und auf politische Gegnerschaft orientierte Ansatz auftreten kann. Diese beiden „Grundströmungen“ können selbst bei ein und der selben Person in unterschiedlichen Situationen angewendet werden. Dennoch lassen sich zwischen den Teams deutlich feststellbare Akzentuierungen und Prioritätssetzungen zwischen den einzelnen Auffassungen von Mobiler Beratung feststellen. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 137 4 Vergleichende Fallbeschreibung zweier Beratungsprozesse 4.1 Auswahl der beiden Mobilen Beratungsteams Für die Auswahl der beiden MBTs war primär entscheidend, dass sie aus verschiedenen Flächenländern kommen und mit ihrem Beratungsangebot in Regionen, Orten oder Einrichtungen tätig sind, wo es im besonderen Maße der Entwicklung und Stärkung zivilgesellschaftlicher Kompetenzen bedarf. Es sollten deshalb möglichst einige der im Kapitel 2 beschriebenen Problemlagen gegeben sein,44 um so im konkreten Beratungsfall die Wirkungsmöglichkeiten Mobiler Beratung und einige Reaktionen darauf beobachten zu können. Ein weiteres Auswahlkriterium war, dass nach den zum Erhebungszeitpunkt möglichen Einschätzungen diese beiden MBTs eine Aussicht auf einen Fortbestand nach dem 31.12.03 haben könnten, um auch darüber hinaus langfristige Beratungsprozesse begleiten zu können. Zwar kann auch jetzt noch nicht definitiv gesagt werden, ob beide MBTs über die Modellphase hinaus weiter gefördert werden, dennoch haben die beiden Träger der MBTs positive Voten seitens der jeweiligen Landesregierung für das Jahr 2003 erhalten und können auf eine gute Resonanz ihrer Arbeit in den Regionen verweisen. Ein nicht unerheblicher Grund für die Auswahl der beiden Kleinteams war zudem, dass in ihren Einsatzgebieten auch die anderen Strukturprojekte in einer gewissen Dichte tätig sind und so ab 2004 die Zusammenarbeit und Interaktionen zwischen den Strukturprojekten intensiver betrachtet werden können. Im folgenden werden die zum Verständnis des Beratungsprozesses wichtigen Hintergründe und Problemkonstellationen zunächst für das erste Fallbeispiel (Fall A in A-Stadt) beschrieben. Dem schließt sich eine Analyse und Bewertung einzelner Vorgehensweisen an. In gleicher Weise wird das zweite Fallbeispiel (Fall B in B-Stadt) behandelt. Bei den Beschreibungen wird zu ungunsten der Schilderungen von einigen Details und Besonderheiten darauf Wert gelegt, dass die Fälle nicht erkennbar sind. Deshalb werden die beiden MBTs auch anders als bisher vercodet (b-MBT A für Fall A und b-MBT B für Fall B). Ziel des Fallvergleichs ist es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Tätigkeiten und Vorgehensweisen zweier Kleinteams anhand eines konkreten Beratungsfalls herauszustellen. Dabei sollen die jeweiligen Stärken und Schwächen der MBTs herausgearbeitet werden, um so zu allgemeingültigeren Aussagen zu der Leistungsfähigkeit des Ansatzes „Mobile Beratung“ zu gelangen. 44 Zu diesen Problemlagen und Gegebenheiten gehören insbesondere das Vorhandensein rechtsextremer Erscheinungen bei einer zunächst mangelnden Wahrnehmung dieser sowie defizitäre Strukturen in der Regelarbeit (z.B. im Jugendbereich) und ein zu Beginn des Beratungsprozesses geringes zivilgesellschaftliches Engagement. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 138 4.2 Beschreibung Fall A 4.2.1 Lokale Rahmenbedingungen und Anlass der Mobilen Beratung In der Kleinstadt A mit 6.000 Einwohnern ist nach Auskunft des MBTs eine Gruppe von rechtsextremen Jugendlichen zu verzeichnen, von denen einige einer Kameradschaft angehören sollen. Das Verhalten dieser vom MBT nicht weiter differenzierten Gruppe rechtsextremer Jugendlicher war Ende 2001 mit verantwortlich für die Schließung einer Jugendeinrichtung. Wie auch in anderen Regionen ist in A Stadt und ihrer Umgebung eine hohe Arbeitslosigkeit von ca. 27% zu verzeichnen. Viele der gerade besser qualifizierten Jugendlichen wandern wegen des Mangels an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen ab. In dem Ort ist eine größere Anzahl von Spätaussiedlern aus Russland, Kasachstan und anderen östlichen Ländern angesiedelt worden, die in einer Plattenbausiedlung abgeschottet leben und nach Auskunft des Bürgermeisters nicht ins soziale Leben der Stadt eingebunden sind. Nach Auskunft eines Beraters des zuständigen MBTs, der sich intensiv mit dem Fall befasst hat, ist der „soziale Sprengstoff“ groß, der zwischen der autochthonen Bevölkerung und den Spätaussiedlern besteht. In der dörflich strukturierten Kleinstadt war es auch zu öffentlichen Manifestationen und Demonstrationen von organisierten Rechtsextremen gekommen. Diese Demonstrationen wurden alljährlich an dem Todestag „eines Kameraden“ durchgeführt, der in einer gewalttätigen Auseinandersetzung von einem 15-jährigen Jugendlichen ausländischer Herkunft erstochen worden war. Vorausgegangen war, dass aus einer Gruppe von ca. 20 Skinheads auf einem Markt in der Kleinstadt die Eltern des Jugendlichen mit rassistischen Parolen angepöbelt wurden und die Warenauslage umgeworfen wurde. Daneben gab es in den letzten Jahren in der näheren Umgebung der Stadt Skinheadkonzerte, zudem waren auch massive Gewalttaten von zur rechtsextremen Clique gehörenden Jugendlichen zu verzeichnen. Im Spätherbst 2001 wurde das MBT von einer engagierten Pastorin im Vorfeld des ersten Trauermarsches für den getöteten rechtsextremen „Kameraden“ angesprochen. Um sich ein eigenes Bild von den Gegebenheiten vor Ort zu machen, nahm das MBT zunächst Kontakt zum Bürgermeister sowie zur Schulleitung einer Mittelschule auf. Nach Auskunft der beiden Berater/innen des MBT gab es in der Stadt erhebliche Kommunikationsprobleme zwischen wichtigen Akteuren. So zeichneten sich zwischen dem Bürgermeister, der auch schon zur DDR-Zeit dieses Amt inne hatte, und der Direktorin der Mittelschule, an der der Bürgermeister selbst einmal Lehrer gewesen war, sowie zwischen diesen beiden und der Pastorin kommunikative „Barrieren“ ab. Hinzu kommt, dass die Pastorin aus den alten Bundesländern kommt und engagiert ins soziale Leben der Stadt eingreift. Diese Art von sozialen „Befindlichkeiten“ und aus der Vergangenheit stammender Konflikte scheinen – wie die Auskünfte auch anderer MBTs belegen – für Beratungsprozesse in solch einem kleinstädtischen oder dörflichen Milieu typisch zu sein. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 139 4.2.2 Tätigkeiten des MBT A Nach den ersten Gesprächen zeichnete sich bald ab, dass die Jugendarbeit in der Stadt überdacht und ein Neuanfang gemacht werden musste.45 Die Pastorin hatte zu einer Neukonzeptionierung der Jugendarbeit zwei potenzielle Jugendhilfeträger, einen Landtagsabgeordneten, eine Vertreterin eines Wohlfahrtsverbandes und einen Sozialarbeiter aus einer anderen Stadt, der die rechtsextreme Szene in der Region gut kennen sollte sowie das MBT eingeladen. Das MBT warb von Anfang an dafür, dass die an einem neuen Konzept der Jugendarbeit interessierten Personen versuchen sollten, die Stadt mit „ins Boot“ zu holen. Dabei stellte sich die externe und neutrale Rolle des MBTs als positiv heraus. Die Berater/innen konnten zwischen den einzelnen Personen vermitteln und eine an der Sache orientierte Zusammenarbeit herstellen. Der Bürgermeister, der nach Auskunft des MBT in einem ersten Gespräch von „fehlerzogenen und fehlgeleiteten Jungs“ (b-MBT A, 183)46 sprach, war auch zu einem Neuanfang in der Jugendarbeit bereit und sagte seitens der Stadt Räumlichkeiten zu. Auch an der Entwicklung der Konzeption beteiligte sich das MBT mit hohem Engagement. Der Einbezug von Jugendlichen erfolgte nach Darstellung des MBT durch eine Art Zukunftswerkstatt und einer Stadterkundung, mit der die Jugendlichen die Freizeitmöglichkeiten und die Haltungen der Bevölkerung gegenüber den Jugendlichen und gegenüber einer neuen Jugendeinrichtung erheben sollten. Für diesen Workshop wurde vom Bürgermeister der Ratssaal kostenlos zur Verfügung gestellt. Zudem eröffnete er die Veranstaltung, zu der ca. 30 Jugendliche (überwiegend aus der Mittelschule) kamen. Eine Vielzahl von interessanten Vorschlägen zu einer attraktiven Jugendarbeit wurden auch anwesenden Stadträten vorgestellt. So sollte beispielsweise eine Bürgerversammlung durchgeführt werden, um mit den Bürgern über die Anliegen der Jugendlichen und insbesondere mit den Anwohnern über Vorbehalte gegen eine neue Jugendeinrichtung zu diskutieren. Um mit den Bürgern und vor allem den Anwohnern ins Gespräch zu kommen, luden die Jugendlichen zu einer Grillparty ein. Die im Rahmen der Erkundung und Zukunftswerkstatt entwickelten Ergebnisse wurden einer Konzeptionsgruppe übergeben. Aufgrund der oben geschilderten Befindlichkeiten übernahm das MBT als externer und neutraler Akteur die Moderation dieser Konzeptionsgruppe, an der alle Akteure teilnahmen, die beim ersten Treffen im Haus der Pastorin auch zugegen waren. Die Treffen fanden nicht wie bisher im Pfarrhaus statt, sondern wurden an einen „neutralen“ Ort, dem Rathaus, verlegt. Zu einer intensiveren Bearbeitung verschiedener Aspekte wurden drei Arbeitsgruppen gegründet: AG Trägerverbund, AG Rahmenbedingungen und AG Inhalt. Durch die intensive Unter- 45 In einer Zukunftswerkstatt mit Jugendlichen zum Thema „Wie will ich meine Freizeit in A-Stadt gestalten und was brauche/n ich/wir dazu?“ wurde sichtbar, dass es einen großen Mangel an attraktiven und bezahlbaren Angeboten für Jugendliche gab: kein Kino, keine Disko keine öffentlich zugängliche Sporthalle und kommerzielle Angebote, die zu teuer sind, sowie Angebote außerhalb der Stadt können von den nicht motorisierten Jugendlichen nicht genutzt werden. 46 Diese Einschätzung hat sich offenbar nicht geändert. So sind es für ihn „ungebildete dumme Jungs. Die wissen nicht, was sie tun. Sie wissen vom Nationalsozialismus verdammt wenig und wissen aber, dass das, was sie tun, verboten ist. Und das, was verboten ist, reizt hier die Jugendlichen besonders.“ (Interview mit dem Bürgermeister aus A-Stadt am 10.10.03, 109-112) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 140 stützung und Mitarbeit des MBTs konnte nach drei Monaten ein Konzeptionsentwurf für die Jugendarbeit vorgelegt werden. Zusammengefasst bestand die Hauptaufgabe des MBT A bis zu dieser Phase darin, die für die Jugendarbeit wichtigen Institutionen einerseits und die sich um dieses Problem engagierenden Akteure andererseits in eine transparente Kommunikation einzubinden. Dabei übernahm das MBT auch selbst viele der anstehenden Aufgaben. „Die haben uns im Prinzip geholfen (...) bei der Konzeptionserstellung für den Jugendclub ((Ort)). Bei Stellenbeschreibungen, bei dem ganzen Organisatorischen, aber natürlich auch inhaltlichen Aufbau. Also die waren richtig voll involviert. Also Sie wären normalerweise in unserem Dreier-Träger-Verbund eigentlich die Vierten.“ (c-MBT A Koop 3, 37-41) Trotz der immer wieder zum Vorschein kommenden Befindlichkeiten gelang eine an der Sache orientierte konstruktive Zusammenarbeit. Das MBT war nicht nur beratend, sondern auch gestaltend in einem intensiven Interaktionsprozess eingebunden. Ein Berater war zudem mehr und mehr in die Rolle eines immer zur Verfügung stehenden Ansprechpartners gerutscht. Dabei versuchten einzelne Akteure den Berater für sich zu vereinnahmen. „Das hängt alles an Befindlichkeiten. Und jedes mal nach so einer Sitzung, da kannst du darauf warten, kommt ((Name der Vertreter/in eines Trägers)) und sagt: ,Da hast du es wieder mal gesehen. Mit der Schule kann man doch nicht zusammenarbeiten.´ Und das ist, das sehe ich als ein riesen Problem. Und da habe ich auch immer mal Schwierigkeiten wirklich gehabt mit meiner Rolle.“ (b-MBT A F 2, 102-107)47 Auch die Konstruktion eines Trägerverbundes geht auf die Initiative des MBT A zurück. Trotz einer anfänglichen Zurückhaltung gelang es, selbst die Stadt mit einzubeziehen. So konnte ein Trägerverbund von zwei Trägern aus einer benachbarten Stadt unter Einschluss des Bürgermeisters gegründet werden. Von den beiden auswärtigen Trägern war bis dahin nur einer in der Jugendarbeit tätig. Der einzige Träger der Jugendarbeit im Nordteil des Landkreises, der die Trägerschaft der geschlossenen Einrichtung hatte, wurde nicht einbezogen, da es seitens der Stadt starke Vorbehalte wegen der Führung der ehemaligen Einrichtung gab (vgl. c-MBT Koop 3). Sowohl das MBT als auch einige befragte externe Akteure sehen aber die Verantwortung für die Schließung der Jugendeinrichtung nicht allein oder primär bei dem Träger, sondern machen auch die Stadt mit ihrem zu geringen Engagement dafür verantwortlich. „Ich hatte das Gefühl und das Gefühl bin ich auch heute noch nicht los, dass die Stadt ((Ort)) ihre Verantwortung für ihre Jugend eigentlich noch nicht erkannt hat. Im Prinzip würden sie die Verantwortung gern abgeben. Und wir haben gerade auch durch die Hilfe von ((Name der Beraterin)) und ((Name des Beraters)) dort auch erkannt beziehungsweise wir haben es schon alle richtig erkannt, dass wir gesagt haben: ,Wir können die nur mit ins Boot nehmen. Dass die halt ihre Verantwortung merken.´ Und das sind jetzt erste Schritte, dass sie das auch wirklich erkennen. Und da ist eben auch, dort sind auch vielfältige Gespräche durch die ((Name der Beraterin)) und den ((Name des Beraters)) mit dem Bürgermeister gewesen. Er hat sich 47 Durch Supervision konnte der Berater dieses - generell auch bei anderen Berater/innen - auftretende Problem von Nähe und Distanz und von moralischer und emotionaler Vereinnahmung für sich klären (b-MBT A F 2, 107f.). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 141 auch sehr oft an die beiden gewandt. Die haben dort einen wesentlichen Anteil dran, dass das jetzt erst mal wieder losgegangen ist.“ (c-MBT A Koop 3, 65-75)48 Auch konnte das zuständige Jugendamt einbezogen werden, wodurch dem Jugendhilfeplaner die Brisanz der Jugendarbeit und die Notwendigkeit der Finanzierung einer Fachkraft nach dem ortsüblichen Tarif (BAT Vc) vermittelt werden konnte.49 Entwicklung der Jugendeinrichtung und Rolle der zuständigen Träger und Mitarbeiter Im Februar 2003 konnten sowohl ein Sozialarbeiter als auch zwei ABM-Kräfte aus ganz anderen Berufsfeldern eingestellt werden. Die ABM-Kräfte hatten nur eine befristete Anstellung von sechs Monaten und neben urlaubsbedingten freien Tagen noch ein sechswöchiges Praktikum außerhalb der Einrichtung zu absolvieren. Die Stadt stellte Räume zur Verfügung, die aber einer intensiven Sanierung bedurften. Ortsansässige Firmen beteiligten sich sowohl materiell als auch durch die Übernahme von Sanierungsarbeiten an der Herrichtung der Räumlichkeiten. Dem Sozialarbeiter gelang es zudem, eine Gruppe Jugendlicher für die Gestaltung der neuen Einrichtung zu gewinnen. Die aktiv mitarbeitenden Jugendlichen entpuppten sich nach Darstellung des MBTs aber bald als Kern bzw. Mitläufer der rechtsextremen Clique. So wurden noch während der Bauphase das Tragen und Zeigen von rechtsextremen Symbolen sowie das Hören rechtsextremer Musik untersagt. Die Jugendlichen versuchten, diese Verbote zu unterlaufen, indem sie die Unkenntnis und Unsicherheiten der Mitarbeiter/innen ausnutzten und diese gegeneinander ausspielten. Das Bemühen des Sozialarbeiters, die aufgestellten Verbote konsequent durchzusetzen, führten zunächst dazu, dass einer der Jugendlichen in der Mittelschule eine Unterschriftensammlung zur Entlassung des Sozialarbeiters durchführte. Nach Auskunft des MBTs wurde diese Unterschriftensammlung von der Lehrerschaft nicht zu einer Auseinandersetzung genutzt, sondern es wurde abwiegelnd reagiert: „Ach der, aus dieser Ecke kommt das also.“ (internes Papier des MBT A). Zur offiziellen Eröffnungsfeier der Jugendeinrichtung im April 2003 kamen die Verantwortungsträger der Stadt und der zuständigen Einrichtungen des Landkreises wie der Dezernent für Jugend und Soziales des Kreises, der Jugendamtsleiter und der Jugendhilfeplaner, der Bürgermeister und einige Stadträte, die beiden anderen Vertreter/innen des Trägerverbundes sowie die Presse und Polizei. Selbst einige Anwohner/innen und viele Jugendliche der Stadt waren da. Trotzdem erlebten die beiden Berater/innen die Eröffnungsfeier als herben Rückschlag ihrer Beratungsbemühungen, denn die rechtsextreme Clique von etwa 20-25 Personen erschien im szenetypischen Outfit und setzte sich damit über alle Vereinbarungen hinweg. Nach der Darstellung der Berater/innen trugen die überwiegend männlichen Jugendlichen mit 48 Die Stadt stellte im Jahr 2003 insgesamt 5000 Euro an Sachmitteln für die Jugendeinrichtung, insbesondere für die Renovierung, bereit. Nach Auskunft des Bürgermeisters ist für 2004 mit weniger Mitteln zu rechnen. 49 Der zuständige Jugendhilfe- und Sozialplaner, der sich sehr positiv über die Arbeit des MBTs äußerte, stellte aber heraus, dass er erst dann angesprochen worden war, als es um die Finanzierung der Stelle für eine Fachkraft gegangen ist. So wünsche er sich für die Zukunft, dass er mehr und frühzeitiger in die Kommunikation einbezogen werde. Falls die beiden Berater/innen genügend Ressourcen hätten, würde er eine noch stärkere Präsenz vor Ort für gut erachten (vgl. c-MBT Koop 1). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 142 „kurzen Haarschnitt“ Polohemden mit Thorshammer, Skrewdriver und Bündchen in den Farben der Reichskriegsflagge sowie T-Shirts u.a. mit der Aufschrift „Europa-Tournee von 1939-1945“. Von dem größten Teil der Anwesenden wurde dies nach Darstellung der Berater/innen nicht bemerkt bzw. es wurde nicht darauf eingegangen. Die weitere Entwicklung kann hier nicht im Detail dargestellt werden. Die Geschichte lässt sich in aller Kürze folgendermaßen beschreiben. Wenige Tage nach der Einweihungsfeier hörten Jugendliche aus der rechtsextremen Clique bei dem ortsüblichen Flechten einer Maibaumgirlande indizierte rechtsextreme Musik bei gleichzeitig hohem Alkoholkonsum. Der Sozialarbeiter versuchte vergeblich, dies zu unterbinden. Das MBT riet ihm, den Bürgermeister einzuschalten, der den Jugendlichen nach Auskunft des MBTs auch erlaubt hatte, Alkohol zu trinken und für das später zu eröffnende Maibaumaufstellen zuständig war. Da dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen konnte, wurde die Polizei eingeschaltet, die einige indizierte CDs der Bands „Landser“ und „Skrewdriver“ beschlagnahmte. In der folgenden Zeit versuchte der Sozialarbeiter mit einer von ihm aufgestellten und nach Auskunft des MBTs mit vielen und rigiden Sanktionen drohenden Hausordnung, das Tragen auch von nicht gesetzlich verbotenen rechtsextremen Symbolen und anderer szenetypischer Äußerungsformen zu unterbinden. Einer der beiden Berater, der selbst über Erfahrungen in der Jugendarbeit verfügt, versuchte durch viele Hinweise und Vorschläge, ihn zu unterstützen. Das MBT führte etwa einen Monat nach Eröffnung der Jugendeinrichtung für alle Mitarbeiter/innen eine dreistündige Fortbildung durch. Nach Beurteilung des zur Verfügung stehenden Materials ging es dabei vor allem um eine Sensibilisierung der Wahrnehmung rechtsextremer Symbolik, einer Information über strafrechtlich verbotene Zeichen und darum, welche Interventionsstrategien (z.B. im Rahmen einer Hausordnung) möglich sind. Dieses Informationsgespräch hatte auch zum Ziel, ein nach außen einheitliches Auftreten der Mitarbeiter/innen zu befördern. Der rechtsextremen Clique gelang es aber immer mehr und dreister, sich gegen Verbote (insbesondere von Alkohol, aber auch von Symbolen) durchzusetzen und den Sozialarbeiter sowohl in seiner Funktion, als auch als Person mit Missachtung gegenüber zu treten. Dieser hatte zur Durchsetzung von Verboten mehrmals die Polizei eingeschaltet, die ihn nach seiner Auskunft und der des MBTs bei der Durchsetzung des Alkohohlverbots und anderer Verbote der Hausordnung nicht unterstützte.50 Jedenfalls wurde dadurch und durch sein – nach Auskunft der drei Träger und des MBTs – ungeschicktes Agieren seine Autorität völlig unterwandert (vgl. b-MBT A F 1, 244f.; c-MBT A Koop 2, 252-274). Der Sozialarbeiter wollte sich in einem Interview nicht näher zu seinem früheren Arbeitgeber äußern, dennoch scheint er nur Unterstützung insbesondere von einem Berater des MBTs bekommen zu haben (vgl. c-MBT A Koop 6). Eine gezielte Fortbildung des Sozialarbeiters und seiner Mitarbeiter/innen zum pädagogischen Umgang bzw. zur sozialen Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen oder eine konzeptionelle Umsteuerung erfolgte nicht mehr. Dies wäre aber gerade in dieser schwierigen Phase notwendig gewesen. Seitens des MBTs wurde dies mit der sich abzeichnenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Sozialarbeiters begründet, das noch im Juli 2003 beendet wurde (vgl. c-MBT A Koop 1; c-MBT A Koop 3). 50 Wenn die Jugendlichen keine strafbaren Handlungen begangen haben sollten - was hier nicht beurteilt werden kann –, dann hatten die Polizisten rechtlich auch keine Handhabe einzuschreiten. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 143 Danach schlug das MBT eine Pause zur Neuorientierung vor. Die negativen Erfahrungen sollten reflektiert werden und in eine überarbeitete Konzeption mit einfließen. Um nicht gleich wieder in eine neue Dynamik mit der problematischen Gruppe rechtsextremer Jugendlicher zu geraten, sollte über die Sommerferien die Einrichtung geschlossen und nur für Kinder und Jugendliche der 4. bis 7. Klasse ein Tagesangebot gemacht werden. Die Träger sahen sich aufgrund von Zwängen bei der Finanzierung (Einstellung der Förderung der ABM-Stellen und der Fachkraft) nicht in der Lage, einen bewussten Einschnitt zu machen. Am Tag der Entlassung des Sozialarbeiters wurde gleich eine neue Mitarbeiterin eingestellt, die gerade erst ihr Studium abgeschlossen und keine Berufserfahrung hat, außer dass sie bei einem Träger ein Praktikum in der Jugendarbeit absolviert hatte. Die Sozialarbeiterin wird allerdings aus persönlichen Gründen nur bis zum 31.12.2003 bleiben können. Des weiteren wurden wieder für ein halbes Jahr zwei neue ABM-Kräfte eingestellt. Fortbildung der Mitarbeiter/innen durch das MBT Das MBT führte mit allen drei neuen Mitarbeiter/innen im September 2003 eine etwa zweistündige Fortbildung zu Erscheinungsformen von Rechtsextremismus in der Region sowie zu rechtsextremen Symbolen, Musik und szenetypischer Kleidung durch. Neben einer Erörterung von Handlungsmöglichkeiten zum Umgang mit Jugendlichen, die strafrechtlich verbotene oder über eine Hausordnung möglicherweise zu verbietene Symbole tragen, wurde vom MBT mit den Mitarbeiter/innen zudem noch über die weitere Konzeption der Jugendeinrichtung und das Problem gesprochen, wie die anvisierten Jugendlichen zu erreichen seien. Von den Mitarbeiter/innen der Jugendeinrichtung wurde betont, zunächst die eher „unproblematischen“ Jugendlichen ansprechen zu wollen, die überwiegend in der Mittelschule anzutreffen wären. Neben den rechtsextremen „Mitläufern“ waren zu diesem Zeitpunkt auch die jugendlichen Spätaussiedler keine Zielgruppe, die einbezogen werden sollte. Die Mitarbeiter/innen der Jugendeinrichtung wollten diese als „schwierig“ eingestufte Gruppe erst ansprechen, wenn die Einrichtung wieder ein positives Image habe.51 Allerdings blieb völlig offen, wie die anvisierten Zielgruppen konkret erreicht werden sollten und wie es langfristig möglich wäre, zu verhindern, dass die Jugendeinrichtung wieder aus dem „Ruder laufen“ könnte. Da seitens der Mitarbeiter/innen der Bedarf an Fortbildung und Information fürs erste abgedeckt schien, schlug die Sozialarbeiterin vor, sich wieder an das MBT zu wenden, wenn sie mit den in der Fortbildung dargestellten rechtsextremen Erscheinungen (wie Musik und Symbole) direkt konfrontiert würde, um dann das weitere Vorgehen zu klären. Das MBT machte sowohl das Angebot, mit Informationsmaterial und für Nachfragen zu rechtsextremen Erscheinungen als auch für eine Konkretisierung der Konzeption zur Verfügung zu stehen. 51 Bei der Fortbildung - bei der auch die wissenschaftliche Begleitforschung zugegen war - begründeten die Mitarbeiter/innen den vorerst nicht gezielt geplanten Einbezug der Spätaussiedler-Jugendlichen damit, dass sie aus eigener Erfahrung einige derselben als unfreundlich und unhöflich erlebt hätten und diese Jugendlichen „schwierig seien“ und dass sie schwer einen Zugang zu ihnen fänden. Von einem Berater des MBT wurde versucht, diese Haltung gegenüber den Spätaussiedlern zu hinterfragen und einen Einblick in deren Lebenssituation zu geben, um den zum Ausdruck kommenden Vorurteilen etwas entgegen zu setzen. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 144 Gegenwärtiger Stand der Jugendeinrichtung Über die weitere konzeptionelle Ausrichtung herrscht bei den Trägern weiterhin Unsicherheit. Die Träger und die Mitarbeiter/innen der Jugendeinrichtung wollen vor allem jüngere Jugendliche der Mittelschule ansprechen. Das von den drei Mitarbeiter/innen vorgeschlagene Angebot zielt von Inhalt und Form auf die Gruppe der nicht auffälligen und eher „braven“ Jugendlichen. So wird in einem in der Schule ausgelegten Flyer ein Herbstferienangebot unterbreitet, das für eine Woche folgende Angebote vorsieht. Montag: Halloweenkürbisse aushöhlen, Tischtennisturnier/Volleyballturnier (je nach Wetter); Dienstag: Kegeln mit Preisen, Kreativangebot „Tassengestalten“ (zum Mitnehmen!); Mittwoch: Ulksportfest, Kreativangebot „Gestalten Pinnwand“ (für zu Hause!); Badevergnügen ((in einem Spaßbad einer benachbarten Stadt)), Videonachmittag; Freitag: Große Halloween-Abschlussparty mit Kostüm, Schminken, Schatzsuche und Abschlussfoto (zum Mitnehmen). Dafür und inklusive eines täglichen Mittagessens ist ein Unkostenbeitrag von 25 Euro zu entrichten, wobei nach einer Intervention eines Trägers auch einzelne Angebote wahrgenommen werden können. Bei der Befragung aller Träger und auch der Berater/innen des MBTs wird dieser Betrag als wesentlich zu hoch und unangemessen angesehen (vgl. c-MBT A Koop 2; c-MBT A Koop 3). Dennoch wurde das Angebot so aufrecht erhalten. Nach Auskunft eines Beraters des MBT fand das Ferienangebot jedoch bei den Jugendlichen der Stadt keine Resonanz. Von den Vertreter/innen der drei Träger werden – im Unterschied zu den drei Mitarbeiter/innen – die „Mitläufer“ als eine sehr wichtige Zielgruppe gesehen. Die rechtsextrem auffälligen und als „Drahtzieher“ agierenden Jugendlichen sollen – so ein Träger und auch ein Berater des MBTs – durch persönliche Hausverbote aus der Einrichtung herausgehalten werden, um so mit den „Mitläufern“ pädagogisch arbeiten zu können (vgl. b-MBT F 2; c-MBT A Koop 2). Allerdings bleibt in den Interviews mit den Trägern offen, mit welchen Angeboten und mit welchen Methoden die „Mitläufer“ erreicht werden sollen (vgl. b-MBT A F 1245252). Die Arbeit mit dieser Problemgruppe ist auch dem zuständigen Jugendhilfeplaner ein wichtiges Anliegen, da er rechtfertigen muss, weshalb er bei knappen Mitteln diese Einrichtung mit einer Fachkraft fördert und andere Einrichtungen nicht (vgl. c-MBT Koop 1).52 Zu Ende des Erhebungszeitraums (Mitte Oktober 2003) regte das MBT eine weitere Überarbeitung des Konzepts insbesondere im Hinblick auf die Erreichung von Zielgruppen an und sagte den Trägern dazu ihre Unterstützung zu. Des weiteren wurde vom MBT in einer einstündigen Fortbildungs- und Informationsveranstaltung bei der Verwaltung von A-Stadt über 52 In dem für A-Stadt zuständigen Landkreis stehen dem Jugendhilfe- und Sozialplaner von den ca. sechs Millionen Euro für die Jugendhilfe nur 200.000 Euro für die freie Vergabe von Projekten in der Jugendarbeit zur Verfügung. Etwa drei Millionen Euro sind alleine schon für stationäre Hilfen zur Erziehung gebunden. Dabei ist mit weiteren Kürzungen schon aufgrund des hohen Rückgangs der Bevölkerungszahlen zu rechnen (Auskunft des zuständigen Jugendhilfe- und Sozialplaners vom 3.11.03). Grundlage für die Jugendhilfeplanung des Landkreises, der für A-Stadt zuständig ist, ist eine sehr detaillierte Zusammenstellung der Sozialstruktur. Danach lebten 2002 in A-Stadt 148 Kinder zwischen 12 und 14 Jahren, 570 Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren sowie 381 junge Erwachsene zwischen 21 und 27 Jahren. Die Altersgruppe von 7 - 25 Jahren umfasste 1.199 Kinder und Jugendliche, darunter sind 91 aus Spätaussiedlerfamilien, damit liegt ihr Anteil an dieser Altersgruppe bei knapp 8 % (vgl. Statistisches Material der Stadtverwaltung A-Stadt). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 145 rechtsextreme Erscheinungen in der Region und Interventionsmöglichkeiten der Verwaltung auch über die Jugendeinrichtung informiert und an die Verantwortung der Stadt für ihre Jugendlichen appelliert. 4.2.3 Auswertung Fall A Die hier dargestellte Gemengelage ist – nach Auskunft auch anderer MBTs – in ländlichstrukturierten Regionen kein Ausnahmefall. Mit wenig finanziellen Mitteln soll in der Regel mit für diesen schwierigen Arbeitsbereich unerfahrenem Personal, das zumeist für die soziale Arbeit mit dieser Problemgruppe nicht qualifiziert ist, eine demokratisch-orientierte Jugendarbeit in einem Umfeld etabliert werden, das – wie in diesem Fall – von einer rechtsextremen Subkultur geprägt ist. Vor diesem Hintergrund muss die Arbeit der MBTs gesehen und daran die von Programm, Politik und Öffentlichkeit nicht selten auch überzogenen Erwartungen gemessen werden. Vorgehen und Rolle des MBTs Dennoch lassen sich unabhängig von den Rahmenbedingen auch bei anderen MBTs sowohl Überdehnungen ihrer Konzepte einerseits und Lücken und Schwachstellen in ihrer konkreten Arbeitspraxis andererseits feststellen. So wird in einer selbstkritischen Einschätzung des hier näher untersuchten MBTs darauf verwiesen, dass es versäumt wurde, die Verantwortung für einen Neuanfang der Jugendarbeit „auf mehreren Schultern“ zu verteilen (vgl. b-MBT A F 1; b-MBT A F 2). Auch macht das Lehrerkollegium bei einer Fortbildung von sich aus darauf aufmerksam, dass die Vereine der Stadt ein wichtiger Ansprechpartner seien, um die Jugendlichen zu erreichen und über die Erwachsenen einen positiven Einfluss auf diese ausüben zu können. Das MBT selbst hat die Vereine in diesem intensiven und etwa ein dreieinviertel Jahre dauernden Beratungsfall nicht angesprochen, sondern darauf gebaut, dass diese Aufgabe der Sozialarbeiter der Jugendeinrichtung wahrnehme, was dieser trotz vieler Anregungen nach Auskunft des MBTs nicht tat. Auch ist ein Berater des MBTs skeptisch, dass die neue Sozialarbeiterin einen bis in die Vereine und städtischen Einrichtungen hineinreichenden gemeinwesenorientierten Ansatz verfolgt; zudem sie nach seiner Einschätzung das Problem mit der rechtsextremen Clique nicht im notwendigen Maße wahrnehme. Gegenüber der wissenschaftlichen Begleitforschung führte die Sozialarbeiterin an, dass sie zwar über keine Erfahrungen im Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen verfüge, sie habe aber im Rahmen des Praktikums an Jugendfreizeitmaßnahmen teilgenommen. Fraglich ist allerdings, ob jemand ohne Berufserfahrung und besondere Qualifikation im Bereich sozialer Arbeit mit schwierigen Jugendlichen für diese Stelle geeignet sein kann. Der mangelnden Verankerung der Jugendarbeit generell und insbesondere der Jugendeinrichtung im städtischen Leben soll auch dadurch begegnet werden, dass eine engere Verzahnung zwischen Schule und der Jugendeinrichtung entwickelt werden soll. So ist die Direktorin der Schule unter starker Mithilfe eines Beraters des MBTs bemüht, zwei Stellen für Schulsozialarbeiter/innen an der Schule zu schaffen, wodurch eine gezielte und verlässliche Kooperation zwischen Schule und Jugendeinrichtung und eine Vernetzung von schulischer und außerschulischer Arbeit ermöglicht werden soll. Dadurch – so die Hoffnung – könnte es gelingen, einen Teil der Schüler der Mittelschule an die Jugendeinrichtung zu binden und ein demokratisches und weltoffenes Klima in der Jugendeinrichtung zu etablieren. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 146 Die von dem anderen Berater des MBTs geäußerte Hoffnung, dass die Stadt oder die engagierten Akteure jetzt ein lokales Handlungskonzept entwickeln sollten oder müssten, ist nach Beurteilung der vorliegenden Daten als unrealistisch einzuschätzen. Es stellt sich vielmehr die Frage, wieso dies nicht vom MBT A gezielter in Angriff genommen wurde, auch weil dieser Beratungsfall vom MBT als eine Art „good practice“ dargestellt wird. Zwar hat sich um die Auseinandersetzung mit der Jugendarbeit und den rechtsextremen Erscheinungen in A-Stadt eine Zusammenarbeit von einigen Akteuren entwickelt, diese scheint aber noch sehr punktuell und stark von bilateralen Kommunikationswegen und insbesondere vom Input des MBTs abhängig zu sein. Zudem besteht die Gefahr, dass bei einem Rückzug des MBTs in dieser Phase des erneuten Neuanfangs einer der Träger sich bei nächst bester Gelegenheit aus der Verantwortung zieht. Es scheint so, dass in diesem Beratungsprozess vieles durch das MBT in Gang gekommen ist, dass aber die Beteiligten von sich aus und insbesondere die Stadt noch nicht im hinreichenden Maße ihre eigene Verantwortung wahrnehmen und steuernd und gestaltend auf die Entwicklung der Jugendeinrichtung Einfluss nehmen. Bei den Interviews drängt sich zudem der Eindruck auf, dass sich die Träger einerseits bisher zu sehr auf das MBT verlassen und andererseits die Trägerschaft der Jugendeinrichtung nicht zu ihren vordringlichsten Aufgaben rechnen. Ein Träger hatte auch eine stärkere inhaltliche Unterstützung zugesagt (z.B. durch Fortbildung und inhaltliche Begleitung), was nach Auskunft des MBTs nicht im gewünschten bzw. zugesagten Umfang realisiert werden konnte. So hat das MBT bzw. ein Berater sich intensiv in die praktische Implementierung der Jugendeinrichtung eingebracht, damit das Projekt nicht auf halber Strecke hängen blieb. Ob es zu den Vorgehensweisen des MBT A keine Alternativen gab, kann hier nicht geklärt werden. Als ein Resultat kann festgehalten werden, dass ein auf Befähigung zur Eigenaktivierung fußendes Beratungskonzept ein gewisses Maß an Sensibilisierung und Bereitschaft zur aktiven Auseinandersetzung voraussetzt, was in A-Stadt im Vergleich zum unten dargestellten Fall in B-Stadt als sehr begrenzt einzustufen ist. Damit der Neuanfang in der Jugendarbeit in A-Stadt kein vorübergehendes Strohfeuer war, sollte das MBT seine Beratungsarbeit jetzt einerseits auf die Kommune ausdehnen und andererseits vorübergehend intensiver auf die Jugendeinrichtung ausrichten. Dabei ist zunächst zu klären, welche Ressourcen dem MBT zur Verfügung stehen und welche Potenziale seitens der Kommune und der interessierten Akteure eingebracht werden könnten. Insbesondere mit den Trägern wären klare Vereinbarungen zu treffen, welche Rolle und Aufgaben das MBT übernimmt. Ein (vorübergehend) intensiverer Einstieg in die Beratung heißt nicht – wie es bisher der Fall gewesen zu sein scheint –, dass die Akteure vor Ort sich dann nach dem Motto zurücklehnen können, „das MBT macht das schon.“ Ein Berater hat vorgeschlagen, in die Begleitung der Jugendeinrichtung selbst stärker einzusteigen und für eine gewisse Zeit eine Art coaching der Mitarbeiter/innen zu übernehmen. Dies könnte für eine begrenzte Zeit eine Möglichkeit sein, eine intensivere Auseinandersetzung der Träger untereinander und mit den Mitarbeiter/innen über die Zielsetzung der Jugendeinrichtung direkt an der konkreten Arbeit zu initiieren. Allerdings bedeutete dies vorübergehend ein Ausstieg aus der Beraterrolle bzw. deren grundlegende Modifikation. Ob eine intensive „Einzel bzw. Organisationsberatung“ der Jugendeinrichtung vorübergehend angemessen ist, sollte meines Erachtens nach pragmatischen und operativen Gesichtspunkten entschieden werden. Neben der Klärung, welche Ressourcen zur CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 147 Verfügung stehen, wäre abzuschätzen, ob durch eine solche „Krisenintervention“ die Einrichtung und die dafür verantwortlichen Träger sowie die Mitarbeiter/innen in die Lage versetzt werden können, dauerhaft ein attraktives Angebot für die Jugendlichen zu machen und dies professionell unter Anwendung von Mindeststandards der Jugendsozialarbeit umzusetzen. Allerdings kann das MBT nicht all das kompensieren, was Aufgabe der Träger, der zuständigen Jugendverwaltung, der städtischen Verwaltung ist und/oder der zivilgesellschaftlichen Unterstützung der Bevölkerung bedarf. Verlässlichkeit und Kontinuität An diesem Fall wird weiter sichtbar, wie wichtig einerseits die Präsenz der Berater/innen vor Ort und andererseits verlässliche Ansprechpartner am Ort sind. Die MBTs können Impulse geben und Kompetenzen freisetzen, sie benötigen aber zur Umsetzung von gemeinsam entwickelten Konzepten Andockstellen, die eine Art Multiplikatorenfunktion übernehmen. Im Idealfall könnte die Fachkraft der Jugendeinrichtung solch eine Funktion übernehmen und das vom MBT angeregte Netzwerk für sich nutzen und sukzessive ausweiten. Dies setzt aber eine beiderseits auf Dauer ausgerichtete Zusammenarbeit voraus. Seitens der Jugendeinrichtung ist dies durch den erneuten Personalwechsel zum Ende des Jahres erst einmal nicht gegeben. Ebenso ist die Weiterexistenz des MBTs wegen der ungeklärten Fortführung der Förderung noch offen. Wenn dieses „Pflänzchen“ zivilgesellschaftlicher Betätigung aber weiter wachsen und nicht eingehen soll, dann würde bei Weiterbestehen des MBTs die Entwicklung und insbesondere Umsetzung eines lokalen Handlungskonzepts meines Erachtens auf der Tagesordnung stehen. Dabei wäre auch zu überlegen, ob nicht von der Programmebene aus in Absprache mit dem MBT gezielt einige begleitende Projekte gefördert werden könnten, die zu einer Verzahnung bestehender Ansätze führen und eine Stabilisierung des bisher Erreichten bewirken könnten. Kritische Anmerkungen zum Vorgehen des MBTs Der vorliegende Fall macht aber auch deutlich, dass das MBT sich hier anscheinend davor scheut, sich ohne Vorbehalte damit auseinander zu setzen, ob in diesem oder anderen Fällen nicht auch eine gezielte soziale Arbeit bzw. Beziehungsarbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen angebracht bzw. unausweichlich ist, da die Jugendlichen nun mal in der Einrichtung sind und mit ihnen – wenn auch möglicherweise nicht gezielt – „gearbeitet“ wird. Jedenfalls geht aus dem vorliegenden Material nicht hervor, dass die Mitarbeiter/innen der Jugendeinrichtung eine Fortbildung zur sozialpädagogischen Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen erhalten haben. In diesem Punkt zeichnen sich auch Unterschiede in den Auffassungen zwischen den beiden Beratern ab. Der sehr in den Fall eingebundene Berater steht dieser Frage offener gegenüber als sein Kollege. Auch in anderen Interviews kann ein Ausweichen vor einer konkreten Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit und Angemessenheit eines auf sozialer Beziehungsarbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen fußenden Ansatzes beobachtet werden (vgl. b-MBT 6). Dabei wird der mit einem negativen Etikett behaftete Ansatz der akzeptierenden Sozialarbeit als Beispiel des Scheiterns von sozialer Arbeit mit rechtsextrem eingestellten Jugendlichen angeführt. Dies ist allerdings nicht bei allen MBTs der Fall, wie das zweite Fallbeispiel zeigen wird. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 148 Es stellt sich hier auch die Frage, ob es in dieser entscheidenden Phase nach der Eröffnung der Einrichtung nicht auch eine Aufgabe des MBTs gewesen wäre, insbesondere die Träger, aber auch Mitarbeiter/innen zu einer intensiven Auseinandersetzung zu den sich abzeichnenden Entwicklungen zu animieren und dazu auch selbst vor Ort präsent zu sein. Eine dreistündige Information zu rechtsextremer Symbolik und möglichen Interventionsstrategien scheint dafür kaum ausreichend zu sein. Diese Distanzierung von bestimmten Ansätzen (insbesondere der sozialen bzw. der „akzeptierenden“ Arbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen) geht nicht selten auch der konkreten Beantwortung der Frage aus dem Weg, was denn diejenigen tun sollen, die mit solchen Jugendlichen arbeiten müssen bzw. die als Sozialarbeiter/innen oder Lehrer/innen – wie in einer Fortbildung eines Lehrerkollegiums zu beobachten war – in solch schwierigen Gemengelagen um Rat suchen. Diese auch für die MBTs schwierig oder kaum zu lösenden Fragen werden – wie auch im vorliegenden Fall – zum Teil durch eine sehr idealistische und voluntaristische Auffassung von den Möglichkeiten des zivilgesellschaftlichen Ansatzes zu umgehen versucht. In einem Interview wurde sichtbar, dass ein Berater in vielen Situationen den starken Wunsch hegt, dass die verantwortlichen Entscheidungsträger und Mitarbeiter/innen von Verwaltungen sich positionieren sollten oder gar müssten. Die Forderung nach mehr Zivilcourage von Bürger/innen ist nur zu begrüßen, aber dies kann nicht vorausgesetzt oder (moralisch) erzwungen werden.53 Im Rahmen einer etwa einstündigen Fortbildungs- und Informationsveranstaltung der Verwaltung von A-Stadt wurde der Vorschlag zur Diskussion gestellt, ob es nicht angebracht und wünschenswert wäre, dass die Verwaltungsangestellten Antragsteller von beispielsweise Wohngeld, die mit einer szenetypischen Kleidung und entsprechenden Symbolen erscheinen würden, diese darauf ansprechen sollten. Dabei ging es auch um solche Symbole, die zwar nicht strafrechtlich verboten sind, aber bei genauer Kenntnis als Abänderungen bzw. Synonyme rechtsextremer Symbolik einzuordnen sind. „Unsere Position war die, zu sagen, zu raten, den Jugendlichen direkt auf dies T-Shirt anzusprechen, deutlich zu machen, dass ich das im Blick habe, dass ich das erkenne. Dass ich es entschlüsseln kann. Und dass ich es auch nicht wertschätzen kann, sondern im Gegenteil, dass ich das ein Stück weit verurteile. Und sage, ich finde das nicht gut. Und warum machst du das? Also ins Gespräch darüber, sehr sachlich, sehr ruhig, darüber erst mal einbeziehe. Und dann zu sagen auch: ‚Ich würde mir wünschen, du kommst das nächste Mal oder Sie kommen das nächste Mal hier in mein Amtszimmer zu dieser Antragsgeschichte mit einem anderen TShirt.’“ (b-MBT A F 1, 638-646) „Die Stadt ((A)) hat 5000 Einwohner. Ich gehe davon aus, wir gehen davon aus, wenn man ein bisschen ein Auge dafür hat und sich da irgendwie (…). Die Leute kennen ihre Pappenheimer. Und wer da an irgendwelchen Aktionen beteiligt ist und wer mit wem rumhängt. Das akzeptiere ich mittlerweile nicht mehr.“ (b-MBT A F 1, 688-691) „Die (Stadtverwaltung; der Autor) ist eine Institution. Aber die, in dem Sinne, wie soll man sagen, als eine Stadtverwaltung und vor dem Hintergrund auch einer gewissen Verantwortung 53 Dies gilt für die Zivilgesellschaft insgesamt. „Zivilgesellschaft lässt sich weder dekretieren noch einfach erfinden. Sie ist historisch voraussetzungsvoll. Sie ist immer auch ein Produkt der Geschichte. Man kann sie behindern, man kann sie befördern, dekretieren und machen lässt sie sich nicht.“ (Kocka, 2003: 36) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 149 und demokratisch legitimiert, auch, was ich mir wünsche, ein Stück weit ihre persönliche… Ich würde es auch nicht als persönliche Ebene reinbringen! Sondern zu sagen: Hier ist ein Haus. Das ist die Stadtverwaltung. Die hat ein gewisses Hausrecht. Hier gelten bestimmte, wie soll man sagen, Regeln, Normen, Verständnisse, demokratische Normen, Werte usw.“ (bMBT A F 1, 698-703) Auf die Anmerkung hin, dass die Verwaltung nach rechtsstaatlichen Prinzipien und Gesetz alle Bürger/innen unabhängig von ihrer Gesinnung gleich behandeln müsse, wurde der Vorschlag von dem Berater dahingehend gewendet, dass dieses Einschreiten wünschenswert, aber nicht als institutionelles Handeln verordnet werden könne. „Nein, ist für mich eine Diskussion. Sage ich, würde ich auch jedem so raten. Sagen: ‚Der Mann hat recht. Es ist nichts Strafbares. Er ist 18 Jahre alt.’ Aber ich würde mir schon wünschen, und was zu wenig gemacht wird, dass einfach die konfrontiert werden mit einer anderen Wertschätzung. Dass sie konfrontiert werden mit ihrem Äußeren. Das, was sie zur Schau tragen. Das, was sie vielleicht auch innerlich durch das Äußere zur Schau tragen und was sie auch innerlich mittlerweile ein Stück weit denken und fühlen. Und damit müssen sie konfrontiert werden. Und diesen Konfrontations- oder diesen Ansprechkurs, der wird zu wenig gefahren. Und irgendwo müssen wir ihn anbringen in einer Kommune. Wenn man überlegt, dass die traditionell das Maibaumsetzen machen. Die ganze Akzeptanz. Da muss ich vor diesem Hintergrund natürlich Leute ermutigen und sagen: Wenn ihr ein Problem hier lösen wollt, dann auf den verschiedenen Wegen. Dann auch dadurch, dass ich das T-Shirt auch bei einem 18Jährigen einfach mal so anspreche und sage: Ich finde das einfach nicht gut. Punktum.“ (bMBT A F 1, 657-668) Es wäre zu diskutieren, ob Jugendliche, die aus Provokation oder auch Überzeugung nicht goutierbare Zeichen und Äußerungen zur Schau stellen, durch solche punktuellen Reaktionen sich nicht eher bestätigt fühlen und die Macht ihrer provokanten Rolle spüren. So sieht der Kollege des oben zitierten Beraters in solchen Formen „sozialer Kontrolle“ eher ein ambivalentes Mittel. Einerseits kann so auf informellem Wege auf bestimmte ablehnungswürdige Verhaltensweisen hingewiesen werden, andererseits kann sich die Kontrolle gegen alle möglichen Abweichungen richten und gerade für ein jugendliches Provokationsverhalten, das nicht unbedingt ideologisch und politisch motiviert sein muss, unangemessen sein. „Das Wort ,soziale Kontrolle´ oder was ich eben darunter verstehe, hat für mich zwei Seiten. Es hat einfach diese positive Seite, dass du eben auch mal zum Großvater oder zur Großmutter hingehen kannst, oder dass man einfach in einem ganz normalen Verbund wohnt, sich gegenseitig kennt und dann eben sagen kann, was dein Enkel macht, ist nicht okay oder guckt ihr da mal mit drauf oder so was. Das ist sicher eine positive Geschichte. Aber dass man auch aus bestimmten Rollen gar nicht heraus kann, durch diese soziale Kontrolle, dass man eben weiß, wie einer früher war, und dass sie dir das zum Teil in Sitzungen ja auch vorhalten. Das hat für mich zwei Seiten. Also, es engt Jugend, meines Erachtens, auch sehr ein. Einfach in dem, was sie an Freiheiten haben und was sie leben können.“ (b-MBT A F 2, 349-359) Die auch von einem Teil der Berater/innen anderer MBTs befürworteten repressiven und auf Verbote setzenden „Bekämpfungsstrategien“ wurden auch in einer Fortbildung an der Schule und dem anschließenden Interview deutlich. So wird von einem Berater des Teams – wie auch anderen Berater/innen – sehr stark auf eine Ausweitung der Strafbarkeit von Propagandadelikten orientiert. Der damit zustande kommende Teufelskreis, dass mit immer neuen Verboten den Abänderungen der Symbole „hinterhergelaufen“ werden muss, wird zwar gesehen, aber als eine notwendige und unverzichtbare Maßnahme befürwortet. „Die wenigsten dieser Sachen sind verboten. Und ich sage immer: Natürlich sehe ich diese Konsequenz oder die Gefahr, dass man sich andere Symboliken sucht. Aber da müssen wir uns CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 150 dann einfach weiter kundig machen. Und wenn wir den politischen oder sonstigen Willen auch haben, die Leute damit zu konfrontieren und zu sagen: ‚Ich erkenne das.’ Dann müssen wir uns kundig machen und sagen: ‚Ich finde es einfach nicht gut. Ich akzeptiere es auch nicht und ich will es auch nicht akzeptieren.’ Ich würde mir wünschen hier oder ich setze es auch per Hausordnung an der Schule um, dass ein neutrales T-Shirt getragen wird. Unifarben oder wie auch immer. Oder ein Pulli getragen wird ohne Zahlenkombination. Ohne Symboliken, die nicht verboten sind.“ (b-MBT A F 1, 755-763) Es stellt sich hier die Frage, ob dies ein praktikables und auch wünschenswertes Instrument ist, freien Bürger/innen eine Art Kleiderordnung vorzuschreiben. Nicht nur, dass dies mit den Prinzipien einer offenen Gesellschaft und den Werteorientierungen einer Zivilgesellschaft, die auf Mündigkeit und Diskursfähigkeit sowie die Meinungsfreiheit der Bürger/innen setzt, schwierig zu vereinbaren ist, sondern es könnte doch geradezu die Jugendlichen herausfordern, sich neue Provokationen einfallen zu lassen. Zudem wäre zu prüfen, ob die Fixierung auf das „Aufspüren“, „Erkennen“ und „Sanktionieren“ des Tragens von nicht goutierbaren Symbolen und Äußerungsformen diese nicht sogar aufwertet. Solche Formen der Auseinandersetzung sind immer auf den spezifischen Einzelfall hin auch in ihren Folgen zu hinterfragen. Die hier zum Vorschein kommende starke moralische und emotionale Umgangsweise mit dem Rechtsextremismus mag vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte immer mitschwingen, ob sie im Sinne einer positiven und demokratisch-orientierten Veränderung wirkt, ist aber eine andere Frage, deren Beantwortung den Rahmen der Begleitforschung zum jetzigen Zeitpunkt sprengen würde. 4.3 Beschreibung Fall B 4.3.1 Lokale Rahmenbedingungen und Anlass der Mobilen Beratung Ausgangspunkt der Beratungstätigkeit von MBT B war eine Problemanzeige einer Schulsozialarbeiterin. Diese hatte ein Weiterbildungsangebot des MBTs wahrgenommen und die Berater um Unterstützung gebeten. An ihrer Schule waren ihr rechtsextrem-orientierte Schüler aufgefallen, die sich nicht nur durch ihr äußeres Erscheinungsbild als solche zu erkennen gaben, sondern andere Schüler und auch Lehrer tyrannisierten. Außerdem brachten sie auch Propagandamaterial mit in die Schule. Dort reagierte nach Auskunft der Schulsozialarbeiterin und des MBTs anscheinend keiner auf deutlich sichtbare Schmierereien mit rechtsextremer Symbolik. Die Schulsozialarbeiterin ist (wie fast alle Schulsozialarbeiter/innen im Landkreis) an zwei Schulen in einer Kleinstadt mit 6.000 Einwohnern tätig. Auch hier handelt es sich um eine ländlich-agrarisch geprägte Region. Aufgrund der Nähe zu den alten Bundesländern ist in BStadt die Arbeitslosigkeit mit ca. 13% nicht ganz so hoch wie in A-Stadt, dennoch wandern viele Jugendliche mit guten Schulabschlüssen in die alten Bundesländer ab. Das Angebot an Ausbildungsplätzen, insbesondere für wenig qualifizierte Jugendliche, ist unzureichend und wird in der Regel durch überbetriebliche Ausbildungseinrichtungen abgedeckt. Das gesellschaftliche Leben spielt sich nach Darstellung des MBTs in Vereinen, Sportklubs und in den umliegenden Dörfern vor allem in den freiwilligen Feuerwehren ab. Gewerkschaften, Parteien und Kirchen nehmen hingegen eine eher untergeordnete Rolle ein. Für die Jugendlichen gibt es neben einigen kommerziellen Angeboten, wie Bowlingcenter und Diskothek, kaum CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 151 attraktive Freizeitangebote. Nach Auskunft des MBTs gab es zu dem Zeitpunkt der Problemanzeige einige engagierte Akteure, die aber unkoordiniert nebeneinander herarbeiteten. Die Grundstimmung sei eine weitverbreitete Skepsis gegenüber den Institutionen und Akteuren des politischen Systems. Der Umgang mit rechtsextremen Erscheinungen wird als ratlos charakterisiert (vgl. b-MBT B F 1). Zum Verständnis des Falls ist es wichtig zu wissen, dass sich die folgende Beschreibung sowohl in Hinsicht auf die Problemlage rechtsextremer Erscheinungen als auch in Bezug auf die zivilgesellschaftlichen Interventionen auf eine größere Region bezieht, in der B-Stadt eine Art kleinstädtisches Zentrum ist, das mit den umliegenden Gemeinden demnächst auch verwaltungsmäßig zusammengeführt wird. So soll ab dem 1.1.2004 die Stadt mit den umliegenden Gemeinden, aus denen ein Großteil der Schüler/innen in B-Stadt kommen, zu einer Verwaltungseinheit fusionieren. Neben der ersten Haupt- und Realschule, an der zuerst die rechtsextremen Erscheinungen entdeckt wurden, gibt es in der Stadt noch eine weitere zweite Realschule, ein Gymnasium und eine Förderschule, an der auch eine Schulsozialarbeiterin mit einer halben Stelle beschäftigt ist. Während sich mittlerweile ein Lehrer aus der Förderschule auch zusammen mit der Schulsozialarbeiterin gegen Rechtsextremismus engagiert, wird das Problem am Gymnasium nach Auskunft der Schulsozialarbeiterin und des MBT „bagatellisiert“. Durch eine Schulauflösung in einem Nachbarort, in dem NPD-nahe Funktionäre sich schon Anfang der 90er Jahre niedergelassen hatten, kam zum Schuljahr 2001 eine rechtsextreme Clique und deren „Anführer“ in die achte Klasse der Hauptschule. Neben strafbaren Propagandadelikten wie Zeigen des Hitlergrusses oder Singen des Deutschlandliedes mit allen Strophen im Unterricht gingen sie auch gewaltsam gegen Mitschüler und eine Lehrerin vor. Nach Auskunft der Schulsozialarbeiterin wurde die aus England stammende Englischlehrerin von mehreren Jugendlichen festgehalten und ein Schüler versuchte, ihr mit einem Eddingstift ein Hakenkreuz auf die Stirn zu malen.54 Die Kollegin, die nach Darstellung der Schulsozialarbeiterin und des MBT von der Schulleitung keine Unterstützung bekam, erstattete Anzeige. Beim Prozess, zu dem sie auch wiederum alleine ging – die erst neu an der Schule eingestellte Schulsozialarbeiterin wusste nichts von dem Prozess –, wurde sie von rechtsextremen Jugendlichen, die mit den Angeklagten befreundet waren, attackiert. Die Lehrerin hat mittlerweile die Schule verlassen. Auch außerhalb der Schule nahmen mit dem Schulbesuch dieser aus den Nachbarorten stammenden rechtsextremen Clique die Übergriffe und Gewalttaten zu. So kam es zu mehreren gewalttätigen Übergriffen von Rechtsextremen auf Jugendliche eines selbstverwalteten „linksalternativen“ Jugendzentrums. Diese Jugendlichen setzten nach Auskunft der Sozialarbeiterin und der Polizei auch gewalttätige Mitteln gegen die Rechtsextremen ein. Die oben geschilderte Gemengelage durchmischt sich offenbar in bestimmten Be- 54 „Das war die schlimmste. Das war die achte Hauptschulklasse. Und diese Klasse hat dann auch noch eine Engländerin zum Englischunterricht bekommen. Und diese Lehrerin ist ganz massiv angegriffen worden. Also, sie ist reingekommen, da sind Schüler aufgestanden und haben erst einmal das Deutschlandlied, aber gesamte Strophen, gesungen. Und sie ist von einem Schüler mit ausgestrecktem rechten Arm begrüßt worden. Und der krönende Abschluss war dann, dass sie von einem Schüler festgehalten wurde und der andere hat versucht, ihr mit Edding ein Hakenkreuz auf die Stirn zu schreiben.“ (c-MBT B Koop 1, 171-177) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 152 reichen mit einer Auseinandersetzung zwischen sogenannten „rechten“ und „linken“ Jugendlichen und weist für diesen Bereich auch Charakteristika von gewalttätigen Gruppenkonflikten auf. Die Polizei versucht nach Auskunft der Schulsozialarbeiterin, die rechtsextremen Erscheinungen in B-Stadt in das Erklärungsmuster von Auseinandersetzungen zwischen „rechten“ und „linken“ Jugendlichen zu pressen und die Provokationen der „linken“ Jugendlichen als verantwortlichen Auslöser der Gewaltspirale darzustellen.55 Dies sah auch das MBT zunächst so. „Die Schwierigkeit mit der Polizei ist immer an dem Punkt, ‚ja, wir haben Gewalt von beiden Seiten’. Das wird dann als Jugendproblem, als Bandenkrieg zwischen diesem linken Jugendzentrum und der rechten Szene aus dem Umland abgetan. Da versuchen wir, sukzessive ein bisschen politische Bildung (auch) zu machen und sagen. ,Es ist schon etwas anderes, was die Rechten hier machen, als was die Linken machen, wenn die mal einen Heuhaufen anzünden, weil sie gegen Atomkraft sind (...).´ Es ist uns bisher noch nicht untergekommen, dass die Linken von sich aus losgezogen sind und Leute plattgemacht haben. Gut, in den Auseinandersetzungen sind sie dann auch nicht ohne, aber von sich aus eigentlich weniger.“ (b-MBT B, 565574) Das MBT und der zuständige Leiter der Polizeiinspektion tauschen sich seit geraumer Zeit regelmäßig aus und kommen in der Lageeinschätzung zu ähnlichen Ergebnissen.56 Ende 2002 /Anfang 2003 kam es zu einer Eskalation rechtsextremer Gewalttaten insbesondere gegen Jugendliche aus dem links-alternativen Spektrum. So wurden am 31.12.02 Jugendliche aus der Hiphopper-Szene (vor allem Schüler der zweiten Realschule) angegriffen; eine Person erlitt erhebliche Verletzungen. Es wurde Anzeige erstattet, woraufhin es später zu massiven Bedrohungen durch rechtsextreme Jugendliche kam. Mitte Januar wurden mehrere Schüler (auch vom Gymnasium und der Förderschule) von einem einschlägig bekannten rechtsextremen Jugendlichen angegriffen und verletzt. Die Schüler bzw. Eltern wollten aus Angst zunächst keine Anzeige stellen. Durch eine Beratung des von CIVITAS geförderten Opferberatungsprojekts und der Schulsozialarbeiterin erstatteten die Eltern und die Schüler dann aber doch Anzeige. Diese wurde allerdings nach Auskunft des MBTs von der Polizei sehr „stiefmütterlich“ behandelt. Als Reaktion auf diese und die Anzeigen zum Vorfall vom 55 Für den Leiter der Polizeiinspektion von B-Stadt stellt sich das Problem folgendermaßen dar. „Ich würde also die Gewaltproblematik - das ist so ein bisschen die Tendenz, Gewalt von rechts zu betrachten - ich würde Gewalt als gesellschaftliches Phänomen in den Vordergrund stellen und sagen, Gewalt von Rechts ist Teil der Gesamtproblematik. Ich würde, so sind also auch unsere Bemühungen, dass diese Gewaltproblematik generell angegangen werden muss und dabei ist natürlich rechte Gewalt ein Bestandteil, aber jetzt nicht einseitig nur die Problematik in Anführungsstrichen rechts zu betrachten. (....) Aber, wenn ich jetzt sage, der Komplex Gewalt, will ich das nicht verniedlichen, damit wir uns da richtig verstehen. Das ist nicht meine Absicht. Gewalt ist immer schlimm. Wir haben leider auch Gewalt bei uns hier im Bereich, die von einer anderen Seite kommt, nämlich die von links.“ (cMBT B Koop 3, 189-213) 56 Der Leiter der Polizeiinspektion, der auch in einer Arbeitsgruppe des örtlichen „Runden Tisches“ mitarbeitet, betrachtet den regelmäßigen Austausch als sehr positiv und schätzt die Kompetenz und Sachlichkeit der beiden Berater/innen. „Aus meiner Sicht ist die Zusammenarbeit (...) eine sehr sachliche und konstruktive. Muss ich wirklich sagen. Ich habe also auch bei den Gesprächen, die wir hier individuell zur Lage geführt haben doch eine sehr sachliche Argumentation und Gespräch mit ihnen führen können.“ (c-MBT B Koop 3, 142-145) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 153 31.12.02 kündigte ein Jugendlicher von der ersten Haupt- und Realschule an, dass Mitglieder der rechtsextremen Szene mit 30 Leuten aus dem rechtsextremen Spektrum aus den Städten in der Nähe Rache nehmen wollten und Gewalttätigkeiten vor den Schulen B-Stadts planten. Diese Aktion kam nicht zustande; eine durch das MBT informierte Sondereinheit der Kriminalpolizei war mit einem großen Aufgebot in der Stadt präsent. Die Schulen reagierten nach Darstellung des MBTs auf diese angekündigten Gewalttaten panisch und hilflos. Dadurch, dass dieses Szenario auch die Öffentlichkeit erreichte, war bei einigen Verantwortungsträgern und Bürger/innen der Stadt eine Schmerzgrenze erreicht, was zu einer Aktivierung von einigen Bürger/innen führte. Dabei nahm und nimmt die Schulsozialarbeiterin eine wichtige Funktion ein; sie ist Ansprechpartnerin für die Akteure vor Ort und zugleich Schlüsselperson und Türöffnerin für das MBT, das sie wiederum regelmäßig konsultiert und um Rat fragt. 4.3.2 Tätigkeiten des MBT B Nachdem im November die Schulsozialarbeiterin das MBT wegen der massiven offen rechtsextremen Schmierereien in der Schule und den oben beschriebenen Übergriffen ansprach, erfolgte ein erstes Beratungsgespräch, um die verunsicherte und Hilfe suchende Sozialarbeiterin zu unterstützen. Neben einem ersten Problemaufriss, der Vermittlung von Hintergrundwissen und Erörterungen von Handlungsmöglichkeiten der Schulsozialarbeiterin erfolgten erste Überlegungen, wie die Schule einerseits schnell auf die Situation reagieren könnte und wie andererseits ein langfristiges regionales Konzept zu entwickeln wäre. Als erstes wurde seitens des MBTs zusammen mit der Schulsozialarbeiterin das Gespräch mit der Schulleitung der ersten Haupt- und Realschule und dann auch mit der Schulleitung und den Lehrer/innen der zweiten Realschule gesucht. Das Lehrerkollegium und die Schulleitung der ersten Hauptund Realschule, an denen die rechtsextremen Erscheinungen nicht mehr zu übersehen waren (die Schulsozialarbeiterin entfernte selbst mit einer Bandschleifmaschine die strafbaren rechtsextremen Symbole von den Wänden), waren froh, dass sich jemand engagierte und das Thema aufgriff. Sie selbst werden von der Schulsozialarbeiterin und dem MBT als gelähmt und hilflos bzw. resigniert beschrieben (vgl. c-MBT B Koop 1; b-MBT B F 1). Ab Ende 2001 wurden dann vom MBT in Absprache mit den Akteuren vor Ort – insbesondere mit der Schulsozialarbeiterin, später auch der Leiterin der zweiten Realschule, eine Vielzahl von Maßnahmen in die Wege geleitet, von denen hier auf Grund der Fülle nur die wichtigsten beschrieben werden können. Die Schulsozialarbeiterin konnte den Schulleiter der ersten Haupt- und Realschule dazu bewegen, dass sämtliche interne Lehrerfortbildungen zu dem Thema Rechtsextremismus und Reaktionsmöglichkeiten der Lehrer/innen durchgeführt wurden. In dieser Schule wurden vom MBT im Verlaufe des Beratungsprozesse vier Fortbildungen (zwei Lehrerfortbildungen und zwei Dienstberatungen) für alle Lehrer/innen der Schule durchgeführt. Ein Großteil der Lehrer/innen hatte zunächst den Anspruch, fertige Rezepte zu erhalten, um mit rechtsextremen Provokationen umgehen zu können. Das Konzept des MBTssetzt dagegen neben Informationen und Hintergrundwissen auf die gemeinsame Entwicklung von Handlungskompetenzen, die auf den jeweiligen Fall bezogen sind. Dabei wird an konkreten Fallbeispielen versucht, die bereits vorhandenen oder in anderen ähnlichen Fällen angewendeten Reaktionsformen auch auf den Umgang mit diesem Thema anzuwenden. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 154 Neben Einzelgesprächen mit den Schulleitungen und interessierten Lehrer/innen wurde in der ersten Haupt- und Realschule auch eine Dienstberatung zu den rechtsextremen Erscheinungen durchgeführt. Auf Vorschlag des MBTswurden zudem die Polizei und die Opferberatung eingeladen, um die Lehrer/innen über bestehende (ordnungs- und strafrechtliche) Handlungsmöglichkeiten zu informieren. Ausgehend von den Fragen der Lehrer/innen wurde versucht, Reaktionsmöglichkeiten auch unter Einbezug der Polizei zu diskutieren. Das MBT machte zudem auf die Hintergründe und Zusammenhänge dieser rechtsextremen Clique zu Organisationen, auch in den alten Bundesländern, aufmerksam und stellte ein bis dahin aus Gesprächen gewonnenes erstes „Lagebild“ zu den rechtsextremen Erscheinungen in der Schule, der Stadt sowie dem Umland vor. An dieser Schule war es erst einmal wichtig, für das Thema zu sensibilisieren und zu versuchen, die bestehende Lähmung und Angst zu überwinden. Nach Auskunft des MBTs ist diese Schule wegen einer möglichen Schließung sehr mit sich selbst beschäftigt;57 deshalb sind nur wenige Lehrer/innen für eine intensivere Auseinandersetzung zu gewinnen. Dies bestätigt auch indirekt der Leiter der Schule. „Das ist eigentlich auch so ein Grund warum eben ganz schwer Ruhe rein zu bringen ist. Einmal diese Perspektive von den Schulen her (...). Also es wechselt ständig, auch das Kollegium von Jahr zu Jahr. Also es kommen eben auch von geschlossenen Schulen Lehrer dann hier unter und umgekehrt. Also viele Auswärtige hier, die 25 bis 35 km fahren oder mehr.“ (cMBT B Koop 4, 426-429) In der zweiten Realschule, die nach Schilderung der Schulsozialarbeiterin von eher als „links“ einzustufenden Schülern besucht wird, ist ein offeneres Klima anzutreffen. Die Leiterin der Schule befördert die Auseinandersetzung ihres Kollegiums, der Schülerschaft und den Eltern mit dem Thema, obwohl an dieser Schule diese manifesten rechtsextremen Erscheinungen kaum zu verzeichnen sind. „Uns geht es eigentlich darum, dass die Eltern ansagen, wo sie meinen dass ihre Kinder Gewalt erlebt haben, ob das in der Schule, im Bus ist – im Elternhaus werden sie weniger sagen; eigentlich sollen das kleine Schritte sein. Und dass die Eltern vielleicht auch selber merken oder mit den Kindern auch sprechen, wenn sie so was sagen, dass das kein Petzen ist, immer nach dem Motte ‚Wehret den Anfängen’. Das haben wir uns vorgenommen.“ (c-MBT A Koop 2, 111-116) Auch an dieser Schule führte das MBT drei Lehrerfortbildungen durch. Da das Thema bei der ersten Fortbildung nicht im ausreichenden Maße behandelt werden konnte, wurde es zusätzlich in einer Dienstbesprechung wieder aufgenommen. Hier ging es der Schulleiterin und dem MBT auch darum, abzugleichen welcher Bedarf und welche Erwartungen die Lehrer/innen an das MBT bei weiteren Beratungen und Fortbildungen haben. In dieser Schule ergänzten sich der konsequent verfolgte klientenorientierte Ansatz des MBTs mit den Erwartungen und der Vorgehensweise der Schulleiterin. Der klientenorientierte Ansatz des MBTs beschränkt sich nicht nur auf die Beratung von Unterstützung suchenden Erwachsenen. Durch eine vom MBT durchgeführte Befragung von Schülern/innen beider Schulen sollten deren Ansichten zu Problemen, Fragen und Visionen 57 Der Leiter der Schule glaubt, dass bei einer guten Prognose die Schule noch für zwei Jahre eine Überlebenschance hat, bei einer eher schlechten Prognose muss aufgrund des starken Schülerrückgangs bereits in einem Jahr mit der Schließung gerechnet werden (vgl. c-MBT B Koop 4, 399-422). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 155 für die Region erhoben werden. Dabei äußerten sich diese u.a. zu dem autoritären Unterrichtsstil einiger Lehrer/innen, zu den selbst erlebten Bedrohungen durch rechtsextreme Jugendliche (sie gehen den „Glatzen“, die „Stress machen“, aus dem Weg) oder zu dem unzureichenden Freizeitangebot für Jugendliche in der Stadt und den Dörfern der Umgebung. Diese Befragung wurde auch in dem „links-alternativen“ Jugendzentrum durchgeführt. Netzwerkbildung – „Runder Tisch gegen Gewalt“ Neben der zunächst starken Fokussierung auf die Schulen und Einzelberatungen wurde der Aktionsradius im Hinblick auf eine sozialraumorientierte Gemeinwesenarbeit ausgedehnt. So konnte parallel zu der zunächst intensiven Beratungstätigkeit an den Schulen mit Unterstützung des MBTs eine Ausweitung des engagierten Kreises erreicht werden. Dieser Kreis bezog sich nicht nur auf B-Stadt, sondern – wenn auch nur punktuell – auf Personen, die beruflich in der Jugendarbeit und Gewaltprävention in den umliegenden Kommunen tätig sind und z.T. mit den rechtsextremen Schülern der ersten Haupt- und Realschule zu tun haben. Das MBT versucht, mit einer langfristigen Zielsetzung ein regionales Handlungskonzept anzustoßen und mit zu entwickeln, das sich schwerpunktmäßig auf B-Stadt konzentriert. Dennoch werden die mit der Verwaltungsfusion einhergehenden Veränderungen bei der Entwicklung von Präventionsstrategien berücksichtigt.58 Ein Schritt in Richtung regionales oder lokales Handlungskonzept ist die von den engagierten Akteuren und dem MBT betriebene Gründung eines „Runden Tisches gegen Gewalt“. Dabei wurde zunächst ein starker Fokus auf den Bereich Jugendarbeit gelegt, weil es da gerade in den Kommunen der Umgebung, aber auch in B-Stadt, an Angeboten mangelt. „Dann haben wir mit ihr gemeinsam überlegt zu Anfang, was können wir eigentlich machen, oder was ist dein Interesse, was soll hier in B Stadt und Umgebung – es war nicht nur auf diese kleine Stadt begrenzt, sondern auch auf die Umlandgemeinden – was gibt es hier für Möglichkeiten. Wir sind dann ziemlich schnell darauf gestoßen, dass es zum einen Probleme mit der Schule gab, insbesondere mit der Schulleitung, die sehr passiv und resigniert war und dass in ((A-Stadt)) selber und in der Region die Jugendarbeit völlig unprofessionell und halbherzig durchgeführt wird bzw. gar nicht durchgeführt wird. Das waren dann unsere beiden Arbeitsschwerpunkte. Letztendlich hat es dazu geführt, dass wir wahnsinnig viel zum Teil Opfergruppen aber auch Lehrerinnen und Lehrer, Bürgermeister, Polizei, Kirche, Vereine, was da so kreucht und fleucht, die haben wir alle abgeklappert und aufgesucht und haben mit denen noch mal die Lage besprochen. Haben diese beiden Schwerpunktthemen, wie kriegen wir eine professionelle Jugendarbeit in der Region hin, die ein Stück weit das Problem wieder raus nimmt und auch als Ansprechpartner für diese Jugendlichen da ist, und wie kriegen wir mit den wenigen Ressourcen, die ja überall nur da sind, was Vernünftiges gebacken. Daraus ist dann diese Idee des Runden Tisches entstanden.“ (b-MBT B, 506-522) „Das Ziel ist eigentlich, dass wir dort ein Zeichen setzen, dass es Leute gibt, die reagieren. Reagieren und dann eben auch agieren. Das wir ganz einfach was tun. Dass wir nicht nur zugucken und uns das gefallen lassen, sondern wir wollen den Bürgern der Stadt ((A)) ganz einfach zeigen, wir tun was, ihr könnt das auch. Und das eben mit dieser Aktion ... ich denke der Elternabend, wenn der stattfindet, dass der ganz viele Leute wachrüttelt, hoffe ich zumindest.“ (c-MBT B Koop 1, 901-906) 58 Ob die Gründung eines regionalen Präventionsrats zu allen Formen der Gewalt eine Ergänzung oder eine Parallelstruktur ist, muss sich in der Praxis zeigen. Zu diesem vom Präventionsbeauftragten der Landesregierung eingerichteten regionalen/kommunalen Präventionsrat, sollen u.a. sämtliche Bürgermeister der Gemeinden der neuen Verwaltungseinheit eingeladen werden. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 156 Inhaltlich richtet sich der „Runde Tisch“ nicht nur auf die Behandlung von Interventionsstrategien zum Rechtsextremismus, sondern ist – aufgrund des Interesses der Teilnehmer/innen – auf das Thema Gewalt (insb. von und gegen Jugendliche) ausgerichtet. So stellt die Schulsozialarbeiterin heraus, dass es ihr wichtig ist, jede Form von gewalttätigen Auseinandersetzungen zu behandeln und keine Konflikte auszusparen. „Wir wollen das nicht auf rechte Gewalt einschränken. Dadurch, dass wir unseren linken Jugendclub hier haben, wollen wir, dass alles beguckt wird. Und ja, ich denke, dass ist ziemlich spannend. Weil es sind ja auch immer Streitigkeiten zwischen diesen beiden Gruppen.“ (cMBT Koop 1, 4003-406) Bildung von Arbeitsgruppen Aus den entwickelten Vorschlägen der Teilnehmer/innen des „Runden Tisches“ zu Schwerpunkten der Arbeit des Netzwerkes wurden vier Arbeitsgruppen gebildet. Die Arbeitsgruppe „Jugend“ will sich mit dem Stand und den Perspektiven der Jugendarbeit in B-Stadt und Umgebung beschäftigen. Dabei stellt sie sich den Fragen: Welche Möglichkeiten gibt es, mit rechts-orientierten Jugendlichen zu arbeiten? Welche Ansätze und Projekte gibt es in der Region? Und welche Ansätze wären für die Problemlage angemessen? Die Berater arbeiten in dieser Arbeitsgruppe aktiv mit und steht den anderen Arbeitsgruppen für Nachfragen oder als Referent/innen zur Verfügung. Die Arbeitsgruppe „Fest“ wollte ein „Fest der Begegnung“ veranstalten, damit möglichst viele Interessierte zusammenkommen und der Kreis der Engagierten ausgeweitet wird. Diese Idee wird momentan nicht mehr verfolgt. Die Arbeitsgruppe „Befragung“ ist ein Projekt von Jugendlichen im Kontext des „links-alternativen“ Jugendzentrums. Sie wollen das rechtsextreme Einstellungspotenzial in der Region erheben. Die Arbeitsgruppe „Schule und Elternarbeit“59 war und ist der Schulleiterin und der Schulsozialarbeiterin ein großes Anliegen, da sie hier große Möglichkeiten sehen, die Eltern für jugendkulturelle Ausdrucksformen mit auch einem rechtsextremen Hintergrund zu sensibilisieren. So stellen beide fest, dass viele Eltern gar nicht wissen, was ihre Kinder machen. „Und dann gibt es die AG Eltern, wo ich auch mit drin sitze und die Schulleiterin. (...) wir bereiten im Prinzip einen großen Elternabend vor. (...) Da soll es ein großes Begleitheft zu geben, wo wir auch Gewalt thematisieren, was Gewalt ist. Da habe ich auch zu Mobbing was zu geschrieben, weil das ist ja an Schulen auch immer etwas Besonderes. Und dann aber eben auch rechte Gewalt, verbotene Zeichen und so was alles. Dass Eltern auch mal einen Blick kriegen, wie die Kinderzimmer aussehen (...). ((Namen der Berater/innen des MBTs)), die beireiten dann auch so eine Arbeitsgruppe vor. Eltern können sich vorher anmelden in welche AG sie rein wollen, dass in jeder etwa gleich viel drin sind. Und dass sie zu einem bestimmten Thema was arbeiten und dann auch dem Gesamten das vorstellen zum Schluss. Aber da sind wir eben noch in der kreativen Phase, das zu erarbeiten.“ (c-MBT B Koop 1, 416-427) Ein weiteres Thema ist – wie oben angeführt – Mobbing in der Schule bzw. der Umgang mit Konflikten (Mediation etc.), was auch in dieser Arbeitsgruppe behandelt werden soll. Diese 59 Aufgrund von Interviews mit mehreren Mitgliedern dieser Arbeitsgruppe wird diese Arbeitsgruppe hier ausführlicher beschrieben. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 157 Arbeitsgruppe, in der auch die Polizei sehr engagiert mitarbeitet, bereitet eine Elternseminarreihe an der Schule vor, in der Themen behandelt werden, die die Eltern zuvor anhand der Einladung auswählen können. Das MBT bietet das Thema „Umgang mit Gewalt und Rechtsextremismus“ an. Auch soll eine Elternzeitschrift gemacht werden, in der über Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, Symbole und andere jugendkulturelle Aspekte informiert werden soll. Ein weiteres Ziel dieser Arbeitsgruppe ist die Ausbildung der Schüler/innen zu Streitschlichter/innen und deren Einbeziehung in das Konfliktmanagement der Schule. Der leider auch im Rahmen des CIVITAS-Programms nur selten zu beobachtende generationenübergreifende Ansatz wird gerade von dieser Arbeitsgruppe konkret angewendet. So soll eine Befragung von Eltern und Schülern durchgeführt werden. Ein zentrales Thema dieser „Erhebung“ ist die Befragung von Jugendlichen zu eigenen Gewalterfahrungen. Wo haben sie Gewalt erlebt? Wer hat ihnen die Gewalt warum zugefügt? Wie haben sie sich gefühlt und wie sind sie, ihre Eltern oder Freunde etc. damit umgegangen? Ergebnisse dieser Erhebung sollen dann in die Arbeit des „Runden Tisches“ einfließen. Die Arbeitskreise arbeiten selbständig an denen von ihnen als wichtig erachteten Fragen. Das MBT wird für besondere Zuarbeiten als Berater angefragt, und hat vor allem eine Vermittlerfunktion. Der augenblickliche Stand der Arbeitskreise wird in den ca. alle 8-10 Wochen stattfindenden „Runden Tischen“ ausgetauscht. Nachdem sich eine gewisse Stabilität des sich entwickelnden Netzwerkes abzeichnete, hat das MBT die Moderation und Organisation des „Runden Tisches“ an eine von CIVITAS geförderte Netzwerkstelle übertragen. Dies erfolgte zum einen, um die nicht eingebundene Netzwerkstelle in ein langfristig zu entwickelndes Netzwerk zu integrieren und zum anderen, um dem MBT Freiräume für andere Beratungsprozesse zu schaffen. Allerdings sehen die beiden Berater/innen diese Delegierung eines von ihnen mit Erfolg aufgebauten Prozesses auch mit einem „weinenden Auge“. Sie geben gerade dann ein Projekt ab, wenn es auf eine positive Entwicklungsbahn gesetzt worden ist. Um die Akteure vor Ort nicht zu irritieren und um doppelte Arbeit und Kompetenzwirrwarr zu vermeiden, favorisieren die Berater/innen des MBTs aufgrund der gemachten Erfahrungen mittlerweile eher eine Beratung aus „einer Hand“ (vgl. b-MBT B, F 1). Auch scheint den beiden Berater/innen sowie auch extern befragten Akteuren die Arbeit der Netzwerkstelle an manchen Punkten verbesserungsbedürftig.60 Die „Netzwerkstellen sind immer noch dabei, sich zu definieren. Was sind denn eigentlich ihre Aufgaben, und was können sie leisten, auch im Zusammenhang mit uns, wo sind Abgrenzungen nötig usw.? Ich denke, die haben eine ganz schwierige Position. Also, um wirklich auch ihren Arbeitauftrag für sich ein Stück klar zu kriegen. Und was wir gemerkt haben, ist einfach, wenn die Anbindung intensiver wäre, könnte man so einen Prozess von vornherein auch ein Stück anders stricken. Was Einbeziehung betrifft oder so. Ansonsten ist es durchaus wirklich schwierig, die Netzwerkstelle immer zu involvieren, was Gespräche betrifft. Umgekehrt genauso.“(b-MBT B F 1, 886-894) 60 So wird aus der folgenden Interviewpassage deutlich, dass das MBT höhere Ansprüche an die Netzwerkarbeit stellt, als die Netzwerkstelle sie möglicherweise leistet. „Da man sich aber auch auf die Umsetzung letztendlich verlassen muss, und es ist einfach schwierig, wenn man selber andre Erwartungen dann doch hatte an bestimmte Sachen, ja hat man dann nur noch schwer einen Einfluss drauf.“ (b-MBT B F 1, 907-910) CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 158 Nach Darstellung der Sozialarbeiterin arbeiten jetzt kontinuierlich ca. 15-20 Personen aus Schulen, aus der Jugendhilfe, der Polizei, der evangelischen Kirchengemeinde, der Verwaltung der Stadt und des Landkreises zusammen mit Jugendlichen am „Runden Tisch“ mit. Je nach Einbindung in dieses Netzwerk findet die Hauptarbeit zumeist in den Arbeitskreisen statt, die mit unterschiedlicher Intensität arbeiten. Vorgehen und Methoden des MBT Von den extern Befragten wird immer wieder die Art und Weise hervorgehoben, mit der die beiden Mitarbeiter/innen des MBTs sowohl Fortbildungen als auch Beratungsgespräche durchführen. Schulleiterin und Schulsozialarbeiterin stellten heraus, dass beide Berater/innen nicht mit einer vorgefertigten Meinung kämen und so nicht als selbstgewisse Experten auftreten würden. „Also, dass ich auch wirklich das Gefühl habe, dass sie kompetent sind. Also, dass sie nicht irgendwelche ‚Schnacker’ sind und das Fahrrad neu erfinden, sondern dass sie wirklich kompetent sind und auch zuhören und zwar auch nicht auf jedes sofort ein Rezept haben. Aber, sage ich mal, zumindest die Zutaten, dass man sich dann selbst was zusammenrühren kann.“ (c-MBT B Koop 1, 1146-1140) Mit ihrer auf die anderen Beteiligten ausgerichteten Gesprächsführung stellten sie eine offene Situation her. Sie versuchen so, einen Raum zu schaffen, in dem die zu Beratenden Fragen stellen und mit ihnen im Dialog Antworten entwickelt werden können.61 „Was ich gut finde, dass die uns nicht irgendwie eine vorgefertigte Meinung vorsetzen oder nicht sagen, so und so ist das und fertig, sondern dass sie in erster Linie fragen; wie wir das sehen und wie wir das erlebt haben und von da ausgehend dann was man machen könnte.“ „Und, ich meine, da sind so einige Fragen (von Kolleg/innen in einer Fortbildung; der Autor) gestellt worden da muss man vielleicht erstmal schlucken und da muss man dann eben drauf auch antworten. Und das haben sie gut gemacht.“ (c-MBT B Koop 2, 64-6; 71-72) Auch bei den Fortbildungen verfolgen die beiden Berater/innen laut Auskunft der extern Befragten einen partizipativen Ansatz. So war in der ersten Lehrerfortbildung an der zweiten Realschule neben einer Information zu verschiedenen Erscheinungsweisen des Rechtsextremismus, der Aspekt der Handlungsoptionen für den Schulalltag aufgrund der knappen Zeit zu kurz gekommen. Das Thema sollte deshalb in einer Dienstbesprechung ausführlich behandelt werden. Um nun genau zu erfahren, mit welchen Situationen die Lehrer/innen Schwierigkeiten haben umzugehen, welche Erwartungen und Fragen sie haben, ermittelten die beiden Berater/innen gezielt den Bedarf, um nicht – wie dies bei solchen Informationsveranstaltungen des öfteren zu beobachten ist – mit vorgefertigten Folienvorträgen an den Interessen der Lehrer/innen des Kollegiums vorbeizureden. „Das war in der letzten Dienstberatung, da waren die eigentlich da, um festzustellen, was hat sich im Laufe oder seit dem letzten ((Lehrerfortbildung)), was hat sich ereignet oder worauf sollen sie genau eingehen. Und das haben wir ihnen dann auch eben gesagt, was wir gerne in der nächsten Lehrerberatung dann besprechen würden. Das haben sie sich aufgeschrieben und ja, das ist das denn was wir dann behandeln wollen.“ 61 Die Schulsozialarbeiterin berichtet, dass es ihr hilft, von außen anregende Fragen gestellt zu bekommen, auch hätte sie selbst schon einen Teil der Antworten, sie habe sich diese aber nicht vergegenwärtigen können (vgl. c-MBT B Koop 1). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 159 „Ich meine, die machen schon Angebote, aber richten sich da im Grunde genommen nach uns, auch was wir gerne hören möchten oder worüber wir gerne sprechen möchten.“ (c-MBT B Koop 2, 76-80; 151-152) Eine weitere Form, auf die Anliegen und Lösungskompetenzen der zu Beratenden einzugehen, erfolgt durch die Arbeit in Arbeitsgruppen. So wird eine günstige Mischung aus informativem Input und der Erarbeitung von Themen und Lösungsansätzen durch die Rezipienten politischer Bildung selbst erreicht (vgl. c-MBT B Koop 4). Nach Auskunft der Schulleiterin gelingt es den Berater/innen, das schwierige und auch überladene Thema Rechtsextremismus in einer Form und Dosierung zu behandeln, die keinen Überdruss erzeugt. „Das ist eine sehr offene Gesprächsführung, und das ist eigentlich, das ist kein Monolog, das ist wirklich ein Dialog. (...) Es ist ja auch oft so, ich will jetzt nicht, dieses Thema kann ja auch sehr schnell ‚satt’ machen. (...) Und da muss man ja auch aufpassen, dass das nicht so geballt ist, dass die Lehrer beim ersten Mal sagen, also, es reicht mir jetzt für die nächsten zehn Jahre. Da muss man auch aufpassen, das machen die eigentlich ganz geschickt.“ (C-MBT B, Koop 2, 165-170) Diese Art von Gesprächsführung setzt ein hohes Maß an Flexibilität und Aufgeschlossenheit gegenüber den Anliegen und Ansichten der zu Beratenden voraus. Diese offene Gesprächsführung und ihre Fähigkeit, „zuhören“ zu können, werden als konstruktiv und auch persönlich angenehm beschrieben. So stellt die Schulleiterin nicht nur die Gesprächs- und Fachkompetenz heraus, sondern betont, dass sie auch gerne mit ihnen zusammenarbeitet. Ich muss ehrlich sagen, ich arbeite mit den beiden sehr gerne zusammen.(...) Weil sie sehr aufgeschlossen sind und auch wie gesagt, weil sie nicht kommen und sagen, wir sind hier die Fachleute, wir haben Ahnung und ihr hört uns ganz einfach zu, sondern weil sie ganz einfach sagen; worüber wollen wir sprechen, welche Erfahrung habt ihr gemacht und so. Das find ich schon gut.“ (c-MBT B Koop 2, 153-160) 4.3.3 Auswertung des Falls B62 An dem untersuchten Beratungsfall wird sichtbar, wie wichtig einerseits bestimmte Rahmenbedingungen und andererseits aber auch die kommunikativen und sozialen Kompetenzen der Berater/innen sind. Ein gewisses Maß an Sensibilität und Aktivierungsbereitschaft sind günstige, wenn nicht sogar notwendige Voraussetzungen, damit eine Beratung die Eigenaktivierung ermöglichen kann. Andererseits wird hier deutlich, dass kommunikative und soziale Kompetenzen diesen Prozess positiv fördern können. So wird neben ihrer fachlich-inhaltlichen insbesondere die methodische Kompetenz, die Art und Weise, wie die Berater/innen ein Thema behandeln, als sehr konstruktiv und produktiv eingeschätzt. Da Team B Mobile Beratung als eine Technik, andere zu ihren Zielen zu begleiten, versteht, können sie sich nach den Darstellungen der Kooperationspartner auch inhaltlich zurücknehmen. Durch ihr Rollenverständnis als „Vermittler“ und „Begleiter“ gelingt es ihnen, die Entwicklung von zivilgesellschaftlich-orientierten Auseinandersetzungsformen den Akteuren vor Ort zu überlassen. So konnte das MBT sich zu einem gewissen Grad aus dem anfangs sehr intensiven Bera- 62 Um Wiederholungen bei dem sich anschließenden kontrastiven Fallvergleich zu vermeiden, erfolgt hier nur eine sehr komprimierte Zusammenfassung der Auswertung des Falls B, die in der Gesamtauswertung des Fallvergleichs integriert ist. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 160 tungsprozess herausnehmen und ein Stück ihres Ziels erreichen, sich „überflüssig zu machen“. Von allen extern befragten Akteuren aus den unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen (Schule und Schulsozialarbeit, Polizei, Stadtverwaltung und Jugendamt) werden bei beiden Berater/innen ihre Fachkompetenz und ihre kommunikativen und sozialen Fähigkeiten als sehr positiv eingeschätzt. Lediglich ein extern Befragter wünschte sich – dies betrifft aber seine generelle Kritik an dem zivilgesellschaftlichen Ansatz –, dass mehr direkt mit rechtsextremen Jugendlichen gearbeitet werde. So sollte durch individuelle Beziehungsarbeit auch der Frage nachgegangen werden, was bei jedem einzelnen Jugendlichen die Hintergründe für seine rechtsextreme Orientierung seien, wie und warum er rechtsextrem geworden sind (vgl. cMBT A Koop 7). Das MBT versucht dieses Defizit aufzugreifen und steht – als einer der ganz wenigen Teams – einer sozialen Arbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen unter Anwendung qualitativer Standards offen gegenüber. So findet im Rahmen von Fachtagungen auch eine offene Auseinandersetzung mit dem Konzept der akzeptierenden Jugend- und Sozialarbeit statt. 4.4 Kontrastiver Fallvergleich und Fazit Jeder Beratungsfall hat seine eigenen „Gesetze“ und spezifischen Rahmenbedingungen. Inwieweit die Rahmenbedingen in beiden Fällen mehr Übereinstimmungen oder Unterschiede aufweisen, kann im jetzigen Stadium der Untersuchung nicht beurteilt werden. So kann auch kein Urteil gefällt werden, warum der eine Beratungsfall in der Tendenz bisher eine scheinbar kontinuierlich positive Entwicklung nach sich zieht, der andere von deutlichen Rückschlägen gekennzeichnet ist. Erst recht kann nicht beurteilt werden, ob die Verläufe auf die Arbeit der Beratungen zurückzuführen sind. Allerdings lassen sich Unterschiede im Rollenverständnis, in der Anlage des Falls, sowie einige konkrete Beobachtungen zum methodischen Vorgehen beider Teams feststellen. In beiden Fällen wird sichtbar, dass beide MBTs mit großem Einsatz und Ausdauer bei der Sache sind. Von externen Beobachtern werden den Berater/innen beider Teams eine hohe Fachund soziale Kompetenz bescheinigt. Im Fall A hat man allerdings den Eindruck, dass die Kooperationspartner „erst mal froh“ sind, dass überhaupt jemand da ist, der ihnen auch einen Teil ihrer Arbeit abnimmt und zudem ein offenes Ohr für ihre (auch nicht unmittelbar zum Thema gehörenden) Probleme hat. In Fall B werden die Kompetenzen und Tätigkeiten der Berater/innen von den Kooperationspartnern von sich aus differenzierter beschrieben und ihre spezifischen Kompetenzen als ein fachliches Angebot dargestellt. Die Darstellungen vermitteln den Eindruck, dass man den beiden Berater/innen von Team B auf gleicher Augenhöhe begegnet und ihre Fachkompetenz als (funktionales) Angebot nutzt, sie aber nicht versuchen, die Berater/innen für sich zu vereinnahmen, um bestimmte anfallende Aufgaben zu lösen. Vorgehensweisen im Beratungsprozess Im Fall A ist zu vermuten, dass einerseits die Träger einer enormen Unterstützung bedürfen bzw. diese insbesondere die Träger der Jugendeinrichtung in Anspruch nehmen und andererseits die Berater/innen des Teams A ihnen durch ihre Beraterrolle vermutlich in dieser Anspruchshaltung entgegengekommen sind oder diese in der Interaktion mitgeschaffen haben. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 161 Es entsteht der Eindruck, dass ein Berater aus Team A sehr intensiv in den Beratungsprozess eingestiegen ist, um den Neuanfang in der Jugendarbeit zu befördern. Dies ist ihm durch sein großes Engagement und seine Fachkompetenz gelungen, die ihm von allen Kooperationspartnern bescheinigt wird. Allerdings ist auffällig, dass das MBT A in einer brisanten Entwicklungsphase der Jugendeinrichtung anscheinend selbst nicht genug präsent war, jedenfalls ist es ihnen (damals) nicht gelungen, den Trägerverbund und die interessierten Akteure vor Ort zu einer intensiven Auseinandersetzung über die Jugendeinrichtung insbesondere und die Jugendarbeit im allgemeinen in A-Stadt zu animieren.63 Möglicherweise ist die stark unterstützende Haltung des MBT A auch damit zu erklären, dass die Eigenaktivierung der Akteure in A-Stadt nur sehr begrenzt in Gang kam. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als würde hier mit „angezogener Handbremse“ gefahren. Ob wiederum das sehr engagierte Verhalten des MBTs und insbesondere ihre Bereitschaft, den Akteuren Aufgaben abzunehmen, der Eigenaktivierung entgegen gewirkt hat, ist zu vermuten, kann aber letztlich anhand des Materials nicht nachgewiesen werden. Es scheint als hätte sich die Interaktionsweise des MBTs mit der Reaktionsweise der Akteure vor Ort ergänzt. Vor dem Hintergrund, dass sich hier im Gegensatz zu Fall B doch eher langsam und ein nur punktuelles Engagement insbesondere der kommunalen Verantwortungsträger abzeichnet, ist verwunderlich, wie seitens eines Beraters des MBT A mit einer sehr hohen Erwartungshaltung und einer volontaristischen Herangehensweise auf die Eigenaktivierung kommunaler Institutionen gesetzt, ja diese quasi moralisch eingefordert wird, währenddessen beide Berater/innen sich so intensiv einbringen, dass sie von den anderen Kooperationspartnern als eine Art vierter Träger wahrgenommen werden, der einen Teil der Aufgaben übernimmt, die die anderen zuständigen Verantwortungsträger übernehmen müssten. Das hier nicht näher zu analysierende Interaktionsverhältnis von Berater/innen und zu Beratenden scheint einen sehr zentralen und noch ungeklärten Punkt Mobiler Beratung anzusprechen, der das eigene Rollenverständnis und die ethischen Standards Mobiler Beratung betreffen. Dies betrifft sowohl das Verhältnis von Nähe und Distanz zu den zu Beratenden als auch die Frage, wie weit eine beratende Intervention in den Selbstbestimmungsprozess eines Gemeinwesens eingreifen darf. Dabei gilt es auch, moralische Überhöhungen bzw. implizite oder explizite moralische und politische Erwartungshaltungen zu hinterfragen, mit denen einige Berater/innen ihren Klienten – wie bei Team A insbesondere bei Fortbildungen zu beobachten – gegenübertreten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass eine zu große Unterstützung der lokalen Akteure durch das MBT deren Eigenaktivität hemmt und den Aufbau von zivilgesellschaftlichen Strukturen langfristig nicht von den Akteuren selbst getragen werden kann. Methodenkonsistenz – Form und Inhalt Auffallend ist bei Team A, dass es in den Fortbildungen auf eine Art Kurzzeit- und Kompaktpädagogik setzt und möglichst viele Themen in kurzer Zeit abhandeln will. Mehrere 63 Dies bestätigt übrigens indirekt der zuständige Jugendhilfepfleger, der von der Zuspitzung um die Einrichtung erst auf einer Krisensitzung im Juli erfuhrt, auf der die Kündigung des Sozialarbeiters mitgeteilt wurde. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 162 Fortbildungen und Informationsveranstaltungen64 in diesem Beratungsprozess dauerten nur zwischen einer bis höchsten drei Stunden. Dabei verfolgte das Team A beispielsweise bei einer Fortbildung des Lehrerkollegiums der Mittelschule einen Ansatz, der weniger partizipativ und klientenorientiert zu sein scheint. So wurden die Lehrer/innen erst nach Beendigung ihres mehr als dreiviertelstündigen Vortrags nach ihren Problemen und Anregungen gefragt. Hingegen ist die Methode des Team B konsequent klientenorientiert und auf aktive Partizipation der beteiligten Akteure ausgerichtet. So scheint Team B aufgrund einer Mediationsausbildung über gezielt einsetzbare Kommunikationstechniken und soziale Kompetenzen zu verfügen, welche die zu Beratenden bzw. Fortzubildenden bei ihren Anliegen und Interessen ansprechen und ihre Eigenaktivität zur Basis der Interaktion machen. Durch diese Vorgehensweisen scheinen sie es zu vermeiden, dass ihre Beratungen und Fortbildungen einen belehrenden Charakter haben und auf Ablehnung stoßen. Dieses Vorgehen folgt dem pädagogischen Grundsatz, dass Belehrung gegen Erfahrungen und erst recht gegen Vorurteile nicht ankommt. Es kann hier allerdings nicht beurteilt werden, inwieweit die kommunikativen Kompetenzen und das methodische Vorgehen letztlich für das Gelingen des jeweiligen Beratungsprozesses verantwortlich sind.65 Allerdings macht der Fallvergleich deutlich, dass die Beratungstechnik, die kommunikativen und auch persönlichen Kompetenzen eine große Rolle spielen. Dabei wird gerade im Fall B sichtbar, wie wichtig der Zusammenhang von Inhalt und Form ist. So wird nach dem vorliegenden Datenmaterial von Team B ein konsistenter Zusammenhang zwischen Inhalten zivilgesellschaftlichen Engagements und den Mitteln und Methoden sichtbar, mit denen dies erreicht wird. Ein demokratisches Gemeinwesen kann nur mit demokratischen Mitteln entstehen, und dies zieht sich bis in die kleinsten Kapilaren sozialer Beziehungen und demokratisch-orientierter Bildungs- und Beratungsansätze durch. So lehnen die Berater/innen in Team B auch die bei Team A und auch anderen MBTs anzutreffende „Verbotspädagogik“ ab. Sie setzen auf die Mündigkeit und das Selbstbestimmungsrecht der Bürger/innen und sind auch bei heiklen Themen für eine offene Auseinandersetzung, die ihnen bei sehr politisch positionierten und moralisch argumentierenden Kooperationspartnern nicht nur Sympathien einbringen. So hat das Team B im Gegensatz zu Team A auch keine Scheu, sich mit der sozialen Arbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen auseinander zu setzen und diese unter bestimmten Bedingungen auch als eine geeignete und notwendige Methode zu befürworten. So soll in der Umgebung von B-Stadt versucht werden, durch Streetwork mit 64 Eine Fortbildungs- und Informationsveranstaltung im Lehrerkollegium der Mittelschule im September 2003 konnte die wissenschaftliche Begleitung ganz mitverfolgen und auswerten; eine Fortbildung der drei Mitarbeiter/innen der Jugendeinrichtung am gleichen Tag nur punktuell. Beide Berater/innen sowie einzelne Teilnehmer/innen wurden aber zu diesen beiden Fortbildungsveranstaltungen befragt. 65 Um das Wirkungsverhältnis von kommunikativem Input und erfolgten Veränderungen bestimmen zu können, müssten sämtliche Kontextfaktoren isoliert und ihre Wirkung auf den Beratungsprozess identifiziert werden können, was nicht möglich ist. Mobile Beratung ist immer eine in bestehende, zum Teil nicht ein- und übersehbare Kontexte eingelagerte Beratung. Ein experimentelles Forschungsdesign lässt sich nur schwer herstellen (zu den Schwierigkeiten eines experimentellen Forschungsdesigns am Beispiel der Kriminalitätsprävention vgl. Schumann 2001). CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 163 rechtsextrem-orientierten Jugendlichen zu arbeiten. Team A vermeidet hier eine Auseinandersetzung, obwohl in der Jugendeinrichtung akut das Problem mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen besteht. Es stellt sich auch hier die Frage von Inhalt und Form. Steht eine auf Offenheit und Selbstbestimmungsrecht fußende Bürgergesellschaft nicht diametral einer auf Ausgrenzung und Stigmatisierung setzende Strategie entgegen? Geht mit dieser Bekämpfungshaltung des „Gegen“ nicht gleichzeitig eine Dichotomisierung von den „Guten“ auf der einen und den „Bösen“ auf der anderen Seite einher. Die beiden Fälle zeigen dazu in unterschiedlicher Art Vorgehensweisen in einer schwierigen Beratungspraxis. Der Ansatz, der Mobile Beratung als eine Technik, als eine an den Anliegen und der Eigenaktivität der Akteure ansetzende aber auch den Eigen- und Gestaltungswillen der Bürger/innen respektierende Methode versteht, scheint dabei eher ein innovatives und aktivierendes Potenzial zu haben. Bei diesem Ansatz kommen sowohl in den Inhalten als auch den Methoden demokratische bzw. zivilgesellschaftliche Werteorientierungen zur Geltung. Damit kann diese Form von Mobiler Beratung selbst zum Vorbild und zu einer Lernmethode für demokratische Verhaltensweisen in der „Alltagspraxis“ werden. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 164 5 Zusammenfassung und Resümee der Evaluierung der Mobilen Beratung Die Untersuchung hat eine komplexe Problem- und Bedarfslage herausgearbeitet. Von der konzeptionellen Anlage, den Methoden und vom Tätigkeitsprofil her ist Mobile Beratung in der Lage, auf diese vielfältigen und heterogenen Anforderungen zu reagieren. Ob der Ansatz allerdings seine Potenzen voll entfalten kann und diese in der Beratungspraxis umgesetzt werden, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die in der Untersuchung herausgearbeitet werden konnten. Im Folgenden werden entlang der untersuchten Bereiche die wichtigsten Ergebnisse der Evaluierung dargestellt und defizitäre Entwicklungen beleuchtet. Im Anschluss daran werden Thesen zur Weiterarbeit der MBTs formuliert. 5.1 Ergebnisse der Evaluierung der Mobilen Beratungsteams Konzeptioneller Ansatz Mobiler Beratung Die Untersuchung hat deutlich gemacht, dass die MBTs ein breites Tätigkeitsprofil entwickelt haben, um auf die vielfältigen Anforderungen reagieren zu können. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeiten steht die Beratung von lokalen Akteuren sowie Verantwortungsträgern aus Politik und Verwaltung zum Umgang mit rechtsextremen Erscheinungen. Mobile Beratung setzt sich zum Ziel, ein auf die jeweiligen lokalen bzw. institutionellen Gegebenheiten und Bedarfslagen zugeschnittenes Beratungsdesign zu entwerfen. Dadurch sollen die Anliegen und Interessen der Akteure vor Ort wahrgenommen und ihre Sicht der Dinge zum Ausgangspunkt der Beratung gemacht werden. Da sich Mobile Beratung als „Hilfe zur Selbsthilfe“ versteht, sollen die Akteure – unter möglichst optimaler Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Ressourcen – dazu befähigt werden, ihre Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen, um diese in die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Rechtsextremismus einzubringen. Mobile Beratung kann und soll zu zivilgesellschaftlichem Engagement aktivieren. Die Bürger/innen vor Ort sollen aber die Akteure dieses Selbstorganisations- und Auseinandersetzungsprozesses bleiben. Ziele Mobiler Beratung Die Ziele Mobiler Beratung werden von den meisten MBTs sehr allgemein formuliert. Eine Operationalisierung der allgemeinen Programmleitlinien in mittelfristige Projekt- und kurzfristige Handlungsziele ist offensichtlich nur bei den wenigsten MBTs systematisch verfolgt worden. Die Schwierigkeit einer Konkretisierung von Beratungszielen hängt allerdings auch damit zusammen, dass Mobile Beratung als offener Ansatz verstanden wird, dessen Zielbestimmungen sich jeweils aus dem konkreten Beratungsfall ergeben. Aussagen zu einer Zielerreichung von selbstgestellten Projektzielen lassen sich deshalb seitens der wissenschaftlichen Begleitforschung nur begrenzt machen. Zielgruppen Mobiler Beratung Mobile Beratung ist vom Anspruch her an all diejenigen Akteure und Institutionen gerichtet, die sich für eine Stärkung der Zivilgesellschaft engagieren wollen bzw. für die Entwicklung CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 165 einer Zivilgesellschaft wichtig sind. Die Breite der Zielgruppen erstreckt sich von zivilgesellschaftlichen Initiativen, kommunalen Verantwortungsträgern aus Politik und Verwaltung, Multiplikatoren und Mitarbeiter/innen im Jugend- und Bildungsbereich, Lehrer/innen und Schulsozialarbeiter/innen bis hin zu Polizei, Justiz und Wirtschaft. Gemessen an dem Anspruch der MBTs ist die reale Erreichung der Zielgruppen sehr begrenzt. Einige Kleinteams erreichen nur einen sehr kleinen Kreis von Zielgruppen, der die bereits für das Thema sensibilisierten Akteure kaum überschreitet. Allerdings gelingt es einem Teil der MBTs mit zunehmenden Erfolg, ein breiteres Spektrum im kommunalen Bereich und hier auch einflussreiche Verantwortungsträger und (politische) Institutionen anzusprechen. Dennoch zeigt sich bei den Zielgruppen deutliches Übergewicht bei Multiplikatoren und Akteuren aus dem Jugend- und Initiativenbereich. Tätigkeitsbereich Fortbildung Neben dem eigentlichen Kernbereich der Beratung haben einige MBTs den Tätigkeitsbereich „Fortbildungen und Informationsveranstaltungen“ auf- und ausgebaut. Zu Themen wie „Rechtsextremismus“, „rechtsextreme Jugendkulturen und Symbolik“ konnte sich so ein Teil der Berater/innen als Experten profilieren. Nicht nur an diesem Tätigkeitsfeld wird deutlich sichtbar, dass bei der Mobilen Beratung die Übergänge zur politischen Bildung fließend sein können. Begründet wird die Ausübung dieser Tätigkeit damit, dass darüber Ansprechpartner für Beratungen gefunden werden können und die hohe Nachfrage nach Fortbildungen abgedeckt werden kann/muss, weil es in manchen Regionen keine oder kaum Anbieter für politische Bildung zu den Themenbereichen Jugendgewalt und Rechtsextremismus gibt. Diese offensichtlich notwendige Fokussierung auf Tätigkeitsbereiche der Sensibilisierung bilden einerseits eine Teilvoraussetzung für Beratung. Andererseits entziehen allzu viele Fortbildungen und Informationsveranstaltungen dem Kernbereich Mobiler Beratung als Befähigung zur zivilgesellschaftlichen Aktivierung die nur begrenzt vorhandenen Arbeitskapazitäten. Rollen- und Selbstverständnis Zentral für die Bewertung der Mobilen Beratung ist das Rollen- und Selbstverständnis der Berater/innen. Die Frage des Rollenverständnisses hat bei den untersuchten Teams eine große Bedeutung und ist für einen Teil der Berater/innen auch nach zwei jähriger Beratungspraxis noch nicht (abschließend) geklärt. Das hohe Engagement, mit dem die Berater/innen sich zum Teil der Anliegen der zu Beratenden annehmen, kann leicht mit dem Verlust einer notwendigen Distanz einhergehen (vgl. Kap. 3.3 und insb. 4.2). Als ein generelles Problem kann das Verhältnis von Nähe und Distanz zum Beratungsgegenstand einerseits und zu den Beratenden andererseits festgehalten werden. Ein weiterer Befund ist, dass die Beraterrolle häufig nicht konsequent durchgehalten wird oder werden kann. So wurde von vielen Teams darauf hingewiesen, dass sie selbst mitunter in eine Akteursrolle treten müssen, um Veranstaltungen und Fortbildungen zum Rechtsextremismus durchzuführen, damit sie sich einen Zugang zu Multiplikatoren und anderen Adressaten von Beratung verschaffen können. Ein Teil der MBTs hat dabei aktiv auch an der Strukturerhaltung bzw. an dem -aufbau insbesondere im Jugendbereich mitgewirkt, um sich so ein Kooperationsnetzwerk aufzubauen und darüber eine Nachfrage nach Beratung zu initiieren. Eine wesentlich problematischere Form des Wechsels zwischen Berater- und Ak- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 166 teursrolle stellt die Einnahme einer politischen Akteursrolle dar. Einige Berater/innen sehen es als ihren Auftrag an, auch als MBTs (politisch) aktiv gegen Rechtsextremismus tätig zu werden und nehmen damit – wie folgend dargestellt – die Rolle von Bewegungsakteuren ein. Verschiedene Ansätze Mobiler Beratung Ein zentrales Ergebnis der Evaluierung ist die Herausarbeitung von zwei in der Ausrichtung verschiedenen Ansätzen und Vorgehensweisen Mobiler Beratung. Diese beiden „Grundströmungen“ treten nicht in Reinform auf, sondern können bei einzelnen Teams oder auch Berater/innen neben einander bestehen. Der eine Ansatz kann als offener moderierender Ansatz charakterisiert werden. Der andere Ansatz ist gekennzeichnet durch seine inhaltliche Fixierung auf den Rechtsextremismus und die Haltung einer Gegnerschaft zu diesem; was sich häufig in reaktiven und auch repressiven Bekämpfungsstrategien niederschlägt. An diesen beiden Grundausrichtungen können die Potenziale Mobiler Beratung näher bestimmt werden. a) Offener moderierender Ansatz Der offene moderierende Ansatz ist aufgrund seiner Anlage und den vorgestellten empirischen Befunden am ehesten in der Lage, eine demokratische Auseinandersetzung unter Einbezug möglichst aller Akteure vor Ort zu befördern. Dieser Befund lässt sich anhand aller Analysebereiche zeigen. Berater/innen, die diesen Ansatz konsequent verfolgen, stellen die Anliegen der Akteure durchweg in den Mittelpunkt ihres Vorgehens. Dieses wird möglich, da hier Mobile Beratung als eine Kommunikationsstrategie verstanden wird, die darauf ausgerichtet ist, „zuhörend“ die Sichtweisen der Akteure vor Ort zu erfragen. Die Beratung hilft den Akteuren durch eine spezifische Gesprächsführung, die man als „Hebammentechnik“ bezeichnen kann, ihre bereits vorhandenen Kompetenzen zu erkennen und in einer gemeinsamen Entwicklung von Handlungsstrategien umzusetzen. Den verschiedenen Akteuren vor Ort wird so mit einer Wertschätzung und Akzeptanz begegnet, die eine wichtige Grundlage für eine langfristige Zusammenarbeit ist. Mit solch einem Vorgehen bleibt die Selbstbestimmung der Aktiven vor Ort gewahrt; sie sind und bleiben die Akteure des Geschehens. Die Beratung dient „lediglich“ dazu, die Eigenkompetenzen zu stärken, die vorhandenen Ressourcen herauszuarbeiten und zu bündeln. Die Berater/innen nehmen dabei auch eine Art „Vorbildfunktion“ für demokratisches Verhalten und zivilgesellschaftliche Werteorientierung ein. Form und Inhalt einer an demokratischen Prinzipien orientierten Beratung bilden hier eine Einheit. Auf Seiten der zu Beratenden setzt dies die Bereitschaft und Freiwilligkeit voraus, sich zu engagieren. Dieser Beratungstyp baut auf die Mündigkeit der Bürger/innen und ihre Selbstorganisationspotenziale. Für die Berater/innen setzt dies voraus, sowohl Empathie für die zu Beratenden zu entwickeln, als auch immer wieder eine professionelle Distanz herzustellen und es dabei auszuhalten, dass die Akteure andere Handlungsstrategien verfolgen können als die Berater/innen für angebracht halten. Dieses professionelle Rollenverständnis und die Offenheit des Ansatzes sind am ehesten geeignet, viele Akteure aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen anzusprechen (vgl. Kap. 3.1.2; 3.2.3). Wie insbesondere die Darstellung des Fallvergleichs zeigte (vgl. Kap. 4), kann es mit solch einer offenen und moderierenden Kommunikationsstrategie gelingen, eine gemeinwesenorientierte Auseinandersetzung mit antidemokratischen Erscheinungen zu befördern. CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 167 b) Mobile Beratung als Gegnerschaft zum Rechtsextremismus Der zweite Ansatz zeichnet sich durch eine Fixierung und ein reaktives Vorgehen auf zumeist manifeste Erscheinungsformen von Rechtsextremismus aus. Die eigene Beraterrolle und das Vorgehen definieren sich in negativer Absetzung vom Rechtsextremismus. Die Beratung zielt tendenziell auf die Entwicklung direkter und häufig auch repressiver „Bekämpfungsstrategien“. Die Mobilisierung gegen einen negativ definierten Gegner bzw. „Feind“ kann unter bestimmten Bedingungen eine starke Ressource sein. Die bereits Sensibilisierten und zum Engagement Bereiten werden aufgewertet und erfahren durch das gemeinsame Vorgehen eine Solidarität und Stärkung des Gruppenzusammenhalts. Durch Mobile Beratung können möglicherweise die Handlungsansätze solcher bereits engagierter Gruppen und Einzelpersonen optimiert werden. Die Untersuchung hat jedoch deutlich gemacht, dass mit diesem Beratungsansatz eine Vielzahl von negativen Implikationen einhergehen können und seine Leistungsfähigkeit, zivilgesellschaftliches Engagement nachhaltig zu verbreitern, darum hinterfragt werden muss. So führen „Bekämpfungsstrategien“ des „Gegen“ zu einer unterkomplexen Bearbeitung des Rechtsextremismus, da in Dichotomien gedacht und gehandelt wird: die „Guten“ auf der einen Seite, die „Bösen“ auf der anderen Seite. Solche „Bekämpfungsstrategien“ gehen von der Grundannahme aus, dass durch die Verdrängung des Rechtsextremismus an dessen Stelle quasi automatisch zivilgesellschaftliche Strukturen und Potenziale entstehen würden. Positiv formulierte Konzeptionen und Strategien zur Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft und die Frage, wie diese beschaffen sein müsste, damit sich antidemokratische Erscheinungen nicht verfestigen bzw. ausbreiten können, kommen so weniger zur Geltung. Hingegen reiben sich solche „Bekämpfungsstrategien“ der Gegnerschaft zumeist an einzelnen manifesten Erscheinungen und Ereignissen von Rechtsextremismus auf. Die dabei zu beobachtenden konfrontativen und polarisierenden Formen der Auseinandersetzung schrecken solche Bürger/innen ab, die für diese (politisierten) Formen und Stile der Konfliktaustragung nicht empfänglich sind. Die bei diesem Beratungsansatz auch zu verzeichnende Klientenorientierung gilt dabei nicht im gleichen Maße für alle möglichen Zielgruppen, sondern insbesondere für diejenigen Akteure, die eine ähnliche Problemdefinition annehmen. Hier wird eine unterschiedliche Distanz und Nähe zu den zu beratenden Akteuren eingenommen. Auch die Akzeptanz der Meinungspluralität und der Eigenwille der Akteure vor Ort kommt bei diesem Ansatz weniger zum Tragen. In der Untersuchung zeigte sich, dass es manchen Beratern schwer fällt zu akzeptieren, dass die von ihnen beratenen Akteure andere Handlungsstrategien verfolgen, als die, die sie selbst im Beratungsprozess befürwortet haben. Zudem können gerade bei den Befragten, die sich diesem Beratungsansatz zuordnen lassen, fließende Übergänge zwischen Beraterrolle und Akteursrolle festgestellt werden. Mobile Beratung kann dann allzu leicht in eine politische Akteursrolle hineinrutschen. Dies steht jedoch einer Moderationsrolle entgegen, die zwischen den Anliegen und Interessen verschiedener Akteure zu vermitteln versucht und diese dazu befähigen soll, gemeinsam demokratische Auseinandersetzungsformen gegen antidemokratische Strömungen zu entwickeln. Die dargestellten negativen Implikationen dieses Ansatzes der Gegnerschaft und die konfrontativen Formen der Konfliktaustragung machen deutlich, dass dieser Beratungsansatz von der Anlage her – im Unterschied zum offenen Ansatz – nur sehr begrenzt das Potenzial CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 168 zu haben scheint, zu einer nachhaltigen Verbreiterung bürgerschaftlichen Engagements über das Bewegungsmilieu hinaus beizutragen. Rahmenbedingungen und Tätigkeiten der MBTs Die MBTs hatten seit ihrer Implementierung im Sommer/Herbst 2001 ein breites Bündel von Problemlagen und Aufgaben zu bearbeiten. In der Regel fanden sie in den Ländern zunächst nicht die Gegebenheiten und Strukturen vor, an denen sie mit ihrem Beratungsangebot ansetzen konnten. Eine zentrale Aufgabe bestand deshalb zunächst darin, sich Kooperationsbeziehungen und Netzwerke zu schaffen, an denen ihre Beratung „andocken“ konnte. Für diesen Strukturaufbau entwickelten die MBTs unterschiedliche Strategien. Neben Öffentlichkeitsarbeit und dem „üblichen Klinkenputzen“ wurde versucht, über Fortbildungen Zugang zu Multiplikatoren und Verantwortungsträgern insbesondere in der Jugendarbeit zu finden. Eine weitere Strategie bestand darin, Projekte zu initiieren und diese und ihre Träger bei der Konzeption, Antragstellung und Umsetzung zu unterstützen. Über diese Arbeitszusammenhänge sowie Fortbildungen und Informationsveranstaltungen ist es den MBTs mit unterschiedlichem Erfolg gelungen, sich als verlässlicher Partner zu etablieren und die anfänglich bestehende Skepsis ihnen gegenüber zu entkräften. Dieser Prozess war langwierig und hat auch vieler teaminterner Klärungsprozesse bedurft, wobei es auch nötig war, sich von unrealistischen Zielsetzungen und „weltverbesserischen“ Ansprüchen zu befreien. Dieser Klärungsprozess scheint nach den vorliegenden Beobachtungen bei den MBTs unterschiedlich konsequent angegangen worden zu sein. Die in der Untersuchung skizzierten Rahmenbedingungen machen exemplarisch auf einen grundlegenden Mangel an zivilgesellschaftlichen Strukturen aufmerksam. An den Fallbeispielen konnte zudem deutlich gemacht werden, dass die als defizitär zu charakterisierenden staatlichen Regelstrukturen insbesondere in der Jugendarbeit für die Arbeit der MBTs prägend sind. Die ungenügende Ausstattung der Jugendarbeit, die unsicheren Perspektiven von Einrichtungen und Projekten und die immer knapper werdenden Mittel für die Regelarbeit stellen für die MBTs eine schwierige Ausgangslage dar, die sie in ein kaum aufzulösendes Dilemma bringt. Die Bemühungen der MBTs, hier über ihren Beratungsauftrag zum Umgang mit Rechtsextremismus hinaus tätig zu werden, erklären sich aus der Notwendigkeit, sich für ihre Arbeit wichtige Strukturen aufbauen zu müssen. Ein Teil der MBTs löst dieses Dilemma in einer strategisch produktiven Weise. Durch Kooperationen und unentgeltliche Fortbildungs- und Beratungsangebote (auch in Antrags- und Projektberatung) machen sie sich zu verlässlichen und unverzichtbaren Partnern und speisen gleichzeitig ihre Inhalte in die jeweiligen Einrichtungen und Netzwerke ein. Es scheint, dass es den meisten MBTs gelungen ist, pragmatische Antworten auf diese Anforderungen zu finden. Dennoch stellt sich die Frage, ob es nicht auch eine Überforderung der MBTs ist, die nicht nur im Jugendbereich zu verzeichnenden defizitären Strukturen auffangen zu müssen bzw. zu wollen, wodurch die Tätigkeit der Befähigung zu zivilgesellschaftlichem Engagement zu kurz zu kommen droht. Weiter machen die schwierigen Rahmenbedingen deutlich, dass die MBTs und auch der zivilgesellschaftliche Ansatz als solcher nicht alle Missstände und Defizite in den staatlichen Regelstrukturen und Institutionen kompensieren kann. Die gravierenden sozialen Desintegrationsprozesse, die den MBTs einerseits als resignative Stimmung in den Kommunen entgegentritt und sich andererseits auch in manifesten Formen in einem „abgehängten“ gewaltbe- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 169 reiten Jugendmilieu zeigen, sind durch noch soviel Einsatz und bürgerschaftliches Engagement nicht aufzufangen. Diese strukturellen Grenzen des zivilgesellschaftlichen Ansatzes gilt es zu beachten, damit man nicht zu idealistischen Erwartungen der Leistungsfähigkeit des zivilgesellschaftlichen Ansatzes neigt und so Projekte und Programm vor unerfüllbare Aufgaben stellt. 5.2 Anregungen für die weitere Arbeit Mobile Beratung ist ein auf Vertrauen und Kontinuität basierender Prozess. Dies setzt sowohl bei den Berater/innen als auch bei den zu Beratenden Planungssicherheit und eine langfristige Arbeitsperspektive voraus. Irritationen in diesem oft auch störungsanfälligen Verhältnis von Berater/innen und zu Beratenden behindern den Beratungsprozess. So kann bei den in der Vergangenheit zu verzeichnenden unsicheren Förderperspektiven der MBTs eine verantwortungsvolle und auf langfristige Zusammenarbeit angelegte Beratungsperspektive nur schwerlich anvisiert werden. Deshalb sind klare und verbindliche Zusagen über Förderperspektiven und -umfang für eine auf Nachhaltigkeit angelegte Beratungsarbeit unablässlich. Mobile Beratung setzt Vertrauen und Gestaltungsfreiheit gegenüber den Berater/innen und Trägern der MBTs voraus. Die aus der Modellphase gewonnenen Erfahrungen sollten die Grundlage der weiteren Förderung sein. Dabei zeigte die Untersuchung, wie wichtig es ist, dass die MBTs auch weiterhin flexibel auf die jeweiligen Anforderungen reagieren können. Unter der Wahrung der Möglichkeit flexiblen Vorgehens sollten dennoch langfristig verbindliche Rahmenzielvereinbarungen mit den MBTs – auch in Abgrenzung zu den Arbeitsbereichen der Netzwerkstellen – ausgehandelt werden. Die Komplexität der Aufgaben und die Tatsache, dass es kein Berufsbild „Mobile Beratung“ gibt, stellen die Berater/innen vor die hohe Anforderung, selbst ein professionelles Beratungsverständnis zu entwickeln und dies in die Praxis umzusetzen. Diesen Anforderungen versuchen sie durch Fortbildung und Supervision zu begegnen. Nachdem eine fachliche Kompetenz zum Rechtsextremismus weitgehend erarbeitet worden ist, kommt es nun darauf an, Fortbildungen in Beratungstechniken und Kommunikationsstrategien wahrzunehmen. Gerade wenn es gelingen soll, klientenorientiert auf die sehr heterogenen Anliegen und „Befindlichkeiten“ der Akteure einzugehen sowie die unvermeidlichen Konflikte zu moderieren, sind Qualifizierungen in Moderationstechniken und Mediation unerlässlich. Es wäre deshalb darüber nachzudenken, ob nicht für alle MBTs eine begleitende Fortbildung zu Beratungsund Konfliktbearbeitungsmethoden angeboten werden sollte. Da Mobile Beratung auch aufgrund des hohen Bedarfs sehr stark im Jugendbereich tätig ist, müssten die Berater/innen auch für diesen Bereich inhaltlich und methodisch spezifisch qualifiziert sein. Wenn möglich sollten in den Großteams Berater/innen mit Berufserfahrungen in der Jugendarbeit angestellt sein, um so die Einrichtungen auch vor dem Hintergrund von Erfahrungswissen beraten zu können. Fehlen diese praktischen Erfahrungen, wäre es ratsam, auch zu diesem Themenkomplex regelmäßig Fortbildungen durchzuführen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass bei einem Teil der MBTs pauschale Vorbehalte gegenüber einer sozialen Arbeit mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen bestehen. Dies ist insofern von Bedeutung, da in den Einrichtungen, die sie beraten, dieser Personenkreis anzutref- CIVITAS: Evaluierung der Mobilen Beratungsteams 170 fen ist. Eine auf die jeweiligen lokalen und institutionellen Gegebenheiten zugeschnittene Beratung sollte ihre vorgeschlagenen Interventionsstrategien von dem jeweiligen Fall abhängig machen und für alle Methoden gleichermaßen offen sein. Bestimmte Ansätze der Jugendarbeit sollten nicht kategorisch abgelehnt werden, wie dies öfters bei der „akzeptierenden“ (Jugend-)Sozialarbeit der Fall zu sein scheint. Eine wichtige Aufgabe der MBTs wird in Zukunft die Entwicklung von ethischen Standards der Beratung sein. Dabei ist zu klären, wie weit die Berater/innen in die Selbstorganisationsprozesse der Akteure vor Ort eingreifen sollen und dürfen. Hier geht es um das demokratische Selbst- und Rollenverständnis, mit denen die Berater/innen den zu Beratenden gegenübertreten. Auch geht es dabei um Standards zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte der zu Beratenden aber auch derer von Bürger/innen, die fremdenfeindliche bzw. antidemokratische Meinungen vertreten. Welche Verhaltensformen sind für Berater/innen zulässig, um auf nicht geteilte Auffassungen zu reagieren? Mobile Beratung ist ein für alle interessierten Akteure offener Prozess. Deshalb sollte auch das Beratungsangebot offen und in einer positiven Zielsetzung formuliert werden. Die Ausrichtung auf eine Gegnerschaft zum Rechtsextremismus geht der Formulierung einer positiven Zielsetzung aus dem Weg. Ein positiver formulierter Beratungsansatz würde bei jedem Beratungsfall erneut die Frage auf die Agenda stellen, wie ein demokratisches Gemeinwesen unter der Beteiligung möglichst vieler Akteure aussehen soll. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Problemlagen und der Schwierigkeit, konkrete handhabbare Formen für die lokalen Gegebenheiten zu entwickeln und dadurch den Programmauftrag der Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements und demokratischer Auseinandersetzungsformen mit Rechtsextremismus zu befördern, sind nach Darstellung der Berater/innen viele positive Entwicklungen angelaufen, die aber in vielen Beratungsprozessen nun an einem Scheideweg stehen. Wird aus den entwickelten Ansätzen und Vernetzungen ein auf einander abgestimmtes und verzahntes Handlungskonzept mit auf verschiedene Zielgruppen ausgerichteten Interventionsansätzen, oder werden die durch die Beratungsprozesse angeschobenen Aktivitäten eine Episode bleiben? Die Entwicklung lokaler auf einander abgestimmter und verzahnter Handlungsstrategien setzt bei einem Teil der Teams Umsteuerungen voraus. Auf Seite des Programms müssen zur Implementierung und Begleitung nachhaltiger und verlässlicher Beratungsprozesse stabile und längerfristig planungssichere Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden. Planungsunsicherheiten des Programms oder die ungewissen Förderungen durch die Länder sind nach Auskunft der MBTs mit solch einem notwendig auf Langfristig- und Nachhaltigkeit angelegten Beratungsansatz nicht vereinbar. Damit die durch die Mobilen Beratungsteams geschaffenen Foren der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus nicht wieder in sich „zusammenfallen“, scheint vielerorts eine weitere Begleitung der Beratungsfälle durch die Mitarbeiter/innen der MBTs notwendig. Dabei versprechen die Methoden und Vorgehensweisen, die sich an dem offenen moderierenden Ansatz als Modell orientieren, am ehesten die angeregten Auseinandersetzungsprozesse und Netzwerke auf Dauer zu stellen. Für diese noch notwendige „Entwicklungsarbeit“ ist die Sicherung der Kontinuität der Projektarbeit eine wichtige Voraussetzung. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 171 IV B Opferberatungsstellen (von Johannes Vossen) 1 2 Idealtypische Beschreibung der CIVITAS-Opferberatungsstellen ........................ 173 1.1 Kurzcharakterisierung des Ansatzes ..................................................................... 173 1.2 Schlüsselkategorien............................................................................................... 174 1.3 Die durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen .............. 175 Methodisches Vorgehen.............................................................................................. 178 2.1 Untersuchungsschwerpunkte und Fragestellungen ............................................... 178 2.2 Datenbasis und thematische Ausrichtung der qualitativen Interviews mit Mitarbeiter/innen ...................................................................................................... 178 2.3 Vergleichsuntersuchung von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte ............................................................................................................................... 179 2.4 3 Beurteilung und Bewertung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen................... 180 Externe und interne Rahmenbedingungen ............................................................... 182 3.1 Umgang mit dem Thema „Rechtsextremismus“ in der Landes- bzw. Kommunalpolitik ..................................................................................................... 182 4 3.2 Das CIVITAS-Programm: Ressourcen und Begrenzungen .................................. 183 3.3 Interne Rahmenbedingungen: Träger und Teamstrukturen................................... 187 Tätigkeitsfelder der CIVITAS-Opferberatungsstellen............................................ 190 4.1 Unterstützung von Individuen durch Beratung und Begleitung............................ 190 4.1.1 Grundprinzipien der Beratung....................................................................... 190 4.1.2 Zielsetzungen ................................................................................................ 193 4.1.3 Zielgruppen der Beratung.............................................................................. 194 4.1.4 Zugangswege zu den Betroffenen ................................................................. 197 4.1.5 Opferdefinition/Prüfung der Tatumstände .................................................... 200 4.1.6 Rollendefinition der Beratenden/Methodeneinsatz ....................................... 203 4.1.7 Ablauf und Phasen der Beratung bzw. Begleitung........................................ 205 4.1.8 Grenzen und Ende der Beratung bzw. Begleitung ........................................ 207 4.1.9 Multiplikation des Beratungsansatzes ........................................................... 208 4.2 Unterstützung von kollektiven Prozessen bzw. kollektiver Akteure zur Förderung der gesellschaftlichen Integration der betroffenen Personen(gruppen) .......................... 210 4.2.1 Aktivierung von Unterstützung für die Opfer ............................................... 210 CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 5 4.2.2 Vernetzung .................................................................................................... 212 4.2.3 Förderung bzw. Stärkung der Selbstorganisation.......................................... 214 4.2.4 Sensibilisierung für das Problemfeld durch Öffentlichkeitsarbeit ................ 216 4.2.5 Kommunale Interventionen........................................................................... 220 4.2.5.1 Begriff/Kriterien/Voraussetzungen/Zielsetzungen.................................... 220 4.2.5.2 Verläufe..................................................................................................... 222 4.2.5.3 Zusammenarbeit mit Mobilen Beratungsteams......................................... 224 4.2.5.4 Anregungen zu Verbesserungen................................................................ 229 Vergleich von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte ............... 231 5.1 Die Untersuchung der beiden Kleinteams aus der Innenperspektive .................... 231 5.1.1 Kurzbeschreibung der Kleinteams, lokale Rahmenbedingungen und Trägerhintergrund.......................................................................................... 231 5.1.2 Projektauftrag und Zielsetzungen.................................................................. 233 5.1.3 Zielgruppen ................................................................................................... 234 5.1.4 Fachliche Grundprinzipien............................................................................ 235 5.1.5 Tätigkeitsfelder.............................................................................................. 235 5.1.6 Ergebnisse ..................................................................................................... 237 5.1.7 Zusammenfassender Vergleich der beiden Kleinteams ................................ 240 5.2 Die Untersuchung der beiden Kleinteams aus der Außenperspektive .................. 241 5.2.1 Beurteilung des Bedarfs für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten .................................................................................. 241 5.2.2 Beurteilung des Bekanntheitsgrades ............................................................. 243 5.2.3 Tätigkeitsfelder/Zielgruppen/Beurteilung des Angebots .............................. 245 5.2.4 Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit............................................................ 248 5.2.5 Beurteilung des Beratungsansatzes ............................................................... 250 5.2.6 Beurteilung der Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen ...................................... 253 5.2.7 Beurteilung der Ergebnisse ......................................................................... 255 5.2.8 Weitere Anregungen zur Projektarbeit.......................................................... 259 5.3 6 172 Zusammenfassende Beurteilung der Tätigkeit der beiden Kleinteams ................. 262 Zusammenfassende Bewertung der CIVITAS-Opferberatungsstellen.................. 266 CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 173 1 Idealtypische Beschreibung der CIVITAS-Opferberatungsstellen 1.1 Kurzcharakterisierung des Ansatzes Mit Beginn des CIVITAS-Programms im Juli 2001 wurde erstmals eine flächendeckende Beratung für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in den neuen Bundesländern eingerichtet. Grundimpuls war dabei, die bis dahin im Bereich der Programme und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus vorherrschende Fixierung auf die Täter zu überwinden und für die neuen Bundesländer ein flächendeckendes Netz von Unterstützungsangeboten für die Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten aufzubauen. Die Tätigkeit der von CIVITAS geförderten Opferberatungsstellen soll sich idealtypisch nach den vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlassenen Leitlinien an Menschen richten, die innerhalb eines regionalen Zusammenhangs als Angehörige ethnischer, kultureller oder sozialer Minderheiten angesehen werden und die deshalb Opfer rechtsextremer, fremdenfeindlicher oder antisemitischer Körperverletzungen bzw. anderer Verletzungen ihrer Integrität (zum Beispiel Bedrohungen oder Ehrverletzungen) werden. Bei der Beurteilung der Tat als Ausgangspunkt für eine Intervention sind neben der subjektiven Interpretation des bzw. der Betroffenen auch glaubhafte Indizien für eine rechtsextreme oder rassistische Tätermotivation zu ermitteln. Die Opferberatungsstellen haben bei ihrer Tätigkeit die besondere Situation der Opfer von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten zu berücksichtigen, „die gekennzeichnet ist von mangelnder Mobilität, großer Rechtsunsicherheit, sprachlichen Verständigungsproblemen und tiefem Misstrauen gegenüber Behörden und Institutionen“ (CIVITAS-Leitlinien 2003: 3). Die Arbeit der Opferberatungsstellen soll menschenrechtsorientiert sein und die Perspektive der Opfer als zentralen Ausgangspunkt aller Aktivitäten im Blick haben. Der Beratungsansatz soll niedrigschwellig und aufsuchend angelegt sein und den Grundsatz einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ umsetzen. Durch die Tätigkeit der Opferberatungsstellen soll den Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten ein breites Spektrum von Unterstützungsleistungen zur Verfügung gestellt bzw. vermittelt werden. Das Beratungsangebot ist freiwillig, vertraulich und auf Wunsch anonym. Es reicht von der psychosozialen Krisenintervention über die Vermittlung therapeutischer und/oder rechtlicher Unterstützung, die Begleitung und Unterstützung im Rahmen von Straf- und Zivilverfahren bis zur Hilfe bei der Beantragung von (Entschädigungs-)Leistungen. Die Beratungstätigkeit soll auch darauf hinarbeiten, mit den betroffenen Personen(gruppen) und ihrem Umfeld gemeinsam Strategien zu entwickeln, mit denen ihre gesellschaftliche Integration verbessert werden kann. Dabei sollen die Sachkompetenz der Betroffenen(gruppen) genutzt und gefördert werden, damit sich die betroffenen Personen(gruppen) längerfristig gesellschaftlich integrieren und diskriminierenden Alltagserfahrungen entgegentreten können. Zusätzlich sollen dabei bestehende lokale zivilgesellschaftliche Initiativen für die Unterstützung von Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten sensibilisiert und zum Beispiel beim Aufbau von Unterstützungsnetzwerken einbezogen werden. Um bei diesen Prozessen beste- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 174 hende lokale Sach- und Handlungskompetenzen zu nutzen, wird eine enge Zusammenarbeit mit den CIVITAS-geförderten Mobilen Beratungsteams und den lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren, empfohlen. Die Opferberatungsstellen sollen sich in die örtliche Infrastruktur von (Opfer-)Beratungen integrieren, dabei ihr eigenes Profil entwickeln und so das vorhandene Beratungsangebot ergänzen. Dabei soll auch eine Multiplikation des Handlungsansatzes durch eine enge Zusammenarbeit mit Trägern und Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren, sowie durch Maßnahmen zur Sensibilisierung und Kompetenzbildung erreicht werden. 1.2 Schlüsselkategorien Die folgenden Schlüsselkategorien strukturieren das Tätigkeitsfeld und dienen der folgenden Beschreibung des Tätigkeitsbereichs der Opferberatungsstellen als analytische Hintergrundfolie. Sie wurden für die Opferberatungsstellen durch den aus dem CIVITASProgramm stammenden konzeptionellen Rahmenauftrag und aus ersten empirischen Ergebnissen über die Projektpraxis inhaltlich gefüllt. Teilbereich „Befähigen“ Durch die Tätigkeit der Opferberatungsstellen sollen von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten betroffene Einzelpersonen bzw. betroffene Gruppen unterstützt und im Rahmen einer Strategie von „Hilfe zur Selbsthilfe“ gezielt befähigt werden, die eigenen Ressourcen und Kompetenzen zur Verarbeitung der Tat und zur Überwindung der Opferrolle zu nutzen. Die Beratungsgespräche sollen dabei neben der psychosozialen Krisenintervention und der Klärung von Rechtsfragen darauf abzielen, gemeinsam lokale Strategien zu entwickeln, damit sich die betroffene Person bzw. Gruppe längerfristig gesellschaftlich integrieren und diskriminierenden Alltagserfahrungen selbständig entgegentreten kann. Teilbereich „Sensibilisieren“ Sensibilisierung zielt auf die Erzeugung von Problembewusstsein und Handlungsbedarf im Hinblick auf die Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Die Tätigkeit der Opferberatungsstellen richtet sich dabei zunächst auf die Kompetenzbildung und Sensibilisierung von zivilgesellschaftlichen Initiativen. Durch die Erstellung und Verbreitung von Informationsmaterialien und Dokumentationen soll auch eine breitere Öffentlichkeit für die Belange der Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten sensibilisiert werden. Teilbereich „Mobilisieren/Aktivieren“ Durch Impulse zur Mobilisierung/Aktivierung sollen die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen im Rahmen fallbezogener Interventionen im kommunalen Raum Engagement und Handlungspotential zur Unterstützung der Opfer und damit gegen rechtsextreme Akteure erzeugen. Dabei geht es vor allem um die Stärkung der Selbstorganisation und -artikulation von Betroffenen(gruppen) rechtsextremer Gewalt. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 175 Teilbereich „Vernetzen“ Zentral ist in diesem Bereich der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken für von rechtsextremen Straf- bzw. Gewalttaten betroffenen Einzelpersonen oder Personengruppen sowie die Kooperation mit anderen Beratungsstellen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Neben der Zusammenführung der zivilgesellschaftlichen Initiativen zielt diese Schlüsseltätigkeit auf eine Stärkung der Selbstartikulation bzw. -organisation von Betroffenen(gruppen). Dadurch soll neben dem Schutz und der Unterstützung der Opfer auch längerfristig eine Multiplikation des Beratungsansatzes in der Initiativenlandschaft erreicht werden. 1.3 Die durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen Im Rahmen des CIVITAS-Förderschwerpunkts „Beratung von Opfern rechtsextremer Strafund Gewalttaten“ sind seit 2001 kontinuierlich acht Projekte gefördert worden. Fünf dieser Projekte agieren in Flächenländern: die „Opferperspektive“ in Brandenburg, AMAL in Sachsen, LOBBI in Mecklenburg-Vorpommern, ABAD in Thüringen und die Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt. Vier dieser fünf Projekte (in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) haben für ihre Arbeit jeweils zwei bis drei über das jeweilige Bundesland flächendeckend verteilte Regionalbüros mit mehreren Mitarbeiter/innen eingerichtet. In Sachsen-Anhalt waren die Büros der Mobilen Beratung bisher mit den Regionalbüros des Trägers Miteinander e.V. verbunden, in denen neben anderem Personal jeweils ein Opferberater tätig war. Drei der acht Projekte sind in städtischen Gebieten bzw. im städtischen Umland angesiedelt (Reach Out für Berlin, die Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten für Dessau und Anhalt und die CIVITASfinanzierte Opferberatung für Opfer rechtsextremer Gewalt der RAA Leipzig für das Leipziger Umland). Je nach Größe des Einzugsbereichs und der Zahl der vorhandenen Regionalbüros wurden für das jeweilige Projekt eine bis sechs Stellen zur Verfügung gestellt (vgl. Tabelle 1). CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 176 Tabelle 1: Durch das CIVITAS-Programm geförderte Opferberatungsstellen (Stand: Juli/August 2003) Projekt Bundesland Träger Regionalbüros Stellenumfang ABAD (Anlaufstelle für Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen und Diskriminierungen) Thüringen Flüchlingsrat Erfurt, Gera 4 Vollzeit-Stellen AMAL Sachsen Thüringen e.V. 1 80%-Stelle Netzwerk für De- Dresden, Görlitz, mokratische Kultur Wurzen e.V. 1 Vollzeit-Stelle Beratungsstelle für Sachsen-Anhalt Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten für Dessau und Anhalt Multikulturelles Zentrum Dessau e.V. Dessau 1 Vollzeit-Stelle LOBBI (Landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt) e.V. LOBBI e.V. Neubrandenburg, Rostock, Schwerin 6 Vollzeit-Stellen (davon 1 z.Zt. gesperrt) Mobile Beratung Sachsen-Anhalt für Opfer rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt Miteinander e.V. Halberstadt, Halle, Magdeburg, Salzwedel 4 Vollzeit-Stellen Opferperspektive e.V. Opferperspektive e.V. Potsdam, Cottbus 5 Vollzeit Beratungsstelle für Sachsen Opfer rechtsextremer Gewalt in Leipzig und Nordwestsachsen RAA Leipzig Stadt Leipzig; 1 Vollzeit Kreis Leipziger Land, Muldentalkreis, Kreis TorgauOschatz, Kreis Delitzsch Reach Out ARIBA e.V. Berlin 3 Vollzeit-Stellen Opferperspektive e.V. Potsdam 1 halbe Stelle Koordination MecklenburgVorpommern Brandenburg Berlin 8 halbe Stellen 2 halbe Stellen (z.Zt. gesperrt) Mit Jahresbeginn 2002 wurde zusätzlich zu den acht seit Juli 2001 geförderten Projekten eine eigene Koordinationsstelle für diesen Programmschwerpunkt als neuntes Projekt mit separater Finanzierung eingerichtet. Die Koordination wird von einem Mitarbeiter der „Opferperspektive e.V.“ auf der Basis einer halben Stelle wahrgenommen, der mit der anderen Hälfte seiner Arbeitszeit als Opferberater tätig ist. Die Koordinationsstelle hat in den Jahren 2002 und 2003 eine wichtige Rolle beim Erfahrungstransfer von der bereits seit 1998 in Brandenburg tätigen „Opferperspektive“ hin zu den neu gegründeten Opferberatungsstellen, bei der Entwicklung und Durchführung eines kontinuierlich betriebenen, selbstgesteuerten Fortbil- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 177 dungsprogramms der Opferberatungsstellen und bei der internen Vernetzung innerhalb dieses Programmschwerpunkts gespielt. In den CIVITAS-Opferberatungstellen sind z.Zt. 36 Personen hauptamtlich tätig, zum Teil in Teilzeitbeschäftigung, meist aber auf vollen Stellen; es handelt sich um 17 Frauen und 19 Männer. Die Stellen der Berater/innen werden mit BAT IVb-O vergütet. Fünf der acht Projekte verfügen über CIVITAS-finanzierte Projektleitungen bzw. Koordinationsstellen. Diese sind nach BAT III-O eingruppiert. Drei der Stellen für Berater/innen sind z.Zt. im Zuge von Überprüfungen der BAT-Einstufungen der betreffenden Mitarbeiter/innen gesperrt. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 178 2 Methodisches Vorgehen 2.1 Untersuchungsschwerpunkte und Fragestellungen Im Mittelpunkt der vorliegenden Teiluntersuchung steht eine Beschreibung und Bewertung des Tätigkeitsbereichs der durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen auf der Basis von qualitativen, problemzentrierten Interviews mit zahlreichen Mitarbeiter/innen der durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen. Dazu werden zunächst die externen und internen Rahmenbedingungen für die Tätigkeiten dargestellt, die nach Einschätzung der Mitarbeiter/innen unmittelbar auf die eigene Projektarbeit und ihr personelles und institutionelles Umfeld einwirken. Zentrale Fragestellung war hier: Welche Rahmenbedingungen gelten unter den Mitarbeiter/innen als förderlich, welche hingegen als hemmend für ihre Projektarbeit (vgl. Kap. 3)? Der eigentliche Untersuchungsschwerpunkt befasst sich anschließend mit dem Tätigkeitsbereich der Opferberatungsstellen. Zentrale Fragestellungen der vorliegenden Untersuchung waren: Welche Tätigkeiten üben die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen aus? Wie gehen sie dabei vor? Welche Probleme erleben sie dabei? Welche Lösungsansätze für diese Probleme sehen sie bzw. setzen sie ein? (vgl. Kap. 4) Die Ausrichtung der Fragen zielte neben der Beschreibung des Tätigkeitsbereichs darauf ab, Bewertungen der eigenen Tätigkeit aus der Perspektive der Mitarbeiter/innen zu erheben. 2.2 Datenbasis und thematische Ausrichtung der qualitativen Interviews mit Mitarbeiter/innen Datenbasis der vorliegenden Teiluntersuchung sind problemzentrierte Leitfaden-Interviews (vgl. Witzel 2000), die im Frühjahr und Sommer 2003 durchgeführt wurden. Insgesamt umfasst die Materialbasis drei explorative Interviews mit Kleinteams der Opferberatungsstellen (durchgeführt im März und Juni 2003), eine Gruppendiskussion mit Vertreter/innen von sechs der acht Opferberatungsstellen einschließlich Koordinator (durchgeführt im Juni 2003) und 15 jeweils zwei- bis dreistündige Telefoninterviews mit Mitarbeiter/innen und dem Leitungspersonal (durchgeführt vom 11. Juli bis 22. August 2003), die protokolliert wurden. Herzstück der Datenbasis sind zweifellos diese Telefoninterviews, die in der letzten Fassung (der Leitfaden wurde während der Interviewphase immer wieder leicht verändert, wenn Fragen nicht verstanden wurden oder sich als überflüssig herausstellten, weil es Überschneidungen gab) 44 Fragen umfassten. Während durch Frage 1 die Kleinteamstruktur erhoben wurde und die Fragen 2 und 3 auf aktuelle Probleme eingingen, die die Projektarbeit beeinträchtigten, befasste sich das Gros der Fragen mit dem Auftrag, den leitenden Prinzipien und den Zielen der Projektarbeit (Fragen 4-10) sowie den konkreten Tätigkeiten der Opferberatungsstellen (Fragen 11-27). Anschließend (Fragen 28-37) wurden die Interaktionen innerhalb und außerhalb des CIVITAS-Programms und die fördernden bzw. hemmenden Rahmenbedingungen (Frage 38) erhoben. Den Abschluß der Erhebung bildeten Fragen nach den Resonanzen im näheren und weiteren Umfeld (Frage 39-42) und auf Erfolge oder Misserfolge bzw. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 179 auf Nachhaltigkeit und Verstetigung der Projektarbeit bezogene Frageimpulse (Fragen 4344). Bei den unterschiedlichen Befragungen wurden insgesamt 29 verschiedene Mitarbeiter/innen und Leiter/innen der CIVITAS-Opferberatungsstellen interviewt, bei einer Zahl von zur Zeit 36 hauptamtlich Beschäftigten entspricht das einer Quote von 80,5%. Dabei wurden Mitarbeiter/innen aller von CIVITAS geförderten Opferberatungsprojekte und der Koordinator einbezogen. Die Interviews mit den Mitarbeiter/innen wurden auf Audio-Kassetten aufgenommen und komplett transkribiert. Mit Hilfe des Software-Pakets WinMax wurden drei Interviews komplett kodiert und eine exemplarische Einzelfallauswertung erstellt. Dabei wurde die Feinsystematik zu den Untersuchungsschwerpunkten aus dem Interviewmaterial herausgearbeitet, die diesem Bericht zugrunde liegt (vgl. Kap. 3-5). Die weiteren relevanten Interviewpassagen wurden dieser Systematik bei der Niederschrift dieses Berichts zugeordnet. Aus der Fülle des Datenmaterials wurden dabei diejenigen Interviewpassagen ausgewählt, die als verallgemeinerungsfähig für das Interviewmaterial insgesamt gelten können. Ergab sich aus dem empirischen Material kein einheitliches, verallgemeinerungsfähiges Bild, wurden zu ein und demselben Phänomen Varianten herausgegriffen und gegeneinander kontrastiert, um ein Spektrum von unterschiedlichen Umsetzungsweisen zu markieren. 2.3 Vergleichsuntersuchung von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte Im Anschluß an die Befragung von Mitarbeiter/innen aller CIVITAS-Opferberatungsstellen wurde eine vertiefende Untersuchung von zwei Kleinteams durchgeführt. Die Untersuchungsschwerpunkte und Fragestellungen entsprachen der obigen Systematik. Die Auswahl der Kleinteams erfolgte nach den im Konzept genannten Kriterien: enge Zusammenarbeit mit anderen CIVITAS-Projekten, Wahrscheinlichkeit des Fortbestehens über das Jahr 2004 hinaus, Zusammenhang mit den geplanten kommunalen Kontextanalysen.Es wurden zwei Kleinteams von Opferberatungsprojekten ausgewählt, bei denen Ausgangsbedingungen und Entwicklungsstand vergleichbar sind. Beide Projekte sind aus ehrenamtlichen Wurzeln hervorgegangen und leisten ihre Arbeit in Flächenländern. Die Beratungstätigkeit wird in über das jeweilige Bundesland verteilten Regionalbüros durchgeführt, von denen eines für die vertiefende Untersuchung ausgewählt wurde. Für die Befragung der Kooperationspartner wurden zunächst Vorschläge des Kleinteams eingeholt. Aus den Vorschlägen wurde eine Auswahl getroffen, da bestimmte Personen bereits im Rahmen von Befragungen zu den Kooperationspartnern der Netzwerkstellen interviewt worden waren und deshalb nicht nochmals befragt werden sollten. Diese Auswahl wurde um Personen ergänzt, deren Relevanz sich aus dem vorangegangenen Telefoninterview mit einem Kleinteammitglied ergeben hatte. Wo schriftliche Kooperationsvereinbarungen bestanden, wurden diese Personen bevorzugt interviewt. Die Befragung der Kooperationspartner wurde durch einige Interviews mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Justiz, Polizei, Ministerien und Zivilgesellschaft ergänzt, wobei Vorschläge des jeweiligen Kleinteams berücksichtigt wurden. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 180 Insgesamt wurden im Rahmen dieses Untersuchungsschritts bei zwei Projektbesuchen zwei mehrstündige face to face-Interviews mit zwei Mitarbeiter/innen der jeweiligen Kleinteams, bei Team A zehn Interviews mit Kooperationspartner/innen und Experten und bei Team B acht Befragungen von Kooperationspartnern und Experten durchgeführt. Die niedrigere Zahl bei Team B erklärt sich daraus, dass fest zugesagte Interviews nicht zustande kamen und in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht ersetzt werden konnten. Die Befragungen der Kooperationspartner und Experten wurden zum Teil face to face beim Projektbesuch vor Ort, zum Teil telefonisch und in einem Fall schriftlich durchgeführt und bilden die Grundlage für Kapitel 5 dieser Teiluntersuchung. 2.4 Beurteilung und Bewertung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen Die Beurteilung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen erfolgt im Bericht auf drei Ebenen: Innenperspektive der Mitarbeiter/innen: Bestandteil der Mitarbeiterbefragung waren Fragen nach aktuellen Problemen bei ihrer Tätigkeit und Möglichkeiten bzw. Strategien diese zu lösen. Außerdem wurde nach den Ergebnissen bestimmter Teiltätigkeiten bzw. der Tätigkeit insgesamt gefragt, so dass Erfolge bzw. Misserfolge artikuliert werden konnten und wurden. Dadurch war bereits durch die Mitarbeiter-Interviews eine erste Grundlage für Beurteilungen gegeben. Außenperspektive der Kooperationspartner/innen und Experten: Bestandteil des Kleinteamvergleichs war eine detaillierte Erhebung der Beurteilungen von Kooperationspartnern und Experten zu den Tätigkeitsbereichen der Opferberatungsstellen. Dabei wurden meist positive, zum Teil aber auch kritische Stellungnahmen abgegeben und eingefangen. Damit wurde weiteres Material zur Beurteilung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen zur Verfügung gestellt. Außenperspektive der fachlichen Prinzipien und Standards: Für die politische Bildung gilt seit 1976 der Beutelsbacher Konsens (Schiele/Schneider 1996: 226-227). Die grundlegenden Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses haben für (sozial-) pädagogische Arbeit generelle Bedeutung und haben deshalb auch für die Tätigkeit der Opferberatungsstellen eine Leitfunktion. Er formuliert drei wesentliche Prinzipien: 1. das Überwältigungsverbot, 2. das Kontroversitätsgebot, 3. die Berücksichtigung der Interessenlage. Das Überwältigungsverbot verankert den Grundsatz, dass der Mensch Subjekt des pädagogischen Prozesses ist und nicht manipuliert, benutzt oder indoktriniert werden darf. Das Kontroversitätsgebot besagt, dass Unterrichtungen mehrperspektivisch und nicht einseitig erfolgen sollten, um Indoktrinierungen zu vermeiden. Bei der Berücksichtigung der Interessenlage kommt es darauf an, das Unterrichtsgeschehen in Beziehung zu den Interessen der Schülerinnen und Schüler zu bringen. Dieser Grundsatz lässt sich zu dem Postulat erweitern, dass es erforderlich ist, bei den Bedürfnissen und Problemlagen der jeweiligen Zielgruppen anzusetzen. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 181 Für die Beurteilung der Tätigkeit der Opferberatungsstellen wurden außerdem die „Qualitätsstandards für eine professionelle Unterstützung von Kriminalitätsopfern, Standards des Arbeitskreises der Opferhilfen in der Bundesrepublik Deutschland (ado)“ nach dem Stand vom November 1996 herangezogen. Es wurde versucht, aus den drei Beurteilungsperspektiven Schnittmengen zu bestimmen. Wo decken sich Innenperspektive und Außenperspektiven? Wo gibt es Lernprozesse bzw. Problemlösungen, die das eine Projekt bereits vollzogen hat, ein anderes Projekt noch nicht? Welche Vorgehensweisen haben sich als sinnvoll herausgestellt bzw. umgekehrt, haben permanente Blockaden bzw. Misserfolge produziert? Die drei Perspektiven wurde mit Hilfe derartiger Auswertungsfragen zu Bewertungen verdichtet, die in das abschließende Kapitel 6 eingegangen sind. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 182 3 Externe und interne Rahmenbedingungen 3.1 Umgang mit dem Thema „Rechtsextremismus“ in der Landes- bzw. Kommunalpolitik Ein wesentlicher Rahmenfaktor ist die Wahrnehmung des Themas Rechtsextremismus in der jeweiligen Landes- bzw. kommunalen Politik und die vorhandene Initiativenlandschaft gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Davon werden die Handlungsmöglichkeiten der Berater/innen vor Ort direkt beeinflusst. Es lassen sich nach Wahrnehmung der Befragten zwei Hauptkonstellationen ausmachen: a) In größeren Städten, vor allem an den eigenen Standorten, finden die Opferberatungsstellen oft eine gute Aktionsbasis vor, hier gibt es in aller Regel auch bereits die erforderliche Initiativenlandschaft zur Unterstützung ihrer Tätigkeit und zum Aufbau von Unterstützungsnetzwerken für die Betroffenen: „Das Gegenbeispiel war immer ((Stadt)). ((Stadt)) hat die reichhaltigste Initiativenlandschaft in ganz ((Bundesland)), hat auch eine ganz offene Verwaltung. Also so eng, wie wir da mit der Ausländerbeauftragten zusammenarbeiten und so intensiv, nirgendwo sonst. Also in ((Stadt)) bleiben keine Wünsche offen. (...) Du hast einfach eine reichhaltige Initiativenlandschaft, die eine ganz lange Tradition hat. Also ein langes, langes, langes Leben. Und du hast über mehrere Jahre einen sehr liberalen Bürgermeister, Oberbürgermeister, der bereit war, Veränderungen, die an die Verwaltung herangetragen wurden von außen. Also Wunsch nach Veränderungen, die mitzutragen und mit umzusetzen. Eine ganz offene BVV, wo auch Leute aus der Zivilgesellschaft in der BVV sitzen (...) Und normalerweise hat man ja nur irgendwelche Vertreter von Parteien, die aber irgendwie eher… Wo man sich fragt, was die für eine Motivation haben, im Kreistag zu sitzen. Und das ist in ((Stadt)) auch schon anders.“ (b-OBS 14, 34013438) b) In Kleinstädten und ländlichen Regionen wird das Problem Rechtsextremismus nach Wahrnehmung der Opferberatungsstellen dagegen häufig noch gemieden bzw. „unter den Teppich gekehrt“. Als Gründe werden neben Einflüssen der Landespolitik in CDU-regierten Ländern die demographische Entwicklung und die Abwanderungen von jungen Menschen, die den Aufbau einer Gegenbewegung behinderten, und spezifische politische Traditionsbestände gesehen (vgl. auch Kap. IV, A, 2). Als entsprechend schwieriger gilt hier die Ausgangsbasis der jeweiligen Opferberatungsstellen, da die Initiativenlandschaft in diesen Gebieten deutlich kleiner sei bzw. erst aufgebaut werden müsse. Öffentlichkeitsarbeit sei schwieriger, weil die entsprechenden Lokalzeitungen das Thema Rechtsextremismus seltener aufgriffen. Eine Ausnahme seien Städte bzw. Kommunen, in denen ein für die Thematik aufgeschlossener Bürgermeister amtiere, wobei die Parteizugehörigkeit variieren könne. Die Haltung des Bürgermeisters habe direkten Einfluß auf die Aufgeschlossenheit der Verwaltung für das Thema Rechtsextremismus und eröffne Zugangsmöglichkeiten, die sonst unter Umständen verschlossen geblieben wären. In solchen Kommunen besteht nach Einschätzung der Mitarbeiter/innen für die Arbeit der Opferberatungsstellen daher eine bessere Ausgangsposition: „Erstmal vor Ort sehe ich, jetzt auf unsere Region, unser Beratungsgebiet bezogen, dass wir in einigen Kommunen das Problem haben, dass das Thema rechte Gewalt gemieden wird. Es CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 183 gibt da keine hohe Akzeptanz, das Thema in die Presse zu kriegen, oder überhaupt an die Öffentlichkeit, dass teilweise kommunale Vertreter da auch sehr abwehrend sind. Das ist eigentlich in der ganzen Region so, finde ich. Der Bürgermeister in ((Ortsname)) hat das ziemlich öffentlich aufgegriffen, der ist offensiv dagegen vorgegangen, das ist aber eher eine Ausnahme. (...) Es gab da eine sehr große Pressekampagne, weil das ein schlimmer Übergriff war. Ich weiß jetzt nicht, inwieweit er das von selber initiiert hat. Das ist halt immer schwierig zu sagen. (...) Dass das Thema rechte Gewalt gemieden wird, denke ich, hat auch was mit der Landespolitik zu tun. Es ist natürlich auch in der Bundespolitik jetzt kein großes Thema mehr. Ich denke, das ist auch ein Kreislauf, der sich selbst noch mal beschleunigt. Und natürlich, dass ((Bundesland)) von der Politik her eine sehr konservative Einstellung hat, dass die CDU allein regiert. Und das ist auch so in der Region, in ((Ortsname)) gibt es einen PDSBürgermeister. (...) Eine große Rolle in der Region spielt auch die demographische Entwicklung, dass viele Wegzüge sind, vor allen Dingen junge Leute ziehen weg, und damit fehlt einfach Energie, fehlen neue Einflüsse und Ideen. Es ziehen wenige Leute her. Das merkt man einfach, wenn man in Berlin ist, da ist ein anderes Zusammenleben. (...) Es fehlt eine Gegenbewegung, oder sie kann sich auch ganz schwer etablieren, wenn immer wieder Leute weggehen. Das ist halt jetzt schwierig, das so kurz abzuhandeln, ich denke auch,(...) in den letzten zehn Jahren wurde auch vieles in der Jugendpolitik falsch gemacht, wo man rechte Strukturen noch begünstigt oder ihnen nicht entschieden entgegengewirkt hat. Und das jetzt in einem kurzen Zeitraum aufzubrechen, ist schwierig. Es gibt dann noch das ((regionale)) Traditionserbe, das hat natürlich auch großen Einfluss.“ (b-OBS 4, 165-244) Die unterschiedlichen Einstellungen zum Thema Rechtsextremismus können allerdings nicht eindeutig parteipolitisch zugeordnet werden, sondern sind offenbar stark abhängig von den Haltungen einzelner Schlüsselakteure (vor allem der Bürgermeister) bzw. von der lokalen politischen Kultur. In einer Stadt veränderte sich die ablehnende Haltung der Stadtverwaltung zum Beispiel deutlich, als der von der SPD gestellte Bürgermeister von einem CDU-Mitglied abgelöst wurde (b-OBS 14, 2787-2884). 3.2 Das CIVITAS-Programm: Ressourcen und Begrenzungen Ein zweiter wesentlicher Rahmenfaktor für die Arbeit der Opferberatungsstellen ist das CIVITAS-Programm und die durch das Programm bereitgestellten Ressourcen, aber auch die mit der Förderung verbundenen Verpflichtungen und Beschränkungen. Im Vergleich zu den ehrenamtlichen Anfängen wird von den Befragten immer wieder der quantitative und qualitative Schub für ihre Arbeit hervorgehoben, der durch das CIVITAS-Programm bewirkt worden sei. Erst durch die CIVITAS-Förderung habe eine Konzentration auf die Beratungsarbeit im Rahmen hauptamtlicher Beschäftigung erfolgen können. Dadurch sei die Arbeit der Opferberatungsstellen in der jetzt vorliegenden Form, vor allem der aufsuchende Ansatz, erst dauerhaft ermöglicht worden: „Wir haben das davor meist natürlich ehrenamtlich gemacht aber schon mit einem Aufwand, der eher zu einem Vollzeitjob tendierte, der aber nicht bezahlt wurde. Das kann man nur eine begrenzte Zeit machen. 2001 hat es die Möglichkeit gegeben, weiterzumachen, weiterzuarbeiten. Darüber hinaus hat es die Arbeitsbedingungen erstmal verbessert. Dass es dann auch einen Dienstwagen gab und wir nicht mehr mit dem kaputten Auto durch die Gegend fahren mußten usw. (...) Es hat uns die Möglichkeit gegeben, uns darauf zu konzentrieren und nicht noch nebenbei die Miete, und bei mir war es dann noch vor allem die Krankenkasse, finanziell organisieren zu müssen. Das war erstmal großartig, sich darum nicht mehr kümmern zu müssen, das war eine ganz okaye Geschichte.“ (b-OBS 15, 772-785) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 184 „Aber ansonsten, momentan kann man ja sagen, die Rahmenbedingungen sind eigentlich ganz gut, wir haben Autos, wir haben Geld (...) Also, wenn man das jetzt mal so vergleicht, wenn ich jetzt ehrenamtlich arbeiten müsste.“ (b-OBS 3 II, 533-540) Betont werden immer wieder andere positive Seiten der Bundesförderung, man könne dadurch freier agieren als wenn man aus Landesmitteln finanziert würde und es sei auf kommunaler Ebene ein Vorteil, sich als ein bundesgefördertes Projekt vorstellen zu können. Außerdem findet die durch das CIVITAS-Programm bereitgestellte Infrastruktur in Form der Koordinationsstelle und der regelmäßigen Fortbildungen breite Anerkennung: “Natürlich hat eine Bundesförderung auch ihre positiven Seiten, weil man sich, was in den CIVITAS-Leitlinien ja gefordert ist, dass man verankert ist im Land oder in Regionen oder sogar lokal. Also, dass man mit jedem gut kann und jeder einen kennt. Sind natürlich Sachen, die die Arbeit vielleicht erleichtern oder vielleicht die Finanzierung erleichtern, aber die Arbeit auch erschweren, weil wir ja in bestimmten Situationen Druck ausüben und die Bösen sein wollen und müssen, um eine Veränderung zu erreichen. Vor dem Hintergrund ist es natürlich besser, wenn man eine Finanzierung von einer höheren Ebene als die Landes- oder sogar lokale Ebene hat. Es hat schon auch seine Vorteile zu sagen, dass man ein bundesgefördertes Projekt ist, weil das auch deutlich macht, dass es schon ein politisches Interesse auch an der Unterstützung von Opfern rechter Gewalt gibt, oft über unsere Person, unser Projekt hinaus. Die Möglichkeit mit den Regionalbüros, ja, ich meine, so kann man viele Sachen, die uns strukturell zur Verfügung stehen, aufzählen, aber es ist schon gut, diese Regionalbüros zu haben. Wenn ich sehe, wieviel wir schon zu fahren haben und wie wichtig auch der Kontakt ist, räumlich, auch um bestimmte Prozesse begleiten zu können oder bestimmte Personen auch zu, würde ich, glaube ich, so eine Zentrale oder so eine Verkleinerung der Anlaufstellen oder Büros nicht gut finden. Was auch ein wichtiger Punkt ist, sind diese Weiterbildungen. Die nicht nur inhaltlich..., also, bestimmte Sätze sind einem ja schon aus dem Studium bekannt oder kann man sich auch anlesen. Aber diesen gemeinsamen Austausch fand ich sehr fördernd für die Arbeit.“ (b-OBS 11, 964-981) Als nachteilig wird dagegen von vielen Mitarbeiter/innen die zunehmende Bürokratisierung und formaljuristische Handhabung des CIVITAS-Programms empfunden. Wiederholt wurde dabei auf das im Vergleich zu den Vorjahren als deutlich aufwändiger angesehene Antragsverfahren hingewiesen. Als weiteres Merkmal dieser stärker formaljuristischen Handhabung des Programms wurde von den betroffenen Projekten das Ausmaß der Überprüfungen der BAT-Eingruppierungen der Mitarbeiter/innen hervorgehoben. Fünf der acht Opferberatungsprojekte hatten nach den Ergebnissen der Trägerbefragung im Jahre 2003 Schwierigkeiten mit der BAT-Eingruppierung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hintergrund ist, dass die BAT-Eingruppierung nach dem Eindruck der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jahre 2003 in einem größeren Ausmaß geprüft wurde, um den Vorgaben des Bundesrechnungshofes zu genügen. Als Ergebnis dieser Überprüfung sind seit dem 1. April 2003 drei Stellen im Bereich Opferberatung mit der Begründung gesperrt, dass die beschäftigten Personen nicht durch eine entsprechende Fachausbildung für ihre Tätigkeit qualifiziert seien. Zwei der betroffenen Personen haben eine regional verankerte Opferberatungsstelle aufgebaut, durch die Stellen- und Finanzsperre und die Monate lange Unklarheit über die weitere Entwicklung ist dieser Standort jetzt akut gefährdet: „A: Ich meine, dass im Sommer 2002 von der Servicestelle der CIVITAS Anfragen an die Projekte gingen, zur Qualifikation einzelner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das hat damals auch uns schon betroffen, wir sollten nachweisen, dass wir qualifiziert sind für die Arbeit, die wir machen. Es wurden dann Nachweise von Tätigkeiten und Fortbildungen eingereicht, dann hat sich eine Weile nichts getan in der Richtung. Die Förderung für die ersten drei Monate 2003 ging dann auch weiter. Am 31. März 2003 kam dann ein Fax, ein Schreiben, dass die CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 185 Stellen ab dem 1. April gesperrt sind. Wir haben also von heute auf morgen erfahren, dass wir kein Geld mehr bekommen. I: Ist das begründet worden? A: Das ist insofern begründet worden, dass es dort eine Vorprüfung gab der Unterlagen, und das dort als aussichtslos eingeschätzt wurde. Es hat zu dem Zeitpunkt (...), wo es weiterhin Prüfungen geben sollte. Die Situation war dann die, dass wir noch mehr Unterlagen eingereicht haben, zum Beispiel dieses Gutachten, und seitdem ist nichts Wesentliches mehr passiert aus unserer Sicht. Natürlich Gespräche geführt usw. usf. Aber da sich an der Situation nichts geändert hat, wie die Zuwendungsbescheide gekommen sind und die Stellen immer noch gesperrt sind, und sich das mittlerweile über 3 Monate hinzieht, dass wir nicht wissen, wie wir weiter arbeiten sollen und das überhaupt können. Mit dem Effekt, ganz unabhängig von den individuellen Perspektiven, dass das Projekt hier in ((Ortsname)) so nicht mehr weiter arbeiten wird. Was einfach damit zusammenhängt, dass wir beide mit den bezahlten Stellen einen Rahmen sichern und eine Kontinuität sichern für die Leute, die das ehrenamtlich machen. Wenn wir das nicht garantieren können, hängt das alles gesamt in der Luft und die Leute suchen sich dann natürlich neue Perspektiven. (...) So dass wir davon ausgehen, dass mit dem eigenständigen Projekt, wo ehrenamtliche Leute arbeiten, dass das zum Jahresende aufhört. I: Wenn nicht doch noch die hauptamtlichen Stellen freigegeben werden? A: Realistisch gesehen wird sich das verändern, das zieht sich jetzt so lange hin, dass sich die Leute - gerade was Ehrenamtliche angeht - sich umorientieren müssen. Um ein Beispiel zu nennen, jemand der ehrenamtlich bei uns arbeitet hätte gerne sein soziales Jahr gemacht, er konnte sich hier darum kümmern, das entscheidende war, wenn wir nicht als bezahlte Stellen existieren, kann er das auch nicht machen, und dann muss er sich etwas anderes suchen, weil es gleich losgehen soll. Wenn Leute anfangen müssen, einen Acht-Stunden-Job irgendwo zu machen, dann verändert sich so ein Projekt natürlich auch. Und das macht es einfach auch kaputt.“(b-OBS 15, 7-31) Die betreffenden Personen bekommen seit dem 1. April 2003 keine Bezüge mehr und haben inzwischen das Angebot erhalten, im Rahmen von BAT Vc-O-Stellen mit veränderter Tätigkeitsbeschreibung weiterzuarbeiten. Gleichzeitig werden Rückforderungen der an die betreffenden Träger überschüssig gezahlten Personalmittel geltend gemacht. Die damit verbundenen Konflikte und Auseinandersetzungen haben aus Sicht vieler Mitarbeiter/innen der Opferberatungsprojekte das Klima innerhalb des CIVITAS-Programms im Jahre 2003 nicht unerheblich belastet. Ein zusätzlicher Konfliktherd im CIVITAS-Programm war nach Wahrnehmung einiger Projekte im zurückliegenden Jahr die Auseinandersetzung um die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit im und für das CIVITAS-Programm. Durch neue Richtlinien, deren zentrale Aussagen auch in den Zuwendungsbescheiden für die Projekte enthalten waren, wurde die Öffentlichkeitsarbeit für das Gesamtprogramm dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorbehalten. Außerdem wurde verfügt, dass alle Veröffentlichungen und Plakate der einzelnen Projekte zur Veröffentlichung von der Servicestelle freigegeben werden müssten. Dies ist in einer ganzen Reihe von Projekten mit Unverständnis aufgenommen und als eine Einschränkung der Tätigkeitsmöglichkeiten aufgefasst worden, womit zum Teil auch eine berufliche Abwendung vom CIVITAS-Programm begründet wurde: „Was natürlich gerade wieder so ein Problem, CIVITAS mit ihrem Maulkorb-Erlass. Solche Sachen sind natürlich auch sehr einschränkend. Also gerade, wenn man mal davon ausgeht, dass wir natürlich auch eine Politik machen wollen, also politische Konsequenzen haben wollen aus unserer Arbeit heraus und das hemmt dann natürlich, wenn wir uns, was weiß ich, nicht äußern dürfen gegenüber anderen über CIVITAS, über das, wodurch es uns eigentlich CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 186 gibt. Das ist schon ein bisschen komisch. Na ja und da gibt es dann halt immer wieder Diskussionen, inwieweit können wir das auch mitmachen, so eine Einbeziehung in solche nicht unbedingt demokratischen Sachen, wo wir große Probleme haben damit. Was auch durchaus soweit geht, dass die Leute sagen, also Leute, aus dem Projekt raus, also, da will ich nicht hin.“ (b-OBS 3 II, 544-553) Ein weiterer Belastungsfaktor, auf den von einigen Mitarbeiter/innen hingewiesen wurde, ist die durch die Jährlichkeit der Haushaltsführung hervorgerufene Unregelmäßigkeit der Projektfinanzierung, die sich direkt auf die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter/innen auswirkt. Im Jahr 2003 wurden die Mittel für den Zeitraum April bis Juni erst im Juni an die Opferberatungsstellen überwiesen. Bei den Befragungen wurden in diesem Zusammenhang vor allem die mangelnde Transparenz und die unzureichende Informationspolitik auf der Geldgeberseite immer wieder kritisiert: „Nachdem wir dann Anfang April das Geld für die ersten drei Monate bekommen haben, hat es ja dann wieder ungefähr zwei Monate gedauert bis wir dann das Geld ab April bekommen haben. Das sind natürlich schon Sachen, die einfach unnötige Belastung bringen und den Kopf nicht frei machen, um sich auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Also, im Laufe der Entwicklung ist doch auch immer weniger eine Transparenz der Entscheidungsprozesse dort von Geldgeberseite zu erkennen. Wo der Austausch zum Anfang doch eigentlich ganz gut war und auch gerade inhaltlich begründet war. So ist es mittlerweile auch eine sehr formelle Ebene, wo dann aber ganz bestimmte, eigentlich ganz normale Formalitäten nicht eingehalten werden: wie rechtzeitige Bezahlung, rechtzeitige Hinweise auf mögliche Probleme und Ähnliches, teilweise widersprüchliche Aussagen, mündliche Zusagen oder verschiedene mündliche Zusagen an einzelne Teile eines Projektes oder an verschiedene Projekte, was dann auch wieder für Verwirrung sorgt.“ (b-OBS 9, 60-84) Eine weitere Beeinträchtigung der Projektarbeit lag in der Wahrnehmung vieler Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen im Jahr 2003 in der Notwendigkeit begründet, eine Kofinanzierung zur Bundesförderung in Höhe von 20% des Projektvolumens aus Landes- oder sonstigen Mitteln für das Haushaltsjahr 2004 einwerben zu müssen, um die Weiterbewilligung und damit die Fortexistenz des Projekts zu sichern. Der dafür erforderliche Zeitaufwand war nach Darstellung der Mitarbeiter/innen zum Teil erheblich und die für einige Projekte schlechten Aussichten, eine Kofinanzierung zu erlangen und damit ihr Überleben zu sichern, haben nach den vorliegenden Interviewäußerungen die eigentliche Beratungsarbeit belastet, die Motivation der Mitarbeiter/innen nicht verbessert und teilweise zu Überlegungen geführt, die Stelle zu wechseln: „Im Moment ist unser größtes Problem, mit dem wir konfrontiert sind, gibt es uns in 2004 noch oder nicht. Und da, wie können wir Kofinanzierung ansprechen, Möglichkeiten erschließen, die Fragestellung überhaupt, ob Kofinanzierung außerhalb des Landes möglich ist, die ist noch nicht abschließend geklärt. Deswegen ist es auch ein bisschen ein Motivationsding, inwieweit man sich anderweitig schon engagiert und schaut. Worauf ich das zurückführe, ist dass der Bund sagt, dass die Länder in der Finanzierung mit einsteigen sollen, dass es Modellprojekte sind und die Anschließung an das Land passieren soll. Und das Land sagt, dass sind Bundesprojekte und wir haben damit nichts zu tun, der Bund kann nicht Projekte anstoßen und die dann quasi im Regen stehen lassen. Beide schieben den Schuh in die andere Richtung und wir haben eigentlich gar nichts dazu zu sagen. [I: Sie sitzen also gewissermaßen zwischen den Stühlen?] In dieser Argumentation fühle ich das so, dass wir zwischen den Stühlen sitzen. Ich denke, dass insgesamt das Land kein Interesse hat an Projekten explizit gegen Rechtsextremismus und die zu fördern und die einzustellen, aber so argumentieren sie in der Öffentlichkeit nicht. Mit der öffentlichen Argumentation sitzen wir zwischen den Stühlen. Das andere sind nur vermutete Sachen, es gibt letztendlich keine expliziten Äußerungen, zumindest keine öffentlichen.“ (b-OBS 13, 21-37) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 187 3.3 Interne Rahmenbedingungen: Träger und Teamstrukturen Die CIVITAS-Opferberatungsstellen weisen auf der Strukturebene eine relativ große Homogenität auf. Die meisten Träger entstammen der Initiativenlandschaft, die Mitarbeiter/innen waren vor ihrer hauptamtlichen Tätigkeit im Bereich Opferberatung häufig in antifaschistischen oder antirassistischen Initiativen tätig oder waren bzw. sind politisch gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit engagiert. Als Folge der Herkunft aus der Initiativenlandschaft und durch den ehrenamtlichen Vorlauf, der durch die bereits seit 1998 tätige „Opferperspektive Brandenburg“ moderiert wurde, zeigen sich auch starke Übereinstimmungen in konzeptioneller Hinsicht und bei den ausgeübten Tätigkeiten. Die interne Struktur ist bei zwei Trägern von Opferberatungsstellen von einer stärker formalisierten Hierarchie mit Geschäftsführern (bei den Trägern) und Projektleitungen (bei den Opferberatungsprojekten) geprägt. Dieser ‚Instanzenzug’ hat in der Vergangenheit wiederholt zu Konflikten geführt, die u.a. zum Ausscheiden von zwei Projektleitungen nach nur kurzer Beschäftigungsdauer führten. Es ist besonders die Schnittstelle zwischen Trägerinteressen und den Anforderungen des Projekts mit zum Teil mehreren Kleinteams, in der sich die Projektleitungen bewegen, die potentiell ausgesprochen konfliktträchtig war bzw. ist (b-OBS 2, 2368-2391). In vier weiteren Opferberatungsprojekten wird eher im Rahmen „flacher Hierarchien“ gearbeitet. Zwar gibt es zum Teil Koordinatoren bzw. Projektleitungen, diese sind aber aus den Teams heraus gewachsen und verstehen sich eher als ‚primus inter pares’, so dass es in diesen Opferberatungsprojekten eher „kollektive Projektleitungen“ gibt: „A 1: Also ich meine, wir haben pro forma eine Projektleitung, das bin ich. Aber das ist pro forma. De facto haben wir eine kollektive Projektleitung. Natürlich, insofern, dass jeder die Verantwortung hat, auch den Überblick zu haben. Natürlich habe ich auch den Überblick, vor allem, aber jeder. A 2: Aber es gibt mehr Probleme im Großteam, als in dem Kleinteam der ((Ortsname)). Also mit den Leuten in ((Ortsname)) gibt es mehr Probleme, als wir untereinander haben, genau, weil wir diesen engen Austausch haben, wöchentlich. Weil wir uns oftmals tagtäglich sehen und Probleme sofort besprechen. Und Fälle sofort besprechen oder Strategien, wo wir wie was machen. Uns gegenseitig beraten. Also diese kollegiale Beratung total im Mittelpunkt steht. Und die ((Ortsname)) einfach noch viel weiter entfernt sind und wir uns dann als Gesamtteam nur einmal im Monat treffen. Und das schafft ganz große Kommunikationsprobleme, also einfach auch ganz viele Missverständnisse.“ (b-OBS 14, 2382-2395) Die Arbeit in den Kleinteams der Opferberatungsstellen erscheint insgesamt als weitgehend spannungsfrei, zumal sich die jeweiligen Personen lange (zum Teil noch aus ehrenamtlichen Vorläufen) kennen und auch privat zum Teil eng verbunden sind. Personelle Fluktuationen bei den Opferberatungsstellen sind in den zurückliegenden Jahren nach den Ergebnissen der Trägerbefragung bei sechs Projekten zu verzeichnen gewesen, während die übrigen zwei Projekte personell gleich geblieben sind. Darüber hinaus kündigen sich aktuell bei mehreren Trägern eine ganze Reihe von Weggängen von bewährten Mitarbeiter/innen an bzw. sind bereits erfolgt. Dabei spielt meist ein Bündel von Gründen eine Rolle, wobei sich häufig Unzufriedenheit mit der Durchführung des CIVITAS-Programms und Unzufriedenheit mit den Träger- bzw. Leitungsstrukturen mi- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 188 schen. Es handelt sich hier vor allem um die beiden Träger von Opferberatungsstellen, die über stärker formalisierte Leitungsstrukturen verfügen: „Also, die sind eben manchmal die Struktur innerhalb oder (...) zwischen Team, Projektleiter und Geschäftsführer und Träger. Also, die erlebe ich als wenig sinnvoll an vielen Punkten. Oder zunächst (...). Und gleichzeitig die Struktur dann noch im Hinblick auf CIVITAS. Also wo aus meiner Sicht unklar ist an vielen Punkten, was eigentlich gewollt ist. Von CIVITAS, sage ich mal. Und dann aufgrund unserer unglücklichen Trägerstruktur sage ich mal und dann diese unklaren Äußerungen von ganz oben, die genauso unklar immer weiter runterkommen, das ist einer der Punkte. Der andere Punkt ist, dass ich mit der Situation zwischen Team und Projektleitung, der Projektleiterin einfach unzufrieden bin. Und mich dem nicht länger aussetzen möchte.“ (b-OBS 2, 10-24) „Es gibt halt einfach wirklich ein Sammelsurium von Gründen. Das sind interne Gründe, die nicht das Kleinteam betreffen. Die beim Großteam und beim Träger anfangen. Es sind externe Gründe, die mit CIVITAS zu tun haben. Mit Strukturen, mit Umgehensweisen. Und es sind natürlich noch persönliche Gründe dazu. Also ich glaube, ich möchte das jetzt wirklich nicht noch genauer sagen müssen. Aber es ist halt eine Unzufriedenheit dagewesen und ja, dann denke ich einfach, ist es notwendig, eine Konsequenz zu ziehen.“ (b-OBS 5, 522-528) Am stabilsten erscheint der Zusammenhalt und die Zusammenarbeit dort, wo sich das Personal schon lange kennt und ‚flache Hierarchien’ bestehen, die dem stark basisdemokratisch orientierten Selbstverständnis vieler Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen entgegenkommen. Kommentar: Die externen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsstellen sind weiterhin nicht selten schwierig, da die Thematisierung von Rechtsextremismus und rechtsextrem motivierter Gewalt vor allem in kleineren Städten und ländlichen Gebieten noch immer häufig auf Vorbehalte stößt, während das Klima in den Großstädten und den eigenen Standorten oftmals aufgeschlossener ist. In den Großstädten gibt es in der Regel auch ein intaktes Netz von zivilgesellschaftlichen Initiativen, auf die sich die Opferberatungsprojekte bei ihrer Arbeit stützen können. Dies ist auf dem Land und in den Kleinstädten oftmals nicht der Fall, nicht selten müssen die Opferberatungsprojekte daher hier mit hohem Engagement kompensatorisch tätig werden oder sich resignierend zurückziehen, da die Regelstrukturen, die sie für ihre Arbeit benötigen, kaum vorhanden sind und zum Teil im Rahmen von Sparmaßnahmen derzeit noch weiter abgebaut werden. Insgesamt zeigen sich durch diese Rahmenbedingungen deutliche Belastungen der Projektarbeit. Entsprechend reduziert sollten die Erfolgserwartungen an die Projekte sein, denn sie haben auf diese politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen nur sehr begrenzten Einfluß. Die für eine Bearbeitung des Problems Rechtsextremismus schwierigen politischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen in den neuen Bundesländern sind für die Einrichtung des CIVITAS-Programms handlungsleitend gewesen. Eine spezielle Beratung für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten wäre ohne eine Bundesförderung in diesem Umfang niemals möglich gewesen. Der Bund hat hier seine Anregungsfunktion in deutlicher Weise wahrgenommen. Das Zeichen, das die Bundesregierung durch das CIVITAS-Programm und die Aufnahme einer speziellen Opferberatung gesetzt hat, wurde in den Befragungen immer wieder gewürdigt. Die Beziehungen zwischen Programmebene und Projekten waren allerdings im Jahre 2003 aus einer ganzen Reihe von Gründen stärker belastet als in den Vorjahren. Die CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 189 Fördermittel wurden in gleicher Höhe weiter zur Verfügung gestellt, jedoch gingen die Mittel zum Teil zeitverzögert ein, was Folgeprobleme verursachte. Zudem nahm der bürokratische Aufwand insgesamt zu und damit das Zeitbudget für die eigentliche Tätigkeit ab. Durch die Umsetzung des Programms ist es nach Darstellung der Mitarbeiter/innen (allerdings von Projekt zu Projekt in unterschiedlichem Umfang) im Jahre 2003 immer wieder zu Beeinträchtigungen für die Projektarbeit gekommen. Diese sollten in der nächsten Phase des Programms nach Möglichkeit wieder reduziert werden. Im Gegensatz zu den externen Rahmenbedingungen, die die Projektarbeit eher belastet haben, haben die internen Strukturen insgesamt eher entlastende Wirkung gehabt. Vor allem die Kleinteams vieler Projekte verstehen sich gut und arbeiten gern zusammen. Einige Projekte hätten das schwierige Jahr 2003 wohl kaum durchgestanden, wenn das Binnenklima nicht so gut gewesen wäre. Konflikte bis hin zu Kündigungen gab es dort, wo Opferberatungsprojekte von ihren Trägern mit einer formalisierten Hierarchie konfrontiert wurden. Da die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen eher basisdemokratisch orientiert sind, wurden dadurch Konfrontationen erzeugt, die sich zum Teil in – noch nicht gelösten – Dauerkonflikten niedergeschlagen haben, die das interne Klima weiterhin belasten. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 190 4 Tätigkeitsfelder der CIVITAS-Opferberatungsstellen Opferberatungsstellen wollen Betroffene rechtsextrem motivierter Straf- und Gewalttaten oder fremdenfeindlicher Diskriminierungen dazu befähigen, sich mit ihrer Situation auseinander zu setzen und dabei selbst wieder handlungsfähig zu werden, also die Opferrolle zu überwinden. Zu diesem Zweck unterstützen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der CIVITASOpferberatungsstellen Betroffene rechtsextrem motivierter Straf- und Gewalttaten oder fremdenfeindlicher Diskriminierungen durch Beratung und Begleitung. Außerdem wird angestrebt, den Beratungsansatz zu multiplizieren und dadurch eine dauerhafte Unterstützung für Betroffene rechtsextremer Straf- und Gewalttaten zu erreichen. Die Opferberatungsstellen gehen davon aus, dass Betroffene rechtsextremer Straf- und Gewalttaten nicht als Individuen, sondern deshalb angegriffen werden, weil sie Angehörge einer Personengruppe sind, die als unliebsame ethnische, kulturelle oder soziale Minderheit begriffen wird. Der zweite große Tätigkeitsbereich der Opferberatungsstellen besteht daher in der Unterstützung kollektiver Prozesse und Akteure, sowohl im Bereich von Betroffenengruppen als auch im Bereich zivilgesellschaftlicher Initiativen, zur Förderung der gesellschaftlichen Integration von Betroffenengruppen. Zentrale Tätigkeitsfelder sind dabei die Mobilisierung von Unterstützung für die Opfer und die Förderung der Selbstorganisation der Betroffenengruppen, die Öffentlichkeitsarbeit und die Vernetzung. Ein weiteres Tätigkeitsfeld zielt auf eine nachhaltige und längerfristige Verbesserung der Situation der Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in ihren jeweiligen Heimatkommunen ab. Dazu werden von den Opferberatungsstellen in ausgewählten Fällen im Rahmen kommunaler Interventionen mit Betroffenengruppen wie mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und weiteren CIVITAS-Projekten gemeinsam lokale Strategien zur Verbesserung der gesellschaftlichen Integration der Betroffenen und zur Veränderung des lokalen Klimas entwickelt und umgesetzt. Beide Tätigkeitsbereiche werden in der folgenden Analyse voneinander unabhängig dargestellt und daher getrennt beschrieben. Allerdings können sie in der Realität auch zum Teil aufeinander aufbauen bzw. aneinander anknüpfen, müssen dies aber nicht tun. 4.1 Unterstützung von Individuen durch Beratung und Begleitung 4.1.1 Grundprinzipien der Beratung Zentrales Tätigkeitsfeld und Ausgangspunkt aller weiteren Aktivitäten ist die Individualberatung der betroffenen Personen. Grundprinzip und Ausgangspunkt der Beratung ist die Einnahme der Opferperspektive. Daraus leiten die Opferberatungsprojekte die Parteilichkeit des Vorgehens und die Orientierung an den Bedürfnissen und Interessen der betroffenen Person ab. „Bei der Beratung lasse ich mich von dem Grundprinzip hauptsächlich leiten, dass der Betroffene oder die Betroffene diejenigen sind, auf die ich zu achten habe. Dass mein Gespräch, was ich führe mit ihnen, an ihrer Persönlichkeit und ihren persönlichen Problemen sich danach richtet sozusagen und nicht nach dem, wie ich jetzt vielleicht gerne vorgehen möchte.“ (b-OBS 12, 678-683) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 191 Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen wollen ihre Klienten dazu befähigen, die Opferrolle zu überwinden, die Tat zu verarbeiten und ihr bisheriges Leben wieder aufnehmen zu können. Oberster Grundsatz ist die Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung der Betroffenen. Das zugrunde liegende Menschenbild im folgenden Interviewzitat kann für die Arbeit der Opferberatungsstellen allgemein unterstellt werden: „Als erstes wollen wir ihnen helfen, aus dieser Opferrolle, in der sie zwangsläufig sind, wieder rauszukommen. Was ich schon gesagt hatte von diesem Bild, was wir von den Menschen haben, die eben Opfer von rechter Gewalt werden, sie sind dadurch nicht handlungs- oder entscheidungsunfähig. Sie sind maximal durch eine Traumatisierung oder durch eine körperliche Verletzung eingeschränkt in der Wahrnehmung dieser Fähigkeiten. Da geht es natürlich darum, ihnen dabei zu helfen, dass das wieder möglich ist. Und eben auch zu verhindern, dass sie sich sozusagen, was nicht selten stattfindet, auch in so einer Opferrolle einrichten. Also, im Sinne von – ich bin selber schuld – warum war ich zu dem Zeitpunkt da – ich bin nun mal so hilflos – mir wird das immer wieder passieren – und ähnliches. Das sind so Sachen, die in der Folge von solchen Übergriffen sehr häufig stattfinden. Da geht es dann natürlich schon darum, die Betroffenen erstmal wieder dazu zu bringen: ‚Mir ist es zwar passiert und das muss ich jetzt auch so akzeptieren, muss lernen damit umzugehen, aber ich kann doch versuchen, wieder selber zu entscheiden was ich will im Leben.’ Da schließt sich der Kreis wieder so. Entsprechend treten wir dann natürlich auf, dass wir versuchen maximale Entscheidungsfreiheit den Betroffenen dort einzuräumen.“ (b-OBS 9, 598-612) In der praktischen Umsetzung orientieren sich die Beratungen daher häufig an klientenzentrierten Gesprächsverfahren und zielen darauf ab, die Ressourcen und Potentiale der betroffenen Person zu ermitteln und zu aktivieren, d.h. zu schauen, „was bringt die Person mit“ (bOBS 13, 167). Wichtiger Grundsatz dieser Klientenzentrierung ist, „dass wir dem Opfer glauben.“ (b-OBS 3, 745) Ein weiteres zentrales Leitprinzip, das als Grundlage der Beratungspraxis immer wieder benannt wurde, ist dabei der Grundsatz der „Hilfe zur Selbsthilfe“, der zu einem Empowerment der betroffenen Person beitragen soll: „Fördern, dass die Menschen -, das gelingt punktuell auch, freut man sich auch, dass die Leute wieder aktiv werden, dass sie spüren – ich hab doch Möglichkeiten, dass in Eigeninitiative, dass wir uns eigentlich als Hilfe zur Selbsthilfe verstehen. Dass die Menschen wieder anfangen Anteil zu nehmen am Leben. Und wenn es nur punktuell ist, so ganz kleine Schritte. Aber dass sie wieder Fuß fassen im Leben. (...) Das gelingt natürlich nur punktuell oder nicht durchgängig.“ (b-OBS 16, 440-450) Eine Opferberatungsstelle berichtet dabei von einem Lernprozeß, den sie im Hinblick auf die Anwendung des Prinzips „Hilfe zur Selbsthilfe“ durchlaufen hat. Am Anfang ihrer Tätigkeit wurden die Betroffenen regelrecht ,bemuttert’. Inzwischen ist das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ aber bei den betreffenden Mitarbeiter/innen verinnerlicht worden, weil es sich als sinnvolles Arbeitsprinzip zur Aktivierung der Klienten herausgestellt hat: „A: Also am Anfang waren wir schon so übermuttermäßig. Also ganz viele Sachen halt noch hinterher tragen und noch mal anrufen und noch mal anrufen und noch mal fragen. So. Und das ist einfach… I: Überbehütend würde man wahrscheinlich sagen. A: Ja, so was. Und jetzt ist es halt einfach wirklich so: Also diese Hilfe zur Selbsthilfe haben wir selber mehr für uns verinnerlicht. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 192 I: Wie kam das, dass sich das gewandelt hat? War das ein Anstoß von außen oder haben Sie gesehen, dass Sie die Leute dadurch eher unselbständiger machen, als sie ohnehin schon sind? Oder wie kam das? A: Ich glaube, das kam einfach durch die Erfahrung, dass wir einfach an bestimmten Fällen gemerkt haben: Wir haben jetzt da so viel gemacht, aber der Betroffene oder die Betroffene macht einfach nicht mit. Und dadurch, dass wir regelmäßige Fallbesprechungen haben und da über jeden Fall teilweise auch recht lange diskutieren, ist das uns irgendwann… Also das ist ja, das kam ja nicht komplett so an einem Tag die Weisheit jetzt. Sondern das war ein Prozess und das hat sich halt dahingehend entwickelt, dass wir jetzt… Was ((Name)) vorhin schon gesagt hat, dass wir am liebsten einen Arbeitsauftrag abholen oder genauer die Sachen absprechen. Also auch genauer gucken: Welches Ziel haben die Betroffenen mit uns? Und nicht nur: Was wollen wir denen denn helfen?“ (b-OBS 5, 491-511) Die Beachtung und Anwendung des Prinzips „Hilfe zur Selbsthilfe“ zieht sich nach den Aussagen der Projektmitarbeiter/innen bis in die Anlage der Beratung. Meist wird ausgehend von den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen eine Aufgabenteilung zwischen Berater und Klient vereinbart, die dann nach und nach abgearbeitet wird. Dabei sind die Transparenz des Beratungsprozesses und ständige Rückkoppelungen wesentliche Gestaltungselemente. Als wesentlich erscheint dabei die Abgrenzung von den Wünschen der Klienten nach stärkerer Aktivität der Berater/innen und der ständige Verweis darauf, dass die Klienten den Verlauf des Beratungsprozesses steuern: „Konkret gestalten wir den Beratungsprozess transparent. Darüber hinaus äußern wir auch den Wunsch, was die Leute selber machen können. Meist kommt das auch von ihnen selber, aber wenn wir das Gefühl haben, die binden uns zu sehr ein, wir werden, ich sag jetzt mal böse, ‚die Mutti für alles’, dann gibt es eine klare Aufgabenteilung, wo wir sagen, ‚das könntest du machen’. (...) Das ist vielleicht in der Beratung auch ganz gut, es gibt bestimmte Punkte, wenn man ihnen nicht über den Mund fährt, gibt es Knackpunkte, da muss der oder die Betroffene Entscheidungen treffen, und damit bestimmen sie den weiteren Verlauf.“ (b-OBS 4, 13521371) Je nach den persönlichen Voraussetzungen sind die Ergebnisse dieser auf „Hilfe zur Selbsthilfe“ ausgerichteten Beratungsprozesse nach den Berichten der Opferberater/innen unterschiedlich. Bei schwer traumatisierten oder stark verletzten Personen ist der Umfang der Unterstützung am Anfang größer und der Aktivierungsprozeß im Ergebnis schwieriger als bei leichter beeinträchtigten Klienten: „Man hat natürlich da auch Leute da, die wirklich so sehr am Boden sind, und wir alles auch machen, uns mit dem Opfer treffen und fragen, so wir haben jetzt das und das vor, das wäre günstig weil, wo dann Betroffene auch sagen, ja, Mensch machen sie eben, das ist o.k. so, die sich aber damit eben auch nicht auseinandersetzen, was wir jetzt so machen, das ist aber relativ selten, Gott sei Dank. Also die meisten wissen schon, aha o.k., das hat die und die Konsequenz, ja will ich oder will ich nicht, also dass die sich damit auch auseinandersetzen. Aber solche Erfahrungen haben wir natürlich auch gemacht, klar, dass Leute da...[I:...sich hängen lassen....] Ja. [I: Aber Sie würden nicht sagen, das ist die überwiegende Zahl?] Nein, nein.“ (b-OBS 3, 377-393) Kommentar: Die wesentlichen Grundprinzipien Parteilichkeit, „Hilfe zur Selbsthilfe“ und Ressourcenorientierung sind in den Opferberatungsstellen mit wenigen Ausnahmen offenbar weitgehend verankert, wobei die Selbstbestimmung der betroffenen Person oberster Grundsatz ist. Die Prinzipien entsprechen den Arbeitsgrundsätzen in vergleichbaren Beratungseinrichtungen und CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 193 sind durch entsprechende Standards, z. B. des „Arbeitskreises der Opferhilfen in der Bundesrepublik Deutschland (ado)“, empfohlen. 4.1.2 Zielsetzungen Als Zielsetzung im Nahbereich wird meist zunächst die Unterstützung für Opfer rechtsextremer Übergriffe benannt: „Menschen unterstützen, Menschen nicht alleine stehen lassen.“ (bOBS 13, 222) Daran knüpfen sich zusätzlich relativ allgemeine Globalziele, wie der Rückgang von Rechtsextremismus (b-OBS 8, 122) oder die Änderung des politischen Klimas in der Region im Sinne einer Anerkennung des Problems Rechtsextremismus (b OBS 3 I, 449450) bzw. die Verstärkung der Solidarität mit den Betroffenen (b-OBS 8, 124-129), beispielsweise durch „kommunale Sensibilisierungsprozesse“ (b-OBS 13, 231), die präventive Wirkung haben sollen. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Öffentlichkeitsarbeit angesiedelt: „Erstmal, Betroffenen zu helfen, das klingt jetzt ein bisschen lapidar. Sie zu unterstützen, in dem Gefühl, dass sie angegriffen wurden, dass sie stellvertretend für eine Gruppe angegriffen wurden, und dass das Umfeld teilweise nicht adäquat und ihren Wünschen entsprechend reagiert, diesen Leuten zu helfen, sie bei der Aufarbeitung zu unterstützen, selbst wenn es nie zu einer Anzeige gekommen ist, so etwas wieder in ihr Leben als ein Erlebnis einzuordnen, und nicht als abgespaltene Sache. Und natürlich darüber hinaus eine öffentliche Akzeptanz für die Betroffenen zu schaffen. Nicht, dass die Betroffenen sich noch dafür rechtfertigen müssen, dass sie zusammengeschlagen wurden. Und über diese Akzeptanz natürlich auch ein öffentliches Klima zu beeinflussen. Und damit ist man dann auch wieder an der Thematik dran, dass man irgendwann fragen muss, woher kommt es, dass Leute angegriffen werden. Da muss man Stellung beziehen, man muss versuchen, eigene Erklärungsmuster zu geben. Und natürlich auch andere Leute zu unterstützen, die das gleiche Ziel haben, in der Thematik, eine andere öffentliche Meinung herbeizuführen. Auch Kooperationspartner suchen, es nützt ja nichts, wenn das unser Ziel ist, und es haben mehrere Leute das Ziel, aber untereinander ist kein Austausch. Sich zu ergänzen und zu versuchen, zusammen eine Strategie zu finden.“ (b-OBS 4, 601-619) Die Leitziele sind bei den meisten Projekten im Zuge der jeweiligen Tätigkeiten konkretisiert worden, außerdem erfolgte eine Konkretisierung im Rahmen der Betreuung einzelner Klienten: „Konkretisiert haben wir sie in unserer Arbeit, dass wir uns zusammengesetzt und gesagt haben, was sind potentielle Opfergruppen, was sind potentielle Unterstützergruppen, wo können wir Kooperationspartner finden und dann gezielt die Leute ansprechen oder über die Arbeit den Kontakt halten. Und in der Arbeit werden die natürlich konkretisiert. Wenn man in dem Netzwerk vor Ort aktiv ist, gibt es ja einen bestimmten Anlass, warum man sich trifft. Und das ist ja dann ein konkretes Ziel. Die Überprüfung, ja, da hoffe ich, dass es Aufschluss gibt von der wissenschaftlichen Begleitung. Und wir überprüfen das für uns selber kritisch, ob wir in dem Netzwerk wirklich noch aktiv sind, ob wir da überhaupt hingehören, ob wir da mitmachen. Und vor allen Dingen auch so eine Erfolgskontrolle, meinetwegen dass man sagt, ja, was haben wir im letzten halben Jahr dort wirklich gemacht, was war unser aktiver Part.“ (b OBS 4, 625-637) Eine Systematisierung der Ziele ist in den Projekten bisher, soweit erkennbar, nicht erfolgt: „Also, wir haben im Team bestimmte Diskussionen an Fällen und an bestimmten Regionen und wir haben auch (...) mehrere Treffen gehabt, was diese Richtung und was auch genauere Ziele betrifft. Aber im Sinne einer Qualitätsentwicklung, dass wir jetzt ein Handbuch haben, wo das konkret aufgeschrieben und für alle transparent ist, worauf wir uns geeinigt haben, hab ich nicht.“ (b-OBS 11, 316-320) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 194 Entsprechend erfolgt auch eine Überprüfung bzw. Auswertung der Zielerreichung in der Regel fallbezogen, meist bei Fallbesprechungen (b-OBS 5, 739-743), zum Teil wurde sie auch „nie institutionalisiert, sondern es passiert halt manchmal nebenbei“ (b OBS 2, 547-548): „I: Wenn Sie jetzt in so einem Prozess bestimmte Ziele sich setzen, also zusammen mit den Betroffenen ja dann wahrscheinlich in aller Regel. Wie überprüfen Sie die, ob die erreicht wurden? A: Durch unsere Fallbesprechungen. Wir haben ja zu jedem Betroffenen diese Akte, wo halt jede Gesprächsnotiz, alles drin steht. Und es gibt ein Blatt in der Akte, ‚zu erledigende Aufgaben’ nenne ich das jetzt mal. Ja, wir diskutieren das dann halt in unseren Fallbesprechungen. Nachdem Teile von uns das halt mit den Betroffenen diskutiert haben. Was ist jetzt nötig, was ist zu tun? Ja, und nachher werden da einfach Haken drangemacht.“ (b-OBS 5, 739-743) Kommentar: Eine Operationalisierung der Leitziele in Feinziele (Mittler- und Handlungsziele) ist bei Projektstart offenbar unterblieben. Durchgeführt wurde dagegen meist eine Konkretisierung der Ziele in spezifische Handlungsaufträge. Die Aussagen über die zu erreichenden Ziele bewegen sich auf einer globalen oder auf einer personenbezogenen (Fall-)Ebene. Eine Auswertung erfolgt in der Regel am Fall und wird offenbar kaum systematisiert. Durch die fehlende Operationalisierung der Ziele wurde die Orientierung an unrealistischen Leitzielen begünstigt. Dies hatte Auswirkungen zumindest auf die ‚innere’ Erfolgsbilanz der Mitarbeiter/innen, wie noch gezeigt wird. Insbesondere dort, wo große Erwartungen an gesellschaftliche Veränderungspotentiale durch die Arbeit der Opferberatung bestanden, konnte die Bilanz nur negativ aussehen. Sinnvoll wäre daher für die Zukunft ein stärker kleinschrittiges Vorgehen und damit verbundene realistischere Erfolgserwartungen, wozu eine Operationalisierung der Leitziele in Feinziele zweifellos beitragen könnte. 4.1.3 Zielgruppen der Beratung Hauptzielgruppen der CIVITAS-Opferberatungsstellen sind zum einen Asylbewerber/Flüchtlinge oder Migranten, zum anderen „nicht-rechte“, alternative Jugendliche. Kontakte zu anderen potentiellen Zielgruppen (zum Beispiel Obdachlose, Schwule und Lesben, jüdische Menschen etc.), die ebenfalls von rechtsextremen Übergriffen bedroht sind, bestehen kaum, was von den Mitarbeiter/innen damit erklärt wird, dass diese Personengruppen über jeweils eigene private Netzwerke verfügen, die sie im Notfall auffangen. Das Mischungsverhältnis zwischen den beiden Hauptzielgruppen ist unterschiedlich. Einige Opferberatungsstellen haben eine deutlich stärkere Nachfrage aus dem Kreis von Flüchtlingen bzw. Migranten. Eines dieser Regionalbüros wird in starkem Maße von Flüchtlingen aufgesucht, die sich dort Hilfe bei zentralen Flüchtlingsproblemen erhoffen, was von der zuständigen Mitarbeiterin wegen des zusätzlichen Arbeitsanfalls als Problem angesehen wird. Dies ist neben den in dieser Stadt fehlenden Angeboten an allgemeiner Flüchtlingsberatung (zum Beispiel über Aufenthaltsprobleme oder Familienzusammenführung) nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass der Tätigkeitsbereich der betreffenden Opferberatungsstelle auch die Beschäftigung mit Diskriminierungen umfasst, was die Flüchtlinge offenbar in starkem Maße dazu veranlasst, die Opferberatungsstelle aufzusuchen (b-OBS 12, 72-107). Dies ist offenbar ein genereller Trend: auf Grund eines besonderen Trägerhintergrundes, verstärkter Nachfrage und fehlender CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 195 Alternativen nimmt allgemeine Flüchtlingsberatung bei einigen Opferberatungsstellen offenbar einen breiten Raum ein: „Das machen manche auch so mit. Also ob das in den Konzepten drin steht. Aber das macht bei manchen Projekten doch wirklich einen Großteil ihrer Arbeit aus. Also dann auch wieder der Unterschied, dass es in ((Bundesland)) noch andere Strukturen gibt. Und es in anderen Bundesländern diese zivilgesellschaftlichen Strukturen von Beratungsstellen und Unterstützungsgruppen gar nicht so gibt. Und aus so einer Notwendigkeit heraus, die sie jedenfalls für sich so sehen, die Notwendigkeit, dass sie denken oder den Ansatz haben: ‚Das müssen wir mit machen.’ Und das ist in ((Bundesland)) einfach noch mal ein bisschen anders.“ (b-OBS 14, 974-983) Andere Opferberatungsstellen konzentrieren sich dagegen überwiegend auf Klienten aus „nicht-rechten“, alternativen Jugendgruppen, was damit zusammenhängt, dass die Berater/innen selbst aus der entsprechenden Jugendszene stammen, dort über bestehende Netzwerke weiterhin eingebunden sind und deshalb bei rechtsextrem motivierten Angriffen schneller als Berater/innen angesprochen werden bzw. eher von entsprechenden Vorfällen erfahren. Die beiden Hauptzielgruppen (Asylbewerber/Flüchtlinge bzw. Migranten und „nicht-rechte“ Jugendliche) erfordern durch ihre strukturell unterschiedlichen Voraussetzungen ein unterschiedliches Vorgehen bei der Beratungstätigkeit (vgl. b-OBS 13, 171-200). Bei Asylbewerbern sind typischerweise asylverfahrensrechtliche Fragen mit einzubeziehen, außerdem treten häufig Sprachprobleme auf, die die Verständigung und die Handlungsfähigkeit der betreffenden Person beeinträchtigen. Die schwierigen Lebensbedingungen von Asylbewerbern (geprägt durch Residenzpflicht, Sammelunterbringung, finanzielle Unterversorgung, Angst vor der Abschiebung) „konterkarieren“ nach Meinung eines Opferberaters die Beratungsprozesse und verringern die Erfolgsaussichten, dass der Beratungsprozeß im Sinne einer Wiedererlangung von Selbstbestimmung erfolgreich abgeschlossen werden kann, weil der Selbstbestimmung von Asylbewerbern im Hinblick auf ihre alltägliche Lebensführung rechtliche Grenzen gesetzt seien: „Na die gesetzlichen Bestimmungen, unter denen die Asylbewerber leben, die konterkarieren viele Schritte unserer Arbeit. Wenn wir uns bemühen, denen zu helfen, selbstbestimmt zu leben, steht das auf der einen Seite. Auf der anderen Seite steht, dass sie der Residenzpflicht unterliegen und halt ihr Essen kaufen. Und ein minimales Taschengeld ausgezahlt bekommen. Also was mit Menschlichkeit, denke ich, nichts zu tun hat. Oder wenn wir versuchen, die zu ermuntern, in die Gesellschaft zu gehen, Kontakte zu suchen und zu pflegen, steht das dagegen, dass sie meist am Rand der Städte leben oder der Ortschaften oder mitten im Wald. Und das es da keine Busverbindung gibt. Wenn ja, dann wären sie zu teuer und die ja in der Regel in der Gesellschaft ausgegrenzt sind. Oder wenn sie sich einbringen wollen oder sich integrieren wollen, einen Deutschkurs machen wollen, steht dagegen, dass das für sie sehr schwierig ist, oder irgendjemand bezahlen muß. Und sie selber kein Geld haben. Also das meine ich jetzt, dass mit Augenwischerei bzw. dass unsere Bemühungen da einfach konterkariert werden. Und ja, das macht es schon etwas schwierig oder halt auch für die Betroffenen natürlich. Also da müßte halt, das hatten wir schon am Anfang, das gesellschaftliche Umdenken einsetzen. Und so können wir natürlich immer wieder anhand der konkreten Überfälle tätig werden. Aber die Situation der Betroffenen ändert sich nicht wirklich. Oder traumatisierte Flüchtlinge, denen es schon enorm viel helfen würde, wenn sie jetzt einen sicheren Duldungsstatus hier hätten, den haben sie aber nicht und diese (...) haben sie dann auch noch im Kopf und können sich eigentlich kaum auf irgendeine Problemlösung einlassen, weil sie im Kopf Tausende verschiedene Probleme haben. (...) Also eben aus diesem Grund, einfach um gesunden zu können, brauchen die auch einen geregelten, gesicherten Aufenthaltsstatus. Und das ist eigentlich ge- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 196 rade bei Flüchtlingen oder Asylbewerbern eher schwierig, also das ist bei anderen Gruppen dann natürlich einfacher, also wo man schneller und konkreter zum Ziel kommen kann, also dann auch entsprechend ‚mehr Erfolge’ erkennen kann.“ (b-OBS 2, 1193-1232) Von einer Opferberatungsstelle werden bestimmte, von rechtsextremer Gewalt betroffene Personen prinzipiell nicht beraten, zum Beispiel Aussteiger aus der rechten Szene. Dabei wird allerdings zum Teil eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen: Wenn sich die betroffene Person konsequent aus der Szene gelöst hat, erscheint eine Beratung möglich: „Also, ich kann nicht jemanden beraten, der kontinuierlich rassistische Statements von sich gibt und die auch verinnerlicht hat, also den ich eher in der Täterrolle wahrnehmen würde, dem kann ich nicht eine Opferrolle zuschreiben. Also, zum Beispiel Aussteiger aus der rechten Szene, die gesagt haben..., es ist erstmal so prinzipiell nicht die Zielgruppe unserer Arbeit. [I: Also, die beraten Sie dann nicht?] Nein, also jedenfalls nicht so prinzipiell. Im Einzelfall, wenn jemand sich tatsächlich konsequent von der Szene gelöst hat und dort zum Opfer geworden ist oder vor Jahren irgendwie in der Szene drin war, ist es was anderes. Aber wenn jetzt jemand sagt ich bin Aussteiger, und wurde jetzt deshalb angegriffen, ist es erstmal für uns keine Sache, die wir so übernehmen würden.“ (b-OBS 9, 534-540). Eine andere Opferberatungsstelle hat sich nach kontroverser Diskussion darauf geeinigt, dass keine „Täterarbeit“ gemacht wird (b-OBS 6, 473-478, 503-513). Beide Positionen sind vor dem Hintergrund der Ausrichtung des CIVITAS-Programms auf Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen und seiner impliziten Abgrenzung zum AgAG-Programm zu sehen und dürften unter den CIVITAS-geförderten Opferberatungsstellen weithin Konsens sein. Kommentar: Als Hauptzielgruppen haben sich aus den potentiell denkbaren Betroffenengruppen aus dem Kreis ethnischer, kultureller und sozialer Minderheiten Asylbewerber/Flüchtlinge bzw. Migranten und „nicht-rechte“ Jugendliche herausgebildet. Andere Zielgruppen werden kaum erreicht bzw. offenkundig auch zu wenig aufgesucht. Zum Teil gibt es offenbar bei einigen Opferberatungsteams bestimmte „Vorlieben“, indem zum Beispiel bevorzugt im Jugendbereich gearbeitet wird, weil die Berater/innen dort persönlich verwurzelt sind und gute Netzwerke bestehen. Notwendig wäre aber gerade ein Zugehen auf „fremde“ Zielgruppen, die auch Unterstützung benötigen und bislang zu wenig erreicht wurden, zum Beispiel Obdachlose oder Homosexuelle. Bei der Umsetzung der Grundprinzipien stossen die Mitarbeiter/innen bei den Hauptbetroffenengruppen auf Hindernisse, die neben persönlichen Voraussetzungen (physische und psychische Verfassung, Persönlichkeitsmerkmale) vor allem in den ungünstigen Rahmenbedingungen liegen, denen von den hauptbetroffenen Personengruppen insbesondere die Asylbewerber ausgesetzt sind (u.a. durch Residenzpflicht, Sammelunterbringung, finanzielle Unterversorgung, Angst vor der Abschiebung). Von daher sind nachhaltige Erfolge im Bereich Individualberatung schwierig und stets gefährdet. Dennoch werden gerade in diesem Bereich der Individualberatung von den Mitarbeiter/innen vielfach die eigentlichen Erfolge ihrer Tätigkeit verortet. Zum Teil wird von einigen Opferberatungsstellen einseitig eine Begrenzung der Zielgruppe vorgenommen, indem „Aussteiger“ nicht beraten werden und keine „Täterarbeit“ geleistet wird. Diese Grundorientierung erscheint zwar auf Grund der Anlage und der Zielstellung des CIVITAS-Programms und der besonderen Hinwendung der CIVITAS-Beratungsstellen zu CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 197 den Opfern rechtsextremer Straf- oder Gewalttaten begründbar, sollte jedoch bei der Anmeldung eines Bedarfs aus dieser Personengruppe von Fall zu Fall überprüft werden. Es ist zu fragen, ob die menschenrechtliche Grundorientierung des Programms nicht durchbrochen wird, wenn eine Personengruppe, die eindeutig auch Opfer rechtsextremer Gewalt werden kann – nämlich die „Aussteiger“ – von der Beratung aus Prinzip ausgeschlossen wird. 4.1.4 Zugangswege zu den Betroffenen Auf Grund der besonderen Situation der Betroffenen(gruppen), vor allem wegen ihrer Immobilität und ihrer schlechten Finanzlage, erfolgt der Zugang zu ihnen im wesentlichen aufsuchend. Dieser Ansatz gilt in der Fachwelt für die betreffenden Zielgruppen allgemein als sinnvoll und wurde von Kooperationspartnern und Experten immer wieder als unverzichtbar hervorgehoben, „weil die Leute nicht von alleine kommen“ (c-OBS A, Koop 1). Als Voraussetzung für das Gelingen dieses aufsuchenden Ansatzes wurde zunächst in der Presse nach Betroffenen recherchiert und ein Netz von Kontakt- und Kooperationspartnern geknüpft, über das Informationen über Gewalttaten bzw. andere rechtsextrem motivierte Delikte gesammelt werden konnten. Die meisten Opferberatungsprojekte haben diese Aufgabe am Anfang ihrer Tätigkeit im Rahmen einer landesweiten „Vorstellungsrunde“ erledigt. Ein tragfähiges Netzwerk von Kooperationspartnern und parallel dazu erfolgte Öffentlichkeitsarbeit erhöhten den Bekanntheitsgrad des Projektes und führten zu steigenden Beratungszahlen: „Also wir sind davon ausgegangen: Es gibt eine Anzahl an Betroffenen. Unser Problem ist nur, an die Leute ranzukommen. Also da war unser Augenmerk am Anfang zum einen die Recherche. Also Auswertung der Medien. Was eher wenig brachte. Nutzen der Kontakte, die man schon hatte. Das brachte mehr. Und, ganz wichtig, Aufbau neuer Kontakte. (...) Also zu überlegen, in den einzelnen Städten oder Gemeinden: ‚Wer könnten die Ansprechpartner sein?’ Dahin zu fahren, die Faltblätter dazulassen, zu sagen, wer man ist. Und natürlich immer parallel zu fragen: ‚Wie ist die Situation bei euch oder bei Ihnen? Kennen Sie vielleicht so ein paar Leute, die angegriffen wurden?’ Und das hat eigentlich funktioniert. Also wir hatten nie den Eindruck, wirklich überall rumgekommen zu sein auf Grund der Größe des Beratungsgebietes. Dass wir jetzt flächendeckend tatsächlich bekannt sind. Aber das hat dazu geführt, dass wir relativ schnell steigende Fallzahlen hatten.“ (b-OBS 5, 328-344) Auf der anderen Seite birgt der aufsuchende Ansatz auch die Gefahr der Viktimisierung durch Beratungsangebote im Sinne eines „Bedrängens“ von potentiellen Klient/innen, was im Bereich der Opferberatungsstellen reflektiert wurde (u.a. im Rahmen einer Fortbildung, vgl. b-OBS GD, 791-804): „Was auch immer ein sehr schwieriger Punkt ist, ist die Freiwilligkeit. Dadurch dass wir aufsuchend tätig sind im Gegensatz zu anderen Methoden der Sozialarbeit. Ist ja nicht mehr so üblich aufzusuchen. Wo wir denken, dass das auch schon Bedrängen ist. Wir gehen ja wirklich auf Leute zu, die weder von uns gehört haben, wo wir angerufen haben. Das Freiwillige ist uns immer im Hinterkopf. Also, wer nicht will, will nicht. Und wir werden auch, wenn es gut wäre, also, wir hatten da ab und zu, dass es gut wäre, wenn sich irgendwer an uns wendet, weil in der lokalen Situation wär das zu thematisieren. Dass das aber dann nicht geschieht, wenn die Leute das nicht wollen.“ (b-OBS 11, 273-280) Als Informationsgrundlage über Angriffe oder sonstige rechtsextrem motivierte Vorfälle spielt dabei die Lektüre der Tagespresse oder von amtlichen Unterlagen und die anschließende Recherche nach der Identität der betroffenen Person eine wichtige Rolle. Darüber hinaus wird von einzelnen Opferberatungsstellen generell nach rechtsextremen Organisationen re- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 198 cherchiert und die rechtsextreme Szene beobachtet, was so weit gehen kann, dass die Gesamtsituation in einer Kommune im Hinblick auf Rechtsextremismus und entsprechende Gegenkräfte untersucht wird. Dabei werden auch bereits mögliche Kooperationspartner eruiert und Unterstützungsnetzwerke vorbereitet: „Und auch Recherche, damit ist gemeint, nach Fällen suchen, und wenn man in der Fallarbeit steckt, bestimmte Sachen recherchieren, Zeugen, wer hat was gesehen, Zeugen befragen, (...). Presserecherche, Medien. Und herauszufinden, wer sind mögliche Kooperationspartner vor Ort, wer kann uns helfen, wer kann die Betroffenen unterstützen, so was meine ich mit Recherche. Es geht auch in Richtung Kontextanalyse. Aber das, was wir machen, wird dem Wort nicht so gerecht. Aber wir streben das an. [I: Wer kann uns helfen, in den Kommunen als Unterstützer.] Genau. Auch das Klima, was läuft drum rum, gibt es da eine Kameradschaft, gibt es da eine organisierte Szene oder sind es eher Cliquen, gibt es eine rechte Parteivernetzung, sind die angedockt, gibt es Kontakte untereinander, überregional. Das sind alles Einflusspunkte.“ (b-OBS 4, 710-724) Die ermittelten Angriffe werden in einer öffentlich (in der Regel über Internet) zugänglichen Chronik dokumentiert. Ein zweiter Weg ist die Vermittlung der betroffenen Person an die Opferberatungsstelle durch Kooperationspartner. Eine Kontaktaufnahme durch die betroffene Person und ein von ihr ausgehendes Aufsuchen der Opferberatungsstelle ist eher selten und findet häufiger nur in städtischen Kontexten statt: „Es ist unterschiedlich. Es kann sein, dass jemand an die Tür klopft und zu uns kommt. Hat von irgendjemand oder irgendwo von uns gehört. Oder ruft uns an. Das ist meistens, was passiert. Dass man uns anruft und einen Termin mit uns macht. Aber es passiert auch manchmal, neulich war eine Frau einfach so gekommen. Sie hatte den Zettel, unsere Anzeige gelesen und so ist sie gekommen. Aber am meisten ist es, dass sie uns anrufen. Oder wir lesen Zeitungen oder Polizeiberichte und dann recherchieren wir. Und dann wäre das vielleicht ein Fall für uns, wäre das vielleicht auch nicht.“ (b-OBS 6, 768-774) Die direkte Kontaktaufnahme erfolgt zum Teil durch persönlichen Besuch, zum Teil durch Telefonanruf, zum Teil durch briefliche Anfrage. Die Nachfrage aus beiden Hauptzielgruppen wird dabei als unterschiedlich intensiv wahrgenommen, was darauf zurückgeführt wird, dass „nicht-rechte“ Jugendliche eher über Beratungsangebote Bescheid wissen, Hilfe aktiv einfordern und dazu auch Beratungsstellen aufsuchen, während Asylbewerber auf Grund fehlenden Wissens über ihre Rechte und Möglichkeiten (u.a. auch über die Beratungsangebote der CIVITAS-geförderten Opferberatungsstellen) in aller Regel aufgesucht werden müssen: „Also aus der nichtrechten Szene kommen mehr mit Bewußtsein: Wir wollen Hilfe in Anspruch nehmen. Weil sie einfach letztendlich das schon irgendwie kennen, dass man in Deutschland in der Gesellschaft alle möglichen Hilfsangebote hat und die auch durchaus annehmen kann. Wogegen da Asylbewerber das weniger von sich aus machen, häufig weil sie gar nicht wissen, dass es das gibt. Und sie wissen auch nicht, dass sie dazu berechtigt sind, sowas in Anspruch zu nehmen, und haben natürlich auch logistische Schwierigkeiten, überhaupt an uns ranzukommen. Und wenn es das Telefonat ist, wofür sie kein Geld haben. Aber wenn wir dann im Heim sind sozusagen. Also wir haben irgendeinen Fall nachrecherchiert und haben jetzt den Kontakt zu dem Betroffenen, haben den angerufen, fahren ins Heim und quatschen mit dem, dann ist es fast immer so, dass noch eine ganze Reihe anderer dabei sitzen und irgendwann auch was zu erzählen haben. Und dann sind wir für einen Fall ins Heim gefahren und kommen mit mehreren Fällen zurück. Weil die Leute uns halt persönlich kennen. Deshalb ist gerade im Bereich der Flüchtlinge und Asylbewerber dieses niedrigschwellige Angebot, dass man zu den Leuten hinfährt, also das A und O, würde ich sagen.“ (b-OBS 2, 2053-2070) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 199 In einem Projekt ist unklar, welche Personen eigentlich beraten werden sollen: alle Menschen, die angegriffen wurden oder nur diejenigen, die aus rechtsextremer Motivation heraus angegriffen wurden. Die Antwort ist klar: Es geht ausschließlich um den letzteren Personenkreis. Außerdem gibt es hier ein Auswahlproblem, weil mehr Fälle recherchiert wurden, als bearbeitet werden konnten. Es gibt in diesem Fall offenbar Schwierigkeiten mit der genauen Fassung bzw. Definition der Zielgruppe bzw. des Aufgabenspektrums, die durch eine Präzisierung des Konzepts behoben werden könnte: „Also, wir haben ja jetzt verschiedene Arbeitsbereiche sozusagen als Opferberatung. Was jetzt speziell die Beratung von Betroffenen betrifft, habe ich oder haben wir die grundsätzlichen Schwierigkeiten in unserem Bereich - also, wir reden ja von unserm Kleinteam -, hinterherzukommen. Wir machen jeden Morgen eine Presseschau und lesen dort halt von Angriffen, die vielleicht als rechts erkennbar sind oder nicht erkennbar sind als rechts. Und vor der Frage stehen, ob es unser Ziel ist, alle Menschen zu beraten, die angegriffen wurden oder wirklich jeden rechten Überfall herauszufinden oder ob wir uns auf die konzentrieren, die wir jetzt sozusagen schaffen. (...) Das liegt, glaube ich daran, dass wir genauer gucken müssten (...), also, haben wir den Anspruch, alle zu beraten oder haben wir den Anspruch, alles was in der Zeitung steht zu beraten oder was meiner Meinung nach zu kurz kommt, ob man sich auf Sachen konzentriert, die eben nicht in der Zeitung stehen. Weil es ja auch ein Auftrag von uns war, verdeckte Angriffe, die nicht veröffentlicht werden, zu finden.(...) Das ist wirklich eine Forderung dann, uns jetzt, das zu entscheiden. Das nicht einfach hinzunehmen und dann fällt halt was runter, sondern das zu definieren. Haben wir noch nicht gemacht bis jetzt. Definition der Zielgruppe sozusagen.“ (b-OBS 11, 36-45, 68-82) Zwei Regionalbüros berichten von Schwierigkeiten, Klienten zu finden, da sich die Hoffnung, dass Betroffene sich auch selbst nach einem Übergriff melden, bisher nur „relativ selten“ erfüllt habe und die Recherche sehr zeitaufwendig sei und oftmals auch im Sande verlaufe (vgl. auch b-OBS 13, 48-60): „Ja, im Moment, grundsätzlich, denke ich, ist es halt so, dass wir, denke ich mal, Probleme haben mit dem Bekanntheitsgrad. Wir suchen natürlich Opfer auf, ganz klar, aber wir haben halt auch gehofft, dass wir mit Öffentlichkeitsarbeit, was wir ja auch immer wieder getan haben und sehr intensiv, dass vielleicht doch eher, auch vielleicht Leute mal anrufen, hier gab´s ein Problem und könnt ihr mal kommen. So ist es leider nicht, dass sich Leute, Opfer, Betroffene melden bei uns ist relativ selten, kommt auch vor, aber... das ist vielleicht auch so ein Problem, weil wir erfahren immer vieles nur über Zeitungen, da steht ja auch nicht immer alles drin, und machen halt online-Recherche oder arbeiten mit Leuten zusammen, also Kooperationspartnern, die uns dann Hinweise geben, hier war was, guckt mal nach. Das ist vielleicht auch so ein Problem an die Opfer überhaupt ranzukommen. Und wenn man dann vielleicht nur Zeitung gelesen hat und dann mit Polizei, die geben natürlich keine Namen raus, die Recherche ist manchmal sehr, ja, aufwendig und manchmal verläuft sie auch im Nichts.“ (bOBS 3,119-134) Diese Probleme werden in einem Fall auf den mangelnden Bekanntheitsgrad des Projekts zurückgeführt, dem man durch verbesserte Öffentlichkeitsarbeit begegnen will, im anderen Fall, „weil die denken, wir melden uns, das ist unsere Aufgabe, oder weil eine Scham da ist, weil die Hürde zu hoch ist, sich zu melden.“ (b-OBS 13, 56-57) Voraussetzungen für die Aufnahme der Beratung sind die Einwilligung der bzw. des Betroffenen und die Freiwilligkeit der Beratung. Außerdem muß die Kommunikationsfähigkeit sichergestellt sein. Zum Teil werden dazu Dolmetscher eingesetzt. Außerdem wird die Beratungssituation vorstrukturiert, dabei werden Wünsche der betroffenen Person, von wem sie beraten werden will, berücksichtigt: CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 200 „A: Der Betroffene muss freiwillig zu uns kommen. (...) Er muß unsere Unterstützung und das Gespräch wollen. Und dann muß sichergestellt sein, dass er uns versteht, also sprich ... I: ... Verständnis, Kommunikationsfähigkeit. A: Sonst braucht man einen Dolmetscher. Was dann noch sichergestellt sein muss, ist, ob er jetzt mit mir reden möchte oder mit meiner Kollegin. I: Also es wird geklärt Dolmetscher und dann wer der Berater, also ob er mit Ihnen als ... A: Als Mann oder mit meiner Kollegin als Frau. Oder ob es ihm egal ist oder manche die haben auch irgendwie von irgendeinem Mitarbeiter von ((Opferberatungsstelle)) gehört und wollen dann nur mit ihm sprechen oder mit ihr. Also was wir noch klären, ist, ob die Person jetzt alleine sein oder kommen will oder noch jemand mitbringt.“ (b-OBS 2, 882-894) Kommentar: Der aufsuchende Ansatz ist angesichts der besonderen Probleme der Hauptzielgruppen notwendig und sinnvoll, da die Hauptzielgruppen anders nicht zu erreichen sind. Die Tatsache, dass einige Projekte Probleme mit dem Zugang zu den Betroffenen haben, lässt sich auf den angesichts der Kürze der Tätigkeitsphase noch vielfach zu niedrigen Bekanntheitsgrad, auf noch zu schwache Kommunikationsnetze und auf die Tatsache, dass Betroffene aus Angst schweigen bzw. über eigene Netzwerke verfügen, die sie im Notfall auffangen, zurückführen. Der aufsuchende Ansatz birgt allerdings auch die Gefahr, dass Personen in eine Opferrolle hineingedrängt und so Opfer gewissermaßen sozial konstruiert werden. Diese Gefahr wurde in einer Fortbildung der Opferberatungsprojekte reflektiert, ist den Berater/innen also bewusst und kann durch die Orientierung an der Selbstbestimmung der Betroffenen balanciert werden. 4.1.5 Opferdefinition/Prüfung der Tatumstände Bei den CIVITAS-Opferberatungsstellen gibt es ein breites Spektrum an Gewaltdefinitionen und Interventionsgründen. Eine Opferberatungsstelle wird nur aktiv, wenn sich physische Gewalt und eine rechtsextreme Motivation der Tat nachweisen lassen: „A 2: Also unser Konzept hatte ganz zentral, dass wir uns konzentrieren auf Opfer rechtsextremer Gewalt. Und das so als Ausgangspunkt nehmen für eine Thematisierung allgemein von der Situation von Flüchtlingen und nichtrechten Jugendlichen, Thematisierung von Rechtsextremismus und wie sich da alle möglichen Stellen dazu verhalten. Und damit auch eben die Erfahrung gemacht haben, dass wir damit Einbrüche in so einen festgefahrenen Mediendiskurs eine Zeit lang machen konnten. Wir hatten aus verschiedenen Gründen Diskriminierungen, die nicht mit Gewalt verbunden waren, nicht in dieses Konzept aufgenommen. Das heißt nicht, dass wir nicht am Rande, inoffiziell sozusagen, einzelne Betroffene nicht unterstützt haben. (...) A 1: Also die wichtigsten Varianten finde ich, dass wir uns konzentrieren auf Opfer rechtsextremer Gewalt. I: Physischer Gewalt. Nicht psychischer. (...) A 1: Was immer psychische Gewalt sein soll, das ist sehr schwer zu definieren. Erstmal die handfeste, die böse Gewalt. A 2: Körperliche Gewalt.“ (b-OBS 14, 895-950) Andere Opferberatungsstellen gehen von einem weiten Gewaltbegriff aus und werden auch bei Beleidigungen und/oder Diskriminierungen aktiv, recherchieren aber nicht gezielt nach CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 201 diesen. Bei diesen Opferberatungsstellen ist typisch, dass sie, zum Teil in sehr engem Zusammenhang mit ihrem weiten Gewaltbegriff und einer Ausweitung des Tätigkeitsspektrums in die „Antidiskriminierungsarbeit“, in hohem Maße Flüchtlinge zu ihren Klienten zählen und daher zusätzlich auch in starkem Maße allgemeine Flüchtlingsberatungen übernehmen und durchführen: „Wir haben hier einen Großteil von Klienten, gerade in ((Ort)), die eigentlich nicht Opfer rechtsextremer Gewalt sind, sondern Diskriminierungsfälle. (...) Ja, das machen wir, das hängt aber vor allem an ((Name)). Der sagt, wie ich finde zu Recht, warum soll ich die einfach abweisen. Das sind überwiegend Asylbewerber, die Probleme haben mit Behörden, und es passiert im übrigen auch, dass manchmal die Ausländerbehörde jemanden hierher schickt. Man kann das nicht unbedingt unter Beratung von Opfern rechter Gewalt verbuchen, sondern eher unter Antidiskriminierungsarbeit.“ (b-OBS 17, 233-244) In aller Regel erfolgt eine Überprüfung der Tathintergründe, wobei zunächst von der Darstellung des Betroffenen ausgegangen wird. Die Vorgehensweisen und die Ergebnisse dieser Überprüfung sind unterschiedlich. Eine Variante ist, dass ausgehend von der Darstellung des Tathergangs durch die betroffene Person und deren schriftliche Fixierung umfangreiche Eigenrecherchen des Beraters bei der Polizei und bei anderen beteiligten Behörden durchgeführt werden: „A: Ich überprüfe noch mal den Fall, ob dies ein Fall für mich ist. I: Wie machen Sie das, welche Kriterien legen Sie da zugrunde? A: Erstens: Falsches oder ein Opfer. Und ich beginne nicht gleich die Beratung, sondern ich lasse erst mal das Opfer ein Gedächtnisprotokoll schreiben. Oder mir erst mal schildern, was jetzt war. Und den Fall schildern und erzählen, so kann ich erfahren, ob es einen rechtsextremen Hintergrund gibt. Oder ob eine schwere Körperverletzung noch (...). Und manchmal gibt es einige Fälle, die direkt sind. Ich weiß schon, das ist ein rassistischer oder rechtsextremer Fall, vermittelt durch die Polizei. I: Und bei den anderen, wo Sie sich nicht sicher sind? A: Bei den anderen, wo ich nicht sicher bin, zum Beispiel die diskriminierenden Fälle... (...) Bei diesen Fällen gucke ich erst mal, wer ist beteiligt? Welche Leute sind in dem Fall beteiligt? Da lasse ich das Opfer schildern, was es selber erlebt hat und wer an diesem Fall beteiligt ist. Das können Behörden sein, oder außerhalb der Behörde, oder Sozialamt oder das Standesamt oder andere Ämter. Dann fahre ich selber hin, aber mit einer anderen Strategie, die ich nutze, um die Wahrheit von der anderen Seite auch zu kriegen. (...) dann kann ich diesen Fall auch übernehmen.“ (b-OBS 19, 726-762) Eine andere Variante geht ebenfalls von einem breiten Gewaltbegriff aus, der neben physischer auch psychische und strukturelle Gewaltformen (zum Beispiel Diskriminierungen) umfasst, wobei auch hier von der Wahrnehmung des Betroffenen ausgegangen wird. Im folgenden Zitat wird deutlich, dass eine politische Motivation im Zusammenhang mit einer Alltagsauseinandersetzung (hier eine Eifersuchtsgeschichte) von dem betreffenden Beratenden angenommen bzw. unterstellt wird, damit eine Beratung aufgenommen werden kann. Auch wenn nur eine politische Teilmotivation angenommen werden kann, werden die betreffenden Fälle als Beratungsfälle definiert, weil „ein rassistischer Kern“ unterstellt wird. Auf diese Weise könnten diverse Alltagssituationen zu Interventionsanlässen gemacht werden, was jeweils abhängig vom Vorverständnis des Beraters und von der Bereitschaft der betroffenen Person ist. Letztlich entscheidet in der Logik der Opferberatungsstellen die Wahrnehmung CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 202 des Betroffenen über die Motivation und damit über den Beratungsbeginn (vgl. auch b-OBS 4, 1001-1023): „Ja als erstes muss natürlich eine rechts motivierte oder auf Diskriminierung aufbauende Tat vorliegen. Was nicht unbedingt eine physische Gewalttat sein muss, sondern durchaus auch eine Diskriminierung sein kann, also auch eine verbale Geschichte sein kann. (...) Wir betreuen auch Leute, die mit rassistisch motivierter Schikane durch staatliche Institutionen konfrontiert sind. (...) Das ist die erste Voraussetzung, die gegeben sein muss. Und das ist auch die grundlegendste. (...) Das ergibt sich eigentlich aus der Schilderung des Vorfalls. Also, wir stellen auch die Wahrnehmung des Betroffenen erstmal nicht in Frage. Gut, wenn jemand uns erzählen würde, bei einer Auseinandersetzung wo klar ist, es ging um Beziehungsprobleme und er würde uns vormachen wollen, dass es in irgend einer Art und Weise eine politische Motivation hat, sind wir auch sensibel genug das mitzukriegen. Aber auf der anderen Seite ist das im ersten Moment nicht unbedingt klar erkennbar. Ein Angriff von rechts motivierten Jugendlichen auf einen Flüchtling, der als Eifersuchtsgeschichte dargestellt wird, häufig auch in der Presse oder in der öffentlichen Wahrnehmung so dargestellt wird, hat natürlich durchaus in den meisten Fällen einen rassistischen Kern. Denn klassische Auseinandersetzung in der Disco oder in der Gaststätte ist ganz klar, dass jemand, der rassistisch eingestellt ist und das Gefühl hat, seine Freundin wurde von einem irgendwie dunkelhäutigen Menschen komisch angeguckt, wird er dort ganz anders reagieren als bei jemand, den er als mit ihm ebenbürtig oder wie auch immer ansehen wird. Oder auch Raubdelikte, die stattfinden, durch Rechte begangen sind gegenüber so einer typischen Zielgruppe, dort vermischt sich das sehr häufig auch mit einer politischen Motivation. Also, das ist sozusagen die Grundvoraussetzung.“ (bOBS 9, 505-525) Eine weitere Variante ist, dass – wieder ausgehend von der Wahrnehmung des Betroffenen – mögliche andere (zum Beispiel unpolitische) Erklärungen für den Vorfall bzw. die Tat durchaus zugelassen und im Rahmen einer gemeinsamen Situationsanalyse, die erst einmal ergebnisoffen ist, zu einer endgültigen Definition des Tatmotivs verdichtet werden. Hier wird also nicht von vorne herein von einer „rassistischen“ Motivation bei Alltagsauseinandersetzungen ausgegangen, sondern konstatiert, dass Auseinandersetzungen zum Beispiel zwischen Jugendlichen unterschiedlicher politischer Couleur auch andere, unpolitische Hintergründe haben können: „Ich sage mal die Wahrnehmung der Betroffenen, die gilt jetzt für uns. Wenn sich dann aber herausstellt sozusagen, dass die Polizei das partout nicht als rechtsextrem einstuft, daraus entnehmen wir noch nicht so viel, weil das ist nichts Neues. Und aber wenn jetzt, also man hat ein Feeling nachher. Also wenn der Betroffene sagt: ‚Ich habe in der Straßenbahn drei junge Mädchen gehabt, die haben über mich gelacht, weil ich Schwarzer bin’, dann (...) würden wir mit dem also einfach nachfragen und versuchen, mit dem Betroffenen zu erarbeiten, welche Erklärungsmuster gibt es denn noch. Also zuallererst gilt natürlich die Wahrnehmung des Betroffenen. (...) Und wir klären das dann nach. Und je nachdem, was sich herausstellt, vermitteln wir ihn entweder weiter, also an die ‚Opferhilfe’ von mir aus (...) oder wenn halt was Rechtes der Hintergrund ist, dann unterstützen wir ihn, wenn er das will.“ (b-OBS 2, 936-954) Wenn eine rechtsextreme Motivation nicht nachgewiesen werden kann, erfolgt meist eine Überweisung an andere Opferberatungsstellen, in aller Regel an die „Beratungsstelle für Opfer von Straftaten. Opferhilfe“, die in den neuen Bundesländern zumindest in den größeren Städten ein relativ dichtes Netz von Niederlassungen unterhält. Kommentar: Die Opferdefinition ist bei vielen Opferberatungsstellen sehr weit gefasst, eine Orientierung an einem engen, physisch umrissenen Gewaltbegriff ist eher die Ausnahme. Eine Überprü- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 203 fung der Tatumstände findet in mehr oder minder intensivem Ausmaß statt, der weite Opferbegriff führt aber dazu, dass eine ganze Reihe von unterschiedlichen Tatbeständen zum Beratungsanlaß gemacht werden können. Dadurch wächst die Gefahr der interessengeleiteten sozialen Konstruktion von Opfern bzw. Interventionsanlässen. Bei einigen Opferberatungsstellen ist der Trend zu einer verstärkten Hinwendung zu allgemeiner Flüchtlingsberatung unverkennbar. Die Gründe dafür sind vielfältig: konzeptionelle Berücksichtigung von Diskriminierungstatbeständen auf Grund von Trägerbindungen, Nachfrage aus der betreffenden Personengruppe, aufsuchende Beratung von „potentiellen Opfergruppen“, die neue Beratungstatbestände zu Tage fördern, sowie fehlende Beratungsalternativen. Dort, wo allgemeine Flüchtlingsberatung neu in den Kanon der Tätigkeiten aufgenommen wurde, sollte eine entsprechende Ergänzung der Konzepte erfolgen. Generell ist zu fragen, ob eine allgemeine Flüchtlingsberatung nicht eine sinnvolle Ergänzung zum Tätigkeitsbereich Beratung von Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten darstellen würde, da die entsprechenden Beratungsstrukturen in den neuen Bundesländern noch wenig ausgebaut sind und zumindest in einem Bundesland flächendeckend implementiert werden sollen. 4.1.6 Rollendefinition der Beratenden/Methodeneinsatz Die Rollendefinition der Beratenden und die davon abhängige Haltung zu den Klienten umfasst ein breites Spektrum. Das Interviewmaterial zeigt dabei, dass es unterschiedlich starke Annäherungen an die Klienten und, davon abhängig, ein unterschiedliches Ausmaß an Distanz gibt. Eine Variante ist, dass der betreffende Berater die Distanz zu ihrem Klienten zu wahren versucht und dafür ein bestimmtes Setting einsetzt (hier den Tisch, der zwischen Berater und Klient positioniert wird). Die betreffende Person sieht sich als professioneller Berate und möchte keine private oder freundschaftliche Beziehung zu ihren Klienten herstellen: „Ich bin zunächst distanziert. (...) Das heißt, ich sieze meine Klienten immer. Und ich bevorzuge das, das klappt nicht immer, ich bevorzuge das, dass zwischen uns ein Tisch ist. Das klappt nicht immer bei uns wegen Räumlichkeiten. Manchmal ist es nicht so. Aber ich bevorzuge das. Das heißt, diese Distanz erstmal, ist mir ganz wichtig. Und ich sitze und ich notiere so wenig wie möglich. Wir haben einen Bogen, Standardbogen, den fülle ich danach dann aus. Und dann schreibe ich mein Protokoll. Aber ich notiere nicht viel. Und dann sage ich auch, wenn die Person das möchte, kann sie auch meine Notizen angucken, weil in meinen Notizen steht nicht viel. Und ich bin, ja, wie soll ich sagen, am Anfang bin ich sehr sachlich und eher distanziert und jetzt nicht auf Freundschaftsebene. Auf keinen Fall.“ (b-OBS 6, 805-818) Ein weiterer Berater fasst eine vergleichbare Rollengestaltung mit dem Begriff „dezent distanzierte, kollegiale Zusammenarbeit“ (b-OBS 20, 462) zusammen. Es handele sich nicht um ein „privates Verhältnis“ (b-OBS 20, 467), was sie damit begründet, dass man sich ja anschließend auch wieder voneinander lösen wolle. Eine weitere Variante, die Beraterrolle zu definieren, verbindet die Beratungsfunktion mit einem hohen Maß an Empathie, was mit einer starken Hinwendung zum Opfer und einer tendenziellen Aufweichung der Distanziertheit einhergeht: „((Name))ist sehr schnell auch sehr freundlich und eher so, also schon distanziert, aber trotzdem viel… Nein, ((Name)) ist relativ distanziert. ((Name)) ist sehr schnell dann auch mitgenommen. Sie ist dann sehr, sehr, na ja, diese Klienten nimmt sie auch sehr ernst natürlich. Und dadurch ist sie auch sehr schnell wütend auf die Tatsache, dass es passiert ist. Deshalb CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 204 ist sie auch sehr emotional dann, ja, mitgenommen. Also, emotionaler als ich zum Beispiel. Ich bin da nicht besonders emotional. Aber damit meine ich nicht, dass ich nicht ernst nehme oder diese Taten mir gleichgültig sind. Aber ich weiß es, für mich ist es wichtig, dass sie erstmal auch diese Sachlichkeit bewahren können. Das heißt, natürlich passiert das oft, dass die auch heulen, weinen und so. Aber je mehr, ich denke, je emotionaler ich werde, desto schwieriger ist es für mein Gegenüber.“ (b-OBS 6, 822-830) Als Ausnahmefall kann eine dritte Ausgestaltung der Rolle gelten. In dieser Variante wird die Rolle sehr stark fürsorgerisch bzw. betreuend gefasst. Sie zielt darauf ab, dass Vertrauen des Klienten zu gewinnen, weswegen die Distanz reduziert wird. Ausgehend von einer starken Vertrauensbasis wird in dieser Variante versucht, die Klienten relativ stark zu führen. Der betreffende Berater besucht zum Beispiel seine Klienten häufig unangemeldet nach Feierabend, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Diese Rollenfassung führt auch dazu, dass seitens des Beratenden beabsichtigt ist, den Kontakt auch nach Ende der Beratung aufrecht zu erhalten, so dass er im Prinzip niemals endet. Der Berater stellt in dieser Variante ein stark paternalistisches Verhältnis zu seinen Klienten her, wodurch sich ihre Abhängigkeit nicht reduziert und der Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ in Frage gestellt ist: „A: Zu meinen Klienten bin ich erst mal ganz freundlich, ohne freundlich zu sein, kriege ich auch dieses Vertrauen nicht. Da würde sich mein Klient auch selber die Frage stellen: Was will er von mir? Also freundlich zu sein. Nicht gleichzeitig distanziert, weil, wenn man von seinem Klienten auch sehr distanziert ist, dann wird die Wertung nicht richtig. Und enger Kontakt, also, mehrmals Besuch. (...) Ja, meistens abends, wenn ich Feierabend... (...) Also, bei manchen unangemeldet. Weil, wenn ich deren Vertrauen habe, mache ich ein Angebot, dass ich auch meine Klienten besuchen würde. Und wenn meine Klienten ein Problem damit hätten... Manche sagen: Nein, nein, wir haben kein Problem, du kannst jederzeit...(...) Mein Kontakt bleibt, denn ich besuche meine Klienten. (...) Und meine Klienten besuchen mich auch, entweder hier im Büro, oder je nachdem. Ja. Es gibt kurzfristige Betreuung, Beratung, und es gibt langfristige. Und kurzfristig kann sein, dass mein Klient, meine Klientin abgetaucht ist, nicht mehr da ist oder außerhalb Deutschlands ist. Oder es kann sein, dass ein Klient umverteilt wird in ein anderes Bundesland. Trotzdem versuche ich immer, den Kontakt beizubehalten. I: Auch wenn...? A: Auch wenn er umverteilt wurde, ja. I: So dass an sich die Kontakte niemals enden? A: Nein, ja. Bei mir werden meine Kontakte niemals enden.“ (b-OBS 19, 837-863,1062-1090) Ein Methodeneinsatz erfolgt in den Beratungen in unterschiedlichem Umfang. Zum Teil werden, vor allem dann, wenn entsprechende pädagogische, sozialpädagogische oder psychologische Fachausbildungen vorliegen, häufig klientenzentrierte, seltener systemische Gesprächsverfahren eingesetzt. Andere Mitarbeiter/innen, die stärker aus der ehrenamtlichen Beratungspraxis stammen, setzen eher auf Erfahrungswissen und selbst entwickelte, ihrer Meinung nach in der praktischen Arbeit bewährte Fragetechniken. Kommentar: Viele Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen waren vor ihrer hauptamtlichen Tätigkeit als Opferberater/innen bereits ehrenamtlich in antifaschistischen und antirassistischen Initiativen tätig. Daraus resultiert ihre hohe Motivation und ihre besondere Hinwendung zu den Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten im Sinne des Rahmenkonzepts „Opferperspektive“. Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen sind, wie die Befragungen immer wie- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 205 der gezeigt haben, oftmals unter Einsatz ihrer ganzen Person und mit großem Engagement für die Betroffenen tätig. Gleichzeitig liegen in dieser besonderen Hinwendung aber auch Gefahren, die in den Befragungen deutlich geworden sind und die reflektiert werden sollten. Es besteht die Gefahr der „Überbemutterung“ der Klienten und die Gefahr zu großer Nähe bzw. mangelnder Distanz zur Klientel. Diese klassischen Probleme einer zu engen Bindung zwischen Berater und Klient bei besonders engagierten Berater/innen können dann, wie auch in den Interviewzitaten beschrieben, zu einer Abhängigkeit der Klienten verbunden mit späteren Ablösungsproblemen, zu verstärkter Belastung der Beratenden und im Endergebnis leicht zu Burn-out-Problemen bei den Berater/innen führen. Notwendig erscheint daher eine klarere Abgrenzung von der Klientel und eine deutlichere Trennung des politischen Engagements der Beratenden von den Beratungsvorgängen. Diese Trennung von Beratungsarbeit und politischem Engagement für die Betroffenen (beispielsweise im Rahmen einer teaminternen Arbeitsteilung) wird in der Fachliteratur und durch Beratungsstandards immer wieder empfohlen. Außerdem ist zu fragen, ob nicht auch verstärkt das Methodenrepertoire weiter ausgebaut werden sollte, denn die Befragungen haben gezeigt, dass in diesem Bereich noch vieles „selbstgestrickt“ ist und weiterer Reflexion und fachlicher Vertiefung bedarf. 4.1.7 Ablauf und Phasen der Beratung bzw. Begleitung Ausgangspunkt der Beratung ist ein Erstgespräch, das in der Regel von zwei Berater/innen gemeinsam durchgeführt wird und in dem typischerweise die Angebote der Opferberatungsstelle erläutert und vorgestellt werden. Dabei spielt die Erhebung des Tatverlaufs und die Unterstützung bei der juristischen Aufarbeitung der Tat durch entsprechende Informationen zu den Themenbereichen Anzeigeerstattung, Nebenklage, Gerichtsverfahren und Entschädigung eine wesentliche Rolle: „Naja, also einerseits natürlich das Erstgespräch, das ist, glaube ich, immer ganz wichtig. Das ist so ein Arbeitsschwerpunkt, da ist zu klären, was ist überhaupt passiert, das hilft vielen Leuten wahrscheinlich auch schon am meisten, wenn sie sehen, o.k., da gibt es jemanden, der interessiert sich schon alleine für mich, der eben auch konkrete Vorschläge hat. Dann natürlich die gewissen rechtlichen Sachen, also Anzeige, was passiert wenn, oder kommt es zu einem Prozess. Also, dass man da guckt, was ist da möglich, dass man den Leuten erklärt, was hast du eigentlich für Rechte, wie ist das, das ist ein Arbeitsschwerpunkt. Finanzielle Unterstützung, auch zu gucken, was ist jetzt möglich oder was können wir jetzt machen, Opferantrag, Entschädigungsantrag, solche Sachen. Aber der Hauptarbeitsschwerpunkt ist erstmal diese rechtlichen Sachen zu gucken. Was können sie eben selber auch tun, haben sie Hilfe in der Familie, wie sieht das da aus, oder vielleicht auch das Andocken an Initiativen, Vereine vor Ort, sag´ ich jetzt mal, der Kontakt und dann eben auch die Begleitung.“ (b-OBS 2, 621635) Erfolgt keine Resonanz, ist der Beratungsprozeß beendet: „Also das ist ja, denke ich, das erste Beratungsgespräch kann ja sehr wohl damit enden, dass man sagt: ‘Wenn es in ihrem Interesse ist oder so, dann können wir Ihnen das und das anbieten und wir können das und das machen.’ Und dann geht man auch eben solche Schritte weiter. Und wenn es da keinen Bedarf gibt, in dem ersten Beratungsgespräch, an weiteren Schritten, dann ist es eben bei einem Gespräch geblieben.“ (b-OBS 12, 758-770) Die Beratungen enthalten einerseits Informationsanteile zu den relevanten Themen (Anzeigeerstattung bzw. Verfolgung der Straftat, Ablauf des Gerichtsverfahrens, Entschädigungsmöglichkeiten, Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit) und psycho-soziale Anteile, die die Persönlichkeit der betroffenen Person stabilisieren und ihre Eigenpotentiale stärken sollen. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 206 Neben den Beratungen ist die Begleitung der Betroffenen bei der Bewältigung der Tat und ihrer Folgen ein zweites wesentliches Tätigkeitsfeld. Opferberatungsstellen wollen die Betroffenen dazu in die Lage versetzen, die notwendigen Behördengänge und den erforderlichen Schriftwechsel so weit wie möglich selbst durchzuführen, sie unterstützen sie dabei und übernehmen selbst nach Absprache auch Teilaufgaben in diesem Bereich. Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen begleiten den Prozeß der Anzeigeerstattung und sind auf Wunsch bei Zeugenaussagen anwesend. Diese Teilfunktion wurde von den befragten juristischen Experten als ausgesprochen wichtig hervorgehoben, denn die Opfer seien oftmals stark verunsichert und es sei daher die Funktion der Opferberater/innen, sie „als Gegengewicht im Strafverfahren“ zu stabilisieren und zur Anzeige zu ermuntern (c-OBS A, Koop 8). Außerdem würden viele Straftaten, gerade im Bereich von Jugendauseinandersetzungen, bisher nicht angezeigt und könnten daher nicht verfolgt werden. Deshalb sei die Ermunterung zur Anzeigeerstattung durch die Opferberater/innen sehr wichtig (c-OBS A, Koop 9). Nicht immer verläuft dieser Begleitungsvorgang allerdings störungsfrei, weil nach Erfahrung eines Opferberaters in den von ihm betreuten ländlichen Gebieten die Anzeigebegleitung von der Polizei nicht gern gesehen wird: „Man muss um Sachen kämpfen, die in Großstädten schon gang und gäbe sind. (...) Zum Beispiel Anzeigebegleitung. Da kommt es durchaus vor, dass Polizisten das zwar kennen, das stellt sich dann im Gespräch raus, aber dass sie das nicht möchten. Bei einer Anzeige gibt es den Zusatz, dass man eine Person seines Vertrauens mit rein nehmen darf, wenn man Opfer einer Körperverletzung wurde, oder im Gesetz stehen noch andere Bedingungen, und dass man dann einfach drauf drängen kann. Eigentlich wird das sonst überall gehandhabt. Es ist nicht vorgeschrieben, es ist eine Soll-Regelung, schon ein höheres Rechtsgut als Kann, aber es ist halt kein Muss. Aber in anderen Großstädten wird halt gesagt, okay, der Opferzeuge oder die Opferzeugin ist das wichtigste Glied bei der Aufdeckung einer Straftat, also müssen wir alles versuchen, um alles Gute herauszufinden. Ich sehe das auch generell, das kommt auch durch diesen ländlichen Einfluss hier. Ich weiß nicht, wie Polizisten strafversetzt werden, keine Ahnung, aber die Polizei sieht sich hier noch als bestimmend, und nicht als Dienstleister. Ich bin immer freudig überrascht von einer Ausnahme, das ist bei uns immer ein Highlight. Die Ausnahmen gibt es, aber es ist noch so, dass man überrascht ist.“ (b-OBS 4, 2176-2197) Außerdem stehen die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen während der Gerichtsverfahren (Straf- und Zivilprozeß) als Begleitung bzw. zur Beobachtung zur Verfügung. Gerade die Begleitung bei den Schritten der juristischen Aufarbeitung, vor allem während des Prozesses, hat für die Betroffenen eine wichtige unterstützende und stabilisierende Funktion: „Also aus diesem Grund machen wir Prozessbegleitung, weil wir halt der Meinung sind, wenn die Täter drin sitzen mit ihren Freunden, ist das eine als bedrohlich zu erlebende Situation für die Betroffenen, und da versuchen wir halt mitzugehen oder noch andere Leute zu animieren mitzugehen, dass sie da halt im Gerichtssaal auch nicht so alleine sind und wissen, hinter ihnen sitzen auch noch paar Leute, die es nett meinen. Oder versuchen, dann auch dem Gericht deutlich zu machen, dass das Gericht dann auch erkennt, was sich da im Saal abspielt. Und da gibt es überall solche Beispiele.“ (b-OBS 2, 466-474) Kommentar: Ablauf und Phasen der Beratung entsprechen soweit erkennbar den grundlegenden Arbeitsprinzipien. Unterstützung wird dort angeboten, wo sie im Rahmen des Auftrages erforderlich erscheint und nachgefragt wird. Das Angebot der von CIVITAS geförderten Opferberatungsstellen geht dabei deutlich über das Angebot üblicher Beratungsstellen hinaus, die sich im CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 207 Rahmen einer „Komm-Struktur“ auf Beratungen im engeren Sinne konzentrieren und Begleitungen beispielsweise nur in geringem Maße durchführen können. 4.1.8 Grenzen und Ende der Beratung bzw. Begleitung Beratungen können aus einer ganzen Reihe von Gründen Grenzen haben oder abgebrochen bzw. beendet werden. Als Gründe wurden jeweils von einzelnen Opferberatungsstellen benannt, dass die beratene Person selbst rechtsextremistische oder rassistische Einstellungen zeigt (b-OBS 11, 291) oder wenn Beraterinnen sexuell belästigt werden, was aber nur als theoretische Möglichkeit bezeichnet wird (b-OBS 4, 1334-1346). Eine andere Grenze ist dann erreicht, wenn der Berater sich fachlich überfordert sieht (zum Beispiel bei diffizilen Rechtsfragen), üblicherweise erfolgt dann eine Überweisung an einen Rechtsanwalt (b-OBS 12, 832-852). Betroffene, die psychologische Hilfe benötigen (zum Beispiel bei Traumatisierungen) werden soweit wie möglich an Psychologen überwiesen (b-OBS 11, 580-582), wobei es aber nach dem Bericht einer Opferberatungsstelle Probleme gibt, da entsprechende Psychologen nicht in der gewünschten Schnelligkeit zur Verfügung stehen. Die Folge davon ist, dass das entsprechende Projekt, in dem ein/e Mitarbeiter/in auch Psychologie studiert hat, zum Teil seine Klienten auch psychologisch betreut: „Nach diesen Angriffen haben sie große psychische Probleme. Und wir betreuen die auch psychologische Beratung machen wir, da es sehr wenige Stellen gibt, wo wir die vermitteln können. Aus zwei Gründen: Entweder sind sie zu voll, dass sie keine Termine geben können innerhalb von zwei bis vier Wochen. Oder es gibt wenige Psychologen oder Therapeuten, die auf Kasse finanziert sind, und dadurch unsere Klienten die nicht in Anspruch nehmen können. Das ist ein großes Problem, dass wir (...) damit konfrontiert sind. Wir sind ständig am Suchen.“ (b-OBS 6, 195-200) Zunehmend wichtig wird bei einigen Opferberatungsstellen auch die Begrenzung des Beratungsumfangs auf Grund steigender Nachfrage bei gleichbleibenden Personalkapazitäten. Beratungen bzw. Begleitungen können enden, wenn die Betroffenen den Beratungsprozeß abbrechen oder beenden. Ein Abbruch ist darin zu sehen, wenn der Betroffene auf Versuche der Kontaktaufnahme nicht mehr reagiert oder zu verstehen gibt, dass er keine weitere Beratung mehr will, zum Beispiel weil sein Informationsbedürfnis erfüllt ist oder weil er sich die Beratung anders vorgestellt hatte (b-OBS 2, 1127-1135). Der Abbruch wird also einseitig von dem Betroffenen ausgelöst. Eine Beendigung erfolgt im gegenseitigen Einvernehmen, wobei in einem Projekt ein abschließendes Auswertungsgespräch am Ende des gemeinsamen Prozesses steht (b-OBS 4, 1316-1327). Als Endpunkt des Prozesses kommt dem Gerichtsverfahren – wenn ein solches stattfindet – in aller Regel eine Schlüsselfunktion zu, wobei in seltenen Fällen noch eine Nachbetreuung erforderlich sein kann (vgl. b-OBS 2, 1135-1149): „Ja, also in der Regel, endet sie für jeweils den Betroffenen oder die Betroffenen dann, wenn eine Gerichtsverhandlung stattgefunden hat und wenn diese beendet ist. Also in der Zwischenzeit ruht das natürlich, denn es gibt ja nicht ständig irgendwas zu begleiten etc. Aber es kann natürlich sein, dass es in diesen Monaten, wo darauf gewartet wird, dass es zu einer Gerichtsverhandlung (kommen) wird, es einfach ruht und dann gibt es nochmal eine Gerichtsverhandlung und wenn die natürlich so für den Betroffenen ausgeht, dass er also auch dann selber sieht, dass die Begleitung nicht mehr nötig ist, dann endet das. Deswegen ist das ein schon häufig anvisierter Abschluss, weil in dieser Ruhezeit es eigentlich schon oft geklärt ist, dass diese Betroffenen entweder außer diesem Gerichtstermin einen nicht mehr anfragen oder wenig anfragen oder das da in der Zeit, in der Zwischenzeit, sehr viel schon geklärt ist.“ (b-OBS 12 I, 1212-1224) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 208 Kommentar: Die Grenzen der Beratung bzw. Begleitung werden im wesentlichen durch Grenzüberschreitungen der Klienten im Rahmen des Beratungsverhältnisses, Kompetenz- und Kapazitätsgründe markiert. Bei Spezialfragen bzw. Spezialproblemen (Therapien, Rechtsberatung) erfolgt eine Überweisung an die entsprechenden Spezialisten, wobei einige Opferberatungsstellen über ein gutes Netzwerk an Rechtsanwälten verfügen. Größere Schwierigkeiten gibt es hier allerdings im Bereich der Überweisungen an Psychologen, die sich wegen deren Überlastung und wegen der Problematik der Kostenübernahme nicht so leicht durchführen lassen. Diese Schwierigkeiten verführen offenbar dazu, psychologische Beratungen selbst zu übernehmen. Hier ist im Einzelfall sorgfältig zwischen den Bedürfnissen der Klienten auf schnelle Hilfe und ihrem Recht auf eine psychologische Fachbehandlung abzuwägen, damit Folgeschäden durch unsachgemäße Behandlung vermieden werden. 4.1.9 Multiplikation des Beratungsansatzes Mehrere Opferberatungsprojekte haben sich um eine Multiplikation ihres Beratungsansatzes bemüht. Multiplikation des Beratungsansatzes heißt, das eigene Beratungskonzept an andere Personen, Institutionen bzw. Organisationen weiterzuvermitteln, damit diese es übernehmen und in der praktischen Arbeit einsetzen. Dies zielt darauf, sich nach einer begrenzten Modellphase „überflüssig zu machen“. Dazu sind entsprechende Qualifizierungen erforderlich, die von den Berater/innen der von CIVITAS geförderten Opferberatungsprojekte durchgeführt werden. Die Ergebnisse sind nach Darstellung der befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlich. Zum Teil wird die bisherige Erfolglosigkeit dieser Bemühungen konstatiert, was auf eine fehlende Strategie und Zeitmangel zurückgeführt wird: „Nochmal zu dem Punkt davor, was natürlich auch so ein Schritt ist um so eine Beratung sicherzustellen, wenn es so viele Angriffe gibt, also, was wir im Konzept hatten, dass wir auch in den Regionen Leute finden die so eine Beratung übernehmen. Gruppen oder Träger, die vielleicht andere Sachen machen, aber so was mitmachen würden. Das hatten wir im Konzept stehen, aber da hat jetzt auch die Strategie oder die Zeit gefehlt, das zu erreichen. (...) Es beginnt Kooperation über einen Informationsaustausch, dass wir immer mehr auch informiert werden von Leuten, die wir entweder schon beraten hatten oder die Kooperationspartner sind. Und wir arbeiten auch bei regionalen oder lokalen Sachen zusammen. Aber dass man jetzt direkt Leute findet, die eine Opferberatung übernehmen, das war ja sozusagen Ziel, sich selbst überflüssig zu machen, dass wir direkt fachlich Leute finden, die dazu auch in der Lage sind... (...) Wir haben gemerkt, dass es nicht realistisch war.“ (b-OBS 11, 111-133) Ein anderes Projekt hat kontinuierlich Weiterbildungen zum Thema Opferberatung für Mitarbeiter/innen aus dem Bereich der Jugendberufshilfe durchgeführt, um damit einen Multiplikationseffekt zu erzielen. In diesem Rahmen wurden Seminare zum Konzept Opferperspektive und zu psychologischen und rechtlichen Aspekten der Opferunterstützung durchgeführt: „Was wir in letzter Zeit, mittlerweile seit einem Jahr, versuchen, ist eine Art Multiplikatorenarbeit zu leisten über Weiterbildung zu einzelnen Themen im Bereich Opferberatung. Das sind teilweise psychologische, strafrechtliche Aspekte, Bedrohungssituationen, was heißt dieses Prinzip Opferperspektive überhaupt. Wir haben die Veranstaltungen teilweise mit Kooperationspartner/innen organisiert, die öffentlich eingeladen wurden, und kooperieren im Moment mit der Jugendberufshilfe, wo wir auf Seminaren regelmäßig – die Leute sind alle im Bereich Jugendarbeit, Jugendberufshilfe tätig – Weiterbildung anbieten.“ (b-OBS 13, 278-285) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 209 Diese Aktivitäten sind mittlerweile in die Qualifizierung von Mitarbeiter/innen für ein Notruf-Telefon für Betroffene rechtsextremer Straf- und Gewalttaten eingemündet, das in dem betreffenden Bundesland eingerichtet wurde (b-OBS 13, 864-871). Ein drittes Projekt hat in seine Tätigkeit sehr stark andere CIVITAS-Projekte einbezogen (vgl. b-OBS 3 II, 126-236, 323-401). Durch die Mitarbeiter/innen dieses Projekts sind drei CIVITAS-Netzwerkstellen zu ehrenamtlichen Opferberater/innen ausgebildet worden, wobei der Anstoß vom Trägerverein einer Netzwerkstelle ausging: „Also, die haben uns kennengelernt und haben eben gefragt, Mensch, irgendwann würden wir das auch gerne mal machen, so eine Opferberatung, zumindest so in Ansätzen, ja, könnt ihr uns da weiterhelfen. Ja und da haben wir uns da so ein paar Sachen hin und her geschickt oder telefoniert und irgendwann kam es dann halt auch zu Terminen und man hat das gemacht. Im Gegenzug haben wir, also, wenn wir jetzt jemanden haben in der Region ((Ortsname)), der da vielleicht auch die Möglichkeit hat, nach ((Ortsname)) zu fahren, dann machen wir auch das Angebot, Mensch, vielleicht können wir uns auch mal dort treffen, dann lernst du das mal kennen und wir treffen uns dort in ((Ortsname)). Die sind fit, das sind gute Leute, und wo dann der Kontakt natürlich auch entsteht. Wo wir dann natürlich auch ((Trägername)) fragen, passt mal auf, wir haben hier ein Opfer, können wir uns bei euch im Büro treffen oder im Café, oder können wir das nutzen. Also, das ist schon ganz konkret und ein bisschen zu veranstalten, wo wir dann anfragen, Mensch, könnt ihr da kommen und einen Vortrag halten oder eine Abendveranstaltung machen oder einen Infostand, weil wir machen gerade hier eine Tagung gegen Rassismus. Also, so weit geht das dann schon bis hin, dass man in verschiedenen Gremien mal sitzt, also wie jetzt das ((Gremium)), wo man dann zusammenarbeitet und guckt, was können wir machen. Vernetzung ist ganz wichtig. Ja, was gibt es noch so konkret, also was uns so interessiert, waren eben auch diese ehrenamtlichen Schulungen und dass es Leute vor Ort gibt, die eben auch für Opfer potentielle Anlaufstellen sind und die eben auch eine Lobbyarbeit betreiben, also die das ähnlich sehen, die Situation vor Ort, mit Kommunen Türöffner sein können, weil sie eben Leute kennen. Das ist glaube ich, ganz wichtig.“ (b-OBS 3, 329349) Ergebnis dieser Bemühungen ist, dass die drei Netzwerkstellen mittlerweile auch als Anlaufstellen für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten fungieren, Recherche betreiben, Erstkontakte zu den Betroffenen aufnehmen und damit die hauptamtlichen Opferberater/innen, die sie ausgebildet haben, bei den genannten Tätigkeiten entlasten. Dies sei bereits „eine große Unterstützung“ (b-OBS 3 II, 389), auch wenn die betreffenden Personen derzeit noch nicht alle Aufgaben einer Opferberatungsstelle übernehmen könnten, „weil sie auch nicht so ausgebildet sind wie wir“ (b-OBS 3 II, 390). Kommentar: Im Hinblick auf die Multiplikation des Beratungsansatzes sind erste Ansätze erfolgt, die aber noch deutlich ausgebaut werden könnten. Erkennbar ist dieser Themenbereich für die Opferberatungsstellen ein minder wichtiger Tätigkeitsbereich, der nur dann gepflegt wird, wenn man sich davon eine direkte Entlastung bei der Arbeit verspricht. Eine Intensivierung der Tätigkeiten in diesem Bereich erscheint allerdings erforderlich, um den Beratungsansatz intensiver zu verankern. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 210 4.2 Unterstützung kollektiver Prozesse bzw. kollektiver Akteure zur Förderung der gesellschaftlichen Integration der betroffenen Personen(gruppen) Die Unterstützung von Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten durch Beratung und Begleitung wird in der Arbeit der Opferberatungsstellen in aller Regel ergänzt durch Versuche, die Situation der betroffenen Personen(gruppen) in ihrem jeweiligen sozialen Umfeld zu verbessern und ihre gesellschaftliche Integration und Akzeptanz zu fördern. Dadurch gewinnt die Tätigkeit der Opferberatungsstellen Anschluss an die Gemeinwesenorientierung des CIVITAS-Programms und setzt Impulse zur Verbesserung des lokalen politischen Klimas im Hinblick auf die Wahrnehmung und die Bearbeitung des Problems Rechtsextremismus vor Ort: „Und dann ist ein wesentliches Merkmal unseres Ansatzes, dass wir so eine Verbindung von einer individuellen Betreuung, Fürsorge und einem politischen Ansatz haben, indem wir ständig nach Möglichkeiten suchen, in kommunalen Verhältnissen zu intervenieren auf Seiten von betroffenen Gruppen. Diese betroffenen Gruppen zu stärken und ihre Handlungsfähigkeit beim Agieren in der Kommune zu stärken.“ (b-OBS 14, 985-990) 4.2.1 Aktivierung von Unterstützung für die Opfer Der Aktivierung von Unterstützung und der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken in ihrer näheren Umgebung hat eine wichtige Funktion für die Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Dadurch soll ein Schutz für die Betroffenen rechtsextremer Angriffe gewährleistet, eine kontinuierliche Aufmerksamkeit für ihre Belange sichergestellt und ihre Handlungsfähigkeit gestärkt werden: „Also das Ziel ist beispielsweise dann eine Mobilisierung von einem Unterstützerkreis, der bereit ist, sich da sehr schnell dazwischen zu stellen. (...) Telefonkette. Kommen dann zusammen. Aber noch mehr. (…) Viele dieser Angriffe können auch nur passieren, weil eben einige der betroffenen Gruppen so isoliert sind. Und weil gleichzeitig die Tätergruppen so einer Gleichgültigkeit begegnen. Das heißt, sie können machen, was sie wollen, weil Leute sich eben nicht dazwischen stellen. (...) Und diese Konstellation kann nur aufgebrochen werden, wenn nicht nur jetzt staatliche Instanzen von oben intervenieren. Weil dadurch ändert sich in den sozialen Interaktionsverhältnissen nichts. Sondern nur, wenn wirklich eine aktive Gruppe von Bürgern sich solidarisch verhält mit dieser betroffenen Gruppe. Was eben auch eine praktische Solidarität bedeutet. Also eben ein Schutz in bestimmten Situationen. Und die dann auch eine aktive Konfrontation eingeht mit der Tätergruppe oder ihrem Umfeld. Also sie so ein bisschen herausfordert“ (b-OBS 14, 1057-1077) Hierbei stoßen einige Opferberatungsstellen auf Probleme bzw. Schwierigkeiten, die den Erfolg ihrer Tätigkeit in diesem Teilbereich ihrer Arbeit gefährden. Besonders in Flächenländern und ländlichen Regionen ist es oftmals schwierig, in den Orten, in denen Anschläge vorgefallen sind, Personen zu finden, die bereit sind, sich für die Opfer zu engagieren, zum Teil ist es auch von den Betroffenen gar nicht gewünscht: A: Das ist ein schwieriger Punkt, das Umfeld zu mobilisieren. Es ist oft so, dass wir das Umfeld sozusagen abfragen, über den Betroffenen erfahren. Wenn wir aber in dieser Region oder in dem Gebiet selber nicht viel aktiv sind oder dort leben, ist es auch ganz schwer, da was zu mobilisieren. Wir machen das oft so, dass wir im Umfeld dieses Übergriffs, wenn das gewünscht ist, auch berichten, und den Betroffenen selber aufzeigen, dort und dort sind geschützte Räume, da kannst du hingehen. Wenn es Übergriffe jetzt gerade in unserer Region CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 211 gibt, mit der ((Netzwerk))vernetzung, gibt es Mitteilungen und auch Unterstützung, meinetwegen bestimmte Soli-Aktionen, wenn das gebraucht wird, das kann man über einen Spendenaufruf machen. I: Würden Sie sagen, diese Unterstützung für die Opfer kommt in der Regel nicht zustande? Beziehungsweise sie bereitet größere Probleme? A: Ob Mobilisierung des Umfelds vom Betroffenen gewollt ist, das erkennt man daran, wie derjenige auf das Umfeld zugeht. Und was sollen wir mobilisieren, wenn derjenige gar nicht dafür offen ist? I: Das ist also eher ein Hinderungsgrund, A: ...wenn der Betroffene das nicht richtig wünscht oder das nicht erkennbar ist, ja.“ (b-OBS 4,1395-1417) Im städtischen Zusammenhang wird in einem Fall von der Ineffektivität des dortigen „Aktionsbündnisses für Toleranz“ als Anlaufpunkt zur Rekrutierung von Unterstützern für die Betroffenen berichtet. Es sei zu groß und zu heterogen, lautet die Kritik. Als wichtige potentielle Kerngruppe für die Unterstützung der Betroffenen wird die Gruppe der ortsansässigen Migranten genannt. Immerhin konnten durch die Mitarbeit des Beraters in diesem Aktionsbündnis Kontakte zu zwei Vereinen geknüpft werden, durch die eine Unterstützung von Opfern möglich erscheint: „A: Also, bei den Migranten ist es natürlich so, dass die hauptsächlich eben auch von anderen Migranten wieder unterstützt werden können und dass es eigentlich da eine relativ große Solidarität gibt in dem Bereich, so untereinander, aber eben nur da. Dass es schwierig ist für sie, nach außen hin Unterstützung zu suchen. Das funktioniert für alle zwar eben dann über das ‚Bündnis gegen Rechts’, Kooperation mit der Netzwerkstelle ((Name)). Dann gibt es noch in ((Ort)) ein ‚Aktionsbündnis für Toleranz’, was sich allerdings noch nicht als sehr hilfreich da in dem Zusammenhang eigentlich erwiesen hat. (...) Es gibt ein Bündnis gegen Rechts, also, darüber gibt es nicht nur den Informationsaustausch, da wird eben auch geguckt, ob andere Mitglieder dieses Bündnisses irgendwas in dem Bereich leisten können für das Opfer. I: Und wie sind da Ihre Erfahrungen? A: Bisher gegen Null. Also, ich sage mal, großes Bündnis, viele Kooperationspartner (...) relativ uneffektiv. (...) Was aber nicht bedeutet, dass ich sie nicht ein Stück weit mit auf den Weg bei den Opfern die wir haben... Also, die Informationen, die laufen darüber schon, aber ansonsten... I: An Aktivitäten für die Opfer konkret? A: Gemeinsame Aktivitäten bisher nicht. Aber dass man mit eins, zwei Vereinen daraus, dass man eine kleinere Sache vielleicht macht, dass man das Opfer da irgendwo mit einbinden kann und vielleicht auch eine Hilfeleistung noch kriegt. Das funktioniert mal. Ansonsten liegt es auch einfach daran, dass ich relativ neu bin und kein Vertrauensverhältnis groß zu irgendwelchen Leuten genieße, denke ich mir.“ (b-OBS 20, 673-699) Hier ist aber sicher auch die Tatsache in Rechnung zu stellen, dass der betreffende Berater erst seit kurzem in dem jeweiligen Ort tätig ist, aus Zeitgründen noch wenig Kontakte knüpfen konnte und von daher das Unterstützungsnetzwerk noch relativ klein ist. Opferberatungsprojekte mit kontinuierlicher Besetzung und einem längeren zeitlichen Vorlauf können dagegen in aller Regel auf ein Netzwerk von Unterstützern zurückgreifen bzw. verfügen über Know how, um ein solches zu rekrutieren (vgl. Kap.4.2.2). CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 212 Kommentar: Die Aktivierung von Unterstützung für die Betroffenen ist ein wichtiges Element der Umfeldarbeit der Opferberatungsstellen. Allerdings gibt es auch hier Schwierigkeiten mit dem Zugang in der Initiativenlandschaft, während Unterstützer aus der Eigengruppe (zum Beispiel der Migranten) offenbar leichter gewonnen werden können. Mit steigendem Beziehungsnetz und in größeren Städten mit einer besseren Infrastruktur sind dagegen schnellere Erfolge bei der Aktivierung von Unterstützung für die Opfer erwartbar. 4.2.2 Vernetzung Vernetzung zielt vor allem auf eine Rekrutierung von Unterstützung für die Arbeit der Opferberatungsstellen. Vernetzung bedeutet in dieser Hinsicht für die Opferberatungsstellen im wesentlichen Kontaktaufbau und Kontaktpflege zu Kooperationspartnern, durch die sie auf Anschläge bzw. Gewalttaten aufmerksam gemacht werden und an die sie Betroffene auch wieder abgeben können (zum Beispiel zur Betreuung in der Freizeit): „Na das Ding ist, dass wir uns halt hauptsächlich schon mit den Betroffenen und mit den Fällen beschäftigen. Das spielt zwar eine Rolle, Netzwerkarbeit, Kooperationspartner, das ist wichtig. Aber für uns ist jetzt in der direkten Arbeit, also kein so wirklich von allen Seiten funktionierendes Netzwerk wichtig. Sondern für uns sind Ansprechpartner wichtig. Und ich denke, also zu den Netzwerken kann gerade das MBT oder die Netzwerkstellen wirklich bedeutend mehr sagen, weil das einfach denen ihr zentraler Punkt.“ (b-OBS 5, 1682-1687) Es handelt sich dabei in aller Regel um eher sporadische Kontakte, die allerdings fallbezogen jederzeit aktiviert werden können: „A 1: Bei den anderen Kontakten, die sind meistens fallbezogen. Also der Kontakt kommt zustande: Entweder wir werden angerufen, dort und dort ist das und das passiert. Oder wir fragen nach, mit mehr oder weniger Erfolg. Da befürchte ich, also da ist einfach die Basis nicht so stark. A 2: Oder umgekehrt. Vielleicht sind wir die Basis. Also die Fäden laufen ja bei uns zusammen. Wir haben verschiedene Leute in verschiedenen Orten, die wir anrufen. Aber die Leute haben untereinander oftmals nicht soviel miteinander zu tun.“ (b-OBS 5, 1630-1637) Bei der Vernetzung bilden die beiden übrigen Struktursäulen des CIVITAS-Programms (Mobile Beratungsteams und Netzwerkstellen) einen wichtigen Ausgangspunkt. In einer ganzen Reihe von Regionen bildet nach Auskunft der Opferberater/innen die Zusammenarbeit mit den Mobilen Beratungsteams eine stabile Achse in den Netzwerken der Opferberatungsstellen. Zu den übrigen CIVITAS-Projekten in der jeweiligen Region bestehen in der Regel dann Kontakte, wenn es eine thematische Nähe zu ihrer Arbeit und inhaltliche Überschneidungen gibt (b-OBS GD, 542-579) Darüber hinaus haben die Opferberatungsstellen im Laufe der Jahre einen „Set“ an Kooperationspartnern versammelt, die sie bei Bedarf aktivieren können (vgl. b-OBS GD, 645-757). Dabei spielen nach den Interviewäußerungen in der Regel die meisten Ausländerbeauftragten, Flüchtlingsräte bzw. -initiativen und Migrantenorganisationen eine wichtige Rolle. Auch die Beziehungen zu den Staatsanwaltschaften und Gerichten sind in der Regel konstruktiv und können für Informationen nach dem Ermittlungsstand bei Gerichtsverfahren genutzt werden. Als eine andere Gruppe regelmäßiger Ansprech- und Kooperationspartner werden lokale Antifa- und Jugendgruppen und örtliche „Runde Tische“ oder Bürgerinitiativen benannt, die als wichtiger Lieferant von Informationen fungieren (b-OBS GD, 678-682). Außerdem stützt CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 213 sich die Arbeit der Opferberatungsstellen auf „ganz viele Einzelpersonen, die in einer Region eine Rolle spielen, die aber nicht organisiert sind oder irgendwelchen Strukturen zuzurechnen sind.“ (b-OBS GD, 688-690) Ein weiterer Bereich von Kooperationspartnern sind die anderen Opferberatungsstellen, also vor allem die „Opferhilfe“ und der „Weiße Ring“ sowie die sozialen Dienste der Justizverwaltungen. Mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Einrichtungen bestehen in den meisten Regionen Kontakte, die zum Teil auch in praktische Zusammenarbeit, zum Beispiel durch Überweisungen von Klienten in Einzelfällen, einmünden. Über den Kreis der Kooperationspartner im engeren Sinne hinaus bestehen in vielfältiger Hinsicht Kontakte zu den Verwaltungsbehörden, die in ihrem Verwaltungshandeln mit den Belangen von Klienten der Opferberatungen befasst sind (vor allem Ausländerbehörden, Sozial- und Jugendämter sowie Polizeibehörden). Unterschiedlich werden dabei von den Opferberatungen die Beziehungen zur Polizei beschrieben. Die Varianten reichen von konstruktiver Zusammenarbeit mit einzelnen Polizeidirektionen bis zu Dienstaufsichtsbeschwerden über Polizeibeamte. Die Zusammenarbeit der Opferberatungsstellen mit Polizeidienststellen erweist sich aus den Interviews als potentiell spannungsträchtig und in ihrer Quantität und Qualität stark abhängig von der jeweiligen persönlichen Ausgestaltung der Rolle auf beiden Seiten: „Sehr unterschiedlich. Also, wenn wir vielleicht mal bei der Polizei bleiben, weil wir mit der Polizei ja sehr viel zu tun haben. Anzeigen, Zeugenaussagen und ähnliches. Dort sind die Erfahrungen je nach Polizeidirektion aber noch mehr je nach einzelnem Beamten sehr unterschiedlich. Von wirklich ganz klarer ehrlicher Solidarität mit den Betroffenen bis hin zu Ablehnung und Zweifeln an den Aussagen des Betroffenen, Unterstellung von Mitschuld, also die gesamte Bandbreite. Das ist natürlich auch je nachdem wie die Situation ist, ist auch unterschiedlich darauf zu reagieren. Also, von in Einzelfällen, von einer guten erfolgreichen Kooperation bis hin zu rechtlichen Schritten auch gegen einzelne Beamte. Dienstaufsichtsbeschwerden, unterlassene Hilfeleistung, Strafvereitelung im Amt und ähnliches. Also, das lässt sich überhaupt nicht verallgemeinern, weil es doch sehr von einzelnen Beamten und auch von einzelnen Polizeistationen sehr unterschiedlich ist.“ (b-OBS 9,1033-1042) Gute Kontakte können dort entstehen, wo der Beratende unvoreingenommen auf die Behörden zugeht. Wichtig erscheint der Kontaktaufbau zu einer konkreten Ansprechperson in jeder Behörde und die entsprechende kontinuierliche Beziehungspflege. Dies sei eine wesentliche Voraussetzung für einen Einsatz im Sinne der Probleme der Klienten: „Diesen Kontakt habe ich bis jetzt zu den Behörden, zum Beispiel Jugendämter und um mit den Behörden zu kooperieren, muss ich ganz freundlich sein, egal, wie schwer das Problem meines Klienten ist. (...) Erst mal muss ich freundlich sein, sonst habe ich es nicht geschafft und meine Klienten stehen mit ihren ganzen Problemen da. Erst mal muss ich freundlich sein um zu kooperieren und danach erfahre ich auch von Behördenseite, was die über diese Diskriminierungsfälle denken. Danach machen wir einen Termin aus, fahre ich selber allein, ohne meinen Klienten dorthin, dann diskutieren wir auch über den Vorfall bei dem Sachbearbeiter oder bei der Sachbearbeiterin. Aber ich muss dazu sagen, in allen Bereichen hier habe ich auch Kooperations- und Ansprechpartner. Bei den Behörden, beim Jugendamt, Standesamt, Ausländerbehörde, habe ich auch jeweils einen Ansprechpartner, mit dem ich klarkomme. Das habe ich zu Beginn des Projektes auch versucht für mich aufzubauen. Ohne das... Weil, die Behörden arbeiten zusammen.“ (b-OBS 19, 1264-1279) Zusätzlich stellen einige CIVITAS-Opferberatungsstellen auch Engagement und Ressourcen bereit, um Vernetzungen und Zusammenarbeit zu fördern. Eine wichtige Serviceleistung der CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 214 Opferberatungsstellen ist dabei die Verbreitung von Informationen: Wesentliche Informationen zu rechtsextremen Straf- und Gewalttaten werden durch einen E-Mail-Verteiler gebündelt und verbreitet. Die von den Opferberatungsstellen erstellte und regelmäßig erweiterte Chronik rechtsextremer Vorfälle ist auf den Homepages der Projekte eingestellt und dient der Öffentlichkeit als wichtiges außerstaatliches Informationsmedium über rechtsextreme Vorfälle aus Opfersicht. Kommentar: Die Ergebnisse im Bereich der Vernetzung sind insgesamt als gut zu bezeichnen. Es ist den meisten Opferberatungsstellen (zumindest dort, wo personelle Kontinuität besteht) gelungen, ein stabiles Netz an Kooperationspartnern aufzubauen, die im Prinzip auch zur Unterstützung für die betreuten Klienten aktivierbar sind. Mit den beiden übrigen Struktursäulen des Programms wird eine meist intensivere Zusammenarbeit gepflegt, auch wenn es immer wieder Gegenbeispiele gibt, bei denen die Zusammenarbeit nicht funktioniert (vgl. Kap. 4.2.5.3). Eine nachvollziehbare Distanz besteht zu den Teilen der öffentlichen Verwaltungen, die Kontrollfunktionen für die Klienten wahrnehmen (Ausländerbehörden, Polizei, Sozialamt), während zu anderen staatlichen oder kommunalen Institutionen meist gute Beziehungen existieren (zum Beispiel Staatsanwaltschaften, Ausländerbeauftragte). Das Netzwerk der Opferberatungsstellen geht insgesamt meist über den Kreis der zivilgesellschaftlichen Initiativen und der ohnehin schon engagierten Institutionen bzw. Personen nicht hinaus. Hier ist zu fragen, ob nicht weitere Anstrengungen eines Kontaktaufbaus gerade in Richtung der „Mitte der Gesellschaft“ erforderlich erscheinen. Wie bei der Durchführung der Erhebungen deutlich wurde, bestehen überdies meist nur schwache Kontakte zu den zentralen Landesbehörden und zu Ministerien. Dazu ist zu fragen, ob in diesen Bereich in Zukunft nicht verstärkt Zeit für einen Kontaktaufbau investiert werden sollte, denn die Opferberatungsprojekte sind auf Landesebene eindeutig noch zu wenig bekannt, was gerade bei den Bemühungen um weitere Kofinanzierungen einen Nachteil bedeutet. Um die bestehenden Kooperationsbeziehungen abzusichern und auf eine dauerhafte Basis zu stellen, erscheint außerdem zumindest bei größeren Projekten die Einrichtung eines Beirats sinnvoll. 4.2.3 Förderung bzw. Stärkung der Selbstorganisation Einige Opferberatungsstellen unterstützen auch die Selbstorganisation von betroffenen Akteuren bzw. Akteursgruppen, zum Beispiel indem sie Ressourcen für Vereinsgründungen bereitstellen. Typisch ist dabei, dass sich die jeweilige Opferberatungsstelle nach der von ihr initiierten oder angeregten Gründung des Vereins bzw. der Initiative aus der aktiven Arbeit zurückzieht, aber diese Vereine bzw. Initiativen nach ihrer Gründung weiter begleitet. Dies geschieht einerseits für Jugendclubs aus dem Bereich der alternativen Jugendszene, mit denen einige Opferberatungsstellen sehr eng zusammenarbeiten: „A: Na, wir sehen unsere Aufgabe im Rahmen der Vernetzung also einmal darin sozusagen, die Infrastruktur, die wir haben, also durch hauptamtliche Stellen, durch ein festes Büro und finanzielle Mittel, anderen gerade ehrenamtlichen Strukturen jetzt in den verschiedenen Vereinen, Projekten, interessierten Leuten zur Verfügung zu stellen und sozusagen eine Schnittstelle zwischen denen zu bieten. Ich hatte ja das Beispiel der (...) Vernetzung gebracht. Also wo sozusagen von ((Projektname)) das mit initiiert wurde, also durch die praktische Arbeit von ((Projektname)) sind wir überall rumgekommen, haben überall in den Jugendclubs, in den CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 215 nichtrechten Jugendklubs ähnliche Probleme gesehen oder erkannt oder auch mit den Leuten besprochen. I: Welche Probleme sind das denn? A: Na zum Beispiel Organisation und Durchführung von Veranstaltungen. (...) Oder dass sie da selber ein bisschen überfordert sind als Ehrenamtliche, oder auch Unkenntnis eine Rolle spielt. Oder auch überall in ((Region)) so eine rechte Hegemonie, teilweise eine extreme rechte Hegemonie. Überall also ähnliche Problemlagen, die von den Jugendlichen, also den Vereinen gekommen sind oder von ((Projektname)) quasi initiiert wurde, die könnten sich ja untereinander vernetzen. Wo ((Projektname)) am Anfang dann noch aufgrund der Infrastruktur eine maßgebliche Rolle spielte, sich dann aber zurückgezogen hat, weil Jugendkulturarbeit ist halt nicht unsere Hauptaufgabe. (...) Also die unterschiedlichen Ressourcen, die vorhanden sind, werden dann quasi gebündelt, das sehen wir sozusagen als einen Sinn der Vernetzung.“ (b-OBS 2, 1396-1424) Eine andere Opferberatungsstelle ist dabei, ein Netz von Basisinitiativen mit dem Ziel aufzubauen, sich „überflüssig zu machen“. Die Initiativen werden geschult, damit ihre Mitglieder selbständig Hilfe bei rechtsextrem oder fremdenfeindlich motivierten Übergriffen anbieten und leisten können: „Das Ziel ist, uns überflüssig zu machen durch zwei konkrete Arbeiten. Einmal die Basisselbstorganisation, Initiativen zu initiieren. Verschiedene Selbstorganisationen zu initiieren. Das ist uns ganz wichtig und das versuchen wir, so viel wie möglich zu machen überall, wo wir sind. In verschiedenen Netzwerken. Wir machen auch Fortbildungen mit denen. Verschiedene Organisationen. (...) Wir sind dabei, in verschiedenen Bezirken, wo wir auch immer arbeiten, (...) so eine Elterninitiative zu gründen, deren Kinder alle angegriffen worden sind. Dann haben wir in ((Ortsname)) so eine Selbstorganisation initiiert. Das ist die Frage, ob diese Initiativen dann langfristig sind. Das können wir nicht garantieren. Was wir nur machen können, ist, solche Initiativen zu unterstützen oder zu initiieren. (...) Die rufen uns an und wir haben eine lange Zeit Kontakt mit denen. (...) Aber wir ziehen uns dann zurück. Oder wenn sie jetzt Fragen an uns haben, auch so fachliche Fragen, dann sind wir natürlich da.“ (b-OBS 6, 529-542, 565-583) Das betreffende Projekt sieht im Aufbau dieses Netzwerkes neben der Beratung ein Hauptanliegen seiner Projektarbeit und schätzt die Erfolgsaussichten für das Erreichen dieses Ziels bis zum Jahresende 2003 als gut ein. Dabei spielt allerdings eine wesentliche Rolle, dass das Projekt in einem großstädtischen Rahmen agiert, in dem es bereits eine ganze Reihe von entsprechenden Initiativen gibt: „Dass wir viele solche Selbstorganisationen, Selbsthilfegruppen und Organisationen initiiert haben und einige vielleicht auch schon angefangen haben, zu arbeiten. Das heißt, diese Stärkung basisdemokratischer Strukturen. Das wollen wir auf jeden Fall erreicht haben. Wo wir dabei sind, das zu erreichen. Da sind wir auch ganz glücklich darüber, dass wir so weit sind. Und ein breiteres Spektrum oder Netzwerk durch Zusammenarbeit mit verschiedenen Antirassismusorganisationen oder Antidiskriminierungsorganisationen, diesen Solidarisierungsprozess mit den Opfern zu initiieren. Das sind zwei Sachen, die wir gerne erreicht haben möchten. Wobei wir bei einem relativ sicher sind, dass wir das erreichen können. Und bei dem Zweiten sind wir dabei, jetzt auch mit ((Verein)), die haben auch dieses Antidiskriminierungsnetzwerk gegründet. Da sind wir auch drin und mit denen arbeiten wir auch ganz eng zusammen. Weil, wie Sie wissen, in ((Stadtname)) ein großer Teil Menschen mit Migrationshintergrund türkischstämmig sind. Mit denen arbeiten wir zusammen und dabei diesen Solidarisierungsprozess mit den Opfern zu initiieren, wissen wir nicht, ob wir das erreichen können bis Ende Dezember.“ (b OBS 6,589-601) Die betreffende Opferberatungsstelle sieht ihre Aktivitäten zur Förderung von Selbstorganisation allerdings durch eine ganze Reihe von Faktoren behindert (vgl. b-OBS 6, 621-633). CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 216 Neben der eigenen Personalknappheit würden auch die zum Teil in der Initiativenlandschaft bestehenden Konkurrenzgefühle gegenüber neuen Initiativen bzw. Netzwerken und der erhöhte Arbeitsaufwand für ein neues Netzwerk das Vorhaben belasten. Kommentar: Die Förderung bzw. Stärkung der Selbstorganisation von Betroffenengruppen oder im Rahmen einer „Gegenbewegung“ ist wichtig, aber nicht leicht umzusetzen. Die meisten Opferberatungsprojekte haben sich in diesem Beeich mit wechselndem Erfolg betätigt, wobei ein städtischer Hintergrund die Arbeit offenbar bedeutend erleichtert. Fehlende Bereitschaft bzw. mangelnde personelle Ressourcen behindern die Arbeit, Konkurrenzgefühle hemmen das Fortkommen. Außerdem gibt es Aktivierungsprobleme gerade bei der Zusammenarbeit mit Migranten. Dennoch ist dieser Bereich wichtig, da die entsprechenden Organisationen Teilaspekte der Arbeit der Opferberatungsprojekte übernehmen und vielleicht auch irgendwann die Arbeit für ihre Mitglieder ganz übernehmen könnten. 4.2.4 Sensibilisierung für das Problemfeld durch Öffentlichkeitsarbeit Sensibilisierung zielt auf die Erzeugung von Problembewusstsein und Handlungsbedarf im Hinblick auf die Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen wollen durch eine gezielte fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit für die Belange und Lebensumstände der Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten sensibilisieren und versuchen dadurch in der (lokalen) Öffentlichkeit Empathie zu erzeugen und Engagement zu wecken. Sie leisten dabei auch eine Lobbyarbeit für Betroffene rechtsextremer Gewalt. Wichtigster Grundsatz ist auch hier, dass eine fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit nur mit Zustimmung der Betroffenen in die Wege geleitet wird. Medien dieser Öffentlichkeitsarbeit sind üblicherweise Pressemitteilungen, zum Teil auch Pressegespräche oder Interviews. Außerdem wird von den Opferberatungsstellen in der Regel eine Chronik rechtsextremer Angriffe geführt und im Internet veröffentlicht, um dadurch auf das Ausmaß der Gewalt aus Opfersicht aufmerksam zu machen. Einige Opferberatungsstellen thematisieren darüber hinaus allgemeine politische Zusammenhänge, die die Lebensumstände der Betroffenen beeinflussen und als mitverantwortlich für die Taten angesehen werden, zum Beispiel die durch die Asylverfahrensbestimmungen hervorgerufenen Lebensumstände der Migrantenbevölkerung oder Phänomene von Alltagsrassismus. Dabei werden neben der üblichen Pressearbeit auch andere Vorgehensweisen eingesetzt, die stärker aktivierend orientiert sind (also zum Beispiel Kampagnen, öffentliche Kundgebungen oder die Mitwirkung bei der Organisation von Demonstrationen). Außerdem führen die meisten Opferberatungsstellen Informations- und Aufklärungsveranstaltungen zur Situation der Betroffenen aus der Opferperspektive durch, zum Beispiel in Schulen oder in anderen öffentlichen Einrichtungen: „Also prinzipiell richtet es sich danach, was die Leute wollen, welches Angebot sie in Anspruch nehmen wollen. Und das ist dann einmal eine fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit, Pressemeldungen oder Pressearbeit gibt es konkret zu einem bestimmten Fall. Oder was, das ist aber eher die Ausnahme, weil eben das wenige wollen, findet das halt allgemeiner statt, also dass wir jetzt die dokumentierten Übergriffe oder Aktivitäten veröffentlichen oder Journalisten zur Verfügung stellen. Und dass wir allgemein sozusagen anhand der analysierten Beispiele quasi die Situation darstellen. Und dann Öffentlichkeitsarbeit auf einer anderen Ebene, dass CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 217 wir durch Veranstaltungen, also Aufklärungsveranstaltungen bzw. Informationsveranstaltungen, einmal zur Situation der Betroffenen, also aus der Opferperspektive heraus zu argumentieren versuchen. Und auf der anderen Seite, dass wir halt zu Rassismus oder Rechtsextremismus (...) also ganz profan unsere Arbeit als Veranstalter machen.“ (b-OBS 2, 1243-1256) Die zentralen Handlungsstrategien changieren sowohl bei der fallbezogenen wie bei der thematisch ausgerichteten Öffentlichkeitsarbeit situationsbedingt und interessengeleitet zwischen Information/Aufklärung und Konfrontation/Skandalisierung. Dadurch soll die Öffentlichkeit für das Problem „Rechtsextremismus/Rassismus“ sensibilisiert und Handlungsdruck erzeugt werden. Von den befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit nach eigener Darstellung das Hauptaugenmerk auf die Veröffentlichung sachlicher und durch Recherchen belegbarer Informationen gelegt, wobei aber auch dies in der Wahrnehmung der Rezipienten als „skandalisierend“ empfunden werden kann: „Skandalisierend wird es meistens von der Seite empfunden, die sich angegriffen fühlt. (...) Und zum anderen gebietet das auch unsere eigene Seriosität. Also dass wir da uns einmal rechtlich absichern müssen und da keinen Unfug behaupten können. Und zum anderen, das auch nicht unsere Ebene ist. Also wir veröffentlichen nichts, was nicht recherchiert wurde oder was nicht belegbar ist. Ob die Quelleninterpretation, also unsere Quelleninterpretation immer die gleiche ist wie die der anderen Seite, das ist was anderes. Also so gesehen bemühen wir uns, immer sachlich zu bleiben.“ (b-OBS 2, 1357-1369) Bei durch Öffentlichkeitsarbeit ausgelösten Konflikten liegt der Dissens nach Darstellung eines Interviewpartners in der Beurteilung der Sachlage. Es handelt sich also letztlich um (interessengeleitete) unterschiedliche Wahrnehmungen ein und desselben Sachverhalts bzw. Problems, in aller Regel um umstrittene Ausprägungen von Rechtsextremismus: „Oder einfach, dass gesagt wird: das stimmt nicht, oder das ist eine Überspitzung des Problems und das ist imageschädigend für unsere arg gebeutelte Region. Rassismus gibt es überall, auch in anderen Ländern und solche Allgemeinplätze, die manchmal vielleicht gar nicht böse gemeint sind, aber einfach von viel Unwissenheit und Unkenntnis zeugen. So eine Bunkermentalität kommt häufig vor. Also dass diese Befürchtung, dass wenn wir dieses Thema jetzt thematisieren, dass das Problem schon eine Nestbeschmutzung ist und schlecht für uns ausgeht und für die Region. Die kann teilweise ausgeräumt werden, die Befürchtung, das machen ja auch viel gerade diese mobilen Beratungsteams, also gerade in diesem Bereich. Oder manchmal kann es halt auch nicht ausgeräumt werden. Und je nachdem wie prägnant uns das dann scheint, also wenn es von mir aus ein Ort ist, wo die rechte Szene gesellschaftlich mehr oder weniger anerkannt ist oder teilweise auch unterstützt wird und es dann noch eine ganze Reihe Übergriffe gibt, dann können wir uns natürlich nicht mehr damit zufriedengeben, wenn der Bürgermeister partout das Problem nicht als solches erkennen möchte. Dann sehen wir das als unsere Aufgabe, das öffentlich zu machen. Wenn das jetzt eine einmalige Sache ist, dann kann man immer nochmal anders damit umgehen. (...) Oder dass teilweise den Betroffenen deren Wahrnehmung abgesprochen wird, also dass das nicht stimmt, also dass teilweise den Betroffenen vorgehalten wird, die tun die Nester beschmutzen und das skandalisieren, also lügen quasi. Aber auf uns jetzt direkt bezogen eine Reaktion, die gibt es dann eigentlich nicht so häufig. Oder vielleicht waren wir noch nie kontrovers genug, das kann auch sein. (...) Also immer eine unterschiedliche Wahrnehmung.“(b-OBS 2, 1331-1388) In Streitfällen mit öffentlichen Einrichtungen, was die Wahrnehmung bzw. Bewertung bestimmter Fakten anbetrifft, wird mittlerweile häufig zum „kleinen Dienstweg“ gegriffen, also das persönliche Gespräch gesucht oder die Vermittlung von anderen Personen in Anspruch genommen, um den Konflikt bzw. das Problem aus der Welt zu schaffen: CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 218 „Das waren insbesondere zwei Dinge, wo Flüchtlinge, die im Heim lebten, keine Sozialhilfe mehr bekamen. Und da haben wir sehr viel Öffentlichkeitsarbeit mit denen gemacht, was dann sozusagen als, ich sage es mal so leicht, als Frevel, also so hingestellt wurde, als würden wir die Sozialbehörden in ((Ortsname)) verunglimpfen und sie machen sehr viel für Flüchtlinge. Ja. Das mussten wir wieder klarstellen. (...) Das war 2002. Und da gab es jetzt, dieses Jahr, einige Gespräche. Und dann habe ich auch eigentlich geguckt, dass ich bei jedem Problem, das wir nicht bewältigen können, sofort mit der Ausländerbeauftragten Kontakt aufgenommen habe und das läuft, denke ich, jetzt ganz gut. (...) (Das) hat sie auch sofort gesagt, das wäre ihr auch..., das war das, was sie auch sehr negativ fand an dem vergangenen Jahr. Mit den Problemen umzugehen, was da so an Problemen war. Und das habe ich dann auch gleich wahrgenommen und das hat geklappt.“ (b-OBS 12 I, 342-363) Ein skandalisierendes Vorgehen wird aber in der Regel als letzte Möglichkeit im Repertoire angesehen, wenn alle anderen Möglichkeiten versagt haben, auf die betreffenden Sachverhalte bzw. Vorfälle aufmerksam zu machen. Dabei wurden aber in den Interviews immer wieder Lerneffekte bei den beteiligten Berater/innen deutlich. Es wird intensiver als früher abgewogen, ob ein skandalisierendes Vorgehen sinnvoll ist oder ob es nicht eher die Fronten verhärtet, eventuell auch kontraproduktive Wirkungen erzielt: „A 1: Also es gab Provokation. Aber das ist halt die Frage, ob wir das heute immer noch so in dem Sinne machen würden. (…) Wir würden da lange darüber diskutieren und würden sehr abwägen. Welchen Zweck wir damit erreichen wollen. Also da hat sich schon vieles weiterentwickelt. (...) Ich denke so und so, dass wir in unserer Pressearbeit also nicht vorsichtiger geworden sind, sondern wesentlich… Also eher dieser Moment, dass wir gemeinsam überlegen: ‚Wo macht es Sinn? Wo ist es sinnvoll?’, das sich das verstärkt hat. Als relativ schnelle Reaktionen auf irgendetwas. Sondern dass wir schon wesentlich mehr überlegen, also mit der Zeit, mit den Jahren, welchen Zweck wollen wir damit verbinden? (…) I: Das heißt im Prinzip, dass die ‚Stilmittel’, also Skandalisierung, Provokation, zwar immer noch mit im Repertoire sind, aber seltener eingesetzt werden? A 1: Ja, dass sie gezielter eingesetzt werden, höchstens. Sparsamer. (...) A 2: Ja, oder wenn absehbar ist, dass sich absolut überhaupt nichts bewegt, also dass die sozusagen alles mögliche versucht haben. Und dann ist es mitunter so ein letztes Mittel. So ein Skandal kann natürlich auch bewirken, dass sich in der Kommune was bewegt. (…) Also auch mal was zu skandalisieren, da eine große Bombe platzen lassen. Aber dann muss eine bestimmte Zeit vergehen.“ (b-OBS 14, 1590-1773) Eine zentrale Frage ist, ob die von den Opferberatungsstellen vorbereiteten und durchgeführten Veranstaltungen überhaupt eine breite Öffentlichkeit erreichen. Nach Aussagen eines Beraters kommen Begegnungsfeste in der Bevölkerung gut an, während Tagungen meist nur das jeweilige Fachpublikum erreichen (das sich meistens vorher schon kennt) und von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden: „Also, was mehr so Marke Begegnungsfest ist, kommt gut an bei der Bevölkerung. Bei den Tagungen kann ich es bisher nicht sagen, weil die erste kommt erst, die ich gemeinsam mache. Aber meine Erfahrung von den andern Tagungen, die ich nicht als Opferberater mitgemacht ist, dass man ziemlich im eignen Saft schwimmen bleibt. Also, hauptsächlich werden Leute angesprochen, die sowieso interessiert am Thema sind und da mit arbeiten. Ist mehr ein Stück weit auch Weiterbildung und Austausch für die Leute, die sowieso (engagiert) sind. Da ist von außen wenig bis kaum Resonanz aus meiner Erfahrung gewesen. Ich erwarte auch nicht wirklich, dass sich das jetzt ändert.“ (b-OBS 20, 929-936) Ein anderer Berater zieht ein skeptisches Fazit der von dem eigenen Projekt durchgeführten Öffentlichkeitsarbeit. Der Anspruch, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, sei nicht umgesetzt worden. Zum Teil hätten die Medien Pressemitteilungen nicht gebracht – ein Grund- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 219 problem aller Opferberatungsstellen –, so dass die Veranstaltungen nicht breit wahrgenommen und besucht wurden, zum Teil habe man es im Projekt nicht geschafft, systematisch Kontakte zu Pressevertretern aufzubauen, da die dafür zuständigen Mitarbeiter/innen häufig gewechselt hätten und zum Teil nicht kontaktfreudig genug gewesen seien: „A: Teilweise sind die Veranstaltungen darauf ausgelegt, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Eine Veranstaltung, die wegen einem polizeigewaltlichen Angriff oder Diskriminierung war, das war eine Straßenaktion. Diese Kundgebung, die auf der Straße war, das sind Sachen, die natürlich eine breite Öffentlichkeit ansprechen sollen, die erstmal einfach zum Mitmachen und Hingehen potentiell Interessierte oder zumindest aufmerksame Menschen ansprechen sollen, ich nenne sie liberale Öffentlichkeit. Solche Veranstaltungen haben den Charakter und haben das Ziel, deutlich über Menschen, die im Antirassismus- oder GegenRechtsextremismus-Bereich tätig sind, zu mobilisieren und aufzuklären. Den Anspruch haben die auf jeden Fall. (...) Dahingegen hat diese Broschüre, die wir regelmäßig mit herausgeben, den Charakter, schon potentiell interessierte Menschen aufzuklären und zu informieren darüber, was denn wirklich passiert. I: Würden Sie sagen, der Anspruch, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, der wird auch erreicht? A: Nein. I: Wie kommt das? A: Man kann zwei große Thesen aufstellen. Es wird von der Presse nicht aufgegriffen, die es dann ja doch weitertragen müßte. Oder wir sind so schlecht, dass es niemand wahrnimmt. Doch nochmal konkret an den Fällen, die wir hatten: Ich denke, dass die Presse hier sehr, sehr schlecht aufgreift. (...) In ((Region)) und in ((Region)) ist es etwas besser. Es gab letztes Jahr eine Veranstaltung, das war in dem Ort über Wochen Thema, wo es um rechtsextreme Angriffe ging, wo wir eine Demonstration mitorganisiert haben. Das wurde von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert und debattiert. Insofern haben wir in ((Ortsname)) und in ((Ortsname)) Veranstaltungen, die eher verpuffen. Was aber nochmal dieser andere Part ist, wir sind so schlecht: Was ((Projektname)) denke ich, versäumt hat oder nicht richtig gewährleistet hat, ist kontinuierliche Ansprechpartner/innen bei der Presse zu haben. Menschen zu gewinnen, die man auf dem kurzen Draht anrufen kann (...). Das ist ein Teil der Erklärung, ein anderer Teil ist vielleicht, dass es den Personen, die jetzt hier sind, auch etwas schwierig fällt in dem Bereich Kontakteknüpfen. Darunter leidet leider an der Stelle das Projekt.“ (b-OBS 13, 715-745) Kommentar: Die Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiges Tätigkeitsfeld im Rahmen der Bemühungen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit und zur Erzielung präventiver Effekte. Sie wird in der Regel fallbezogen betrieben, einige Opferberatungsprojekte führen darüber hinaus eine thematisch orientierte Öffentlichkeitsarbeit durch, bei der Themen angesprochen werden, die die Lebensbedingungen der Hauptzielgruppen betreffen, zum Beispiel die Gutscheinregelung bei Asylbewerbern. Zum Teil ergibt sich daraus die Mitwirkung bei Kundgebungen, Demonstrationen oder Kampagnen, mit denen auf bestimmte Tatbestände, die als diskriminierend angesehen werden, aufmerksam gemacht werden soll. Dabei zeigt sich immer wieder ein Grundkonflikt der Opferberatungsstellen. Obwohl sie nach eigener Darstellung sachlich bzw. faktenorientiert berichten, erfolgt die Aufnahme ihrer Botschaften kaum, die Presse veröffentlicht die Pressemitteilungen nicht oder wenn doch, reagieren die angesprochenen Behörden gar nicht oder gereizt. Der anvisierte Zweck wird jedenfalls über den Weg der Öffentlichkeitsarbeit zum Teil nicht erreicht. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 220 Zum Teil ist dieser strukturelle Konflikt sicher den Rahmenbedingungen geschuldet, unter denen die Opferberatungsstellen weiterhin vielfach tätig sind: Rechtsextremismus wird geleugnet, weil er als Imageproblem gilt. Zum Teil ist er aber auch Ausdruck einer Grundhaltung vieler Mitarbeiter/innen von Opferberatungsstellen: Man sieht sich im Besitz der Wahrheit (die Anderen sind immer im Unrecht), man will diese unbedingt thematisieren und macht sich dabei über die Kommunikationspartner keine Gedanken, denn es geht ja um die Opfer und um die eigene richtige, gute Sache. Auf diese Weise wird die Kommunikation zu den Personen(gruppen), die man doch eigentlich erreichen will bzw. von denen Verhaltensänderungen gewünscht werden, nicht selten belastet. Es kommt zum Zusammenstoß und zum Kontaktabbruch. Neuansätze sind im Interviewmaterial aufgezeigt worden: Wenn Bedarf gesehen wird, es also Gesprächsbedarf wegen Dienstverletzungen etc. gibt, erst einmal den ‚kleinen Dienstweg’ beschreiten, also Gespräche suchen und dabei geräuschlos und ‚hinter den Kulissen’ im Sinne der Opfer tätig sein und nur im Ausnahmefall in die Öffentlichkeit gehen, nicht mit Öffentlichkeit drohen und Skandalisierungen nur im Ausnahmefall und dosiert einsetzen, so könnte man diese abgestufte Strategie beschreiben, zu der viele Opferberatungsprojekte auf Grund eigener Erfahrungen inzwischen gefunden haben. 4.2.5 Kommunale Interventionen 4.2.5.1 Begriff/Kriterien/Voraussetzungen/Zielsetzungen Durch Impulse zur Mobilisierung bzw. Aktivierung versuchen Mitarbeiter/innen einiger Opferberatungsstellen im Rahmen fallbezogener Interventionen im kommunalen Raum Engagement und Handlungspotential zur Unterstützung der Opfer und damit gegen rechtsextreme Akteure zu erzeugen. Der Aufbau von Unterstützungsnetzwerken (siehe oben) kann in eine längerfristige kommunale Intervention (meist in Zusammenarbeit mit dem Mobilen Beratungsteam) münden, wenn sich Gewalttaten in einer Kommune häufen oder wiederholen. Bei den meisten Opferberatungsstellen haben sich derartige regionale Tätigkeitsschwerpunkte herausgebildet. Dabei handelt es sich in der Regel um Kommunen bzw. Regionen, in denen es eine Häufung rechtsextrem motivierter Angriffe bzw. entsprechende Sachbeschädigungen oder Schmierereien gab. Die kommunale Intervention ist für einige Opferberatungsstellen gewissermaßen die Endform ihres Handlungsansatzes, in der sich Beratung und politische Intervention miteinander verbinden: „Beratung von rechter Gewalt ist eben nicht ‚nur’ die professionelle individuelle Beratung, sondern es ist gleichzeitig auch eine politische Intervention im kommunalen Kontext. Und das muss es sein, das ist ganz eng miteinander verknüpft.“ (b-OBS GD, 74-77) Dies geschieht in der Regel fallbezogen: „Wir machen fallbezogene Intervention, wir machen keine Intervention der Intervention wegen, sondern es ergibt sich aus der Beratung der Opfer rechter Gewalt, dass da eine Möglichkeit ist, die aber systematisch angelegt ist aufgrund der Ursache des Angriffs, dass sich daraus eine Intervention ergeben kann.“ (b-OBS GD, 202205) Voraussetzung für den Beginn einer kommunalen Intervention ist die Einwilligung und die Mitarbeit der Betroffenen, denn für die Opferberatungsstellen ist die Verbesserung der individuellen Situation des jeweiligen Opfers oberster Grundsatz. Ohne Einwilligung oder wenn CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 221 die Intervention die Lage der Betroffenen zu verschlechtern droht, findet keine Intervention statt: „Der Kern ist im Grunde genommen, die Opfer darin zu unterstützen, dass sich ihre Situation verbessert. Und das ist manchmal eben auch eine Intervention in der entsprechenden Kommune, manchmal aber eben auch nicht, weil einige Leute wollen dann weggehen oder wollen in der Kommune gar nichts anrühren. Es geht ja nicht um die Unterstützung um der Unterstützung willen, sondern erreicht werden soll ja, dass es den Leuten, wenn sie es denn auf einer individuellen Ebene wollen, besser geht, und wenn sie das gesellschaftliche Umfeld miteinbezogen haben wollen, dann muss es miteinbezogen werden.“ (b-OBS GD, 175-183) Weitere Voraussetzungen sind neben der besonderen Schwere des Angriffs und der Einwilligung der Betroffenen die Existenz von Kontaktpartnern in der betreffenden Kommune: „A 1: Also erstens ist wichtig: Was war es für ein Angriff? Was möchten die Betroffenen? Das hat also absolute Priorität. Viele wollen auch gar keine Öffentlichkeit. Viele wollen den Prozess überstehen und für sich selber wieder eine neue Lebensperspektive entwickeln und für die ist es eher hinderlich, damit eine öffentliche Auseinandersetzung anzutreten. Als erste Priorität. Dann muss man natürlich in den Orten auch immer ein Gegenüber haben! I: Einen Ansprechpartner. A 2: Mit dem man irgendwie agieren kann. I: Einen Kooperationspartner. A 2: Ja, genau. Man muss irgendwie Leute finden, wenigstens eine Person finden, mit der man gemeinsam ein Konzept entwickeln kann und die auch die lokale Struktur kennt.“ (b-OBS 14, 1003-1018) Die Einleitung einer kommunalen Intervention ist außerdem an die vorhandenen personellen Ressourcen der Berater/innen gebunden. Je stärker sie sich um Individualberatung kümmern müssen, desto weniger Zeit bleibt für kommunale Interventionen: „Es ist, glaube ich, nicht so ganz Konsens bei uns aber in der Tendenz schon, dass wir das auch so sehen: je mehr Angriffe es hat, je weniger Wert kannst du auf Intervention legen. Und da werden dann - nicht immer, es kommt immer darauf an, was man am Laufen hat - da werden in der Regel dann die Abstriche gemacht. Wenn du plötzlich innerhalb einer Woche fünf neue Angriffe hast, du hast halt nur ein Team aus soundsoviel Leuten, und du hast den Anspruch, dass - was wir wichtig finden - dass die Beratungsgespräche zu zweit stattfinden, dann ist das Team einfach eine Woche beschäftigt durch diese Angriffe, und dann haben bestimmte Termine zu leiden, wo du versucht hast, irgendwelche Termine mit Bürgermeistern oder mit irgendwelchen örtlichen Honoratioren oder mit der örtlichen Antifa oder sonstwas zu machen, gemacht hast. Das ist das Problem an sich.“ (b-OBS GD, 346-356) Ziel der kommunalen Interventionen ist der Aufbau einer Gegenbewegung gegen Rechtsextremismus und die Veränderung des lokalen Klimas. Sehr wohl bewusst ist den beteiligten Akteuren dabei die Gefahr der Instrumentalisierung der Opfer für eigene politische Zwecke, die durch die ständige Kontrolle der eigenen Tätigkeit an den Bedürfnissen der Betroffenen vermieden bzw. ausgeschlossen werden soll: „Was ein bisschen das Problem ist, was wir zumindest in ((Name des Projekts)) immer mal wieder diskutieren mussten oder müssen, ist dass es auch eine gewisse Gefahr gibt, Opfer zu instrumentalisieren, für eigene politische Interessen zu instrumentalisieren. Insofern dass man, als Beispiel, jetzt zum fünften Mal in einer Kommune einläuft, wo etwas passiert ist, und zum fünften Mal erlebt, dass sich keine Sau darum kümmert und niemand ansprechbar ist. Da könnte man versucht sein, wenn man da jetzt jemanden hat, ich mache es jetzt mal ein bisschen zugespitzt, der sich gut für eine Öffentlichkeitsarbeit einsetzen ließe, zu sagen, man instrumentalisiert dieses Opfer, um es einfach in der Kommune mal zu thematisieren und, mög- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 222 lichst auch mit Pressearbeit verknüpft, Druck auf diese Kommune auszuüben, damit da überhaupt mal was in Bewegung kommt. Es wurde in der Form noch nie gemacht, es ist wie gesagt sehr überspitzt, aber das sind Gefahren, die immer da sind, wo ich zumindest sagen würde, die schwingen da mit in dem ganzen Ansatz, und die muss man immer reflektieren. Dass man immer genau guckt, was sind das für Opfer, was sind die Bedürfnisse von den Betroffenen, und was wollen die. Ist eine Intervention mit denen zu machen oder nicht, wollen sie es, brauchen sie es.“ (b-OBS GD, 206-222) 4.2.5.2 Verläufe Der Idealverlauf einer kommunalen Intervention sieht dabei in der Theorie so aus, dass ein Betroffener rechtsextremer Straf- und Gewalttaten den Angriff in die Öffentlichkeit bringt, sich mit anderen Betroffenen und Unterstützern zusammentut und politisch aktiv wird und zur Moderation dieses Prozesses die Unterstützung der Opferberatungsstelle anfordert. „Ich würde das auch so sehen, dass wir über die Betroffenen erstmal die Zugänge in die Kommunen kriegen, dass wir ja nicht von Anfang an in irgend eine Kommune gehen und voraussetzen, da gibt es Betroffene. Für mich gestaltet sich das immer als Idealfall, wenn man in einer Kommune oder in einem kleineren Ort einen Betroffenen hat, der dann möglicherweise auch noch bereit ist, Öffentlichkeit zu machen oder auch noch andere kennt, die angegriffen worden sind und die sich dann miteinander solidarisieren und vielleicht auch individuelle Unterstützungskonzepte für sich entwickeln. Und dann auch noch an politisch Verantwortliche heranzugehen oder an Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren, dann finde ich das genau bis zum Ende durchgespielt, was wir miteinander verknüpfen wollen. Aber ich habe den Eindruck, das passiert relativ selten, dass man tatsächlich dann in jedem Einzelfall diese Verknüpfung mit der Kommune und diesem ganzen Schwanz an Organisation, Gesprächsführung, Einbinden von Menschen, Sensibilisierung von unterschiedlichen Gruppen füreinander, Bündnisarbeit, alles in jedem Fall wirklich bis zum Ende durchspielen kann. Da gibt es nur ein paar exemplarische Gemeinden, wo das funktioniert.“ (b-OBS GD, 122-137) Dieser obige „Idealverlauf“ ist aber nach Darstellung mehrerer Berater/innen in der Realität bisher kaum eingetreten, sieht man einmal von einigen wenigen exemplarischen Kommunen ab. In der Realität der praktischen Arbeit sind die Opferberatungsstellen bei ihren kommunalen Interventionen auf eine ganze Reihe von Hindernissen gestoßen, die deren Umsetzung erschweren bzw. häufig unmöglich machen: „Ich habe da einen ganz speziellen Fall vor Augen, wo das im Moment für uns drängt, es ist ganz wichtig, da in der Kommune was zu machen, weil alle Nase lang passieren irgendwelche Übergriffe, die Leute reden nicht mehr darüber, die schweigen das tot, die Betroffenen selber erstatten keine Anzeige, die lassen sich noch nicht mal ihre Sachbeschädigung von der Versicherung bezahlen, weil das sowieso alles keinen Zweck hat, weil nächste Woche die Schaufensterscheibe wieder eingeschlagen ist. Die Initiative von uns geht immer in die Richtung, Leute zu finden, die man dafür sensibilisieren kann, die man damit konfrontieren kann, die sich dann auch mal äußern dazu, und wir nicht von außen kommen und sagen: ‚In eurem Ort passiert das’. Im Moment ist das eine ewige Kleinarbeit. Für mich ist es total wichtig, das zu tun, um denen auch eine Lobby zu verschaffen und auch die Perspektive der Betroffenen dort ins Zentrum zu rücken, aber es funktioniert nicht immer.“ (b-OBS GD, 139-151) Auch in einer anderen Opferberatungsstelle werden die bisherigen Ergebnisse bei den kommunalen Interventionen eher als wenig erfolgreich angesehen: „Grundsätzliche Probleme bei der lokalen Intervention. Also, wir haben Städte wo was passiert und wir schon ausgehend von Angriffen auch was über die Beratung der einzelnen Betroffenen hinaus wir auch was machen: Mit Leuten reden, (...) oder Öffentlichkeitsarbeit oder so. Da fehlen mir jetzt bisschen die Erfolge.“ (b-OBS 11, 54-57) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 223 Aus dem Interviewmaterial lassen sich zusammenfassend einige Begründungen für die aus Sicht vieler Mitarbeiter/innen nicht selten fehlenden Erfolge und enttäuschenden Verläufe kommunaler Interventionen herausarbeiten: a) Die Betroffenen verhalten sich nicht so, wie dies für eine kommunale Intervention erforderlich wäre. Sie scheuen aus Angst vor weiteren Angriffen die Öffentlichkeit, verweigern die Anzeigeerstattung oder zeigen aus anderen Gründen kein Interesse, so entziehen sie einer möglichen kommunalen Intervention die Grundlage. b) Die Opferberatungsstellen finden keine Unterstützung in den betreffenden Kommunen, das heißt, es gelingt nicht, im Bereich der vor Ort tätigen zivilgesellschaftlichen Initiativen Unterstützer/innen zu rekrutieren, weil es diese Initiativen, die potentiell ansprechbar wären, oftmals gar nicht gibt. c) Die Lokalpolitik und/oder die örtliche Presse (vor allem der Bürgermeister) verhalten sich ablehnend, so dass die für eine kommunale Intervention notwendige Öffentlichkeit nicht hergestellt werden kann. d) Die Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen agieren provokativ, setzen stark auf konfrontative Strategien und verursachen dadurch eine Blockade oder einen Abbruch des Prozesses. e) Die Zusammenarbeit mit dem MBT funktioniert nicht wegen mangelnder Absprachen, der Provokationsstrategie der Opferberatungsstellen, oder die Opferberatungsstelle wird von vornherein vom Mobilen Beratungsteam an dem betreffenden Beratungsprozeß nicht beteiligt. Die Misserfolge bei den kommunalen Interventionen sind darüber hinaus von den hohen Erwartungen der Mitarbeiter/innen beeinflusst, wozu überdimensionierte Zielsetzungen und unklare Umsetzungsstrategien zusätzlich beigetragen haben dürften: „Ich habe eher die Misserfolge auf dieser politischen Ebene, dass ich da viel eher an meine Grenzen komme, der Möglichkeiten Einfluß zu nehmen und dann da scheitere. Eher an meinen Erwartungen und meinen Plänen scheitere und dadurch sich ein Misserfolg einstellt als an dem, was real wirklich möglich ist.“ (b-OBS GD, 1141-1144) Bei der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Interventionen spielen jeweils auch unterschiedliche Kontexte eine Rolle. Im ländlichen Raum werden sie offenbar von Betroffenen eher nachgefragt als in Städten, wo es nach Darstellung der befragten Person häufiger Gruppenstrukturen gibt, die die Opfer im Krisenfall auffangen können: „Ich habe gerade überlegt, ob zum Beispiel dort mehr Interventionsbedarf von den Betroffenen selbst signalisiert wird, wenn sie sich recht alleine fühlen, sei es irgendwelche jugendlicheren Leute, die irgendwo auf dem Land oder in einer Kleinstadt leben und dort recht alleine sind und dann natürlich, nachdem sie zum zehnten Mal auf die Fresse bekommen haben, natürlich wollen, dass das endlich aufhört, möglichst auch ohne dass sie weggehen wollen, obwohl das oft die zwangsläufige Konsequenz daraus ist. Oder auch bei Flüchtlingen, die per se schon marginalisiert sich in dieser Gesellschaft befinden. Bei Leuten, die in einer größeren Stadt leben und angegriffen wurden, haben wir das selten, dass die mehr als diese Unterstützung wollen, zum Beispiel einen BAW-Antrag zu stellen oder beim Rechtsanwalt-Suchen helfen usw. Dass sich aus so einer Gruppenzugehörigkeit oder einem Umfeld, das da ist, dass sich dadurch eine Sicherheit - das brauche ich wohl gar nicht als These aufzustellen wenn ich das so erzähle - Sicherheit auch durch eine Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, und die vielleicht auch Schutz geben kann, dass da vielleicht das Gesamte etwas unwichtiger er- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 224 scheint, sondern mehr als etwas hingenommen wird, was nunmal passiert.“ (b-OBS GD, 296312) Einzelne Opferberatungsstellen engagieren sich darüber hinaus (meist an ihren Standorten) im Rahmen von „Runden Tischen“, kriminalpräventiven Räten etc. längerfristig im kommunalpolitischen Bereich, um dort die Anliegen der Betroffenen bzw. die Opferperspektive zu vertreten und Lobbyarbeit für die Betroffenen zu leisten. 4.2.5.3 Zusammenarbeit mit Mobilen Beratungsteams Neben der Öffentlichkeitsarbeit und der Tatsache, dass einige Opferberatungsstellen ebenso wie die Mobilen Beratungsteams Aufklärungsveranstaltungen zu Rechtsextremismus und Rassismus anbieten (vgl. b-OBS 2, 1646-1652), liegt der Schwerpunkt der Zusammenarbeit zweifellos im Bereich der kommunalen Intervention. Die Quantität und Qualität der Zusammenarbeit zwischen Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen ist unterschiedlich und kann von Regionalbüro zu Regionalbüro variieren. Als Begründungen wird wiederholt der häufige Personalwechsel bei den Mobilen Beratungsteams angeführt. Zum Teil waren auch die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit nicht gegeben, zum Beispiel wegen mangelndem Interesse an der Arbeit des Mobilen Beratungsteams durch die betreffende Kommune: „Das ist bei uns regional unterschiedlich. In dem westlichen Teil läuft es total gut und auch im nördlichen Teil wird es besser. Leider ist es im Osten..., ich kann nicht sagen, dass es schlecht läuft, es läuft eher gar nicht. Wir treffen uns regelmäßig und reden über bestimmte Dinge, aber durch die Nichtbesetzung des einen Büros für eine ganze Weile und diesen ständigen Personalwechsel war es doch schwierig, eine Basis und ein Zusammenarbeiten hinzukriegen. Es gab einfach auch nicht viele Fälle, wo eine klassische Zusammenarbeit sich anbot. Wir hatten auch viele Fälle, wo die Voraussetzungen für das MBT nicht da gewesen wären, dass zum Beispiel dieses Interesse aus der Kommune kommt und unsere MBTs arbeiten ja nur auf Anfragen einer Kommune.“ (b-OBS GD, 428-437) Nach Darstellung eines MBT-Mitarbeiters können sich die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche durchaus fruchtbar ergänzen, so dass in seinem Tätigkeitsfeld eine weitgehend störungsfreie Zusammenarbeit mit der dort zuständigen Opferberatungsstelle besteht. Die Aufgabe der Opferberatungsstelle in kommunalen Interventionsprozessen sei primär die Betreuung/Begleitung von Opfern, „natürlich genauso mit Gesprächen und einer Partnersuche in Kommunen wie wir sie machen, die Partnersuche ist ja ausschlaggebend, da muss man sich halt absprechen und sagen, wenn es in den Bereich von Runden Tischen, Fortbildungsveranstaltungen, Überprüfungen von Qualitäten in der Jugendsozialarbeit, Jugendclubs, Begleitung usw. geht, das ist eher unser Bereich, so versteh ich den Arbeitsauftrag über das Ministerium.“ (c-OBS A, Koop 5) In Einzelfällen wird aus Sicht der Opferberatung von persönlichen Vorbehalten gegenüber einzelnen Mitarbeiter/innen von Mobilen Beratungsteams berichtet (b-OBS 2, 1581-1586). Ein weiteres Argument, das zum Teil auftaucht und eine Distanz zwischen einigen Opferberatungsstellen und einigen Mobilen Beratungsteams begründet, ist die Einschätzung der Opferberatungsstelle, die Mobilen Beratungsteams arbeiteten eher mit Institutionen bzw. Verwaltungen zusammen und weniger mit Initiativen, wie es die Opferberatungsstellen tun: CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 225 „A: Dieses Mobile Beratungsteam vom ((Träger)). Mit denen arbeiten wir sehr eng zusammen. Und ((Projektname)) arbeiten wir punktuell zusammen. Ich muss sagen, da gibt es bis heute keine ganz enge Zusammenarbeit. I: Wie kommen diese Unterschiede zustande? A: Ich glaube, die Unterschiede sind… Einmal ist natürlich diese Antipathie und Sympathie, wenn man mit Menschen arbeitet, das kann man nicht vermeiden. Mit bestimmten Menschen arbeitet man lieber als mit bestimmten anderen. Das ist immer da. Aber ich denke, das ist nicht der einzige Grund. Der andere Grund ist, glaube ich, sie arbeiten sehr strukturell, institutionell. (...) Das heißt, sie arbeiten viel mit Jugendamt usw. Und wir arbeiten viel mehr mit Organisationen, Trägervereinen. Weniger mit Institutionen. Auch. Wir arbeiten auch mit Schulen usw. arbeiten wir auch. Aber viel mehr mit Trägervereinen usw. Und Mobile Beratungsteams des ((Träger)) auch. Und dadurch haben wir viel mehr Berührungspunkte, würde ich sagen.“ (b-OBS 6, 1254-1275) Dies kann sich dann leicht zu dem Eindruck verdichten, das betreffende Mobile Beratungsteam sei zu sehr „auf bestehende Strukturen setzend“ und agiere daher zu „staatsnah“, also „zu wenig in Fundamentalkritik zu bestehenden Verhältnissen“ (b-OBS 6, Koop 1). Bei kommunalen Interventionen überschneiden sich die Tätigkeitsbereiche von Opferberatungsstellen und Mobilen Beratungsteams. Initiativen für kommunale Beratungsprozesse können sowohl von den Opferberatungsstellen wie von den Mobilen Beratungsteams initiiert werden. In dem folgenden Beispiel ging die Initiative für eine kommunale Intervention von der zuständigen Opferberatungsstelle aus. Dem Mobilen Beratungsteam wird durch die Opferberatungsstelle die Funktion eines „Nacharbeiters“ zugewiesen. Die Opferberatungsstelle hat also in diesem Fall die Funktion eines „Türöffners“ übernommen, um durch die Problemanzeige und durch Gespräche mit den lokalen Verantwortungsträgern das Terrain vorzubereiten, damit das MBT von der Verwaltung ‚gerufen’ wird und sich in den Prozess einschalten kann. Aufgabe des Mobilen Beratungsteams wäre in diesem Fall die Initiierung und Begleitung von Aktivitäten gegen rechtsextremistische Erscheinungen: I: Wo konkret sehen Sie Ihre Grenze und wo beginnt das Aktionsfeld des MBT? A: Wenn es in einem lokalen Zusammenhang um das Anstoßen oder Weiterführen von Strukturen oder Aktivitäten geht, die eine Veränderung in der Stadt hinsichtlich des Problems Rechtsextremismus ist. Weil wir das nicht längerfristig machen können und weil wir natürlich auch auf diesen Opferberatungsansatz reduziert werden. Er ist ja der Ausgangspunkt und er ist auch gut um das zu thematisieren, aber, wenn es zum Beispiel um das Entwickeln von Strategien in so einem komplexen Rahmen wie in der Stadt geht, können wir dort die Position der Betroffenen stärken oder auch vermitteln, aber darüber hinaus bietet sich eigentlich das MBT an. Das Problem ist, dass sie natürlich auch auf Freiwilligkeit angewiesen sind. Und da sehen wir auch einen Teil unseres Beitrags, dass wir mit dazu beitragen, dass die Leute wollen. Dass sie jetzt freiwillig so ein MBT einbinden. I: Könnten Sie ein Beispiel für eine Kooperation zwischen Ihrer Opferberatungsstelle und einem MBT beschreiben.? A: Einer erfolgreichen? I: Ja. A: Wie gesagt, ich hatte einige kurze Kooperationen mit diesem ((Ortsname)) Beratungsteam, aber sie waren halt nicht langfristig. Es gibt jetzt gerade, wie gesagt, dass wir zu den rechten Aktivitäten gegen die Wehrmachtsausstellung zusammen Stände machen oder wir was als Betroffenenorganisation sozusagen vermitteln, was jetzt aktuell lokal auf ((Ortsname)) oder in dieser Gegend los ist. Dass wir das mit einbinden in die Diskussion um die Wehrmachtsaus- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 226 stellung. Oder dass ich versuche in ((Ortsname)) als Opferberatungsstelle ein Gespräch mit der Bürgermeisterin zu erreichen und... I: Das machen Sie? A: Ja. I: Wäre das nach Ihrer Beschreibung nicht eher eine Aufgabe für das MBT? A: Nein, so würde ich schon den idealen Ablauf sehen. I: Wie sieht der aus? A: Dass wir ankommen und sagen: Hier gibt es ein Problem, wir wissen das. Und zwar hier an der Straße und an der Straße die Leute werden angegriffen und die Leute. Ich versuche über so Kontaktpersonen das der Bürgermeisterin zu vermitteln und entweder kommt das MBT gleich mit, wenn sie das wollen. Aber idealerweise wäre das Ergebnis, dass diese Bürgermeisterin oder die Verwaltung halt das MBT anruft oder engagiert sozusagen. (...) Also, dass wir auch so das Problem beschreiben und dort das machen und das MBT einsteigt sozusagen. (...) Also, eine Sensibilisierung dafür und die Entwicklung der Gegenstrategien würde dann idealerweise von dem MBT begleitet werden.“ (b-OBS 11, 814-846) Eine andere Variante einer Arbeitsteilung ist es, wenn das Mobile Beratungsteam eine Person durch Bedrohungen gefährdet sieht und die Opferberatungsstelle einschaltet, um die Person schützen zu lassen, da es diese Aufgabe selbst nicht übernehmen kann. Das MBT konzentriert sich dann auf das „grundsätzliche Problem“ in der jeweiligen Kommune: „Wir haben relativ selten Fälle, wo wir konkret Situationen haben, wo es darum geht, dass wir einzelne Personen geschützt haben müssen. Was wir selber nicht leisten können. Ich hatte eben das mit dem Mädchen beschrieben. Da wird sofort ((Opferberatungsstelle)) eingeschaltet von uns. Und da geben wir die komplette Kompetenz dafür dann ab. Das heißt, das ist ein Vorgang gewesen, wo wir dann dieses Mädchen nicht mehr betreut haben, sondern ganz klar gesagt haben, ((Opferberatungsstelle)) versucht hier Schutz herzustellen und wir arbeiten in der Gemeinde, um das grundsätzliche Problem in Bewegung zu versetzen. Also das ist ganz klar, sobald es um eine Situation geht, hatten wir mehrfach zum Beispiel, dass Schüler in Schulbussen drangsaliert wurden oder auf Schulhöfen, wo eine starke rechte Hegemonie war, sozusagen Abweichler bedroht wurden, das ist immer ganz klar, da wird sofort Kontakt mit ((Opferberatungsstellen)) aufgenommen.“ (c-OBS B, Koop 3, 364-373) Ein Dauerthema bei der Zusammenarbeit zwischen Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen sind die unterschiedlichen Rollenauffassungen in kommunalen Beratungsprozessen. Dem Mobilen Beratungsteam wird von den Opferberatungsstellen in der Regel der Kontaktaufbau zur Politik und zu den beteiligten Verwaltungsbehörden sowie eine moderierende, ausgleichende Rolle zugewiesen. Für sich selbst beanspruchen die beteiligten Opferberatungsprojekte die Vertretung der Opfer(perspektive) in den jeweiligen Beratungsprozessen. Dies schließt das Bemühen ein, dass die Betroffenen (wenn sie das wollen) in den Beratungsprozessen angemessen vertreten sind und zu Wort kommen. Ist dies nicht gewährleistet, übernimmt die Opferberatung stellvertretend oder ergänzend diesen Part: „Das strukturelle Problem grundsätzlich bei mobiler Beratung im Vergleich zur Beratung von Opfern rechter Gewalt ist, dass Mobile Beratung eher auf konsensuale Prozesse abzielt. Die wollen in Kommunen reingehen und wollen da etwas vermitteln und etwas aufbauen, gehen dann in Bündnisse rein und moderieren zum Teil auch Bündnisse. Und du trittst natürlich grundsätzlich strukturell anders auf wenn du als Berater von einem Opfer parteiisch da rein kommst und in ein Bündnis dich reinsetzt und dann auch ganz zugespitzt die parteiische Rolle übernimmst. Das birgt nochmal andere Konfliktbereiche, die man dann in bestimmten Situationen vielleicht auch bewußt wählt, verglichen mit dem was MBTs machen. Das kann sich natürlich aber ganz gut ergänzen, das ist ja keine Frage.“ (b-OBS GD, 447-457) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 227 Aus der grundsätzlich parteilichen Ausgestaltung der Rolle wurde in einigen kommunalen Beratungsprozessen von den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Berechtigung einer Provokationsstrategie abgeleitet, die von Mitarbeitern des zuständigen Mobilen Beratungsteams vor Ort als wenig hilfreich für den Beratungsprozeß empfunden wurde. Daraus kann in Einzelfällen resultieren, dass das Mobile Beratungsteam nach Wahrnehmung zweier Befragter die zuständige Opferberatungsstelle bewusst aus einer Kommune fernhält, damit es dort ungestört seine Arbeit tun kann: „A 2: Also es ist eben auch schon vorgekommen, dass es einfach so war, dass das MBT uns auch als Störenfriede sieht. Weil wir sehr parteilich arbeiten. Selten, ganz selten, aber so etwas kommt eben auch vor, dass wir als Störenfriede wahrgenommen werden, weil wir natürlich auch Prozesse beeinflussen. Und MBTs, also die Teams, ja auch selber für sich ein Konzept und eine Strategie im Kopf haben, und wir dann störend sein können in ihrer Strategie. Und das dann ganz schwierig ist, dass wir uns miteinander auseinandersetzen, um gemeinsam eine Strategie zu entwickeln. Dafür sind wir im Endeffekt auch zu weit entfernt und sehen uns zu selten. Und können genau diese gemeinsamen Strategien so nicht ohne weiteres entwickeln. A 1: Ja, Meinungsverschiedenheiten gab es gerade in ((Ortsname)), das ist ein Beispiel. Und ((Ortsname)). A 2: Stimmt. Ein großes Beispiel. I: Was war in ((Ortsname)) sozusagen der Kernpunkt? A 2: Also unser Kernpunkt war, dass sie uns ausgebootet haben und uns weggehalten haben. Und teilweise die Arbeit von ((Opferberatungsstelle)) gemacht haben. Aber das muss auch erstmal miteinander noch mal ausgewertet werden. Wirklich, also was da die Ursache war. Das ist jetzt unsere Wahrnehmung. Ohne dass das ausgewertet wurde. Dieses Gespräch gibt es jetzt noch.“ (b-OBS 14, 1398-1420) Die unterschiedlichen, zum Teil noch uneinheitlichen und diffusen Rollen von Mobilem Beratungsteam und Opferberatungsstelle können sich nach Auffassung einer MBT-Mitarbeiterin im Rahmen eines produktiven Konfliktszenarios durchaus ergänzen. Sie wurden als hilfreich in einem konkreten Beratungsprozeß wahrgenommen, weil durch diese Rollenverteilung die Bereitschaft der kommunalen Verantwortungsträger gefördert wurde, mit dem Mobilen Beratungsteam als „kleinerem Übel“ zusammenzuarbeiten: „Und so dass wir da relativ schnell gefordert waren, um abzuklären, welche Arbeitsfelder nun arbeitsteilig zu beackern sind in Anführungsstrichen, was dahin geht, dass man zum Teil auch unterschiedliche Rollen eingenommen hat, die mentalitätsmäßig auch durchaus passten. ((Projektname)) zum Teil eher in eine Rolle gegangen ist auch ein bisschen zu provozieren an manchen Punkten, was für unsere Arbeit sehr dienlich war. Und wir eher in eine moderierende Rolle reingegangen sind. Also weniger Problemanzeigen formuliert haben, sondern eher in eine Rolle gegangen sind, wie soll ich das sagen, Aufregung abzufangen und eher ein bisschen Ruhe in das ganze reinzubringen. Und das hat eigentlich sehr gut funktioniert, weil wir in so einer Rollenarbeitsteilung waren, was sehr gut war und was gute Effekte auch auf die Kommune hatte, dass dann auch wirklich – so hatte ich den Eindruck – eine Bereitschaft seitens der Kommune entwickelt wurde mit dem MBT ganz stark zusammen zu arbeiten, was man vielleicht ein bisschen interpretieren könnte so als kleineres Übel. Ist jetzt aber eine persönliche Einschätzung. (...) Prinzipiell würde ich sagen, dass die allergrößte Mehrheit problemlos in der Lage ist, Auftreten zu variieren, also zweckdienlich zu variieren. Und das machen wir ja auch. Wir gehen auch manchmal in die Rolle der Provokateure, gezielt, wenn uns das notwendig erscheint, um die Struktur ein bisschen aufzubrechen, um Bewegung in kommunale Strukturen rein zu bringen. Sind andererseits aber manchmal auch in der Rolle eher der sehr engen Partner.“ (c-OBS B, Koop 3, 88-100, 146-151, vgl. auch 347-357) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 228 Diese Rollen sind zwar den beteiligten Akteuren in aller Regel klar, werden aber offenbar nach außen hin nicht immer hinreichend transparent gemacht, was bei Beratungsprozessen zu Beeinträchtigungen führen kann, wenn die zu beratenden Akteure (Bürgermeister etc.) nicht wissen, welcher Akteur sie nun gerade mit welchem Ziel berät (vgl. auch b-OBS 5, Koop 3): „In der Fremdwahrnehmung ist es natürlich von Seiten des Bürgermeisters oder auch der Presse ein Stück weit...ein bisschen schwer nachvollziehbar, wie arbeiten die denn jetzt, welche Kompetenzen haben die, für welche Bereiche sind die denn zuständig. Ich glaube, dass es hin und wieder mal vorgekommen ist, wo man uns sagte: ,Na ja, ((Opferberatungsstelle)) war aber auch schon hier, was machen Sie denn jetzt hier? Wie unterscheiden sie sich denn?’ Und ich meine, das ist eine berechtigte Nachfrage. Gut dass sie das ansprechen, dann versuchen wir doch mal in den nächsten drei Minuten die unterschiedlichen Arbeitsaufträge deutlich zu machen. Ich glaube, das kommt immer vor. Es ist ja auch für Außenstehende schwer vermittelbar bzw. schwer einzusehen.“ (c-OBS A, Koop 5) Generell kann nach den vorliegenden Interviewbefunden nicht von einer unter allen Umständen erfolgreichen Strategie für eine gelingende kommunale Intervention ausgegangen werden. Sowohl Provokation wie Integration/Konsens sind Vorgehensweisen, deren Einsatz unter bestimmten Voraussetzungen bzw. in bestimmten Situationen von den Mitarbeiter/innen für sinnvoll gehalten werden und die sowohl vom Mobilen Beratungsteam wie von der Opferberatungsstelle eingesetzt werden können. Bei dem hier zitierten Mobilen Beratungsteam hat sich dabei als eine Leitlinie im Rahmen eines zweijährigen Lern- und Findungsprozesses der Trend durchgesetzt, von Provokationen so weit wie möglich Abstand zu nehmen und diese nur noch punktuell und im Notfall einzusetzen: „A: Also es ist situationsabhängig, ganz klar. Es ist in manchen Situationen, nehmen wir noch mal das Beispiel ((Ortsname)), war es dienlich, war es gut. In anderen Situationen hat das gleiche Verhalten Prozesse durchaus erschwert bis verunmöglicht, weil einfach die Schotten dann dicht gegangen sind, auch gegenüber dem MBT. I: Trotz oder wegen ((Projektname))? Wegen des Vorgehens von ((Projektname))? A: Sagen wir wegen eines gemeinsamen Vorgehens. I: ...wegen eines gemeinsamen Vorgehens, in das aber das provokative Element gewissermaßen als integriertes Element eingebaut war. A: Genau. Ich habe ja auch gesagt, es gab bei uns auch eine Auseinandersetzung, einen Findungsprozess und eine Selbstauseinandersetzung quasi. Und das sagt natürlich schon was aus, wie wir das bewerten was sinnvoller ist. Und es ist ganz klar so, dass wir es natürlich – was heißt natürlich – aber, dass wir zu dem Ergebnis gekommen sind, es ist sehr viel sinnvoller nicht sehr stark provokativ aufzutreten, sondern es wenn, dann sehr punktuell zu machen. Aber sich sozusagen erst mal eine Basis des Vertrauens zu schaffen. Und das ist zum Teil nur um des Preises möglich auch in Selbstverleugnung wäre zu viel, aber schon eine große Duldsamkeit zu entwickeln. Und da ist die Strategie von ((Opferberatungsstelle)), die dem entgegenspricht, meiner Ansicht nach eher nicht dienlich gewesen. Aber ich würde sagen, dass der überwiegende Teil der Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich jetzt zu tun hatte, auch eine andere Strategie verfolgt.“ (c-OBS B, Koop 3, 213-235) Die Zusammenarbeit zwischen Opferberatungsstellen und Mobilen Beratungsteams ist also einerseits relativ intensiv, wobei aber zwischen einzelnen Teams der beiden Strukturprojektgruppen deutliche Distanzen bestehen. Auf der anderen Seite gibt es eine ganze Reihe von Strukturproblemen besonders im Rahmen der Zusammenarbeit im kommunalen Bereich. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 4.2.5.4 229 Anregungen zu Verbesserungen Die Mitarbeiter/innen von Opferberatungsstellen, die im Bereich kommunaler Intervention tätig waren, stellen für sich deutliche Misserfolgserlebnisse fest. Gleichzeitig gibt es in den Interviews eine Reihe von Anregungen, wie in Zukunft sinnvoller vorgegangen werden könnte. Als sinnvoll wird zum einen ein weiterer kontinuierlicher Aufbau von Kontakten in den Kommunen herausgestellt. Dadurch sollen gewissermaßen das kommunale Beziehungsnetzwerk exploriert und besonders einflussreiche Schlüsselpersonen oder mögliche Ansprechpartner für die Opferberatungen identifiziert werden. Diese – überaus sinnvollen – kommunalen Analysen würden eine ständige intensive Beobachtung der öffentlichen Belange in einer Kommune und eine Dauerpräsenz der Opferberatungsstelle in den entsprechenden kommunalen Gremien bzw. Initiativen erfordern. Sie ließen sich aber wohl nur in einigen Schlüsselkommunen bzw. am jeweiligen Standort der Opferberatungsstelle realisieren. Dabei ist auch ein Lernprozeß erforderlich, durch den erst einmal ein „gemeinsamer Nenner“ auf der Sachund der Beziehungsebene gesucht wird, von dem aus die weitere Zusammenarbeit erfolgen kann. Denkbar wäre hier zum Beispiel eine positive Rahmung des RechtsextremismusThemas im Sinne einer stärkeren Bezugnahme auf bestimmte Grundwerte wie Demokratieförderung oder Weltoffenheit und der verstärkte Einsatz entsprechender Argumentationsfiguren1: „Natürlich, was viel besser werden muss, der Kontakt zu Kommunen. Da muss man eine Ebene finden, wo man sich mal trifft, vielleicht auch jenseits dieser Arbeit, und erstmal eine gemeinsamen Nenner finden, und versuchen, darüber zu unserer Tätigkeit zu kommen. Ich denke, das haben wir in vielen Kommunen noch nicht geschafft. (...) Das führe ich auf beide Seiten zurück. Das liegt nicht nur an unserer Seite, und ich muss ehrlich sagen, ich kann jetzt nur für mich reden, es ist für mich schwierig, da bestimmte Kompromisse oder Argumentationsschritte mitzugehen. Wenn ein Bundestagsabgeordneter vor der Wahl sagt, die Sicherheit muss erhöht werden, die Überwachung an der Grenze. (...) Und mit solchen Leuten sich dann unterhalten und versuchen, irgendwie..., also ich meine, der ist ja immerhin politisch gewählt, persönlich gesehen, muss ich ehrlich sagen, habe ich dazu nicht so den Nerv. (...) Das ist aber halt genau die Sache, da kann man auch keinen Austausch herbeizwingen. (...). Aber es gibt da bestimmt auch Leute, die muss man in den Kommunen finden, die in dieser starren Hierarchie nicht ihre Meinung sagen dürfen oder Angst haben vor bestimmten Sachen. Einfach noch das Innenleben besser kennen lernen, das ist eine Sache, auf die man dann auch setzen kann. Aber das geht nur mit der Zeit, das kann man nicht innerhalb von zwei Jahren, diese ganzen Ränkespiele hier in der Kommune mitbekommen.“ (b-OBS 4, 2362-2399) Voraussetzung für ein erfolgreiches kommunales Engagement wäre in jedem Fall eine ausgeprägte Gesprächsbereitschaft mit allen relevanten kommunalen Akteuren, auch solchen, mit denen ein politischer Dissens besteht oder zu denen es Berührungsängste gibt. Dies muß keine Aufgabe der eigenen Grundprinzipien, zum Beispiel des Grundsatzes der Parteilichkeit für die Opfer bedeuten: „Was man schon leisten muss oder leisten sollte, das ist, dass man parteiliches Auftreten verknüpft mit einem gewissen professionellen Auftreten, dass man in der Lage ist zu sprechen, das hat diese große Reihe der Kooperationspartner auch gezeigt, man muss in der Lage sein zu sprechen mit den Antifas vor Ort aber auch mit dem Pfarrer und mit dem Polizeipräsidium 1 Vgl. Rainer Strobl/Stefanie Würtz/Jana Klemm (2003): Demokratische Stadtkultur als Herausforderung. Stadtgesellschaften im Umgang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Weinheim/München: Juventa. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 230 und mit der Staatsanwaltschaft. Mit allen muss man sprechen können, rein von der Kommunikationsfähigkeit her. Und da gibt es doch diverse Unterschiede zwischen dem Antifa vor Ort und dem Staatsanwalt oder dem Pfarrer, wie die Kommunikation abläuft. Das muss man auch lernen. Das ist auch in der ((Opferberatungsstelle)) ein Lernprozeß gewesen, das war ja nicht von Anfang an da, da hat man sich bestimmten Dingen auch erst später schrittweise angenähert. Ich glaube schon, was man zum Teil braucht, ist diese Parteilichkeit professionell zu machen, professionell heißt dann, auch zu gucken, wo bewegt man sich, in welchem gesellschaftlichen Raum, und wie bringt man diese Parteilichkeit dann auch rüber. Was für eine Funktion hat man in welchen Momenten, in welchen gesellschaftlichen Räumen. Das sind Lernprozesse, die gemacht werden müssen. Aber dann muss Parteilichkeit kein Hindernis sein.“ (b-OBS GD, 951-967) Kommentar: Die kommunalen Interventionen sind für einige Opferberatungsstellen ein besonders attraktiver Tätigkeitsbereich, wobei die Herkunft vieler Mitarbeiter/innen aus antifaschistischen Initiativen sicherlich motivationsleitend ist. Gleichzeitig wird häufig von Misserfolgen in den Kommunen und von nachlassender Motivation der Mitarbeiter/innen wegen dieser Misserfolge berichtet. Dafür sind eine Fülle von Gründen verantwortlich: weiterhin schwierige Rahmenbedingungen für eine Thematisierung von rechtsextremer Gewalt in einigen Kommunen, besonders im ländlichen Bereich; Ängste bei den Betroffenen; fehlende Kooperationspartner in den Kommunen; die Abwehrhaltung der lokalen Öffentlichkeit, die durch ein zum Teil konfrontatives bzw. provokatives Vorgehen der Mitarbeiter/innen von Opferberatungsstellen nicht selten noch verstärkt wird. Die Befragungen haben gezeigt, dass der Bereich der kommunalen Interventionen stärker systematisch angegangen werden sollte. Es fehlen Kriterien für die Interventionsanlässe und für die Beendigung der Prozesse. Die Rollen von Opferberatungsstellen und Mobilen Beratungsteams sind diffus und zum Teil widersprüchlich, was bisweilen bis zu Konkurrenzsituationen eskalieren kann. Durch wechselnde Berater und unklare Arbeitsteilung können Verwirrungen bei den beratenen kommunalen Akteuren ausgelöst und Beratungsprozesse verkompliziert werden. Es ist zu fragen, ob der Bereich der kommunalen Interventionen nicht konzeptionell stärker durchdacht und gefasst werden sollte, wobei besonders die Abgrenzung bzw. Zusammenarbeit mit den Mobilen Beratungsteams zentral ist und zum Gegenstand von Gesprächen gemacht werden sollte. Zu vereinbaren wären die Kriterien für die Interventionsanlässe, das Vorgehen (vor allem die Zusammenarbeit mit dem MBT) im Rahmen möglicher Szenarien und Kriterien für den Abschluss bzw. die Beendigung eines derartigen Prozesses. Hilfreich wäre dazu eine wissenschaftlich begleitete Auswertung von bereits abgeschlossenen bzw. noch laufenden Fallverläufen kommunaler Interventionen. Dieser Bereich sollte durch Fortbildungen weiter professionalisiert werden. Dazu könnten beispielsweise Angebote zu Moderations- und Mediationsverfahren, Kommunikationstrainings und Gesprächsführung zur Verfügung gestellt werden. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 231 5 Vergleich von zwei Kleinteams verschiedener Opferberatungsprojekte Der Kleinteamvergleich soll durch eine intensivere Untersuchung von zwei Kleinteams ein vertieftes Bild der Opferberatungsprojekte und ihrer Wahrnehmung in der (Fach-)Öffentlichkeit vermitteln. Exemplarisch werden Tätigkeitsbereiche und Ergebnisse der Projekttätigkeit aus der Innenperspektive beschrieben und aus der Außenperspektive um die Beurteilung von Kooperationspartnern und Experten ergänzt. 5.1 Die Untersuchung der beiden Kleinteams aus der Innenperspektive Die Anlage des Kleinteamvergleichs folgt weitgehend der in Kapitel 4 eingeführten Systematik. Untersucht wurden zunächst auf der Basis der Befragungen der Mitarbeiter/innen die Aspekte: • Kurzbeschreibung der Kleinteams, lokale Rahmenbedingungen, Trägerhintergrund; • Projektauftrag und Zielsetzungen; • Zielgruppen; • Fachliche Grundprinzipien; • Tätigkeitsfelder; • Ergebnisse. 5.1.1 Kurzbeschreibung der Kleinteams, lokale Rahmenbedingungen und Trägerhintergrund Team A agiert in einem Flächenland der neuen Bundesländer. Der Standort des Teams befindet sich in einer Kleinstadt. Es handelt sich um eine Region, in der eine starke rechtsextreme Szene existiert, der eine hohe Anziehungskraft auf Mitläufer und Jugendliche zugeschrieben wird. Zudem agiert in der Region eine rechtsextreme Kameradschaft mit einer gewissen Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Der Standort des Teams befindet sich in einer Stadt, die nach Einschätzung eines Kooperationspartners „nicht sehr fremdenfreundlich“ (c-OBS A, Koop 1) ist. Von Team A wurden nach eigener Darstellung seit Beginn der Tätigkeit im zweiten Halbjahr 2001 16 Übergriffe mit 45 Betroffenen und im Jahre 2002 45 Übergriffe mit 115 Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten ermittelt. Ein Großteil dieser Personen wurde auch beraten.2 Trotz gegenläufiger Entwicklungen in der Vergangenheit nimmt nach Einschätzung eines Mitarbeiters des Kleinteams die rechtsextreme Belastung im Einzugsgebiet immer mehr zu (b-OBS A 1, 691-694). Team A berichtet von steigenden Beratungszahlen 2 Die genaue Zahl kann das Team nicht angeben, da nach Aussage des Teams in den Jahren 2001 und 2002 keine Statistik über die Zahl der beratenen Personen geführt wurde. Diese wurde inzwischen in allen Opferberatungsprojekten eingeführt. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 232 und der Schwierigkeit „hinterherzurennen“ (b-OBS A 1, 278-279): „Der Bedarf an Beratung übersteigt derzeit unsere Kräfte.“ (b-OBS A 1, 282) Auf der anderen Seite ist das Einzugsgebiet von einem Mangel an zivilgesellschaftlichen Initiativen gekennzeichnet: „Ja, die spezifischen Rahmenbedingungen in ((Region)). Also es gibt für meine Begriffe relativ wenige Leute, die sich wirklich am Thema bewegen. Es gibt im Gegensatz zu anderen Städten oder Kommunen kaum so eine Zivilgesellschaft, so ein engagiertes, na ja Bürgertum ist ein blödes Wort, aber halt engagierte Leute, die sich wirklich intensiver damit auseinandersetzen. Es ist halt sehr flächig, sehr groß. So dass wir es einfach auch definitiv nicht schaffen, überall im Beratungsgebiet gleich präsent zu sein.“ (b-OBS A 2, 395-400) Das Opferberatungsprojekt, dem Team A zugeordnet ist, hat sich aus ehrenamtlichen Anfängen heraus entwickelt, wobei die „Opferperspektive Brandenburg“ eine Anregungsfunktion hatte (b-OBS A 2, 50-75). Eine kleine Gruppe von Ehrenamtlichen gründete daraufhin im Vorfeld des CIVITAS-Programms einen Verein, der nach dem Vorbild der „Opferperspektive“ mit der Beratung von Opfern rechtsextremer Gewalt begann. Als das CIVITASProgramm eingerichtet wurde, meinte dieser Verein die Trägerschaft der Opferberatungsstelle nicht übernehmen zu können. Daher wurde ein externer Träger gesucht und gefunden. Von diesem Träger wurde eine formalisierte Hierarchie zwischen dem Träger und seinem Geschäftsführer, der Projektleitung und den Kleinteams installiert (b-OBS A 1, 807-808), die potentiell konfliktträchtig ist, da in den Kleinteams gleichberechtigt gearbeitet wird. Das Personal von Team A besteht aus jüngeren Sozialarbeiter/innen, die zum Teil bereits vorher ehrenamtlich in der Opferberatung tätig waren, zum Teil aus der örtlichen Jugendszene stammen, an der örtlichen Fachhochschule gemeinsam studiert haben und bereits vor der gemeinsamen Tätigkeit als Opferberater/innen befreundet waren. Zusätzlich arbeiten die drei Berater/innen auch ehrenamtlich in einem alternativen Hausprojekt zusammen, das sich zum Ziel gesetzt hat, eine Stärkung der alternativen Jugendkultur in der Region zu befördern (b-OBS A 2, 115-183). Auch Team B agiert in einem Flächenland der neuen Bundesländer, wobei sich der Standort des Teams in einer Großstadt befindet. In der stark ländlich geprägten, dünn besiedelten Region um den Standort des Teams haben sich rechtsextreme Kameradschaften zu einem flächendeckenden Netz ausgebreitet. Im gesamten Aktionsgebiet wird flächendeckend von regelmäßigen Angriffen berichtet (b-OBS B 1, 392-409). Ein Mitarbeiter konstatiert, dass sich im Einzugsgebiet „nicht so wirklich richtig friedliche Regionen benennen“ (b-OBS B 1, 410) ließen. Im zweiten Halbjahr 2001 wurden von Team B nach eigener Darstellung elf Fälle mit einer unbekannten Zahl von Betroffenen betreut. Im Jahre 2002 registrierte das Team 28 Angriffe mit 97 Betroffenen, die Anzahl der beratenen Klienten lag im Jahre 2002 bei 38 Personen. Ähnlich wie bei Team A ist auch das Opferberatungsprojekt von Team B aus ehrenamtlichen Anfängen hervorgegangen, wobei auch hier die „Opferperspektive Brandenburg“ am Anfang eine Informations- und Anregungsfunktion wahrgenommen hat (b-OBS B 1, 163-179). Anders als bei Team A wurde der nach diesen Anfängen durch die ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen im Vorfeld des CIVITAS-Programms gegründete Verein dann auch Träger des Opferberatungsprojekts. Bei dem Opferberatungsprojekt von Team B gibt es daher im Gegensatz zu Team A eine weitgehende personelle Identität von Konzeptentwicklern und Mitarbeiter/innen. Die Tätigkeit ist aus ehrenamtlichen Anfängen heraus entstanden und weitgehend mit dem gleichen Personal hauptamtlich weitergeführt worden. Es gibt daher in diesem Pro- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 233 jekt außerhalb der satzungsmäßig vorgeschriebenen Vereinsstrukturen keine formalisierten Hierarchien und damit auch nicht die bei Team A latent bestehenden Konfliktstrukturen. Das Personal von Team B besteht ebenfalls aus jüngeren Pädagogen und einem Mitarbeiter mit einer handwerklichen Fachausbildung, der sich durch die durch das CIVITAS-Programm ermöglichten Qualifizierungsmaßnahmen zum Opferberater weitergebildet hat. Im Vergleich zeigen sich bei den beiden Teams ähnliche Rahmen- bzw. Ausgangsbedingungen und eine vergleichbare Personalstruktur. Bei Team A ist der Arbeitsdruck sicherlich größer, weil das Team in einer dichtbesiedelten Region agiert, in der von höheren Fallzahlen auszugehen ist. Ein Unterschied in den internen Rahmenbedingungen ist die stärker formalisierte Hierarchie beim Träger von Team A, während Team B stärker selbstgesteuert agieren kann, da es bei ihm keinen externen Träger gibt. 5.1.2 Projektauftrag und Zielsetzungen Hauptauftrag für die Arbeit von Team A „ist ganz klar Betreuung und Beratung, Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt.“ (b-OBS A 1, 465-466) Diese Beratungstätigkeit wird in engem Zusammenhang mit der „Berücksichtigung des Lebensumfeldes“ gesehen, wobei auch die beiden weiteren Schlüsselprozesse „Mobilisieren“ und „Vernetzen“ zentral sind, indem „man Netzwerke aufbaut, sich aktiv einbringt, also nicht, dass man nur teilnimmt, sondern auch mit gestaltet, und dass man wirklich auch ein öffentliches Klima mit beeinflusst, dass man Stellung bezieht, vorausprescht bei bestimmten Sachen und versucht, Diskussionen anzuregen“ (b-OBS A 1, 471-476). In einer Kurzformel zusammengefasst hat das Opferberatungsprojekt von Team A „ja eine relativ klare Zielrichtung (...) als Hilfe für Betroffene rechter Gewalt. Und natürlich gehört ein Stück Prävention und Kooperation dazu.“ (b-OBS A 2, 191-192) Zentrales Ziel bei Team A ist zum einen, Betroffenen rechtsextremer Gewalt Unterstützung in Form von Gesprächen und Hilfsangeboten anzubieten, die sie in die Lage versetzen, die erlebte Gewalttat zu verarbeiten (b-OBS A 2, 603-637). Das zweite Ziel richtet sich darauf, die Betroffenen aus der Opferrolle hinauszubegleiten, wobei Aktivierungen eine zentrale Rolle spielen. Dabei können beispielsweise eine fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit oder Nebenklageerhebungen als Aktivierungsprojekte eine zentrale Rolle spielen (b-OBS A 2, 633-645). Auch bei Team B wird der Hauptauftrag mit dem Aufgabengebiet „Beratung von Opfern rechter Gewalt“ gefasst. In Anlehnung an das fachliche Konzept „Opferperspektive“ wird der Gesamtauftrag nicht auf Individualberatung begrenzt, sondern geht „über die reine Opferberatung im engeren Sinne hinaus“ und schließt Präventionsmaßnahmen ein. Diese umfassen einerseits den Versuch, die Opferperspektive in die Öffentlichkeit zu vermitteln, damit „Solidarisierungseffekte“ auszulösen und dadurch auch die Betroffenen und ihr Umfeld zu stärken. Insgesamt wird erhofft, damit auf das gesamtgesellschaftliche Klima im Sinne einer Verbesserung der Position der Betroffenen(gruppen) einzuwirken (b-OBS B 1, 138155). Erste Zielsetzung von Team B ist es, den Betroffenen und sein Umfeld bei der Aufarbeitung des Erlebten zu unterstützen (b-OBS B 1, 266-268). Daraus können sich für Team B dann auf Nachfrage weitere Maßnahmen entwickeln, also etwa die Unterstützung bei der juristischen Aufarbeitung der Tat oder die Unterstützung bei medizinischen, psychologischen oder finan- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 234 ziellen Problemen der betroffenen Personen oder bei einem von ihnen ausgehenden Interesse, vor Ort aktiv zu werden (b-OBS B 1, 269-277). Darüber hinaus wird zweitens im Rahmen eines weiteren Zielbündels versucht, die Situation vor Ort, aus der der Übergriff hervorging, zu beeinflussen, dazu zunächst die Betroffenen zu stärken und sie bei der Wahrnehmung ihrer Interessen zu unterstützen (b-OBS B 1, 295-306). Drittens zielt die Arbeit von Team B auf eine Sensibilisierung in der Öffentlichkeit und auf den, „manchmal leider sehr wenig erfolgversprechenden“ Versuch, dort auch Solidarisierungsprozesse für die Betroffenen rechtsextremer Gewalttaten „bei gleichzeitiger klarer Distanzierung von den Tätern“ anzuregen (b-OBS B 1, 306-322). Im Vergleich zeigt sich, dass die Aufträge und Ziele beider Kleinteams weitgehend identisch sind, wobei als Hauptauftrag und Ausgangspunkt aller weiteren Aktivitäten die Beratung von Betroffenen rechtsextremer Übergriffe im Mittelpunkt steht. Dazu entwickeln beide Projekte Zielsetzungen, die zentral auf eine Aktivierung der Klienten im Rahmen einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ ausgerichtet sind. 5.1.3 Zielgruppen Team A betreut überwiegend „nicht-rechte“ Jugendliche (b-OBS A 1, 348-362; b-OBS A 2, 772-785), da es durch den jugendlichen Habitus der Mitarbeiter/innen und deren ehrenamtliche Betätigung vor und während ihrer Tätigkeit als Opferberater/innen in einem örtlichen Jugendverein eine Nähe und enge persönliche Verbindungen zur örtlichen Jugendszene gibt (bOBS A 1, 2151-2154). Der geringere Kontakt zu Asylbewerbern bzw. Migranten wird bei Team A dadurch begründet, dass niemand im Team Migrant sei. Es sei insgesamt schwierig gewesen, Kontakte zu Asylbewerberheimen aufzubauen und nur dadurch ansatzweise gelungen, dass eine dort lebende Kontaktperson das Team auf in ihrem Heim lebende Betroffene aufmerksam gemacht habe. Seitdem diese Person dort nicht mehr lebe, sei der Kontakt wieder abgebrochen. Ein erneuter Kontaktaufbau sei derzeit nicht zuletzt ein Zeitproblem, zumal der Kontaktaufbau zu Asylbewerbern „noch ein Stück weit schwieriger“ sei „als bei den Jugendlichen“ (b-OBS A 2, 787-807; vgl. auch b-OBS A 1, 198-199) Außerdem sei es auch nie gelungen, Kontakte zu Aussiedlern aufzubauen (b-OBS A 1, 1694- 1695). Bei Team B sind dagegen die Hauptzielgruppen Asylbewerber/Flüchtlinge bzw. Migranten und „nicht-rechte“ Jugendliche ungefähr gleich stark vertreten, außerdem wurden in Einzelfällen Betroffene rechtsextremer Straf- und Gewalttaten aus den Gruppen der Obdachlosen und der Homosexuellen betreut (b-OBS B 1, 278-292). Bei Team B lässt sich zudem eine Ausweitung der Tätigkeit in den Bereich allgemeine Flüchtlingsberatung beobachten, wobei dies aber vor allem darauf zurückzuführen ist, dass es Beratungsangebote für Flüchtlinge in den ländlichen Regionen, in denen Team B tätig ist, kaum gibt und diese Funktion deswegen kompensatorisch vom Team in begrenztem Rahmen mit übernommen wird (b-OBS B 2, 363369) Im Vergleich zeigt sich bei der Erreichung der Zielgruppen ein deutlich unterschiedliches Profil. Während Team A sich aufgrund der dort vorhandenen Netzwerke weitgehend auf die Hauptzielgruppe der „alternativen Jugendlichen“ konzentriert, stehen bei Team B „alternative Jugendliche“ und Flüchtlinge bzw. Migranten als Hauptzielgruppen ungefähr gleichgewichtig im Mittelpunkt der Beratungstätigkeit. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 235 5.1.4 Fachliche Grundprinzipien Von den Mitarbeiter/innen von Team A werden als Grundprinzipien die Freiwilligkeit und Sinnhaftigkeit der Beratung für den Betroffenen, die Transparenz der Beratung durch permanente Rückkoppelungen und die Aktivierung von Eigenaktivitäten genannt (b-OBS A 2, 576594). Dabei geht es wie in den meisten Interviews vor allem um die Vermittlung von „Hilfe zur Selbsthilfe“, hier im Sinne einer Aktivierung der Klienten (b-OBS A 1, 1174-1214, 13521389). Dies geschieht auf der Grundlage einer non-direktiven, klientenzentrierten Haltung, die die Beratungsschritte nach außen hin transparent macht, die Wünsche und Vorstellungen des Betroffenen als Ausgangspunkt aller Aktivitäten ansieht und die Entscheidungsverantwortung den Klienten zuschreibt (b-OBS A 1, 1097-1106). Die fachlichen Grundprinzipien sind auch bei Team B stark vom Rahmenkonzept „Opferperspektive“ bestimmt. Als zentrales Element wird auch hier die Aktivierung der Klienten im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe herausgestellt, was unter anderem durch aktivierende Aktionen, wie ein bereits zweimal durchgeführtes Jugendcamp erreicht werden soll. Durch derartige aktivierende Aktionen würden häufig Impulse freigesetzt, die zu einer Überwindung der Opferrolle und zur Verarbeitung der erlittenen Tat beitrügen (b-OBS B 1, 845-852) Der Vergleich ergibt eine deutliche Übereinstimmung der fachlichen Grundprinzipien, die aus dem gemeinamen Rahmenkonzept „Opferperspektive“ abgeleitet werden. 5.1.5 Tätigkeitsfelder Das wesentliche Tätigkeitsfeld bei Team A ist die Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt durch Beratung und Begleitung (b-OBS A 1, 703-706). Der Zugang ist aufsuchend; die Fälle werden meist über Kooperationspartner bekannt, seltener durch Recherche ermittelt (b-OBS A 2, 868-873). Dabei wird ein weiter Gewaltbegriff zugrunde gelegt, der neben Körperverletzungen auch Diskriminierungen umfasst (b-OBS A 2, 898-910). Da aber die Diskriminierungen, sieht man einmal vom Nahumfeld des Teams ab, nach Darstellung der Mitarbeiter/innen in der Regel nicht bekannt werden, handelt es sich in der Regel um Körperverletzungsdelikte oder versuchte Körperverletzungsdelikte (b-OBS A 2, 912-916). Neben dem Bereich der Beratung ist Team A zusätzlich in der Mobilisierung des Umfeldes der Betroffenen tätig (b-OBS A 1, 1395-1485). Dabei werden größere Schwierigkeiten gesehen. Die Betroffenen wollten das nicht und es sei auch gar nicht wünschenswert, dass „mir dann fremde Leute helfen die ganze Zeit“ (b-OBS A 1, 1477), da dadurch die Eigenständigkeit gefährdet sei. Es werden aber Möglichkeiten gesehen und auch angeboten, Betroffene in bestehende Strukturen (zum Beispiel alternative Jugendzentren) zu integrieren, sofern sie das wünschen (b-OBS A 1, 1459-1460). Im Mittelpunkt von Mobilisierung steht eindeutig ein zweiter Aspekt, die auf Kommunen bezogenen Mobilisierungsmaßnahmen zur Veränderung des politischen Klimas im Rahmen kommunaler Interventionen. Dazu wird Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt und Vernetzung betrieben (b-OBS A 1, 703-746). Die Mobilisierungsmaßnahmen in Kommunen sind bei Team A stark bewegungsförmig bzw. kampagnenmäßig orientiert. Eine wesentliche Zielsetzung ist der Aufbau einer „Gegenkultur“ (b-OBS A 1, 443), insbesondere durch Förderung alternativer Jugendvereine (b-OBS A 1, 390-391), wobei im zurückliegenden Jahr ein neuer CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 236 Impuls durch die Beteiligung an einem alternativen Jugendcamp gesetzt wurde (b-OBS A 1, 2058-2093). Die eigene Strategie vor Ort ist dabei gelegentlich konfrontativ, was in einem Ort der Region zu einer Polarisierung zwischen den alternativen Jugendvereinen, der Netzwerkstelle und wohl auch Team A auf der einen und der kommunalen Öffentlichkeit, insbesondere dem Bürgermeister, auf der anderen Seite geführt hat (b-OBS A 1, 1453-1631). Das dritte Tätigkeitsfeld Vernetzung bedeutet für Kleinteam A vor allem eine Bündnisbildung gegen den Rechtsextremismus im Rahmen einer Einbeziehung von Gleichgesinnten zur gemeinsamen Strategiebildung (b-OBS A 1, 610-619). Team A stellt dafür Ressourcen zur Verfügung, hält sich dann aber weitgehend aus dem laufenden Betrieb heraus. Engere Kooperationsbeziehungen über das CIVITAS-Programm hinaus (vor allem mit dem für die Region zuständigen Mobilen Beratungsteam und den beiden in der Region angesiedelten Netzwerkstellen) gibt es nur mit einem Netzwerk links-alternativer Jugendvereine bzw. -gruppen im Rahmen mindestens einmal monatlich stattfindender „Campagnen-Treffen“ (b-OBS A 1, 2095-2129). An erster Stelle unter den Tätigkeitsfeldern steht auch bei Team B die Beratung und Begleitung von Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten. Auch in Team B wird dabei ein weiter Gewaltbegriff, der auch institutionelle Diskriminierungen einschließt, zugrundegelegt (bOBS B 1, 506-510). Ähnlich wie Team A erfährt auch Team B von den meisten Übergriffen zumindest am Standort durch Kooperationspartner (b-OBS B 2, 451-452). Eine wesentliche Rolle bei den Aktivitäten von Team B spielt nach eigenem Bekunden der präventive Bereich im Sinne einer „Stärkung einer alternativen Lebenskultur“ vor Ort (bOBS B 2, 146). Eine Schlüsselaktion ist die jährliche Durchführung eines großen Jugendcamps, zu dem Personen eingeladen werden, die selbst von rechtsextremer Gewalt betroffen waren bzw. die das Team über die Opferberatung kennengelernt hat. Im Jahre 2003 nahmen an dem betreffenden Camp 350 Personen teil, wobei die Teilnehmer/innen in der Hauptsache alternative, „nicht-rechte“ Jugendliche waren (b-OBS B 2, 171-180). Von dem Camp und die dadurch bewirkte Vernetzung und den dabei stattgefundenen Informationsaustausch sollen aktivierende Impulse ausgehen, da diese nachhaltig dazu beitragen könnten, die Opferrolle zu überwinden (b-OBS B 2, 221-228). Ein zweite Großaktion des Teams ist eine ebenfalls jährlich durchgeführte „Heimtour“, bei der alle Flüchtlingsheime der Region besucht und Informationsveranstaltungen durchgeführt werden (b-OBS B 2, 370-390). Bei dieser Gelegenheit werden dem Team rechtsextreme Übergriffe bekannt, die vor Ort dann in Beratungen einmünden. Die beiden Großaktionen sind Teil einer umfangreichen Netzwerkarbeit des Teams, mit deren Hilfe zum einen Informationen zu rechtsextremen Übergriffen gesammelt werden, zum anderen eine gemeinsame Bündnisarbeit „gegen Rechts“ durchgeführt werden soll (b-OBS B 2, 739-745). Darüber hinaus betreibt das Team eine intensive Öffentlichkeitsarbeit (b-OBS B 2, 778-897). Das Gesamtprojekt erstellt einen Pressespiegel, der allen Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt wird. Jedes Regionalbüro erstellt darüber hinaus für seine Region eine Chronik rechtsextremer Übergriffe, die auf den Internetseiten des Gesamtprojekts veröffentlicht wird. Außerdem wird fallbezogen und zu allgemeinen Themen (zum Beispiel zur Gutscheinregelung für Asylbewerber), die „eigentlich größtenteils“ einen Bezug zum Rahmenkonzept Op- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 237 ferperspektive hätten, informiert, wobei die als sachlich beschriebene Berichterstattung in der Öffentlichkeit häufig als Provokation angesehen werde (b-OBS B 2, 863-879). Zusätzlich hat Team B in den letzten beiden Jahren versucht, für das Thema Rechtsextremismus in lokalen Zusammenhängen zu sensibilisieren. Man ging davon aus, man könne über die Thematisierung der Gewalttat „eine Empörung auslösen“ und dadurch „gesellschaftliche Veränderungen bewirken“ (b OBS B, 1135-1140). Weiter war beabsichtigt, zivilgesellschaftliche Akteure dazu zu befähigen, „Partei für die Opfer zu ergreifen und letztendlich in ihrer Region was zu verändern“ (b OBS B, 1142). Diese Bemühungen seien allerdings vor allem in kleineren Städten auf wenig Gegenliebe gestoßen, hätten vielmehr eher Abwehr hervorgerufen (b-OBS B 2, 1169-1179). Ein Vergleich der Tätigkeitsfelder zeigt, dass beide Teams sich im wesentlichen in identischen Arbeitsfeldern betätigen, diese aber zum Teil unterschiedlich gewichten. Team A stuft stärker als Team B die direkte Beratung als seinen Schwerpunkt ein, sieht daneben auch Prävention und Vernetzung als weitere Aufgabenbereiche. Dagegen ist Team B stärker im präventiven Bereich tätig und führt in diesem Bereich jährlich zwei Großaktionen durch, von denen aktivierende Impulse ausgehen sollen: das Jugendcamp und die „Heimtour“. Die Öffentlichkeitsarbeit von Team A ist stärker fallbezogen ausgerichtet, während Team B neben der fallbezogenen Öffentlichkeitsarbeit auch öffentliche Diskurse mitgestalten will und dazu eine ausgedehnte thematisch ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit betreibt. 5.1.6 Ergebnisse Bei Team A werden Erfolge bzw. Misserfolge zunächst im Zusammenhang mit der Beratungstätigkeit verortet. Als konkreter Erfolg wird ein im Sinne der Betroffenen positiver Ausgang eines Straf- bzw. eines Zivilprozesses herausgestellt. Umgekehrt wird eine Verfahrenseinstellung oder ein unbefriedigender Prozessverlauf als Misserfolg begriffen (b-OBS A 1, 2268-2286). Da die Tätigkeit vom Selbstanspruch auf eine Verringerung rechtsextremer Gewalt zielt, werden auch „neue Angriffe“ als Misserfolge gewertet. Auf der anderen Seite gilt als Erfolg, dass ein in der Region gelegenes, von einem rechtsextremen Jugendverein gegründetes Jugendhaus geschlossen wurde, was, wenn auch nur als „kleines Puzzlestück“, auf die Aktivitäten der eigenen Opferberatungsstelle zurückgeführt wird. Insgesamt, so ein Mitarbeiter von Team A, seien Erfolge „viel aus der Arbeit zu ziehen, einfach auch mal Dankbarkeit annehmen, wenn die Leute einfach froh sind.“ (b-OBS A 1, 2310-2311) Als ein zentrales Ergebnis der zweijährigen Projektarbeit wird von zwei Mitarbeiter/innen von Team A konstatiert, dass eine Struktur etabliert worden sei, „die in der Lage ist, Betroffenen von rechter Gewalt Unterstützung anzubieten und sie auch real zu unterstützen mit allem, was das beinhaltet (b-OBS A 2, 2063-2065). Außerdem sei es gelungen, das Thema gelegentlich in die lokalen Medien zu bringen und dadurch dafür zu sensibilisieren, dass es rechtsextreme Gewalt auch in der eigenen Heimatstadt gebe: „Nicht kontinuierlich, aber in der Regel fallbezogen. Also dass es Thema ist. Das heißt, dass die Leute, die nicht unmittelbar damit befasst sind, trotzdem die Möglichkeit haben, wenn sie Zeitung lesen oder Radio hören, mitzubekommen: ‚Ja, das ist nicht irgendetwas, was sich nur Anfang der 90er oder nur in Rostock-Lichtenhagen abgespielt hat. Sondern rechte Gewalt gibt es auch in meiner Heimatstadt’.“ (b-OBS A 2, 2063-2070) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 238 Als wesentlicher Erfolg wird außerdem hervorgehoben, dass es gelungen sei, Einfluss auf die Strafverfahren zu nehmen und im Ermittlungsverfahren (zum Beispiel bei der Anzeigenaufnahme) und im Strafprozess die Stellung der Opfer zu stärken: „Dass das Gewicht der Betroffenen größer wird. Über die Vorbereitung der Prozesse gelingt es einfach, dass die Aussagen besser werden vor Gericht, dass die Leute besser mit der Situation vor Gericht umgehen können. Also das, was ohnehin eigentlich passieren müsste, wo es aber keine Institution oder nur zu wenige gibt, die diese Arbeit leisten. Die aus unserer Sicht aber wichtig ist, damit der Strafprozess auch diese Wirkung hat. Also in Richtung Gerechtigkeit oder auch einen Ausgleich herbeizuführen. So dass es nicht nur um irgendwie eine Aburteilung geht, sondern dass die Leute auch wirklich ernst genommen werden. Da passiert zu wenig und da wird vieles verrissen. Schon im Ermittlungsverfahren. Das hatte ich ja schon angesprochen, was auf den Polizeirevieren so passiert bei der Anzeigenaufnahme. Aber das sehe ich auf alle Fälle als Erfolg, dass das in den Fällen, wo wir dran waren in Prozessen, gelungen ist, da was beizutragen.“ (b-OBS A 2, 2090-2100) Außerdem sei es zwar „nicht flächendeckend“, aber „teilweise“ gelungen, das Projekt bekannt zu machen und als Ansprechpartner für interessierte Zeitgenossen zu fungieren. Als weiteres Ergebnis wird vom Kleinteam betont, dass es gelungen sei, „bestimmte Einzelpersonen zu sensibilisieren und zu aktivieren, am Thema dranzubleiben und in gewisser Weise mitzuarbeiten.“ (b-OBS A 2, 2114-2116) Es sei allerdings nicht gelungen, „die Situation grundlegend zu verändern in den zwei Jahren“, im Sinne des Fernziels, auf eine Gesellschaft hinzuwirken, in der alle Menschen frei und gleichberechtigt leben können, und sich dadurch als Projekt überflüssig zu machen. Dies sei aber auch realistisch nicht zu erwarten gewesen (b-OBS A 2, 2116-2127). Außerdem sei es nicht gelungen, „flächendeckend im Beratungsgebiet tätig zu sein“ (b-OBS A 2, 2138-2139). Als Ergebnisse ihrer Arbeit werden von den Mitarbeiter/innen von Team B kleinere gelungene Beratungs-, Begleitungs- und Unterstützungsprozesse hervorgehoben. Aus dem Kontaktnetzwerk, das auf dem Jugendcamp geknüpft worden sei, sei zum Beispiel eine Jugendgruppe an Team B herangetreten, weil sie sich an ihrem Wohnort in der Debatte um ein neu einzurichtendes Flüchtlingsheim (als Folge des „Dschungelheimerlasses“, durch den die bisher abgelegenen Asylbewerberheime in Städte verlegt werden sollen, was dort eine Fülle von Widerstand und Ablehnung hervorgerufen hat) engagieren wollten. Team B habe die Jugendgruppe bei diesem Wunsch unterstützt und daraus sei eine eigene Aktion mit eigener Pressearbeit der Jugendgruppe entstanden: „Die Gruppe, mit der wir gearbeitet haben, ist dann von sich aus auf uns zugekommen, weil sie sich dort von einer sehr stark rassistischen Diskussion um ein einzurichtendes Flüchtlingsheim engagieren wollten und uns angefragt haben. Und bei sich dort vor Ort selber Veranstaltungen organisiert hat und Pressearbeit gemacht hat. Das wir von außen weiterhin begleitet haben, aber wo sie letztendlich von sich aus aktiv geworden sind ohne dass wir das angeregt hätten. Also, wir sind nicht hingegangen und haben gesagt, überlegt euch doch mal, wie ihr euch dazu verhalten wollt, was euer Bürgermeister hier für Sprüche gemacht hat. Da hat der im 92er Jargon von Wirtschaftsflüchtlingen und ähnlichem gesprochen. Eine Sache mit der wir hier ganz stark konfrontiert sind, so ein rassistisch motivierter Bürgerprotest gegen Flüchtlingsheime. In vielen Orten in ((Bundesland)) unter anderem auch dort in ((Stadtname)). Das finde ich schon einen ganz wichtigen Punkt, dass sie sich dann dort bei sich am Gymnasium bemüht haben, Veranstaltungen zu organisieren, die wir mit ihnen zusammen inhaltlich ausgestaltet haben. Und dann dort auch eine lokale Pressearbeit gemacht haben und einfach eine andere Sicht auf dieses Thema dort das erste Mal überhaupt in die Diskussion CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 239 gebracht haben in der Stadt. Finde ich schon sehr erfolgreich. Das würde ich dann schon als so einen Erfolg in so einem Beratungs-, Begleitungs-, Unterstützungsprozess ansehen.“ (bOBS B 1, 854-882) Auch die „Heimtour“ und die durch sie bewirkten aktivierenden Effekte, indem die Veranstaltungen von den Insassen der Flüchtlingsheime organisiert wurden, wird von einer Mitarbeiterin von Team B als Erfolg hervorgehoben: „Na, es ist ja schon einmal, wenn man sich das bei den Flüchtlingen anguckt, wenn wir letztes Jahr, wenn wir 2001 angefangen haben, Ende des Jahres die Heimtour gemacht haben, war es ja schon eine Selbstorganisation in dem Sinne, dass sie die Veranstaltungen vor Ort alle selber organisiert haben. Es war ja nicht so, dass wir ihnen gesagt haben, da ist der Raum, das haben wir ja nicht gemacht, sondern das haben die Flüchtlinge alles selber gemacht. Sie haben die Aushänge gemacht, sie haben die Leute eingeladen. (...) Ja, es war eine Tour. Wir haben gesagt, wir machen so eine Tour und jedes Flüchtlingsheim, das möchte, dass wir vorbeikommen, sagt Bescheid und kümmert sich um Raum, dass die Leute da sind, macht die Aushänge und so was alles. Also, es war ja in dem Sinne schon eine Selbstorganisation, wenn man das als Erfolg so sehen will.“ (b-OBS B 2, 700-709) Über diese beiden Einzelbeispiele hinaus werden Erfolge darin gesehen, dass in Ansätzen eine Vernetzung von Selbsthilfeansätzen „tatsächlich gelungen“ sei. Es handele sich um „Ansätze, noch keine sehr arbeitsfähigen Strukturen“, wofür das Jugendcamp „ziemlich bezeichnend“ sei und deshalb unbedingt wiederholt werden sollte (b-OBS B 2, 1561-1566). Erfolge werden auch darin gesehen, „in der Opferberatung im engeren Sinne praktische Hilfe geleistet zu haben. Ist immer wieder ein Erfolg. Oder auch erfolgreiche Gerichtsprozesse, in denen es dann mit Hilfe einer Nebenklage gelungen ist, tatsächlich die Hintergründe der Tat zu benennen. Oder den Betroffenen einfach Genugtuung, dass die Täter dann eben eindeutig als Rassisten benannt werden. Das sind ganz klar Erfolge.“ (b-OBS B 1, 1568-1570) Misserfolge, die nach Darstellung eines Mitarbeiters „eigentlich vorprogrammiert“ waren, werden daran festgemacht, dass eine „Situationsveränderung vor Ort“ nicht so leicht möglich sei wie man ursprünglich angenommen hatte, man vielmehr oft „gegen eine Mauer der Ignoranz“ anrenne. Dagegen sei es gelungen, Einzelpersonen in kommunalen Zusammenhängen zu unterstützen bzw. zu sensibilisieren: „Und wir im Laufe der Zeit mitkriegen, dass wir einfach sehr oft gegen eine Mauer von Ignoranz anrennen. Das haben wir uns sicher leichter vorgestellt. Und da haben wir auch in unseren Auswertungen, was wir vor Ort bewirkt haben, müssen wir oft feststellen: wir haben für einzelne Kreise was bewirkt, einzelne Leute unterstützt, einzelne Leute auch zum Denken angeregt oder möglicherweise unter Druck gesetzt und zum Nachdenken gezwungen. Aber in breite gesellschaftliche Kreise hineinwirken ist doch wesentlich schwieriger als wir uns das eigentlich vorgestellt haben ursprünglich. Das ist nun aus meiner jetzigen Analyse, würde ich sagen, kein Misserfolg, sondern es ist logisch, das es so ist. Aber wenn wir gucken, wier wir an die Arbeit herangegangen sind, mit was für Vorstellungen über Erfolge, Ergebnisse, dann könnte man schon sagen, das ist ein Misserfolg.“ (b-OBS B 1, 1542-1551) Misserfolge werden in ähnlicher Weise von einem anderen Mitglied des Kleinteams darin gesehen, dass es nur selten gelungen sei, das Problem rechtsextreme Gewalt in kommunalen Zusammenhängen so zu thematisieren, dass es anerkannt und damit verantwortungsbewusst umgegangen werde: „Und das würde ich auch noch gerne mit aufgreifen, das ist nämlich dass, was ich vorhin noch sagen wollte, dass ich irgendwie an meine politische Tätigkeit die ich unter anderem auch im ((Opferberatungsstelle)) ausübe, mit so einer Illusion daran gegangen bin, irgendwie CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 240 den Menschen zu verändern. Also, den Menschen auch irgendwie durch die Gewalttat, dass der sich empört über diese Gewalttat, dass er darüber auch mitkriegt was für Prozesse überhaupt ablaufen in seinem sozialen Umfeld, in seiner Kommune, in seiner Stadt und darüber irgendwie eine Erkenntnis und eben eine Selbstreflexion anzuregen. Eigene Rassismen eben auch irgendwie bei sich zu entdecken, solche Geschichten. (...) Und das ist halt irgendwie eine Seltenheit aus der Erfahrung unserer Arbeit, dass wir als Opferberater meinetwegen in diese Situation kommen wie auch immer, vorhin war es Schule, es kann die Kommune sein oder ein Sportclub, dass wir in so eine Situation reinkommen und dort anerkannt wird, dass dieses Problem da ist und dass dann irgendwie verantwortungsbewusst mit diesem Problem umgegangen wird.“ (b-OBS B 2, 1206-1220) Ein Grundproblem scheint dabei zu sein, dass die Mitarbeiter/innen von Team B ihre Arbeit als „politische Tätigkeit“ auffassen und die Absicht hatten, „den Menschen zu verändern“. Derart unrealistische Großzielsetzungen können nur zu einem Misserfolg der Projektarbeit führen. Ein Vergleich der Ergebnisse zeigt, dass beide Projekte Erfolge wie auch Misserfolge vor allem im Bereich von Einzelfällen, also bei einzelnen gelungenen oder mißlungenen Beratungs- bzw. Begleitungsprozessen oder bei einzelnen Vernetzungszusammenhängen bzw. Öffentlichkeitsaktionen verorten. Dagegen ist es beiden Teams nach eigenem Bekunden nicht gelungen, durchgreifende Veränderungen des politischen Klimas im Sinne einer Anerkennung des Themas Rechtsextremismus bzw. rechtsextreme Gewalt zu erreichen. 5.1.7 Zusammenfassender Vergleich der beiden Kleinteams Die Beschreibung der beiden Kleinteams zeigt, dass es sich bei den untersuchten Teams um zwei relativ ähnliche Varianten des Rahmenkonzepts „Opferperspektive“ handelt. Die Auffassung des Auftrags und der Zielsetzungen sind weitgehend identisch. Auch die fachlichen Grundprinzipien (Parteilichkeit, Hilfe zur Selbsthilfe und Aktivierung) decken sich. Diese weitgehende Übereinstimmung der Aufträge und Zielsetzungen, der fachlichen Grundprinzipien und der Arbeitsfelder lässt sich mit dem Einfluß des Ausgangsmodells „Opferperspektive Brandenburg“ erklären, das bei beiden Projektkonzepten ‚Pate gestanden’ hat. Deutliche Unterschiede zeigen sich bei der Zielgruppenerreichung. Team A konzentriert sich sehr stark auf die Zielgruppe, der auch das Mitarbeiterteam von Herkunft und Habitus her angehört: „alternative“, „nicht-rechte“ Jugendliche. Team B hat dagegen einen breiteren Zugang zu den potentiellen Zielgruppen gefunden und insbesondere auch gute Kontakte zu Flüchtlingen und Migranten aufgebaut. Unterschiede in den Arbeitsfeldern liegen zum einen darin, dass Team A stärker als Team B die direkte Beratung als seinen Schwerpunkt einstuft, daneben auch Prävention und Vernetzung als Aufgabenbereiche sieht. Dagegen ist Team B stärker als Team A im präventiven Bereich tätig und führt in diesem Bereich jährlich zwei Großaktionen durch, von denen aktivierende Impulse ausgehen sollen: das Jugendcamp und die „Heimtour“. Die Öffentlichkeitsarbeit von Team A ist stärker fallbezogen ausgerichtet, während Team B neben der fallbezogenen Öffentlichkeitsarbeit auch öffentliche Diskurse mitgestalten will und dazu eine ausgedehnte thematisch ausgerichtete Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Beide Teams sind im Rahmen von kommunalen Interventionen engagiert, um die dortige lokale Situation im Sinne der Betroffenen zu beeinflussen. Diese lokalen Engagements sind zum Teil ohne greifbares Ergebnis steckengeblieben bzw. haben zu einer Polarisierung ge- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 241 führt (wie bei Team A) oder sind zum Teil im Sinne einer Veränderung des lokalen Klimas wirkungslos verpufft (wie bei Team B). Die von den Kleinteams konstatierten Ergebnisse ihrer Arbeit beziehen sich auf Erfolge im Kleinen, also bei der Beratung und Begleitung der Betroffenen und bei einzelnen Beratungsprozessen im Bereich der Umfeldarbeit. Außerdem ist es beiden Projekten ihrer Einschätzung nach gelungen, einzelne Netzwerke von Betroffenengruppen zu bilden und einzelne Selbstorganisationen zu stärken, allerdings überwiegend im Jugendbereich. Beide Teams konstatieren, dass es ihnen in der kurzen Zeit von zwei Jahren nicht möglich gewesen sei, das gesellschaftliche Klima in ihren Tätigkeitsregionen im Sinne einer Anerkennung des Problems Rechtsextremismus und einem Nachlassen entsprechender Übergriffe zu verändern. Bei Team B hat in diesem Zusammenhang eine Diskussion über den von ihm verfolgten Ansatz kommunaler Interventionen bzw. die damit verbundenen politischen Implikationen eingesetzt, die noch nicht abgeschlossen ist. 5.2 Die Untersuchung der beiden Kleinteams aus der Außenperspektive In einem zweiten Schritt wurde die Außenwahrnehmung der beiden Kleinteams durch Befragungen von Kooperationspartnern, zum Teil solchen mit Expertenwissen, untersucht. Dabei standen folgende Themen im Vordergrund: • Beurteilung des Bedarfs für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten; • Beurteilung des Bekanntheitsgrades; • Tätigkeitsfelder/Zielgruppen/Beurteilung des Angebots; • Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit; • Beurteilung des Beratungsansatzes; • Beurteilung der Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen; • Ergebnisse/Veränderungen/Resonanz/Reaktionen; • Weitere Anregungen an die Projektarbeit. 5.2.1 Beurteilung des Bedarfs für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten Der Bedarf für eine derartige Beratungsstelle wurde von den meisten Kooperationspartnern bzw. Experten von Team A bestätigt. Ihre Existenz ist aus dem Blickwinkel eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung „sehr notwendig“, zumal es im Bereich der hauptamtlichen Tätigkeit mit oder für Flüchtlinge bzw. Migranten am Standort des Teams ansonsten kaum entsprechende Beratungsstellen bzw. vergleichbare Einrichtungen gebe (c-OBS A, Koop 1). Vor allem eine Entlastungsfunktion sieht die befragte Vertreterin einer anderen örtlichen Opferberatungsstelle in der Arbeit von Team A. Besonders in ihren ersten Tätigkeitsjahren 1999 CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 242 und 2000, als es Team A noch nicht gab, sei sie von Klienten „überrollt“ worden (c-OBS A, Koop 6). Der Bedarf für die Tätigkeit und die Notwendigkeit des Projektes ist auch aus Sicht eines Vertreters einer weiteren Opferberatungseinrichtung gegeben, vor allem wegen der Größe der Region und der Entwicklung des grenznahen Raumes in Vorbereitung der EUOsterweiterung (c-OBS A, Koop 10). Auch der Vertreter eines landesweit tätigen Netzwerkes hält den Bedarf für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt für gegeben, da er nicht wisse, auf wen er bei Übergriffen verweisen solle (c-OBS A, Koop 5). Bedarf gibt es auch aus Sicht des befragten Polizeivertreters „eindeutig“, auch wenn die rechtsextreme Gewalt zur Zeit stagniere bzw. leicht rückläufig sei und die entsprechenden Delikte insgesamt nicht mehr so schwer und nicht mehr so häufig aufträten (c-OBS A, Koop 9). Nach Feststellung eines Experten aus dem Bereich der örtlichen Justizbehörden, der für die Gewaltdelikte im Bereich der rechtsextremen Straftaten zuständig ist, hat sich die Zahl der Strafverfahren wegen rechtsextremer Gewalttaten in den letzten Jahren drastisch reduziert.3 Dies wird vor allem als Ergebnis der hohen Aufklärungsquote, der schnellen Aburteilung und der hohen Strafen in Verbindung mit Schadenersatzauflagen gesehen, wodurch eine abschreckende Wirkung erzielt worden sei. Diese Entwicklung sei jedoch kein Argument gegen die Arbeit von Team A, das seine Arbeit fortsetzen sollte, da man nicht wissen könne, wie die Entwicklung weitergehe, und weil viele Straftaten gerade im Jugendbereich nach wie vor nicht bekannt bzw. angezeigt würden. In der Stimulierung der Anzeigebereitschaft liegt für den juristischen Experten eine wichtige Funktion von Team A (c-OBS A, Koop 8). Auch die befragten Kooperationspartner und Experten von Team B bejahten weitgehend den Bedarf für die Tätigkeit des Teams am Standort und in der Region: „Ja auf alle Fälle. Also in ((Stadtname)) selber sowieso und in ((Stadtname)) Umgebung, glaube ich, noch mehr. Denn ((Opferberatungsstelle)) macht ja auch Arbeit über die reine Betreuung hinaus, also Weiterbildung und sowas, also, ich glaube, es ist schon total wichtig, also Weiterbildung, Artikel schreiben.“ (c-OBS B, Koop 4, 134-136) Dies sei auch deshalb so, weil es am Standort ansonsten kaum kompetente Ansprechpartner für das Thema gebe, wie ein Kooperationspartner aus dem Bereich der Migrantenarbeit bemerkte (c-OBS B, Koop 5, 408-416). Auch ein Experte aus der Landespolitik unterstreicht nachdrücklich den Bedarf für die Tätigkeit der Opferberatungsstelle: „Ich glaube das gibt es in jeder Region. Ich würde schon sagen, dass das ein absolut vernachlässigtes Problem im Rahmen der gesamten Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist. Normalerweise gibt es ja diese Täterfixierung. Insofern halte ich das schon für einen richtigen Fortschritt, dass es so etwas gibt.“ (c-OBS B, Koop 7, 36-39) Nach Wahrnehmung eines weiteren Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung ist der Bedarf im Rahmen der Beratungsarbeit im engeren Sinne nicht gegeben, da die Zahl der Op- 3 Die Anzahl der Beschuldigten rechtsextremer Gewalttaten im Landgerichtsbezirk von Team A betrug im Jahr 1998 18 Personen, 1999 11 Personen, 2000 zwei Personen, 2001 neun Personen, 2002 und 2003 null Personen. Die Anzahl der Verfahren betrug 1998 fünf, 1999 sechs, 2000 eins, 2001 sechs Verfahren; in den Jahren 2002 und 2003 wurden keine Verfahren durchgeführt. (Briefliche Mitteilung des Leitenden Oberstaatsanwalts des entsprechenden Landgerichtsbezirks an den Verfasser, 1.10.2003) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 243 fer im „klassischen Sinne“ gering sei. Wichtig sei allerdings, dass der Tätigkeitsbereich von Team B nicht nur die Beratung von Opfern im engeren Sinn umfasse, sondern das Team in starkem Maße präventive, bewusstseinsbildende Arbeit leiste. In dieser Gesamtfassung mache das Tätigkeitsfeld „sehr wohl Sinn“ und sei auch eine „sinnvolle Ergänzung“ seiner eigenen Arbeit in der Stadtverwaltung: „Also ich denke, wenn man es auf die klassische Form – da kommt ein Opfer und ich berate dieses Opfer – wenn man es darauf reduzieren würde, glaube ich, ist so eine Beratungsstelle nicht gerechtfertigt. Da die Zahl derer, die eben in diesem klassischen Sinne Opfer sind, die Unterstützung brauchen, relativ gering ist. (...) Aber wenn man das erweitert in die präventive Arbeit, dass eben dazu auch gehört Öffentlichkeitsinformation, Informationsveranstaltung, am Bewusstsein der deutschen Mehrheitsbevölkerung zu arbeiten, dass eben eine humanitärere Einstellung zu Flüchtlingen..., egal wie ich im einzelnen dazu stehe, aber dass ich eben Gewalt im Umgang damit ausschließe. Wenn ich in die Schulen gehe und Projekte mache oder wenn ich in Kooperation mit anderen Vereinen und Initiativen dort versuche, Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Oder wenn ich eben auch in Migrantenvereinen, wo Migranten selber organisiert sind, berichte welche Möglichkeiten gibt es da, ermuntere, ermutige, auch bei einer in Anführungsstrichen kleinen Geschichte zu sagen, ich lasse mir das so nicht gefallen. Vom Opfer von Gewalttaten eben auch, sagen auch Leute, wenn ihr nicht Gewalt erlebt habt, aber Beschimpfung, Diskriminierung oder so was, kommt ruhig auch und wir können das besprechen. Wenn man es in diese Richtung erweitert, dann macht es sehr wohl Sinn und dann ist es auch eine sinnvolle Ergänzung mit meiner Arbeit hier.“ (c-OBS B, Koop 1, 71-93) Ein Experte aus der Landespolitik, zudem ein ausgewiesener Kenner der rechtsextremen Szene hält den Bedarf im Bundesland von Team B für rückläufig, da es eher einen „Rückgang von Gewalttaten gibt, jedenfalls was die politisch organisierten Kreise angeht, wie Kameradschaften und Parteigliederungen“, verbunden mit einem Strategiewechsel in der rechtsextremen Szene. Er verweist aber auf das fortbestehende Gewaltpotential, das aber gegenüber dem Anfang der neunziger Jahre abgenommen habe und auch weiter abnehme. Trotzdem stellt er ein Fortbestehen der Opferberatungseinrichtung von Team B nicht in Frage: „Also, da sehe ich eher einen rückgehenden Bedarf, nur das Problem ist ja, dass solche Einrichtungen, wenn man sie sich denn leisten will, ja so etwas wie eine Vorhaltefunktion oder Fixkostenproblematik haben, so dass man ja nicht analog zum Rückgang solcher Vorfälle diese Einrichtungen reduzieren kann. Also, insofern ist der Bedarf wahrscheinlich eher rückläufig in den letzten Jahren, aber ob das zu einem Zurückgehen der Gelder, die man in dem Bereich verausgaben will, führen kann, das würde ich mal bezweifeln.“ (c-OBS B, Koop 7, 7782) 5.2.2 Beurteilung des Bekanntheitsgrades Der Bekanntheitsgrad von Team A wird unterschiedlich beurteilt, wobei deutlich wird, dass er im ganzen offenbar „noch zu gering“ (c-OBS A, Koop 10) ist, wie ein Kooperationspartner aus der Beratungsarbeit resümiert. Es mangelt dem Projekt offenbar noch an einer wirklichen Breitenwahrnehmung, die über die Kreise der eigenen Kooperationsnetzwerke hinausreicht. Ein weiterer Kooperationspartner führt aus, der Bekanntheitsgrad sei „mittelmässig“, nicht alle würden das Projekt kennen, die es kennen sollten. Dies sei aber kein Kriterium gegen Team A, denn das habe auch mit „politischer Ablehnung“ in der Region zu tun (c-OBS A, Koop 1). Dagegen geht ein weiterer Kooperationspartner davon aus, Team A sei „sehr bekannt bei Leuten, die in diesen Zusammenhängen arbeiten“ (c-OBS A, Koop 4). Zum Teil besteht ein relativ geringer Bekanntheitsgrad auch bei potentiellen Zielgruppen. Jugendliche, die in einer 30 Kilometer vom Standort von Team A entfernten Kleinstadt lebten und Opfer CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 244 eines Anschlags geworden waren, wussten nach Darstellung eines Kooperationspartners nichts von der Existenz von Team A und mussten von diesem erst darauf aufmerksam gemacht werden (c-OBS A, Koop 4). Ein Kooperationspartner aus dem Bereich der Beratungsarbeit äußert die Wahrnehmung, dass „die Arbeit gar nicht so furchtbar nach außen dringt“, das sei aber bei Opferarbeit häufig so. Team A habe etwa einmal im Jahr „einen ganz großen Artikel“ in der Zeitung gehabt (im letzten Jahr zum Beispiel über die Situation in den Dörfern), den er „sehr gut“ fand und er wisse auch, dass der von allen Sozialarbeitern in der Gegend „beachtet und gelesen wurde“. Ansonsten werde Team A in der nicht-linken Szene „nicht so großartig wahrgenommen“ (cOBS A, Koop 6). Der Experte von der lokalen Polizeibehörde schätzt den Bekanntheitsgrad von Team A in der „linken Szene“ als gut ein, in der „rechten“ sei er das ebenfalls. Ein höherer Bekanntheitsgrad könne seiner Meinung nach „nicht schaden“ (c-OBS A, Koop 9). Die Bekanntheit von Team A in der breiteren Öffentlichkeit wird vom Vertreter eines landesweit tätigen Netzwerkes als eher gering eingeschätzt, was auf ein Desinteresse am Thema Rechtsextremismus und die Schwierigkeit, Presseveröffentlichungen zu lancieren, zurückgeführt wird: „Ich denke so bekannt ist es nicht, weil auch in der Bevölkerung das keine große Rolle spielt. Das Thema ist nicht so das allerwichtigste für viele. Öffentlichkeitsarbeit wird ziemlich viel gemacht, ((Opferberatungsstelle))-Infostände findet man bei ganz vielen Veranstaltungen und auch die Informationsmaterialien sind flächenmäßig breit gestreut.“ (c-OBS A, Koop 4) Die Bekanntheit von Team B wird je nach Bezugsgruppe unterschiedlich eingeschätzt. Bei Betroffenen bzw. potentiell Betroffenen sei sie in jedem Fall „da“ (c-OBS B, Koop 4, 92). In Fachkreisen, die zu den Themen von Team B arbeiten (Ausländerbeirat, Migrantenvereine, Initiativen, RAA) und in der Jugendszene sei Team B bekannt und geschätzt (c-OBS B, Koop 4, 285-294) bzw. „eine feste Größe und ein wichtiger Begriff“ (c-OBS B, Koop 1, 172-173) und inzwischen „Fachansprechpartner für dieses Thema“ an seinem Standort (c-OBS B, Koop 1, 177). Die Bekanntheit von Team B in der allgemeinen Öffentlichkeit wird dagegen als eher gering eingeschätzt, „weil die Präsenz in den Medien ist nun nicht so, dass jemand, der es nur über die Medien wahrnimmt, das in einer solchen Weise erfährt, dass sich das im Kopf fest setzt, ohne dass ich mich für dieses Thema interessiere (c-OBS B, Koop 1, 177187). Dies wird auch von einem Experten aus der Landespolitik bestätigt, der darin ein strukturelles Problem von entsprechenden Initiativen sieht, auf die die breitere Öffentlichkeit lediglich dann aufmerksam werde, „wenn irgendwas brennt“ (c-OBS B, Koop 7, 410-411). In räumlicher Hinsicht wird die Bekanntheit von Team B am eigenen städtischen Standort von einem Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich als „garantiert sehr gut“ angesehen, was auch darauf zurückzuführen sei, dass das Büro günstig in einem Viertel liege, „wo viele Initiativen sind“. Im ländlichen Bereich sei die Bekanntheit dagegen „relativ gering, was einfach damit zu tun hat, dass die Medien, die wir nutzen können, relativ wenig Tagespresse und solche Sachen sind, weil die sich relativ wenig für uns interessieren.“ (c-OBS B, Koop 3, 273-275) Ein anderer Kooperationspartner macht auf den Netzwerk-Charakter des Opferberatungsprojekts, dem Team B zugeordnet ist, aufmerksam, der dazu beitrage, dass das Projekt ein verlässlicher Partner sei. Das Projekt tue sehr viel für seine Bekanntheit, der Aufbau eines ge- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 245 wissen Bekanntheitsgrades sei aber nicht zuletzt „eine Frage der Zeit und der Beharrlichkeit“ in Verbindung mit einer kontinuierlichen Förderung (c-OBS B, Koop 5, 480-487). Ein weiterer Kooperationspartner betont, Bekanntheit sei „ein langsamerer Prozeß. Man kann nicht einen Verein gründen und innerhalb von zwei Jahren überall bekannt sein.“ (c-OBS B, Koop 8, 152-153) 5.2.3 Tätigkeitsfelder/Zielgruppen/Beurteilung des Angebots Was den Tätigkeitsbereich von Team A angeht, fällt bei Kooperationspartnern zunächst die Beratungsarbeit auf. Ein Kooperationspartner aus der Beratungslandschaft hat dabei den Eindruck, es kümmere sich um Opfer „aus linken Clubs“, die bei Festen überfallen werden, darüber hinaus lediglich in Einzelfällen um „Ausländer“ (c-OBS A, Koop 6). Diese Gewichtung sei auch begründbar, denn die Opfer rechtextremer Gewalt in der Region seien vorwiegend junge (nicht-rechte) Menschen in den Dörfern der Umgebung, bei denen es einen Unterschied zu anderen Opfergruppen gebe: Die Täter wohnten im Nahumfeld der Opfer (ähnlich wie bei häuslicher Gewalt), würden „ständig überfallen, verfolgt und bedroht“, zum Teil gebe es auch eine Ausweitung auf Familienangehörige (c-OBS A, Koop 6). Aus Polizeisicht wird das Aufgabenfeld von Team A für „sehr wichtig“ gehalten, besonders notwendig sei eine Ermunterung zur Anzeigeerstattung, denn gerade aus Kreisen „alternativer Jugendlicher“ kämen keine Anzeigen, außerdem seien vorbeugende Maßnahmen (Workshops, Vorträge) vonnöten (c-OBS A, Koop 9). In ähnlicher Weise betont der Experte aus dem örtlichen Justizwesen die wichtige Funktion von Team A als „Gegengewicht im Strafverfahren“ (b OBS 5, Koop 8). Gerade nach der Tat seien viele Opfer ratlos und überfordert und bedürften der moralischen Unterstützung bei der Bewältigung der Tatfolgen und der juristischen Aufarbeitung der Tat. Wichtig sei vor allem die Unterstützung und Begleitung bei der Anzeigeerstattung (insbesondere Betroffene aus der alternativen Jugendszene wollten mit der Polizei häufig nichts zu tun haben und erstatteten deswegen keine Anzeige) und vor Gericht als Beistand der betroffenen Personen (c OBS A, Koop 8). Ein Vertreter eines mit Team A kooperierenden landesweiten Netzwerkes beurteilt dessen Angebot als „sehr positiv“. Für Jugendliche im ländlichen Raum seien die Beratungsstellen allerdings schwierig zu erreichen, was aber durch die „sehr professionell und sehr hilfreich“ gestaltete Web-Site kompensiert werde, „weil dort viel geschrieben ist, wie man sich im konkreten Fall verhalten kann und warum es zum Beispiel notwendig ist, jeden Übergriff anzuzeigen und dann da auch ganz unproblematisch Kontakt hergestellt werden kann“ (c-OBS A, Koop 4). Neben der Beratungsarbeit kümmert sich Team A auch um die Unterstützung des Umfeldes der Opfer und leistet Lobbyarbeit für die Betroffenen im kommunalen Raum, unter anderem durch Öffentlichkeitsarbeit. Team A sei allerdings überwiegend an einschlägigen Stellen des Jugendbereichs bekannt, dagegen weniger im Bereich der Opferarbeit mit Flüchtlingen engagiert, wie ein Kooperationspartner aus dem Beratungsbereich hervorhebt. Er habe Team A einmal in eine benachbarte Stadt „gelockt“, weil er dort zusammen mit der Ausländerbeauftragten einen Integrationsrat gegründet habe, der sich für die Flüchtlinge einsetze und Team A dazugeholt, als man dort ein Asylbewerberheim besucht habe. Da seien sie „nur einmal“ mitgekommen, „ich hatte ihnen vorgeschlagen, dass sie die beiden anderen Heime mit besuchen kommen und das haben sie dann nicht gemacht, weil sie dann doch CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 246 chen kommen und das haben sie dann nicht gemacht, weil sie dann doch meinten, das wäre ihnen zu viel“ (c-OBS A, Koop 6). Auch ein anderer Kooperationspartner vermisst eine vertiefte Beschäftigung von Team A mit dem Flüchtlingsbereich, von daher decke das Angebot der Opferberatungsstelle „nicht ganz“ den Bedarf ab. Er vermisst zum Beispiel Aktivitäten, „um auf die Heimsituation aufmerksam zu machen, auf die Isolierung aufmerksam zu machen, warum passieren denn so viele Übergriffe, viele Menschen sind isoliert, auch in ((Stadtname)), ((Stadtname)) ist das praktische Beispiel wo ich gesagt habe, ihr als ((Opferberatungsstelle)) ich verstehe euer Projekt so, stärker mit dem Ausländerbeauftragten, dem Herrn ((Name)), des Landkreises ((Name)) zu gucken, wie kann man Begegnung schaffen, wie sind die Bedürfnisse der Asylbewerber, die auch gut Deutsch sprechen, junge Männer aus verschiedenen afrikanischen Ländern mit den dortigen Jugendclubs“ (c-OBS A, Koop 5), denn dadurch könne die Gefahr von Übergriffen verringert werden, je mehr die afrikanischen Flüchtlinge andere Jugendliche kennten, desto wohler könnten diese sich fühlen und desto geringer werde die Gefahr eines rechtsextremen Übergriffs sein. Parallel dazu sollten andere Tätigkeitsfelder, zum Beispiel die Recherchearbeiten, seiner Meinung nach verringert werden : „Hier vermisse ich ein Stück weit genau diese Ausrichtung zu sagen: ‚Kommt doch ein Stückweit weg von dieser Antifarecherche..., obwohl ich davon natürlich stark partizipiere und profitiere, und guckt so ein bisschen hin in diesen gesamten Flüchtlingspolitik- und Flüchtlingsbereich (...) hier wünsche ich mir andere Prozesse. Und ich denke, wir haben ((Opferberatungsstelle)) mit einer Finanzierungsstruktur über CIVITAS, warum guckt da ((Opferberatungsstelle)) nicht hin?“ (c-OBS A, Koop 5) Der befragte Kooperationspartner wünscht sich daher im Zuge eventueller Stellenneubesetzungen eine andere Ausrichtung von Team A im Hinblick auf das Flüchtlingsthema (c-OBS A, Koop 5). Von dem Tätigkeitsbereich von Team B fällt einem Rechtsextremismus-Experten aus der Landespolitik zunächst „eine mehr oder weniger umfangreiche Recherchearbeit im Bereich rechtsextremistischer Vorkommnisse, aber auch Strukturen“ (c-OBS B, Koop 7, 161-162) ins Auge. Der Experte kritisiert auf der einen Seite das Ausmaß dieser Recherchen („Das hat ja dann teilweise Inspektor Gadget oder Scotland Yard Charakter.“ c-OBS B, Koop 7, 162-163), bei denen es keine „reine Orientierung auf Opfer“ gebe, sondern ganz dezidiert regional rechtsextremistische Strukturen beobachtet würden und versucht werde, sie in eine Lageanalyse mit einzubinden, hält sie aber, legt man den Gesamtansatz von Team B zugrunde, auch für „nicht falsch“, wenn auch offenbar für etwas überdehnt: „Und wenn ich in einer Stadt X ein Opfer beraten will und ich weiß nicht wie da die Szene vor Ort funktioniert und ob die Person X noch mal ein paar auf die Schnauze kriegt, das sind ja schon wichtige Informationen. Ich weiß nun nicht, ob die ganzen Recherchearbeiten immer auch unmittelbar im Zusammenhang mit der Opferberatung stehen. Oder ob das nicht auch kriminalistisches Interesse bei einigen ist.“ (c-OBS B, Koop 7, 174-178) Ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung am Standort von Team B mit Nahblick stellt aus den Tätigkeitsfeldern des Teams eher die „direkte Beratung“, also „die direkte und unmittelbare Unterstützung von Leuten, die Opfer von Gewalt geworden sind“ heraus, wobei die Beratungen über Entschädigung, die Vermittlung von Rechtsanwälten und die Begleitung zu Ämtern besonders hervorgehoben werden (c-OBS B, Koop 1, 98-103). Neben dem Tätigkeitsbereich der direkten Beratung und Begleitung wird von dem betreffenden Kooperations- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 247 partner auch der Bereich der sensibilisierenden und präventiv ausgerichteten Tätigkeit von Team B wahrgenommen: „Dann nehme ich sehr wohl wahr, dass bestimmte Informationsveranstaltungen stattgefunden haben, sowohl wo eingeladen worden ist zu kommen als auch Kontakte zu Schulen, wo dann Projektarbeit in Schulen stattgefunden hat. Auch eine gewisse Öffentlichkeitsarbeit über die Medien, wobei ich mitunter da auch nicht alles so ganz glücklich fand.“ (c-OBS B, Koop 1, 98-107) (vgl. Kap. 5.2.4) Ein Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich betont die „Unersetzbarkeit“ des Opferberatungsprojekts von Team B, vor allem in Hinblick auf die Vermittlung von Informationen und als Ansprechpartner in konkreten Opfersituationen: „Also diese grundsätzlichen Dinge von denen wir profitieren, also was vor allem Informationsvermittlung angeht etc., das wäre für uns im gewissen Sinne überlebensnotwendig, die weiterhin von ((Opferberatungsstelle)) zur Verfügung gestellt zu bekommen. Ansonsten ist es für uns sehr wichtig einen Ansprechpartner zu haben, wenn es um konkrete Opfersituationen geht. Also da sind sie für uns unersetzlich. Und im Großen und Ganzen würde ich auch sagen, dass die Arbeit vor Ort in Beratungssituationen auch hervorragend funktioniert.“ (c-OBS B, Koop 3, 491-497) Ein Schwerpunkt von Team B ist (im Gegensatz zu Team A) die Unterstützung von betroffenen Flüchtlingen bzw. Menschen aus Migrantenfamilien, der in den Interviews etwas stärker beleuchtet wurde als die Arbeit mit der Zielgruppe der jugendlichen Opfer, da zwei der befragten Kooperationspartner/innen von Team B in der Migrantenarbeit tätig sind. Über einen dieser Kooperationspartner wurde Team B auch der schwierige Zugang zu Migrantenfamilien eröffnet. Es sei nämlich auch bei längerem Vorkontakt schwierig, deren Vertrauen zu gewinnen, damit „die Familien wirklich darüber reden, wenn ihnen etwas zugestossen ist. (...) Und wir haben einfach Familien gehabt, die erst nach längerer Zeit wirklich gesagt haben, was vorgefallen ist. Also erstens gibt es ein Level von Ertragen und von Leid, der einfach ganz anders ist als das, was wir kennen. Wo sie einfach sagen: ‚Ja mein Gott. Ich komme aus einem Bürgerkriegsland. Wenn ich einmal eine gehauen bekomme oder geschlagen werde, das nehme ich hin, vielleicht war es das einzige Mal.’ und ‘Ich sage nichts darüber.’“ (c-OBS B, Koop 5, 271-278) Team B habe aber mit Unterstützung der betreffenden Kooperationseinrichtung diesen Zugang zu Migrantenfamilien geschafft (c-OBS B, Koop 5, 160-168). Die entsprechende Kooperationseinrichtung fühlt sich dadurch deutlich entlastet, da für die komplizierte, belastende und zeitintensive Begleitung beispielsweise von Anzeigenaufnahmen bisher keine personellen Ressourcen und für Rechtsfragen auch keine Fachkompetenz zur Verfügung gestanden hätten. Dies habe sich jetzt durch die Tätigkeit von Team B geändert, das diese Aufgabe übernommen hat: „Also vom Prinzip her brauchten wir einen vertrauensvollen Partner, wo wir auch der Meinung sind, er ist vertrauensvoll aus der Sicht unserer Immigranten, der von dem Moment an, wo wir die Kenntnis haben, dass etwas vorgefallen ist, wir guten Gewissens die Leute übergeben können, nachdem wir sie natürlich vorbereitet haben. Und das ist auch passiert.“ (c-OBS B, Koop 5, 203-210) Von der betreffenden Kooperationseinrichtung wird der Zugang zu Team B dadurch gefördert, dass auf die Arbeit des Teams im Rahmen von Veranstaltungen oder durch persönliche Ansprache hingewiesen und vor allem auch auf die Anonymität und Diskretion der Beratung aufmerksam gemacht wird (c-OBS B, Koop 5, 313-318). Im Ergebnis sei es Team B gelun- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 248 gen, das Vertrauen der Klienten zu gewinnen. Es gehe dem Team „im Gegensatz zu anderen sogenannten Partnern (...) um das Wohl des Klienten und die Weiterentwicklung des Themas“. Imagegesichtspunkte spielten dagegen keine Rolle (c-OBS B, Koop 5, 931-938). Team B habe eine Sensibilität für seine Klienten aufgebaut, „die sehr angenehm ist, die für die Migranten sehr wichtig ist“ (c-OBS A, Koop 5, 832-833). Als überaus positiv wird auch der gleichberechtigte Umgang zwischen den Mitarbeiter/innen von Team B und seinen Klienten aus der Personengruppe der Asylbewerber bzw. Migranten bewertet und der damit verbundene gute Kontakt zu den Migrantenorganisationen in der Stadt hervorgehoben: „Aber ((Opferberatungsstelle)) tut sich schon in dem Punkt hervor, dass sie nicht nur über ihr Klientel reden, sondern mit ihrem Klientel arbeiten. (...) Es ist einfach so, es ist schon eine gleichberechtigte Zusammenarbeit, die man einfach spürt. Und in anderen Projekten ist es teilweise so, dass dann die Hauptamtlichen, zumeist deutschen Hauptamtlichen, die großen Gönner sind, die Hilfsangebote an die kleinen Migranten unterbreiten. Und bei ((Opferberatungsstelle)) ist es schon so, dass eindeutig dabei hervorkommt, dass Migranten gleichberechtigt sind, dass sie gleichberechtigt behandelt werden, und nicht jetzt als, in dem Sinne nur in Anführungsstrichen, das Klientel oder der Hilfesuchende. Also sie haben auch, unseres Wissens nach, einen sehr guten Kontakt zu den Migrantenvertretungen in ((Stadtname)). Und das ist ganz, ganz wichtig. Weil das ist in ((Stadtname)) nicht überall üblich. Sondern eher die Variante, wir holen uns mal einen Migranten (zum) zur Schau stellen und eine Runde Trommeln und dann sind wir alle ganz interkulturell.“ (c-OBS B, Koop 5, 551-553, 570-581) 5.2.4 Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit Die meisten Kooperationspartner/innen von Team A betonen die Notwendigkeit von Öffentlichkeitsarbeit, „damit die Leute wissen, dass es so was gibt und dass man sich dorthin wenden kann“ (c-OBS A, Koop 4). Für einen ortsansässigen Mitarbeiter eines Beratungsnetzwerkes ist sie bei Team A „bisher noch zu schwach entwickelt“ (c-OBS A, Koop 10). Dabei ist jedoch auch immer das Problem des Zugangs zu den entsprechenden Medien in Rechnung zu stellen. Was Medien betrifft, so ein mit Team A kooperierender Mitarbeiter eines landesweit tätigen Netzwerkes, sei man immer auf den guten Willen der Zeitungen bzw. Sender angewiesen, „das kann schon schwierig sein, aber ab und zu gibt es auch Pressemitteilungen, die von ((Opferberatungsstelle)) kommen“ (c-OBS A, Koop 4). Seiner Meinung nach wird durch Team A „ziemlich viel“ Öffentlichkeitsarbeit gemacht, Infostände des Opferberatungsprojekts finde man „bei ganz vielen Veranstaltungen“ und auch die Informationsmaterialien seien „flächenmäßig breit gestreut“ (c-OBS A, Koop 4). Nach Darstellung eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung werden von Team A im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit unterschiedliche Zugangswege beschritten: Zum einen gebe es eine kontinuierliche Berichterstattung über die eigene Arbeit, mit dem Versuch, einen Zugang für Berichte zu finden. Dies betreffe sowohl Aktivitäten in der Verwaltung (Vorträge in bestimmten Ausschüssen und Gremien, die sich dafür anbieten), in der Öffentlichkeit (zum Beispiel einer Informationsveranstaltung in der Stadthalle mit sehr guter Resonanz) und Versuche, Informationen zu verbreiten und politische Diskussionen mit zu gestalten (zum Beispiel bei Runden Tischen: „da sind sie präsent, da lassen sie sich auch nicht die Butter vom Brot nehmen und versuchen, Positionen festzuklopfen“). Kennzeichnend für diese Informationsvermittlung sei „eine eindeutige, exakte Schilderung von den Dingen und das ist ja auch das Entscheidende“ (c-OBS A, Koop 1). CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 249 Im Hinblick auf das Vorgehen bei der Öffentlichkeitsarbeit gab bzw. gibt es mit einem Kooperationspartner durchaus „kontroverse Positionen“: Zum Beispiel sei die Definition der Begriffe Faschismus oder Rechtsradikalismus „nicht falsch, aber ungeeignet, wenn ich davon ausgehe, dass ich eh erst mal eine ablehnende Haltung mir gegenüber sehe, dann muss ich moderater einsteigen und nicht Leute einfach zuknallen mit dem Schärfsten“ (c-OBS A, Koop 1). Derselbe Kooperationspartner hat bei gemeinsam vorbereiteten Unterrichtsmaterialien in den von Team A verfassten Texten zu den Themen rechte Gewalt/Vorurteile, eine „einseitige Wertigkeit“ festgestellt; Öffentlichkeitsarbeit müsse aber in ihren Augen „so wertfrei wie nur möglich sein und am Ende muss der Andere sich sein Urteil bilden können“, daran müsse noch gearbeitet werden. (c-OBS A, Koop 1). Team B betreibt erstens regelmäßig eine fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit, zweitens erfolgt eine öffentliche Beschäftigung mit Themen, welche die Lebensumstände der Hauptzielgruppen betreffen. Vor allem eine Mitwirkung an der Bleiberechtskampagne und die Beteiligung an der Aufklärung über den sog. „Dschungelheimerlaß“, durch den die bisher abgelegenen Asylbewerberheime in Städte verlegt werden sollen, was dort eine Fülle von Widerstand und Ablehnung hervorgerufen hat, sind Team B wichtig (c-OBS B, Koop 4, 180-195). Weitere Hauptthemen sind nach Wahrnehmung eines Kooperationspartners aus dem CIVITASBereich „aktuelle Gewalt in all ihrer Spielweite, sei es rassistisch motiviert oder sei es Jugendgewalt, also wirklich die aktuellen Fälle, ist der eine große Bereich. Und das andere könnte man umreißen: eine Problematisierung des Phänomens Alltagsfaschismus“ (c-OBS B, Koop 3, 304-307). Von den meisten Kooperationspartner/innen wird die Öffentlichkeitsarbeit von Team B positiv bewertet. Ein Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich sieht in Team B ein „permanentes erinnerndes Gewissen, das gegen so eine Tendenz arbeitet, Sachen nur noch auf Seite zehn in ganz kleinen Sachen in der Zeitung zu zeigen oder zu verschweigen oder sonst irgendwas“ (c-OBS B, Koop 3, 317-319). Nach Auffassung eines Kooperationspartners aus der Migrantenarbeit ist Team B „so eine Art unabhängiges Sprachrohr“, durch das in einer Stadt, in der die Kommunalpolitik ansonsten vorwiegend auf Imageerhalt und Symbolpolitik ausgerichtet sei, bestimmte Themen nicht nur aufgegriffen, sondern den von rechtsextremer Gewalt Betroffenen durch Aufrufe, Spendenaktionen etc. auch tatkräftige Hilfe geleistet werde: „Sie haben auch zu einer Spendenaktion aufgerufen als es den Anschlag, den erneuten Anschlag, auf das ((Name))-Haus gab. Ich weiss gar nicht - letztes Jahr im Sommer? Und da war es so, da gab es zwei Geschichten. Da gab es die eine Geschichte, dass natürlich Kommunalpolitiker gegangen sind und ihr Gesicht dort gezeigt haben und gesagt haben: ‚Wir finden das alles ganz schlimm.’, und ((Opferberatungsstelle)) hat einfach gleich eine Aktion gestartet und hat einen Spendenaufruf in der Öffentlichkeit gemacht, um den Opfern sozusagen... - das war ein Asia Shop der, glaube ich, irgendwie ausgebrannt war. (...) Und dann noch irgendwas und haben das einerseits natürlich konkret umgesetzt, indem sie die Bevölkerung aufgerufen haben, und andererseits gleich Informationen damit verkauft in der Öffentlichkeit. Und das ist ganz, ganz wichtig. Das ist sonst was, was nicht unbedingt in ((Stadtname)) passiert. Sonst hat das eher so nur Image-Charakter. (...) Es gibt die Kommunalpolitiker, die können hervorragend ((Stadtname)) zehn Jahre danach für sich vermarkten. Weil ja jetzt alles super schön ist und wir ja jetzt die Olympiabewerbung haben und wir haben ja überhaupt keine Probleme. Dass Leute angegriffen, bespuckt, beschmissen und zusammengeschlagen werden, na ja, mein Gott. Und das ist wirklich schwierig, da mit der Wahrheit in die Öffentlichkeit zu kommen und CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 250 da ist die ((Opferberatungsstelle)) natürlich so eine Art unabhängiges Sprachrohr, muss man einfach so sagen.“ (c-OBS B, Koop 5, 634-654, 686-692) Ein weiterer Kooperationspartner aus dem Bereich Migrantenarbeit bezeichnet die Öffentlichkeitsarbeit von Team B in ähnlicher Weise als wichtig und unverzichtbar, weil dadurch Vorfälle bzw. Themen in die Öffentlichkeit gebracht würden, die ansonsten wahrscheinlich nie bekannt geworden wären, wie zum Beispiel eine unterlassene Hilfeleistung eines Busfahrers gegenüber Jugendlichen, die von Rechtsextremen zusammengeschlagen worden waren und den Busfahrer vergeblich um Hilfe gebeten hatten: „Wenn ich zum Beispiel sehe, dass, ich habe ja jetzt wirklich nur mit Migranten und Migrantinnen zu tun, also, als das passiert ist mit dem Jungen, der in der Nähe von einer Bushaltestelle, also neben der Bushaltestelle zusammengeschlagen wurde vor kurzem und dass das öffentlich gemacht wurde von ((Opferberatungsstelle)) und dass erst dann der Stein ins Rollen gekommen ist, das finde ich schon total wichtig, das ist absolut wichtig. (...) Ich bin mir sicher, sowas würde nie öffentlich gemacht werden, das würde auch nie bekannt werden.“ (c-OBS B, Koop 4, 137-141) Das Vorgehen der Opferberatungsstelle in diesem Fall wird allerdings von einem anderen Kooperationspartner aus dem Bereich der Stadtverwaltung kritisch gesehen. Die Opferberatungsstelle sei in diesem Fall zu schnell in die Öffentlichkeit vorgeprescht und habe Beschwerdemöglichkeiten in Form von internen Gesprächen nicht genutzt. Der Kooperationspartner mahnt daher für die Zukunft ein sensibleres Vorgehen an, weil sonst mit Pauschalvorwürfen leicht Institutionen bzw. Personen vor den Kopf gestoßen werden könnten, die im Prinzip Verbündete sein könnten: „Auch eine gewisse Öffentlichkeitsarbeit über die Medien, wobei ich mitunter da auch nicht alles so ganz glücklich fand. (...) Ich will es mal an einem Beispiel machen und denke es zeigt aber auch so ein Stück die Position, die diese jungen Leute überhaupt haben. Es gab eine Geschichte mit den ((Stadtname)) Verkehrsbetrieben hier, kennen Sie ja? Und da war dann sehr schnell der Vorwurf, (...) dass Leute, die Opfer von rechtsextremer Gewalt geworden sind, dort nicht unterstützt worden sind und dass es dort eben auch eine Haltung von, also ein Defizit in der Haltung in diesem Unternehmen gegen Rechtsextremismus geben würde. (...) Und dort einfach nicht erst einmal das Gespräch zu suchen und zu sagen ich kläre mal, wie es gewesen ist und in die Presse hinaus zu plautzen, das sind Leute, die Extremismus, Rechtsextremismus tolerieren, das halte ich dann doch schon für etwas schwierig, weil es nimmt eigentlich auch die Möglichkeit zu agieren, was zu beeinflussen, was zu verändern, wenn ich sage Du bist einer, der Rechtsextremismus unterstützt, dann machen die ja auch erst einmal zu. Und da denke ich wäre es einfach angebracht etwas sensibler zu verfahren, auch Partner zu gewinnen, Leute nicht vor den Kopf zu stoßen, die eigentlich Verbündete sein könnten.“ (cOBS B, Koop 1,106-141) 5.2.5 Beurteilung des Beratungsansatzes Der Beratungsansatz von Team A und seine zentralen Prinzipien (aufsuchendes Vorgehen, niedrigschwellige Ansprache und Parteilichkeit für die Opfer) wird, soweit er den Kooperationspartnern bekannt ist, überwiegend als „sinnvoll“ herausgestellt. Ein aufsuchender Ansatz sei notwendig, so ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung, „weil die Leute nicht von alleine kommen“, außerdem sei der Ansatz von Team A „ein sozialer Ansatz“, der die Voreingenommenheit gegenüber dem Betroffenen („da hat’s dich ja wieder mal erwischt“) durch Zuhören und Zuwendung aufbrechen wolle (c-OBS A, Koop 1). CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 251 Ein Kooperationspartner aus der Beratungsarbeit konstatiert, Spezialisierungen in der Beratungsarbeit, wie sie Team A verkörpere, seien auch „immer sehr wichtig“, weil das schon eine „besondere Situation“ sei. Relativ wenige Jugendliche kämen in ihre Beratungseinrichtung, da Jugendliche sich von sich aus „gar nicht so gerne Hilfe holen“. Dadurch dass Team A im Rahmen einer niedrigschwelligen Ansprache auf die Leute zugehe, hätten sie Kontakte hergestellt und wenn dann „was ist“, kenne man sich schon, das sei für die Arbeit ihrer Beratungseinrichtung „vollkommen undenkbar“, das würde er dann auch „für ganz sinnvoll halten“ (c-OBS A, Koop 6). Ein Kooperationspartner aus der Beratungsarbeit findet es „wichtig, politische Arbeit zu machen“ und unterstützt damit den Arbeitsansatz von Team A. Auf der anderen Seite wird aber darin auch „eine ganz große Gefahr“ gesehen, denn der Wunsch, die Fälle bekannt zu machen, könne zu einer Bloßstellung des Opfers führen, es müsse aber der „Schutz des Opfers“ über alle anderen Belange gestellt werden. Er empfiehlt daher eine Trennung von Opferarbeit und politischer Arbeit. Es wäre in seinen Augen sinnvoll, wenn Opferarbeit von den Beratern durchgeführt und der Vorstand des Vereins die politische Arbeit machen würde (dies werde so auch in feministischen Kreisen praktiziert), zum Teil würden Opfer bereits in die Öffentlichkeit gedrängt, weniger aus politischen Gründen, sondern „um die Einrichtung bekannt zu machen“. Dies machten die Mitarbeiter/innen von Team A allerdings nicht (c-OBS A, Koop 6). Der auf die Opferperspektive zentrierte Ansatz des Teams verbindet sich nach Wahrnehmung eines Kooperationspartners aus der Beratungsarbeit bei den Mitarbeiter/innen von Team A offenbar mit einer erheblichen Distanz zu den Verwaltungsbehörden, die für die Arbeit mit Migranten zuständig sind, also vor allem mit der Ausländerbehörde. Diese Haltung wird von dem betreffenden Kooperationspartner aus der örtlichen Beratungslandschaft kritisiert. Gerade wenn man etwas für Asylbewerber und Flüchtlinge erreichen wolle, gerade auch in unklaren Situationen, in denen die Behörden Handlungsspielräume hätten, müsse man mit diesen Behörden verhandeln können und mitunter auch einmal „rumschleimen“, um die Ziele zum Wohle der Klienten zu erreichen: „Weil ich der Meinung bin, wenn ich mit Asylbewerbern arbeite, dann muss ich auch mit diesen Behörden zusammenarbeiten, ob mir das passt oder nicht und da haben sie heftig protestiert und in der Diskussion habe ich dann gesagt, wenn ihr aber jetzt speziell einen Ausländer hättet, der nur noch eine Duldung hat, wo ihr jetzt erreichen wollt, dass der hier noch eine Therapie bekommt, wie wolltet ihr wohl ohne mit der Ausländerbehörde zusammenzuarbeiten den Fall lösen... Da haben wir Differenzen. Da ist dann wieder das Problem, wenn ich politische Arbeit und Opferarbeit mache, dass sich das dann einfach ein bisschen in die Quere kommen kann... Wenn ich aus politischen Gründen denke, mit bestimmten Leuten kann ich schwer oder nicht zusammenarbeiten, ist das aus meiner Sicht problematisch, weil, wenn ich für ein Opfer oder mit einem Opfer arbeite, kann ich mir nicht leisten zu sagen, ich kann mit dieser oder jener Behörde nicht zusammenarbeiten, ich muss es tun und ich muss es vielleicht auch anders tun als ich es vielleicht von meiner Art zu tun oder von meiner Art zu denken tun müsste, ich muss manchmal Kompromisse eingehen, ich muss manchmal rumschleimen, um gewisse Sachen zu erreichen, das ist aber so und das muß ich tun, wenn ich, ja, das muß ich manchmal tun... Ich muss versuchen, mit allen zusammenzuarbeiten, ich kann zumindest nicht generell ablehnen, mit Leuten zusammenzuarbeiten, ob ich damit rumschleime, gut, das ist eine andere Sache. Wenn die rechtliche Lage so dünn ist, dass ich auf ein gewisses Wohlwollen angewiesen bin und es nicht auf einen Machtkampf ankommen lassen kann, kann ich nur abwägen, würde ich immer und generell versuchen im Sinne des Opfers zu arbeiten.“ (c-OBS A, Koop 6) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 252 Auch bei Team B wurde der Beratungsansatz, der den gleichen Grundprinzipien folgt wie bei Team A, von den Kooperationspartner/innen und Experten, die sich dazu äußern wollten bzw. konnten, als sinnvoll und nützlich eingeschätzt. Die Hinwendung zu den Opfern im Rahmen des Rahmenkonzepts „Opferperspektive“ und der Einsatz für ihre Interessen wird von einem Kooperationspartner von Team B lobend hervorgehoben: „Ja, total, also absolut, das ist ja auch immer so ein Schlagwort bei all den Opfervereinen, die das Opfer in den Mittelpunkt rücken, ja. Aber ich glaube, das ist total wichtig. Ich erinnere mich nur an den einen Jugendlichen, der hier zusammengeschlagen wurde, der Afrikaner, der saß vor mir mit Tränen in den Augen, der hat hier geweint. Ja, und wenn ich mich dann die ganze Zeit nur mit dem Täter beschäftige und sage, ja wir gucken mal, was die Polizei für ihn gemacht hat und so, und überhaupt niemals darauf gucke und überlege, was ist eigentlich mit dir, geht es dir gut, kannst du da wieder hingehen, also danach. Nach diesem Angriff ist ja ((Opferberatungsstelle)) zum Beispiel auch dort hingegangen, also es ist in einer Disco passiert ist, und hat mit den Leuten geredet, was da eigentlich passiert und da wurde eben gesagt, das kann natürlich so nicht weitergehen. Da wurde dann zum Beispiel nach der Disco auch gesagt, nein Afrikaner dürfen hier nicht mehr rein. Und Ergebnis war natürlich, nachdem ((Opferberatungsstelle)) da war, dass die Afrikaner wieder rein durften.“ (c-OBS B, Koop 4, 407-418) Gerade in einem Flächenland wird mobile Beratung von zwei der befragten Kooperationspartner und Experten für „äußerst sinnvoll“ bzw. „sehr wichtig“ gehalten, da Menschen mit „Handikaps“ nicht in der Lage seien, die Großstädte, beispielsweise zu Beratungen, aufzusuchen (c-OBS B, Koop 3, 404-410) Außerdem kompensiere der aufsuchende Ansatz ein Stück weit die noch geringe Bekanntheit der Opferberatungsarbeit von Team B auf dem platten Land: „Also, sozusagen diese Geschichte, dass die rausgehen in die Fläche und die Leute selber aufsuchen, das finde ich eine sehr vernünftige Angelegenheit.“ (c-OBS B, Koop 7, 456-464) Auch die Orientierung an einer Parteilichkeit für die Opfer wird von einem Kooperationspartner als sinnvoll hervorgehoben: „Meiner Ansicht nach macht das in dem Feld absolut Sinn, zumindest dieser Bereich der Parteilichkeit, der ist überlebensnotwendig für das Projekt. (...) Parteilichkeit ganz einfach deswegen, um Ängste ein bisschen abfedern zu können.“ (c-OBS B, Koop 3, 404-410) Nach dem Bericht eines Kooperationspartners aus der Migrantenarbeit wird die Arbeit von den Klienten, die sie an Team B vermittelt hatte, geschätzt. Es sei ihm von den beratenen Personen rückvermittelt worden, dass sie das Vertrauen der Klienten gewonnen hätten: „Das ist ja wichtig, um sich aufzumachen und überhaupt davon zu erzählen. Und dass dann konkrete Hilfe, also Anträge beim Generalbundesanwalt und so was gut und ordentlich über die Bühne gegangen ist, und auch in dem Fall der Vietnamesen, wo ((Opferberatungsstelle)) sich bemüht hatte, dass die in die Nebenklage gehen, habe ich dann einen Rücklauf von den Vietnamesen gehabt: Klar die haben uns gefragt und sie haben uns auch ein bisschen nahe gelegt zu sagen, macht doch diese Nebenklage. Aber sie haben uns nicht irgendwie bedrängt. Es war atmosphärisch und für die Leute oK. So dass ich das, was ich wahr genommen habe von Beratungsansatz, dass ich das begrüße und das unterstützen kann, was da gelaufen ist. Weil sonst hätte ich ja auch nicht mehr das Vertrauen zu sagen, Leute geht da hin, wenn ihr dort Unterstützung braucht.“ (c-OBS B, Koop 1, 225-236) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 253 5.2.6 Beurteilung der Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen Die Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen von Team A wird von seinen Kooperationspartner/innen als gut bis sehr gut eingeschätzt, soweit dazu Aussagen gemacht wurden. Ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung führt aus, die Fachlichkeit sei „so wie erwartet“. Das Team verfüge über „hohes Engagement“, die Mitarbeiter/innen sind „sehr mutig“ bei ihrer Arbeit, versuchten „Dinge ganz klar zu benennen, obwohl sie wissen, ich stehe jetzt in so einem Kreis und sie werden alle sagen, das hat wieder mal nicht stattgefunden, lassen sich also nicht beirren und ich denke, sie arbeiten auch sehr genau“ (c-OBS A, Koop 1). Auch ein Kooperationspartner aus einer örtlichen Beratungseinrichtung äußert sich anerkennend über die Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen von Team A: „Die sind alle (...) Sozialpädagogen und ich habe das Gefühl, dass die sehr wohl und sehr gut mit Menschen umgehen können und auch mit Opfern umgehen können.“ (c-OBS A, Koop 6) Zusätzlich betont sie, dass die Mitarbeiter/innen „sehr kooperativ“ (c-OBS A, Koop 6) seien. Für den befragten Vertreter eines mit Team A kooperierenden landesweiten Netzwerkes ist die Fachkompetenz des Teams als „sehr hoch einzuschätzen“, die Mitarbeiter/innen verfügten über eine sehr gute Kenntnis der rechten Strukturen und auch über „soziale Kompetenz in dem Sinne, dass die Leute mit Leib und Seele dabei sind, das nicht nur als Job begreifen, sondern als innerstes Anliegen sehen“ (c-OBS A, Koop 4). Auch die Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen von Team B wird von den befragten Kooperationspartnern, die in regelmäßigem Kontakt mit den Mitarbeiter/innen von Team B stehen, als gut bis sehr gut eingeschätzt: „Sehr schön. Sehr professionell. Die Fachlichkeit (...) Das sind alles Sozialpädagogen zum Teil, die auch schon häufig lange mit solchen Themen beschäftigt sind. Die auch in Asylbewerberheimen gearbeitet haben (...), also ich denke, die ist eigentlich sehr hoch. (...) Also für die Akzeptanz. Ich war vor zwei Wochen bei denen und da ist eben auch Betrieb, da kommen auch Leute rein und informieren sich.“ (c-OBS B, Koop 8, 284-295) In der Opferberatung, so die Einschätzung eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung, seien die Leute „fit“ und es werde „eine solide Beratung“ gemacht. Für Spezifika im Ausländer- und Asylrecht gebe es eine Unterstützung durch den Ausländerbeauftragten und eine Weitervermittlung an Rechtsanwälte, „also von daher ist das auch abgesichert, dass dann auch Fachlichkeit beim Klienten ankommt“ (c-OBS B, Koop 1, 240-245). Ein Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich findet die „außerordentliche Fachkompetenz“ von Team B „beeindruckend“ und greift bei einer ganzen Reihe von Themen, in denen er sich „nicht so firm“ fühlt, gern auf dieses Wissen zurück. Besonders hervorgehoben wird der „Riesenbereich Migration, Jugendrecht etc., wo ich wirklich beeindruckt bin, was die da an Wissen haben“ (c-OBS B, Koop 3, 380-381). „Und in den Fällen, wo wir zusammen gearbeitet haben, wie gesagt mit diesen Einschränkungen, was ich vorhin gesagt habe, dass es manchmal vom Auftreten her mir als Einzelperson nicht immer besonders dienlich erschien, wird das in den Gesprächen meistens ziemlich deutlich, diese Fachkompetenz. Und dadurch entsteht auch durchaus ein verbindendes Element, also auch zum Gegenüber, was vielleicht erst mal ein bisschen kritisch ist. Ich habe den Eindruck, die sind schon immer sehr beeindruckt von den Damen und Herren von ((Opferberatungsstelle)). Also im positiven Sinne was Wissen angeht.“ (c-OBS B, Koop 3, 382-388) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 254 Der Kooperationspartner räumt allerdings ein, dass „das Auftreten“ von Team B dem Anliegen zunächst nicht dienlich war (vgl. auch c-OBS B, Koop 3, 134-180). Damit meint der Kooperationspartner ein bei Team B zum Teil situationsbedingt gegenüber kommunalen Akteuren stark wertendes bzw. provokatives Vorgehen. Das eigene Projekt habe sich hingegen dazu entschlossen, Wertungen eher zu vermeiden: „Also dass erst in äußerster Not, also bei klaren faschistischen Äußerungen oder so was, von uns in Erst- oder Zweitgesprächen bereits eine wertende Reaktion kommt. Weil es hat sich gezeigt, man kann die Bevölkerung nicht austauschen, also das hilft nicht.“ (c-OBS B, Koop 3, 164-167) In Team B habe „jeder so seine Stärken“, einige seien auf sozialpädagogischem Gebiet kompetenter, andere im politischen Bereich, es seien beide Geschlechter vertreten und darüber hinaus erfolge noch zusätzlich eine Unterstützung durch ehrenamtliche Mitarbeiter/innen und dadurch werde „so ein Team rund“, wie ein Kooperationspartner aus der Migrantenarbeit feststellt (c-OBS B, Koop 4, 434-441). Wichtig sei auch die permanente Kompetenzerweiterung bei Team B im Rahmen von Fortbildungen, wodurch sich das Team positiv von anderen Projekten im Bereich der Arbeit mit Migranten abhebe: „Sie saugen alles auf, was es zu dem Thema gibt, sie sind immer offen für neue Informationen und neues Wissen und müssen sehr viel Weiterbildung machen. Es gibt genug Leute in solchen Projekten oder Bereichen, sage ich mal, die es nicht für nötig halten, dass sie so etwas benötigen und da ist es bei ((Opferberatungsstelle)) ganz anders. Also, wir haben eher den Eindruck, dass sie da jede Gelegenheit wahrnehmen und das ist schon ganz ganz wichtig.“ (cOBS B, Koop 5, 736, 745-760) Einen etwas anderen Eindruck hatte der befragte Rechtsextremismus-Experte und Landespolitiker von der Fachlichkeit des Opferberatungsprojekts, dem Team B zugeordnet ist. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass dieser Eindruck auf der Grundlage einer einmaligen Begegnung mit Mitarbeiter/innen des Opferberatungsprojekts von Team B gewonnen wurde. In dem betreffenden Gespräch ging es darum, ob das Opferberatungsprojekt von Team B im Rahmen einer Kofinanzierung vom betreffenden Bundesland mitgefördert werden könnte. Das Gespräch fand zusammen mit dem MBT statt. Der Experte wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Bundesland eine Verwaltungsreform vorbereite und schlug deshalb eine konzeptionelle Abstimmung zwischen MBT und dem Opferberatungsprojekt von Team B vor, um Doppelarbeit zu vermeiden. Dabei fiel ihm auf, dass das Opferberatungsprojekt dabei größere Hemmungen hatte, „die kochen da eher in ihrem Brei. MBT ist da glaube ich etwas offener.“ (c-OBS B, Koop 7, 236) Außerdem verwies er auf die seiner Meinung nach zu geringen Fallzahlen des Opferberatungsprojekts von Team B und regte eine Ausweitung des Tätigkeitsbereichs in Richtung Integration von Asylbewerbern und Vorbereitung der EU-Osterweiterung an. Ergebnis war, dass sich das Opferberatungsprojekt von Team B im Gegensatz zum MBT nicht mehr bei ihm gemeldet hat. Daher könne er nicht erkennen, „dass da ein nachhaltiges Bemühen bestanden hat, wirklich das Land in eine Förderung zu integrieren“ (c-OBS B, Koop 7, 289-290). Er erklärt sich dies mit einer stärkeren Ingroup-Orientierung und/oder einer grundsätzlichen Staatsskepsis oder damit, dass sein Vorschlag einer thematischen Erweiterung eine Provokation gewesen sei, und hat daher auch Zweifel an der Fachlichkeit des Projekts: CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 255 „Ja, gut, das ist jetzt wirklich schwer einzuschätzen und eine ein bisschen gewagte Hypothese. Aber ich interpretiere das jetzt einfach mal so, dass als der Vorschlag von mir kam, stimmt euch doch beide ab, welche Bereiche im Hinblick auf die osteuropäische Erweiterung eigentlich in dem Rahmen machen könnte, und erweitert ein bisschen euer Geschäftsfeld, damit man auch eine richtige Auslastung hat, dauerhaft, selbst dann, wenn wir beispielsweise bei null Vorkommnissen sind im Bereich rechtsextremer Gewalt. Und dann, wenn daraufhin nichts passiert, nie wieder Kontakt aufgenommen wird, dann gibt es für mich zwei Möglichkeiten der Interpretation, entweder da gibt es eine grundsätzliche, also so eine Ingroup-Orientierung und eine Art grundsätzlicher Staatsskepsis, weiß ich nicht. Also, man möchte mit staatlichen Stellen nicht zusammenarbeiten. Das ist Möglichkeit Nummer eins. Und Möglichkeit Nummer zwei, man empfindet den Vorschlag als eine Provokation. Oder kann sich mit dem nicht anfreunden. Ich weiß gar nicht, was man sonst für Schlussfolgerungen daraus ziehen will.“ (cOBS B, Koop 7, 367-379) Die unterschiedlichen Beurteilungen von Team B durch die Kooperationspartner vor Ort und durch den Landespolitiker beruhen vor allem auf ihren unterschiedlichen Perspektiven und Interessen. Während die Kooperationspartner am Standort von Team B die Arbeit des Teams intensiv kennen und davon vielfach profitieren, sieht der Landespolitiker im Rahmen eines Kurzzeitkontakts eher divergierende Interessen, die ihn bei der Verwirklichung seiner politischen Vorstellungen behindern. Die unterschiedlichen Beurteilungen müssen daher keine Widersprüche sein, sondern erklären sich aus dem jeweiligen Interesse und der unterschiedlichen Nähe der jeweiligen Beobachter zu Team B. 5.2.7 Beurteilung der Ergebnisse Als wesentliche Ergebnisse der Arbeit von Team A wird durch einen Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung hervorgehoben, dass Betroffene rechter Gewalt jetzt einen „Anlaufpunkt“ hätten, „wo sie echte Hilfe bekommen und wo sie weitervermittelt werden können, wo man sich für sie engagiert“(c-OBS A, Koop 1). Außerdem gebe es jetzt für Interessierte durch die Chronik und den E-Mail-Verteiler die Möglichkeit des Zugangs zu Informationen über rechtsextreme Vorfälle, was er für „ganz entscheidend“ hält, da dadurch eine empfindliche Informationslücke geschlossen worden sei. Ein weiterer Kooperationspartner geht davon aus, dass Team A „gute Opferarbeit“ gemacht habe, „das denke ich auch aus den Gesprächen heraus“. Politische Effekte könnten dagegen nicht beurteilt werden (c-OBS A, Koop 6). Hervorgehoben werden durch einen Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung außerdem Erfolge von Team A im Bereich der Vernetzung. Durch öffentliche oder Gremiendiskussionen seien weitere Partner gewonnen worden, die sagten, „wir wollen das mal artikulieren und wir wollen etwas präventiv dagegen tun.“ Auch mit den Polizeibehörden sei es Team A gelungen, „eine gute Zusammenarbeit herzustellen, die ist vielleicht besser, das behaupte ich jetzt ohne es zu wissen, als zum Beispiel mit der Verwaltung“ (c-OBS A, Koop 1). Als wichtiges Ergebnis wird von einem Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung die Kleinarbeit des Teams mit Behörden, die bewusstseinsbildenden Gespräche, die Diskussionen mit Polizeidienststellen und Verwaltungsbehörden hervorgehoben. Davon könne nach ihrer Einschätzung eine Langzeitwirkung im Sinne einer Änderung individueller Verhaltensdispositionen in den betreffenden Einrichtungen ausgehen: „Und eigentlich auch ganz wichtig: diese Kleinarbeit mit den Behörden, jede Diskussion mit einer Polizei- oder einer Verwaltungsbehörde oder anderen Behörden, die ((Opferberatungsstelle)) führt, da gibt es manchmal kein Ergebnis, dennoch hat es ein Ergebnis, nämlich ein Langzeitergebnis, das hat auch was mit Umdenken zu tun und das ist so wahnsinnig notwen- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 256 dig. Das ist ein ganz wichtiger Baustein, wenn es den nicht mehr gibt, dass Menschen Leute aufsuchen, sie konfrontieren mit den Themen und sie auch dazu zwingen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, dann denke ich, wäre das oft ein Schaden.“ (c-OBS A, Koop 1) Dies alles sei erreicht worden trotz der verhaltenen und „doppelbödigen“ Reaktionen auf die Tätigkeit von Team A im Bereich der Stadtverwaltung, die darin lägen, dass man zwar offiziell bzw. nach außen hin dem Anliegen von Team A zustimme, inoffiziell aber die Unterstützung verweigere, weil man Angst habe, dass die Stadt einen Imageschaden erleide: „Offiziell wird man auf gar keinen Fall sagen, dass das schlecht ist oder wir das nicht brauchen, das steht einem auch nicht gut zu Gesicht, inoffiziell denke ich auch, dass man sagt, ja gut, das gibt es halt auch, aber eigentlich haben wir keine Probleme und das macht es ja auch so schwer, weil das sagt ihnen niemand ins Gesicht, man sagt, das war aber jetzt ein wichtiger Vortrag... da haben sie uns ja aufmerksam gemacht auf das und das und das. (...) Man misst solcher Arbeit nicht die erforderliche Bedeutung zu, weil das hieße, man müsste bekennen, dass wir ein Problem haben und wer bekennt schon gern, dass er ein Problem hat. Und das ist eigentlich so der Punkt, man ist offen dafür, man ist interessiert, ((Opferberatungsstelle)) konnte sich vorstellen, ((Opferberatungsstelle)) hat über die Arbeit geredet, das wurde auch noch außen für positiv bewertet und wichtig, nur hilft das ((Opferberatungsstelle)) nicht viel weiter, denn man braucht immer Leute, mit denen man zusammenarbeiten kann und an der Strecke wird es dann langsam dünn. (...) Ich denke schon, dass das eine Imagefrage ist, dass man Angst hat, dass solche Dinge hochgekocht werden und wie steht dann die Stadt da.“ (cOBS A, Koop 1) Die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung sei insgesamt von diesem Imageproblem belastet und deshalb könne es „gar nicht anders“ sein, dass Team A auf dem Verwaltungsterrain Akzeptanzprobleme habe, wie ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung einschätzt: „Ich denke, es kann gar nicht anders sein, so wie es ist, diese Arbeit, die sie bisher gemacht haben, wo sie angefangen haben unter den Voraussetzungen und der Zusammensetzung in dieser Stadt ((Name)), das kann gar nicht anders sein. (...) Akzeptanz setzt auch einen bestimmten Sachverstand voraus, ich kann ja nur etwas akzeptieren, was ich auch verstehe und manche verstehen hier einiges nicht! Das wird dann so eingeschoben in Schubladen, ach das sind die, die da immer aufpassen wegen der rechten Gewalt, da kommt man ja ganz schnell als Beratungsstelle in so eine Schublade: ,Ach die schon wieder, die wollen schon wieder was von mir’. Da denke ich doch: ,Wird ja wieder ein Problem kommen, wer weiß, was die wieder ausgegraben haben’. Es fehlt oft an der Bereitschaft, wirklich eine sachliche Diskussion zu führen im Sinne Aller und ich denke, dazu ist ((Opferberatungsstelle)) bereit, aber ob sie immer auf solche Partner treffen und diese Akzeptanz dann haben bei dem Partner, das kann man so nicht beantworten, im Jugendhilfeausschuss, damals als sie sich vorgestellt hatten, hatten sie diese Akzeptanz.“ (c-OBS A, Koop 1) Als ausgesprochen nachteilig bewertet der betreffende Kooperationspartner, wenn das Opferberatungsprojekt von Team A seine Arbeit aus Mangel an Förderung einstellen müsste. „Das kann ich Ihnen sagen, dann weiß ich nicht, wo ich solche Leute hinschicke. So einfach ist das. Dann bleiben die bei mir hängen und ich werde wieder versuchen, irgendwas mir aus den Händen zu krampfen und es wird irgendwann nicht mehr leistbar sein. Weil bestimmte Sachen, sage ich mal, da geht es dann um anwaltliche Vertretung und und und, was an so einem Fall dran hängt. Ich bin kein Sozialarbeiter, ich habe eigentlich Konzepte zu machen und auch in meiner Einzelfallberatung sehe ich, das muss ich irgendwo nach Hause drücken, den Teil der Arbeit, weil er nicht mehr zu bewältigen ist und von daher ist dann einfach an dieser Stelle Punkt aus, Schluss und Informationen kriege ich dann wie viele andere nicht mehr, was passiert denn wirklich, was ist da passiert, was war da los, was war denn das ganze Jahr, was war im Vorjahr, lasst mich noch mal schauen, schickt es mir mal rüber. Das alles ist dann nicht mehr da.“ (c-OBS A, Koop 1) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 257 Im Kreis der Migranten erfährt die Arbeit von Team B nach Darstellung eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung „ein sehr positives Echo“ (c-OBS B, Koop 1, 309). Die Unterstützungsfunktion wird gerne angenommen, zum Beispiel wenn eine Begleitung zu einem angstbesetzten Termin, etwa einer polizeilichen Vernehmung erfolgt: „Die fanden das angenehm und gut und es hat sie gefreut, dass da jemand mit war und dass der Bescheid wusste und so. Ja, also so ist das schon.“ (c-OBS B, Koop 4, 60-67) In Verwaltungen (Ausländerbehörde, Sozialamt) sei „eher ein Stück Zurückhaltung in der Zusammenarbeit“ (c-OBS B, Koop 1, 329-330) zu beobachten. Durch die selbstdefinierte Rolle als „permanentes erinnerndes Gewissen“ bzw. als „Mahner“ sei Team B „lästig, weil es ist natürlich auch sehr lästig, wenn da permanent einer keine Ruhe gibt, wo ich eigentlich Ruhe haben will als Verantwortlicher“ (c-OBS B, Koop 3, 323-325). Auf der anderen Seite habe Team B „dadurch innerhalb einer bestimmten Projektelandschaft durchaus einen sehr positiven, guten Ruf als kontinuierliche Arbeiter. Also das machen die ganz stark auch über die Pressespiegel, auf den, glaube ich, viele Projekte zurückgreifen“ (c-OBS B, Koop 3, 304327). Erfolge von Team B werden zum einen in der kontinuierlichen Betreuung der Opfer gesehen (c-OBS B, Koop 4, 515-516). Zum anderen wurde durch Team B zum zweiten Mal ein großes Vernetzungstreffen von „nicht-rechten“ Jugendlichen organisiert, die zum Teil Betroffene von rechtsextremen Gewalttaten gewesen waren. An diesem Camp hätten 350 Jugendliche teilgenommen, auch diese Aktivität wird als Erfolg herausgestellt (c-OBS B, Koop 4, 515524). Dadurch hätten sich mittelfristig neue Vernetzungen in der „nicht-rechten“ Szene und damit eine Stärkung der Gegenkultur und eine Anregung von Eigenaktivität und Engagement herausgebildet. Als erfolgreiches Teilergebnis dieses Vernetzungsprozesses wird eine gelungene Einzelaktion einer lokalen Jugendgruppe gesehen, in deren Rahmen die Jugendlichen selbständig Pressearbeit zum Thema Lebenssituation von Asylsuchenden gemacht hätten: „Ja wenn zum Beispiel diese Jugendlichen, die wirklich Jugendliche sind, die wir in diesem Ort da besucht haben, zwei Presseartikel oder Pressemitteilungen in die örtliche oder in die regionale Presse bekommen, und (...) dann sehe ich das schon als absoluten Erfolg. Die schreiben da eine Pressemitteilung zu dem Thema Lichtenhagen, Pogrome in Lichtenhagen, oder zum Thema Lebenssituation von Asylsuchenden und das ist dann auch in der Presse drin. Das ist für mich - und das wird dann auch noch gedruckt, muss man noch dazu sagen - das ist für mich ein Erfolg. Und das lesen dann eben alle ((Ortsname)) und ich weiss nicht, also wenn vorher Personen schwankend waren, dann wird wenigstens jetzt gesagt: ‚Na ja, na ja gut. Das sind wirklich welche.’ Also Menschen, die sich vorher allein gelassen fühlten mit ihrer Meinung, haben jetzt endlich gemerkt: ,Da sind vielleicht doch noch welche.’ Ich finde es schon wichtig, dass das passiert ist. Dass wir dort waren, miteinander geredet haben, die Jugendlichen eine Pressemitteilung geschrieben haben und die dann auch noch in der Presse war.“ (cOBS B, Koop 4, 247-249, 258-267) Weniger erfolgreich war dagegen in den Augen eines Kooperationspartners eine Rundreise durch die Asylbewerberheime im Einzugsgebiet von Team B, da es dadurch nicht gelungen sei, die Asylbewerber zu einem politischen Engagement über bestimmte Einzelaktionen hinaus anzuregen: „Aber ich finde es schade, dass nicht daraus etwas Wirksames und Wirkungsvolles entstanden ist, und dass die Flüchtlinge immer nur Einzelaktionen starten und nicht wirklich aktiv werden, politisch aktiv für ihre Belange. Also eine Einzelaktion hat für mich nichts mit Politik zu CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 258 tun, sondern, langfristig politisch zu arbeiten, das hätte ich mir gewünscht, aber das ist irgendwie nicht so passiert.“ (c-OBS B, Koop 4, 563-567) Nach Einschätzung eines Kooperationspartners aus der Stadtverwaltung ist das Opferberatungsprojekt von Team B als Spezialist für die Beratung von Opfern rechtsextremer Strafund Gewalttaten im städtischen Netzwerk von Beratungsstellen und Initiativen „angekommen“: „A: Bei ((Opferberatungsstelle)) schon, weil diesen speziellen Part Opferberatungen, den gab es in dieser Weise sonst nicht. (...) Und insofern ist Opferberatung von ((Opferberatungsstelle)) für mich eine Geschichte, die genau in dieses Netz rein passt, als Spezialisten für dieses Thema. (...) Vielleicht ist das sogar ganz gut in einer Stadt zu sagen, was ist angekommen in diesem Netzwerk und was ist nicht angekommen. I: Also ((Opferberatungsstelle)) ist im Netzwerk angekommen...] A: Mit dieser Spezifik Opferberatung ja. Sicherlich könnte man, wenn da eine weitere Arbeit möglich ist, noch mal ein Stück mehr präzisieren und noch mehr abstimmen, in Richtung Öffentlichkeitsarbeit, in Richtung Arbeit in Schulen, weil es da ja über Xenos gefördert, auch in dieser Stadt, weitere Projekte gibt. (...) Aber sicherlich könnte man das auch intensiver machen, wenn die Arbeit auch noch ein bisschen weiter ginge. Aber das eher so als positiven Aspekt. Während das Mobile Beratungsteam, also zumindest was ich dazu sagen kann in diesem Netzwerk, hier in dieser Stadt nicht angekommen ist. “ (c-OBS B, Koop 4, 364-371, 393-405) Angesichts des lokalen Bedarfs für die Tätigkeit von Team B und der vorhandenen Nachfrage nach den Dienstleistungen der Opferberatungsstelle erscheint mehreren Kooperationspartnern die Möglichkeit einer Beendigung des Projekts nach Auslaufen der Bundesförderung als „ein Skandal“, wie ein Mitarbeiter einer mit Team B kooperierenden Migranteneinrichtung formuliert. Die Entwicklungen am Standort von Team B seien durch städtische Sparmaßnahmen in der Jugendhilfe und bei Projekten zum Thema Demokratieentwicklung „eher katastrophal“, um so wichtiger seien „genau solche Einrichtungen“ wie das Opferberatungsprojekt von Team B (c-OBS B, Koop 5, 428-433): „Daran zu denken ist nicht wirklich gut. Das bedeutet natürlich zwei wichtige Dinge. Also erstens in Bezug auf die Migranten. Weil dann denke ich mir, dass wir wieder alte Verhältnisse erreichen, dass die Leute am besten gar nichts sagen, einen Kompetenten für die Hilfe gibt es nicht. Wir können es nicht leisten. Wir würden es natürlich wieder im beschränkten Umfang tun, aber es ist ja absolut nicht vergleichbar. Und das andere Ding ist, dass gerade Multiplikatoren in der Jugendarbeit, Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, seien es Lehrer, Schule-, Sozialarbeiter usw., denen fehlt ein kompetenter Partner zu diesem Thema und wir haben großartig keine anderen. Also, da fällt mir nichts ein, der so unkompliziert arbeitet. Also, für ((Ortsname)) wäre es ein Skandal, das finde ich wirklich. Und gerade jetzt in der Situation, wo viele Projekte wegbrechen. Wir haben die Situation, dass Jugendclubs geschlossen werden, viele Schulen geschlossen werden, viele Projekte jetzt schon weggebrochen sind innerhalb kürzester Zeit, ohne die Möglichkeit zu haben Alternativen zu schaffen oder alternative Finanzierungen zu besorgen, so dass wir jetzt absolut eine sehr, sehr schlimme Situation haben. Und was das jetzt, der Wegbruch von vielen Jugendhilfeangeboten für die Demokratieentwicklung bei Jugendlichen bedeutet, also darüber brauchen wir nicht großartig reden. Also gerade in unseren Neubaugebieten.“ (c-OBS B, Koop 5, 882-898) Bundesgeförderte Projekte wie die Opferberatungsstelle von Team B seien auch deshalb wichtig, weil derartige Projekte auf Landes- und kommunaler Ebene nicht gefördert werden könnten; insbesondere die Notwendigkeit einer Kofinanzierung aus kommunalen Mitteln sei ein „Genickbrecher“: CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 259 „Also, es würde eine ähnliche Arbeit in ((Stadtname)) sonst nie finanziert werden, auf Landesebene keine Chance, auf kommunaler Ebene keine Chance, absolut nicht. Und schon gar nicht in ((Bundesland)), da sind die Kassen noch leerer und der Wille ist einfach von ganz kurzer Dauer, das ist einfach ganz wichtig. Also, wir haben ja auch schon mal so einige CIVITAS-Förderungen bekommen und diese Tendenz zum Beispiel, dass es kommunale Anteile geben soll, ist ein Genickbrecher, nichts anderes.“ (c-OBS B, Koop 5, 808-815) Nach Einschätzung eines Kooperationspartners aus dem CIVITAS-Bereich würde ein Auslaufen der durch das CIVITAS-Programm geförderten Projekte in ihrem Bundesland „dramatische“ Folgen haben, denn dieses Bundesland leide jetzt schon unter einer absoluten Unterversorgung im Hinblick auf Einrichtungen zur Demokratieförderung und zur Opferberatung: „Wir haben es in ((Bundesland)) mit einer absoluten Unterversorgung zu tun. Ich habe vorhin nur über ((Projektname)) mal ganz kurz gesagt, was unsere Arbeitsbereiche sind, das ist rein räumlich, zeitlich, kapazitätstechnisch überhaupt nicht machbar. Und ich bin mir sicher, das wird ((Opferberatungsstelle)) auch nicht anders gehen. Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass ein Projekt wie ((Opferberatungsstelle)) wegbricht, es ist ohnehin schon eine Katastrophe und dann wird es noch mehr eine Katastrophe, man könnte zynisch sagen, ist auch schon egal. Es wäre äußerster Zynismus. Dann kann man ((Opferberatungsstelle)) und ((Projektname)) auch wieder streichen, weil sowieso schon desolat... Es wäre eine Katastrophe. Weil das ist jetzt endlich mal eine Struktur, die in den letzten zwei, drei Jahren aufgebaut worden ist, die wirklich eine flächendeckende Wirksamkeit hat und die auch bei allen Knirschereien, die es vielleicht manchmal gibt und auch geben muss, sich wirklich so gut verzahnt hat, dass da wirklich eine flächendeckende Präsenz, Angebotsdichte da ist. Wir sind alle völlig überlastet und es reicht hinten und vorne nicht und alleine in dem Bereich, wo wir tätig sind, muss man sicherlich die doppelte und dreifache Personenzahl einsetzen, aber... Wir könnten über andere Projekte reden, wo ich sagen würde, da wäre es viel sinnvoller die einzustampfen oder... also es wird unheimlich viel Mist gefördert, mal unter uns. Und die Projekte, die nun wirklich einigermaßen Sinn machen, weil sie auch landesweit eine Struktur haben, da die Axt anzulegen, das wäre echt eine Katastrophe.“ (c-OBS B, Koop 3, 514-531) Ein Ende der Arbeit von Team B sei, so ein weiterer Kooperationspartner aus der Migrantenarbeit, „wirklich zum Schaden der Betroffenen“ und der potentiell Betroffenen. Seiner Einschätzung nach würde dadurch die Gleichgültigkeit in der Bevölkerung den Randgruppen gegenüber noch größer werden. „Und ich glaube, dass dieses negative Verhalten gegenüber diesen Randgruppen sich auch weiter ausbreiten würde.“ (c-OBS B, Koop 4, 705-707) Insgesamt zeigen die Einschätzungen der Kooperationspartner/innen, dass beide Projekte in ihren jeweiligen Standortregionen trotz schwieriger Rahmenbedingungen wahrnehmbare Ergebnisse in den Bereichen Beratung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit erzielt haben. Die punktuelle Kritik an den Projekten stellt nicht das vorzeigbare Gesamtergebnis in Frage, weswegen ein Auslaufen der Projekte als ausgesprochen nachteilig empfunden werden würde. 5.2.8 Weitere Anregungen zur Projektarbeit Die Anregungen zur Arbeit von Team A sind breit gestreut. Einer seiner Kooperationspartner aus der Beratungsarbeit wünscht sich eine größere Präsenz des Teams in der Öffentlichkeit; es sei allerdings schwer in die Medien etwas vernünftiges hineinzubringen (c-OBS A, Koop 2). Aus Sicht eines örtlichen Polizeivertreters wäre eine Auffrischung der Erstkontakte „nicht verkehrt“, außerdem wird ein intensiverer Informationsaustausch zum Problemkreis Freizeit- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 260 gestaltung von Kindern und Jugendlichen und damit zusammenhängendem Delinquenzverhalten angeregt, das Thema sei im Präventionsrat gut aufgehoben, dort könnte ein entsprechender Austausch stattfinden (c-OBS A, Koop 9). Ein ähnliches Anliegen hat der Vertreter der örtlichen Niederlassung einer landesweit tätigen Opferberatungseinrichtung. Dringend notwendig ist für ihn die „Verbesserung der präventiven Arbeit des Projekts“ und die „Koordinierung der auf diesem Gebiet noch vorhandenen Initiativen und Einrichtungen“ (c-OBS A, Koop 10), zum Beispiel durch verstärkte Mitarbeit im städtischen Präventionsrat. Ein Kooperationspartner aus dem Bereich eines landesweit tätigen Netzwerks betont als Wunsch, es sei „sehr notwendig“, dass das Opferberatungsprojekt von Team A nicht nur bestehen bleibe, sondern noch weiter ausgebaut werden könne: „Eigentlich wär es notwendig, noch mehr in die Breite zu gehen, gerade in den problematischen Regionen noch Anlaufpunkte zu schaffen, die dann nicht nur als Ansprechpartner für Betroffene agieren, sondern auch in dem Umfeld das Bewusstsein entwickeln bei den Menschen, dass ist ganz notwendig ist, was zu tun, das würde ich mir wünschen und ich hoffe auch, dass das Geld dafür gegeben wird, denn ehrenamtlich geht es halt nicht, denn ehrenamtlich ist man sehr eingeschränkt in seinem Wirken. Auch die gleiche Überzeugung haben, dass nach CIVITAS und nach den anderen Programmen es weiterhin Mittel geben wird für solche Sachen. Ansonsten wäre es sehr schwierig... und ich würde mir wünschen, dass sich auch Kommunen und Landkreise beteiligen an der Finanzierung, denn es ist eigentlich das Problem vor Ort und die Unterstützung von außen ist zwar wichtig, aber trotzdem muß auch ein Problembewusstsein vor Ort erzeugt werden.“ (c-OBS A, Koop 4) Weitere Anregungen zur Projektarbeit von Team B beziehen sich einerseits auf die Absicht, die Umfeldarbeit zu verstärken: „Also, was ich mir natürlich noch öfter mal wünschen würde, dass es noch mehr Weiterbildung nach außen hin gibt, also noch mehr Aufklärungsarbeit gemacht wird, noch mehr potentielle Betroffene aufgesucht werden, dass sich noch mehr mit Flüchtlingen zum Beispiel beschäftigt wird. Also das würde ich mir schon wünschen.“ (cOBS B, Koop 4, 736-740) Ein Experte aus der Landespolitik regt an, das Opferberatungsprojekt von Team B solle in Zukunft mehr Offenheit zeigen („nicht nur in der eigenen Suppe kochen“) und hofft, „dass es mehr auf staatliche Institutionen zugeht und sich eingliedert auch am besten in eine Gesamtkonzeption. Also, es ist ja wenigen damit geholfen, dass da jeder nur sein eigenes Ding macht.“ (c-OBS B, Koop 7, 577-579) Ein Kooperationspartner aus der Stadtverwaltung wünscht sich für die Zukunft etwas mehr Realismus von Team B bei der Beurteilung der Asylpolitik. Team B würde manchmal „in der Vehemenz und der Globalität ihrer Forderungen Dinge ansprechen und Dinge verlangen, die sicherlich kritikwürdig sind, wo manchmal die Ebene verwechselt wird“, wobei mitunter „ein bisschen vorschnell und forsch agiert“ werde (c-OBS B, Koop 1, 257-263). Kommunale Behörden wie Ausländerbehörde oder Sozialamt könnten zum Beispiel bundesrechtliche Regelungen nicht beeinflussen. Da sei es etwas verfehlt, wenn Team B in einer Pressemitteilung die Abschaffung der Gutscheinregelung für Asylbewerber als „kleinen Schritt“ bezeichne und dann sofort eine Liste mit Maximalforderungen anschließe. Für das Bundesland sei die Abschaffung der Gutscheinregelung ein großer Fortschritt, dem allerdings noch viele weitere Fortschritte folgen müssten, um die Lebenssituation von Asylbewerbern zu verbessern. Der betreffende Kooperationspartner regt insgesamt für Team B ein stärker kleinschrittiges Vorgehen bei der Beteiligung an der Debatte über die Asylpolitik an: CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 261 „Also, dass da manchmal vielleicht ein bisschen vorschnell und forsch agiert wird und ich denke, in der Stadt passiert, gerade was den Asylbereich angeht, eine ganze Menge. Und wir haben eine größere Zahl von Flüchtlingen, die noch im Verfahren sind, die in Wohnungen untergebracht sind, obwohl das Bundesgesetz Gemeinschaftsunterkünfte eigentlich vorschreibt und das andere nur als Ausnahme genehmigt. Oder von dieser Stadt ist vehement ausgegangen, dass diese Gutscheinregelung jetzt abgeschafft ist und dass im Bundesland mit Bargeld bezahlt wird, also da haben gerade die kommunalen Ausländerbeauftragten sehr intensiv mit dem Innenministerium gearbeitet. Und dann lese ich eine Presseerklärung von ((Opferberatungsstelle)), wo drin steht als kleinen Schritt begrüßen wir durchaus, dass es jetzt Bargeld gibt, aber... und dann kommt eben die Liste der Forderungen, die ich nachvollziehen kann, aber wo ich sage, kleiner Schritt, liebe Leute, versucht es einfach mal in die Realität einzuordnen und in der Realität ist es in dieser Bundesrepublik Deutschland einfach eine doch schon sehr hervorhebenswerte Sache, wenn es gelungen ist, dass ein Bundesland eine Bargeldregelung einführt. Also dort einfach die Gewichte und ein Stück realitätsnäher... (...) Nach dem Schritt müssen andere Schritte kommen, aber zu sagen, dass ist nur Pille Palle und eigentlich gar nicht wirklich was besseres und jetzt müssen wir irgendwie dafür sorgen, dass Asylbewerber sich so bewegen können wie Leute, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben und das ist einfach irrig, das ist irrig und das entspricht eben auch nicht der Konstellation.“ (c-OBS B, Koop 1, 253-285) Trotz dieser Differenzen in politischen Fragen betont der Kooperationspartner, dass im Vordergrund der Arbeit von Team B die Opferberatung stehe und sich das politische Engagement von Team B auf die Verbesserung der Situation der Opfer beziehe und von daher ein integrierter Bestandteil der Opferarbeit sei: „Aber ich bitte das auch zu trennen. Das eine ist die politische Haltung der Leute und das andere ist die konkrete Arbeit, die sie als Opferberatung machen und so lange nicht dieses andere die Überhand gewinnt und mit dem Geld von CIVITAS politische Botschaften verkündet werden und nicht mehr Opferberatung stattfindet, solange das nicht der Fall ist – und das ist nicht der Fall bei ((Opferberatungsstelle)) – dann ist das jetzt keine Kritik an dieser Geschichte.“ (c-OBS B, Koop 1, 298-303) In ähnlicher Weise wünscht sich auch ein Kooperationspartner aus dem CIVITAS-Bereich von Team B mehr „Fähigkeit zum Vertrauen“ und eine verstärkte Wahrnehmung, dass die Gegebenheiten nur schrittweise veränderbar seien. Die „Salami-Taktik“ sei die einzig sinnvolle Strategie, die kleine Erfolge (aber immerhin Erfolge) bei der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse verspreche, weshalb er sich von Team B „ein bisschen mehr Belastbarkeit“ (offenbar im Sinne von mehr Geduld, auch mehr Zufriedenheit mit kleinen Erfolgen) wünsche: „Mit der einen Einschränkung, dass ich sagen würde, was ich mir von ((Opferberatungsstelle)) wünschen würde, wäre ein wenig mehr Fähigkeit zu Vertrauen oder ein wenig mehr... wie gesagt mich hat mal sehr beeindruckt ein Kollege aus dem MBT hat mal irgendwann gesagt, wir können die Bevölkerung nicht austauschen. Und das muss, glaube ich, immer mitgedacht werden. Also, dass eine Bereitschaft da ist, sich mit den Gegebenheiten auch auf eine Art und Weise auseinander zu setzen, dass man diese Gegebenheiten wirklich schrittweise verändern kann. Es ist immer ein bisschen die Frage der Strategie sozusagen der Veränderung der Gesellschaft. Und meiner Überzeugung nach werden wir alle die Revolution nicht erleben, so dass man die Salami-Taktik zwar ausgesprochen leicht abwerten kann, aber dass sie meiner Ansicht nach die einzige ist, die auch nur kleine Erfolge versprechen kann und das würde ich mir von ((Opferberatungsstelle)) als Gesamtprojekt wünschen, dass da ein bisschen mehr Belastbarkeit da wäre.“ (c-OBS B, Koop 3, 491-508) CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 262 5.3 Zusammenfassende Beurteilung der Tätigkeit der beiden Kleinteams Der Bedarf für eine Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt wird von allen Befragten als gegeben eingeschätzt. Zwar machen einige Experten deutlich, dass die rechtsextremen Gewalttaten und die damit verbundenen Strafverfahren im Vergleich mit den Spitzenwerten in den frühen 90er Jahren zurückgegangen seien und in den beiden untersuchten Regionen weiter zurückgingen bzw. stagnierten, dies wird aber mit Recht nicht als Argument gegen die Tätigkeit der beiden Opferberatungsstellen angeführt. Denn der Tätigkeitsbereich der beiden Opferberatungsstellen umfasst auch Vorfälle, die von den Betroffenen nicht angezeigt werden (obwohl das in aller Regel in den Beratungen nahegelegt wird) und die unterhalb der strafrechtlichen Grenzen liegen, wie zum Beispiel Diskriminierungen. Außerdem umfasst ihr Tätigkeitsbereich neben der Direktberatung weitere Aufgabenfelder, die aus der Beratungsarbeit im engeren Sinne hervorgehen, aber mit dem Blick auf die „Fallzahlen“ nicht einzufangen sind, wie Begleitungen, Umfeldarbeit, Präventionsveranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und lokale Interventionen. Der Tätigkeitsbereich ist also im Vergleich zu normalen Beratungsstellen deutlich umfangreicher und zeitintensiver. Von daher ist eine Vergleichbarkeit mit normalen Beratungsstellen mit „Komm-Struktur“, wie sie beispielsweise für die „Opferhilfe“ typisch ist, und deren „Fallzahlen“ nur bedingt gegeben. Der Bedarf für die beiden Beratungsstellen im Sinne des erweiterten Tätigkeitsfeldes ist daher als gegeben anzusehen. Die Beurteilung des Bekanntheitsgrades lässt erkennen, dass beide Opferberatungsstellen in ihren Eigenmilieus und Standorten hinreichend bekannt sind, es aber deutliche Defizite gibt, wenn der Blick in sozialer und räumlicher Sicht darüber hinaus geht. Bei der noch geringen Bekanntheit in der breiten Öffentlichkeit und auf dem Land handelt es sich aber sicher auch um Strukturprobleme der entsprechenden Projekte bzw. Initiativen. Dennoch ist zu fragen, ob hier nicht weitere Anstrengungen erforderlich sind, um den Bekanntheitsgrad weiter zu erhöhen und zu verbessern, gerade auch in zentralen Institutionen der Gesellschaft und auf Landesebene. Die Opferberatungsstellen sollten sich durch ihr Engagement für die Opfer nicht davon abhalten lassen, den Weg in die „Mitte der Gesellschaft“ zu gehen und ein Beziehungsnetz aufzubauen, das über ihre Kooperationspartner im engeren Sinne hinausgeht. Die Tätigkeitsfelder bzw. Zielgruppen und die Beurteilung des Angebots zeigen die gleichen Trends, die bereits aus der Innenperspektive erkennbar waren. Insgesamt wird das Angebot von den befragten Kooperationspartnern mit kleineren Abstrichen als nützlich und sinnvoll eingestuft. Auffallend ist der deutliche Unterschied in der Erreichung der Zielgruppen. Während Team A weitgehend nur im Jugendbereich aktiv ist und zur Gruppe der Flüchtlinge keinen Zugang gefunden hat, ist Team B dieser Zugang gelungen. Wichtig ist aber hier die Unterstützung der beiden kooperierenden Migranteneinrichtungen gewesen, die Team B quasi in die Migrantenarbeit eingeführt haben. Hier spielt der Hintergrund einer Großstadt mit einem Minimum an entsprechenden (zum Teil vorbildlichen) Einrichtungen sicherlich eine Rolle. Diese Unterstützungsstruktur fehlte bei Team A, so dass hier ein Zugang aus eigener Kraft nicht gelang bzw. offenbar nie wirklich konsequent versucht wurde. Dennoch bleibt der Wunsch eines Kooperationspartners, Team A solle sich verstärkt den Flüchtlingen zuwenden und dafür andere Tätigkeitsbereiche (zum Beispiel Recherche) zurückfahren, nachvollziehbar, denn die Flüchtlinge sind in Heimen ansprechbar und könnten wie bei Team B in einer CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 263 regelmäßigen Heimtour aufgesucht werden. Da der Jugendbereich, in dem sich Team A aufgrund eigener Bindungen intensiv bewegt hat, mittlerweile von den Netzwerken her als konsolidiert gelten kann, ist zu fragen, ob sich Team A jetzt nicht verstärkt den Zugang zur Zielgruppe der Flüchtlinge bzw. Migranten suchen und dafür andere Tätigkeitsbereiche (zum Beispiel Recherchen) zurückstellen sollte. Dies trifft sich mit dem Votum eines Experten zu Team B, der ausufernde Recherchearbeiten des Teams konstatiert und hinterfragt. In der Tat ist zu fragen, ob der Tätigkeitsbereich Recherche, auch angesichts der Tatsache, dass mittlerweile bei beiden Teams die meisten Kontakte zu Klienten über Kooperationspartner vermittelt werden, nicht stärker zurückgefahren werden sollte. Die Beurteilung der Öffentlichkeitsarbeit lässt erkennen, dass beide Teams sich intensiv um eine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit bemüht haben, dabei aber immer wieder an die Grenzen stoßen, die ihnen durch die mangelnde Resonanz ihrer Anliegen in der Presselandschaft gesetzt werden. Die wichtige Funktion der von beiden Teams erstellten Chroniken wird von den Kooperationspartnern immer wieder hervorgehoben. Beide Teams betreiben darüber hinaus eine intensive Öffentlichkeitsarbeit durch Vorstellung des Projektanliegens im öffentlichen Raum, zum Beispiel durch Vorträge in Gremien oder Informationsveranstaltungen in Schulen. Während Team A Öffentlichkeitsarbeit stärker fallbezogen betreibt, greift Team B darüber hinaus mit eher thematisch orientierten Beiträgen in aktuelle Debatten über die Asylpolitik oder über Gewaltphänomene ein. Der Mut und die Einsatzbereitschaft, mit der sich beide Teams immer wieder öffentlich für die Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten und ihre Situation einsetzen, wird von einigen Kooperationspartnern lobend hervorgehoben. Diese Öffentlichkeitsarbeit wird wiederholt als „unverzichtbar“ eingestuft, weil dadurch auf Ereignisse aufmerksam gemacht werde, die ansonsten nie an die Öffentlichkeit gelangen würden. Allerdings wird vereinzelt auch Kritik laut, die sich bei Team A auf „einseitige Wertungen“, bei Team B auf die Strategien des Vorgehens in einem konkreten Fall mit erheblicher Öffentlichkeitswirksamkeit bezieht. Diese Kritik der Kooperationspartner ist ernst zu nehmen, spiegelt sie doch die Sicht wohlwollender Vertreter/innen von Stadtverwaltungen wider, zu denen zum Teil noch ein eher distanziertes Verhältnis seitens der Opferberatungen besteht, das verbesserungswürdig erscheint. Besonders bei dem kritisierten Vorgehen von Team B ist zu fragen, ob hier nicht durch ein stärker abgestuftes Vorgehen und die Nutzung der Gesprächsebene im Rahmen „kleiner Dienstwege“ auch der gleiche Effekt erzielt und die Brüskierung der betreffenden Einrichtung hätte vermieden werden können. Derartige Vorgehensweisen sind in anderen durch das CIVITAS-Programm geförderten Opferberatungsprojekten, zum Teil nach Erfahrungen mit heftigen Gegenreaktionen, mittlerweile üblich. Die Äußerungen der Kooperationspartner und Experten zur Beurteilung des Beratungsansatzes bestätigen für beide Teams eindeutig den Sinn eines derartigen Ansatzes unter Berücksichtigung der für beide Teams bestehenden Umstände. Aufsuchender Ansatz, niedrigschwelliges Vorgehen und Parteilichkeit werden für Zielgruppen, die als Folge der erlittenen Gewalt nicht von alleine Beratungen aufsuchen, für sinnvoll gehalten, auch von dem Kooperationspartner aus dem Beratungsbereich, der eher im Rahmen einer „Komm-Struktur“ arbeitet. Betont wird von demselben Kooperationspartner auch der Sinn der „politischen Arbeit“ für die Opfer, wie ihn Team A vertritt. Hier sei allerdings eine Trennung zwischen Beratungsarbeit durch die Berater/innen und politischer Arbeit (zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit) durch den CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 264 Vorstand bzw. die Geschäftsführung der betreffenden Einrichtung empfehlenswert, damit es aus politischen Gründen nicht zur Instrumentalisierung von Betroffenen kommen könne. Für Team A kritisiert ein Kooperationspartner die Distanz des Teams zu Behörden, etwa der Ausländerbehörde, die für das Team offensichtlich aus der bedingungslosen Hinwendung zu den Betroffenen abgeleitet wird. Wer für die Betroffenen etwas erreichen wolle, so der Kooperationspartner, müsse auch mit den betreffenden Behörden, die über ihr Schicksal entscheiden, zusammenarbeiten können. Diese Feststellung kann man nur nachdrücklich unterstreichen; im Hinblick auf die Bereitschaft, mit ungeliebten Behörden sachorientiert zusammenzuarbeiten, hat nicht nur Team A, sondern haben viele von CIVITAS geförderten Opferberatungsstellen wohl noch Nachholbedarf. Die Fachlichkeit der Mitarbeiter/innen beider Teams wird von den Kooperationspartner/innen als gut bis sehr gut eingeschätzt: Die Mitglieder von Team A verfügten dadurch über die grundständige Fachkompetenz, dass alle Mitglieder Sozialpädagog/innen seien, sie könnten „gut mit Menschen umgehen“, seien außerdem „sozial kompetent“ und „sehr kooperativ“, machten eine gute Beratungsarbeit und verfügten darüber hinaus über „sehr gute Kenntnisse“ rechtsextremer Strukturen. Auch Team B wird als „sehr professionell“ charakterisiert, wobei die Stärke des Teams unter anderem durch seine Zusammensetzung aus Personen mit unterschiedlichen Schwerpunktkompetenzen zustande komme. Es werde eine „solide Beratung“ gemacht, außerdem wird das Fachwissen der Teammitglieder im Hinblick auf rechtsextreme Strukturen und ihre intensive Bereitschaft zur Fortbildung hervorgehoben. Ein Kooperationspartner schränkt allerdings ein, das „Auftreten“ von Mitgliedern von Team B habe in Beratungsprozessen auch nachteilige Wirkungen gehabt. Ein Experte aus der Landespolitik, der Team B bei einem einmaligen Kontakt wahrgenommen hat, bei dem es um eine Kofinanzierung aus Landesmitteln ging, schätzt die Fachlichkeit des Teams im Vergleich zum MBT, das ebenfalls an der Besprechung teilnahm, kritisch ein. Team B habe seine Anregungen auf Erweiterungen seiner Tätigkeitsfelder in Richtung Flüchtlingsberatung nicht aufgegriffen und keine Konzepte zur Zusammenarbeit mit dem MBT geliefert. Der Experte vermisst offenbar bei Team B eine gewisse Flexibilität, die es in die Lage versetzen würde, das eigene Konzept auch an Anforderungen der Landespolitik zu orientieren und dadurch unter veränderten Rahmenbedingungen sachgerecht fortzuentwickeln. Die Äußerungen zu den den Teams zugeschriebenen Ergebnissen zeigen einen Mikrokosmos der CIVITAS-Opferberatungen. Erfolge werden bei beiden Teams in der kontinuierlichen Betreuung der Opfer gesehen, für die eine Anlaufstelle geschaffen wurde, die zuvor an beiden Standorten fehlte. Hervorgehoben wird außerdem die wichtige Informationsfunktion der Projekte und ihre unverwechselbare Öffentlichkeitsarbeit. An beiden Standorten haben sich die Teams in die bestehende Beratungs- und Initiativenlandschaft gut integriert, so dass ihre Tätigkeit in der Fachszene als Bereicherung und Entlastung, nicht als Konkurrenz gedeutet wird. Beide Teams haben an ihren Standorten mit nach wie vor schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen, da Teile der Stadtverwaltungen und der Kommunalpolitik ihre Tätigkeit potentiell als Bedrohung der städtischen Images ansehen, wobei dies, wie am Beispiel von Team A deutlich wird, nicht offen geäußert wird. Pessimistisch wird daher auch die Möglichkeit der Übernahme der Opferberatungsprojekte durch das Land bzw. die Kommune eingeschätzt. Besonders am Standort von Team B werden derzeit die Mittel für den Jugendund Initiativenbereich radikal zusammengestrichen, wobei der Migrantenbereich „keine Lobby“ habe und deshalb besonders stark betroffen sei. An beiden Standorten wird vor CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 265 habe und deshalb besonders stark betroffen sei. An beiden Standorten wird vor diesem Hintergrund ein Auslaufen der Projekte nach Ende der Bundesförderung als „Schaden“ für die betroffenen Klienten und als „Katastrophe“ für die ohnehin schon ausgedünnte Beratungsund Initiativenlandschaft begriffen, zumal das Opferberatungsprojekt von Team B wichtige, landesweit spürbare Netzwerkarbeit übernehme und das betreffende Bundesland im Hinblick auf Projekte, die das Thema Rechtsextremismus aufgriffen, ohnehin „absolut unterversorgt“ sei. Weitere Anregungen für die Projektarbeit durch die Kooperationspartner und Experten beziehen sich bei Team A auf eine ganze Reihe von Tätigkeitsbereichen, die bereits ausgeübt werden, aber noch intensiviert werden sollten. Zu nennen wären hier eine größere Präsenz in der Öffentlichkeit, ein verstärktes Engagement für die Zielgruppe der Flüchtlinge und eine intensivere Arbeit im präventiven Bereich. Dabei wird auch eine Zusammenarbeit und zum Teil sogar eine Koordination entsprechender Initiativen im städtischen Präventionsrat, der sich zur Zeit in einem Neuaufbau befindet, angeregt. Wichtig sei auch eine Verbreiterung und Vertiefung der Tätigkeit gerade im ländlichen Bereich. Bei Team B weisen die Wünsche der Kooperationspartner neben einer Verstärkung der Umfeldarbeit vor allem auf eine veränderte Grundhaltung hin. Team B solle „mehr Offenheit“ zeigen, stärker auf staatliche Institutionen zugehen, bei der Öffentlichkeitsarbeit etwas mehr Sensibilität zeigen und stärker realisieren, dass die Gegebenheiten, die zum Ausbruch rechtsextremer Gewalt führen, nur schrittweise veränderbar seien. Die einzig erfolgsprechende Strategie, die kleine Erfolge erwarten lasse, sei die „Salami-Taktik“, weswegen sich ein Kooperationspartner „ein bisschen mehr Belastbarkeit“ (offenbar im Sinne von mehr Geduld, auch mehr Zufriedenheit mit kleinen Erfolgen) von Team B wünscht. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 6 Zusammenfassende Bewertung Opferberatungsstellen 266 der CIVITAS- Rahmenbedingungen: Wahrnehmung des Themas Rechtsextremismus in der Landesund Kommunalpolitik Die politischen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Opferberatungsstellen auf kommunaler Ebene sind weiterhin schwierig. In ländlichen Gebieten bzw. Kleinstädten wird das Problem Rechtsextremismus weiterhin nicht selten geleugnet bzw. verdrängt, zum Beispiel weil ein Imageschaden befürchtet wird. Zudem fehlt es auf dem Land und in den Kleinstädten oftmals an zivilgesellschaftlichen Initiativen, auf die sich die Arbeit der Opferberatungsstellen stützen könnte. Unter diesen Bedingungen muss der Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen gerade in ländlichen Regionen vielfach erst geleistet werden, der eigentlich eine Voraussetzung für die Arbeit der Opferberatungsstellen wäre. Dies leisten zu wollen, würde allerdings eine Überforderung für die Tätigkeit der Opferberatungsstellen bedeuten. Rahmenbedingungen: Kommunale Regelstrukturen Die CIVITAS-Opferberatungsstellen treffen vor allem in ländlichen Regionen auf schwach ausgebaute Regelstrukturen in den Bereichen Jugendhilfe, Flüchtlingsarbeit etc., die zusätzlich zur Zeit noch weiter reduziert werden (zum Beispiel Schließung von Jugendclubs). In dieses bestehende kommunale Netzwerk von Beratungsstellen, Einrichtungen und Initiativen haben sich die CIVITAS-Opferberatungsstellen in den im Rahmen des Kleinteamvergleichsnäher untersuchten Städten - soweit bekannt – nach Wahrnehmung von Kooperationspartner/innen sinnvoll integriert. Rahmenbedingungen: CIVITAS-Programm Die Bundesförderung im Rahmen des CIVITAS-Programms hat die flächendeckende Einrichtung von Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten erst möglich gemacht. Förderlich war die Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen für Personalstellen und die Sachmittelausstattung, die einen aufsuchenden Ansatz weitgehend erst ermöglicht hat (zum Beispiel durch die Dienstwagen). Als nachteilig und zum Teil als behindernd für die Projektarbeit wurden von Mitarbeiter/innen einiger Projekte im laufenden Jahr das als aufwändiger angesehene Beantragungsverfahren, die als schärfer empfundenen BATÜberprüfungen und die neuen Richtlinien für die Öffentlichkeitsarbeit im CIVITASProgramm eingestuft. Die Notwendigkeit, eine Kofinanzierung für die Projekte in Höhe von 20% der Bundesfördersumme einzuwerben, hat nach Darstellung der Mitarbeiter/innen viele Projekte in große Schwierigkeiten gebracht. Nicht gering waren auch die Motivationsprobleme in der Mitarbeiterschaft angesichts der ungewissen Zukunftsperspektive, zum Teil war dies auch mit ein Grund für die Kündigung bewährter Mitarbeiter/innen. Sinnvoll erscheint vor diesem Hintergrund die kontinuierliche Absicherung der Projektarbeit durch einen mehrjährigen Projektzyklus (wie er zum Beispiel im Xenos-Programm besteht). Im Rahmen von derartigen festen Finanzierungszusagen wäre auch die Jährlichkeit des Bundeshaushalts kein Problem für die Planungssicherheit der Projekte. CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 267 Tätigkeitsbereich: Rahmenkonzept Die lange Zeit fehlende Spezialunterstützung von Betroffenen rechtsextremer Straf- und Gewalttaten wurde durch das CIVITAS-Programm erstmals flächendeckend ermöglicht. Das Rahmenkonzept der CIVITAS-Opferberatungsstellen und der damit verbundene Perspektivenwechsel zu einer „Opferperspektive“ ist ein innovativer Ansatz, der sich in der Praxis bewährt hat. Sinnvoll erscheint auch eine Weiterführung der Kombination von individueller Unterstützung und Umfeldarbeit zur Förderung der gesellschaftlichen Integration der betroffenen Personen(gruppen), da in dieser Hinsicht in den neuen Bundesländern weiterhin gravierende Defizite bestehen. Empfohlen wird allerdings eine Überprüfung des Ansatzes dahingehend, ob er von seinen Zielsetzungen auf Projektebene her nicht überdimensioniert ist, also zu viel will. Es stellt sich dabei die Frage, ob der mit dem Konzept verbundene Anspruch auf Veränderung des politischen Klimas im kommunalen Raum nicht eine Überdehnung des Konzepts bedeutet. Durch die Erhebungen ist erwiesen, dass der Ansatz gerade im Hinblick auf das Leitziel der Veränderung des politischen Klimas vor Ort oftmals eine Überforderung der Mitarbeiter/innen (zeitlich, personell und von den Ergebniserwartungen her) nach sich zieht. Zudem liegt dabei eine Überschneidung mit dem Arbeitsfeld der Mobilen Beratungsteams vor. Tätigkeitsbereich: Zielgruppen Als Hauptzielgruppen haben sich Asylbewerber/Flüchtlinge und „nicht-rechte“ Jugendliche etabliert, während Angehörige anderer ethnischer, kultureller oder sozialer Minderheiten kaum erreicht werden. Es erscheint gerade im Rahmen eines aufsuchenden Ansatzes sinnvoll, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um Personengruppen zu erreichen, die auch Opfer von rechtsextremen Übergriffen sind, wie zum Beispiel Obdachlose oder Homosexuelle. In der Zielgruppe der Asylbewerber ist bei einigen Projekten eine Ausweitung des Tätigkeitsbereichs in Richtung allgemeine Flüchtlingsberatung (zum Beispiel zu den Themen Aufenthaltsstatus oder Familienzusammenführung) zu beobachten. Damit reagieren die betreffenden Opferberatungsprojekte auf eine entsprechende Nachfrage oder ersetzen fehlende Beratungsangebote. Dabei handelt es sich um eine im Einzelfall, zum Beispiel bei fehlenden Beratungsstrukturen, sinnvolle Ausweitung, die aber über den eigentlichen Auftrag der Opferberatungsstellen hinausgeht. Negativ erfolgt im Bereich der Zielgruppen generell eine Abgrenzung gegenüber „Aussteigern“ aus der rechtsextremen Szene, die nicht beraten werden. Dabei stellt sich die Frage, wie dies mit der grundsätzlichen Orientierung des Programms auf Demokratieförderung und Menschenrechte vereinbar ist und ob nicht vielmehr alle Opfer rechtsextremer Gewalt als Zielgruppe der Beratungen angesehen werden sollten. Tätigkeitsbereich: Auftrag Neben dem Hauptauftrag der Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt durch Beratung und Begleitung werden von den Mitarbeiterinnen weitere, jeweils konzeptgestützte Teilaufträge benannt. Diese bewegen sich in der Regel im Bereich der Umfeldaktivierung für die Betroffenen zur Verbesserung ihrer Situation bzw. zur Förderung ihrer gesellschaftlichen Integration und der dazu erforderlichen Voraussetzungen (v.a. Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung) und beziehen auch Präventions- und Interventionsmaßnahmen auf kommunaler Ebene mit ein. Zum Teil wird der Präventions- und Interventionsauftrag allerdings derart weit CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 268 gefasst, dass daraus ein allgemein-politischer Auftrag wird, wenn zum Beispiel Einwirkungen auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen in Richtung auf ein Klima, in dem sich alle Menschen frei und ohne Angst bewegen können, als Auftrag einer Opferberatungsstelle definiert wird. Bezogen auf diesen letzteren Auftrag ist zu fragen, ob hier nicht eine Überdehnung des jeweiligen Konzepts vorliegt und ob dieses Ziel im Rahmen von Projektarbeit überhaupt realisierbar ist. Tätigkeitsbereich: Zielsetzungen Eine Operationalisierung der Leitziele auf Projektebene ist bisher unterblieben, erscheint aber dringend erforderlich. Eine Folge davon ist, dass die Projekte vielfach mit Großbegriffen („Zivilgesellschaft“, „Rassismus“) operieren, deren Bedeutungsgehalte weder in der Wissenschaft noch in der Öffentlichkeit eindeutig geklärt sind. Eine Operationalisierung dieser Großkategorien könnte dazu beitragen den Ansatz zu präzisieren, also nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen schärfer zu fassen und praktikable Vorgehensweisen zu etablieren. Die Operationalisierung der Leitziele in Mittler- und Handlungsziele könnte helfen, die konkrete Arbeit im Alltag handhabbarer zu machen, ein kleinschrittigeres Vorgehen einzuüben und damit selbst produzierte Überforderungen zu vermeiden. Tätigkeitsbereich: Ansatz/Zugangswege Für die spezifischen Zielgruppen sind die zentralen Prinzipien des Ansatzes (aufsuchendes Vorgehen, niedrigschwellige Ansprache, Parteilichkeit, Ressourcenorientierung und „Hilfe zur Selbsthilfe“) sinnvoll und notwendig, da anders diese Personengruppen auf Grund ihrer oftmals ‚defizitären’ Lebensverhältnisse nicht zu erreichen sind. Die Zugangswege über Recherche oder die Vermittlung durch Kooperationspartner bergen allerdings die Gefahr der sozialen Konstruktion von Opfern und ihrer Instrumentalisierung für eigene politische Zwecke. Zentral erscheint hier als Gegengewicht der Grundsatz, die Anliegen des Opfers in den Mittelpunkt zu stellen und diesen den unbedingten Vorrang einzuräumen. Diese Gefahren wurden aber im Rahmen einer Fortbildung reflektiert und können durch die eindeutige Orientierung am Grundsatz der Selbstbestimmung der Klienten balanciert werden. Tätigkeitsbereich: Gewaltbegriff/Interventionsanlässe Der Gewaltbegriff und die damit verbundenen Interventionsanlässe sind bei den meisten Projekten weit ausgedehnt und umfassen physische, psychische (zum Beispiel Beleidigungen) und strukturelle Gewaltformen (zum Beispiel institutionelle Diskriminierungen). Rechtsextreme bzw. rassistische Hintergründe werden regelmäßig überprüft, wobei allerdings die Berater/innen einen weiten Definitionsspielraum haben. Dadurch wächst die Gefahr der sozialen Konstruktion von Opfern bzw. Interventionsanlässen. Daher wird empfohlen, den Gewaltbegriff und die Interventionsanlässe zu diskutieren und eventuell schärfer zu fassen bzw. einzugrenzen. Tätigkeitsbereich: Unterstützung von Individuen durch Beratung und Begleitung In diesem Tätigkeitsbereich hat sich, unterstützt durch die Vorerfahrungen der „Opferperspektive Brandenburg“ und die gemeinsamen Fortbildungen, ein klar strukturierter und aufeinander abgestimmtes Set von Teiltätigkeiten herausgebildet, das weitgehend alle von CI- CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 269 VITAS geförderten Opferberatungsstellen anbieten. Die Beratungen enthalten einerseits Informationsanteile zu den relevanten Themen (Anzeigeerstattung bzw. Verfolgung der Straftat, Ablauf des Gerichtsverfahrens, Entschädigungsmöglichkeiten, Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit) und psycho-soziale Anteile, welche die Persönlichkeit der betroffenen Person stabilisieren und ihre Eigenpotentiale stärken sollen. Neben den Beratungen ist die Begleitung der Betroffenen bei der Bewältigung der Tat und ihrer Folgen ein weiteres wesentliches Tätigkeitsfeld. Opferberatungsstellen wollen die Betroffenen dazu in die Lage versetzen, die notwendigen Behördengänge und den erforderlichen Schriftwechsel so weit wie möglich selbst durchzuführen, unterstützen sie dabei und übernehmen selbst nach Absprache auch Teilaufgaben in diesem Bereich. Sie begleiten den Prozeß der Anzeigeerstattung, sind auf Wunsch bei Zeugenaussagen anwesend und stehen während der Gerichtsverfahren (Strafund Zivilprozeß) als Begleitung bzw. zur Beobachtung zur Verfügung. Diese Teiltätigkeiten gehen über die üblichen Angebote vergleichbarer Beratungseinrichtungen weit hinaus und sind als überaus nützlich anzusehen. In diesem Tätigkeitsfeld liegen vielfach auch die eigentlichen Erfolgserlebnisse der Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen. Tätigkeitsbereich: Unterstützung kollektiver Akteure bzw. Prozesse zur Förderung der gesellschaftlichen Integration der Betroffenen(gruppen) In diesem Tätigkeitsbereich liegen trotz aller Anstrengungen der jeweiligen Mitarbeiter/innen die größten Schwierigkeiten für die Tätigkeit der Opferberatungsstellen. Sie sind zum Teil Folgen einer nach wie vor spürbaren Ablehnung gegenüber dem Thema Rechtsextremismus und der Wahrnehmung von entsprechend motivierten Straf- und Gewalttaten, zum Teil auch Resultat fehlender zivilgesellschaftlicher Strukturen, auf die sich die Opferberatungsstellen stützen könnten, zum Teil sicher auch Ergebnis eines mitunter stark konfrontativ bzw. provokativ orientierten Vorgehens. Die Versuche einer Mobilisierung von Unterstützung für die Opfer finden oftmals keine Resonanz, weil es an entsprechenden Ansprechpartnern in den jeweiligen Kommunen mangelt. Die auf Sensibilisierung abzielende Öffentlichkeitsarbeit wird immer noch zu wenig wahrgenommen bzw. von den Medien aufgegriffen und erreicht daher selten einen breiten Teilnehmerkreis. Die Ergebnisse der kommunalen Interventionen werden von den Mitarbeiter/innen zum Teil pessimistisch beurteilt, weil greifbare Ergebnisse bzw. Veränderungen ausbleiben. Im Bereich der kommunalen Interventionen erscheint das Vorgehen vielfach noch zu unsystematisch, gerade auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den MBTs. Auch ist zu fragen, ob derartige kommunale Interventionen nicht eine Überdehnung des Konzepts „Opferperspektive“ darstellen. Tätigkeitsbereich: Interaktionen im Rahmen des CIVITAS-Programms Die Interaktionen zwischen den „Säulen“ des CIVITAS-Programms (Mobile Beratungsteams, Opferberatungsstellen, Netzwerkstellen) im Sinne des gemeinsamen Auftrags der Demokratieförderung und des Zurückdrängens von Rechtsextremismus sind in vielen Regionen angelaufen, die Zusammenarbeit könnte allerdings zum Teil noch intensiviert und verbessert werden: Die entsprechenden Rollen sind nicht immer geklärt bzw. abgestimmt, das jeweilige Vorgehen wird zum Teil als kontraproduktiv empfunden, zum Teil gibt es Berichte über Konkurrenzsituationen etc. Notwendig erscheint vor allem ein Orientierungsrahmen für ein CIVITAS: Evaluierung der Opferberatungsstellen 270 stärker abgestimmtes Vorgehen zwischen Mobilen Beratungsteams und Opferberatungsstellen im kommunalen Raum. Tätigkeitsbereich: Ergebnisse Nach einer zweieinvierteljährigen Tätigkeit können Erfolge nur im kleinen Ausmaß und im Hinblick auf bestimmte einzelne Interventionsobjekte erwartet werden. Diese sind zum Teil nach Einschätzung der Mitarbeiter/innen auch eingetreten, zum Beispiel durch von Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen initiierte Gründungen von Selbsthilfeorganisationen bzw. -vereinen, durch die Schließung eines rechtsextrem unterwanderten Jugendhauses oder die Schließung bzw. Verlagerung von Asylbewerberheimen, Prozesse, an denen natürlich neben den zuständigen Mitarbeiter/innen der Opferberatungsstellen viele weitere Akteure beteiligt waren, so dass der ‚Eigenanteil’ zumeist nicht beziffert werden kann. Verstetigung Eine Wirksamkeit der Tätigkeit der Opferberatungsstellen nach einer zweijährigen Laufzeit im Sinne einer Veränderung des kommunalen Klimas oder anderer Leitziele ist realistisch nicht zu erwarten. Notwendig ist daher die Verstetigung der bisherigen Projektarbeit im Bereich der Opferberatung. Es wäre ein immenser Fehler, den erreichten Stand der Projektarbeit durch die Unterbrechung der Kontinuität zu gefährden. Eine Unterbrechung der Kontinuität würde die durch die Fortbildungen erzeugten spezifischen Qualifikationen, das entstandene Erfahrungswissen und den erreichten Bekanntheitsgrad von Träger und Mitarbeiter/innen entwerten. Auch weil Opferarbeit eine intensive Beziehungsarbeit voraussetzt und sich Beratungsprozesse oftmals über Jahre erstrecken, ist die Wahrung der personellen und institutionellen Kontinuität in diesem Arbeitsfeld besonders notwendig. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 271 IV C Netzwerkstellen (von Kerstin Palloks) 1 Gegenstand der Untersuchung................................................................................... 274 1.1 Ausgangspunkt der Untersuchung ........................................................................ 274 1.2 Aufbau der Untersuchung und Fragestellungen.................................................... 275 1.3 Datengrundlage und methodisches Vorgehen....................................................... 276 1.4 Die vom CIVITAS-Programm geförderten NWS (Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes) ................................................................................... 277 2 Zur Implementation des neuen Förderschwerpunktes NWS - Begründung, Strategien und Konsequenzen............................................................................................ 279 2.1 Begründungszusammenhang und vorgesehene Funktionen der NWS.................. 280 2.2 Kommunikation des Bedarfes ............................................................................... 282 2.3 Lokalisierung in den bestehenden Förderstrukturen ............................................. 283 2.4 Antragstellung und Bewilligung ........................................................................... 284 2.4.1 Kriterien der Trägerauswahl.......................................................................... 284 2.4.2 Regionale Streuung ....................................................................................... 284 2.4.3 Zeitrahmen der Antragsstellung ................................................................... 285 2.4.4 Einbezug interner und externer Akteure ....................................................... 285 2.5 Programmbegleitende Maßnahmen....................................................................... 286 2.5.1 Zur lokalen Verankerung .............................................................................. 286 2.5.2 Zur finanziellen Ausstattung ......................................................................... 287 2.5.3 Zur Koordination der NWS und der Vernetzung der Strukturprojekte ......... 288 2.5.4 Zur Vermittlung des Modellauftrags............................................................. 289 2.6 Trägerinterne Bedingungen................................................................................... 290 2.6.1 Trägerlandschaft............................................................................................ 290 2.6.2 Mitarbeiter/innen........................................................................................... 290 2.6.3 Ressourcen der Träger und Nutzung dieser durch die NWS......................... 291 2.7 Konsequenzen der Implementationsstrategie........................................................ 292 2.7.1 Ausgangsbedingungen der Projekte – Typologisierung der NWS................ 292 2.7.2 Konzeptsicherheit.......................................................................................... 296 2.7.3 Lokale Strukturen – Determinanten für Interaktionen in den Sozialräumen. 299 2.7.3.1 Fehlende Ansatzpunkte für Vernetzungsarbeit ......................................... 299 CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 2.8 3 Bestehende Strukturen – etablierte Netzwerke in den Sozialräumen........ 300 2.7.3.3 Sozialräumliche Interaktionen................................................................... 302 Fazit....................................................................................................................... 304 Strukturelle Defizite in den Sozialräumen ............................................................ 308 3.1.1 Verlust von Kooperationspartnern ................................................................ 309 3.1.2 Finanzielle Situation in Kommunen.............................................................. 309 3.1.3 Themenpriorität............................................................................................. 310 3.2 Programmbegleitende Rahmenbedingungen......................................................... 311 3.2.1 Administration/Verwaltung........................................................................... 311 3.2.2 Planungshorizont........................................................................................... 313 3.3 5 2.7.3.2 Rahmenbedingungen der Projektarbeit.................................................................... 308 3.1 4 Zusammenfassung der Rahmenbedingungen........................................................ 314 Zum Konzept der Netzwerkstellen auf theoretischer Grundlage........................... 316 4.1 Die CIVITAS-Netzwerkstellen im Vergleich zu anderen Netzwerkprojekten ..... 317 4.2 Zum theoretischen Ansatz der CIVITAS-NWS.................................................... 320 4.3 Idealtypischer Netzwerkansatz der CIVITAS-NWS............................................. 323 4.4 Fazit....................................................................................................................... 324 Zu den Tätigkeitsbereichen der NWS auf empirischer Grundlage........................ 326 5.1 Intendierte Arbeitsbereiche der NWS ................................................................... 327 5.1.1 Tätigkeitsbereich „Sensibilisieren“ ............................................................... 327 5.1.2 Tätigkeitsbereiche „Mobilisieren/Aktivieren“ .............................................. 328 5.1.3 Tätigkeitsbereich „Befähigen“ ...................................................................... 328 5.1.4 Tätigkeitsbereich „Vernetzung/Strukturverbesserung“................................. 329 5.2 Beschreibung und Einschätzung der Projektumsetzung ....................................... 331 5.2.1 6 272 Typ I: Neubau von Netzwerken/Suche nach Funktionsbereichen ................ 332 5.2.1.1 Fehlende Vernetzungsansätze ................................................................... 332 5.2.1.2 Konkurrierende Netzwerkstrukturen......................................................... 339 5.2.2 Typ II: Aufbau/Ausbau von (Fach)Netzwerken............................................ 347 5.2.3 Typ III: Weiterführung/Qualifizierung von Initiativ-Netzwerken ............... 358 5.2.4 Typ IV: Koordination/Weiterentwicklung von kommunalen Netzwerken ... 374 Vergleich zweier NWS unter Einbezug externer Akteure...................................... 385 6.1 Beschreibung der NWS in A-Stadt und B-Stadt ................................................... 386 6.2 Vergleich aus der Sicht der NWS-Mitarbeiter/innen ............................................ 388 CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 6.2.1 Ansatz und Zielstellung................................................................................. 388 6.2.2 Vorgehensweisen (Vernetzung, Unterstützung, Strategien) ......................... 391 6.2.3 Wahrnehmung der NWS/des Trägers............................................................ 395 6.2.4 Selbstverständnis und (fachliche) Prinzipien ................................................ 396 6.2.5 Lokale Situation ............................................................................................ 397 6.3 Vergleich der NWS aus Sicht der externen Akteure ............................................. 399 6.3.1 NWS B aus der Perspektive externer Akteure .............................................. 401 6.3.1.1 Ansatz und Zielstellung............................................................................. 401 6.3.1.2 Wahrnehmung der Vorgehensweisen (Rolle, Methoden, Mittel) ............. 403 6.3.1.3 Wahrnehmung der Fachlichkeit - Arbeitsorganisation.............................. 407 6.3.1.4 Lokale Bedingungen ................................................................................. 408 6.3.1.5 Erfolge/Misserfolge................................................................................... 409 6.3.2 NWS A aus der Perspektive externer Akteure .............................................. 411 6.3.2.1 Wahrnehmung von Ansatz und Zielstellung ............................................. 411 6.3.2.2 Wahrnehmung der Vorgehensweisen (Rolle, Methoden, eingesetzte Mittel). ................................................................................................................... 412 6.3.2.3 Wahrnehmung der Fachlichkeit ................................................................ 417 6.3.2.4 Lokale Bedingungen ................................................................................. 419 6.3.2.5 Erfolge/Misserfolge................................................................................... 420 6.3.3 7 273 Zusammenfassung des Fallvergleichs und Fazit ........................................... 422 Resümierende Schlussbetrachtung zur Evaluation der CIVITAS-NWS............... 426 7.1 Abschließende Einschätzung des Interventionsansatzes „Netzwerkstelle“........... 427 7.2 Interne Faktoren der Projektumsetzung im Abgleich mit dem idealtypischen Netzwerkansatz – Qualitätskriterien für die Arbeit der CIVITAS-NWS................. 431 7.3 Externe Bedingungen für Aufbau und Bestand verlässlicher Netzwerke ............. 436 7.4 Fazit....................................................................................................................... 438 CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 274 1 Gegenstand der Untersuchung 1.1 Ausgangspunkt der Untersuchung Seit 2002 werden im Programmbereich „Stärkung und Entwicklung zivilgesellschaftlicher demokratischer Strukturen im Gemeinwesen“ Netzwerkstellen in Form eingerichteter Personalstellen gefördert. Die Aufgabe der Projekte liegt in der Vernetzung zivilgesellschaftlichen Engagements im Gemeinwesen. Die Netzwerkstellen wurden eingerichtet, um nachhaltige Kooperationsbeziehungen zwischen verschiedenen Akteuren im lokalen Kontext zu generieren und auszubauen. Durch die Erarbeitung gemeinsamer Ziele und Vorgehensweisen im Engagement gegen rechtsextreme Erscheinungen soll eine „örtliche Verantwortungsgemeinschaft“ (Leitlinie CIVITAS 2002: 9) in Gestalt verlässlicher Austauschbeziehungen zwischen den unterschiedlichen kommunalen Akteuren implementiert und gepflegt werden. Dabei ist der unterstützende Einbezug der in den Regionen agierenden Mobilen Beratungsteams sowie der Opferberatungen angedacht. Die Netzwerkstellen wurden nachträglich in das Förderspektrum des CIVITAS-Programms eingebracht. Die erste wissenschaftliche Begleitung des Teams um Frau Prof. Rommelspacher endete im Dezember 2001, so dass im Gegensatz zu den Mobilen Beratungsteams und den Opferberatungsstellen für die Netzwerkstellen noch keine Evaluation der Implementation dieses Förderschwerpunktes erfolgte. Die von CIVITAS geförderten 25 Netzwerkprojekte nehmen innerhalb des Gesamtprogramms – und damit auch in der Evaluation – eine gesonderte Stellung ein. Diese ergibt sich zum einen aus deren Anlage als „strukturverbessernder“ Projekttypus neben den Opferberatungsstellen und den Mobilen Beratungsteams, als auch aus dem spezifischen Entstehungszusammenhang dieses Förderschwerpunktes. Die Netzwerkstellen wurden im Jahr 2002 – also erst im zweiten Förderjahr - in die Leitlinien des Programms aufgenommen, so dass die eigentliche Laufzeit der Projekte, mit Blick auf die für andere Projekttypen vorgesehene Modellphase nicht drei Jahre, sondern weniger als zwei Jahre beträgt. Dieser „Nachtrag“ scheint nicht nur hinsichtlich der daraus resultierenden verschiedenen Bedingungen für die in diesem Bereich geförderten Projekte relevant, sondern in erster Linie für die Möglichkeit, Aussagen über die Entwicklungsdynamik, Lernprozesse sowie Kommunikationswege und Ergebnissicherung innerhalb eines Bundes-Modellprogramms zu treffen. Die Anlage der Evaluation erfolgte demnach in einer Form, die durch die Analyse des Entstehungszusammenhanges der NWS sowie den Nachvollzug der Auswahlkriterien der Projekte Aussagen über eben diese Prozesse erwartbar machten. Aus dem späteren Beginn der Projektförderung ergibt sich demnach die Besonderheit für das Konzept der Evaluation der NWS: im Gegensatz zu den OBS und den Mobilen Beratungsteams konnte die wissenschaftliche Begleitung der Netzwerkstellen, zwar immer noch mit Verspätung, aber dennoch frühzeitig ansetzen und somit die für die Einschätzung der Projektumsetzung wichtige Implementationsphase dokumentieren. Im Folgenden werden der Aufbau der Untersuchung, die Fragestellungen sowie das methodische Vorgehen der Evaluation der Netzwerkstellen vorgestellt. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 275 1.2 Aufbau der Untersuchung und Fragestellungen Die Evaluation der Netzwerkstellen gliedert sich in fünf analytisch-deskriptive Blöcke, die inhaltlich aufeinander aufbauen: Zur Implementation der Netzwerkstellen: hier wird gefragt, unter welchen Bedingungen die Einrichtung des neuen Förderschwerpunktes NWS erfolgte und welche Auswirkungen die verschiedenen Strategien der Implementation insbesondere für die Aufbauphase der NWS hatten. Ziel ist die Dokumentation des Bedingungsrahmens, der den NWS in der Startphase zur Umsetzung ihrer Tätigkeit zur Verfügung stand. Es erfolgt eine Typologisierung der geförderten NWS anhand derer in den folgenden Untersuchungsschritten die Tätigkeiten bzw. die Umsetzungspraxen und Entwicklungspotenziale beschrieben werden. Der zweite analytisch-deskriptive Teil der Evaluation beschreibt die weiteren allgemeinen Rahmenbedingungen der Projektarbeit und deren Auswirkungen auf die Umsetzung der Projektaufträge. Vor dem Hintergrund der regionalen, sozialräumlichen sowie der programmbegleitenden Bedingungen sollen Faktoren herausgefiltert werden, die – unabhängig von Projektansätzen und Arbeitsschwerpunkten - die Tätigkeit der NWS im allgemeinen beeinflussen. Im Anschluss daran erfolgt eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept – also dem theoretischen Potenzial – von Netzwerkprojekten im Rahmen eines Programms für die Förderung von Demokratie und Toleranz. Schwerpunkt der Auseinandersetzungen bildet die Frage, welcher besondere (innovative) Ansatz den durch CIVITAS geförderten NWS im Unterschied zu anderen Netzwerkprojekten hinsichtlich des Auftrags, der zur Verfügung stehenden Ressourcen und den sozialräumlichen Voraussetzungen der Netzwerkarbeit eigen ist. Im vierten und fünften Teil der Evaluation werden die Tätigkeiten der NWS auf empirischer Grundlage thematisiert. Ziel ist die Darstellung der Arbeitsschwerpunkte verschiedener NWS und die unterschiedliche Umsetzung dieser. Das Anliegen der Untersuchung ist demnach, durch die Beschreibung verschiedener Methoden, Ansätze und Vorgehensweisen unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation und Umsetzung des Modellauftrages durch die Anwendung der vier Schlüsselkategorien zu beschreiben und hinsichtlich der in der theoretischen Reflexion erarbeiteten idealtypischen Umsetzung einzuschätzen. Die Beschreibung und Analyse erfolgt für die im Kapitel 2 erarbeiteten vier Typen von NWS; eine abschließende Einschätzung der Umsetzung und des Entwicklungspotenzials erfolgt ebenfalls anhand der Typologie. Als Spezifikation der in diesem Abschnitt der Evaluation erarbeiteten Thesen über gelungene Ansätze und Bedingungen der Vernetzungsarbeit wird im fünften Teil der Evaluation ein Vergleich zweier Netzwerkstellen unter Einbezug der Sicht externer Akteure erfolgen. Die intensive Fallbeschreibung des gewählten Ansatzes, der Vorgehensweisen und fachlichen Prinzipien jeder NWS erfolgt auf der Grundlage der (mehrfach) durchgeführten Befragung der Mitarbeiter/innen dieser NWS sowie durch den Einbezug von Interviews mit Akteuren aus den Sozialräumen, auf die sich die jeweilige Netzwerkarbeit bezieht. Dieser Kontextbezug ermöglicht eine erste Einschätzung der Resonanz über die Umsetzung des jeweiligen Netzwerkprojektes aus der Perspektive von Kooperationspartnern und relevanten lokalen CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 276 Akteuren. Ziel dieser intensiven Fallbetrachtungen ist das Destillieren von günstigen und weniger günstigen Faktoren der Projektumsetzung vor dem Hintergrund einer spezifischen lokalen Situation. Abschließend erfolgt eine resümierende Schlussbetrachtung, in der die in den einzelnen Teilevaluationen erarbeiteten Thesen/Ergebnisse noch einmal stichpunktartig zusammengetragen werden. Es erfolgt die Darstellung allgemeiner Erfolgsindikatoren für die Umsetzungspraxis der Netzwerkstellen sowie eine abschließende Einschätzung des Projektansatzes „NWS“ im CIVITAS-Programm. 1.3 Datengrundlage und methodisches Vorgehen Da die Evaluation verschiedene Stränge verfolgt (theoretisch-konzeptionell, empirisch programmnah, empirisch projektnah) kamen auch unterschiedliche (qualitative und quantitative) Erhebungsinstrumente zum Einsatz. Größtes Gewicht wurde dabei jedoch auf den Einsatz qualitativer Interviews, orientiert an der Methode der problemzentrierten Interviews (vgl. Witzel 2000) gelegt, die in der Mehrzahl der Anwendungen face to face mit den Befragten (meist vor Ort) geführt wurden. Der Vorteil dieser Erhebungstechnik besteht in der einerseits an einer Rahmenproblemstellung orientierten Strukturierung der Interviews durch einen Gesprächsleitfaden bei andererseits gewahrter Offenheit gegenüber den Relevanzsetzungen der Befragten durch die ermöglichten Narrationen. Das problemzentrierte Interview orientiert sich an drei Grundpositionen, die es für diesen Untersuchungsrahmen besonders geeignet erscheinen lassen: Problemzentrierung (Ausrichtung an gesellschaftlich relevanten Fragestellungen durch am Problem orientierten Fragen bzw. Nachfragen), Gegenstandsorientierung (Flexibilität gegenüber unterschiedlichen Anforderungen des Untersuchungsgegenstandes) und Prozessorientierung (Sensibilität gegenüber den Befragten) (vgl. Witzel 2000: 2-3). In den Interviews mit den Projektmitarbeiter/innen (Dauer: zwischen eineinhalb und vier Stunden inklusive Vor- und Nachgespräch) wurde - neben der Erfassung der Arbeitsschwerpunkte der Netzwerkstelle - besonderes Gewicht auf die Dokumentation des „Vorlaufes“ der Projekte, der Projektmitarbeiter/innen bzw. der Trägerarbeit gelegt, um damit das an den jeweiligen Entstehungszusammenhang gekoppelte Entwicklungsniveau begründend beschreiben zu können. Methoden der Vernetzung, Netzwerk-Beschreibungen (Zielgruppen und Maßnahmen), Reaktionen der Zielgruppen, Verstetigungsperspektiven und Einflussgrößen (Rahmenbedingungen) der Vernetzungstätigkeiten wurden ebenfalls durch die Interviews erfasst. Der Leitfaden wurde im Verlauf der Erhebung (ca. sechs Monate) immer wieder leicht modifiziert und an sich neu ergebende Forschungsfragen bzw. die „ProgrammDynamik“ angepasst wobei aber Grundansatz und Hauptfragestellungen nicht verändert wurden. Die Auswertung dieser Interviews erfolgte anhand von – für das jeweilige Untersuchungsinteresse erstellten – Kategoriensystemen. Bei der Aufbereitung der Daten wurden der jeweili- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 277 gen Kategorie entsprechende Textsegmente der verschiedenen Interviewprotokolle zugeordnet und für die vergleichende Analyse aufbereitet.1 Für die fünf Untersuchungsteile der Evaluation wurden übergreifend folgende Verfahren angewandt bzw. Erhebungsinstrumente und Probanden einbezogen2: • Dokumente (Sach- und Jahresberichte der NWS, Leitlinien CIVITAS, Leitlinien anderer Programme, Evaluationsberichte, Presseartikel, sonstige Dokumente) • Interviews mit Programmentscheidenden und –umsetzenden (11) • Selbstauskünfte der Mitarbeiter/innen der NWS (28 problemzentrierte Erst- bzw. Folgeinterviews sowie protokollierte Gespräche, Teilnahme an und Dokumentation von einzelnen „Bündnistreffen“ von Netzwerkstellen, (einleitender) Fragebogen an die Projektmitarbeiter/innen der NWS, 1 Interview mit einer entimon-Netzwerkstelle • Selbstauskünfte der Mitarbeiter/innen anderer CIVITAS-Projekte (8 Telefoninterviews mit Mitarbeiter/innen der Mobilen Beratungsteams) • Trägerbefragung (standardisierte Fragebögen an die Träger der NWS) • Kontextbefragung: 12 (je 6) Interviews mit Kooperationspartnern/ externen Akteuren der beiden verglichenen NWS 1.4 Die vom CIVITAS-Programm geförderten NWS (Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes) Ausgehend vom Stand Oktober 2002, wurden von CIVITAS insgesamt 26 Projekte gefördert, die unter dem Schwerpunkt „Vernetzung zivilgesellschaftlichen Engagements“ (NWS) laufen. Davon waren 25 mit Personalstellen ausgestattet, eine NWS nur mit Sachmitteln (diese NWS wird in 2003 nicht mehr gefördert). Die Förderung erfolgt im Rahmen einer Personalstelle, das bedeutet, beim größten Teil der NWS (19) arbeitet eine Person in der NWS. 5 NWS sind geteilte Stellen, mit unterschiedlicher Stundenaufteilung zwischen den beiden Mitarbeiter/innen. Die regionale Verteilung der Netzwerkstellen auf die Bundesländer erfolgte – bis auf Brandenburg, wo nur eine Netzwerkstelle in Potsdam eingerichtet wurde – mit vergleichbarer Zahl je Bundesland: In Sachsen, Sachsen Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern werden je 5 Netzwerkstellen gefördert, in Thüringen 4 (3) sowie in Berlin(Ost) 6. In Berlin wurde in jeden der östlichen Großbezirke ein Netzwerkprojekt angesiedelt, das in bestimmten Stadtgebieten innerhalb dieser arbeitet (Mitte, Prenzlauer Berg/Pankow/Weißensee, Lichtenberg-Hohenschönhausen, Friedrichshain (Nord), Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick). 1 Eine ausführliche Beschreibung der angewandten Auswertungsverfahren erfolgt in Kapitel II des Gesamtberichts. 2 Für jeden der fünf Evaluationsteile erfolgt zu Beginn der Darstellungen eine genauere Beschreibung von Untersuchungsgegenstand, Forschungsfrage und Datengrundlage. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 278 Die NWS verteilen sich wie folgt auf die Bundesländer: • Berlin: 6 (verschiedene städtische Gebiete) • Mecklenburg-Vorpommern: 5 (Schwerin, Greifswald, Wismar, Anklam, Bad Sülze) • Brandenburg 1 (Sitz in Potsdam, Aktionsgebiet Landkreis) • Sachsen Anhalt 5 (Magdeburg, Dessau, Quedlinburg, Sangerhausen, Hettstädt) • Sachsen 5 (Aue, Großenhain, Großhennersdorf, Döbeln, Niesky) • Thüringen 3 (4) (Jena, Weimar, Sondershausen, Waltershausen (seit 2003 nicht mehr tätig). In den Flächenländern erfolgte die Aufteilung der Netzwerkstellen in unterschiedlichen regionalen Gewichtungen, durch die Verteilung auf kleinere Kommunen und auf zwei bis drei größere Städte. Ausnahme bildet dabei das Bundesland Sachsen, in dem alle fünf Netzwerkstellen Städten/Gemeinden bis ca. 20 000 Einwohnern angesiedelt sind und die in eher großflächigen/ländlichen Regionen tätig sind: • 6 NWS in der Hauptstadt • 4 NWS in Großstädten/Landeshauptstädten ab 100 000 EW • 4 NWS in Städten zw. 50 und 100 000 EW • 4 NWS in Städten über 20 000 EW (Regionalzentren, Kreisstädte, regionale Verwaltungszentren, inklusive Kulturszene und entsprechend ausgebauter Infrastruktur) • 8 NWS in Kleinstädten bzw. Gemeinden unter 20 000 EW– davon 2 in Gemeinden unter 3000 EW. Die Aktionsradien (also Zuständigkeitsbereiche) der NWS sind nicht eindeutig definiert und reichen (nach Aussage der NWS) von einem Kiez (Teil eines Stadtbezirks) über eine ganze Stadt, eine Stadt mit angrenzendem Landkreis und bis zu drei Landkreisen. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 279 2 Zur Implementation des neuen Förderschwerpunktes NWS - Begründung, Strategien und Konsequenzen Gegenstand der Untersuchung Für diesen Teil der Projektevaluation soll ein besonderes Element in die Untersuchung einbezogen werden. Die Implementation der Netzwerkstellen ist in verschiedener Hinsicht für die vorliegende Analyse von Belang. Über die Beschreibung der Einrichtung eines nachträglich einbezogenen Schwerpunktes in das Programm können nicht nur Kommunikationswege innerhalb des Programms nachvollzogen werden und damit Aussagen über die Lernfähigkeit von Programmen, sondern es können insbesondere auch die programmatischen Bedingungen dokumentiert werden, durch die die Projektumsetzung wesentlich determiniert wird. Fragestellung Zu den relevanten Fragestellungen gehören neben dem Begründungszusammenhang für die Erweiterung des Programms um einen neuen Förderschwerpunkt die Beschreibung der vermittelten Rahmenziele und -aufgaben, der Nachvollzug der Prämissen der Trägerauswahl bzw. der Entscheidung über die regionale Verteilung im Zusammenhang mit der Antragslage, der Prozess der Antragstellung und der Einbezug interner und externer Akteure bei der Planung und Einrichtung der NWS. Darauf aufbauend sind insbesondere die Konsequenzen der Implementationsstrategie für die Projektarbeit der NWS als Fragestellung relevant. Datengrundlage Die Quellen für die Beschreibung der Implementationsphase sind zunächst Interviews mit den Programmverantwortlichen und Mitarbeiter/innen der umsetzenden Stiftungen (11 Interviews) sowie mit den Projektkoordinator/innen. Weiterhin wurde die von der Servicestelle angelegte und gepflegte Projektdatenbank hinzugezogen, um die Antragslage im Bereich der Vernetzungsprojekte nachzuvollziehen. Die Mobilen Beratungsteams wurden durch telefonische Interviews zur Einrichtung der Netzwerkstellen und zu den Arbeitsbezügen zwischen beiden Projektgruppen befragt (insgesamt wurden 8 Interviews mit den MBTs in den jeweiligen Bundesländern zu diesen Fragestellungen geführt). Schließlich bilden die Interviews der Projektmitarbeiter/innen der NWS (insgesamt 28)3, bei bestimmten Fragen auch der MBTs und OBS, die wesentliche Quelle im Bereich der Aussagen über den Entwicklungsstand der Projekte zu Förderungsbeginn und die Konsequenzen der vorangegangenen Implementation als Rahmung der zu evaluierenden Projektarbeit. Als Hintergrundfolie wurden bei einigen Fragestellungen die standardisierten Befragungsinstrumente (Fragebogen der Mitarbeiter/innen der NWS im Herbst 2002, Trägerbefragung im Frühjahr 2003) hinzugezogen. 3 Mit einigen Mitarbeiter/innen der Netzwerkstellen wurden Folgeinterviews u.a. im Rahmen der vergleichenden Fallbeschreibung geführt, daher die höhere Zahl der Interviews im Verhältnis zur Zahl der geförderten NWS. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 280 2.1 Begründungszusammenhang und vorgesehene Funktionen der NWS Für die Untersuchung wurden die verschiedenen oben genannten Quellen zur Klärung der Frage hinzugezogen, welches Defizit im Bereich der Strukturqualität in ostdeutschen Kommunen diagnostiziert wurde, das zur Modifikation des Programms führte. Weiterhin stellt sich darauf aufbauend die Frage, wie dieses Defizit – von wem und auf welchen Wegen – kommuniziert wurde: Diese Frage scheint insbesondere interessant, um Aussagen über die Lernfähigkeit bzw. die Flexibilität großer Programme zu beantworten. Die erste Frage lässt sich durch Einbezug der verschiedenen Quellen (Leitlinien, Programmentscheidende und –umsetzende) auf allgemeinem Niveau folgendermaßen beantworten: Netzwerkstellen sollen nach Aussagen der Befragten auf der Programmebene (Programmentscheidende und –umsetzende) generell auf einen Bedarf reagieren, der aus der Vereinzelung von engagierten Akteuren im lokalen Kontext und der damit verbundenen Zersplitterung von Kräften, Know-how und Potenzialen zur Bekämpfung rechtsextremer Erscheinungen resultiert. Die Bündelung von Aktivitäten, gegenseitige Kenntnis der Ressourcen aller relevanten Akteure und insbesondere die Gewährleistung konsequenter, verbindlich angelegter Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren sowie die gleichzeitige Befähigung zum eigenständigen Handeln soll durch entsprechend erwartete Synergieeffekte langfristig zu einer veränderten Qualität der „Gegenkultur“ in lokal begrenzten Kontexten führen. Durch die Förderung einer entsprechenden Personalstelle soll hier – als ein konzeptioneller Unterschied zu den Mobilen Beratungsteams – eine dauerhaft in einem überschaubaren Sozialraum angesiedelte Instanz in den oben beschriebenen Bereichen wirken. Die sich aus dieser allgemeinen Definition ergebenden konkreten Aufgaben und insbesondere das Vorgehen in der praktischen Umsetzung ebenso wie die anzusprechenden Zielgruppen werden von den Programmverantwortlichen und –umsetzenden der Stiftungen4 recht unterschiedlich beschrieben. Die Aufgabenbereiche der Netzwerkstellen und damit die Erwartungen an deren „Erfolg“ unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Ebenen des Programms, hier zwischen den Programmentscheidenden, den Umsetzenden in der Servicestelle und den Koordinator/innen. An die unterschiedlichen Aufgabenverständnisse sind zwangsläufig auch verschiedene Vorstellungen von der Rolle des Projektes verbunden, bzw. der Vorgehensweise der Mitarbeiter/innen im Sozialraum, wie in den folgenden Aussagen von Beteiligten unterschiedlicher Ebenen des Programms dokumentiert. So wird von der Entscheidungsebene folgender Aufgabenbereich beschrieben: „Etwas ketzerisch gesagt ist das eine Idee, die man im Grunde eigentlich aufgegriffen hat und jetzt mal noch auf diese Ebene der Arbeit von antirassistischen oder ja zivilgesellschaftlichen Initiativen zu adaptieren, allerdings mit etwas anderen Zielstellungen hinsichtlich der nicht der Belehrung, wie kriegt man denn nun oder wie bewegt man sich nun in der bundesdeutschen Gesellschaft, sondern hier mit dem konkreten Ziel Vorhandenes zu bündeln, zusammenzubringen und ein Stück weit zu koordinieren und ihnen auch zu helfen.“ (a1-1; 164-169) 4 Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes wurde das CIVITAS-Programm noch von zwei Stiftungen umgesetzt, deren Mitarbeiter/innen ebenfalls in die Befragung einbezogen wurden. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 281 Durch einen mit der Programmumsetzung tätigen Mitarbeiter wird ein sehr viel breiteres Spektrum an Aufgaben und damit auch an entsprechenden Zielgruppen definiert, die durch die Netzwerkstellen anzusprechen sind. Die Ausrichtung der Netzwerkstellen auf die Bereiche von Politik und Verwaltung über die Zielgruppe von antirassistischen Initiativen hinaus setzt entsprechend andere (kommunikative) Kompetenzen bei den Mitarbeiter/innen der NWS voraus. Weiterhin ist die Funktion der „Vermittlung“ zwischen der Initiativenlandschaft und kommunalen Entscheidungsträgern vom Ansatz her von einer reinen Vernetzungsfunktion gleichartiger Projekte und Initiativen deutlich zu unterscheiden. „(...) dass diese Netzwerkstellen eben auch eine Vernetzungsfunktion haben, die zu großen Teilen ja so was beinhaltet, wie Runde Tische zu initiieren und ganz viele verschiedene Leute des Gemeinwesens an diese Runden Tische zu holen. Und denen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man gemeinsam gegen rechte Strukturen agieren kann. Das sind ja Leute wie Lehrer, Schuldirektoren, Jugendsozialarbeiter oder Polizisten und Gemeinderäte und so was. (...) Sondern die sollen alle in diesen Prozess integrieren. Und (...) von daher ist die Aufgabe schon sehr präzise. Sie sollen versuchen, alle Bereiche der Gesellschaft und das wären dann eben Schule und antirassistische Initiativen, die es schon gibt, aber auch die Polizei, auch wenn es vielleicht ein schwieriges Verhältnis zur Polizei gibt. (...) Und die sollen natürlich versuchen, die Gemeindevertreter ganz doll einzubinden.“ (a4, 275-285) Von anderen Mitarbeiter/innen derselben Ebene (Programmumsetzung) werden dagegen eher niedrigschwelligere Aufträge formuliert, die sich auch auf ein bestimmtes Arbeitsmodell zwischen den anderen Projektgruppen von CIVITAS beziehen: „Die Netzwerkstelle soll sich um die Initiativen insofern kümmern, dass sie sagt: ‚Du, hier gibt es auch noch eine andere Initiative drei Kilometer weit weg, die machen das selbe wie Du’, oder zu sagen, die haben ja von uns zum Beispiel nur Personalkosten und einen ganz geringen Anteil Sachkosten bekommen, die haben keine Projektmittel bekommen. Die sollen vor Ort Projekte initiieren und zwar mit anderen zusammen. Die sollen sagen, wir wollen einen weiß nicht was machen, und dann können die das separat bei uns beantragen. Also wir haben die ja nicht mit einem Etat ausgestattet, sondern die sollen aussuchen.“ (a2-1, 988-994) Die verschiedenen Ansätze sind im Sinne der allgemein formulierten Leitlinien im Bereich der Aufgaben der NWS angesiedelt, beschreiben jedoch jeder für sich einen eigenen, in sich schlüssigen Arbeitsauftrag, der sich von den anderen abgrenzt. Es lassen sich mindestens zwei Kernbereiche benennen, die sicherlich jeweils unterschiedliche Kompetenzen und Konzepte bei den Projektmitarbeiter/innen voraussetzen: a) Klassische „Bündnisarbeit“ als Fortsetzung der Arbeit Mobiler Beratungsteams explizit auf dem Niveau des Einbezugs verschiedenster gesellschaftlicher Bereiche von Initiativen, über Verwaltung, Kirche bis zur Politik und der damit verbundene Auftrag, eine „lokale Verantwortungsgemeinschaft“ zu etablieren, setzt zunächst ein hochprofessionelles Vorgehen der Mitarbeiter/innen und eine damit verbundene „gleiche Augenhöhe“ zu den entsprechenden Funktionsträgern voraus, um die nach unterschiedlichen Mechanismen funktionierenden und zum Teil divergierenden Interessenlagen vermittelnd einbinden zu können. b) Der Auftrag, eine Lobbyfunktion z.B. für antirassistische Arbeit einzunehmen (Projektideen, Aktionen planen und organisieren) und dieses Konzept gemeinsam mit den entsprechenden Initiativen umzusetzen, erfordert neben den entsprechenden technischen Kompetenzen vor allem Kenntnisse der programmatischen Rahmenziele, favorisierter pädagogischer Konzepte der Programme, sowie – nicht zuletzt – ein Konzept, das durch die Umsetzung von Projekten ein langfristig angelehntes Programm beinhaltet, dessen Ebenen sich sinnhaft auf- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 282 einander beziehen (Gestaltungskompetenz). Dies wiederum erfordert Wissen über die Problembelastung der Kommune, nicht nur im Bereich rechtsextremer Phänomene, sondern auch über den Zustand der politischen Kultur sowie eine Vorstellung darüber, welche Strategien, Maßnahmen, Projekte geeignet sind, auf die entsprechenden Phänomene zu reagieren und nachhaltige Effekte zu produzieren. In den Bereich der Lobbyfunktion eingelagert lässt sich noch der Aufgabenbereich der Netzwerkstellen als „kleine Servicestellen“ vor Ort abgrenzen, um parallel arbeitende Initiativen zu bündeln und die finanzielle und inhaltliche Kontinuität von Projektarbeit in den Kommunen langfristig zu sichern. Hier steht in erster Linie ein klarer Dienstleistungsauftrag im Vordergrund, bei dem Unterstützungsleistungen für Träger angeboten werden, die sich in (möglichst vielfacher) Antragsstellung niederschlägt. Im Rahmen einer NWS-Klausurtagung im Frühjahr 2003, also ein Jahr nach Förderbeginn sowie während der Begutachtung der Anträge für 2003 wurden durch die Antragsberatung die Aufgaben der Netzwerkstellen konzeptionell nachträglich geschärft bzw. die konkreten Erwartungen von Seiten des Programms präzisiert. Unter anderem wurden die Aufträge des Einbezugs kommunaler Verantwortungsträger und lokaler Eliten in den Vernetzungsprozess, der Aufbau eines kommunalen Interventionskonzepts mit aufeinander abgestimmten intergenerativen Lern- und Bildungsprozessen und die lokale Unterstützung von potentiellen Antragstellern vor Ort für die Arbeit der NWS hervorgehoben. Dies lässt darauf schließen, dass für die NWS nicht nur antirassistische Initiativen als Zielgruppen der Vernetzung als relevant angesehen werden, sondern weiterführend auch der Einbezug von Politik und Verwaltung, was einen markanten konzeptionellen Unterschied bedeutet. Die Verschiedenheit der Aufträge, auch die Frage, welches „Modell“ bei der Einrichtung der NWS Pate gestanden hat, ebenso wie die Vermittlung dieser Aufträge an die Projekte durch die verschiedenen Ebenen von Leitlinien, Programmverantwortlichen, Antragsberatung, Projektbegleitung und Koordination hat - in unterschiedlichem Ausmaß - insbesondere in den Anfängen der Projekttätigkeiten – Auswirkungen auf die Projektumsetzung (vgl. Kapitel 2.7). Damit ist die Übermittlung dieser als Orientierungsrahmen zu sehenden Aufgaben auch für den Auftrag der Evaluation relevant, Aussagen zum erfolgreichen „Durchlauf“ der Modellphase zu treffen, da Verständnis und Erwartungen über die zu leistenden Aufgaben im Rahmen des CIVITAS-Programms bei den NWS sehr unterschiedlich sind. 2.2 Kommunikation des Bedarfes Die Wege der Netzwerkstellen ins Programm lassen sich auf der Grundlage des vorliegenden Datenmaterials nicht eindeutig rekonstruieren. Anzunehmen ist, dass auf der Programmebene ein Defizit in der strukturellen Zusammensetzung der Förderschwerpunkte erkannt wurde, auf das mit der Ausweitung der Leitlinien auf einen weiteren Förderschwerpunkt reagiert wurde. Die Aussagen über das Zustandekommen des Schwerpunktes bzw. die Kommunikation dieses strukturellen Defizits sind heterogen, jedoch jede für sich plausibel. So wird die Ausarbeitung des Konzeptes als Ergebnis von Rückmeldungen aus der Projektebene (z.B. von MBTs), als theoretische Weiterentwicklung der Förderbereiche durch einzelne Personen sowie als Ergebnis der wissenschaftlichen Begleitung oder als eine Reaktion auf die Antragslage be- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 283 schrieben. Letzteres bezieht sich auf Aussagen über den Eingang einer größeren Anzahl von Projektanträgen, deren Konzeption einen solchen Vernetzungsanspruch vorsah, bzw. die Notwendigkeit einer Personalstelle für bestimmte lokale Koordinierungsleistungen vorsah, die in der bisherigen Programmstruktur nicht gefördert wurde. Weitere Aussagen beschreiben die Einrichtung der NWS als ein Ergebnis verschiedener Feedback-Prozesse insbesondere der regionalen Fachkonferenzen und der eingegangenen Sachberichte. Vorstellbar ist eine Kombination aus den beschriebenen Quellen bzw. Wegen. Es lässt sich auf Grundlage der Interviewauswertung mit den Programmbeteiligten sowie mit den Mobilen Beratungsteams nicht konsequent rekonstruieren, auf welcher Grundlage bzw. auf welchem Weg die Netzwerkstellen in das Programm integriert wurden, da nach unserem Kenntnisstand eine entsprechende Dokumentation über diesen Prozess nicht vorliegt. Um wichtige programminterne Prozesse, die Aussagen über Kommunikationswege und Rückschlüsse z.B. über systematische Feed-Back-Schleifen zwischen den verschiedenen Ebenen des Programms ermöglichen, aufzufangen und für zukünftige Lern- und darauf folgende (Um-)Steuerungsprozesse zugänglich zu machen, wäre eine konsequente Dokumentation der in der Projektarbeit bzw. der Programmplanung anfallenden Erfahrungen und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen hilfreich. 2.3 Lokalisierung in den bestehenden Förderstrukturen Insbesondere in den Aussagen, die die Einrichtung der Netzwerkstellen als den Prozess einer theoretischen Weiterentwicklung des Programms dokumentieren wurde die Idee beschrieben, Vernetzungsstellen als Versuch einer regionalisierenden „Zwischenebene“ unterhalb von OBS und MBTs und oberhalb der Kleinprojekte zu etablieren, die einen ausgesprochen lokalen Bezug hat. Nach Aussagen der MBTs wurden diese jedoch nicht in die Konzeptionierung des neuen Schwerpunktes einbezogen, obgleich ein angedachter Arbeitsbezug insbesondere zwischen MBTs und NWS schon durch den vergleichbaren Interventionsansatz besteht. Der Arbeitsbezug zwischen den Projektgruppen der verschiedenen Förderschwerpunkte des CIVITAS-Programms wird in den Leitlinien des Programms nicht weiter präzisiert. In den Überlegungen von Mitarbeiter/innen der Programmumsetzung und der Programmentscheidungsebene lassen sich diesbezüglich unterschiedliche Modelle der Kooperation von MBTs und NWS rekonstruieren: „Diese Netzwerkstellen wurden eingerichtet als Schwerpunkt, weil wir festgestellt haben, diese (mobilen) Beratungsteams sind zwar sehr gut, aber vor Ort sind die ja nicht immer da, und sie haben mehr eine Feuerlöschfunktion. Sie gehen in die Kommunen, geben Tipps und sind vielleicht durchaus noch drei- viermal danach da, aber dann sind sie irgendwann wieder raus aus dem Prozess.“ (a2-2, 1087-1092) In diesem Funktionsaspekt der Weiterführung von begonnenen Tätigkeiten der MBTs durch die NWS in direktem Bezug auf die Tätigkeit der Mobilen Beratung wird ein Unterschied zu den Auffassungen der Programm-Entscheidungsebene deutlich, wo eine klar von der Tätigkeit der MBTs zu trennende Aufgabe im Bereich von Unterstützungs- und Servicefunktionen beschrieben wird: „Für Mich war der Urgedanke der Netzwerkstellen nicht, eine Ergänzung zu den mobilen Beratungsteams zu machen, sondern vielmehr für den Programmpunkt 3, für die zivilgesell- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 284 schaftlichen Initiativen eine Art Servicestelle einzurichten, die inhaltlich, aber auch auf der technischen Ebene kleinere Initiativen unterstützt. Zum Beispiel haben wir solche Sachen, dass kleinere, ehrenamtliche Initiativen große Schwierigkeiten mit Antragstellung oder Zugängen zu Geldern, zu Personen, zu Akteuren haben, die einfach Unterstützung brauchen.“ (a1-3, 586-595) 2.4 Antragstellung und Bewilligung Für die Analyse der mit der Antragstellung und Trägerauswahl verbundenen Aktivitäten wurden neben der allgemeinen Antragslage auch die Prämissen der Trägerauswahl bei den Programmverantwortlichen und –umsetzenden erhoben. Weiterhin sind deren Überlegungen zur regionalen Verteilung der NWS und den sozialräumlichen Bedingungen einbezogen worden. Für die konzeptionelle Planung der antragstellenden Träger der NWS ist der Zeitraum zwischen Information über die Möglichkeiten der Antragstellung und Abgabefristen relevant, über den die Projekt-Interviews Auskunft geben. 2.4.1 Kriterien der Trägerauswahl Bei der Einrichtung des neuen Programmschwerpunktes sollte nach Aussagen der Programmbeteiligten auf verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit der Trägerauswahl geachtet werden: • Es sollte regionaler Proporz/nach Bevölkerungszahl (je Bundesland ca. fünf NWS geplant; in Berlin für jeden Großbezirk) gewährleistet sein. • Eine Förderung sollte nur in Gebieten erfolgen, wo bereits entsprechende Strukturen (Projekte, Träger, Initiativen) vorhanden sind, die vernetzt bzw. betreut werden können („keine weißen Flecken“). • Die Träger sollten größer und in der Kommune bekannt sein. • Die Träger sollten allgemein anerkannt sein, keiner bestimmten „Richtung“ angehören (für alle Kooperationspartner/innen akzeptabel). • Die Träger sollten bereits über ein entsprechendes Netzwerk verfügen, das dann um die entsprechenden Bereiche des „Gemeinwesens“ bereichert werden sollte. • Die Träger sollten entsprechende fachliche Kompetenzen mitbringen, um die NWS zu unterstützen. • Das Konzept der Träger sollte lokal begrenzt sein und im weiteren Sinne „leitlinientreu“ (generationsübergreifend, gemeinwesenintegrierend, partizipativ). 2.4.2 Regionale Streuung Die regionale Verteilung der NWS war zwar grundsätzlich mit einer Ausstattung von ca. fünf Projekten pro Bundesland geplant, dies ließ sich in der Förderpraxis jedoch nicht überall umsetzen. Ein Grund dafür wurde in der schlechten Antragslage gesehen (insgesamt nur 47 Anträge, davon 14 aus Berlin, nur vier aus Brandenburg). Infolgedessen verlief die Antragsstellung in unterschiedlicher Weise operativ; in einigen Gebieten/Regionen wurden kommunale Institutionen, wie z.B. bezirkliche Jugendämter mit der gezielten Ansprache von Trägern CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 285 beauftragt, in anderen Fällen Beiratsmitglieder, die als Expert/innen für ein Bundesland auf entsprechende Träger zugingen, in anderen Fällen erfolgte die auf ein Bundesland bezogene Koordinierung bzw. Ansprache/Information von potentiellen Projektträgern durch einen länderweit tätigen anderen Träger. Die in den Prämissen der Träger- und Regionenauswahl definierten Kriterien konnten nicht in allen Fällen eingehalten werden, möglicherweise auch, da wie beschrieben, der Kernbezug der Netzwerkarbeit nicht eindeutig definiert war. So wurden bspw. verschiedentlich Projekte in Regionen gefördert, in denen bislang kaum entsprechende Initiativen, Projekte bzw. „sensibilisierte Akteure“ etc. vorhanden waren, an die die NWS anknüpfen könnten (vgl. Kapitel 2.7). Weiterhin wurden einige Projekte in Regionen angesiedelt, wo bereits entsprechende Netzwerkstrukturen auch zu den entsprechenden Themen (zum Teil bei anderen Trägern oder in Form von Bündnissen gegen Rechtsextremismus) angesiedelt waren, was insbesondere die Startphase der dort tätigen NWS verkomplizierte (vgl. Kapitel 2.7). 2.4.3 Zeitrahmen der Antragsstellung Grundsätzlich wurde aus Sicht einiger Projektmitarbeiter/innen, die bereits in die Phase der Antragstellung einbezogen waren, ein sehr kurzer Zeitraum zwischen der Ansprache bzw. Information über die Möglichkeiten der Antragstellung und der Eingangsfrist angemerkt, der sich mitunter in der fehlenden Zeit für das konzeptionelle Ausarbeiten des Antrages niederschlug. „Die Knackpunkte an der Konzeption waren, dass sie in zwei Tagen fertig sein musste. Ich bin damals in (...) gefahren, und wir haben zu dritt an der Konzeption gearbeitet über Telefon, und wir haben versucht, eine Situationsbeschreibung von (...) abzuliefern und die passenden Schritte dazu, wie man die Situation verändern kann. Das war unsere Konzeption für den Antrag. Das war absolut mit der heißen Nadel gestrickt. Wir haben vorher weder was von Abgabefristen noch sonstwas gewusst, sondern das war ein Gespräch mit ((Name Beraterin)), ‚Ja, könnt Ihr machen, Ihr müsst eben nur in drei Tagen fertig sein’.“ (b-NWS 5, 158-167) „Ich weiß nur, dass es sehr schlecht gelaufen ist, weil der Vorlauf betrug drei Tage, also von der Information bis zur Einreichung des Konzepts. Da müsste man jetzt noch mal die Beteiligten fragen, also es wurde mir nur gesagt. Das heißt im Prinzip nur große Träger, die die Kapazitäten hatten, konnten so ein Konzept einreichen. Das klang nicht so, als wenn das besonders gut gelaufen wäre. Also die Fristen waren einfach erheblich zu kurz.“ (b-NWS 9, 91-97) Die zu kurz bemessene Zeit zwischen Information über die Option der Antragstellung und der Abgabefristen scheint gerade in Bezug auf die Möglichkeit, entsprechend fachlich reflektierte und auf die lokale Bedarfslage zugeschnittene Projektkonzeptionen auszuarbeiten, bedenklich. Die befragten Projektmitarbeiter/innen, die in den Prozess der Antragstellung involviert waren, hätten einen längeren Zeitraum für entsprechende Planungen, Recherchen und Konzeptionsarbeiten begrüßt. 2.4.4 Einbezug interner und externer Akteure Ein systematischer Einbezug der MBTs und OBS in die Auswahl der Träger erfolgte nicht in Form von beratender Einflussnahme in der Auswahl der Regionen (anhand deren genauerer Kenntnis der spezifischen lokalen Situation und der Trägerlandschaft vor Ort) sondern über Voten, die sich die antragstellenden Träger der NWS bei den regionalen Teams der MBTs CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 286 ausstellen lassen konnten. Diese Praxis war für die beteiligten MBTs/OBSSs nicht unproblematisch, da diese in eine ungünstige „Macht“-Position gebracht wurden, die – im Falle eines negativen Votums - Störungen in der Zusammenarbeit verursachen konnte, wie im Beispiel ein Mitarbeiter der Programmumsetzungsebene beschreibt: „Es hat dann zwischendurch Dinge gegeben wie dass von den Antragstellern Letters of Intent gefordert wurden, also dass die MBTs etwas ausstellen sollen für die Antragsteller für Netzwerkstellen. Das war diffus, weil nicht klar geregelt, und auch die MBTs wussten überhaupt nicht, wie sie damit umgehen sollen, weil das natürlich auch äußerst negative Effekte haben kann, wenn man so praktisch der Verteiler von Absichtserklärungen ist.“ (a4-3, 604-610) Eine Kenntnisgabe der Planung des neuen Förderschwerpunktes an die MBTs erfolgte nicht im Vorfeld der neuen Leitlinien, da die Befürchtung bestand, die NWS könnten als Konkurrenzstruktur zur eigenen Projektarbeit der MBTs verstanden werden. Die im Herbst 2002 geführten Interviews mit den MBTs bestätigen zum Teil die (anfänglichen) Konkurrenzbefürchtungen, die durch die Unklarheit der Aufgaben der neuen NWS und insbesondere durch die daraus resultierende Frage der Abgrenzung zum Arbeitskonzept der MBTs zu erklären ist. Generell wurde jedoch nach den ersten sechs Monaten grundsätzlich die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit solcher lokal arbeitenden Stellen in Ergänzung zur Arbeit der MBTs bei der Befragung erhoben. Durch die schnelle Trägerauswahl und die damit verbundene regionale Streuung ergeben sich aus Sicht der befragten Mitarbeiter/innen der Mobilen Beratungsteams jedoch verschiedene ungünstige Ausgangskonstellationen, die sich in Umsetzungsproblemen zu Beginn der Netzwerkstellenarbeit bemerkbar machten und sich in einigen Bereichen zu strukturellen Dauerproblemen verdichten (vgl. Kapitel 2.7.3). „Dass es zumindest teilweise sich auch noch mal angepasst hat, soweit ich weiß zum Beispiel mit dem Thema Netzwerkstellen, wurde GANZ lange gesagt, es muss in jedem Land fünf Netzwerkstellen geben. Es wurde aber gar nicht geguckt, gibt es da eigentlich die Bedürfnisse, gibt es da die entsprechenden Trägerstrukturen, und so weiter (...)“ (a4, 1063-1067) Dazu Mitarbeiter/innen eines MBTs: „Ein bisschen ambivalent ist das mit den Netzwerkstellen, das muss man wirklich sagen. Es ist so eine Geschichte, die von oben auf uns herunterfiel, wie die Jungfrau zum Kind....“ (...). „Es hieß ja vor zwei Jahren, vor eineinhalb Jahren, ‚jetzt wird es Netzwerkstellen geben, und beantragt mal’.“ (...) „Zum einen war das schon schwierig, 30 km auseinanderliegend zwei Stellen aufzubauen, wo man sich fragt, was soll das? Es gibt Landkreise oder Gegenden in ((Bundesland)), da ist überhaupt keine. Das ganze mittlere ((Bundesland)) hat keine Netzwerkstelle bekommen, der ganze südliche ((Bundesland)) Teil keine einzige.“ (b MBT-4, 145-147; 154-158) 2.5 Programmbegleitende Maßnahmen 2.5.1 Zur lokalen Verankerung Die Förderung der Netzwerkstellen wurde und wird an bestimmte Voraussetzungen gekoppelt durch die ermöglicht werden sollte, dass Träger befördert werden, die zum einen gut in der Kommune etabliert sind und zum anderen über Ansätze bzw. Ressourcen verfügen, die auch für potentielle Kooperationspartner/innen relevant sein könnten. Um dies zu gewährleisten wurde die Förderung nicht nur an befürwortende Stellungnahmen unterschiedlicher loka- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 287 ler Institutionen gekoppelt, sondern auch an Erklärungen zur Kooperationsbereitschaft verschiedenster Akteure wie Initiativen, Vereine, kommunale Verwaltungen etc.. Die Kooperationserklärungen haben in der praktischen Umsetzung verschiedene Ausprägung von Verbindlichkeit. Während es in einigen Fällen gelingt, eine Kooperation auf diese erste Bereitschaftserklärung aufzubauen bzw. auf einem verbindlichen Niveau zu etablieren, scheint es in anderen Fällen bei Absichtserklärungen zu bleiben. Dies hängt zum Teil von der „Ernsthaftigkeit“ des Interesses der jeweilig ausstellenden Person ab, ebenso wie von der Intensität der Bemühungen der Projektmitarbeiter/innen. In jedem Fall ist die Verbindlichkeit aber abhängig von der (gerade bei Neueinsteigern nur schwer zu prognostizierenden) praktischen Relevanz der angefragten Kooperationspartner/innen für die Arbeitspraxis der NWS und umgekehrt. Verallgemeinernd kann festgestellt werden, dass sich diese schriftlich fixierten Erklärungen zumindest als erste Anknüpfungspunkte beim „Klinkenputzen“ in der Anfangsphase der Netzwerkarbeit bewährt haben. 2.5.2 Zur finanziellen Ausstattung Die NWS wurden weiterhin mit einem (maximalen) Sachmitteletat von 15 000 Euro ausgestattet, der intendiert nicht als Budget für eigene Projekte vergeben wird. Im Herbst 2002 wurde den NWS die Möglichkeit eingeräumt, im Wert von bis zu 10 000 Euro pro NWS, Medien (in erster Linie Bücher/Arbeitsmaterialien) zu erwerben, die für die Arbeit der NWS zu verwenden waren. Diese Mittel wurden von den NWS in unterschiedlichem Umfang in Anspruch genommen; auch die Verwendung der Medien in der Projektumsetzung war recht unterschiedlich. Am häufigsten fanden die Materialien Verwendung in Form des Aufbaus einer Mediathek in den Räumlichkeiten der NWS oder in Form der Bestellung von Klassensätzen, um damit attraktive Angebote für Schulen zu machen und auf diesem Wege den Zugang zu diesen zu erleichtern. Grundsätzlich wurden diese zusätzlichen Mittel als für die Projektumsetzung sehr nützlich charakterisiert. „Haben die Auswahl an Büchern in die Schulen gegeben, die auch Klassensätze ausgesucht haben. Wo wir noch am Überlegen sind, ob man die Mediathek teilt: ein Teil bei uns und ein Teil in einer Schule, oder ob man alles bei uns macht. Was uns wiederum lieber wäre, weil dann der Kontakt zu den Schulen gehalten wird. Weil die Schulen dann kommen zu uns, um sich das anzugucken und die Klassensätze auszuleihen. Es soll die Möglichkeit bestehen, dort gleich in die Bücher reinzugucken, sich was rauszuarbeiten. Mal in Videos reinzugucken für irgendwelche Vorträge und das natürlich auch kostenlos auszuleihen. Also es soll nichts kosten. (...) Eigentlich nicht. Also ich denke mal doch, dass es schon so ziemlich mit die beste Idee war. Weil Bücher sind doch eine gute Sache. Kosten einen Haufen Geld und so was fehlt eigentlich zumindest was so politische Sachen sind an Büchern. Also dass man da mal sich was holen kann. Weil in den normalen Bibliotheken fehlen halt viele Sachen. Wir haben ganz viele Biographien bestellt, Wörterbücher. Was man in normalen Bibliotheken nicht hat. Da hat man ja eigentlich auch bloß die Grundwörterbücher in den normalen Bibliotheken. Und wir haben halt ein bisschen mehr bestellt. Alles, was wir gefunden haben.“ (b-NWS 21, 437-446; 452461) Gleichzeitig wurde die Mittelbindung ohne vorangegangene Bedarfserhebung bei den NWS zum Teil kritisiert, da in einigen Bereichen andere Bedarfe angemeldet wurden, die durch die eingeschränkten Möglichkeiten nicht gedeckt werden konnten: „...also mit dem Geld, das ist toll, dass wir das gekriegt haben, es war ein Stückchen, aufgrund dessen, dass ja keine technischen Geräte angeschafft werden durften, ein klein bisschen am Bedarf vorbei, weil für bestimmte Moderationssachen, und wenn es ein Overhead- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 288 Projektor ist, dann sag ich, ich hab nun noch den Wahnsinnsvorteil, dass unser Verein so was hat, aber das haben ja nicht alle. Da gibt es wahnsinnige Unterschiede in der Ausstattung. Die Einen haben die tollsten Digitalkameras, und die Nächsten sind froh, dass sie sich einen Computer kaufen konnten. Gut, dafür kann ja keiner was, und diese Vielseitigkeit ist ja auch okay. Das war ein klein bisschen am Bedarf vorbei. Deswegen ist auch ein ganzer Teil der Gelder zurückgegangen oder gar nicht in Anspruch genommen worden. Und auch zu versuchen, das zu vereinfachen, indem man einfach sagt, man macht eine Antragstellung für das Bundesland war auch ein bisschen schwierig. Vielleicht war es für die Servicestelle leichter, das kann ich mir aber kaum vorstellen, obwohl – na ja, doch. Aber es war natürlich schon schwierig, da immer zu gucken, welche Bücher braucht ihr, und immer hin und her.“ (b-NWS 20, 1492-1512) Die technische Abwicklung (über jeweils eine koordinierende NWS für ein Bundesland) wurde als sehr zeitaufwendig und zum Teil kompliziert charakterisiert. Mit den zusätzlichen Sachmitteln wurde kein konkreter Verwendungszweck von den Mittelgebern an die NWS weitergeleitet. „Also es gab da ein paar andere Schwierigkeiten, weil dann etliche Buchlisten kursierten, und das waren Buchlisten, die waren so dick, mit Tausenden von Artikeln drin, und es waren unterschiedliche, und jetzt sitzt man da als kleiner Netzwerker in ((Ort NWS)) oder irgendwo, und hat drei solche Listen. Welche nimmst du, oder nimmst du eine? Und dann fängst du an, da drin anzukreuzen. Bei mir kommen fünf verschiedene Listen an, jeder hat anders angekreuzt. Das ist echt hammerhart, weil das sind ja ganz schöne Summen, die dahinter gestanden haben, und dass das dann irgendwie auch wirklich funktioniert. Wir haben da auch Bücher dabei, die waren noch nicht erschienen, Bücher, die sind vergriffen, und Bücher, die eigentlich kostenlos zu haben sind.“ (b-NWS 24, 1426-1439) Mit der Bereitstellung von weiteren Sachmitteln wurden von einigen NWS auch Konflikte angesprochen, die als generelle Problematik bei der Förderung von Bundes-Programmen in strukturschwachen Regionen erkannt werden kann. Angesprochen wird hier die Wahrnehmung einer offensichtlich gut ausgestatteten Projektlandschaft bei gleichzeitigen drastischen Kürzungen der Jugendarbeit in den Kommunen. Diesem Phänomen wird von anderen Akteuren, mitunter auch von Mitarbeiter/innen der eigenen Träger, zum Teil mit Unverständnis begegnet: „Ich finde es ein bisschen schade und auch ziemlich problematisch, dass für bestimmte Sachen jetzt - sagen wir mal - das Geld sehr begrenzt ist, und dass diese 10 000,- Euro, die wir ausgeben mussten für Bücher noch. Also das fand ich schon ein bisschen daneben. Weil ich wirklich, wenn ich das anderen Leuten erzählt habe, die wirklich in Jugendprojekten arbeiten und eigentlich um jeden Löffel, den die sich da anschaffen müssen, kämpfen. Und hier werden plötzlich jeder Netzwerkstelle 10 000,- Euro musst du innerhalb von zwei Monaten ausgeben für Bücher!“ (b NWS–8, 1485-1494) Der Frage der Auswirkungen der Schwäche kommunaler Strukturen, insbesondere im Bereich der Jugendarbeit auf die Arbeit der Strukturprojekte wird an anderer Stelle dieses Berichts genauer nachgegangen (vgl. Kapitel 3). 2.5.3 Zur Koordination der NWS und der Vernetzung der Strukturprojekte Seit Beginn der Förderung werden die NWS von einer Mitarbeiterin der AG-Netzwerke koordiniert. In diesem Zusammenhang erfolgt die zentrale Vermittlung von Informationen in Form eines regelmäßig erscheinenden Newsletters, den die Projekte auch wechselseitig als Forum nutzen können. Ebenfalls von dieser Stelle koordiniert werden begleitende Fortbil- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 289 dungsveranstaltungen, deren Themen und Inhalte an eine entsprechende kontinuierliche Bedarfserfassung bei den Projekten gekoppelt ist. Ein für alle „passendes“ Fortbildungskonzept scheint dabei schwer zu entwerfen zu sein, da die (formalen) Qualifikationen, Vorerfahrungen, speziellen Kenntnissen der Projektmitarbeiter/innen und vor allem die vor Ort zu bearbeitenden Aufgaben und Problemkonstellationen sich zum Teil erheblich unterscheiden. Die Fortbildungen werden von den Projektmitarbeiter/innen gut angenommen, wenngleich insbesondere im ersten halben Jahr das Bedürfnis nach (fachlichem) Austausch zwischen den Projekten sehr hoch war, für den in den geplanten Fortbildungen nur bedingt Raum blieb. Als ersten Anreiz zur Vernetzung der NWS sowie der Strukturprojekte untereinander wurde durch die Servicestelle ein Treffen der OBS/MBTs und der neuen Netzwerkstellen in jedem Bundesland durchgeführt. Die Arbeitsbeziehungen zwischen den Netzwerkstellen und den beiden anderen Strukturprojekten sind aber – nach ersten Erhebungen dazu - ausschließlich von den Strukturprojekten selbstorganisiert und von sehr unterschiedlicher Dichte und Qualität (vgl. Kap. 2.7). 2.5.4 Zur Vermittlung des Modellauftrags Die NWS sind im Rahmen des CIVITAS-Programms als „Modell-Projekte“ gefördert; den Mitarbeiter/innen wurde jedoch zu Beginn der Förderung nicht schlüssig vermittelt, welche Konsequenzen dieser Status, außer der (vorzeitigen) Übernahme in die Kofinanzierung, für die Projektumsetzung hat. „Wir hatten im vergangenen Jahr schon mal eine Weiterbildung, mehrere Netzwerkstellen in ((Ort)), und da wurde das von allen angesprochen, dass keiner die Erwartungshaltung für das Modellprojekt überhaupt kannte, dass jeder eigentlich so arbeitet, wie er es für richtig hält, und ich denke, jetzt ist doch so ein Stück weit ein Rahmen geschaffen.“ I: „Was bedeutet das eigentlich für Sie, ‚Modellprojekt’? Oder hatte das eine Bedeutung, dieser Terminus ‚Modellprojekt’“? NWS: „Nein, eigentlich nicht.“ I: „Und gab es da mal eine Information, was das sein soll?“ NWS: „Nein. Es wurde uns nur immer in diesem Zusammenhang gesagt, dass die Finanzierung einen degressiven Verlauf nimmt, das war alles.“ (b-NWS 23, 504-520) Die methodischen Ansprüche gerade hinsichtlich des Berichtswesens sind den Projektmitarbeiter/innen nicht immer klar. So werden bspw. in den Projektberichten, die an das Programm zurücklaufen, in erster Linie konkrete Handlungen dokumentiert, weniger aber Erfahrungen, die die – auch und gerade bei misslingenden Aktionen, Maßnahmen, Ansätzen – in Modellprojekten anfallenden Lernprozesse auffangen und in Erkenntnisse über Ursachen von Erfolg und Scheitern transformierbar machen könnten: „Ich kann mich nicht daran (an eine Information) erinnern. Das hat dann wieder mit meinen Vorerfahrungen zu tun. Wir wissen natürlich, wenn es ein Modellprojekt ist, muss man dokumentieren, man muss nachweisen, was man tut, wie das funktioniert, man muss sich der Begleitforschung stellen. Es ist klar, dass man viel stärker in der Öffentlichkeit steht oder auch Jahre später noch nachvollziehen muss, was hier gemacht worden ist und wie das Ganze funktioniert hat. Deswegen versuche ich, möglichst viel zu dokumentieren oder auch aufzuschreiben, mit wem ich geredet habe. Nicht unbedingt die Inhalte, aber wenigstens, dass ich am Ende des Jahres noch weiß, mit welchen Leuten ich Kontakte hatte oder wer hier Anfragen gestellt hat. Deswegen schreiben wir einen Jahresbericht, aber ich würde sagen, das ist eher un- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 290 sere Initiative. Das wurde hier forciert durch diese zahllosen Verlängerungsanträge, weil man da sowieso das Material sammeln muss, aber das war nicht die Absicht dieser Anträge. Das ist dann herausgekommen, weil ich inzwischen, wenn ich mit Leuten kooperiere, gleich sage, sie sollen mir ein Blatt Papier schreiben, wo drauf steht, was wir für die gemacht haben und ob es ihnen gefallen hat oder nicht, damit wir das nachweisen können. Das weiß ich aber von der Arbeit, die ich vorher gemacht habe. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemand gesagt hätte, ‚Ihr müsst unbedingt dokumentieren’, sondern wir hatten Fortbildungen zu dem Thema, aber da ging es ja darum, wie man dokumentiert und nicht was und warum. Man muss ja wissen, welchen Schriftverkehr man aufhebt oder was man überhaupt irgendwie an Erfahrungen und Daten aufnimmt“. (b-NWS 9, 584-613) Ebenso ist den Projekten unklar, welche Kriterien für einen „erfolgreichen“ Durchlauf der Modellphase gelten. Dies erscheint nicht nur in Bezug auf die entsprechende Projektpraxis, sondern insbesondere auch hinsichtlich des Evaluationsauftrags als problematisch. 2.6 Trägerinterne Bedingungen 2.6.1 Trägerlandschaft Die Projektlandschaft kennzeichnet eine recht unterschiedliche Trägerstruktur; das Spektrum umfasst große Wohlfahrtsverbände, kirchliche Träger, etablierte freie Träger sowie kleine, relativ junge Träger, in denen die Mitarbeiter/innen der NWS zum Teil einzige hauptamtlich Angestellte sind (7 von 17 Trägern der NWS geben in der Trägerbefragung an, dass der Anteil der CIVITAS-Finanzierung am Gesamtbudget des Trägers mehr als 60% ausmacht). Damit verbunden ist auch das Aktionsfeld der Träger, das von kiezbezogener Stadtteilarbeit bis zu landesweitem Aktionsradius reicht. Offensichtlichste Gemeinsamkeit zwischen den unterschiedlichen Trägern dürfte das Tätigkeitsfeld „Jugendarbeit“ darstellen, das in den Fragebögen 18 von 22 Träger als Schwerpunktbereich bezeichneten. Thematische Schwerpunktgebiete liegen nach Auskunft der Träger in den Bereichen (politische) Bildungsarbeit (13 von 23) und antirassistische Arbeit (11 von 23). Generell sind die Ausgangsbedingungen, welche die Mitarbeiter/innen bei der Umsetzung ihrer Arbeit allein durch den jeweiligen Träger vorfanden, als höchst unterschiedlich zu beschreiben (vgl. Kapitel III 2). 2.6.2 Mitarbeiter/innen Die Auszählungen des ersten, im Herbst 2002 verschickten Fragebogens an die Projektmitarbeiter/innen (Rücklauf 16 von 26), ergab bereits in dieser kleinen Gruppe ein sehr breites Spektrum an Altersgruppen, Qualifikationsstufen und Dauer der lokalen Anbindung. Allein das Altersspektrum (zwischen 25 und über 50 Jahren) der Mitarbeiter/innen und daran geknüpft der Erfahrungshintergrund ist sehr breit gefächert. Gleiches gilt für den Qualifikationshintergrund der Mitarbeiter/innen; in den Fragebögen sind Fachhochschulabschluss und Beraufsausbildung fast gleichrangig genannt, Abitur bzw. einfacher Schulabschluss mit je einer Nennung. Dieses sagt zunächst wenig aus, da es keinen ausgesprochenen „Fachabschluss Vernetzung“ gibt. Als These kann hier formuliert werden, dass biographische/persönliche Hintergründe, Kenntnisse der Region, persönliche Kontakte/Arbeitsbeziehungen sowie entsprechende Unterstützung durch den Träger in Kombination CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 291 als mindestens ebenso relevant für die zu leistenden Aufgaben angesehen wurden wie formale Abschlüsse. Dies verdeutlichen auch die in der Befragung der Träger erhobenen Angaben, in denen je 11 von 23 Befragten berufliche Erfahrungen im Arbeitsfeld bzw. formale Bildungsabschlüsse (12 von 23) nicht als relevantes Einstellungskriterium bezeichnen. Regionale/lokale Ortskenntnisse sowie ehrenamtliche Erfahrungen im Arbeitsfeld (13 und 16 Nennungen von je 23 Befragten) scheinen als Einstellungskriterium von größerer Bedeutung zu sein. In den meisten Fällen liegen Vorkenntnisse in den Bereichen politische Arbeit, Jugendarbeit und Projektmanagement vor; der Bereich der Vorkenntnisse „Netzwerkarbeit“ ist dagegen erwartungsgemäß eher unterrepräsentiert. Insbesondere bei Mitarbeiter/innen mit einer Berufsausbildung als höchstem Schulabschluss liegen in der Regel Zusatzqualifikationen vor. Die in den Interviews erfragten Hintergründe der jeweiligen Personen weisen dementsprechend ein weites Spektrum der berufsbiographischen und vor allem ehrenamtlichen Vortätigkeit auf. So sind sowohl das Selbstverständnis als auch die Möglichkeiten, schnelle „Erfolge“ vorzuweisen, bei Mitarbeiter/innen, die bereits lange Zeit im Themenfeld tätig sind (vor allem durch die Vorkenntnisse und vorhandenen Kontakte) von denjenigen der „Neueinsteiger“ zu unterscheiden. Es bleibt zu fragen, inwieweit die durch das Programm finanzierten Fortbildungen bzw. Strukturen des (fachlichen) Austauschs geeignet sind, die erheblichen Unterschiede in den Vorkenntnissen und Erfahrungen der Mitarbeiter/innen in den relevanten Arbeitsbereichen aufzufangen bzw. durch weitere gezielte Qualifizierung zu kompensieren. Auch die Anbindung der jeweiligen Person, also Projektmitarbeiter/in an den Träger ist verschieden; während einige Mitarbeiter/innen bereits im Vorfeld der CIVITAS-Förderung beim Träger angestellt bzw. ehrenamtlich tätig waren, oft in den Prozess der Antragsstellung und in konzeptionelle Diskussionen involviert waren und bereits über entsprechende Kontakte verfügten, kamen andere Mitarbeiter/innen zum Stellenantritt neu zum Träger, mitunter auch als Ortsfremde neu in die Region. 2.6.3 Ressourcen der Träger und Nutzung dieser durch die NWS Dieser Zusammenhang erscheint insbesondere bei der Evaluation der Arbeit der NWS von Belang, da die Arbeitsbelastung durch die Komplexität der anfallenden inhaltlichen wie administrativen Aufgaben im Rahmen von nur einer Personalstelle zu bewältigen ist. Hier wird ersichtlich, dass einige Mitarbeiter/innen stark eingebunden sind in verwaltungstechnische Abläufe, die vom Träger nicht kompensiert werden (können). So gibt ein Drittel der befragten Träger (vgl. Kap. III 1) an, der/dem Projektmitarbeiter/in keine Unterstützung bei den Antrags- und Berichtsformalitäten bzw. bei den Verwendungsnachweisen geben zu können. Auch hier sind die Bedingungen für die verschiedenen Projekte höchst unterschiedlich; gerade Mitarbeiter/innen, die durch den Träger von sonstigen Verwaltungs- und Buchhaltungsaufgaben entlastet werden, haben im Rahmen der Ein-Personen-Stelle sehr viel mehr Kapazitäten für inhaltliches Arbeiten, das im umgekehrten Fall zumindest in bestimmten Phasen erheblich eingeschränkt ist, da die NWS nicht wie z.B. die meisten MBT/OBS über eine entsprechende Teamstruktur mit integrierter Leitungsebene verfügen. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 292 2.7 Konsequenzen der Implementationsstrategie 2.7.1 Ausgangsbedingungen der Projekte – Typologisierung der NWS In der Auswertung der Interviews mit den Mitarbeiter/innen der NWS hat sich gezeigt, dass die Heterogenität der Ansätze innerhalb des Förderschwerpunktes erheblich ist. Die Kombination aus den spezifischen Konstellationen/Strukturen vor Ort und den beschriebenen Einflussgrößen von Mitarbeiterqualifikation bzw. –einbindung, der Trägerressourcen sowie der „Vorgeschichte“ des Projektes bildet die analytische Grundlage für die Erstellung einer Projekttypologie, die das „Entwicklungsniveau“ des jeweiligen Projektes zum Zeitpunkt des Förderungsbeginns aufzeigen soll. Durch die Typologie kann zum einen die „Reduktion von Komplexität“ (vgl. Kelle/Kluge 1999) zur tieferen Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes erreicht werden, zum anderen aber auch ein Verstehen der so unterschiedlichen Erfahrungsdokumentationen in den ersten Erhebungen mit den Projektmitarbeiter/innen. Aufgrund der unterschiedlichen Vorbedingungen gibt es beispielsweise drastische Unterschiede in der konzeptionellen Konsistenz bzw. im „Selbstverständnis“ der NWS und der damit verbundenen Gewissheit der Projektmitarbeiter/innen über die Funktion ihres Projektes. Weiterhin sind an die jeweiligen Entwicklungsstufen in der Evaluation und von Seiten des Programms auch unterschiedliche Erfolgserwartungen zu stellen, da die Möglichkeiten der Projekte entsprechend variieren. Die hier beschriebenen Typen bestehen so nicht für sich in der beschriebenen Reinstform, sondern sind durch die Steigerung von einzelnen Merkmalsausprägungen künstlich definiert. Die Fälle (NWS) werden tendenziell nach der jeweiligen Konstellation der vier Merkmalsausprägungen, d.h. bestehendes Trägernetzwerk, personelle Vorkenntnisse/-erfahrungen, Projektgeschichte und sozialräumliche (Vor-)Bedingungen oder nach dem besonderen Gewicht von mindestens zwei für den jeweiligen Typus besonders relevanten Merkmalen zugeordnet (Vorgeschichte des Projektes/Trägers oder sozialräumliche Bedingungen). Um eine durchgängig konsequente Zuordnung der Projekte gewährleisten zu können, wäre die Einbeziehung von sieben bis acht Typen bzw. von Untergruppen unter Hinzuziehung weiterer Unterscheidungskategorien notwendig gewesen, auf die jedoch aufgrund der geringen Fallzahl und zugunsten einer besseren Darstellbarkeit verzichtet wurde. Die Auswertung der Interviews mit den Mitarbeiter/innen der NWS erfolgten für den jeweiligen Typus gesondert. Die Besonderheiten eines jeden Typs, in Bezug auf die konkrete Umsetzungspraxis werden in den Kapiteln 5 und 6 genauer vorgestellt. Die vier Typen von NWS lassen sich wie folgt beschreiben: Typ I: Neubau von Netzwerken/Suche nach Funktionsbereichen Dieser Typus beschreibt eine Ausgangsbedingung von Projekten, die sich verkürzt als „Neustart“ charakterisieren lässt. Zunächst verfügen diese NWS meist nicht über eine entsprechende Projektgeschichte; es existiert also zunächst kein thematischer und/oder struktureller Vorlauf und dementsprechend auch zu Förderbeginn kein projektives Selbstverständnis. Die Träger dieser Projekte verfügen zwar über (arbeitsbezogene) Kooperationsbeziehungen, sind aber in keinen engen Kooperationsverbund integriert, der im Rahmen der entsprechenden CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 293 Arbeitsschwerpunkte bzw. Themen erste „logische“ Anknüpfungspunkte für Netzwerkarbeit bietet. Die mit der Umsetzung der NWS betrauten Personen sind zum Teil neu beim Träger angestellt, in einigen Fällen vorher dort beschäftigt gewesen; die (fachliche) Unterstützung ist durch den weniger ausgebauten thematischen Bezug eher gering. Besonders ins Gewicht fällt bei diesem Typus das Merkmal der sozialräumlichen Vorbedingungen: diese NWS finden bei Förderungsbeginn meist zwei Extreme vor: es existieren wenig oder gar keine Strukturen (Initiativen, Projekte, engagierte Akteure) an die bei der Netzwerkarbeit angeknüpft werden kann, oder aber es bestehen bereits entsprechende Formationen, z.B. in Gestalt von Bündnissen, anderen Netzwerkprojekten, zu denen jedoch von Seiten der geförderten NWS zu Beginn kein „natürlicher Bezug“ bestand. In Kombination dieser Merkmale ist dieser Typus hinsichtlich entsprechender Erfolgserwartungen gerade mit Blick auf die zur Umsetzung der Projektziele vorhandene Zeit gesondert zu betrachten. Diesem Typus wurden neun von 25 Projekten zugeordnet.5 Zwei dieser Projekte verfügen zwar im weiteren Sinne über eine „Initiativen-Geschichte“, in einem Fall nur personell, im zweiten trägerspezifisch, wurden jedoch aufgrund der besonderen lokalen Konstellation diesem Typus zugeordnet. Beispiele für Typ I: „Das kommt auf die Unterstützung, die sie von ihrem Träger erfahren, an. Also sie haben sicherlich einen anderen Blick auf die ((Region)) als Leute, die schon lange im ((Gebiet)) arbeiten. Also das ist wahrscheinlich ein Vorteil. Wenn sie allerdings nicht die Unterstützung von ihrem Träger haben, der ihnen halt gewisse Informationen geben muss, von dem was läuft, dann sind sie aufgeschmissen. Aber wenn sie Informationen bekommen, wenn der Träger schon Kooperationspartner hat, mit denen sie arbeiten können – das ist zum Beispiel in ((Ort)) so – also, wo halt die Kontakte zumindest ((andere NWS)) ist ein größerer Träger als wir, die haben selbst ziemlich viele Projekte und Einrichtungen, zu denen schon mal Kontakt da ist, dann kann man damit arbeiten.“ (b-NWS 10, 1203-1223) „Die ((eigene Konzeption)) hatte ich ja nicht gleich. Ich hab mir die auch erst nach dreieinhalb Monaten zusammengestellt. Ich habe schon geguckt, was geht. Weil es ist ja, wenn wir ehrlich sind, eine sehr abstrakte Umschreibung, vor allem auch in dem CIVITAS-Leitfaden, was Netzwerkarbeit zu leisten hat. Und das, was in dieser Kurzkonzeption jetzt steht, ist auch eine Mischung aus dem, was ich hier als Bedarf rausgehört oder gesehen hab, was ich von dem gehört und gesehen hab, was andere Netzwerkstellen machen, die es auch schon seit letztem Jahr machen, und wo ich das Gefühl hatte, dass ich das auch leisten kann. Das ist ja auch ein Aspekt.“ (b-NWS 11, 528-549) Typ II: Aufbau/Ausbau von (Fach)Netzwerken Projekte dieses Typs verfügen personell und trägerspezifisch nicht über eine Projektgeschichte im Themenfeld Rechtsextremismus bzw. „Förderung der Zivilgesellschaft“, jedoch von Trägerseite und mitunter auch im Bereich der Mitarbeiter/innen über einen gut ausgebauten Stamm intensiver Kooperationsbeziehungen in der Regel im Bereich Jugend- bzw. Bildungsarbeit. Es existiert also ein mehr oder weniger verbindlicher Stamm von Kontaktpersonen und -institutionen, oft auch schon gemeinsame Arbeitsbeziehungen mit verschiedenen Ko- 5 In die Untersuchung einbezogen wurden ab 2003 nur noch 25 NWS, da eine NWS in diesem Jahr nicht mehr weitergeführt wurde. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 294 operationspartnern – entweder über den Träger, oder über die Person (oder beides). Das Netzwerk muss aber hinsichtlich der Thematik neu konstituiert - also thematisch aufgebaut und ausgebaut werden. Die sozialräumlichen Bedingungen sind für diesen Projekttypus zunächst weniger relevant, da durch die reichhaltige bereits funktionierende Netzwerkstruktur des Trägers und/oder der Personen eine Art „Autonomie“ gegenüber sonstigen lokalen Konstellationen besteht, also zunächst im Rahmen dieser Grundkonstellation entsprechende Konzeptionen erarbeitet und zum Teil auch umgesetzt werden können. Diesem Typus wurden fünf Projekte zugeordnet. Beispiel für Typ II: „Die ((Träger)) haben sehr viel auch Anti-Gewalt-Trainings gemacht, also mit vorbestraften Jugendlichen und Jugendgerichtshilfe. Das hat ja meistens auch was mit (...) zu tun. Und da gab es eben oder gibt’s sehr viele Erfahrungen in dem Bereich. Also auch hier in dem Haus, in dem wir jetzt sitzen, die Kollegen machen auch solche Seminare. Und es gibt natürlich auch Jugendliche, die auf Grund rechter Straftaten verurteilt worden sind. Also da gibt es Konzepte und Erfahrungen und der Träger hat - ich glaube - zur Zeit 80 Mitarbeiter, also ganz unterschiedlich von Familienhelfern bis Jugendclubs, also das ist sehr breit gemischt (...). Aber auf jeden Fall ist der Träger eben hier vor Ort. Das war auch sehr hilfreich, dieser Club, der hier ist, also ((Name des Clubs)) der kennt eben natürlich sehr viele freie Träger, das heißt, die sind dann auch gleich in diese Netzwerkbildung mit einbezogen worden. Es gibt (...) Kooperationspartner und die meisten eben hier aus der Nachbarschaft. Und das hat eben was damit zu tun, dass der Träger natürlich oder die Personen, die hier arbeiten, dass die langjährige Kontakte haben.“ (b-NWS 9, 34-50; 65-72) Typ III: Qualifizierung / Weiterführung von Initiativ-Netzwerken In diesen Bereich fallen Projekte, deren Träger und/oder Mitarbeiter/innen bereits über eine zum Teil langjährige Geschichte im Sozialraum z.B. als Initiative für Toleranz - gegen Rechtsextremismus verfügen und somit ein fachliches wie konzeptionelles Selbstverständnis in die Netzwerkarbeit einbringen, da in der Regel sowohl die umsetzende Person als auch der Träger sowie weitere Trägermitarbeiter/innen bereits über entsprechende Kontakte, langjährige Kooperationen sowie thematische Bezüge meist aus der „Basisarbeit“ verfügen, an die mit der Netzwerkstelle angeknüpft werden kann. Hier sind sowohl das Netzwerk als auch das Thema bereits vor der Förderung durch CIVITAS beisammen; konzeptionell ist bei diesen Projekten dementsprechend der Ausbau zum weiteren Einbezug initiativen-ferner Akteursgruppen und Institutionen sowie fachliche Spezialisierungen vorgesehen. In den Bereich Qualifizierung von Initiativen/Weiterführung von Netzwerken fallen sieben NWS. Beispiele für Typ III: „Da hab ich das das erste Mal erfahren, und da haben wir uns natürlich gedacht, das war ein Traum, das war unvorstellbar für uns, das war eine Wunschvorstellung, dass wir eine Stelle hätten mit einem Büro oder so was, als Anlaufpunkt, wo jemand den ganzen Bürokladderadatsch macht, und die anderen inhaltlich arbeiten können. Aber das hat niemand so richtig ernst genommen. Und dann kam es auf einmal Knall auf Fall, also von einem Tag auf den anderen. Das war letztes Jahr, Ende Januar oder Februar sogar glaub ich schon, da musste für Ende Februar schon der Antrag da sein.“ (b-NWS 10, 66-74) „Nein, ich hab einmal über die Elternarbeit schon Kontakte zu den Kreisverantwortlichen, zum Jugendamt gehabt. Die Landrätin hatten wir auch schon immer bei uns im Boot. Die hat immer Schirmherrschaft für unsere Veranstaltungen gehabt. Wir haben ja auch vorher schon CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 295 Weiterbildungsveranstaltungen gemacht, Ausstellungen gemacht. Von daher waren schon sehr viele Kontakte da. Das war auch die Geschichte, die wir als Kritik hatten, du stellst jemanden ein von (...) setzt den irgendwohin, und der weiß überhaupt nicht, was los ist. Da hatten wir schon gute Voraussetzungen durch die dreijährige Vorarbeit. Wir haben in jede Partei Kontakte rein, und das macht es viel einfacher. Du weißt, wo du mit welchem Problem hinmusst und musst nicht erst lange gucken, wie komme ich da ran, wie verkaufe ich dem das. Sondern ich kann ganz konkret sagen, du, ich hab das Problem (...).“ (b-NWS 5, 467-482) Typ IV: Koordination/Weiterentwicklung von kommunalen Netzwerken Der Typus Koordination/Umsetzung beschreibt Projekte, die entweder bereits bestehende, große und etablierte Bündnisse gegen Rechtsextremismus bzw. für Demokratie/Toleranz (z.B. Stadt-Netzwerke) organisieren, koordinieren - also diese funktionsfähigen, etablierten und akzeptierten Netzwerke umsetzen oder aber direkt auf diese bezogen arbeiten. Hier liegt – im Vergleich zu den in Typ III geförderten Projekten – nicht nur eine lose und oft auf persönlichen Beziehungen basierende Kooperationsbeziehungen, sondern eine auf regelmäßigen Treffen und kontinuierliches Wirken von Arbeitsgruppen fußende Netzwerkstruktur vor. Das konzeptionelle Selbstverständnis dieser Projekte ergibt sich in erster Linie aus den lokal gewachsenen Strukturen (wenn die Mitarbeiter/innen der NWS selbst bereits längerfristig im bzw. für das Bündnis tätig waren), aus den vorhandenen Kooperationsbeziehungen, hier der Erwartungshaltung der Teilnehmer und Bündnispartner und vor allem aus den anfallenden Koordinierungs- und Umsetzungsaufgaben des „Netzwerkes“. Diesem Typus wurden vier Projekte zugeordnet. „Also, die Idee ist aus dem bestehenden Bündnis gegen Rechts entstanden. Auch bei uns hat sich im Jahr 2000 ein Bündnis gegen Rechts gegründet, um Projekte zu initiieren, die mittelund langfristig rechtsextremistischen Tendenzen entgegenwirken. Das war ein ehrenamtlich arbeitendes Bündnis, allerdings auch mit einem ganzen Teil Vertretern von Kirche, von Polizei, von der Kommune, der stellvertretende Landrat hat dieses Bündnis mit initiiert, Vertreter von Vereinen und Verbänden. Aus diesem Bündnis heraus sind verschiedene Projekte entstanden, es ist zwar so, dass das dann Freie Träger der Jugendhilfe durchgeführt haben, aber die Ideen sind in dem Bündnis entwickelt worden, in zwei Workshops.“ (...) „Das ist auch das, was ich am Anfang immer zu den Mitarbeitern von (...) gesagt hab, ich stelle es mir wahnsinnig schwer vor, wie soll ich es vorsichtig sagen, das ist ein Stückchen weit sowieso eine Schwierigkeit des ganzen CIVITAS-Programms im Hinblick auf diese großen Projekte, es ist alles so mit Hoffnung auf Wunderheilung von oben aufgesetzt. Wo ich auch gesagt hab, wo ich meinen Vorteil darin sehe, dass ich in diese Sache, die Entwicklung und die Entstehung des Bündnisses doch von Anfang an mit eingebunden war, und dadurch natürlich einen Vorteil habe, zum einen, dass ich auf Dinge, die es gibt, zurückgreifen kann, Dinge, in die ich selber eingebunden war, die ich mit durchgeführt habe, und dass das natürlich ein Wahnsinnsvorlauf ist. Ich hab sicherlich bei weitem noch nicht mal annähernd dieses Konzept so befolgt, wie man es will, weil da verschiedene Sachen, Zeitfaktoren, rein fließen. Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich mir das alles hätte erarbeiten müssen, was für Strukturen gibt es überhaupt, wer macht hier was im Kreis. Und ich wäre nie darauf gekommen, den stellvertretenden Landrat anzusprechen, dass der sich da engagieren würde. Das sind einfach Vorteile, die auf jeden Fall da sind.“ (b-NWS 20, 13-25; 1202-1224) Obgleich auch innerhalb der Typen die Unterschiede in Bezug auf andere Einflussgrößen zum Teil noch groß sind (insbesondere beim Typus „Neubau“) wurde auf eine weitere Ausdifferenzierung aufgrund der verhältnismäßig kleinen Fallzahl verzichtet. Es lassen sich in drei von sechs Bundesländern Ähnlichkeiten in den geförderten Typen erkennen, in zwei CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 296 Bundesländern wurde generell „typenübergreifend“ gefördert (in Brandenburg gibt es nur ein Projekt). Eine ähnliche Trägerlandschaft ist jeweils innerhalb der Typen II und III zu finden. 2.7.2 Konzeptsicherheit In den im Herbst 2002 an die Netzwerkstellen ausgegebenen Fragebögen sowie in den darauf folgenden Interviews mit den Mitarbeiter/innen wurden bei einem Teil der Projekte erhebliche Unsicherheiten über den allgemeinen Auftrag der NWS im Rahmen des CIVITASProgramms und die sich daraus abzuleitenden Aufgaben in der konkreten Arbeitspraxis deutlich. Die Leitlinien des Programms werden dabei oft als Bezugspunkt benannt, der durch die große Offenheit eine generell positiv zu bewertendende große Gestaltungschance bietet. Insbesondere aber für Projekte, die dem Typus I („Neubau“) zuzuordnen sind, hat gerade diese Unklarheit über Auftrag, Möglichkeiten und auch Grenzen der Tätigkeit eine über die in der Anfangszeit auftretendende „Orientierungsphase“ hinausgehende konzeptionelle Schwäche und entsprechende Konsequenzen bei der Projektumsetzung zur Folge. „Ich habe auch nie herausgefunden, was CIVITAS sich vorstellen würde. Was ich am Anfang sehr schwierig gefunden habe. Also, weil ich irgendwie nicht so ganz wusste, was ich jetzt da eigentlich (...) wie ich jetzt mit dieser Situation umgehen soll. Und, ja, und habe halt dann irgendwann beschlossen, mich interessiert das so nicht. Ich versuche, so meinen Weg irgendwie da zu finden. Und mich auch auf - also, meinen Weg auch insofern zu finden, dass ich mich eben schon auf die Arbeit auch meines Trägers stütze und dieses ((Projekt des Trägers NWS)) sozusagen als Sprungbrett benutze für die Netzwerkarbeit.“ (b-NWS 3, 61-71) „Es gab keine Orientierung. Die einzige, die man sich nehmen konnte, war das aus den Leitlinien, aus dem Programm, was da stand. Und die sind natürlich sehr allgemein gefasst, so dass man auch nicht konkret jetzt sagen konnte: ‚Okay, ich arbeite jetzt diese Schritte ab.’ Und ich komme dann auf ein Netzwerk. Nein, es gab keine Vorgaben. Das hat es auch ein bisschen schwierig gemacht. Das heißt am Anfang war zwar auch das Gefühl: ‚Okay, ich kann jetzt hier gucken, was kann ich machen?’ ‚Was liegt mir?’ Das ist ja auch manchmal ein Vorteil, wenn man von seiner Person ausgehen kann und sagen kann: ‚Ich bringe mich in die Arbeit mit meinem Engagement ein.’ Weil dann setze ich das auch anders um. Dann ist es mein Kind. Aber es war dann auch ein Nachteil, oder erweist sich jetzt im nachhinein als Nachteil. Weil jetzt Fragen gestellt werden, man wird angeguckt: „Warum machst Du das nicht? Und das muss aber mehr in die Richtung gehen!“ Und in dem eigenen Weg, den man sich gesucht hat, enden, münden jetzt so viele Wege von anderen, dass es schwierig ist, den eigenen beizubehalten und darauf zurückzukommen.“ (b-NWS 13, 69-86) Im zweiten Beispiel wird ein Problem angesprochen, das aus der unklaren Erwartungshaltung und des generell „offen“ gehaltenen Modellauftrags auf der einen Seite und der Begrenzung der Interpretationsfreiheit (z.B. bei der Beratung der Neuanträge 2003) durch die Servicestelle auf der anderen Seite resultiert. Für einige (wenige) Projekte bedeutete diese „Nachjustierung“ ein konzeptionelles Umsteuern nach einem Jahr. Als ein Problem stellt sich weiterhin das „Herunterbrechen“ der in den Leitlinien und auch den Projektkonzeptionen beschriebenen „Großbegriffe“ dar, um durch eine Operationalisierung dieser zu konkreten und aufeinander abgestimmten Handlungsschritten in der alltäglichen Arbeit zu gelangen. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 297 “Ja, also ich habe schon eine gute Konzeptvorlage bekommen vom ((Name Träger NWS)). Die haben sich da schon gute Gedanken gemacht. Das war so für den Einstieg ganz gut. Das Problem war dann, das für mich konkret zu kriegen. Was das bedeutet: Stärkung demokratischer Strukturen, was ist das eigentlich? Also wie soll das gehen? Und so. Ja, und dann muss man ja irgendwie mal konkret werden, so.“ (b-NWS 1, 248-254) Die Unsicherheit bezüglich des konkreten Arbeitsauftrages setzt sich in einigen Fällen in der Ansprache der Zielgruppen bzw. dem „Verkauf“ des Projektes und der entsprechenden Inhalte und Angebote fort. Die Schwierigkeit, die konkrete Funktion des eigenen Projektes zu erklären, kann infolgedessen insbesondere potentiellen Kooperationspartnern gegenüber den Zugang erheblich verkomplizieren. „Und dann irgendwie gucken mit Kontakten. Dann ist das ja eine schwierige Angelegenheit: Ich muss mich ja präsentieren, wenn ich zu jemanden hinkomme und sage: ‚Ja, ich soll hier Netzwerkarbeit machen.’ Oder: ‚Ich mache das hier.’ Ja, wer bin ich und was mache ich nun konkret? Und wie stelle ich das den Leuten dar, mit denen ich jetzt… also die da irgendwo mit einbezogen werden sollen.“(b-NWS 1, 266-271) Das Problem der Selbstdarstellung bzw. der Vermittlung der Funktion der NWS und damit des im Interventionsansatzes enthaltenen Angebotes an potentielle Kooperationspartner/innen der NWS wird auch von Mitarbeiter/innen der Mobilen Beratungsteams angesprochen: „Bei der Opferberatung ist es ziemlich klar. Bei uns ist es inzwischen auch ziemlich klar. Problematisch ist immer, die Netzwerkstellen zu erklären. Damit haben die auch selber Schwierigkeiten, das sagen die auch selber. Sich selber ein Image aufzubauen, wofür sind wir eigentlich nützlich. Und das auch klar nach außen zu transportieren.“ (b-MBT 4, 250-253) Tendenzielle konzeptionelle Unsicherheiten sind zwar in der Gruppe der „Neubauer“ häufiger vertreten als in den anderen Typen, werden aber beispielsweise auch von Projektmitarbeiter/innen benannt, deren Projekt bereits über eine entsprechende Vorgeschichte z.B. als lokale oder regionale Initiative verfügt. In diesen Fällen beschränkt sich die Unsicherheit jedoch auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum, da die Möglichkeit besteht, sich auf die eigene (ehrenamtliche) Vorarbeit zu stützen bzw. diese mit den neuen Möglichkeiten zu „qualifizieren“, also auf einem deutlich verbesserten Niveau zu arbeiten. „Also weil genau diese Unsicherheit da war. Ich hab da heute grade noch mal der (...) drüber geschrieben, dass wir da auch nicht gut genug gebrieft waren. Da hab ich mir erst mal gedacht, was ist denn eine Netzwerkstelle? Ich hab mir das so graphisch vorgestellt, da soll sich was bündeln. Wer soll sich dort bündeln? Sollen das jetzt die Netzwerkstellen sein, die sich dort bündeln, also die sich untereinander kurzschließen? Soll das ein Netzwerk über die gesamten Ostländer sein? Muss ich jetzt jeden Netzwerker in ((Ort andere NWS)) kennen, oder sollte ich lieber meinen Nachbarn oder den Bürgermeister vom Nachbardorf kennen? Jetzt hab ich mir aber so was aufgebaut im Kopf, dass das eigentlich alles ist. Also in ((Ort andere NWS)), den muss ich nicht unbedingt kennen, aber nicht ohne Grund sind ja diese Problemschwerpunkte auch ausgebildet worden, also dass es dort eine Vernetzung in den bestehenden Strukturen gibt. Und das hab ich dann auch erst mal so angenommen, ich habe erst mal dann geguckt, das war auch die Herangehensweise, bevor wir bei CIVITAS waren. Da bin ich ja eigentlich nur zurückgekommen, weil wir das eigentlich gemacht haben, wir haben das gemacht, was eigentlich gedacht war (...).“ (b-NWS 24, 844-866) „Das hatte ich ja vorhin auch schon gesagt, die Qualität ist auch gestiegen, weil es quasi auch so war, dass wir halt für Netzwerkarbeit nicht die Ressourcen hatten, zu mindestens nicht um das qualitativ und kontinuierlich durchzuführen. Also es gab bei uns im Umfeld immer eins, zwei Leute die haben das für wichtig erachtet. Die haben sich auch auf diesen ganzen Treffen rumgetrieben, sage ich jetzt mal ein bisschen leger. Und aber es war halt immer nur punktuelles Arbeiten möglich, weil man natürlich eigene Projekte hatte. Wie gesagt, das CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 298 waren 90 % ehrenamtlich, da sind irgendwann Grenzen gesetzt. Man hat ja auch noch ein Studium oder dergleichen. Und ich möchte schon sagen, dass mit der Netzwerkstelle man kann einfach zielgerichteter und genauer arbeiten.“ (b-NWS 16, 241-253) Generell spielten bei der Übermittlung der Aufgaben bzw. bei der Ausarbeitung von sozialräumlichen Arbeitsbezügen die Mobilen Beratungsteams in vielen Fällen eine große Rolle. Diese haben in einigen Fällen eine Aufgabenklärung für den Tätigkeitsbereich der NWS allgemein und in Bezug auf die eigene Tätigkeit der Mobilen Beratung vorgenommen: „Ja, also zu Beginn war es ganz wichtig, wie ich das vorhin schon erwähnt hatte, für die Antragstellung, und so weiter, die haben ja dann schon, ich glaube, ein dreiviertel Jahr gearbeitet in diesem CIVITAS-Projekt, oder ein halbes Jahr, ist auch egal. Wir wussten ja erst mal überhaupt nicht, was auf uns zukommt so. Wir hatten unsere Vorstellungen, aber Sie wissen ja selber, es kam aus der Service-Stelle nicht so wahnsinnig viel, welche Erwartungen man an die Netzwerkstellen hat. Und da war eben die Zusammenarbeit mit dem MBT erst mal schon sehr wichtig.“ (b-NWS 23, 413-421) Die Offenheit der Leitlinien wird von einigen Projektmitarbeiter/innen, von „Neubauern“ und anderen, dagegen durchaus auch positiv gesehen als Chance, vor Ort mit eigenen Strategien und Ideen relativ frei ein Projekt gestalten zu können im Bewusstsein, dass das Ausnutzen dieser Chancen sehr stark von den eigenen Kompetenzen und einem entsprechenden Selbstbewusstsein abhängen. „Also was ich verinnerlicht habe, ist, dass ich größtmögliche Freiheiten habe, die Netzwerkstelle zu definieren. Oder anders gesagt, ich empfinde das so, dass ich meine Tätigkeit ganz stark selbst beeinflussen kann. Egal auch, was mein Vorgänger für Schwerpunkte gefahren hat. Als ich der Meinung war, in dem einen oder anderem Bereich halte ich das für nicht so sinnvoll, weil mir fällt etwas anderes stark auf, aber das war eine ganz individuelle Sichtweise, habe ich gemerkt, dass mir das CIVITAS-Programm da durchaus die Möglichkeit und Freiheit lässt, dies auch zu tun.“ (b-NWS 12, 468-476) E: „Ich wusste eigentlich schon durch den Antrag oder die Leitlinien, was nun eigentlich gewollt ist und was nicht.“ I: „Und das war konkret genug?“ E: „Für mich eigentlich schon. Die Arbeit ist ( ...) Die Leitlinien sagen ja aus, was mehr oder weniger sein soll, gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und das ist eigentlich genug Information, für mich jedenfalls. Ich mein ich kann jetzt nicht über Kultur im Netzwerk reden. Das ist eigentlich klar irgendwie.“ (b-NWS 17, 979-988) Erwartungsgemäß ist die Konzeptsicherheit in Bezug auf die mittel- bis langfristigen Ziele der Netzwerkstellen-Tätigkeit und vor allem in Bezug auf konkrete Arbeitsaufgaben bei den Netzwerkstellen des Typus „Koordination/Umsetzung“ am stärksten ausgeprägt. Hier ergeben sich die Aufgaben aus den sehr spezifischen Anforderungen bzw. aus der Erwartungshaltung der bereits längere Zeit mit dem arbeitenden Netzwerk verbundenen Akteure, bzw. mitunter aus festgeschriebenen Zielen der Bündnisse. „Ich habe keine Ahnung, was der ((Vorgänger)) als seine Hauptaufgaben irgendwie beschrieben hat. Also ich will Ihnen mal folgendes sagen: Ich habe diesen Antrag und die – was weiß ich, wie Sie sagen – die konzeptionelle Ausrichtung dieser Stelle habe ich nicht gelesen. Für mich liegt auf der Hand, was zu tun ist.“ (...) „Das wird – ich weiß nicht so genau, ob das wirklich den Inhalt einer Netzwerkstelle, ob das da reinpasst, aber es ist definitiv das, was von mir erwartet wird. Und ich denke, das ist fast wichtiger, als das, was man sich vorher vorgenommen hat. Also in erster Linie die Erwartungen. Und wenn ich die erfülle, dann kann ich Engagement in der Bürgerschaft irgendwie un- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 299 terstützen. Und das ist, glaube ich, der Sinn der Sache. Also es wird schon richtig sein, es so zu machen.“ (b-NWS 19, 19-24; 281-288) 2.7.3 Lokale Strukturen – Determinanten für Interaktionen in den Sozialräumen 2.7.3.1 Fehlende Ansatzpunkte für Vernetzungsarbeit Die Aufgaben der NWS sind laut Leitlinie und den Beschreibungen der Programmentscheidenden und -umsetzenden im Verständnis der drei „Schlüsselkategorien“ in erster Linie in den zwei Bereichen „Vernetzung“ und „Befähigung“ angesiedelt. Dieses setzt voraus, dass NWS dort implementiert werden, wo bereits Strukturen bestehen, d.h. wo in der Kommune neben den entsprechenden Diskursen auch bereits verschiedene Akteure tätig sind, die zum Thema arbeiten und deren Aktivitäten, Erfahrungen, Ressourcen zusammengebracht werden können. In der Praxis ist dies für einige der geförderten NWS nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße gegeben. Diese sehen sich teilweise in der Situation, quasi über einen aufsuchenden Ansatz überhaupt erst Problembewusstsein zu generieren, zu sensibilisieren bzw. Erstberatungen für Kommunen, Institutionen und Einzelpersonen ähnlich der Aufgaben der Mobilen Beratungsteams durchzuführen, also erst die Vorraussetzungen für vernetzte lokale Interventionen zu schaffen, mitunter ohne in die fachlichen Arbeitskreise der MBTs eingebunden zu sein. Unklare Aufgabenbereiche bzw. Unklarheiten über die Erwartungshaltung an den Erfolg des Projektes betreffen ca. fünf Projekte, in erster Linie aus Typ I, da gerade hier die besondere Herausforderung darin besteht, neue Strukturen zu etablieren. „Also die Leitlinien, die Aufgabenspezifizierung, die sind natürlich sehr interpretationsfähig. Ich denke das haben Leitlinien so an sich. Also es ist natürlich klar, dass man dies nicht irgendwie zu schneiden kann, das ist ganz klar. Aber ich denke sie haben ein paar Stärken und ein paar Schwächen. Nur einerseits wurde ja quasi gesagt und im Fall von ((NWS)) dies auch so umgesetzt, auch im Fall von ((andere NWS)) wurde das umgesetzt, dass gesagt wurde die Netzwerkstellen machen eigentlich nur da Sinn, wo es eigentlich schon ein bisschen ein paar Strukturen gibt. Wo man dann quasi punktgenau, zielorientiert und professionell quasi am, an der Festigung eines schon bestehenden Netzwerkes arbeiten. Ja, das halte ich erst mal für so einen Ausgangspunkt nicht verkehrt. Nun gibt es aber so ein paar Netzwerkstellen für die das eben nicht zutrifft. Das würde ich auch nicht für absolut falsch finden. Ich sag mal bisschen lapidar, wenn es da einen Verrückten gibt, er denkt er könnte das machen, ja, dann wäre das okay, aber es ist dann wirklich halt die Frage, der Aufgabenspezifizierung und vor allen Dingen der Anspruchserwartungen einerseits von demjenigen Träger oder Menschen der dieses Netzwerk- diese Netzwerkstelle konkret besetzt und andererseits ja sage ich mal auch von den Bundesprogrammen und letztlich vom Ministerium. Und da sehe ich schon so irgendwo ein gewisses Problemfeld, weil es natürlich die Befürchtung gibt, das habe ich heute auf der Tagung auch gehört, gemerkt, und in wieweit man dann die einzelnen Netzwerkstellen hinsichtlich von Effektivität, Arbeitschwerpunkte und dergleichen vergleichen kann. Und da bin ich eben der Meinung, dass das fast unmöglich ist, weil die Ausgangspositionen wirklich so verdammt unterschiedlich sind. Und was in ((Ort andere NWS)) normal ist, ist woanders schon ein ganzes Weltwunder und umgekehrt vielleicht. Und das ist sicherlich so ein Problem, wo ich auch denke, wo einige Menschen, die die Netzwerkstellen konkret umsetzen, da wie soll ich sagen, Orientierungsprobleme haben.“ (b-NWS 16, 708-743) Hier wird auf verschiedene Faktoren verwiesen, gerade die Vorbedingungen, also die Initiativenlandschaft, das politische Klima, die zum Themenfeld geleistete Vorarbeit in der Region CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 300 werden als relevant erachtet für den Erfolg bzw. die generellen Möglichkeiten einer NWS. Da diese Bedingungen eben nicht überall gegeben sind, wird neben den allgemeinen Unsicherheiten in der täglichen Projektpraxis, die Schwierigkeit der generellen Vergleichbarkeit der NWS und damit verbunden der Vergleich von Erfolgen der Vernetzungsarbeit angesprochen und problematisiert. „Mit ((anderer NWS)) haben wir einige Gemeinsamkeiten, da sind eher Gemeinsamkeiten, weil die auch viel Bildungsarbeit machen im historisch-politischen Bereich. Der Unterschied ist sicher, dass der Träger in dem ((Region)) viel verankerter ist, dass die Strukturen viel besser sind, es gibt sehr viel mehr Vereine und Initiativen, die zu dem Thema arbeiten, es gibt ein viel positiveres Umfeld. Das ist wahrscheinlich ein großer Unterschied. Während man hier mit dem Thema nicht gerade Mehrheiten hinter sich hat, sondern eher gegen Widerstände kämpfen muss. Deswegen sind die Ausgangsbedingungen auch anders. Ich kann ((eigene NWS-andere NWS)) vergleichen.(...) Die Sozialstruktur ist ja ähnlich, ((eigene NWS)) und ((andere NWS)) kann man schon gut vergleichen. Beide haben das Problem, dass die Infrastruktur soziokulturell dünn gesät ist, und der Kollege ((Person andere NWS)) hat dann noch das Problem, dass es kaum Gruppen gibt, die schon vorher zu dem Thema gearbeitet haben. Es gibt überhaupt keine Infrastruktur, auf die man zurückgreifen kann. Wir haben den Vorteil, dass wir vorher politische Bildungsarbeit gemacht haben, und dass wir das auch konkret hier einsetzen können. Wir können es überregionalen Trägern vermitteln, weil wir die kennen und mit denen schon kooperiert haben. Deswegen haben wir da kürzere Wege. Das liegt an unseren Vorkenntnissen, da hatten wir einfach Glück. Das hat er einfach nicht, da fehlt eben der Hintergrund. Ich glaube, es ist für ((andere NWS)) sehr viel schwieriger, an die Träger ranzukommen und die Kontakte zu bekommen.“ (b-NWS 9, 218-250) 2.7.3.2 Bestehende Strukturen – etablierte Netzwerke in den Sozialräumen Ein anderes strukturelles Phänomen betrifft (ca. vier) NWS, die in Gebieten arbeiten, in denen bereits eine Vielzahl von Initiativen tätig sind, bis hin zu anderen Netzwerken/Bündnissen oder Trägern/Akteuren, die eine ähnliche Funktion in der Kommune bzw. in der Region ausüben. In einigen Fällen hat diese Konstellation zumindest zu Beginn der Projektlaufzeit aufgrund des fehlenden bzw. unklaren Bezugs eines neuen Projektansatzes Irritationen, Konkurrenzbefürchtungen bis hin zu Ablehnung bei den jeweiligen Akteuren ausgelöst. Mitarbeiter eines MBTs beschreiben eine solche ungünstige Konstellation im folgenden Zitat. Hier wurde bspw. eine NWS in einer Region gefördert, in der bereits ein anderer Träger eine vergleichbare Aufgabe seit längerer Zeit wahrnimmt: E: „Es hat ja auch Unmut erregt, dass es eine Netzwerkstelle gibt. Hier gab es vorher einen Verein für ((Name)), der hat hier auch Netzwerkarbeit gemacht, ist aber nicht bei der Auswahl berücksichtigt worden. “ (...) „Ja, ein Landesnetzwerk zu bauen, so wie (...) in (...) und mit denen zusammen.“ (...) „Die sind völlig ausgebremst worden. Ich weiß nicht, ob die das nicht erfahren haben, dass es diese Stellen gibt, es ist da jedenfalls keine Kommunikation gelaufen, und dann war der ((Name Träger)) einfach schneller. Seitdem gibt es den Verein auch nicht mehr in der Form, das waren alles SAM-Stellen, die sind alle ausgelaufen. Für die, die da gearbeitet haben, wäre das natürlich eine Chance gewesen, das weiterzumachen.“ (b MBT-4, 191-204) Die Mitarbeiter/innen der NWS sind in solchen Fällen in der Situation, zunächst ihre Position gegenüber bestehenden Strukturen klären zu müssen, sich zu den bestehenden Strukturen zu verhalten, Zuständigkeiten zu eruieren und zu entscheiden, wie und ob überhaupt neue Strukturen aufgebaut werden können bzw. sollten. „Also der Präventionsbeauftragte war sehr, also der war sehr positiv, stand er dem gegenüber. Was ein bisschen am Anfang irgendwie, fand ich es nicht so einfach, als Netzwerkstelle CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 301 jetzt, das war natürlich nicht als Privatperson, in der ((Name Bündnis)), die sich ja im Rathaus regelmäßig trifft. Weil da dann doch die Befürchtung etwas da war, zum Beispiel vom ((Bündnis)) dass man sich an die Spitze von irgend etwas setzen wollte und irgendwie dominant sein wollte usw. Das war - wir hatten dann - also das war so, dass da schon ein bisschen auch so geguckt wurde: „Na, wer ist das?“ Und der ((Träger)), was machen die da und was soll das Ganze.“ (b-NWS 4, 389-398) Im Bereich des Typs 1, der Netzwerk-Neubau-Projekte, kommt in solchen Konstellationen zunächst noch eine Phase der sozialräumlichen Analyse hinzu. Da die Projektmitarbeiter/innen oft nicht über entsprechende Kenntnisse der bestehenden Initiativenlandschaft verfügen, muss erst umfänglich recherchiert werden, welche Akteure eigentlich im Umfeld der NWS tätig sind und wie die Kooperationsbeziehungen zwischen diesen beschaffen sind, um die Einrichtung von Doppelstrukturen zu vermeiden. „So schätze ich das ein, weil es hier, wie ich herausgefunden hab, immerhin drei funktionierende Netzwerke gibt, die alle themenbezogen, sprich, Demokratiestärkung, zivilgesellschaftliches Engagement stärken, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus bestehen (...). Drei Stück.“ (...) „Die Reaktionen waren nicht so, dass ich sagen würde, sie wären abweisend. Man könnte ja denken, dass es dann dazu kommen könnte, dass man sich auf einmal in einer Konkurrenzsituation wieder findet. Da waren sie eigentlich alle drei bisher, also so richtig vorgestellt hab ich mich ja bei dem einen Netzwerk noch nicht, aber bisher waren alle eher offen, bisschen verwundert, und was ich natürlich hatte, war immer dieses Label „aha, da ist mal wieder eine Initiative von außen, da kommt mal wieder was von außen rein“. Das hab ich öfter unterschwellig rausgehört. Wo es kritischere Nachfragen gab, das war bei diesem Bündnis ((Name)), die auch sehr aktiv sind und alle aus diesem Bereich der Jugendsozial-, Jugendkulturarbeit kommen. Da bin ich teilweise richtig gelöchert worden, was denn eigentlich so meine Aufgabenstellung ist, und mit welchem Ziel, und wieso denn CIVITAS so eine Stelle hier in ((Region)) noch mal fördert, wo es doch eigentlich hier schon bestehende Netzwerke gibt, und wäre diese Stelle nicht sogar bei uns, in unserem Bündnis viel besser angebracht, weil sie haben ja auch eine Koordinatorin, die sich als Bindeglied, als Netzwerker innerhalb dieses Netzwerkes so ein bisschen herauskristallisiert hat.“ (b-NWS 11, 46-52; 141-161) Weiterhin kommt – nicht nur in dieser Konstellation - ein bereits weiter oben angesprochenes Phänomen erschwerend hinzu, das gerade in der Startphase der NWS von einigen Projekten als problematisch gekennzeichnet wurde. Die Einrichtung einer neuen Personalstelle auch mit der entsprechenden finanziellen Ausstattung durch Bundesmittel führt in Zeiten knapper Kassen und Einsparungen in den Kommunen mitunter zu Irritationen und erschwert vor allem in ohnehin schwierigen Konstellationen die Netzwerkarbeit. Gerade dann ist eine Transparenz in den Förderentscheidungen für die lokalen Arbeitsbedingungen von entscheidender Bedeutung, um für die Arbeit vor Ort bestmögliche Bedingungen zu schaffen, gerade weil ein sozialräumlicher Ansatz verfolgt wird. „Und das war schon der erste Ärger, der mir entgegenschlug, als ich die besucht habe, die den Zuschlag nicht bekommen haben. Das war unter anderem der ((Name))Verein. (...) Und dann kam ich eben dahin, und das war dann eine sehr unerfreuliche Begegnung. Da gibt es überhaupt keine Zusammenarbeit oder Kooperation.“ (...) „Ja gut, ich kann das nur von dem, was ich mitkriege eben sehen, und da ist es oft personenabhängig und hat aber auch manchmal was mit Strukturen zu tun oder mit der Art und Weise, wie so ein Projekt gestartet worden ist. Also hier war es auf jeden Fall diese drei Tage Antragsfrist hat mich schon Monate gekostet, dann bei bestimmten Leuten, dass die mir überhaupt zugehört haben, weil die so sauer waren, zum Beispiel. Man muss solche Sachen transparent machen (…).“ (b-NWS 9, 140-146; 1406-1413) CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 302 Die Erfolgsaussichten für die Arbeit von Projekten in Regionen mit bestehenden Netzwerken wird von anderen NWS dementsprechend verhalten eingeschätzt, da der Umgang mit den Reaktionen der lokalen Akteure sowie die Suche nach einer „Nische“ für die eigene Projektkonzeption als sehr mühsam charakterisiert wird: „Also ich denke, es gibt halt viel zu viel weiße Flecken zu dem Thema auf der Landkarte, als dass man noch jemand - wie hier in ((Region)), da ist es hanebüchen, dass hier eine Netzwerkstelle herkommt. Gerade mit der Geschichte ((Bündnis)), die ja das alles aufgebaut haben. War gestern bei unserem Workshop auch, dass die sich zurecht vollkommen verarscht vorkommen, dass da eine Institution mit CIVITAS kommt und einer Stadt wie (...), die ja funktionierende Strukturen hat, jemanden hinsetzt. Also ich möchte nicht in ((andere NWS)) Haut stecken. Der beißt sich zwar tapfer durch, aber (...).“ (b-NWS 1; 1207-1218) 2.7.3.3 Sozialräumliche Interaktionen An dieser Stelle sollen schließlich Auswirkungen der Strategien der Implementation beschrieben werden, die sich auf die Interaktionen zwischen den drei Strukturprojektgruppen MBT, OBS und NWS als intendiert aufeinander bezogene Interventionsansätze beziehen. Insbesondere die Frage nach den Arbeitszusammenhängen zwischen den drei Strukturprojekten in einer Region bzw. zwischen NWS in angrenzenden Regionen ist dabei von Interesse. Die oben bereits beschriebenen Erst-Treffen zwischen den drei Strukturprojektgruppen MBT, OBS und NWS wurden als erster Kontakt durch die Programmumsetzenden zentral organisiert und für jedes Bundesland vor Ort nach der Förderentscheidung und der Einstellung der Mitarbeiter/innen der NWS durchgeführt. Diese Maßnahme wird von den NWS als guter Ansatz zur regionalen Vernetzung der drei Gruppen gewertet, scheint jedoch nicht die Folgen der unsystematischen Kommunikation über die Einrichtung der neuen Netzwerkstellen im Vorfeld der Entscheidungen zu kompensieren bzw. ersetzt nicht die begleitende Anregung der Ausarbeitung eines lokalen Arbeitsbezuges zwischen MBT, OBS und NWS bereits in der Implementationsphase der neuen NWS. „Nachdem ich mehr oder weniger den ((MBT))-Leuten am Anfang mal erklärt hab, was eigentlich unsere Aufgabe ist oder worin ich sie sehe, war dann auch ein bisschen Verständnis da. Am Anfang gab es ein großes Unverständnis bei (Mitarbeiter/innen MBT) darüber, was jetzt lokale Netzwerkstellen sollen. Nach dem Motto, das machen wir doch, und warum (...).“ (b-NWS 20, 869-876) Die lokalen Arbeitsbezüge zwischen den verschiedenen Projektgruppen gestalten sich sehr unterschiedlich und sind in ihrer Heterogenität u.a. auch auf die beschriebene Implementationsstrategie rückführbar. Der wenig definierte Aufgabenbereich der Netzwerkstellen insbesondere in Bezug auf den Wirkungsbereich der Mobilen Beratungsteams, aber auch der Opferberatung sowie eine sehr schnelle und oft nicht mit den vor Ort tätigen Akteuren diskutierte Trägerauswahl können dafür als ursächlich erkannt werden. Die Rolle des jeweiligen Strukturprojektes scheint dabei nicht immer klar und führt im konkreten Fall zu Irritationen bei den Zielgruppen in der Kommune, wie im Folgenden durch den Mitarbeiter eines MBTs beschrieben: „Es ruft teilweise Unklarheit hervor. Was wir in (...) gemerkt haben, wo dann wieder Anfragen an uns kamen: ‚Sie waren doch immer vorher hier bei uns vor Ort, Sie haben mit uns gesprochen’, und in ((Region)) haben wir das z.B. aufgesplittet, dass die Netzwerkstelle die Moderation und Koordination von diesem Runden Tisch dort übernimmt und ((OBS)) auch dabei ist, aber wo es dann wieder Rückfragen gibt, ‚Sie waren da, und was soll denn das jetzt?’ Es CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 303 ruft schon Unklarheiten hervor, in welche Richtung geht es mit dem Projekt eigentlich, wer hat es denn in der Hand und fühlt sich letztendlich verantwortlich dafür.“ (...) „Und das ist eben das Ärgerliche an diesem, ich denke, das ist auch ein Webfehler von CIVITAS, dass mit uns oder den Akteuren hier vor Ort keine oder kaum Rücksprache gehalten worden ist, ‚haltet ihr das für sinnvoll, nach ((Ort)) oder nach ((Ort)) eine Netzwerkstelle zu setzen.’ Es gibt keine Kommunikation deswegen. Wir haben ja am Anfang unserer Tätigkeit viel Antragsberatung gemacht für CIVITAS-Projekte, es ist nie etwas von Berlin gekommen. Wir haben Voten geschrieben, wir haben die Leute beraten. Und dann sind auf einmal Projekte gefördert worden, wo wir uns gefragt haben, haben kein Votum für geschrieben, halten wir auch für schwachsinnig zum Teil. (b MBT-4, 120-127; 207-215) Auch der in einigen Bereichen begonnene, aber nicht konsequent vollzogene Einbezug entsprechender lokaler Akteure und der in den Regionen tätigen OBS und MBTs in die Ausarbeitung einer für den jeweiligen Sozialraum passenden Projektkonzeption der NWS wird als Ursache für unklare Aufgabendefinitionen und Arbeitsteilung erkannt. Dies kann gerade für einen solchen langfristig angelegten und auf das Gemeinwesen ausgerichteten Interventionsansatz wie den einer NWS problematisch sein. Eine Basis für die Zusammenarbeit zwischen den Strukturprojektgruppen scheint daher nicht konsequent gegeben zu sein. So existiert kein einheitliches abstraktes oder faktisches Modell wechselseitiger Arbeitsbezüge. Kooperation ist vielmehr abhängig von bestimmten Faktoren, wie der inhaltlichen Ausrichtung einer Netzwerkstelle, also deren Arbeitsschwerpunkten, persönlicher Nähe oder dem „Profil“ eines Trägers, wie der Mitarbeiter einer Opferberatung beschreibt: „Mir scheint allerdings, dass da viel weniger als bei den MBTs und noch viel weniger als bei der Opferberatung, also von den drei Säulen scheint mir doch die Opferberatung so der griffigste Bereich zu sein, also mit den klar beschriebenstem Aufgabengebiet. Das scheint mir bei den Netzwerkstellen am wenigsten gegeben zu sein. Und dadurch dass es dann auch noch, hier in ((Bundesland)) ist es zumindest so, in den andern Bundesländern glaube auch, dass alle Netzwerkstellen bei unterschiedlichen Trägern sind. Also, es so eine landesweite Struktur der Netzwerkstellen nicht gibt. (...) Soweit ich das mitkriege, gibt es auch zwischen den einzelnen Netzwerkstellen nicht so einen intensiven Austausch wie bei uns selbstverständlich oder auch bei den MBTs untereinander. So dass es doch sehr stark an dem Profil der einzelnen Träger liegt, wie diese einzelnen Netzwerkstellen arbeiten. Wenn ich z.B. die Arbeitsweise der Netzwerkstelle ((Region)) mit dem bisschen was ich über die Arbeitsweise der Netzwerkstelle ((Region)) vergleiche, haben sie außer dem Namen wenig Gemeinsamkeiten. Das ist natürlich schon schwierig, so eine einheitliche Linie gegenüber Netzwerkstellen zu definieren wie es z.B. MBTs gegenüber möglich ist. Weil es viel zu unterschiedlich ist, was die da eigentlich tun und auch als was die ihre Aufgabe verstehen.“ (b-OBS 9, 1272-1287) Die Interaktionen zwischen den Netzwerkstellen finden in verschiedenen Modellen statt; es existieren länderweite, geregelte und häufig aktivierte Kontakte mit allen vorhandenen Stellen in zwei Bundesländern. In den anderen Bundesländern haben sich eher „Achsen“ zwischen einzelnen Netzwerkstellen herausgebildet, die entweder regionale Bezüge haben, oder aber bestimmte inhaltliche Parallelen aufweisen, die eine Basis der Zusammenarbeit darstellen. Diese „sporadische“ Kooperations-Struktur wird auf die beschriebene Unterschiedlichkeit der geförderten Projekte zurückgeführt und die damit verbundenen unklaren Bezüge. „Nein, überhaupt nicht. Es gab im Juni oder Juli das erste Netzwerktreffen. Da hab ich festgestellt, dass die Vorstellungen von Netzwerkarbeit so unterschiedlich sind, unterschiedlicher kann es gar nicht sein. Da war für mich ziemlich schnell klar, das Problem, was ja die MBTs auch haben, dass sie sich hauptsächlich intern miteinander beschäftigen, dass ich das über- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 304 haupt nicht will, das hab ich auch gleich beim ersten Treffen gesagt, die Nabelschau brauch ich nicht. Hat sich jetzt allerdings etwas geändert, weil ich zu ein paar Leuten einen persönlichen Draht entwickelt habe und sehe, dass ich in einer gewissen Form eine Auseinandersetzung auch unterstützen kann.“ (b-NWS 5, 184-196) In anderen Fällen haben sich spezifisch regionale Arbeitszusammenhänge innerhalb der Gruppe der Netzwerkstellen sowie zwischen diesen und den MBTs und OBS entwickelt, deren sinnhafte Bezüge durch eine (regionale) Instanz von Beginn an durch konsequenten gegenseitigen Einbezug der vor Ort tätigen Projektmitarbeiter/innen intendiert als regionaler Handlungszusammenhang fokussiert wurde. Eine systematische Analyse von lokalen, regionalen und überregionalen Arbeitsbeziehungen zwischen den Projektgruppen wird im Rahmen der folgenden Kommunalstudien erfolgen. 2.8 Fazit Die „konzeptionelle Komposition“ (vgl. Scrivens 1967) eines neuen Förderschwerpunktes im Rahmen eines großen Programms, insbesondere wenn dieser nachträglich in ein bestehendes System von Förderschwerpunkten implementiert wird, erstreckt sich über mehrere Phasen der Bedarfsermittlung, Aufgabenformulierung, Definition der Zielgruppen (Träger), Übermittlung von Informationen, bis hin zu den endgültigen Förderentscheiden sowie darüber hinaus der Planung und Umsetzung von programmbegleitenden Maßnahmen und der Anpassung an die bestehenden Strukturen. Im Nachvollzug dieser Komposition wurde ersichtlich, dass bei der Implementation der NWS verschiedentlich Strategien eingesetzt wurden, deren Konsequenzen für die Ausgangsbedingungen der umzusetzenden Arbeit der NWS nicht förderlich sind. Dokumentation von Entwicklungsprozessen des Programms Generell ist es als eine Leistung des Programms anzusehen, während der Förderlaufzeit Modifikationen in der Programmstruktur vorzunehmen, durch die auf die Kommunikation eines Defizits in der bestehenden Förderstruktur reagiert wird. Auch wenn die Wege, auf denen der entsprechende Bedarf auf die Gestaltungsebene des Programms transportiert wurde, nicht konsequent nachgezeichnet werden können, ist davon auszugehen, dass es sich um Reaktionen auf Erfahrungen handelt, die z.B. in den Umsetzungspraxen der vor Ort tätigen Projekte angefallen sind und die die Planung und Umsetzung einer entsprechenden Erweiterung des Programms zur Folge hatten. Bedauerlich erscheint, dass gerade die frühzeitigen Überlegungen in Bezug auf die Veränderung der Förderstruktur nicht im Austausch mit den bereits längere Zeit tätigen Projektmitarbeiter/innen der MBTs und OBS erfolgte. Auf diese Weise hätten entsprechende Konkurrenzbefürchtungen vermieden bzw. Anregungen bezüglich der Arbeitszusammenhänge zwischen den Strukturprojekten als theoretisches Modell, sowie als spezifischen Arbeitsbezug in der jeweiligen Region aufgenommen werden können. Implementationsstrategie – Entwicklung von Modellen Die Umformulierung bzw. Ergänzung der Leitlinien, die gleichzeitig Richtlinie für Antragstellende und Handlungsorientierung für die umsetzenden Projektmitarbeiter/innen darstellt, kann aus zwei Gründen als schwieriger Prozess beschrieben werden; zum einen, da zunächst – wie bereits erwähnt – für die CIVITAS-Netzwerkstellen kein aus der Praxis resultierender CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 305 allgemeiner Rahmen existiert, das Konzept also eine rein theoretische Modellvorstellung umreißt. Zum anderen, da die Formulierung der Leitlinien auf einem sehr allgemeinen Niveau erfolgte, um die für die Entwicklung von Modellprojekten notwendige konzeptionelle Offenheit zu wahren sowie um eine Anwendbarkeit der Leitlinien auf verschiedenste Sozialräume zu ermöglichen. Diese Offenheit wurde im Bereich der NWS in mindestens drei Richtungen angelegt: a) in den konkreten Arbeitsaufträgen, b) in den sozialräumlichen Strukturen, also den lokalen Rahmenbedingungen, in den Regionen, in die die NWS implementiert wurden und c) in der Auswahl der Trägerart, den damit verbundenen Ressourcen für die NWS und der Autonomie der Träger bei der Auswahl der Mitarbeiter/innen. Für das Auffangen von Erfahrungslernen bzw. das Erkennen von gelungenen „Modellen“ auf der einen Seite und entsprechenden begünstigenden oder hemmenden strukturellen Bedingungen dieser Modelle andererseits scheint es günstiger zu sein, die Offenheit in bestimmten Bereichen zu begrenzen. Ein allgemein gehaltener konzeptioneller Rahmen kann in sehr ähnlichen, im Vorfeld gut definierten und dokumentierten Sozialräumen verschiedene Modelle/Strategien erzeugen, deren „Erfolge“ dann beschrieben und verglichen werden können. Eine andere Möglichkeit bestünde in der Formulierung einer stringenten Aufgabenbeschreibung mit klaren Aufträgen bzw. Zielvorgaben und entsprechender Operationalisierung dieser, die dann als konkreter Interventionsansatz in unterschiedlichen Sozialräumen oder durch verschiedene Trägerarten quasi „getestet“ werden kann. Die Strategie, in mehrerlei Richtung große Offenheit zu lassen, birgt dagegen zum einen die Gefahr der „Überkomplexität“, da in der Diffusität der unterschiedlichen Bedingungen/Rahmungen wirklich übertragbare Projekt-Konzepte bzw. determinierende Einflussgrößen nur schwer destilliert und verallgemeinert werden können. Andererseits besteht die Gefahr, durch die in vielen Fällen erst zu leistende Operationalisierung der allgemeinen Leitziele und deren Anpassung an die jeweils spezifische lokale Situation durch die einzelnen Mitarbeiter/innen, überbordende Erwartungen an diese zu richten bzw. eine starke Ausrichtung der Projektaktivitäten an den jeweiligen Vorlieben/Stärken/Möglichkeiten der Einzelpersonen zu provozieren, was eine Verallgemeinerung bzw. Vergleichbarkeit der Arbeitsergebnisse der NWS erschwert. Vermittlung von Arbeitsaufträgen Die Vermittlung von Aufgaben, insbesondere aber von Zuständigkeitsbereichen und Zielgruppen der Vernetzungsarbeit erfolgte nicht in einer Form, die für die Projektmitarbeiter/innen eine adäquate Handlungsorientierung bzw. deutliche Erwartungshaltung bereitstellte. Offenbar waren auch die in den Anträgen der NWS formulierten Ziele und Aufgaben in vielen Fällen so allgemein gehalten bzw. auch unrealistisch, dass eine Übertragbarkeit in die Handlungspraxis durch die Mitarbeiter/innen mitunter nicht oder erst nach längerer Zeit geleistet werden konnte. Die dadurch hervorgerufenen Irritationen über die zu leistenden Aufgaben und die „Inhalte“ der Vernetzung bei vielen Mitarbeiter/innen spiegeln sich mitunter auch in der Unsicherheit verschiedener anderer Akteure (MBT, OBS, Externe) über die Funktion dieses Interventionsansatzes und seine „Zugriffsmöglichkeiten“ wider. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 306 Richtlinien für Modellprojekte Es bietet sich in diesem Zusammenhang generell an, den Status der „Modellprojekte“ für die vor Ort Beteiligten inhaltlich zu untermauern und transparent zu machen, so dass auf Projektebene die entsprechende Erwartungshaltung bewusst ist und Praktiken zur Sicherung der Erfahrungen, nicht nur der Erfolge sondern auch des Scheiterns und der Gründe dafür in der entsprechenden Ausführlichkeit angewendet werden. Die gelungenen programmbegleitenden Maßnahmen z.B. in Form der flexiblen Fortbildungsreihe sowie des begonnenen organisierten und gut angenommenen Erfahrungsaustauschs zwischen den Netzwerkstellen bieten dafür geeignete Bedingungen und Möglichkeiten. Vorgehen bei der Auswahl der Regionen und der Träger Für den Prozess der lokalen Implementation der Projekte scheint eine Strategie, wie die in den Zitationen dokumentierten Fällen in Ansätzen verfolgte, generell günstig zu sein. Die direkte Ansprache von Trägern oder aber der Einbezug Dritter, wie z.B. örtlichen Verwaltungen/Institutionen/Träger/Projekte über befürwortende Stellungnahmen erhöht die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz der Projekte in den Kommunen und bietet gleichzeitig Anknüpfungspunkte für die Vernetzungsarbeit. Diese Strategie hätte jedoch konsequenter (und systematischer) erfolgen können, als im vorliegenden Fall geschehen. Den selbst formulierten Prämissen der Förderung von Trägern und insbesondere von Regionen mit entsprechenden Voraussetzungen konnte in verschiedenen Fällen in den Förderentscheiden nicht entsprochen werden. Die Auswahl der Träger sollte für Netzwerkprojekte mit ausgesprochenen Gemeinwesenbezug und Mittlerposition zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen von ehrenamtlichen und professionellen Akteuren bis zu Politik und Verwaltung stärker unter Einbezug dieser verschiedenen Akteure erfolgen. Dieses Vorgehen würde durch einen zu leistenden (Minimal)Konsens über Funktion, Inhalt und Zielgruppen der Netzwerkarbeit günstigere Bedingungen für das Gelingen der Projektumsetzung schaffen und einen sinnhaften Bezug zu den lokalen Verhältnissen herstellen. Damit wäre auch der Einbezug dieser Akteure in die Ausarbeitung von für einen Sozialraum geeigneten Konzeptionen der NWS in Auseinandersetzung mit den situativen Besonderheiten und Akteurskonstellationen vor Ort verbunden. Dieses operative Vorgehen sollte nicht nur den antragstellenden Trägern überlassen werden, sondern von Seiten der Programmumsetzenden stärker vor Ort forciert werden. Ausarbeitung von Arbeitsbezügen zwischen den Strukturprojekten Da die drei Strukturprojektgruppen in einem bestimmten Sinnzusammenhang entworfen wurden, kann davon ausgegangen werden, dass auch der regionale Projektzusammenhang ein über das Einzelprojekt hinausgehendes Modell von verzahnten Interventionsansätzen darstellt, das in andere Zusammenhänge übertragbar ist. Darum wäre es sinnvoll gewesen, in diesen Prozess vor allem auch die bereits vor Ort tätigen, ebenfalls langfristig angelegten MBTs und OBS frühzeitig, also bereits in die Planungsphase des neuen Projekttyps einzubeziehen, für die im Zusammenhang mit den Netzwerkstellen ein (zunächst theoretisches) Modell der gegenseitigen Arbeitsbezüge in den Leitlinien vorgesehen ist. Eine solche Vorge- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 307 hensweise sollte hilfreich sein, wenn es darum geht, die einzelnen Interventionsansätze und Arbeitsaufträge zu vermitteln und sich über die Ausarbeitung von regional/bzw. lokal spezifischen Arbeitszusammenhängen zu verständigen. Zeit für die Antragsausarbeitung Die eben beschriebene Strategie setzt mindestens voraus, dass genügend Zeit zwischen der Information der Fördermöglichkeit und den Fristen der Antragsstellung für die beteiligten Akteure zur Verfügung steht, um die entsprechenden Prozesse in Gang zu setzen und gehaltvolle, anwendbare Konzeptionen zu erarbeiten. Die in vielen Fällen zur Verfügung stehende Zeit von nur wenigen Tagen zwischen der Information der Fördermöglichkeit und der Frist für die Abgabe scheint für solche qualitativ hochwertigen, auf den lokalen Bedarf zugeschnittenen Anträge zu gering bemessen zu sein. Transparenz der Förderentscheidungen Um Konkurrenzen und Barrieren zwischen potentiellen Kooperationspartnern der NWS von vornherein zu verhindern und optimale Ausgangsbedingungen für Projektarbeit zu schaffen, ist neben dieser Strategie auf größtmögliche Transparenz in den Förderentscheidungen zu achten. Dieser Aspekt kann insbesondere für die Netzwerkstellen als bedeutsam erachtet werden, da diese als langfristig angelegte Struktur explizit in einem begrenzten lokalen Wirkungsbereich agieren sollen und die Konstellationen vor Ort entsprechend günstig gewählt werden sollten. Die durch die Förderpraxis entstandenen vier „Projekttypen“ sind in Bezug auf die Erfolgserwartungen und insbesondere in Anbetracht des Endes der (ohnehin um ein Jahr verkürzten) Modellphase und die damit verbundenen unterschiedlichen Ko-Finanzierungschancen entsprechend gesondert zu betrachten. Im folgenden werden im Anschluss an die durch die Implementation geschaffenen Faktoren der Umsetzung, weitere allgemeine Rahmenbedingungen der Projektarbeit beschrieben, die in unterschiedlicher Weise Auswirkung auf die zu leistenden Aufgaben haben. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 308 3 Rahmenbedingungen der Projektarbeit Untersuchungsgegenstand Gegenstand der Untersuchung sind diejenigen allgemeinen Einflussgrößen, die die Arbeit der NWS in unterschiedlicher Weise begleitend beeinflussen. Hier geht es in erster Linie um Bedingungen, die Auswirkungen auf Arbeitsweisen und -erfolge der NWS haben und die damit für die Einschätzung der Projektarbeit relevant sind. Fragestellung Gefragt nach den Faktoren, die die Arbeit der NWS beeinflussen, wurden durch die Interviewten Projektmitarbeiter/innen Angaben zu unterschiedlichen Einflussfaktoren gemacht, die sich in den Bereichen: strukturelle Defizite in den Sozialräumen und programmbegleitende Bedingungen der Arbeit bewegen. Diese beiden Bereiche sollen im Folgenden kurz umrissen werden. Datengrundlage Die Aussagen der interviewten Projektmitarbeiter/innen sowie (einzelner) externer Akteure wurden in die Untersuchung einbezogen. Als für die Darstellung relevant erachtet wurden diejenigen Themen, die von einer größeren Anzahl der Befragten benannt wurden, die sich also als wichtige Einflussgrößen „durchziehen“. 3.1 Strukturelle Defizite in den Sozialräumen Eine ausführliche Schilderung der Situation in den neuen Bundesländern erfolgt im Evaluationsbericht des Förderschwerpunktes der Mobilen Beratung. Die dort aufgezeigten Defizite betreffen die Arbeit der NWS in ähnlicher Weise wie die der MBTs und sollen hier nicht mehr ausführlicher thematisiert werden. Ebenso sollen die Bedingungen in den Kommunen hinsichtlich des Vorhandenseins bzw. des Fehlens von Vernetzungsansätzen und lokalen Diskursen an dieser Stelle nicht noch einmal genannt werden, da deren Auswirkungen auf die Arbeit der NWS bereits in den vorangegangenen Kapiteln hinreichend ausgeführt wurden. Gleiches gilt für die positiven Ressourcen und flankierenden Maßnahmen, die durch das CIVITAS-Programm zur Verfügung stehen und die im Kapitel „zur Implementation“ bereits ausführlicher beschrieben wurden. In den Interviews der Mitarbeiter/innen der NWS wurden über die genannten Einflussgrößen hinaus verschiedene Faktoren benannt, die sich in drei Bereiche bündeln lassen: • Verlust/Wechsel von Kooperationspartnern, • finanzielle Situation in Kommunen • Themenpriorität. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 309 3.1.1 Verlust von Kooperationspartnern Für NWS, die als wesentlichen Arbeitsauftrag die Gewährleistung von verbindlichen Kooperationsbeziehungen zu leisten haben, ist das „Wegbrechen“ von Kooperationspartnern bei Trägern, aber auch z.B. in Verwaltungen durch die hohe Fluktuation der Personen ein großes Problem. In den vorangegangenen Darstellungen und im „idealtypischen“ Vernetzungsansatz (vgl. Kapitel 2) wurde mehrfach auf die Bedeutsamkeit der persönlichen Kontakte gerade für die inhaltliche Arbeit zu den Themen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit bzw. Demokratieentwicklung hingewiesen. Der häufige Wechsel von Ansprechpartnern durch die Besetzung von für diese Arbeit wichtigen Positionen mit wechselnden ABM/SAM-Kräften, aber auch durch die generelle Abwanderung von Personal aus den neuen Bundesländern, erschwert die Vernetzungsarbeit nicht unwesentlich. „Das war ein Literaturprojekt was wir an Schulen durchgeführt haben. Das ist erstens an finanziellen Mitteln gescheitert und an der personellen Umsetzung. Weil bei uns in der Zeit dann diverse Leute weg gebrochen wegen Arbeitsplatz, die dann in Westen gehen mussten zum Arbeiten. Die waren ehrenamtlich da. Und Nachwuchs ist echt rar hier. Also wir sind im Moment drei Leute die den Verein betreiben. Die Netzwerkstelle und die Projekte und das ist schon ganz schön heftig. Das war eigentlich der Hauptgrund. Also, personeller Mangel ist immer. Wir müssen unsere Leute ranholen wie wir sie brauchen von außerhalb. Wir selber können da nicht viel machen. Ich bin immer auf irgendwelche Referenten angewiesen und Unterstützung von andern Vereinen.“ (b-NWS 25, 274-282) Die Ansatzpunkte der Vernetzung müssen – da sie in der Regel auf Freiwilligkeit und Interesse der Akteure beruhen und nicht institutionalisiert sind – immer wieder erneuert werden. Unter solchen Umständen stellt sich die Frage der Verstetigung eines Netzwerkes im Grunde kaum. „Es gibt ein paar Punkte, die Schwierigkeiten darstellen, die sich auch ein bisschen zuspitzen. Einmal sind das Initiativpartner, die es nicht mehr gibt, wo es Personenwechsel gibt oder wo ganze Stellen wegbrechen, oder wo etwas aufgebaut ist, wo eine Beziehung da ist, und wo eine Regelmäßigkeit da war, dass man sich getroffen hat, dass man Dinge vorbereitet und abgesprochen hat, dass man den Überblick über eine Region behalten hat. Das finde ich ein bisschen problematisch.“ (b- NWS 24, 385-391) Durch die Freiwilligkeit der Kooperation zu diesen Themen und die nicht per se vorauszusetzende Zuständigkeit gebunden an die (Berufs-)Position der Akteure lässt sich nicht einmal garantieren, dass nach einem solchen Wechsel die neuen Stelleninhaber bzw. Verantwortlichen als Kooperationspartner überhaupt zur Verfügung stehen. Damit droht nicht nur ein Verlust von personengebundenem Know-how, sondern in erster Linie auch der häufige Verlust der entsprechenden Institution als Partner. 3.1.2 Finanzielle Situation in Kommunen An diesen Befund schließt sich ein weiterer an, der die finanzielle Lage der Kommunen betrifft, die sich – in der Wahrnehmung der Mitarbeiter/innen - insbesondere in den Kürzungen der Regelarbeit mit Jugendlichen niederschlägt (z.B. Schließung von Jugendeinrichtungen, Mittelkürzungen, Stellenabbau). Da sich ein deutlicher Schwerpunkt gerade der präventiven Arbeit der NWS auf die vorhandenen Strukturen der Jugendarbeit ausrichtet, sind die Folgen für diese auch zu spüren: CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 310 „Und die bräuchten auch eigentlich etwas Anderes. Also das finde ich sehr problematisch. Also, ja, die Clubs werden entweder ganz geschlossen oder es werden ihnen die Mitarbeiter entzogen. Die Mitarbeiter, die in den Jugendclubs arbeiten, die arbeiten auf ABM und SAM und rotieren irgendwie im Halbjahres- oder Jahresrhythmus. Damit kann man keine Jugendarbeit machen! Damit kann man keine Perspektiven aufbauen.“ (b-NWS 3,315-326) Unter solchen Bedingungen Netzwerke zu etablieren, in denen eine Stärkung von Akteuren (z.B. durch Angebote der politischen Bildung mit Multiplikatoren) eine wichtige Tätigkeit ist, scheint für die Umsetzenden nur schwer möglich, da die Kontinuität und damit die Voraussetzung für Nachhaltigkeit in den lokalen Strukturen oft gar nicht in der nötigen Form vorhanden ist. Mitunter reagieren die NWS auf die wahrgenommenen Defizite und nehmen diese als konkrete Bedarfe auf, die bearbeitet werden müssen. Ein solches „Auffangen“ von Kooperationspartnern in der Jugendarbeit kann als sehr sinnvoll und angemessen eingeschätzt werden, auch wenn sich damit nicht immer ein dezidierter thematischer Bezug zu den Themen des CIVITAS-Programms verbinden lässt: „Und ich versuche – sofern ich das kann - die Regelarbeit in irgendeiner Weise zu unterstützen. Ja klar, hier ist ein Jugendclub und wenn der Pech hat, ist das Personal nicht mehr da. Damit werden alle Netzwerkstellen zu kämpfen haben, weil das ist nicht nachvollziehbar. Aber das ist leider in allen Bereichen gleich. Also die Sonderprogramme gibt es eben nun mal. Die muss man irgendwie beantragen und die Stellen schaffen oder man lässt es bleiben und die Regelförderung wird eingestellt oder wird immer geringer. Deswegen, wenn diese Stelle hier bestehen soll, muss sie auf jeden Fall Fundraising machen. Also das ist das Interesse natürlich der anderen Vereine. Also dass man Projekte hier hin holt, so dass sie ihre Strukturen irgendwie auffangen können.“ (b-NWS 9a, 581-590) 3.1.3 Themenpriorität Mit den beschriebenen lokalen Rahmenbedingungen verbunden ist ein Faktor, der sich – gerade in den Regionen, in denen verschiedene Problemlagen (Arbeitslosigkeit, Abwanderung etc.) kumulieren – ebenfalls erschwerend auf die Vernetzungsarbeit auswirkt. Insbesondere das „Mobilisieren“ von Engagement für Demokratie und Toleranz konkurriert in solchen Regionen mit Themen, denen von den meisten Akteuren Priorität in der Bearbeitung eingeräumt wird. „(...) aber auch ganz stark natürlich auf Probleme, die dieses Land hat, außerhalb dieser Frage. Also was auch Ursachen sind für Rechtsextremismus, Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Abwanderung, Auswanderung. Gerade ((Region)) ist ein Flächenlandkreis, wo die Leute auswandern. Und das sind ja Probleme, die speziell die Träger hier eben viel mehr interessieren.“ (b-NWS 2, 106-113) Ein externer Akteur (Mitarbeiter eines Vereins, der zur Thematik arbeitet) schildert dieses mit der Depression einhergehende Problem der fehlenden Bereitschaft bzw. motivationaler Kapazitäten, sich mit entsprechenden Themen auseinander zu setzen. Die Frage ist, ob und wie es gelingen kann, das zu bearbeitende Phänomen rechtsextremer Erscheinungen unter diesen Umständen z.B. in die Bearbeitung der ohnehin anstehenden Strukturdefizite einzubauen. „Im Moment gibt es nur ein Problembewusstsein für Arbeitslosigkeit. Und es gibt die Tendenz sozusagen monokausal alle gesellschaftlichen Probleme aus der Arbeitslosigkeit zu erklären. Also eine gängige Argumentation ist, wenn die Jugendlichen Arbeit hätten, dann würden sie auch nicht so einen Unsinn machen. Der Zentralfokus liegt also auf der Arbeitslosigkeit. Das ist auch verständlich bei der Arbeitslosenquote. Es gibt eine Sensibilisierung für das Thema CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 311 Rechtsextremismus, aber nicht im Sinne einer politisch – ideologischen Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern im Sinne einer Auseinandersetzung mit der Phänomenologie des Themas. Das heißt und bedeutet eben auch dann, dass eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema nicht kontinuierlich geleistet wird, weil die motivationale Lage sich damit auseinander zu setzen, ereignisgebunden ist. Das heißt also, wenn es mal wieder ein rechtes Konzert etc. gab oder wenn Ausländer verprügelt worden sind, gibt es eine ereignisbezogene Auseinandersetzung mit dem Thema. Und das hat auch damit was zu tun, dass es sozusagen ein „Luxus“ ist, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, wenn gleichzeitig die Situation ist, dass Jugendeinrichtungen gestrichen werden, dass die Infrastruktur immer schwächer wird, das wir auch in dieser Region darüber nachdenken müssen, wie denn qualifizierbare Jugendarbeit stattfindet, wenn ein Grossteil der Jugendarbeit nicht mal mehr über ABM finanziert werden kann, weil das ja wegbricht. Das sind die eigentlichen Themen die dahinter stehen. Und da ist sozusagen die Motivation, wir müssen uns mit Rechtsextremismus beschäftigen, nicht gerade hoch.“ (c-ext-Exp, 109-125) 3.2 Programmbegleitende Rahmenbedingungen Auf die von Projektmitarbeiter/innen als sehr positiv herausgestellten Rahmenbedingungen des Programms, wie die Einrichtung der Koordinationsstelle, die Fortbildungsmöglichkeit und die Sachmittelausstattung wurde bereits im vorangegangenen Kapitel eingegangen. Hinsichtlich der programmbegleitenden Rahmenbedingungen, die die Projektarbeit erschweren, sind in den Interviews zwei Kernbereiche aufgefallen, die für die Umsetzung der Projektarbeit von Belang sind: • Administration/ Verwaltung • Förderzeiträume. Beide Faktoren beeinflussen die Projektarbeit in mehrfacher Hinsicht und sollen darum im Folgenden kurz beschrieben werden. 3.2.1 Administration/Verwaltung Die Verwaltungsaufgaben wie Antragsstellung, Abrechnung, Dokumentation, die im Rahmen der Projektdurchführung geleistet werden müssen, werden von den Befragten als normaler, begleitender Aufwand verstanden. Während der Laufzeit der NWS, insbesondere aber im Jahr 2003 werden die Veränderungen im Abrechnungswesen, das veränderte Antragsverfahren und die mehrfach zu stellenden Anträge als ein Verwaltungsaufwand beschrieben, der im Rahmen der Ein-Personen-Stelle kaum noch bewältigt werden konnte. NWS verfügen nicht – wie z.B. einige MBTs/OBS über Teamstrukturen, die (z.B. durch die Leitung oder eine Verwaltungskraft) die Mitarbeiter/innen entlasten. Weiterhin kann nicht jede NWS auf Strukturen beim Träger zurückgreifen, die solche Aufgaben übernehmen können. Für die NWS in dieser Konstellation und in den entsprechenden Zeiträumen bedeutet der sehr hohe Verwaltungsaufwand eine Sperrung von inhaltlichen Kapazitäten in hohem Ausmaß. Die Kommentare zum Antragswesen bzw. zum Verwaltungsaufwand betreffen nicht nur die eigene Arbeitskapazität, sondern insbesondere auch das Werben für Neuanträge in den Regionen von kleineren Initiativen: „Besser gesagt, es war so, wir haben November, Dezember einen Antrag für das gesamte Jahr gestellt, dann Ende Dezember noch mal für die drei Monate extra, und dann kam plötzlich die CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 312 Nachricht, es gibt hier ein neues Antragsformular, das muss noch überarbeitet werden, das hat sich Ewigkeiten hingezogen, und dann kam plötzlich dieses Teil, das war halt sehr ausführlich. Es ist auf jeden Fall ein Antrag, wo es sehr schwierig ist, gerade für Initiativen, die ein kleines Projekt machen wollen, sich da durchzuarbeiten, ich denke, das schreckt sehr viele ab. Ich hab das nun einmal gemacht, ich wäre gern bereit, für Antragsberatung in der Richtung, für sehr grobe Antragsberatung, aber dann in jeden Verein zu rennen und den zu ermutigen, einen CIVITAS-Antrag zu stellen, das wäre auf jeden Fall zu viel.“ (b-NWS 22, 604622) Die Motivation, einen Antrag bei CIVITAS zu stellen, wird als sinkend beschrieben, da der mit dem Antrag verbundene Aufwand potentielle Antragsteller, und gerade auch kleinere Initiativen, Jugendgruppen und Träger abschreckt. Dies kann auch durch die Unterstützungsfunktion der NWS nicht ohne weiteres kompensiert werden: „Und zum anderen sind die halt erschlagen von der Antragstellung. Also das ist das andere, wo man einfach nicht loslassen kann. Dann würden sie sagen: ‚Nein, wir machen es nicht.’ (...) Also zum Beispiel, wenn zwei Sachen, einmal das ((Maßnahme politische Bildung)) und dann wollen wir so ein ((Training)) machen bei Jugendlichen. Und da habe ich halt nur angestoßen, weil jemand auf mich zu kam und auch Jugendliche selbst, also mit der Clique und so. Ja und die trauen sich alle nicht, um sich zu wehren. Und noch ein anderer Fall war, von einem Träger, wo eben rechte Horden durch den Wald zogen. Und die hatten da ihr Pfadfindercamp und waren da völlig überfordert und auch mit den Kids, die Betreuer und auch die Jugendlichen damit umzugehen. Und da haben wir gesagt: ‚Okay, lasst uns doch so ein Bewusstseinstraining machen.’ Und da habe ich auch einen Träger gefunden, der auch wiederum mit seinen Leuten Bedarf hat, der das machen will. Und dann saß ich mit der da und habe denen den Antrag erklärt, da sagt die: ’Das ist jetzt nicht Dein Ernst. Wie soll ich denn das hier…?’ Ich sage: ‚Pass auf, da mache ich Dir schon ein Angebot, dass ich das hier mit ausfülle und dass wir jetzt mal am Computer das Teil durchgehen inhaltlich und was wir wissen, schon reinklimpern.’ Ich sage: ‚Das müsstest Du eigentlich alles selber machen.’ Und da sagt die: ‚Nee. Würde ich nicht machen. Dann würde es nicht stattfinden.’ Und ähnlich wird das in einem andren Fall jetzt sein. Da ist das auch ((Verein)), Antiaggressionstraining. Die muss man schon begleiten. Sonst machen die das nicht. Weil der Aufwand zu hoch ist.“ (b-NWS 13, 543-546; 546-573) Ein Befragter regt zu diesem Punkt eine Trennung der Antragsverfahren zwischen mehrjährig geförderten Projekten, wie den OBS, MBTs und NWS an, und Projekten mit kurzer Laufzeit und geringem Volumen. Dadurch wäre es möglich, auch kurzfristig Projekte zu beantragen, auf spontane Bedarfe und Ereignisse zu reagieren und so eine wichtige, niedrigschwellige Unterstützungsfunktion des CIVITAS-Programms neben den auf Verstetigung angelegten Projekten zu gewährleisten: „Zum einen, ich mache das selber, diese ganzen Folgeanträge, finde es gut, dass sie den Antrag überarbeitet haben, weil ich denke, dass der Erstantrag einfach zu kompakt war, was ich allerdings schon beim ersten Antrag und auch jetzt wieder sagen muss, ich hätte es für besser gehalten, es zu trennen, für solche Langzeitprojekte einen Extraantrag zu machen gegenüber Kurzzeitprojekten. Wenn ich mal sage, ich mache ein kleines Projekt oder eine Projektfahrt, dass es dafür einen Antrag gibt, und dass man aber auf Langzeit, wie die Netzwerkstellen, die Beratungsteams und so was, dass man da einen gesonderten Antrag macht. Dass es dafür einfach einen spezifischen Antrag gibt mit Dingen, die nur für Netzwerkstellen relevant sind. So hab ich es empfunden, sowohl bei dem ersten, als auch bei dem zweiten.“ (b-NWS 20, 13861400) CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 313 3.2.2 Planungshorizont In den Bereich der Rahmung des Programms fallen auch die Bedingungen, die sich aus der Abhängigkeit des Programms und der Förderpraxis von der Verabschiedung des Bundeshaushaltes ergeben. Als problematisch gerade auch hinsichtlich der geforderten Nachhaltigkeit bzw. Kontinuität der Netzwerke wird von vielen Projekten der unklare Planungshorizont der Projektmitarbeiter/innen der NWS beschrieben. Die Situation im Frühsommer 2003 - nur für einen Zeitraum von drei Monaten erfolgte eine Bewilligung der NWS; weiterhin musste ein Antrag für das Restjahr gestellt werden – bedeutete für die NWS neben dem erwähnten Verwaltungsaufwand eine erhebliche Unsicherheit in Bezug auf die Weiterführung der begonnenen/initiierten Projekte und auch der eigenen NWS. Von den Projektmitarbeiter/innen wird betont, dass seriöse Planung von Maßnahmen, Projekten der NWS etc. immer nur so weit gehen kann, wie die eigene Existenz überschaubar ist. „Ich konnte dies Jahr noch gar nichts machen, weil ich noch gar kein Geld hab. Ich hab erst seit 14 Tagen mein Lohn gekriegt endlich vom letzten halben Jahr. Ich hab ein halbes Jahr bald ohne Geld gearbeitet. Na, ja ich hab jetzt drei Monate Vorschuss vom Verein gekriegt. Die haben sie so lange Zeit gelassen mit den Anträgen, wie gesagt, ein elendes Hin und Her. Dann war der Haushalt so spät verabschiedet. Ich habe Januar, Februar, März vom Verein noch Vorschuss gekriegt und dann hab ich gewartet. Und Projektgelder kriegen wir jetzt wahrscheinlich erst Anfang August. Projektmäßig hab ich im Moment eh nichts am laufen, weil ich kein Geld hab. Wir haben Rechnungen auf momentan hier. Wo Projekte gelaufen sind, die schon geplant waren, aber eben das Geld nicht da war. Die ich erst mal teilweise privat vorfinanziert hab. (...) Weil eben auch diverse Dinger rausgefallen sind, weil wir kein Geld hatten, die wir absagen mussten. Zb. das Ding der (...) musst ich jetzt absagen, weil ich keine Zusage für sein Honorar machen konnte. Den hatte wir eigentlich für den Oktober nach ((Stadt)) auch eine feste Zusage vom Management. Dann habe ich aber keine Zusage von CIVITAS gekriegt wegen Projektgeldern und da habe ich die absagen müssen. Weil die Verträge unterschrieben werden müssen zum bestimmten Datum.“ (b-NWS 25, 359-371) Damit zusammen hing insbesondere die Tatsache, dass die Mitarbeiter/innen für den Zeitraum, in dem keine Mittel zugewiesen wurden, temporär entlassen werden mussten. „Ja, das war halt das Schlechte, was ich schon angesprochen hab, wo halt wahrscheinlich auch einige Vereine sehr zu knausern hatten, unser auch, dass uns seitens der Service-Stelle gesagt wurde, dass spätestens Ende April das Geld da ist, dass bis spätestens Ende März der Haushalt beschlossen ist, und dass dann die Bearbeitungszeit noch maximal einen Monat geht. Und das war halt nicht der Fall, wir haben hier im Prinzip ein ganzes Vierteljahr ohne einen Cent auskommen müssen. Für die Netzwerkstelle haben wir gar nichts weiter ausgeben können. Der Verein hat erst mal Schulden gemacht, bei der Krankenkasse, beim Finanzamt, die ganzen Stellen, alles, was mit Lohn zusammenhängt, also mit der Personalstelle. Ansonsten konnte halt die ganze Zeit nichts gekauft werden, was wir an Arbeitsmaterial gebraucht hätten. Und ich persönlich hatte drei Monate kein Gehalt, ich habe meinen persönlichen Dispo-Kredit voll ausschöpfen müssen und mir noch persönlich Geld organisieren müssen.“ (b-NWS 22, 629-650) Die Auswirkungen dieser Latenzphase nicht nur auf die angeschobenen Prozesse vor Ort, sondern auf die Motivation und Planungsmöglichkeiten der Mitarbeiter/innen der NWS werden als sehr bedrückend wahrgenommen. Eine gesicherte Perspektive über den Zeitraum von mindestens drei Jahren wurde als Ausgangserwartung bei Stellenantritt von den meisten Mit- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 314 arbeiter/innen vorausgesetzt und auch als notwendig für die Erarbeitung von auf Verstetigung angelegten Netzwerken eingeschätzt. „Ich hab die in Anspruch genommen letztes Jahr. Dieses Jahr eben noch nicht, weil ich echt nicht eingesehen hab, dass ich ohne Bezahlung irgendwohin fahren soll. Ich war ja auch arbeitslos gemeldet zwischendurch trotz diesen Zuwendungsbescheiden. Weil es echt nicht mehr ging. Und wenn das jetzt wieder los geht im September nach den Ferien bin ich auf jeden Fall wieder dabei.“ (b-NWS 25, 508-511) „Wenn wir uns darüber einig sind, dass das Entscheidende ist, also das ist unsere Aufgabe, das sollen wir machen oder da sollen wir zumindest etwas anstoßen oder sollen wir Rücklauf geben, Feedback usw. Aber können wir das tun? Erstens, wenn wir alleine sind, zweitens, wenn wir unter permanenten materiellen Druck stehen und zum Teil auch existenziellen Druck. Für uns heißt es: Überleben wir dieses Jahr oder überleben wir es nicht.“ (b-NWS 19, 975-983) „Nur halt eine zeitliche Dimension, die halt einfach mehr ermöglicht. Also wenn ich am 1.5., wenn ich anfange weiß, dass ich bis Ende 2003 sicher finanziert bin, habe ich anderthalb Jahre, ein bisschen länger sogar, in denen ich halt was aufbauen. Wenn ich aber weiß, es geht bis Ende des Jahres, O.K., dann geht es wahrscheinlich weiter oder vielleicht nicht, dann geht es bis 31.3. weiter und dann geht es vielleicht weiter. Das ist immer so eine Sache, um eine Kontinuität zu sichern.“ (b-NWS 10, 827-832) Neben der Unzufriedenheit mit den verwaltungstechnischen Abläufen dürfte die erwerbsbiographische Unsicherheit der Stellen der Hauptgrund für die erheblichen Fluktuationen bei den Mitarbeiter/innen der NWS darstellen. Bei den 25 NWS, die mit Personalmitteln ausgestattet sind, wurden seit Beginn der Förderung (2002) insgesamt 9 Stellenaufgaben, davon allein 3 in einem NWS-Projekt, dokumentiert. Die Bereitschaft, unter solchen unsicheren Arbeitsbedingungen z.B. ein anderes Stellenangebot anzunehmen, dürfte entsprechend hoch sein. Auf die Bedeutung personeller Kontinuität aufgrund der Relevanz persönlicher Beziehungen, der Schaffung von Vertrauen und der Signalisierung von Verlässlichkeit gerade in Regionen, die selbst stark von Abwanderung betroffen sind, wurde in den vorangegangenen Kapiteln mehrfach hingewiesen. Im folgenden Zitat wird dieses „Kontinuitätsgebot“ bei Netzwerkarbeit von einem Projektmitarbeiter sowie die Konsequenzen seiner Missachtung noch einmal veranschaulicht. „Von eins bis zehn, wenn zehn das Wichtigste ist, zehn. Der personelle Wechsel, der in anderen Netzwerkstellen passiert, ist eine Katastrophe, da bin ich mir ganz sicher, weil wir untereinander schon Probleme haben, die Personen haben überhaupt keine Zeit, sich einzuarbeiten. Und hier wäre das eine Katastrophe, weil die Leute einfach nicht ständig mit anderen Leuten reden möchten, und die Einarbeitungszeit, wenn man nicht aus dem ((Region)) kommt, ziemlich lang ist. (...) Aber eine komplette Neubesetzung würde auch bei denjenigen, mit denen wir kooperieren, auf absolutes Unverständnis stoßen. Es gibt sowieso schon so viele Wechsel hier, wenn man dann ständig mit neuen Ansprechpartnern zu tun hat, ist das nicht gut.“ (b-NWS 9F1, 162-173) 3.3 Zusammenfassung der Rahmenbedingungen Aufgrund der ungünstigen allgemeinen Finanzlage in den Kommunen haben die NWS in einem der Haupteinsatzgebiete, bei Trägern der Jugendarbeit, das Problem, auf Defizite in den Regelstrukturen (Schließung von Jugendeinrichtungen, SAM/ABM etc.) reagieren bzw. diese ein Stück weit kompensieren zu müssen. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 315 Wo von den lokalen Akteuren die Bearbeitung anderer Problemlagen (z.B. die hohe Arbeitslosigkeit) als drängender eingeschätzt wird, werden Themen wie Demokratieentwicklung und Arbeit gegen Rechtsextremismus keine Priorität eingeräumt. Sie werden mitunter als „luxuriös“ bezeichnet und daher randständig behandelt. Daran schließt sich das Problem der Fluktuation bei den Kooperationspartner/innen der NWS aufgrund der Abwanderung bzw. der Stellenkürzung an, welches die Vernetzungsarbeit empfindlich erschwert. Dieses „Wegbrechen“ von Partner/innen in den Kommunen korreliert in einigen Fällen mit der ebenfalls sehr hohen Fluktuation bei den Mitarbeiter/innen der NWS (neun Stellenaufgaben). Unsichere Planungshorizonte der Mitarbeiter/innen der NWS, teilweise Unterbrechungen der Arbeitszyklen und ein Verwaltungsaufwand, der in intensiven Zeiten (Neuanträge, Abrechnung, Kofinanzierung) einen hohen Zeitanteil einnimmt, stellen keine günstigen Bedingungen dar, unter denen tragfähige, verbindliche Netzwerke etabliert werden können. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 316 4 Zum Konzept der Netzwerkstellen auf theoretischer Grundlage Untersuchungsgegenstand Wie bereits beschrieben, steht die Evaluation der Netzwerkstellen vor dem Problem, kein ausformuliertes „Modell“ als Basis eines Ziel-Umsetzungsabgleiches heranziehen zu können. Im Wesentlichen bleibt unklar, an welchem Konzept, konkreten Zielgruppen und Arbeitsaufträgen sich dieser Projekttypus orientiert. Die Operationalisierung von Zielen und die Herausarbeitung eines idealtypischen Netzwerkansatzes kann daher zunächst nur theoretisch anhand bereits existierender, ähnlicher Projekte und deren Anlage erfolgen. Dies erscheint sinnvoll, da die Aussagekraft der Gesamt-Evaluation der Netzwerkstellen über die beschriebenen fünf Untersuchungsphasen ohne das Anlegen eines „Maßstabes“ letztendlich nicht über eine Beschreibung entstandener Einzel-Konzepte hinausgelangen könnte. Der „Abgleich“ zwischen dem hergeleiteten idealtypischen Ansatz und der Projektpraxis fließt begleitend in die Beschreibung und Einschätzung der Umsetzungspraxis ein. Fragestellung Im Vergleich mit den von CIVITAS geförderten Mobilen Beratungsteams und insbesondere den Opferberatungen kann bei den Netzwerkstellen nicht auf Rahmen-Konzepte zurückgegriffen werden, die bei den beiden anderen Strukturprojektgruppen auch durch eine längerfristige diskursive Erarbeitung von Qualitätsstandards, durch Fachtagungen und Veröffentlichungen zum jeweiligen Schwerpunkt in ausführlicherer Form Anhaltspunkte zur Entwicklung der Modellphase liefern. Als Hauptfragestellung interessiert in diesem Teil der Evaluation demnach die Besonderheit des Ansatzes der CIVITAS-Netzwerkstellen im Vergleich zu anderen Netzwerkprojekten/ansätzen gemessen an den zur Verfügung stehenden Ressourcen, den sozialräumlichen Vorraussetzungen und dem thematischen Anspruch des CIVITAS-Programms. Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, einen direkten Vergleich der Potenziale von Netzwerken unterschiedlicher Programme darzustellen, sondern vielmehr die Ausrichtung und die programmatischen Vorgaben, d.h. die Zielbestimmungen und Voraussetzungen der Vernetzungsarbeit kenntlich zu machen. Gefragt wird nach: • (Vor-)Bedingungen des zu schaffenden Netzwerkes, • Funktion und programmatischer Rahmung des Netzwerkes (Aufgaben, Zielgruppen etc.) • Funktion der Person im Netzwerk • Sozialräumlichen Bedingungen. Ziel ist die Erarbeitung der besonderen Potenziale der CIVITAS-Netzwerkstellen durch Einbezug der zur Verfügung gestellten Ressourcen und die Interpretation des in den Leitlinien angerissenen und den Interviews mit Programmentscheidenden und – umsetzenden konkreti- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 317 sierten Auftrages. In Form der Ausarbeitung eines idealtypischen Netzwerkansatzes wurde versucht, Anlage, Potenzial und Ausrichtung der CIVITAS-Netzwerkstellen als ein zur Einschätzung der praktischen Umsetzung der NWS-Tätigkeiten taugliches Referenzsystem zur Verfügung zu stellen. Datengrundlage Ausgangspunkt der (kurzgefassten) Konzept-Betrachtung auf der Basis der Leitlinien sollen demnach zunächst vergleichbare Projekte anderer Programme sein, die bei ähnlichen, wenn auch nicht identischen, inhaltlichen Schwerpunksetzungen den zentralen Focus auf Vernetzungsprozesse – also die Verdichtung von Strukturen und das Herausarbeiten und Qualifizieren von Kooperationsbeziehungen und deren Bedingungen legen. Über diese eher „technischen/mechanischen“ Aspekte hinaus, soll anhand von weiteren Vergleichen der Schwerpunkt auf das Grundverständnis der Genese von lokalen, weitgehend selbstbestimmten Netzwerken, hier insbesondere des „bürgerschaftlichen Engagements“ gelegt werden, da gerade dieses Verständnis dem von CIVITAS favorisierten „zivilgesellschaftlichen“ Anspruch am ehesten entspricht. 4.1 Die CIVITAS-Netzwerkstellen im Vergleich zu anderen Netzwerkprojekten Zunächst sei bei der Betrachtung auf einen Netzwerk-Ansatz verwiesen, der sowohl die Akteure und die Art der Kooperationen, als auch deren Inhalte in stärkerem Maße programmatisch vorstrukturiert, als das beim CIVITAS-Programm erfolgt (erfolgen kann). Im Rahmen des CIVITAS-Programms für die neuen Länder, kann nur wenig konkret definiert werden, auf welche konkrete lokale Situation sowie auf welchen Aktionsradius sich das implizierte Defizit an Kooperationsbeziehungen bezieht. Der Entwicklung von Netzwerken sozialer Kooperation wird im Rahmen des BundesModellprogrammes „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“ (E&C), das sich auf das Partnerprogramm „Soziale Stadt“ bezieht und deren Entwicklung durch das DJI München wissenschaftlich begleitet wird, besonderes Gewicht beigemessen. Obgleich der Bereich der zu vernetzenden Institutionen weit gefasst ist, neben Ämtern, formalisierten Einrichtungen sozialer Dienstleistungen und öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe werden auch „wenig bis gar nicht formalisierte soziale Gebilde“ (DJI 2002: 13) wie Runde Tische oder Bürgerinitiativen einbezogen, ist die Kernstruktur des Netzwerkes6 stark professionsbezogen orientiert. Die Bewerbung von „Gebieten“ und die Anbindung bzw. regionale Steuerung der jeweiligen Programme an und durch etablierte Stellen stellt – ebenso wie der einer Problemdefinition für das Gebiet vorausgehende Konsens über die Notwendig- 6 Netzwerke werden von den Autor/innen nach Kodorff (u.a. 1998) verstanden als „durch Kooperationen von professionellen oder politischen Akteuren geschaffene Strukturen“ (vgl. DJI 2002: 14). Diese Definition soll im Folgenden auch für den vorliegenden Bericht gebraucht werden, da hier zunächst sowohl die Zielgruppen der Vernetzung als auch die Qualität der Bindungen begrifflich offen gehalten wird. CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 318 keit von Interventionen - einen Kernbereich von institutionsgebundenen Kooperationsbezügen voran, die durch geschaffene „zuständige“ Strukturen (z.B. Stadtteil-Management) ergänzt werden können. Bürgerengagement bzw. bestehende Bürger-Netze können darüber hinaus als wesentlicher Teil der Interventionsstrategie in die bestehenden Netzwerkstrukturen einbezogen werden. Sowohl die langfristigen Ziele der Kooperationen (Leistungsbereiche) und deren Übersetzung in Maßnahmen als auch fixe „Knotenpunkte“ (beteiligte Akteure) im Sozialraum erscheinen stark definiert und ermöglichen so (theoretisch) auch einen stringenten Programmablauf. Entsprechende Vorgaben für die Qualifizierung und den Nachvollzug der jeweiligen Konzepte (Evaluation, Dokumentation, fachlicher Austausch) sind vorgesehen (vgl. als Beispiel „Netzwerkbildung im Quartier“ Dokumentation der Konferenz der Quartiersmanager/innen SPI 2002). Ähnlich wie bei den E&C-Netzwerken sind auch die vom BMBF geförderten „Lernenden Regionen – Förderung von Netzwerken“7 zum Lebenslangen Lernen von der Aufwendigkeit der Anlage nicht mit den von CIVITAS geförderten Netzwerkstellen vergleichbar; interessant sind jedoch die von diesem Programm vorgegeben „Mindestregelungen“ der Kooperationen. Die Kooperationsvereinbarungen werden bei Antragsstellung so eingefordert, dass durch eine genaue Aufschlüsselung der Aufgaben des Netzwerkes, der Rechte und Pflichten jedes Mitgliedes bis hin zur Regelung des Zugangs neuer Mitglieder bzw. der Beendigung der Mitgliedschaft die jeweiligen Aufgaben, rechtlichen Pflichten und Anteile aller Kooperationspartner/innen an der Arbeitsteilung verbindlich geregelt sind. Neben der stärkeren inhaltlichen Fokussierung auf den Bildungsbereich, unterscheidet sich dieser Ansatz insbesondere in einem Bereich grundsätzlich von den CIVITAS geförderten Netzwerkstellen: die Netzwerke sind auf der Grundlage professions- und institutionengebundener Ressourcen der jeweiligen Einrichtung konstruiert und durch die beschriebenen Kooperationsregelungen weniger offen, also in den Zugängen „exklusiver“. Thematisch und auch strukturell ähnlich sind die von dem Aktionsprogramm entimon geförderten Netzwerkprojekte und die – seit 2002 ebenfalls über dieses Programm weitergeförderten - „Lokalen Aktionspläne für Toleranz und Demokratie“. Entimon fördert im Rahmen der vorgesehenen Projekttypen ebenfalls die Einrichtung von Netzwerken, die auf lokaler Ebene Kooperationsbeziehungen bzw. Partnerschaften verschiedener Akteure koordinieren sollen. Die beiden Hauptzielgruppen der Netzwerk-Projekte sollen junge Menschen (Schüler/innen gerade auch von Haupt- und Berufsschulen) sowie Multiplikator/innen sein. Weiterhin werden Erziehungsberechtigte, Migrant/innen sowie – in wenigen Fällen – auch rechtsextreme Jugendliche als Zielgruppen benannt. Im Bericht der wissenschaftlichen Begleitung von entimon wird die zunehmende Vernetzung von kleineren Initiativen gerade mit regionalen und überregionalen Jugendhilfestrukturen als zu begrüßende Entwicklung dokumentiert. Wie konzeptionell vorgesehen arbeiten die Netzwerkprojekte überwiegend klientenzentriert, d.h. sie bieten schnelle, unbürokratische Informationen in Form von Beratungen in den Institutionen vor Ort an (vgl. DJI 2001). Bei ähnlicher inhaltlicher Offenheit der Vernetzungskonzepte sind die von entimon geförderten Netzwerk-Projekte stärker auf Zielgruppen eingegrenzt und beziehen sich damit auch institutionell auf spezifischer zu benennende Akteure als 7 Vgl. http://www.dlr.de/PT/LernendeRegionen/regionen.htm CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 319 die CIVITAS-Netzwerkstellen. Thematisch und zielgruppespezifisch sind die von CIVITAS geförderten NWS sehr nahe an den von entimon weitergeführten „Lokalen Aktionsplänen“, deren Aufgabe in der Initiierung von Netzwerken und Kooperationsstrategien gegen Rechtsextremismus besteht. Diese beziehen sich im Unterschied zu CIVITAS-Projekten auf E&CGebiete und sind daher wohl eher in der Lage, auf die vorausgegangenen lokalen Diskurse sowie an entsprechende Strukturen, Ansprechpartner und vor allem auch methodisches Know-how zurückzugreifen (z.B. Zukunftswerkstätten mit lokalen Akteuren zur regionalen Problem- und Bedarfsanalyse). Einen wichtigen konzeptionellen Unterschied zu den von verschiedenen Trägern umgesetzten Lokalen Aktionsplänen macht bei den CIVITASNetzwerkstellen sicherlich die Förderung von Personalstellen, also das Freimachen von personellen Kapazitäten im Unterschied zur Vergabe von reinen Sachmitteln. Der in den Leitlinien CIVITAS beschriebene Passus der Schaffung einer „lokalen Verantwortungsgemeinschaft“ rückt den Aufgabenbereich bzw. die Funktion der Netzwerkstellen in konzeptionelle Nähe zum Ansatz des bürgerschaftlichen Engagements in „bürgerorientierten Kommunen“ (vgl. Pröhl, Sinning, Nährlich 2002). In diesem Ansatz haben bürgerschaftliche Zusammenschlüsse die Aufgabe, relativ unabhängig von staatlichem Handeln gesellschaftliche Funktionen zu übernehmen. Sie sind zu verstehen als politische Akteure, die „(...) zum einen zwischen Lebenswelt und Gemeinwesen vermitteln, und zum anderen im Vergleich zu Parteien vielfältigere Formen und Möglichkeiten bereithalten, sich behutsam und mit geringem Formalisierungsgrad dem politischen Engagement zu nähern.“ (Pröhl, Sinning und Nährlich 2002: 30). Solchen (ehrenamtlichen) Netzwerken wird eine Korrektivfunktion zwischen den nach verschiedenen Mechanismen funktionierenden gesellschaftlichen Bereichen zugeschrieben (vgl. ebenda: 30). Der Aufbau einer „lokalen Verantwortungsgemeinschaft“ im Sinne eines Empfindens für Zuständigkeiten für die Lösung gesellschaftlicher Probleme ist bei den CIVITASNetzwerkstellen zwar zum Teil auf Institutionen (Kirche, Schule – siehe Leitlinie 2002) bezogen, richtet sich in diesem Verständnis aber, neben (Bürger-)Initiativen, eher an die dort tätigen Einzel-Akteure und deren Bereitschaft, die institutionellen Ressourcen einem gemeinsamen Engagement zur Verfügung zu stellen. Im Sinne des „ermöglichenden Staates“ kann eine Rolle der durch Bundesmittel geförderten Stellen das Bereitstellen der entsprechenden Bedingungen für gesellschaftliches Engagement sein: „Der ermöglichende Staat“ sollte dabei nicht nur darauf abzielen, Bürgerinnen und Bürger sowie gesellschaftliche Organisationen von staatlicher Gängelung und bürokratischer Überregulierung zu befreien; er sollte auch die Rahmenbedingungen für eine eigenverantwortliche Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben verbessern.“ (Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ 2002: 18) Für die Netzwerkstellen ist in der Evaluation nach entsprechend bereitgestellten Potenzialen (z.B. Infrastruktur, Mittel, Arbeitskraft etc.) zu fragen. Wenn der Ansatz „bürgerschaftliches Engagement“ sich auf die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Politik und Verwaltung einerseits und selbstorganisiertem Bürgerengagement andererseits bezieht, setzt insbesondere die zugeschriebene Vermittlungsfunktion eine gegenseitige Akzeptanz bzw. einen allgemeinen Konsens über die zu leistenden Aufgaben bzw. die dazu angewandten Methoden voraus. Dies scheint auch im Konzept der Netzwerkstellen eine Rolle zu spielen, die ja gerade unterschiedlichste gesellschaftliche Ebenen und Funktionsbereiche einbeziehen sollen. Hinsichtlich der bekannten sozialpolitischen Kontexte vor allem in CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 320 vielen ländlichen Regionen in den neuen Bundesländern kann ein solcher Konsens nicht per se vorausgesetzt werden. Daraus ließe sich eine mögliche Aufgabe der Netzwerkstellen ableiten, Konsensbildung diplomatisch zu moderieren, aufrechtzuerhalten und ein handlungsfähiges interventionsfähiges Netzwerk zu bilden. Diese Funktion und das damit verbundene Selbstverständnis der Projekte stellen einen deutlichen konzeptionellen Unterschied beispielsweise zu den Opferberatungsstellen dar, die konsequent die Perspektive bestimmter Personengruppen einzunehmen haben. Die Frage, wie die Netzwerkstellen in welchen Konstellationen und Anbindungen eine solche anspruchsvolle Vermittlungsrolle einnehmen (können), soll eine zu klärende Frage bei der Evaluation darstellen (vgl. Kap. 6). Von Belang sollten diesbezüglich vor allem die persönlichen Kompetenzen der Mitarbeiter/innen sowie deren Möglichkeiten und Bereitschaft sein, sich diplomatisch offen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu bewegen. Weiterhin existieren Indikatoren zur Beurteilung der Qualität von auf bürgerschaftliche Beteiligung ausgerichteten Netzwerken, wie hier am Beispiel des von der Bertelsmann als Wettbewerb ausgelobten „CIVITAS – Netzwerk bürgerorientierter Kommunen in Deutschland“ und der damit verbundenen Förderung von lokaler Anerkennungs- und Beteiligungskultur dokumentiert wird: Anerkennung: • „Marktplatz“ (Austausch von Erfahrungen, Projekten, Ergebnissen) • Lokale Analyse – Konfliktvermittlung • Grundsatzfragen thematisieren • Methoden erproben • Produkte erarbeiten Ermöglichung: • Wertschätzung • Würdigung • Weiterbildung Systemfaktoren: • Räume und Infrastruktur, Budget • Begleitung • Selbstorganisation • Wertschätzung durch Medien • Teilhabe an Dialogkultur • Lokale Bonussysteme schaffen • Weiterbildung durch Zertifizierung (vgl. Langfeld/Wezel/ Wolf 2002) 4.2 Zum theoretischen Ansatz der CIVITAS-NWS Der CIVITAS-Ansatz für Netzwerke geht, in der Formulierung der Leitlinien, von zwei angenommenen Defiziten aus: ein Defizit im Kenntnisstand/in der Qualifikation von Akteuren was die Thematik, die Ausprägung und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, Frem- CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 321 denfeindlichkeit und Antisemitismus betrifft, sowie von einem Defizit an (lokal gesteuerter) Kooperation hinsichtlich der Planung und Begleitung von Interventionen zur Bearbeitung dieser Themen. Der CIVITAS-Ansatz legt dabei – im Vergleich z.B. mit E&C-Netzwerken - stärkere Gewichtung auf einen sehr offenen, wenig vordeterminierten und damit grundsätzlich niedrigschwelligen Zugang für verschiedenste potentielle Kooperationspartner/innen.8 Dem entspricht der starke Gemeinwesenbezug der Netzwerkstellen, deren Zielgruppen in allen Ebenen eines Sozialraumes agieren und die somit keinem bestimmten gesellschaftlichen Funktionsbereich explizit zugeordnet werden können9. Das Prinzip der „Freiwilligkeit“ und Offenheit, auch bei den Lernenden Regionen in den Leitlinien beschrieben, scheint bei CIVITAS in der Anlage konsequenter, obgleich die Zielstellung der Verbindlichkeit der Kooperationsbeziehungen ausdrücklich benannt wird. Auch die Funktion des Netzwerkes, seine „Leistung“ - auch als Output zu beschreiben - ist bei CIVITAS, bis auf die Fortbildungs-, Informations- und allgemeine Unterstützungsfunktion von örtlichen Initiativen/Akteuren weitgehend offen gehalten. Da die Netzwerkstellen nicht generell – wie die Netzwerkakteure des E&C Programms, oder wie bei den über entimon geförderten „Lokalen Aktionsplänen für Toleranz und Demokratie“ zu vermuten, auf die oben beschriebenen „Strukturknoten“ zugreifen können, und auch der Konsens über die Notwendigkeit von Interventionen eines problemfokussiert-definierten Sozialraumes bei relevanten Akteuren nicht in diesem Maß vorausgesetzt werden kann, ist der implizit vermittelte Auftrag der Netzwerkstellen zunächst weniger „produktorientiert“. Er müsste beispielsweise – je nach lokaler Situation – zunächst auch in der Lokalisierung von bereits aktiven sowie von relevanten Akteuren mit „Potenzial“ und der Mobilisierung dieser Akteure für Engagement innerhalb der Thematik, als Ausgangsbasis für dann zu organisierende Interventionsstrategien bestehen. Das Programm reagiert damit wohlmöglich auf ein generelles Problem bei der Bearbeitung von Erscheinungsformen des Rechtsextremismus allgemein und beim zivilgesellschaftlichen Ansatz im Besonderen: Abgesehen von staatlichen Exekutivorganen (Polizei), deren Handeln auf den Bereich der rechtsextremen Straftaten ausgerichtet ist, ist es kaum möglich zu benennen, welche Akteure/Institutionen welche Ressourcen und Potenziale für die zur Auseinandersetzung mit rechtsextremer (Jugend)Kultur als notwendig erachtete Stärkung demokratischer Gegenkräfte besitzen.10 Diese Potenziale scheinen in diesem Verständnis nicht per se an 8 Auch die Netzwerkstellen haben den Anträgen Kooperationsvereinbarungen potent. Kooperationspartner beizulegen, diese beziehen sich oft auf die Erklärung der Kooperationsbereitschaft, weniger auf arbeitsteilige Funktionsbeschreibungen. 9 Die Zielgruppen der Netzwerkstellen werden in der Leitlinie 2002 beispielhaft umrissen: Schulen, Jugendhilfe, Kirche sowie das Gemeinwesen. 10 Vgl. CIVITAS Regionalkonferenz Sachsen-Anhalt in Wittenberg, Herbst 2002: In einem Workshop wurde sich mit der Frage auseinander gesetzt: „Wer besetzt den sozialen Raum?“. Anwesende Wissenschaftler, Politiker und Praktiker versuchten abstrakt Akteure/Institutionen zu benennen, die in allen Sozialräumen generell als „zuständig“ für eine Aktivierung von Gegenkultur zu definieren sind. Dieser Versuch misslang; Ergebnis war die Einsicht, dass zwar bestimmte Institutionen bzw. gesellschaftliche Funktionsbereiche generell entsprechende Potenziale besitzen (z.B. Verwaltungen, Vereine, Gewerbeverbände, Jugendeinrichtungen...) die Einflussmöglichkeiten dieser jedoch im jeweiligen Kontext sehr CIVITAS: Evaluierung der Netzwerkstellen 322 institutionali