23.6. - bei DuEPublico

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SS 2003 VO: Geschichte Australiens Ewald Frie
9. Sitzung, 23.6.2003
Thema: Unter 3. „Werden einer Nation“, Punkt 2: „Krieg!“
Vorbemerkungen:
1. Der Erste Weltkrieg spielt eine entscheidende Rolle in der australischen Politik. Er hat erstens das Bewusstsein für die eigenen außenpolitischen Interessen gestärkt und australischen
Außenpolitikern erstmals eine internationale Bühne geboten. Er hat zweitens die innenpolitische Landschaft dauerhaft verändert und drittens der australischen „Nation“ mit der ANZACLegende einen gemeinschaftsstiftenden Mythos gegeben. Wir gehen diesen Entwicklungen
nach, dabei einbeziehend, dass es auch gegenläufige Entwicklungen gegeben hat bzw. der
außenpolitische, der innenpolitische und der nationsbezogene Trend aufeinander wirkten und
dabei auch miteinander in Konflikt geraten konnten.
2. Weniger als beinahe jedes andere historische Ereignis kann der Erste Weltkrieg als ein
black-box-Phänomen (nicht die Sache selbst wird untersucht, sondern nur Voraussetzungen,
Umstände und Effekte, um von daraus auf die Sache selbst zu schließen – so ähnlich wurde in
der letzten Vorlesung die Entstehung des Commonwealth of Australia behandelt) beschrieben
werden. Er war ein welthistorisches Ereignis, dessen Brutalität und Zerstörungskraft nicht
unter sozialhistorischen und strukturgeschichtlichen Überlegungen verborgen werden darf.
Nach einem Jahrhundert, in dem Europa keinen wirklich großen und langen Krieg mehr erlebt
hatte, hausten fast viereinhalb Jahre lang Millionen von Industriearbeitern, Schafscherern,
Studenten, Bankbeamten und Bauern in selbstgegrabenen Unterständen. Nach Beschuss und
nach Regen glichen ihre Lebensräume schlammigen Mondlandschaften. Sie teilten ihr Brot
mit den Ratten. Sie brachten ihre Gegner um mit einfachen Feuerwaffen, Maschinengewehren
und allen möglichen Formen von Artillerie, aber auch mit Gasgranaten und Flammenwerfern.
Weil dieses infernalische Waffenarsenal die Verteidigung stärker als den Angriff begünstigte,
wurden zwischen November 1914 – dem Scheitern des deutschen Schlieffen-Plans – und
Sommer 1918 – als schließlich die Tanks kamen und die deutsche Front einbrach – an der
kriegsentscheidenden Westfront keine wesentlichen Terraingewinne erzielt. Doch die Generäle ließen sich nicht entmutigen und versuchten es immer wieder. Die Ergebnisse in nackten
Zahlen sind erschütternd. Am 1. Juli 1916 scheiterte ein britischer Großangriff an der Somme.
Knapp 60.000 Angreifer kehrten nicht in die Schützengräben zurück. 18.000 von ihnen starben – an einem Tag. Die meisten wurden von deutschen Maschinengewehren „regelrecht nie-
2
dergemäht“. Insgesamt kostete die Somme-Schlacht in der zweiten Hälfte des Jahres 1916
1.332.000 Menschenleben – das ist mehr als die Bevölkerung von Mülheim, Essen und Bochum zusammen, und es waren nur junge Männer, die starben. Während der NivelleOffensive verloren die Franzosen im Frühjahr 1917 innerhalb von zehn Tagen 200.000
Mann1. Der Erste Weltkrieg war nicht ein historisches Ereignis unter vielen. Er war „die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan).
3. Australien hat am Ersten Weltkrieg vom ersten bis zum letzten Tag teilgenommen2. Sein
Premier Billy Hughes war an den nachfolgenden Friedensverhandlungen von Versailles beteiligt und machte sich einen Namen als engagierter Vertreter australischer Interessen und
unnachgiebiger Deutschenfeind. Knapp 9 % der nicht einmal fünf Millionen zählenden Bevölkerung haben 1914-1918 in der Armee gedient (417.000 Männer), mehr als 330.000 von
ihnen kämpften in Europa. 58.132 Soldaten starben (1,2% der Bev.), 156.228 wurden verwundet oder gerieten in Kriegsgefangenschaft. Obwohl der Zweite Weltkrieg Australien wesentlich näher kam (japanische Bedrohung, Bomben auf Darwin), war die Todesrate wesentlich geringer: 1939-1945 starben 27.073 Soldaten, bei einer Bevölkerung von etwas mehr als
7 Mio. sind das 0,4%. Während und nach dem Ersten Weltkrieg sind Gedenkbauten für die
Kriegsopfer in fast jedem australischen Dorf entstanden. Der Erste Weltkrieg gehört zu den
formativen Elementen der australischen Nation.
1. Der Krieg
1.1 Der pazifische Schauplatz
Der australische Weltkriegseinsatz begann vor der eigenen Haustür. Das Deutsche Reich hatte
zahlreiche kleinere Besitzungen im Pazifik, die von nordöstlichen Neuguinea und Samoa über
das Bismarck-Archipel, die Karolinen- und die Marianen-Inseln bis fast zur chinesischen
Küste reichten, wo Deutschland den Stützpunkt Kiautschou unterhielt. Die britische Regierung forderte die Australier dringend dazu auf, den deutschen Anteil Neuguineas zu erobern,
um die dortigen deutschen Radiostationen auszuschalten, die deutschen Häfen zu erobern und
somit der deutschen Marine ein wichtiges Betätigungsfeld zu verschließen. Neuseeland sollte
Samoa übernehmen. Australien führte de Auftrag schnell (am 17.9. war Neuguinea in australischer Hand) und gern aus. Schließlich gehörte das südöstliche Neuguinea bereits aufgrund
vor allem der Interessen der Queenslander zum australischen Herrschaftsbereich (ein typi1
Die Zahlenangaben und das Zitat aus Volker R. Berghahn: Sarajewo, 28. Juni 1914. Der Untergang des
alten Europa, München 1997, 110-111.
2
Zahlen nach Joan Beaumont: Australia’s war, in: Dies. (Hg.): Australia’s war, 1914-1918, St. Leonards
1995, 1-34, hier 1. Die einzelnen Aufsätze in diesem Buch können als Grundlage für das Studium der australischen Geschichte während des Ersten Weltkrieges empfohlen werden.
3
scher Fall von Subimperialismus, bei dem die Interessenten vor Ort [hier Queensland] den
eigentlichen Imperialisten [hier England] in Aktionen hineinbringen, an denen die imperialistische Macht kein wirkliches Eigeninteresse hat). Diese Herrschaft nun sogar aufgrund eines
englischen Befehls auszuweiten, lag völlig im australischen Interesse.
Die Australier hätten ihren Eroberungszug gern nach Norden hin fortgesetzt. Aufgrund einer
Abmachung zwischen England und Japan, die der aufstrebenden asiatischen Macht die deutschen Besitzungen nördlich des Äquators zusprach, wurden sie aber von England gestoppt.
Das Abkommen war vor den Australiern zunächst geheim gehalten worden, weil man antijapanische Ausschreitungen und eine Entfremdung zwischen England und Australien fürchtete
– durchaus zu Recht, denn die australische Politik war von der Vorstellung, dass Japan ihm so
nahe rücken würde, überhaupt nicht begeistert. Doch in der Kriegssituation musste sich der
Subimperialist den Lebensinteressen der imperialistischen Macht beugen.
1.2 Gallipoli
Die Freiwilligen, die sich im ersten Enthusiasmus des August 1914 gemeldet hatten, wurden
in der Australian Imperial Force (AIF) zusammengefasst. Der Name signalisierte, dass die
Australier sich als selbständiger und selbstbewusster Teil des British Empire verstanden. Die
Truppen wurden gemeinsam mit den neuseeländischen Freiwilligen als Australian and New
Zealand Army Corps (ANZAC) im November 1914 nach Karo verschifft. Erstens waren die
englischen Ausbildungslager überfüllt. Zweitens war Ende Oktober die Türkei auf Seiten der
Mittelmächte in den Krieg eingetreten. Truppen wurden gebraucht, um den Suezkanal zu
schützen. Die Anzacs oder „Diggers“ hinterließen in Ägypten einen nachhaltigen Eindruck.
Sie fügten sich erstens nur schlecht in hierarchische militärische Strukturen ein, missachteten
die Grußregeln, erschienen nicht pünktlich zum Dienst, nahmen die Offiziere nicht ernst.
Zweitens benahmen sie sich schlecht gegenüber den Ägyptern. Neben vielen kleineren Zwischenfällen sind zwei größere riots bekannt, in denen Anzacs das Kairoer Rotlichtviertel verwüsteten – angeblich hatten sie schlechte Drinks und infizierte Prostituierte bekommen. In der
Forschung werden diese Eigenheiten – mit je verschiedenen Gewichtungen – auf drei Ursachen zurückgeführt: erstens spezifische australische Traditionen (keine militärische Tradition,
dafür starkes egalitäres [„mateship“] und Selbsthilfebewusstsein), zweitens rassistische
Selbst- und Fremdbeobachtungen (Ägypter als ‚Eingeborene’ wie Aborigines oder ‚Kanakas’), drittens die Unzufriedenheit mit der als unsinnig empfundenen Ausbildung, der Arroganz der englischen Befehlshaber und der ausbleibenden Kriegsverwendung.
Letzteres sollte sich bald ändern. Vor allem der „First Lord of the Admiralty“, Winston Churchill, verfocht den Plan, mittels eines Angriffs auf die Dardanellen die Türkei zu besiegen,
4
den Bosporus für Waren- und Waffenaustausch zwischen Russland und seinen westlichen
Verbündeten zu öffnen und die Balkanfront gegen die Mittelmächte zu verstärken. Als erster
Schritt hierzu landeten am 25. April 1915 britisch, französische und ANZAC-Truppen auf der
Halbinsel Gallipoli. Die Landung gelang, die Eroberung nicht. Die Truppen gruben sich an
den Küstenhängen ein und überstanden alle Versuche der Türken, sie ins Meer zu werfen. Sie
konnten aber ihrerseits trotz mehrere verlustreicher Vorstöße die Höhen der Halbinsel nicht
gewinnen. 8.141 Australier starben, bis die Alliierten kurz vor Weihnachten 1915 ihr Vorhaben aufgaben und sich von der Halbinsel zurückzogen.
Der Rückzug, bei dem die alliierten Truppen keinerlei Verluste erlitten, gilt als ein militärisches Meisterstück – der Rest der Gallipoli-Offensive nicht. Beinahe alles an diesem militärischen Plan und seiner Durchführung ist umstritten. Konnte die Eroberung überhaupt gelingen? Wenn ja, war die Art der Durchführung richtig? Warum wurden die ANZAC-Truppen
eine Meile weiter nördlich abgesetzt als geplant, wo sie in steilem Gelände die Höhen kaum
erreichen konnten? Warum wurden sie, als der Fehler erkannt war, nicht wieder zurückgezogen? In Australien hat sich lange die Meinung gehalten, die ANZACs – die nach australischer
Meinung wegen ihrer Busch- und Outback-Erfahrung und ihres „mateship“-Egalitarismus zu
den besten Truppen des Empire gehörten – seien hier wie später an der Westfront von ebenso
unfähigen wie hochmütigen britischen Oberbefehlshabern verheizt worden. Das ist heute
schwer zu entscheiden, vor allem weil es nur wenige Historiker gibt, die in der Lage sind,
Militäroperationen fachgerecht zu beurteilen. Einer der wenigen, John Keegan, hat Gallipoli
ein eindrucksvolles Kapitel in seinem Buch über den Ersten Weltkrieg gewidmet. Sie sei „eine der schrecklichsten Schlachten des Großen Krieges [gewesen], zugleich sein einziges Heldenepos“3. Im Rückblick sei leicht zu erkennen, meint Keegan, dass der der Landung zugrunde liegende Plan „mit dem ihm [dem britischen Befehlshaber Hamilton] zugestandenen Truppen nicht gelingen konnte“. Die Briten hätten nur darauf hoffen können, dass die Türken nicht
angemessen reagierten. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht, zumal auf der Gegenseite
„ein äußerst fähiger und entschlossener Offizier“ (Keegan) operierte, Mustafa Kemal, der
spätere Staatsgründer der modernen Türkei. Nach internem Streit hätten sich die Briten zu
spät und zu halbherzig für das Landungsunternehmen entschlossen. Hervorragende britische,
australische und neuseeländische Truppen hätten Übermenschliches geleistet und seien doch
geopfert worden – nicht aufgrund von Hochmut und Unfähigkeit ihrer britischen Befehlshaber, sondern wegen der Halbherzigkeit im Großen und zahlreicher Fehleinschätzungen im
Kleinen.
5
„Von allen Kontingenten, die auf Gallipoli kämpften, wurden die Australier am stärksten von
dieser Erfahrung gezeichnet; sie erinnern sich daran bis zum heutigen Tag am intensivsten.
Bürger eines erst wenige Jahre zuvor gebildeten Bundesstaates, zogen sie 1915 als Streitkräfte
von sechs Einzelstaaten in den Krieg. Sie kehrten als Nation geeint zurück. Schon im folgenden Jahr begann die Heimat der Feuerprobe des ANZAC zu gedenken. Heute ist die Zeremonie im Morgengrauen des 25. April für alle Australier, junge wie alte, ein feierliches Ereignis,
und die ANZAC-Bucht ist zu einem Heiligtum geworden. Auf der Halbinsel Gallipoli - heute
ein türkischer Nationalpark - errichtete Mustafa Kemal Atatürk, der Staatspräsident der nachosmanischen Türkei, ein Denkmal, das großmütig an die Leiden beider Seiten erinnert. Der
Landstrich hat seine Natürlichkeit zurückgewonnen, ein schöner Platz, der verlassen und einsam an der Küste der Ägäis liegt. Aber Australier sind dort allgegenwärtig. Die wenigen Briten, die dorthin reisen und den Weg zu den kleinen und schrecklichen Schlachtfeldern des
ANZAC - Lone Pine, Russel's Top, Steele's Post - finden, sind beeindruckt vom dem Auftreten junger Australier, die durch Europa gereist sind, um zu sehen, wo ihre Großväter und Urgroßväter kämpften und oft auch starben. Zwei Drittel der Australier, die in den Großen Krieg
zogen, fielen oder wurden verwundet, und die ersten Kriegshelden der Nation gewannen ihre
Auszeichnungen auf den fünf Quadratkilometern oberhalb der ANZAC-Bucht. Wenn ihre
Enkel und Urenkel nach Gallipoli beziehungsweise Gelibolu pilgern, tragen sie diese Auszeichnungen oft mit sich, als wollten sie diese Zeichen des ANZAC-Geistes - zugleich ein
Symbol für den Geist der australischen Nation - auf geheiligtem Boden noch einmal weihen.“4
Die großen Worte Keegans werden in neueren australischen Veröffentlichungen zu Gallipoli
kleiner gemacht. Keegan würde das darauf zurückführen, dass den Menschen des beginnenden 21. Jahrhunderts - nach Vietnam, dem Ende des Kalten Krieges und in der Zeit chirurgischer Luftschläge – das Verständnis für militärisches Heldentum in aller Regel abgeht (ob das
ein Vorteil ist, wäre Gegenstand einer nächsten Wertentscheidung). Nur 14% der australischen Todesopfer waren in Gallipoli zu beklagen. Die allermeisten Australier starben in den
Materialschlachten der Westfront. Der Gallipoli-Mythos wurde bewusst inszeniert, vor allem
vom offiziellen australischen Kriegsberichterstatter C. E. W. Bean, der später offizieller australischer Kriegshistoriker wurde5. Der Mythos wirkte nur vor dem Hintergrund der vollkommen unkriegerischen Geschichte Australiens im 19. Jahrhundert – der alltägliche Kleinkrieg
3
John Keegan: Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie, Reinbek 2001. Das Zitat S. 314, das
folgende Zitat 340. Das Gallipoli-Kapitel S. 331-351.
4
John Keegan: Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie, Reinbek 2001, 349-350.
5
Vgl. Joan Beaumont: The Anzac legend, in: Dies. (Hg.): Australia’s war, 1914-1918, St. Leonards
1995, 149-180.
6
gegen die Aborigines ist bis in die 1960er Jahre überhaupt nicht als Krieg wahrgenommen
worden. All das ist richtig. Doch Gallipoli war auch in der Realität eine außerordentliche
Leistung des Ausharrens, der Zähigkeit. Und sie war am Ende eine Niederlage – wie eigentlich alle australischen Selbstbeschreibungsmythen, mit Ausnahme des Kricketers Don Bradman.
1.3 Die Westfront
Nach dem Ende des Gallipoli-Unternehmens wurden die Truppen in Kairo reorganisiert und
verstärkt. In Australien hatte die enthusiastische Berichterstattung über Gallipoli zu einem
Ansteigen der Freiwilligenzahlen geführt, die nach und nach in Ägypten eintrafen und zu
neuen Verbänden zusammengefasst wurden.
An der Westfront sind die ANZAC-Truppen erst 1916 eingesetzt worden. Ihre „Feuertaufe“
fand bei Fromelles statt, im Rahmen der eingangs erwähnten, ungeheuer verlustreichen Somme-Schlacht. Am 19.7. führten die ANZACs hier einen als Ablenkungsmanöver bezeichneten
Angriff auf deutsche Stellungen aus, der 5.533 Tote, Verwundete, Gefangene oder Vermisste
kostete – ein Viertel der Gesamtverluste von Gallipoli in nur einem Tag. Vier Tage später
begannen die Australier einen Angriff auf das Dörfchen Pozières. Sie nahmen es ein, hielten
es bis Anfang September und gaben es dann wieder auf. 23.000 Mann gingen dabei verloren –
zweihundert weniger als bei dem achtmonatigen Gallipoli-Unternehmen. C. E. W. Bean war
am 31.7. in Pozières. Sein Eindruck: „The dead lay sometimes in batches [Stapeln] of ten or
twelve together … There was not a soul in sight; only the powdered grey earth. No sign of
any trenches of ours. All as still and dead and deserted as an ash heap … I turned back and
followed a goat-track path. There were only blackened dead and occasionally bits of men and
torn bits of limbs unrecognisably along it. I wandered on for five minutes without seeing a
sign of anybody till I came to a gradually improving trench, quite deserted, peopled only by
dead men, half buried, some sitting upright with bandaged heads, apparently little hurt except
for the bandaged wound; others lying half covered in little holes they had scratched in the
trench side … I didn’t want to go through Pozières again. I have seen it once now.”6
Die hohen Verluste in den Einsätzen der Jahre 1916 und 1917 sind – wie im Falle Gallipoli –
seitens der Australier häufig auf Inkompetenz und Eigennutz englischer Oberbefehlshaber
zurückgeführt worden, die die Regeln des Kriegs an der Westfront nicht verstehen wollten
und lieber Kolonialtruppen opferten als britische. Das ist im Nachhinein schwer zu entscheiden. Sicher ist, dass alle Befehlshaber an der Westfront bis 1917 keinen anderen Ausweg aus
6
Tagebucheintrag 31.7.1916, zitiert nach Joan Beaumont: Australia’s war, in: Dies. (Hg.): Australia’s
war, 1914-1918, St. Leonards 1995, 1-34, hier 19.
7
dem Patt mit Übergewicht der Defensive wussten als immer neue mit Artillerie vorbereitete
Sturmangriffe, die in der Regel bei minimalen Gebietsgewinnen ungeheuer verlustreich waren. Sicher ist, dass die australischen Truppen zu einem sehr hohen Prozentsatz aus kämpfenden – und nicht aus Versorgungs-, Verwaltungs-, Sanitätseinheiten etc. bestanden, so dass sie
prozentual höhere Verluste erleiden mussten als die Briten. Die australische Sicht der Dinge
wurde noch dadurch bestärkt, dass erst im Mai 1918 die australischen Truppen einen australischen Oberbefehlshaber erhielten, General Sir John Monash. Das war genau am Ende des
Stellungskrieges: Zunächst hatten die Deutschen mit ihrer letzten großen Offensive ein Loch
in die englische Verteidigungslinie gerissen, dann schlugen die Alliierten mit Tanks und mit
amerikanischer Verstärkung zurück und zwangen den Deutschen den Bewegungskrieg auf.
Das war der Krieg, für den die ANZACs besonders geeignet waren: Vorposten, Kommandounternehmen kleinerer Einheiten usw. Sie spielten daher bei der endlichen Kriegsentscheidung im Sommer und Herbst 1918 eine wichtige Rolle. Weil sie dies erstmals unter einem
eigenen Befehlshaber (Monash) taten, der dazu nicht übermäßig bescheiden war, kamen manche zu dem Schluss, dass der Krieg in dem Moment einem positiven Ende zugeführt wurde, in
dem die Australier die Sache selbst in die Hand nahmen. Das ist sicherlich übertrieben.
2. Der Krieg und die australische Politik
2.1 Die Entscheidung zum Kriegseintritt
Eigentlich brauchten die Australier gar nicht entscheiden, ob sie in den Krieg ziehen wollten.
Als Teil des British Empire waren sie mit der britischen Kriegserklärung automatisch Kriegspartei. Doch die meisten Australier zogen nicht widerwillig, sondern gern in den Krieg. Auf
Gallipoli und an der Westfront starben nur Freiwillige. Wehrpflicht gab es nicht. Referenda zu
ihrer Einführung scheiterten – wie wir noch sehen werden – gleich zwei Mal. Für die hohe
Kriegsbereitschaft gab es mehrere Gründe
-
Präzedenzfälle: Australien hatte bereits am Burenkrieg mit 16.000 Mann und 16.000
Pferden teilgenommen. Über die völkerrechtliche Berechtigung dieses Krieges konnte
man sehr im Zweifel sein. Die Briten hatten ihn nicht nach den humanitären Prinzipien
geführt, die Großbritannien gern für sich in Anspruch nahm. Warum hätten die Australier fünfzehn Jahre später empfindlicher sein sollen?
-
geostrategische Lage: Australien sah sich als ein gefährdeter Außenposten des Empire.
Mit Sorge nahmen man wahr, dass Deutschland sich als imperialistische Macht im Pazifik festsetzte und die militärische Stärke Japans – vor allem seit dem Sieg über
Russland 1905 – wuchs. Seit 1909 begann Australien, eine eigene Armee und Marine
8
aufzubauen. Das war eine ungewohnte Last für den Staatshaushalt, aber sie wurde als
notwendig erachtet, um an der Verteidigung des Empire teilzunehmen und damit
zugleich das Empire auf eine Verteidigung des Außenpostens Australien zu verpflichten.
-
Britishness: Wenngleich die Australier seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts
sich stärker als Australier zu fühlen begannen, so blieben sie doch dem Mutterland
verbunden. Mehr als Südafrika oder Kanada verfolgte Australien eine Politik der Empire-Stabilisierung. Im August 1914 war Wahlkampf, und die Spitzenkandidaten übertrafen sich gegenseitig in Treuebekundungen zu Britannien. „All our resources are
in the Empire and for the Empire“, verkündete der liberale Premierminister Joseph
Cook. Der Chef der Labor Party, Andrew Fisher, wollte “our last man and our last
shilling” für das Empire opfern, und gewann mit dieser Parole die Wahl7.
Der Kriegseintritt war eine undiskutierte Selbstverständlichkeit. Es gab in der Öffentlichkeit
kaum kritische Stimmen. Gallipoli hob den Patriotismus noch einmal an. Erst 1916 begann –
wie in den europäischen Kriegsgesellschaften – die Stimmung zu kippen. Die Zahl der
Kriegsfreiwilligen zeigt das an: es waren 52.000 im Jahre 1914, 166.000 1915, 140.000 1916
und nur noch 45.000 im vorletzten Kriegsjahr 19178. Die Abnahme hing sicher zusammen mit
dem ausgehenden „Menschenmaterial“. Zuerst waren die Jungen und Unverheirateten gegangen. Dann musste man an das vaterländische Pflichtgefühl der Älteren, der Verheirateten, der
Väter appellieren und gleichzeitig rabiate publizistische Kampagnen gegen „shirker“ [Drückeberger] führen. Je länger je mehr spaltete sich die australische Gesellschaft über der Frage
der Kriegsbeteiligung. Die Inkarnationen dieser Entwicklung, die für eine geostrategisch exponierte Siedlungskolonie gefährlich werden konnte, waren die Labor Party und ihr Premier
Billy Hughes.
2.2 Billy Hughes und die Spaltung der Labor Party
Billy Hughes hat in der australischen Geschichtsschreibung eine schlechte Presse. „Born in
Wales, Hughes was an extraordinarily dominant and energetic personality“, schreibt etwa
Joan Beaumont. “Diminutive and rat-like in appearance, partially deaf and irascible, he was
immensely able, murderously witty, unscrupulous, sardonic and opportunistic.”9 “Hughes was
a union organizer turned politician with an authoritarian streak, who directed Labor’s socialist
sentiment into a nationalist crusade to impose the collective interest on business and labour
7
Zitiert nach Stuart Macintyre: A Concise History of Australia, Cambridge u.a. 1999, 156.
Zahlen nach Macintyre: A Concise History of Australia, Cambridge u.a. 1999, 160.
9
Joan Beaumont: The Politics of a Divided Society, in: Dies. (Hg.): Australia’s war, 1914-1918, St. Leonards 1995, 35-63, hier 38.
8
9
alike. A nation at arms provided him with the licence to strengthen the hand of government.
Diminutive and deaf, a wizened firebrand with a rasping voice and rancorous manner”10, so
lautet die Personenbeschreibung von Stuart Macintyre. Wieder fällt der eher konservative
Geoffrey Blainey aus der Reihe. Er verzichtet – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit – auf
eine Charakteristik des wichtigsten australischen Politikers der Kriegsjahre und beschränkt
sich auf eine äußerst knappe Darstellung der politischen Ereignisse11.
Hughes war und ist umstritten, weil seine Politik des totalen Kriegseinsatzes die australische
Gesellschaft im Allgemeinen und die Labor Party im Besonderen gespalten hat. Vor allem
seit dem in Australien äußerst umstrittenen Vietnam-Einsatz gibt es für diese Politik auch
unter Historikern – die ja auch von Zeitströmungen beeinflusste Menschen sind - nur noch
wenig Verständnis. Kämpfe innerhalb der Arbeiterpartei wegen der Frage der Kriegsbeteiligung hat es auch in Europa gegeben (vgl. USPD-Gründung in Deutschland, Austritt der Sozialisten aus der Regierung der „Union Sacrée“ in Frankreich). In Australien war die Lage eine
besondere, weil Labor die Regierung stellte. Ihre Politik war nicht nur, wie in Frankreich oder
Deutschland, wichtig zur Aufrechterhaltung des inneren Friedens, sie war, weil Labor eine
parlamentarische Mehrheit hatte, entscheidend für die Kriegsbeteiligung Australiens überhaupt. Billy Hughes, der von Andrew Fisher 1915 das Amt des Regierungschefs übernommen
hatte, sagte in England angesichts der massiven Verluste an der Westfront 1916 eine Verstärkung der australischen Truppen zu. Er versprach sich davon – neben einer größeren Chance,
den Krieg siegreich zu beenden – eine Stärkung der Bande zum Empire, eine Verbesserung
der außenpolitischen Verhandlungsposition Australiens und innenpolitisch die Stärkung des
Commonwealth gegenüber den Einzelstaaten und eine Stärkung seiner eigenen Position. Doch
um sein Versprechen einzuhalten, musste er die Wehrpflicht einführen. Das Potential an
Freiwilligen war ausgereizt. Außerdem bestand mittlerweile in fast allen kriegführenden Ländern Wehrpflicht – England hatte sie am 6. Januar 1916 eingeführt. Die Wehrpflicht aber war
in der Siedlungskolonie Australien, wo eine Tradition der Selbst- und Staatshilfe, nicht aber
einer Tradition autoritärer Militärstaatlichkeit bestand, etwas Ungewohntes. Sie war viel weniger selbstverständlich als die Teilnahme am Krieg. Trotz einer massiven ConscriptionKampagne, bei der alle Machtmittel und Möglichkeiten der Regierung ausgenutzt und die
Wehrpflichtgegner als Egoisten, Feiglinge, Vaterlandsverräter, Deutschenfreunde, Anhänger
von Sinn Fein usw. beschimpft wurden, fiel die Wehrpflicht daher bei zwei Referenden am
28.10.1916 (1.160.033 gegen, 1.087.557 für Wehrpflicht) und am 20. Dezember 1917
(1.181.747 gegen, 1.015.159 für Wehrpflicht) durch. Eine deutliche Mehrheit für Conscripti10
Stuart Macintyre: A Concise History of Australia, Cambridge u.a. 1999, 160.
10
on gab es nur in Western Australia, eine knappe in Tasmania. Victoria stimmte beim ersten
Referendum mehrheitlich für, beim zweiten mehrheitlich gegen die Wehrpflicht. New South
Wales, Queensland und South Australia waren beide Male mehrheitlich auf der „No“-Seite.
Von den sozialen Gruppen waren die Katholiken eindeutig auf der Seite der ConscriptionGegner. Das war keine Überraschung angesichts der brutalen Niederschlagung des irischen
Osteraufstandes durch die Briten 1916.
Entscheidend für die Labor Party war, dass auch die Gewerkschaften sich deutlich gegen die
Wehrpflicht wandten. Mehr und mehr fanden sie, dass dies nicht ihr Krieg sei. Zwar wollten
sie die Entsendung von Freiwilligen nicht torpedieren. Doch Wehrpflicht erschien ihnen nicht
hinnehmbar. Die Auseinandersetzung zwischen Hughes und den Gewerkschaften vertiefte
Risse, die bereits in der Vorkriegszeit zwischen radikalen Gewerkschaftern und im politischen
Alltagsgeschäft des bargaining und der Kompromisse gemäßigt gewordenen Politikern entstanden waren. Im November 1916 kam es im Umfeld des ersten Referendums zum Bruch.
Hughes ging mit einigen Getreuen zur Opposition über, bildete die National Party und konnte
so sein Regierungsamt behalten. Am 5. Mai 1918 errang die National Party einen entscheidenden Wahlsieg. Hughes hatte die Wahl gezielt herbeigeführt. Er versicherte, er werde auf
die Wehrpflicht verzichten, die Kriegszeit aber auch so effizient managen. Labor habe den
Verstand verloren, als es ihn aus der Partei getrieben habe. Labor sei national unzuverlässig
und zur Führung des Landes untauglich. Er aber vertrete die „Win-the-war Party“.
Die bitteren Konflikte der zweiten Kriegshälfte waren für die australische Politik bis in die
1960er Jahre bestimmend. Die Labor Party wurde zu der Vertretung der Katholiken – eine
Kombination, die in der Kommunistenhatz der Jahre nach 1945 zu internen Zerreißproben
führen sollte. Die Labor Party konnte jahrzehntelang als national und in Krisenzeiten unzuverlässig angegriffen werden. Während sie in den Einzelstaaten weiter Regierungsverantwortung übernahm, blieb sie auf der Ebene des Commonwealth of Australia für ein halbes
Jahrhundert machtlos. Nationalismus und Loyalität wurden zur Domäne der Rechten, die die
Außenpolitik des Landes über Jahrzehnte bestimmte. Die Labor Party Australiens, die den
ersten Labor-Premier der Welt gestellt hatte, erholte sich erst in den 1960er Jahren wirklich
von der Trennung des Jahres 1916.
2.3 Australien als souveräner außenpolitischer Akteur
Australien trat als Teil des British Empire in den Krieg ein. Es verließ ihn als eigenständiges –
und dank der Auftritte von Billy Hughes durchaus wahrgenommenes – Mitglied der Friedensverhandlungen von Versailles und als selbständiges Mitglied des Völkerbundes. Australische
11
Vgl. Geoffrey Blainey: A Shorter History of Australia, Milsons Point 1997, 156-157.
11
Politiker hatten auch vor 1914 durchaus eigenständige Politiken verfolgt (vgl. Queenslands
Subimperialismus in Neuguinea)12, hatten aber im framework des Empire verbleiben müssen.
Dieses lockerte sich nun zugunsten einer mehr und mehr eigenständigen Politik Australiens
wie auch der anderen Siedlungskolonien und Dominions Kanada und Südafrika.
Die Aufwertung der Dominions kam in den Imperial Conferences von 1921, 1923 und 1926
zum Ausdruck und fand im Statute of Westminster 1931 ihren Ausdruck. An die Stelle des
Empire trat der Begriff „Commonwealth für einen Zusammenhang von Staaten, die nur noch
die Krone zusammenhielt. Doch während Südafrika und Kanada diese Entwicklung vorantrieben, blieb Australien zurückhaltend. Waren Südafrika und Kanada auf eine Rekonstruktion des Empire mit dem Ziel einer möglichst weit gehenden Eigenständigkeit aus, so suchten
Hughes und seine Nachfolger nach einem möglichst engen und exklusiven Kontakt zu Großbritannien. Weil Australien auf die White Australia Policy setzte, konnte und wollte es mit
den selbständiger werdenden Pazifikstaaten China oder Japan nicht zusammen arbeiten. Es
konnte und wollte auch nicht zum Vorreiter einer Verselbständigung des pazifischen Raumes
gegenüber den europäischen Kolonialmächten werden. Es war aber auch zu schwach, um sich
allein gegen Chinesen und/oder Japaner zu behaupten. Australien setzte daher auf Förderung
weißer, vor allem britischer Einwanderung, und auf die Royal Navy. Sie sollte den Außenposten im Pazifik gegen Japan schützen. Insofern war der Erste Weltkrieg außenpolitisch eine
weniger gravierende Zäsur als Versailles und Völkerbund nahe legen. Australien gewann an
Souveränität. Aber es wollte sie nur nutzen, um sich Großbritannien zu verpflichten.
3. Kriegswirtschaft
3.1 Australiens Wirtschaft vor 1914
Es ist schwer zu sagen, ob Australien vor 1914 ein industrialisiertes Land gewesen ist. Zwar
besaß das Land eine starke Arbeiterbewegung und einen Lebensstandard, der über dem des
englischen Mutterlandes und der meisten Industrienationen lag. Aber der Lebensstandard
wurde erwirtschaftet in einer Ökonomie, deren Bruttosozialprodukt zu einem vergleichsweise
weit überproportionalen Anteil auf dem primären (1913/14 - 28,6%) und dem tertiären Sektor
(1913/14 - 58%) beruhte. Auch Import und Export waren im internationalen Vergleich eigentümlich ausgebildet. Australien exportierte eine kleine Anzahl von Primärgütern (die
wichtigsten 1901-13: Wolle 34,3%, Gold 20,6%, andere Erze 14,8%, Weizen 9,7%, Fleisch
12
Vgl. Neville Meaney: The Search for Security in the Pacific, 1901-1914. A History of Australian Defence and Foreign Policy 1901-1923, Bd. 1, Sydney 1976.
12
5,1%, Butter 4,1%)13 und importierte Technologie, Fertigprodukte usw. vor allem aus England. Australien hatte nur einen kleinen und anfälligen Inlandsmarkt, der sich auf die wenigen
urbanisierten Zonen des Landes beschränkte. Es war Teil des ökonomischen Verbundes des
British Empire, in dessen Zentrum der Rohstoffimporteur und Fertigwarenexporteur Großbritannien stand. Aus Großbritannien kam ein Großteil des Kapitals, mit dem die australische
Ökonomie wirtschaftete. Auch die kostspieligen Infrastrukturausgaben der öffentlichen Hand
für Eisenbahn, Kommunikation, Ver- und Entsorgungsbetriebe usw. waren in dem riesigen
und wenig bevölkerten Land nur durch Kapitalimporte möglich. Anders als in Großbritannien
und die USA war der öffentliche Sektor in Australien schon vor dem Ersten Weltkrieg ein
wichtiger Wirtschaftsfaktor. Insgesamt war Australien zwar in Bezug auf den durchschnittlichen Lebensstandard ein reiches Land. Aber der Reichtum beruhte auf krisenanfälligen
Grundlagen. Australien war stark weltmarktabhängig, was Waren und was Kapital anbetraf.
3.2 Veränderungen während des Krieges
Für Australien war der Erste Weltkrieg wirtschaftlich ein wichtiger, aber nicht der alles entscheidende Einschnitt. Das Land hat durch den Krieg weniger gelitten als durch die Trockenheit 1895-1903 und durch die Weltwirtschaftskrise nach 1929. Im Vergleich zu den kriegführenden Nationen West- und Mitteleuropas waren die Auswirkungen gering. In Australien fanden keine Kriegshandlungen statt. Das Land wurde nicht blockiert. Die Anteile des primären,
des sekundären und des tertiären Sektors am Bruttosozialprodukt verschoben sich nicht wesentlich anders, als sie es ohne Krieg getan hätten (Rückgang des primären, Zunahme des
tertiären Sektors). Dennoch offenbart ein genauerer Blick mehrere deutliche Veränderungen:
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Der Warenexport, auf den die australische Volkswirtschaft dringend angewiesen war,
litt unter drei wesentlichen Beeinträchtigungen: Schrumpfen bzw. völliger Ausfall der
europäischen Märkte (Deutschland importierte kurz vor 1914 25% der australischen
Wolle und fiel aufgrund der britischen Blockade nun völlig weg), Zahlungsschwierigkeiten der Kunden, Schrumpfen der Kapazität der Handelsschifffahrt (die australischen Schiffsfrachtkapazitäten sanken während des Krieges um die Hälfte, weil das
Flugzeug noch keine Rolle spielte, die Eisenbahn im inneraustralischen Handelsverkehr gegenüber dem Schiff zurückfiel und im Außenhandel aus nahe liegenden Gründen keine Rolle spielen konnte, war das für den Handel ein harter Schlag). Der Staat
griff – typisch für die australische Wohlfahrtsstaatsphilosophie, die der amerikanischen diametral entgegengesetzt war - helfend ein, kaufte Getreide auf, versuchte eine
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Zahlen nach Marnie Haig-Muir: The Economy at War, in: Joan Beaumont (Hg.): Australia’s war, 19141918, St. Leonards 1995, 93-124, hier 100 bzw. 95 (BSP).
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staatliche Handelsschifffahrt aufzubauen. Auch die britische Regierung kaufte australische Primärgüter, wohl auch, um zu verhindern, dass sie in die Hände der Mittelmächte geraten und die Effektivität der Blockade gefährden könnten.
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Vergleichen wir die Außenhandelszahlen der Vor- mit der Nachkriegszeit, so fallen
einige wichtige Entwicklungen auf: Der Anteil des Getreides am Export verdoppelte
sich (1901-1913 9,7%, 1920/21-1928/29 20,5%), der Anteil der Wolle nahm deutlich
zu und erreichte wieder die Höhen der Jahre vor der großen Trockenheit 42,9%). Dagegen fiel der Anteil des Goldes dramatisch (von 20,6 auf 2,2%), der Anteil der anderen Erze ging ebenfalls zurück (von 14,8 auf 6,6%)14. Darin spiegelt sich auch eine
veränderte Bedürfnisstruktur der australischen Binnenwirtschaft. Im Schutze der
Kriegszeit hatte Australien eine metallverarbeitende Industrie aufgebaut, die nach
Kriegsende durch Zölle geschützt wurde und einen Teil der Rohstoffproduktion im
Lande selbst verbrauchte.
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Trotz der britischen Interventionen in den australischen Markt ging der Anteil Großbritanniens an den Exporten insgesamt zurück. Frankreich, Japan und die USA wurden
wichtiger, wenngleich sie insgesamt noch nicht den Anteil Großbritanniens am australischen Export erreichten. Aber die Entwicklungen des späteren 20. Jahrhunderts weg
vom ehemaligen Mutterland hin zum amerikanischen und pazifischen Markt begann
sich abzuzeichnen.
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Bergbau und Schwerindustrie schlossen sich während der Kriegszeit mit staatlicher
Unterstützung zu größeren Einheiten zusammen. Die bis 1914 durchaus bedeutenden
Verbindungen zu deutschen Unternehmen wurden gekappt. Auch andere ausländische
Investoren verloren gegenüber einheimischen privaten Eigentümern und der öffentlichen Hand an Bedeutung. Die Regierung Hughes wollte Kontrolle über die für den
Krieg entscheidenden Industriezweige gewinnen. Im Zusammenhang damit begann
auch eine neue Industriepolitik. Nicht mehr nur Export von Rohstoffen, sondern Verarbeitung im eigenen Land wurde staatlich gefördert.
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Im verarbeitenden Gewerbe waren die Auswirkungen des Krieges sehr unterschiedlich. Es gab Gewinner und Verlierer, je nach dem Zusammenhang des jeweiligen
Zweiges mit der weltweiten Kriegswirtschaft. Die australische Textilindustrie etwa
boomte, weil der bis dahin entscheidende Import britischer Bekleidung beinahe ausfiel. Die Boomsektoren kamen aber nach dem Krieg in erhebliche Turbulenzen, weil
ihre Erfolge mehr auf dem Wegfall externer Konkurrenz als auf Verbesserung der ei-
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genen Qualität und Effektivität zurückzuführen waren. Als die Konkurrenz nach
Kriegsende wieder auf den Märkten auftauchte, riefen sie nach Zollschutz, der in Teilen des sekundären Sektors in der Tat 1921 mit dem „Greene Tariff“ gewährt wurde.
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Die Inflation war während des Kriegs wie in vielen anderen kriegführenden Staaten
hoch. In Melbourne verdoppelten sich die Preise für Fleisch zwischen Mitte 1914 und
Mitte 1915. Das Commonwealth of Australia hatte keine Kompetenzen, in die Preisgestaltung etwa über die Dekretierung von Höchstpreisen einzugreifen – die allerdings
auch in den Staaten, wo sie eingeführt wurden, weniger zur effizienten Preisregulierung als zur Entstehung unkontrollierter und noch hochpreisigerer Schwarzmärkte
beitrugen. Dafür intervenierte der Staat über seine Kompetenzen in Arbeitskämpfen
sowie über die Festlegung von Mindestlöhnen, Lohngruppen etc. in die Lohngestaltung. Das war ein zweifelhafter Vorteil, denn während der Staat so einerseits zumindest an einer Stelle regulierend in die Lohn-Preis-Spirale eingreifen konnte, lenkte er
andererseits die Unzufriedenheit der Arbeitsmarktparteien, vor allem der Arbeiterschaft auf sich. Gewinner und Verlierer der Inflation, die nie ein der deutschen Hyperinflation der Jahre 1922/23 vergleichbares Ausmaß annahm, sind schwer auszumachen. Die durchschnittlichen Reallöhne scheinen während der Kriegszeit gesunken zu
sein. Hierin liegt ein weiterer Grund für die unter 2.2 dargestellte Unzufriedenheit der
Gewerkschaften mit der Regierung Hughes. Doch sagt diese Bilanz wenig angesichts
der deutlichen Unterschiede zwischen kriegsbedingten Boom- und Baissesektoren. Sichere Verlierer waren alle Bezieher fester Geldleistungen: Rentner, Staatsangestellte
usw.
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Die Beziehungen zwischen den Arbeitsmarktparteien waren während der Kriegsjahre
äußerst gespannt. Den in den europäischen kriegführenden Nationen gängigen Burgfrieden, der doch bis 1916/17 einigermaßen hielt, hat es in Australien nicht gegeben.
Dafür war der Krieg zu weit weg. Die Zahl der Streiktage stieg während der Kriegszeit, mit dem Streikschwerpunkt in New South Wales. Die Gewerkschaften gewannen
trotz der Abwesenheit vieler junger Männer an Mitgliedern. Zwischen 1911 und 1921
stieg der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an den Beschäftigten von 27,9% auf
51,6%, während die Zahl der Gewerkschaften von 430 auf 394 zurückging. Die Gewerkschaften wurden größer und mächtiger. Es gab sogar eine Bewegung, alle Gewerkschaften zu einer „One Big Union“ (OBU) zusammenzuschließen, um den Unter-
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Zahlen nach Marnie Haig-Muir: The Economy at War, in: Joan Beaumont (Hg.): Australia’s war, 19141918, St. Leonards 1995, 93-124, hier 100-101.
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nehmern und dem Staat mit mehr Macht entgegenzutreten. Doch das erwies sich gegen die Interessen der Einzelgewerkschaften als nicht durchsetzbar.
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Die wichtigste langfristige Folge des Ersten Weltkrieges war der Aufstieg des Zentralstaates und seine Intervention in Ökonomie und soziale Verhältnisse. Australien galt
schon vor 1914 als wohlfahrtsstaatlich vorbildlich. Doch nun hatte der Staat in Industrieorganisation, Arbeitskämpfe, Lohngestaltung, Marktmechanismen usw. regelnd
eingegriffen. Das weckte erstens Erwartungen, die nach 1918 nicht erfüllt werden
konnten. Es verschob zweitens die Machtbalance zwischen Zentralstaat und Einzelstaaten weiter zugunsten des ersteren.
4. Wertung
Stuart Macintyre hat die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges sehr negativ bewertet: „War is
sometimes regarded as a regenerative force, rather like Australian bushfire that galvanises
energy, burns away the outmoded accretion of habit, and allows new, more vigorous growth
to occur. The Great War brought no such national revitalisation. It killed, maimed and incapacitated. It left an incubus of debt that continued to mount as the payments to veterans and
war widows continued; even in the depths of the Depression of the early 1930s there were
more Australians on war benefits than in receipt of social welfare. So far from strengthening a
common purpose, it weakened the attachment to duty; to live for the moment was a common
response to the protracted ordeal. The war increased rather than lessened dependence, hardened prejudices, accentuated divisions.”15 Dieser Wertung mag moralisch korrekt sein. Ihr ist
auch insoweit recht zu geben, dass dieser Krieg nicht beschönigt und nicht verharmlost werden darf. In der Sache aber muss in mehrerlei Hinsicht widersprochen werden:
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Der Erste Weltkrieg hat die Wohlfahrtsstaatsbildung vorangetrieben und die staatsinterventionistische Tradition gestärkt. Dadurch ist ein Modell entstanden, das sich von
dem einer anderen Siedlungskolonie, den USA, völlig unterscheidet, und näher an
dem europäischen Wohlfahrtsstaat ist.
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Der Erste Weltkrieg hat mit der ANZAC-Legende einen nationalen Mythos geschaffen, der bis heute fortlebt. Es ist zuzugeben, dass ANZAC zunächst umstritten war.
Offizielle Vertreter der Katholiken nahmen an den Feiern für ein nationales Memorial
noch Ende der 1920er Jahre nicht teil, eingedenk der bösen Polemiken gegen sie im
Rahmen der beiden Conscription-Referenden. Doch dann wurden Gallipoli und ANZAC eben doch zu einem gemeinschaftsstiftenden Mythos, der die junge australische
Nation durch das 20. Jahrhundert hindurch verband.
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Der Erste Weltkrieg ist so zu einer Ressource für das australische Selbstbewusstsein
geworden. Dieses Selbstbewusstsein ist gemischt aus Teilen, die wir heute sehr unterschiedlich werten: mateship, endurance, white Australia. Es hat seine Wirkung entfaltet bis an das Ende des 20. Jahrhunderts. In der aktuellen australischen Politik gegenüber Asylbewerbern und Flüchtlingen scheint es erneut an Stärke zu gewinnen.
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Stuart Macintyre: A Concise History of Australia, Cambridge u.a. 1999, 166.
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