Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ Akute Lungenembolie — kritische Betrachtungen zum heutigen Stand der Diagnostik Häufig nicht erkannt oder fehlinterpretiert Knut Schmengler, Peter Doenecke und Richard Berberich Medizinische Klinik und Poliklinik, Innere Medizin III. (Direktor: Professor Dr. Ludwig Bette) und Abteilung für Nuklearmedizin (Direktor: Professor Dr. Dr. Erich Oberhausen) der Universität des Saarlandes Die Lungenembolie als akute Erkrankung des Lungenkreislaufs ist der „größte Schauspieler" unter den Krankheiten des kardiopulmonalen Systems. Demzufolge wird sie nach übereinstimmenden Literaturangaben, die auf umfangreichen Sektionsstatistiken basieren, sehr häufig fehldiagnostiziert (1, 2)*). Dabei ist der Prozentsatz einer zu häufigen Diagnosestellung mit etwa 60 Prozent genau so hoch wie der einer versäumten Erkennung. Eine Erklärung für diese diagnostischen Probleme liegt in der Lokalisation des Krankheitsprozesses: Das krankmachende Agens (der Embolus) befindet sich im arteriellen Schenkel der Lungenstrombahn, also zwischen dem Kreislauforgan „Herz" und dem Atemorgan „Lunge". Die Folgen der Lungengefäßobstruktion betreffen zwar beide Organsysteme, das Symptomenspektrum ist jedoch, auch unabhängig von dem Schweregrad der Embolie, sehr variabel und kann im einen Extremfall das pulmonale System weitgehend isoliert betreffen (Lungeninfarkt), im anderen die kardiovaskuläre Symptomatik dominieren lassen (akutes Cor pulmonale, kardiogener Schock). Wegen ihrer Häufigkeit und ihrer klinischen Variabilität verdient die aku- te Lungenembolie bezüglich Erkennung, Therapie und Prophylaxe größtes Interesse aller praktisch, klinisch und wissenschaftlich tätigen Ärzte. Übersichtsarbeiten zu diesem Thema sind unter verschiedenen Aspekten auch in dieser Zeitschrift wiederholt erschienen (3, 4, 5, 6, 7, 8). Ziel der vorliegenden Darstellung ist es, auf die vielschichtige Symptomatik (oder auch Symptomenarmut) und die zum Teil damit zusammenhängende problematische Diagnostik hinzuweisen. Trotz großer diagnostischer Fortschritte bleiben manche Fragen offen. Das erklärt, warum die „Strategie der Erkennung" der akuten Lungenembolie trotz verdienstvoller Publikationen zu diesem Thema (9, 10, 11) noch keineswegs so einheitlich gehandhabt wird, wie es zu wünschen wäre. 1. Pathophysiokijie und klinisches Bild Die der Lungenembolie in der Regel zugrundeliegende thromboembolische Verlegung von Teilen der arteriellen Lungenstrombahn führt zu einer Beeinträchtigung sowohl der Lungenzirkulation als auch der Lungenventilation, mit potentiellen Auswirkungen auf das kardiovaskuläre und auf das pulmonale System (Darstellung 1). Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Das Erkennen einer akuten Lungenembolie gehört zu den schwierigsten Aufgaben in der ärztlichen Praxis. Die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen, die Unzuverlässigkeit der früher als pathognomonisch angesehenen Symptome und die Vieldeutigkeit apparativer Diagnostik führen dazu, daß die Lungenembolie auch heute noch häufig nicht erkannt oder fehlinterpretiert wird. Die Übersichtsarbeit informiert über die Probleme der konventionellen Diagnostik und über die Schwierigkeiten spezifischer Nachweisverfahren. 1.1 Lungenkreislauf und rechtes Herz Jede Teilverlegung des Lungenkreislaufs führt zu einer anatomischen Einschränkung der Lungenstrombahn. Aufgrund der Elastizität der Lungenarterien mit entsprechenden kapazitiven Reserven für das Blutvolumen muß aber mehr als die Hälfte der Lungenstrombahn verlegt sein, ehe eine pulmonale Hypertonie entsteht (1, 12). Erst bei einer Lungengefäßobstruktion von mehr als 50 Prozent ist also — bei vorher normalem Herz-Lungenbefund — mit einer pulmonalen Hypertonie und den kardialen Auswirkungen der akuten Mehrbelastung des rechten Ventrikels, dem akuten Cor pulmonale, zu rechnen. Akute Drucksteigerungen im Lungenkreislauf auf über 40 mmHg (Mitteldruck) sind jedoch aufgrund der im Vergleich zum linken Ventrikel nur geringen Wandstärke des rechten Ventrikels nicht möglich. Erfordert die Aufrechterhaltung des Lungendurchflusses höhere Druckbelastungen, so kommt es zur akuten Rechtsherzinsuffizienz, bei einer Lungengefäßverlegung von etwa 80 Prozent zum akuten Herz-KreislaufVersagen (Tabelle 1). Zusätzliche *) Die in Klammern stehenden Ziffern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks. 79. Jahrgang Heft 47 vom 26. November 1982 35 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin r. Lungenembolie neuroreflektorische Mechanismen oder humorale Einflüsse sind für den Lungenkreislauf und das rechte Herz bisher lediglich im Tierexperiment aufgezeigt worden, für den Menschen aber nicht bewiesen (1, 13). 1.2 Systemkreislauf, Koronarkreislauf, linker Ventrikel Schwere Lungenembolien führen über die verminderte Auswurfleistung des rechten Ventrikels zu einer Erniedrigung des Minutenvolumens im Lungenkreislauf. Dabei kommt es über einen verminderten Blutstrom zum linken Ventrikel zur Hypotonie im Systemkreislauf bis zum kardiogenen Schock. Synkopale Zustände als Initialsymptom einer Lungenembolie finden hierdurch ihre Erklärung. Angina-pectoris-Symptomatik, meist atypischer Prägung, ist gleichfalls bei schwererer Lungenembolie nicht selten und insbesondere bei vorgeschädigtem Koronarsystem durch Minderperfusion und unzureichendes Sauerstoffangebot an das mehrbelastete Herz zu erwarten. Die Existenz eines „Pulmonalisdehnungsschmerzes" als Erklärung für die atypische Angina pectoris ist nicht bewiesen (1, 17). (über 80%) C) Fulminante Lungenembolie Nicht hinreichend geklärt ist die Tatsache, daß es bei der akuten Lungenembolie zu einem Versagen des zwar maximal adrenerg stimulierten, aber nicht akut belasteten linken Ventrikels kommen kann. Wahrscheinlich sind auch hier eine arterielle Hypoxämie, koronare Minderperfusion una Vorschädigung des linken Herzens anzuschuldigen (13). Reflexmechanismen zwischen Pulmonalis- und Systemkreislauf einerseits und zwischen Pulmonalis- und Koronarkreislauf andererseits sind nach neueren Untersuchungen tierexperimentell nicht beweisbar und auch für den Menschen nicht anzunehmen (1). Die klinischen Symptome des akuten Cor pulmonale und Systemkreislaufs sind in Tabelle 2 aufgeführt. (über 50-60%) © Massive Lungenembolie ® Mittelschwere Lungenembolie (Lungeninfarkt) (25-50%) 1.3 Respiratorisches System (unter 25%) ® Kleine (Mikro-)Embolie 1.3.1 Störungen der Lungenfunktion Tabelle 1: Stadieneinteilung der Lungenembolie in Abhängigkeit vom prozentualen Ausmaß der Lungenstrombahnverlegung C) Hebende Aktionen des rechten Ventrikels C) Dyspnoe (Tachypnoe, Hyperventilation) ® A-Welle im Jugularvenenpuls © Zyanose ® Lauter Pulmonalklappenschlußton ® Abgeschwächtes Atemgeräusch ® Weite Spaltung des 2. Herztones ® Bronchokonstriktion ® Rechtsventrikulärer Galopprhythmus ® Zwerchfellhochstand C) Pulmonale Strömungsgeräusche (systolisch und diastolisch möglich) ® Tachykardie ® Tachykarde ventrikuläre und supraventrikuläre Rhythmusstörungen ® Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz ® Rasselgeräusche Zeichen des Lungeninfarktes a) Husten, Auswurf, Hämoptyse Zeichen der Infiltration b) c) Pleurareiben d) Pleuraerguß Tabelle 2: Klinische kardiale Symptome Tabelle 3: Pulmonale Symptome bei Lungenembolie bei Lungenembolie 36 Heft 47 vom 26. November 1982 79. Jahrgang Die klinischen Auswirkungen der akuten Lungenembolie auf das respiratorische System sind weniger klar ersichtlich und werden in ihrer Bedeutung daher oft unterschätzt. Die embolische Lungengefäßobstruktion hat die Entstehung zwar ventilierter, aber nicht perfundierter Lungenabschnitte, alveoläre Toträume, zur Folge. Diese Totraumventilation ist ein wesentlicher Faktor für das Zustandekommen des klinischen Leitsymptoms der Lungenembolie, der Dyspnoe. Für das Zustandekommen der „Atemnot-Trias" Dyspnoe, Tachypnoe und Hyperventilation sind jedoch auch neuroreflektorische und humorale Faktoren anzunehmen (13, 14). Bei entsprechender Disposition des Bronchialsystems kann ein Bronchospasmus auftreten, der in Einzelfällen zur Fehldiagnose „akuter Asthmaanfall" führen mag (15, 16). Zusätzliche Änderungen der Atemphysiologie können bewirkt werden durch: Störung der Diffusion, Abnahme der Compliance, Verlust des DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Lungenembolie Surfactant Factors, Bronchiolenkonstriktion sowie Eröffnung intrapulmonaler Rechts-Links-Shunts. Alle diese Faktoren sind letztlich für die Ausbildung der pulmonalen Leitsymptome Dyspnoe, arterielle Hypoxämie, Zyanose mitverantwortlich, allerdings in individuell unterschiedlichem Ausmaß und selten voneinander sicher abgrenzbar. Mögliche Auswirkungen der Lungenembolie Rechtes Herz und Lungenkreislauf Systemkreislauf Koronarkreislauf Respiratorisches System Pulmonale Hypertonie — akutes Cor pulmonale Abfall des Herzzeitvolumens Koronare Minderperfusion Störung der ventilatorischen Funktionen Rechtsherzinsuffizienz Hypotonie Synkope Schock Angina Pectoris Atelektase Infarkt 1.3.2 Lungeninfarkt Die Entwicklung eines Lungeninfarktes ist eher die Ausnahme als die Regel und kommt wohl nur in 10 Prozent der Gesamtemboliefälle vor (1). Drei wesentliche Komponenten scheinen die Ausbildung eines Lungeninfarktes zu begünstigen: lO die Beeinträchtigung des nutritiven Kreislaufes (Bronchialarteriensystem), • die Behinderung des pulmonalvenösen Abflusses, O die Ausbildung eines Kollateralkreislaufes über das Pulmonalgefäßsystem der gleichen Seite (1). Somit ist am ehesten in den Fällen leichter bis mittelschwerer Lungenembolie mit der Entwicklung eines Infarktes zu rechnen, bei denen gleichzeitig eine pulmonal-venöse Hypertonie (Linksherzinsuffizienz) und/oder eine Hypertonie des Systemkreislaufes bestehen. 1.3.3 Klinik Auch bei schwerer Lungenembolie bietet die Lungenauskultation in der Mehrzahl der Fälle keine Besonderheiten (12). Pleuraergüsse sowie die klinischen Zeichen des Lungeninfarktes kommen selten vor. Wenn sie auftreten, stützen sie die klinische Verdachtsdiagnose. Hämoptysen sind so selten, daß sie „als diagnostisches Geschenk" gelten müssen (14). Eine Übersicht der wichtigsten pulmonalen Symptome gibt Tabelle 3. Ausgabe B Darstellung: Mögliche Auswirkungen der Lungenembolie 1.4 Thrombose-Risiko beziehungsweise -Manifestation In den meisten Fällen leichterer Lungenembolie sind akute Dyspnoe und Tachykardie die einzigen klinisch faßbaren Befunde und gelten somit als vollständig unspezifische Symptome. Wichtig ist, in solchen Fällen überhaupt an die Möglichkeit einer Lungenembolie zu denken, was leichter fällt, wenn diese Symptome im Kontext eines erhöhten Embolierisikos auftreten: also im postoperativen beziehungsweise postpartalen Zustand, bei chronisch bettlägerigen Kranken, bei tiefer Beinvenenthrombose, und ebenso auch beim varikösen Symptomenkomplex mit Klappeninsuffizenz der Venae perforantes. Hervorzuheben ist, daß der klinische Nachweis einer tiefen Beinvenenthrombose in der Mehrzahl der Fälle nicht gelingt. Es werden weniger als 30 Prozent klinisch entdeckt (4), selbst wenn danach gesucht wird. Dabei ist zum Zeitpunkt der klinischen Thrombosemanifestation die größte Emboliegefährdung schon vorbei, da die bekannten Thrombosezeichen „Schwellung, Ödem" erst bei komplettem Venenverschluß vorhanden sind und weil weiter zu diesem Zeitpunkt der Thrombus bereits wandadhärent und in Organisation begriffen ist (3). DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 1.5 Kritische Wertung Es gibt keine klinischen Befunde, die die Existenz einer Lungenembolie beweisen würden. Lediglich kann bei typischer Anamnese und typischer klinischer Symptomatik die dringende Verdachtsdiagnose gestellt werden. Wenn früher in den meisten Lehrbüchern die Trias tiefe Beinvenenthrombose, Hämoptyse und Lungeninfarkt als diagnostisches Hauptkriterium der Lungenembolie herausgestellt wurde, dann ist heute ernüchternd festzustellen, daß bei Forderung dieser Symptomentrias die Diagnose „Lungenembolie" in über 90 Prozent der Fälle verfehlt würde. 2. Laborparameter 2.1 Blutbild und laborchemische Daten Es gibt keine diagnostisch für die Lungenembolie verwertbaren Befunde. Wenn einzelne Laborparameter pathologisch ausfallen, sind sie unspezifisch. Allerdings dient der Laborstatus zum Ausschluß anderer kardialer Erkrankungen, insbesondere des Myokardinfarktes. 79. Jahrgang Heft 47 vom 26. November 1982 37 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Lungenembolie 2.2 Arterielle Blutgasanalyse Noch vor wenigen Jahren wurde die arterielle Hypoxämie in Verbindung mit arterieller Hypokapnie und leichter respiratorischer Alkalose als relativ empfindlicher und spezifischer Parameter der Lungenembolie angesehen. Hierzu muß aber einschränkend gesagt werden, daß diese Befundkonstellation bei vielen anderen kardiopulmonalen Erkrankungen ebenfalls vorkommt, zum Beispiel bei der kardialen Lungenstauung, bei Pneumonie, Atelektase und bei vielen Formen des obstruktiven Emphysems. Auch gibt es Fälle von schweren Lungenembolien, die ohne nennenswerte arterielle Hypoxämie einhergehen (11, 18, eigene Beobachtungen). 3. EKG Befund - 3.1 Unspezifische Veränderungen Sinustachykardie, supraventrikuläre Arrhythmien sowie ventrikuläre Extrasystolen werden bis zu 60 Prozent gefunden (9). In der Regel sind sie begleitet von uncharakteristischen Kammerendteilveränderungen. 3.2 Zeichen der rechtsventrikulären Koronarischämie Seltener und nur bei schwereren Embolien werden relativ spezifische Kammerendteilveränderungen beobachtet: ST-Streckenanhebungen in den Extremitätenableitungen II, III und aVF sowie in den rechtspräkordialen Brustwandableitungen V, bis V3 , meist nach wenigen Stunden gefolgt von ST-Streckensenkungen und terminalen T-Negativierungen in diesem Bereich. Letztere können aber auch primär vorhanden sein und dann mehrere Tage andauern. 3.3 Zeichen des akuten Cor pulmonale Typisch, aber nur kurzfristig bei schweren Embolien zu beobachten ist eine akute Herzachsendrehung 38 nach rechts und im Uhrzeigersinn: Es besteht dann ein Steil- bis Rechts- oder auch S1-Q3-Typ in den Extremitätenableitungen, meist in Verbindung mit inkomplettem oder komplettem Rechtsschenkelblock. 3.4 Kritische Wertung Wesentliche diagnostische Hinweise seitens des EKG sind nur bei schweren Embolieformen zu erwarten und auch nur dann, wenn EKG-Kontrollen unmittelbar nach dem Embolieereignis und in kürzeren Zeitabständen danach durchgeführt werden. Gleichfalls wichtig ist die Kenntnis des präembolischen EKG-Befundes. Meistens besitzt das EKG aber größere Bedeutung bei der differentialdiagnostischen Abgrenzung der anderen „kardiopulmonalen Katastrophe" (12), des schweren akuten Myokardinfarktes. In Einzelfällen, insbesondere bei bekannter koronarer Herzkrankheit und früher durchgemachtem Myokardinfarkt, kann auch hier die Differentialdiagnose unmöglich werden, so daß erst der weitere EKGVerlauf und die Kontrolle der infarktspezifischen Enzyme eine Klärung herbeiführen. Im übrigen sind Fälle von gleichzeitig aufgetretenem Myokardinfarkt und akuter Lungenembolie bekannt (12). 4. Thorax Röntgenbefund - 4.1 Direkte Emboliezeichen In Fällen schwerer Lungenembolie kann eine Aufhellung der Gefäßstruktur der betroffenen Seite erkennbar sein (Westermark-Zeichen). In manchen Fällen ist eine Gefäßlükke (Pulmonalarterienkonstriktion distal vom Thrombussitz) sowie eine einseitige Erweiterung der Hilusarterien proximal der Thrombosierung zu beobachten (19). Diese Befunde gewinnen an Bedeutung, wenn Thoraxaufnahmen in gleicher Technik vor dem Embolieereignis vorliegen. 4.2 Direkte Infarktzeichen Typisches Infarktzeichen ist die Keilform mit abgerundeter, zum Hilus hin gerichteter Spitze (Hampton's hump), häufigster Sitz der Phrenikokostalwinkel der Unterlappen. Dieses Zeichen soll jedoch nur in 10 Prozent der Fälle auftreten (1). Relativ häufige, gleichfalls typische Befunde sind kleine, spindelförmige Infiltrate, die in direkter Beziehung zu einem Pleuraspalt stehen (19). 4.3 Röntgenbefunde mit und ohne Lungeninfarkt Häufige, aber völlig unspezifische Befunde sind einseitiger Zwerchfellhochstand (Pneumokonstriktion), Plattenatelektasen sowie kleine Pleuraergüsse. 4.4 Kritische Wertung Das Nativ-Röntgenbild gibt in den wenigsten Fällen eine Entscheidungshilfe in der Diagnostik der Lungenembolie. Man kann feststellen, daß das Röntgen-Thoraxbild selbst bei schwerer Lungenembolie häufig völlig normal aussieht. Der potentielle Wert der direkten Emboliezeichen wird dadurch eingeschränkt, daß in den meisten Fällen nur Bettaufnahmen mit eingeschränkter Aussagekraft durchführbar sind und vergleichbare Voraufnahmen in der Regel nicht vorhanden sind. Insofern liegt die praktische Bedeutung der Röntgen-Thoraxaufnahme darin, andere kardiopulmonale Erkrankungen auszuschließen. 5. Nuklearmedizinische Untersuchungsmethoden 5.1 Lungenperfusionsszintigraphie Durch die Einführung des Lungenperfusionsszintigramms (LPS) in die klinische Routinediagnostik sind die Nachweismethoden der Lungenembolie entscheidend verbessert wor- Heft 47 vom 26. November 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Lungenembolie den. Allerdings ist die Euphorie der ersten Jahre einer zunehmend kritischeren Einstellung, insbesondere zur Spezifität dieses Verfahrens, gewichen. So ist die Kenntnis des aktuellen Röntgen-Thoraxbefundes unbedingte Voraussetzung für eine sinnvolle Interpretation des LPS, und bei der akuten Lungenembolie ist der szintigraphische Befund nur dann diagnostisch zu verwerten, wenn röntgenologisch Lungeninfiltrationen und/oder Pleuraergüsse ausgeschlossen wurden. Über die Empfindlichkeit dieser Methode herrscht allgemeine Übereinstimmung: Ein negatives LPS schließt die Existenz einer Lungenembolie mit großer Wahrscheinlichkeit aus! Lediglich die extrem seltenen Fälle einer isolierten Teilverlegung des Truncus pulmonalis beziehungsweise gleichstarker partieller Verschlüsse beider Hauptstämme ohne zusätzliche periphere Verschlüsse werden durch diese Methode nicht erfaßt, da das LPS lediglich regionale Änderungen des Lungendurchflusses registriert. Andererseits ist das klassische Kriterium des „primären Perfusionsausfalls", der scharf begrenzte Perfusionsdefekt in segmentaler Anordnung, für sich allein keineswegs beweisend für eine Lungenembolie (21). Insbesondere bei Patienten mit kardiopulmonalen Vorerkrankungen und gleichzeitiger pulmonaler Hypertonie ist, auch ohne klinischen Hinweis für Lungenembolie, in 90 Prozent der Fälle mit Perfusionsausfällen zu rechnen, wobei etwa die Hälfte davon die Kriterien der segmentalen oder lobären Anordnung erfüllen (22). Dabei sind die schwersten Defekte bei präkapillärer pulmonaler Hypertonie, also bei Patienten mit primär vaskulärem beziehungsweise primär pulmonalem chronischen Cor pulmonale sowie kongenitalen Shuntvitien, zu erwarten. Als Ursache dieser Lungenperfusionsstörung kommt bei primären Lungenerkrankungen die hypoxiebedingte reflektorische Vasokonstriktion (Von-Euler-Liljestrand-Mechanismus) in Frage, die durchaus reversibel sein kann (23). Zusätzlich ist in vielen Fällen ein echter, meist emphysembedingter Verlust an Lungenparenchym anzunehmen. Im übrigen ist bei Patienten mit pulmonaler Hypertonie unterschiedlicher Ätiologie nachgewiesen worden, daß die pathologisch-anatomisch nachweisbaren Lungengefäßveränderungen durchaus unregelmäßig, zum Teil in segmentaler Anordnung, im Lungenparenchym anzutreffen sind (24, 25). Bei jungen Patienten ohne kardiopulmonale Vorerkrankungen sind, besonders nach Einnahme von Ovulationshemmern, häufiger Perfusionsdefekte im LPS nachgewiesen worden, die jedoch in der anschließend durchgeführten Pulmonalisangiographie keine Entsprechung fanden (18). 5.2 Lungenventilationsszintigraphie In einem großen Teil der Fälle kann der durch primäre Ventilationsstörungen bedingte Anteil an Perfusionsdefekten durch eine zusätzliche Lungenventilationsszintigraphie (LVS) abgegrenzt werden. Hier gilt als allgemeine Regel, daß Ausfälle im LPS, die im LVS ihre regionale Entsprechung finden (sogenanntes „matching"), auf primäre Ventilationsstörungen zurückzuführen sind und damit als „sekundäre Perfusionsstörungen" gelten (3). Primäre, auf vaskulären Defekten basierende Perfusionsstörungen haben in der Regel eine ungestörte Ventilation und weisen eine „Nichtentsprechung" (sogenanntes „mismatch") zwischen Defekten im LPS und LVS auf (3). aber nicht durch das LPS von der Lungenembolie abgrenzbar sind und keine gestörte Ventilation haben. fp Es sind bei mittelschwerer und schwerer Lungenembolie durchaus kombinierte Störungen der Lungenperfusion und der Lungenventilation möglich (15, 16). (i) Bei allen schweren kardiopulmonalen Erkrankungen mit Ruhedyspnoe und/oder Thoraxschmerzen ist die exakte Durchführung eines Lungenventilationsszintigramms erschwert oder gar unmöglich (8, 27). 5.3 Positive Thrombusszintigraphie Dieses Verfahren, mit dem der Embolus nach Einbau von 125J-markiertem Fibrinogen oder " in_ beziehungsweise 99r"Tc-Phytat-markierten Thrombozyten nachgewiesen werden kann, wird zur Zeit klinisch erprobt, verspricht aber relativ exakte Aussagen über Alter, Größe und Sitz des Thrombus (8). In einer Studie unserer Arbeitsgruppe konnte bisher gezeigt werden, daß der Embolusnachweis in der Lunge in 30 Prozent der Fälle gelingt, wenn der Embolus nicht zu klein ist und das Embolieereignis nicht mehr als 48 Stunden zurückliegt (28). 5.4 Kritische Wertung Neben den oben bereits genannten Einschränkungen ist zur kombinierten Perfusions-Ventilationsszintigraphie der Lunge zu sagen, daß sie bisher lediglich an wenigen größeren Kliniken durchführbar ist und als Notfallmethode auch dort nur vereinzelt angewendet wird. Leider gibt es jedoch auch bei dieser Differenzierungsmethode Fehlermöglichkeiten und Überschneidungen, die ihren diagnostischen Wert einschränken: Die positive Thrombusszintigraphie wird wegen des hohen Zeit- und Kostenaufwandes kaum Eingang in die Notfall-Routinediagnostik finden. 0 Bei pulmonaler Hypertonie jeglicher Genese bestehen Lungenbezirke mit Einschränkung der Makround Mikrozirkulation, die lediglich durch die Pulmonalisangiographie, Die Lungen perf usionsszintig raph ie ist trotz der fehlenden Spezifität bei entsprechend kritischer Einstellung eine wertvolle Bereicherung der klinischen Diagnostik und hat zudem Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 47 vom 26. November 1982 41 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Lungenembolie den Vorzug der absoluten Gefahrlosigkeit und beliebigen Wiederholbarkeit. Bei anamnestisch und klinisch überzeugenden Hinweisen für eine Lungenembolie, besonders bei vorher herz- und lungengesunden Patienten, macht das positive LPS das Vorliegen einer Lungenembolie in hohem Maße wahrscheinlich. Bei Patienten mit kardiopulmonalen Vorerkrankungen mit und ohne pulmonaler Hypertonie ist der Nachweis von Perfusionsdefekten, auch in segmentaler Anordnung, jedoch absolut unspezifisch und bedarf weiterer Bestätigung durch spezifischere Nachweismethoden (26). Ein weiterer Nachteil besteht darin, daß das Lungenperfusionsszintigramm auch heute noch längst nicht an allen kleineren und mittelgroßen Krankenhäusern verfügbar ist. In einer 1977 erschienenen Befragung von über 1000 klinischen Abteilungen der Bundesrepublik Deutschland und Westberlins wurde festgestellt, daß das LPS lediglich in 33 Prozent der befragten Krankenhäuser zur Verfügung steht und nur in 14 Prozent zu jeder Tages- und Nachtzeit, also im Sinne der Notfalldiagnostik, erhältlich ist (29). Ein weiterer Nachteil liegt darin, daß ebenfalls wieder in einem hohen Prozentsatz keine fahrbaren Großfeld-Szi ntillationskameras zur Verfügung stehen. Man wird also in Fällen, in denen der kritische Zustand des Patienten einen Transport verbietet oder eine Umlagerung bei tiefer Beinvenenthrombose ein hohes Risiko bedeutet, auf diese Untersuchung verzichten müssen. Aus all diesen Gründen ist die berechtigte Forderung, das LPS als Notfalluntersuchung in die akute Diagnostik der Lungenembolie einzubauen, zur Zeit sicherlich erst in beschränktem Umfang verwirklicht. 6. Pulmonalisangiographie Diese invasive diagnostische Untersuchungsmethode gilt allgemein als sicherste und weitgehend spezifische Nachweismethode der Lungen- embolie und sollte in allen Fällen durchgeführt werden, in denen eine exakte Diagnosestellung absolut notwendig erscheint und durch die weiter oben aufgeführten Methoden nicht gelingt. sche Behandlung vorausgesetzt, durchgeführt werden; eine weitere Verschlechterung der kardiopulmonalen Situation ist hierdurch nicht zu erwarten (10). 7. Schlußfolgerungen 6.1 Technische und interpretatorische Probleme Selbst in Zentren mit hoher Untersuchungsfrequenz und entsprechend großer Erfahrung muß in 10 Prozent der Fälle mit technisch unzureichenden Angiogrammen gerechnet werden (30). Dort, wo aufgrund geringerer Erfahrung und schlechterer technischer Voraussetzungen die Anfertigung von selektiven Angiogrammen beziehungsweise Schrägprojektionen nicht möglich ist, wird dieser Prozentsatz noch höher sein. Selbst bei technisch guter Qualität der Angiogramme ist die Interpretation, ob es sich um ein thrombembolisch verschlossenes oder aus anderen Gründen nicht dargestelltes Pulmonalgefäß handelt, manchmal schwierig. Deshalb muß zur Diagnosestellung der Nachweis eines „sicheren Thrombuszeichens", also eines eindeutigen Gefäßabbruchs oder eines Füllungsdefektes gefordert werden (19, 31). Indirekte angiographische Kriterien sind avaskuläre Zonen, abnorme Gefäßverläufe, Kaliberschwankungen oder Gefäßabbrüche in der Peripherie. Diese Zeichen sind unspezifisch und nicht beweisend für die Lungenembolie (31). 6.2 Gefahren und Kontraindikationen Wie bei allen diagnostischen Maßnahmen muß zwischen Nutzen und Risiko abgewogen werden. Außer einer anamnestisch bekannten Anaphylaxie auf jodhaltige Kontrastmittel gibt es bei dringlicher Indikationsstellung kein unvertretbar hohes Risiko. Auch bei Patienten mit kardiogenem Schock und/oder respiratorischer Insuffizienz kann diese Untersuchung, intensivmedizini- Wenn man die sich bei der Diagnostik der akuten Lungenembolie ergebende Problematik zusammenfaßt, kommt man zu dem pessimistischen Schluß, daß die exakte Diagnose auch heute in der Mehrzahl der Fälle noch nicht gestellt werden kann. Probleme würden sich jedoch nur dann ergeben, wenn hierdurch entscheidende therapeutische Konsequenzen versäumt würden. In der Regel trifft das jedoch nicht zu! Das allgemein anerkannte Therapiekonzept, bereits bei jedem Embolieverdacht eine Antikoagulation mit Heparin beziehungsweise Cumarinderivaten einzuleiten, wird zweifellos in den meisten Krankenhäusern beherzigt und ist bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Patienten auch ausreichend. In den glücklicherweise seltenen Fällen schwerer, lebensbedrohlicher Lungenembolie muß jedoch eine exakte Diagnosestellung, gegebenenfalls mit Einschluß invasiver Maßnahmen, erfolgen, da bei diesen Patienten eingreifendere Therapiemaßnahmen medikamentöser oder operativer Art (Fibrinolyse, Pulmonalembolektomie, Vena-cava-Unterbrechung) in Betracht kommen. Diese Therapieverfahren sind jedoch, abgesehen vom finanziellen beziehungsweise apparativen Aufwand, mit einem so deutlich erhöhten Risiko behaftet, daß sie nur bei eindeutig gesicherter Diagnose in Frage kommen sollten. (Literatur bei den Verfassern) Anschrift für die Verfasser: Dr. med. Knut Schmengler Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik Innere Medizin III 6650 Homburg (Saar) 42 Heft 47 vom 26. November 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B