M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT Wolfgang Forth Anthelminthika – Neuentwicklungen zur Behebung unangenehmer Reiseerinnerungen D ie Behandlung des Wenn auch die Behandlung des parasitären Wurmbe- dung dieser Stoffe auf den beparasitären Wurmbehandelnden Arzt entfällt. falls, insbesondere im falls in unseren Breiten medizinisch ein gelöstes Pro- Wenn aber beispielsweise siKindesalter, stellt in blem darstellt, so kommt es immer wieder zu Schwierig- chergestellt ist, daß das verMitteleuropa eine weitgehend schriebene Präparat beispielsbeherrschte Aufgabe der tägli- keiten, wenn es um einen Wurmbefall als Erinnerung an weise in den USA, in England, chen Arbeit der Ärzte dar: Die schöne Urlaubstage in exotischer Umgebung geht. Das Frankreich oder in Japan regiFadenwürmer von den Oxyuist, eben in einem jener Problem stellt sich bereits diagnostisch, weil eher striert ren bis zu den Ascariden werLänder, die aufgrund ihrer den mit Mebendazol oder Py- die einheimischen Ärzte über die Epidemiologie des langjährigen Auslandsbezierantel vertrieben. Wer sich für Wurmbefalls in ihren Ländern Bescheid wissen als die hungen oder lokalen Erfahdie Mittel der zweiten Wahl inrungen auf die örtliche Verfügteressiert, wird auf die Lehr- mitteleuropäischen. Aber auch therapeutisch können barkeit derartiger Arzneimitbücher der Pharmakologie Probleme auftreten, weil eben nicht alle wirksamen Mit- tel angewiesen sind, dann sollund Toxikologie (3) oder te es auch einem hierzulande die Arzneiverordnungen der tel auf dem mitteleuropäischen Markt zu erhalten sind. tätigen Arzt nicht schwer falArzneimittelkommission der Hier kann unter Umständen schnell eine „internationa- len, die Anwendung derartiger deutschen Ärzteschaft (1) in Arzneimittel bei begründeten ihrer jeweils letzten Auflage le Apotheke“ helfen, die in allen größeren Städten der Indikationen zu veranlassen. verwiesen. Beim Befall mit Bundesrepublik zu finden ist. Auch bei der Auswahl Das wiederum setzt dann allerBandwürmern werden Meeine umfassende Kenntder wirksamen Mittel weiß der einheimische Arzt in dings bendazol, Niclosamid oder nis des Parasiten, seiner bioloPraziquantel verordnet. Dane- der Regel den besseren Rat als der mitteleuropäische. gischen Besonderheiten und ben gibt es aber Erfahrungen der klinischen Symptomatik, mit dem weltweit verbreiteten Parasi- allerdings auch in unseren Breiten den die als Folge des Parasitenbefalls zu betenbefall, der vor allem Urlauber und Zugang zu einer sogenannten „interna- trachten ist, voraus. Einzelheiten über Reisende in außereuropäische tropi- tionalen Apotheke“ voraus. Das hängt den Befall mit Parasiten, die diagnostische Regionen interessieren muß. schlicht damit zusammen, daß nicht al- schen Maßnahmen und anderes sind Gleich zu Beginn dieser Überlegungen le Parasiten auch hierzulande auftreten beispielsweise bei Piekarski (4) nachist allerdings festzustellen, daß es sich und deshalb die Verfügbarkeit des zulesen. Hier soll ausdrücklich darauf bei den medikamentösen Empfehlun- geeigneten Anthelminthikums nicht abgehoben werden, daß auch unsere gen nicht etwa um prophylaktische zwingend vorausgesetzt werden kann. Krankenkassen bei der Anwendung Maßnahmen handeln kann. Zunächst Ein weiterer Grund liegt darin, daß ein derartiger Arzneimittel, die nur in ineinmal deshalb, weil den lokalen Ärz- Teil der zu besprechenden Stoffe in der ternationalen Apotheken zu erhalten ten wohl die beste Kenntnis der Ver- Bundesrepublik Deutschland gar nicht sind, in der Regel – die gegebene Indibreitung der Parasiten wie deren Emp- registriert ist. Das wirft dann das all- kation vorausgesetzt – die Kosten einer findlichkeit gegenüber chemothera- gemein interessierende Problem auf, derartigen Behandlung übernehmen. peutischen Agenzien vorbehalten blei- ob derartige Arzneistoffe hierzulande ben muß. Den Ärzten in der Heimat dann überhaupt zur Anwendung kombleiben dann die Weiterführung der men dürfen. Der Pharmakologe beantIvermectin Therapie, die Kontrolle des Therapie- wortet dies eindeutig mit ja, wennZu den Neuentwicklungen unter erfolges und natürlich auch die Beob- gleich damit freilich ein höherer Grad achtung der Behandelten im Hinblick der Verantwortlichkeit für die Anwen- den Anthelminthika gehört Ivermectin, das im Rahmen der Chemotheradarauf, was bei einer erfolgreichen Therapie an unerwünschten Wirkun- Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und pie, das heißt der vollsynthetisch entgen in Kauf zu nehmen ist. Der Erwerb Toxikologie (Vorstand: Prof. Dr. med. Wolf- wickelten Anthelminthika, insofern des einen oder anderen Arzneimittels gang Forth), Ludwig-Maximilians-Universität, eine Ausnahme darstellt, als es zu den Antibiotika zu rechnen ist, da der aus der Reihe der Anthelminthika setzt München A-2732 (52) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 42, 17. Oktober 1997 M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT Stoff aus Streptomyces avermitilis gewonnen wird. Die Inhaltsstoffe von Streptomyces avermitilis werden schon seit Jahren mit guter Erfahrung als Pestizide und in der Veterinärmedizin als Parasitenmittel angewendet. In der Humanmedizin ist Ivermectin in den USA als Mectizan registriert und – als Mittel der ersten Wahl und bei Onchocerciasis, einer in Afrika und Lateinamerika verbreiteten Fadenwurmerkrankung – angewendet. Die Komponenten, aus denen das als Arzneistoff verwendete Gemisch besteht, sind der chemischen Formel nach nicht einheitlich. Das strukturverwandte Abamectin wird als Pestizid verwendet (2). Mit Ivermectin werden bei Onchocerciasis nur die Mikrofiliarien abgetötet, nicht aber die ausgereiften Würmer, die auf dem Blutwege in die Augen vordringen können und die gefürchtete Flußblindheit verursachen. Als Zwischenwirt für Onchocerca volvulus gelten Kriebelmücken der Gattung Simulium. Die Tatsache, daß die ausgereiften Onchocercen nicht abgetötet werden, bedeutet, daß die Krankheit mit Ivermectin in der üblichen EinmalDosierung von 0,2 mg/kg KG im Abstand von sechs bis zwölf Monaten nicht geheilt wird. Die Krankheit kann aber mit Ivermectin in dieser Dosierung unter Kontrolle gehalten werden. Als Mittel der zweiten Wahl gelten bei Onchocercenbefall Diethylcarbamizin (Hetrazan) und Suramin (Germanin), wobei das letztere auch gegen die ausgewachsenen Würmer wirksam ist. Suramin ist als Tierarzneimittel zugelassen. Hier ist auch ein Versuch mit Flubendazol angezeigt (als Tierarzneimittel Flubenol). Wird Suramin angewendet, dann empfiehlt sich die langsame Injektion (gewöhnlich ein Gramm in zehnprozentiger Lösung). Zu den unerwünschten Wirkungen zählen Kreislaufsensationen (Blutdruckabfall?), Bewußtseinstrübungen und außerdem Kopf- und Gliederschmerzen sowie Augenreizungen und Hautreaktionen (Allergie?). Praziquantel Eine der letzten großen Arzneimittelentwicklungen für die Anwendung in tropischen Regionen, die aus deutschen Laboratorien stammt, war Praziquantel (Biltricide, Cesol, Cysticide), das bei Befall mit Saugwürmern (Schistosomiasis) die Stellung eines Arzneimittels der ersten Wahl bis heute behauptet. Die Erreger leben im Wasser; als Zwischenwirt werden Praziquantel gilt als wenig toxisch. Bei den unerwünschten Wirkungen herrschen Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und gelegentlicher Schwindel vor. Praziquantel zeichnet sich durch einen hohen Grad der Leberextraktion (first pass effect) aus. Deshalb ist der Leberfunktion und, aufgrund der Ausscheidung über die Nieren, der Funktion des Ausscheidungsorgans während der Behandlung eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Pyrantel und Oxantel D I E Ü B E R S I C H T Wurmbefall : bestimmte Süßwasserschnecken betrachtet. Das bedeutet, daß die Gefahr eines Befalls bei allen Kontakten mit nicht abgekochtem Wasser in den tropischen Regionen weltweit in Frage kommt, wobei es vor allen Dingen um Baden in stehenden wie fließenden Gewässern geht, immer dann, wenn die nackte Haut exponiert wird. Weltweit die am meisten verbreiteten Erreger aus der Gruppe der Saugwürmer sind Schistosoma haematobium, mansoni, japonicum, intercalatum, clonorchis sinensis, opistorchis viverrini, paragonismus westermani, fasciola hepatica. Praziquantel hat sich daneben auch bei der Behandlung des Befalls mit Bandwürmern, beispielsweise Zwergbandwurm (Diphyllobotrium latum, D. pacificum, die beide auch als Fischbandwürmer bezeichnet werden) oder Schweine- und Rinderbandwurm (Taenia solium beziehungsweise T. saginata) bewährt. Wie viele Wurmmittel wirkt Praziquantel vermicid durch Lähmung der Wurmmuskulatur, das heißt durch Hemmung der elektromechanischen Kopplung an der Muskelendplatte. A-2734 (54) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 42, 17. Oktober 1997 Das zunächst als Tierarzneimittel eingeführte Pyrantelembonat (Helmex) hat sich einen festen Platz bei der Behandlung des Befalls mit Fadenwürmern errungen. Das strukturähnliche Oxantelembonat ist gegenwärtig in klinischer Prüfung. In der Regel reicht eine einmalige Dosierung von 10 mg/kg KG der Pyrantelbase aus. Nach 14 Tagen sollte die Therapie wiederholt werden. Die insgesamt verabfolgte Dosis soll ein Gramm Pyrantelbase nicht übersteigen. Auch Pyrantel ist bemerkenswert gut verträglich. In der Literatur wird über gelegentliche Beschwerden des Magen-Darm-Traktes, Schwindel und Kopfschmerzen berichtet. Wenn Fieber auftritt, ist daran zu denken, daß es die Folge eines sogenannten Arzneimittelfiebers darstellt. Tiabendazol Zu den Benzimidazol-Abkömmlingen, die in der Bundesrepublik Deutschland nicht zugelassen sind, gehört Tiabendazol (Mintecol, USA), das als Tierarzneimittel eingesetzt wird. Seine Wirksamkeit ist gegen Oxyuren und Ascariden, aber auch gegen so gefährliche Parasiten wie Ancylostoma duodenale, Necator americanus, Strongyloides stercoralis, Dracunculus medinensis, Trichinis trichuria und Trichinella spiralis erwiesen. Tiabendazol erreicht dabei auch die Larvenstadien von Toxocara canis und T. cati, Ancylostoma brasiliense und A. caninum. Die Wirkungsweise M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT/FÜR SIE REFERIERT von Tiabendazol ist nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Die Tagesdosis von Tiabendazol beträgt 50 mg/kg KG. Am Tag soll die Gesamtdosis von drei Gramm nicht überschritten werden. In der Regel wird die Tagesdosis in zwei Portionen nach den Mahlzeiten eingenommen. Die Anwendung von Tiabendazol muß durch erfahrene Fachleute des Parasitenbefalls kontrolliert werden. Bei Dracunculus medinensis (Medina- oder Guineawurm, Drachenwurm) wird die Entfernung des Wurmes aus den Unterhautkanälen mit großem Geschick, gegebenenfalls nach Spaltung der Wurmkanäle, durch die einheimischen Ärzte vorgenommen. Chemotherapie ist dann eine Begleitbehandlung. Als Mittel der ersten Wahl gilt übrigens Metronidazol (Genericum). Davon werden 1,5 bis 3 Gramm in zwei bis drei Einzeldosen über zwei bis drei Wochen oral verabreicht. Als unerwünschte Wirkungen treten Kopfschmerzen und Schwindel sowie gelegentlich Reizerscheinungen im Verdauungstrakt wie Glossitis, Stomatitis sowie Diarrhö auf. Hier muß darauf hingewiesen werden, daß während der Behandlung mit Metronidazol eine Alkoholunverträglichkeit besteht, weil Metronidazol die Alkoholdehydrogenase hemmt. Allgemeine Anmerkungen Abführmittel Heute wird nicht mehr generell nach der Wurmbehandlung eine Behandlung mit Abführmitteln angeschlossen. Der behandelnde Arzt ist aber gut beraten, die Patienten auf eine regelmäßige Defäkation hin zu befragen. Nur dann, wenn die Defäkation unzureichend ist, kann mit einem salinischen Abführmittel nachgeholfen werden. Es ist aber anzuraten, schon während der Behandlung durch die Auswahl einer geeigneten, nämlich ballaststoffreichen Kost sowie die Anwendung von Feigen beziehungsweise Trockenobst auf einen regelmäßigen Stuhlgang hinzuarbeiten. Mutagene und kanzerogene Wirkung von Anthelminthika Die zugelassenen Wirkstoffe sind auch auf mögliche mutagene und/oder kanzerogene Wirkungen hin untersucht. Eine mutagene Wirkung ist beispielsweise für Metronidazol erwiesen. Das kann nun keineswegs bedeuten, daß während der Behandlung mit Metronidazol generell antikonzeptive Maßnahmen zu ergreifen sind. Zunächst einmal denkt jeder vernünftige Arzt daran, daß, wie bei allen Infektionskrankheiten, auch ein Parasitenbefall mit dem Verweis auf eine sexuelle Enthaltsamkeit verbunden sein sollte, in jedem Fall unter dem Aspekt des Selbstschutzes, des Schutzes für eventuell entstehendes Leben sowie des Schutzes der Partner. Stillende Mütter und Säuglinge Ähnliche Überlegungen gelten selbstverständlich dann, wenn eine stillende Mutter zu behandeln ist. Da in jedem Fall damit zu rechnen ist, daß das Anthelminthikum über die Muttermilch zum Säugling gelangt, ist darauf zu achten, daß der Säugling mit Brustnahrung ernährt wird. Immerhin sind diese Chemotherapeutika so ausgelegt, daß sie Leben – nämlich die Parasiten – abtöten. Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 1997; 94: A-2732–2735 [Heft 42] Literatur 1. Anonymi: Arzneimittelverordnungen. Hrsg: Mitglieder der Arzneimittelkommission der dt Ärzteschaft. Köln: Deutscher Ärzteverlag; 18. Auflage 1997. 2. Campell WC: Ivermectin und Abamectin. New York, Berlin, Heidelberg, London, Paris, Tokyo: Springer, 1989. 3. Forth W: Anthelminthika. In: Forth W, Henschler D, Rummel W, Starke K (Hrsg): Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie. Heidelberg: Spektrum, Akad Verlag, 1996; 772–781. 4. Piekarski G: Medizinische Parasitologie. Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo: Springer; 3. Auflage 1987. Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Wolfgang Forth Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie Ludwig-Maximilians-Universität Nußbaumstraße 26 80336 München Schlaganfälle bei niedrigdosierten oralen Kontrazeptiva Epidemiologische Studien zeigten erhöhte Risiken für Schlaganfälle und venöse Thrombosen bei Benutzerinnen von oralen Kontrazeptiva. Dabei wurde jedoch nicht zwischen verschiedenen Typen hormoneller Verhütungsmittel mit unterschiedlich hohem Östrogenanteil unterschieden. Da heutzutage sogenannte „Mikropillen“ mit einem Östrogengehalt von 30 bis 35 Mikrogramm am häufigsten verwendet werden, beschränkte sich diese bevölkerungsbezogene FallKontroll-Studie auf diese Präparate. Unter den 1,1 Millionen weiblichen Mitgliedern des „California Kaiser Permanent Medical Care Program“ im Alter von 15 bis 44 Jahren wurden von 1991 bis 1994 alle Schlaganfälle, sowohl hämorrhagischen als auch ischämischen Ursprungs, registriert und entweder die Frau selbst oder ein Angehöriger (zum Beispiel der Partner) über die Einnahme oraler Kontrazeptiva befragt. Dabei wurden 295 Schlaganfallpatientinnen mit ebenso vielen Frauen ohne diese Erkrankung hinsichtlich ihrer Verhütungsmethoden verglichen. Nach Adjustierung der Daten für andere Risikofaktoren für Schlaganfälle wie Hypertonie oder Diabetes erhöhten die niedrigdosierten oralen Kontrazeptiva das Risiko nicht signifikant. Es zeigte sich jedoch eine positive Assoziation zwischen der Einnahme dieser Präparate, gleichzeitigem Rauchen und Schlaganfällen. silk Petitti DB, Sidney S, Bernstein A et al.: Stroke in users of lowdose oral contraceptives. N Engl J Med 1996; 335: 8–15. Dr. Petitti, Research and Evaluation, SCPMG, 393 E. Walnut St., Pasadena, CA 91188, USA. Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 42, 17. Oktober 1997 (55) A-2735