Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Fortbildung in Moskau Heilhilfe für die Bevölkerung und einige andere Disziplinen enthält, die für alle Ärzte unabhängig von dem Posten, den sie bekleiden, und von der engeren Spezialisierung obligatorisch sind. Im Institut gibt es sieben Fakultäten, 77 Lehrstühle, 26 wissenschaftliche Labors, darunter ein Zentrales Forschungslaboratorium, das auf der Basis der größten Moskauer Klinik — des Botkin-Krankenhauses — arbeitet. Unter den Lehrern und Mitarbeitern des Instituts gibt es 18 ordentliche und korrespondierende Mitglieder der Akademie der medizinischen Wissenschaften und 126 Doktoren der Wissenschaften [der sowjetische „Doktor" ist eher unserer Habilitation zu vergleichen. Ein deutscher „Doktor" wäre in der Sowjetunion ein „Kandidat". Die Red.]. Dies sind angesehene Fachleute auf verschiedenen Gebieten der Medizin. Sie halten Vorlesungen, machen die Hörer mit den neuesten Errungenschaften der Wissenschaft bekannt. Unter der Leitung erfahrener Professoren befassen sich die Hörer mit wissenschaftlicher und praktischer Arbeit in den Kliniken der Hauptstadt. Viele arbeiten an selbständigen Themen und betreiben ernste Forschungen — seit der Gründung des Instituts wurden 370 Doktordissertationen und 1650 Kandidatendissertationen verteidigt. Frage: Welche neuen Unterrichtsformen werden im Institut angewandt. Antwort: Wir wenden jetzt auch Fernunterricht an. Zunächst arbeitet der Hörer selbständig nach von uns versandten Lehrmitteln. Seine Ergebnisse werden nach Kontrollarbeiten geprüft. Dann kommt er für vier Monate nach Moskau (die Institution, in der er arbeitet, zahlt ihm das volle Gehalt aus), hört einen Vorlesungskurs im Institut, nimmt an Seminaren teil und leistet praktische Arbeit. Wir vervollkommnen ständig die Unterrichtsformen, wenden im Lehrprozeß Methoden des programmierten Unterrichts und der Kontrolle an. 2786 Heft 40 vom 2. Oktober 1975 Die Zahl der Hörer an den Fortbildungsinstituten ist beschränkt. Aber wir sind bemüht, unsere Auditorien zu erweitern, beispielsweise mit Hilfe des Fernsehens. Nach einem besonderen Programm des zentralen Fernsehens halten führende Mediziner Vorträge über die neuesten Erfolge der Wissenschaft. Außerdem organisieren wir auswärtige Fortbildungszyklen. Es wurden rund 450 solche Zyklen durchgeführt. Brigaden der Wissenschaftler unseres Instituts waren in 150 Städten des Landes tätig – von Murmansk und Kaliningrad bis Wladiwostok und Petropawlowsk auf Kamtschatka. Sie hielten nicht nur Vorlesungen, sondern führten auch Operationen durch, konsultierten Kollegen, hatten in Krankenhäusern Stunden. In solchen Zyklen erhöhten 15 500 praktische Ärzte des Landes ihre Qualifikation. Frage: Unter den Hörern des Instituts gibt es nicht nur sowjetische, sondern auch ausländische Ärzte. Wie ist ihr Unterricht organisiert? Antwort: Wir haben internationale Kurse geschaffen, die von Ärzten aus sozialistischen Ländern sowie aus Entwicklungsländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas besucht werden — wir betrachten es als unsere Pflicht, ihnen bei der Heranbildung nationaler Kader des Gesundheitsschutzes zu helfen. Die Unterrichtsprogramme für die ausländischen Hörer sind dieselben wie für die sowjetischen. Außerdem werden sie eingehend mit der Organisation der ärztlichen Hilfe für die Bevölkerung der UdSSR bekannt gemacht. Sie unternehmen Reisen durch das Land, besuchen Krankenhäuser, Kliniken und Forschungsinstitute. Es gibt Kurse für Organisatoren des Gesundheitsschutzes. Der Unterricht wird in englischer Sprache erteilt. Der sowjetische Gesundheitsschutz, der alle Bevölkerungsschichten mit hochqualifizierter unentgeltlicher ärztlicher Hilfe versorgt, die Arbeit der Forscher, das System der Einführung modernster DEUTSCHES ÄRZTEBLATT wissenschaftlicher Errungenschaften in dere Praxis – all dies erweckt bei unseren ausländischen Kollegen reges Interesse. Deshalb veranstaltet die Weltorganisation für Gesundheitsschutz auf der Basis unseres Instituts regelmäßig internationale Seminare, die jedesmal einem bestimmten Thema gewidmet sind, beispielsweise der Hilfe für Kranke, die einen Herzinfarkt erlitten haben, der Arbeit der Ersten Hilfe, dem Kampf gegen Infektionskrankheiten ... Solche Seminare sind für zwei bis drei Wochen berechnet. Ihre Teilnehmer hören nicht nur Vorlesungen und Vorträge, sondern machen sich auch mit der Arbeit der sowjetischen Heil- und Prophylaxeanstalten bekannt. APN Briefe an die Redaktion BRILLENGLÄSER Zu der Meldung: „Forschung für progressive Brillengläser" im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, Heft 13/1975, Seite 928: Was ist progressiv? Die „Progressiven Brillengläser" sind weitgehend unbekannt. Der Unbefangene versteht darunter „fortschrittliche Brillengläser". Auch daß sie in der Meldung „sogenannte, progressive Brillengläser – genannt werden, läßt erkennen, daß sie nicht allgemein bekannt sind ... Dr. Martin Schmidt 3072 Langendamm bei Nienburg/Weser Anmerkung der Redaktion Was „progressiv" ist — darüber gibt es offensichtlich nicht nur unter Gesellschaftspolitikern Unklarheiten. Doch ist der Begriff in der Augenoptik zumindest recht eindeutig definiert. Die Firma Rodenstock, von uns dazu befragt, erklärt zusammenfassend, was „progressive Brillengläser" sind: Die Bezeichnung ist in der Augenoptik ein inzwischen gängiger Begriff. Er ist abgeleitet von „progredient", das heißt Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen BRIEFE AN DIE REDAKTION fortschreitend in der optischen Wirkung, und zwar vom Fernsichtbereich in den Nahsichtbereich des Glases. Es werden auch synonyme Begriffe wie beispielsweise Gläser mit „gleitender Wirkung" oder mit „variabler Wirkung" verwendet. „Progressiv" ist also nicht einfach mit „fortschrittlich" zu übersetzen, sondern ist lediglich auf den Anstieg der optischen Wirkung im unteren Teil des Glases bezogen. Die herkömmlichen Mehrstärkengläser setzen sich aus zwei unterschiedlichen Gläsern zusammen. Der sogenannte Nahsichtteil besteht aus höherbrechendem Glas als der Fernsichtteil. Beide Teile des Brillenglases — bei Dreistärkengläsern sind es drei verschiedene Gläser — werden in einem Durchlaufofen miteinander verschmolzen. Die Begrenzung der eingeschmolzenen Glasteile bleibt sichtbar. Im Gegensatz hierzu bestehen die „progressiven Brillengläser" aus einheitlichem Glas. Die für die Nahsicht erforderliche Wirkungszunahme im unteren Teil des Glases wird dadurch erreicht, daß eine der beiden Glasflächen keine Kugelfläche darstellt, sondern asphärisch gekrümmt ist. Dabei nimmt die Flächenkrümmung vom Fernsichtteil zum Nahsichtteil stetig zu. In den seitlichen Randpartien des Glases treten dann unerwünschte, aber vermeidbare Abbildungsfehler auf. Diese auf ein für den Brillenträger verträgliches Maß zu reduzieren ist Aufgabe des Konstrukteurs. Der Vorteil dieser Gläser gegenüber den herkömmlichen liegt insbesondere im ästhetisch besseren Aussehen des Glases, weil eben keine Trennlinien sichtbar sind, welche die Alterssichtigkeit dem Gesprächspartner signalisieren. DÄ LÄPPLES VISION Zu dem Artikel in Heft 33/1975, „Läpplesche Visionen, III. Prävention": Abschreckend Würde das Vorsorgeuntersuchungsprogramm nach den Vorstellungen Läpples erweitert, was aus medizinischer Sicht zu begrüßen wäre, so machte man, ganz abgesehen von der „Kostenlawine", die Rechnung ohne den Wirt. Auf Grund jahrelanger Beobachtungen bei der Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen bin ich fest davon überzeugt, daß weniger als 10 Prozent der Patienten, die Vorsorgeuntersuchungen bisher durchführen ließen, das nach den Vorstellungen Läpples erweiterte Programm in Anspruch nehmen würden, wenn sie dabei eine Rekto-Broncho-Gastroskopie zu erwarten hätten. Dr. med. J. Drerup Arzt für Allgemeinmedizin 418 Goch Bahnhofstraße 25 in der genannten Notiz: „Wenn aber doch eine Heroin-Welle auf die Bundesrepublik zurollen sollte, habe die Bundesregierung Vorsorge getroffen." Das würde mich sehr interessieren ... Dr. med. Dietrich Kleiner Kinder- und Jugendpsychiatrie und Chefarzt in der Städtischen K.-Bonhoeffer-Nervenklinik Berlin 26 Oranienburger Straße 285 HEROIN-WELLE Zu der Meldung „Keine Anzeichen einer Heroin-Welle" in Heft 31/1975 eine gegenteilige Auffassung. Die Meldung beruhte auf einer Antwort auf eine Bundestagsanfrage. Welche Vorsorge hat die Regierung eigentlich getroffen? Diese Notiz ist zumindest sehr mißverständlich bzw. irreführend, da der Eindruck entstehen könnte, wir hätten in der Bundesrepublik keine Heroin-Welle (das Gegenteil ist der Fall). — Es kann vielmehr allenfalls gesagt werden, für Heroin, das aus der Türkei stammt, bestünden keine Anzeichen. Eine Heroin-Welle ist längst, seit mindestens 1 bis 1 1/2 Jahren über die Bundesrepublik hinweggerollt: Anscheinend kommt der „Stoff" jetzt vielfach, da der Umschlagsplatz Marseille ausgefallen ist, via Amsterdam aus Südostasien — darüber kann aber das Bundeskriminalamt sicher besser Auskunft geben. Diejenigen der rund 3000 Berliner Fixer, mit denen ich als Klinikarzt und als jugendpsychiatrischer Sachverständiger an den hiesigen Jugendgerichten zu tun habe, konsumieren längst kein Rohopium mehr und nur gelegegenüber dem arbeitsunfähig Erbzw. „cleanen Stoff" (d. h. Ampullen aus Einbrüchen usw.), sie sind längst auf Heroin umgestiegen. Preis eines Grammes (kräftig verfälscht) 200 bis 220 DM zur Zeit, Tagesdosis etwa V2 Gramm, Beschaffung durch Kaufhausdiebstähle, Einbrüche, Straßenraub, Prostitution — und durch Betteln auf dem Kurfürstendamm. Sie zitieren § 218 Eine Stellungnahme zur Diskussion um die Neufassung des § 218, geschrieben im Anschluß an den Bericht über ein „Quick"-Symposion zu der Frage (Heft 27/1975). Zweiteilung der ärztlichen Verantwortung wäre fatal Ich halte die Indikationenlösung für eine moralische Überforderung des Arztes; deshalb bin ich Befürworter der Fristenlösung. Sollte nun wirklich die Bundestagsmehrheit und ihre Berater aus der Indikationenlösung eine De-facto-Fristenlösung machen wollen, dann halte ich die Zweiteilung der ärztlichen Verantwortung in beratenden bzw. gutachtenden Arzt und einen die Abtreibung ausführenden Arzt für fatal. Ich frage mich gegenwärtig, ob ich solche Gutachten nicht pririzipiell ablehnen soll (selbstverständlich nicht die ärztliche Beratung). Aber wird der Arzt (und das ist im Fall meiner allgemeinärztlichen-psychotherapeutischen Identität besonders akut), wird der Arzt nicht immer mehr zum Exekutor gesellschaftlicher Zwänge? Er entscheidet jetzt schon über so viele Belange der Zwangsversicherten, wie es kaum noch mit dieser ärztlichen Identität zu vereinen ist. Ich plädiere deswegen im Rahmen der „Indikationenlösung" dafür, daß die Abtreibungswillige halt zu dem abtreibungswilligen Gynäkologen geht und daß dieser auf einem vorbereiteten Formular irgendeine dieser Indikationen ankreuzt, um so DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 40 vom 2. Oktober 1975 2787